Stroh - ein seltener Werkstoff der Alltagskultur
Von Roswitha Zwerger
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Über dieses E-Book
Roswitha Zwerger
Roswitha Zwerger, Regierungsfachberaterin i.R., vormals stellvertretende Leiterin des Staatsinstituts für die pädagogische Ausbildung von Fachlehrern, Abt.II., München, Tätigkeitsfelder Fachdidaktik Textilgestaltung und Werken, Kulturgeschichte und Gestaltungslehre, Teilnahme an diversen Forschungsprojekten und einer Exposéausstellung im Rahmen der Internationalen Biennale de la Tapisserie in Lausanne, Gründungsmitglied des Fachverbands ...textil... e.V., Wissenschaft-Forschung-Bildung.
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Buchvorschau
Stroh - ein seltener Werkstoff der Alltagskultur - Roswitha Zwerger
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Schriftenreihe Textil - Kultur - Mode
herausgegeben von Waltraud Rusch
Roswitha Zwerger: Stroh – ein seltener Werkstoff der Alltagskultur
Band 1
Fachverband ... textil..e.V. Wissenschaft - Forschung - Bildung
Inhaltsverzeichnis
Zur Entwicklung der Strohverarbeitung
Strohflechten – ein Stück Industriegeschichte in Europa
Berühmte Strohhüte
Handwerklich – technische Möglichkeiten
Strohintarsie
Stroh und Korn in Kult und Brauch
Innovative Neuinterpretationen
Nur wer die Vergangenheit kennt kann Zukunft gestalten
Anhang:
Literatur
Museen, Stiftungen, Vereine
Ateliers und Bezugsquellen
Zur Entwicklung der Strohverarbeitung
Schnitterin mit Strohhut als Sonnenschutz. Manessische Liederhandschrift, um 1340
Mit ‚Stroh‘ im engeren Sinne sind die trockenen und Frucht entfernten Halme und Blätter von Kulturpflanzen wie Getreide, Öl- und Faserpflanzen sowie Hülsenfrüchten gemeint. Im weiteren Sinne zählen dazu auch alle trockenen Stiele, Stängel und Blätter von Wildpflanzen wie Binse (scirpus lacustris), Espartogras (Stipa tenacissima), Sauergras (carex brizoides) und andere Wildgräser.
Terrakottafigur mit Tholia, Tanagra, 4.Jh. v.Chr., Staatliche Antikensammlung, München, Foto: R.Z.
Zu den ältesten Originalfundstücken der Strohflechtkunst gehören kleine, beutelförmige Körbchen in Zwirnbindung sowie geflochtene Sandalen in Spiralwulsttechnik aus spanischem Espartogras.
Gefunden wurden sie 1857 in der südspanischen Höhle von Murciélagos in der Provinz Granada, wo sich das organische Material unter den subtropischen Klimaverhältnissen ca. 5000 Jahre lang erhalten konnte. Es sind dies Zeugnisse einer hoch entwickelten Handwerkskunst prähistorischer Korbflechter.
Aus der Antike belegen zahlreiche Bild- und Textquellen den intensiven Handel mit Espartogras und Binsen aus Spanien und Nordafrika sowie deren vielseitiger Verwendung für diverse Behälter, Filter- und Presssiebe für die Honig-, Öl-, Most- und Weingewinnung, für Bienenstöcke, Fischreusen und in der Seilerei.
Stroh zur Eisgewinnung verwendeten die alten Römer bereits in ihren unterirdischen Kühlkellern. Der aus den Bergen herbei geschaffte Schnee wurde zur Isolierung mit Stroh abgedeckt und verdichtete sich beim Zusammensacken zu Eis.
Als geflochtenen Sonnenhut trug der Mann in der Antike den breitkrempigen ‚Petasos‘ und die Frau die scheibenförmige ‚Tholia‘, wie man sie von den Terrakottafigürchen aus Tanagra kennt.
Mit Stroh und Gräsern geflochten wurde weltweit in nahezu allen Kulturen. Bei der Kleidung waren es neben den Kopfbedeckungen gegen Witterungseinflüsse, Grasmäntel als Regenschutz, wie sie von den Hirtenbuben noch bis im 20.Jh. getragen wurden sowie Graspolsterung in der ledernen Fußbekleidung gegen Kälte und Nässe, wie man sie bei „Ötzi" fand.
Steirischer Hirtenbub in einem Grasmantel. Photographie. Österreich, um 1930, Künstler: Anonym © IMAG-NO/brandstätter images GmbH, Wien
Ein bedeutender neolithischer Grabungsfund gelang 2003 im oberbayerischen Pestenacker bei Landsberg. Der äußerst dekorative „Spitzhut" erwies sich als fertigungstechnisch sehr anspruchsvoll, war in Zwirnbindung und mehreren Flechtschichten gearbeitet und dadurch sogar wasserdicht. Vergleichbare Darstellungen finden sich auf prähistorischen Felszeichnungen, deren Alter auf 5500 Jahre geschätzt wird.
Bei der Gestaltung von Schmuck und Behältern aus Stroh haben es Asiaten, Afrikaner und Indianer zu bewundernswerten Höchstleistungen bezüglich Feinheit sowie Muster- und Formgestaltung gebracht. Bereits in vorspanischer Zeit waren indianische Flechtarbeiten in der Region des Pátzcuaro-Sees bedeutende Handelsware. Die heutigen Figurengeflechte aus Weizenstroh und Binsen sind besonders bei Touristen beliebt.
„Spitzhut" von Pestenacker, © Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, Zeichnung: Antja Bartel
Indianische Flechtfigur aus Weizenstroh, Mexiko, Foto: R.Z
Flechtfigur aus Binsen, Mexiko, Foto: R.Z.
Strohdach, Schwarzwälder Freilichtmuseum Vogtsbauernhof, Gutach 2014, Foto:R.Z..
Beim vorgeschichtlichen Hausbau in ‚Stampfbauweise‘ wurden die Wände aus einer Lehm-Stroh-Mischung, verstärkt mit Kalk und Sand aufgebaut oder man verwendete Stroh als Beimischung und Füllmaterial in den mit Lehm verputzten Geflechtwänden. Stroh- und Grasdächer boten neben der ansprechenden Optik eine hervorragende Wärmeisolierung, erstaunlichen Lärmschutz und haben sich in einigen Gegenden bis