Augenblicke Teil III: Das Auge in der Moderne
Von Ingeborg Bauer
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In diesem III. Teil geht es um die Entwicklung der Darstellung des menschlichen Gesichts in der Moderne, die häufig archaische Muster aufnimmt. Wie Denken durch Bilder zutage tritt, wie Bilder zu gemalten Gedanken werden können, wie die Welt durch die Darstellung des menschlichen Antlitzes gedacht wird, das möchten meine Ausführungen beleuchten.
Reisen, schauen, lesen und über das Erfahrene reflektieren - so ergeben sich persönliche Schwerpunkte. Ein Ordnen der Eindrücke wird unerlässlich.
Ingeborg Bauer
Ingeborg Bauer Studium der Germanistik und Anglistik. Nach dem Staatsexamen als Studienrätin tätig. Volkshochschuldozentin in Esslingen: Englische Konversationskurse mit den Schwerpunkten: "Englischsprachige Literatur der Gegenwar", "Kunst und Architektur des 20./21. Jahrhunderts". Freiberufliche Mitarbeit in einer Galerie für zeitgenössische Kunst. Vernissagen, Texte für Kataloge, Lyrik u.a. zu Kunst und Künstlern wie Adolf Hölzel und Paul Klee. Reisebücher.
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Buchvorschau
Augenblicke Teil III - Ingeborg Bauer
Für Siegfried
Inhaltsverzeichnis
Augen-Blicke – Das Auge in der Kunst der Moderne
Das Auge als solches
Augen im Alltag
Punkt, Punkt, Komma, Strich…
„Das Gesicht als Aufmerksamkeitsmaschine"
Das Auge in der Architektur
Augen-Metaphern
Augen in der Literatur
VOM PORTRÄT ZUR MASKE
Einfluss afrikanischer Masken in der Moderne
Pablo Picasso
Bedeutung afrikanischer Masken für Picasso
Picassos Frauendarstellungen
Unmittelbare Nachkriegszeit – Schloss Grimaldi in Antibes
Ernst Ludwig Kirchner
James Ensor
Emil Nolde (1)
Asger Jorn und Carl-Henning Pedersen
Cordula Güdemann
Einfluss Ägyptens
Alberto Giacometti
Paula Modersohn-Becker
Einfluss archaischer Kunst
Constantin Brâncuşi
Amadeo Modigliani
Alexej von Jawlensky
Der Kopf in der Moderne
Paul Gauguin
Emil Nolde (2)
Odilon Redon
Ernst Barlach und Alfred Kubin
George Braques
Oskar Schlemmer
Paul Klee
Horst Antes
Bernd Zimmermann
Das Hybride in der Moderne
Totempfähle
Geflügelte Wesen
Max Ernst
Joan Miró i Ferrà
Das Auge im Surrealismus
Giorgio de Chirico
Man Ray und Salvador Dalí
René Magritte
Francis Picabia
Hannah Höch
Das Gesicht in der zeitgenössischen Kunst
Poul Gernes
Das Gesicht als Chiffre
Malerei / Fotocollage:
Matthias Mansen
Marwan
Wolfgang Nkole Helzle
Yoko Ono
Skulptur:
Per Kirkeby
Dietrich Klinge
Michael Croissant
Franz Bernhard
Gesichtslosigkeit oder das Phänomen des Verschwindens
Margund Smolka
Anneline Schjødt Pedersen
Alexandra Medilansky
Das Gesicht, das keines sein will
Wassily Kandinsky
Giuseppe Santomaso
Das zerstörte Gesicht
Jürgen Goertz
Jean Dubuffet
Kjartan Slettermark
Erró
AUGEN BLICKE Teil III
Augenblicke, das Wort enthält den Begriff der Augen, im Blick das Sehen. Der Blick fällt auf etwas, kann aber auch bewusst auf etwas gerichtet sein. Augen sind, soweit wir es überblicken können, von außerordentlicher Bedeutung, seit der Mensch versucht, den Menschen darzustellen, sich ein Bild von ihm zu machen. Mit dem Auge erobert der Mensch die Welt, das innere Auge schafft Vorstellungen, Visionen, führt den Menschen schon früh über die reale, die materielle Welt hinaus in eine Transzendenz. Hat er einmal die Fragen nach dem Woher und Wohin gestellt, ist er sich seines Soseins, seiner Identität bewusst geworden, so steht er dem eigenen Ungenügen, den Grenzen seines Menschseins gegenüber. Es ist wohl zu allen Zeiten das Auge gewesen, das der Mensch als das wichtigste Organ der Erkenntnis betrachtet hat.
Nachdem sich Teil I mit den „Augen-Blicken der Menschheit" als entscheidenden Schritten in der Entwicklungsgeschichte des homo sapiens beschäftigt hat, wurden in Band II unter den Rubriken Porträt und Maske an exemplarischen Beispielen herausragender Künstler die Leistungen in der Neuzeit vorgestellt. In Band III soll nun der Einfluss der in Band I besprochenen Kulturen, der Kunst der Archaik, auf die Künstler der Moderne zur Sprache kommen, eine innere Verwandtschaft, aber auch eine Abgrenzung aufgezeigt werden. Es geht um die Entwicklung der Darstellung des menschlichen Gesichts in der Moderne, wiederum exemplarisch. Wie Denken durch Bilder zutage tritt, wie Bilder zu gemalten Gedanken werden können, wie die Welt durch die Darstellung des menschlichen Antlitzes gedacht wird, dazu möchten meine Ausführungen anregen.
Reisen, Schauen, Lesen und über das Erfahrene reflektieren – so ergeben sich persönliche Schwerpunkte. Die Beschäftigung damit macht ein Ordnen der Eindrücke unerlässlich.
Augen-Blicke – Das Auge in der Kunst der Moderne
Das Auge als solches
Gerhard Stadelmaier über Ulrich Matthes und die Augen-Blicke von Schauspielern:
„Was von ihm haften bleibt, sind seine Augen. Niemand, den sie angeschaut, keine Figur, kein Text, kein Zuschauer, sind danach noch dieselben. Andere große Schauspieler, wie Minetti zum Beispiel, mögen alles durchdringende, oder wie Gert Voss alles durchschauende, oder wie Rolf Boysen alles durchschauernde Augen haben oder gehabt haben. Ulrich Matthes hat alles durchglühende Augen."¹
Das Auge ist das Organ, das Medium, durch das der Mensch die Welt wahrnimmt. Das gilt in besonderem Maße für den Künstler.
Augen finden sich unter den frühesten Darstellungen, die der Mensch als Höhlenzeichnungen und als frühe Plastik gestaltet hat. Es wird zum apotropäischen Zeichen. Als Auge Gottes steht es symbolisch für den christlichen Gott, von dem der Mensch sich kein Bildnis machen soll.²
Soziales Handeln hängt vollständig von unserem Gesicht ab, von seiner Unversehrtheit und mimischen Funktionsfähigkeit. Das Gesicht als mehrdimensionale Zeichenfiguration verweist sowohl auf die Lebensgeschichte eines Menschen, als auch auf seine Augenblicksbefindlichkeit und enthält immer eine affektive Tönung, eine emotionale Ausdruckskraft. Auch was der andere in meinem Gesicht gelesen hat, teilt sich mir mit, beeinflusst meine Befindlichkeit. Sartre spricht von einer reinen Verweisung auf mich selbst
und negativ formuliert: „Die Hölle, das sind die anderen." Das Gesicht ist ein Spiegel der Identität. Und es sind die Augen, in denen die Identität sich verdichtet, kristallisiert. Die Augen sind ein psychologisches Zentrum intimster Regulierungen. Bei der Nervenkrankheit ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) sind die mit der Pupille auszuführenden Kleinstbewegungen im Spätstadium die einzigen Ausdruckskomponenten. Das Auge hat eine Semantik, die intuitiv verstanden wird. Wie in dem vorangestellten Zitat von Gerhard Stadelmaier können Augen die unterschiedlichsten Gefühle ausdrücken: strahlend können sie sein, aber ein Blick kann auch stechend, durchdringend, verhangen, traurig, fröhlich, müde, frustriert, resigniert sein. Bei Scham wird der Blick entzogen, Furcht lässt den Blick sich abwenden. Augen werden auch Spiegel der Seele genannt, die den Charakter enthüllen. Ein einziger Augen-Blick kann entscheidend sein, ob ein Mensch mir sympathisch ist oder nicht.
Das Bild im Spiegel ist Kommunikation mit der eigenen Person. Es unterliegt allerdings auch einer vielfältigen willentlichen Manipulation. Es findet eine Annäherung an ein inneres Sollbild statt, an dem meine Vorstellung von meinem Selbst hängt. Das Auge besteht aus Wimpern und Brauen, Augenweiß und dunkler Pupille. (Schimpansen haben meist einen dunklen Augapfel.) Es ist der hell-dunkle Kontrast, der die kommunikative Signalwirkung prägnanter erscheinen lässt. Sympathie erweitert die Pupillen, während negative Gefühle sie verengen. Das Auge kann die ganze Bandbreite von Gefühlen zum Ausdruck bringen. Wird der Blick entzogen, so kann das viele Gründe haben, u.a. Misstrauen, Scham, Schüchternheit, Abwehr.
Jemand verliert sein Gesicht, das kann im übertragenen Sinn den Verlust von Respekt, von Achtung bedeuten. Verliert aber ein Mensch sein Gesicht, weil es durch Krankheit oder Unfall entstellt wird, so ist dieser Verlust einschränkender als verlorene Glieder es sein könnten. Eine Gesichtsverletzung stört den mitmenschlichen Kontakt. Der Andere schreckt zurück, der Betroffene wird gemieden. Nach dem Ersten Weltkrieg sah man keine Gesichtsverletzungen in den Straßen, auch ein Otto Dix oder George Grosz malte sie nicht. Auch daraus kann man folgern, dass dem menschlichen Gesicht eine Ausnahmestellung zukommt, wobei auch heute noch eine sakral-transzendente Komponente mitspielen dürfte: Der Mensch, der nach dem Bilde Gottes geschaffen wurde.
Das Gesicht besteht aus einer Konfiguration von Zeichen, die, wie man aus der Beschreibung des Täters durch das Opfer oder einen Zeugen der Tat weiß, nicht leicht zu entziffern ist. Der Phantombildzeichner Rainer Wortmann konstatiert jedoch, dass ein Betroffener, der vom Täter bedrängt worden ist, sich meist am besten an die Augen erinnert.³
Doch bleiben Rückschlüsse auf den Charakter fragwürdig. So wurde die Frenologie eines Lavater, der den Kopf schlichtweg vermessen hat und aus diesen Maßen seine Schlüsse zog, schon früh kritisiert, zum Beispiel von Lichtenberg. Auch Goethe, der zunächst Interesse zeigte, wandte sich später ab. Physiognomische Vorurteile sind in der Regel nicht haltbar. Allerdings lässt sich nicht bestreiten, dass ein Gesicht eine Lebensgeschichte enthalten mag. Auch scheint die Mimik nur begrenzt kontrollierbar zu sein. Einzig die Augen sind dem Willen des Einzelnen weitgehend entzogen. Augen lügen nicht.
Das Auge als Organ, das Bilder aufnimmt, die das Gehirn abbildet, interpretiert, das Auge als wichtigstes Sinnesorgan wirkt reziprok. Es sieht, und der andere Mensch oder das Tier blickt ihm ‚ins Auge’. Im Englischen entsprechen sich die Aussprache von Eye (Auge) mit I (Ich), das könnte man dahingehend interpretieren, dass sich im Auge als solchem die Identität eines Menschen niederschlägt beziehungsweise ausdrückt. Es ist auffallend, dass die Augen einer Verschleierten, indem sie vom übrigen Gesicht isoliert erscheinen, eine gesteigerte Aufmerksamkeit auf sich ziehen, während ein mit einem Balken versehenen Porträt an Aussagekraft verliert.⁴
Andererseits hebt eine Verschleierung, ähnlich wie eine Maske, die Reziprozität des Sehens auf. Niqab und Burka bewirken eine De-Individualisierung, verursachen eine Asymmetrie unter Gesprächspartnern, unter den Geschlechtern, stören einen ausgewogenen Dialog.
Die Iris eines Menschen setzt sich aus 255 Daten zusammen.
Der Fingerabdruck beruht dagegen auf nur 70 Messwerten.
Der Naturwissenschaftler John Daugman von der Universität Cambridge / Massachusetts hat ein Verfahren entwickelt, das die Iris des menschlichen Auges digitalisiert und so die Grundlage geschaffen, die Iris eines Menschen aus 255 Daten zu analysieren. Jeder einzelne Mensch verfügt offensichtlich über eine einzigartige Iris, die damit den Fingerabdruck ersetzen könnte, der auf nur 70 Daten beruht. Die Idee der Erkennung durch die Iris hatte schon 1936 ein amerikanischer Augenarzt. Inzwischen hat Elizabeth II. ihn für seine Entdeckung zum Ritter geschlagen.⁵
Inzwischen wurde in Russland ein Programm erstellt, das unter der Zuhilfenahme von 80 Punkten eine Person unter anderem nach Alter und Geschlecht zu differenzieren vermag. Das Programm versucht dann eine Personenerkennung, um zum Gesicht den Namen und damit die Identität festzustellen. Das ist eher beunruhigend.
Der Ursprung der Menschheit liegt in Afrika. Alle Menschen hatten dunkle beziehungsweise braune Augen. Erst vor etwa 6 000 bis 10 000 Jahren fand eine Mutation statt. Der Genforscher Hans Eiberg von der Universität Kopenhagen vermutet sogar, dass alle Blauäugigen von einem Menschen abstammen. Diese Veränderung ist evolutionsbiologisch bestimmt und fand in Nordeuropa statt. Weniger Pigment bildet eine geringere Barriere für Sonnenstrahlen, die im Norden nur begrenzt vorhanden sind und die der Körper zur Produktion von Vitamin D braucht. In den Tropen bieten braune Augen Schutz vor der schädlichen Wirkung von ultraviolettem Licht. Die Augenfarbe hängt vom Grad der Pigmentierung ab. Die Stroma der Iris ist weitestgehend unpigmentiert und die Färbung kommt durch die dünne Pigmentschicht (Epithelium pigmentosum) auf der Hinterseite der Iris zustande. Babys mit heller Hautfarbe haben noch wenig von dem Farbstoff Melanin, der für die Färbung der Pigmente verantwortlich ist. Dies kann sich im Laufe der Entwicklung ändern, und so können sich die blauen Augen eines Neugeborenen nach einem Jahr oder auch noch später in braune Augen verwandeln. Allgemein besteht eine Korrelation mit der Haut- und Haarfarbe.
In diesem Zusammenhang muss man auch in Betracht ziehen, dass blaue Augen in südlichen Ländern Schrecken hervorrufen können, ein Umstand, der