Manolis: Eine griechische Tragödie
Von Ralf Zoll
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Buchvorschau
Manolis - Ralf Zoll
Quellennachweise
1 Eine viel zu lange Einleitung
Er lag auf dem Rücken, die Hände auf der Brust verkrampft, in einer Art Jogging- oder Hausanzug, fast wie aufgebahrt. Zwei Elektroanschlüsse hingen neben ihm von der Decke.Ivica hatte ihn so auf dem Bett in seinem Haus in Parthenon, einem kleinen Ort oberhalb von Neos Marmaras auf der Halbinsel Sithonia, gefunden, nachdem er zwei Tage nicht in Marmaras und auch weder über den Netzanschluss noch auf dem Handy zu erreichen gewesen war. Ivica hatte noch nicht viele Tote gesehen; dass Manolis tot war, stand für ihn außer Frage. Er telefonierte mit Jannis, der wiederum Christos und Nicos mobilisierte. Als auch sie sahen, dass Manolis tot war, entfalteten sie eine merkwürdige Hektik und durchkämmten alle Winkel des Hauses. Nach wenigen Minuten verschwanden die drei kurz, der eine mit einem kleinen Bündel Geldscheinen, der zweite mit einer Plastiktüte, der dritte mit irgendwelchen Papieren. Erst dann haben sie zu viert die Polizei verständigt. Aus verständlichen Gründen erst jetzt. Ivica war Serbe. Zwar besaß er auch einen britischen Pass und er lebte schon seit Jahren in London, für ihn als Ausländer hätte es sicher Scherereien gegeben, zumindest einen erheblichen bürokratischen Aufwand, zumal ja bekannt war, dass Manolis viele internationale Kontakte pflegte, manche auch mit zweifelhaftem bzw. eindeutigem Leumund.
Manolis Stratigakis, eigentlich Emanuel Emanuel Stratigakis, hatte ich 1976 in Griechenland kennen gelernt, kurz nach dem Fall des Militärregimes. Er war Sportkoordinator im gerade eröffneten Athos Palace auf Kassandra, wo wir nach einigen Jahren besonderer beruflicher Anspannung Urlaub machten, das erste Mal seit langem. Eigentlich verdanken wir die Griechenlandreise unserer Tochter Saskia. Sie war ernsthaft an einer Nierenbeckenentzündung erkrankt und benötigte, nachdem sie das Schlimmste überstanden hatte, dringend Erholung in einem wärmeren Klima als es Oberbayern um Pfingsten herum bieten konnte. Zu allem Unglück war auch noch mein Reisepass abgelaufen. Da ich, wie gesagt, zuletzt nicht an Urlaub zu denken gewagt hatte, war mir auch nicht aufgefallen, dass ich keine gültigen Papiere mehr besaß. Nur in einem kleinen Ort, in dem wir damals lebten, ist es wohl möglich, an einem Pfingstsamstag innerhalb von zwei Stunden Bürgermeister und Verwaltungsangestellte dazu zu bewegen, einen Reisepass zu verlängern, vorausgesetzt, sie sind an einem Samstagnachmittag überhaupt zu erreichen.
Es war die Zeit des Tennisbooms in Deutschland und auch wir, meine Frau Silke und ich, hatten uns davon anstecken lassen. Der Urlaub bildete die ideale
Gelegenheit, aus Anfängern fortgeschrittene Anfänger zu machen. Manolis, neben Sportkoordinator auch noch Tennislehrer, nahm uns unter seine Fittiche. Damit begann eine zeitweise intensive Freundschaft, die an jenem Tag im November 2003 endete als mich Ivica anrief. Dieser hatte wieder einmal unsere
Telefonnummer verschlampt und erst nur Dirk erwischt, den Mann von Saskia, also unseren Schwiegersohn. In Düsseldorf, bei Dirk und Saskia, hatte Ivica anlässlich eines seiner Fahrten im Mercedes seiner englischen Frau June von Halkidiki über Serbien nach London übernachtet und deshalb wohl Dirks Handynummer parat.
„Manolis ist tot. Wir haben ihn vor zwei Stunden gefunden. Wohl Herzinfarkt."
Ich war völlig konsterniert. Mein letztes Telefonat lag allenfalls vier Wochen zurück. Es gab die ganzen Jahre keinerlei Anzeichen für eine Herzschwäche, eher im Gegenteil. Außer einer ausgeheilten Hepatitis, die er sich bei einem seiner „Ausflüge von Parthenon nach Thessaloniki zugezogen hatte, wo er zeitweise einige Apartments besaß, klagte er nur über kleine Wehwehchen, das aber häufig und mit Nachdruck, wie sich das für einen Hypochonder gehört. Die „Ausflüge
dienten, wie er sich ausdrückte, meist „sexual purposes. Aleka meinte, er sei Opfer der „käuflichen Liebe
geworden. Das mit der Hepatitis lag schon Jahre zurück. Wieso also Herzinfarkt?
Ich rief Ivica abends zurück. Ob er jetzt Genaueres wisse?
Im Ort war Manolis zuletzt am Samstag gesehen worden, bei seiner Runde durch Neos Marmaras. Sie begann normalhin beim Supermarkt Enoussi, der von einem alten reizenden Ehepaar betrieben wurde, das seine Gastarbeitererfahrungen nicht in Deutschland, sondern in Frankreich gesammelt hatte und deshalb leidlich französisch sprach, was meine in Paris lebende
Schwägerin und ihre Lebensgefährtin nahezu entzückte, wenn sie wieder einmal Gastrecht in unserem Haus in Parthenon genossen. Auch an diesem Samstag erfolgte der übliche Wochenendeinkauf. Der jüngere Sohn des alten Ehepaares, Pavlos, der sich peu a peu anschickte, den Supermarkt zu übernehmen, berichtete später, dass Manolis über Unwohlsein geklagt und auch richtig elend ausgesehen habe. Nach dem Einkauf traf Manolis Nicos und Christos bei Gikas, eine der beiden Tavernen, die sich seit Jahren seiner Gunst erfreuten. Von Gunst lässt sich deshalb sprechen, weil Manolis es als Auszeichnung begriff, wenn er ein Lokal für würdig befand, ihn empfangen zu dürfen. Nicos und Christos bestätigten, dass Manolis schon am Donnerstag ihren Rat abgetan hatte, einen Arzt aufzusuchen. Neben Gikas, bei einem anderen Nicos, dem Computerspezialisten, übrigens der ältere Bruder von Pablos, hatte Manolis danach eine seiner alltäglichen Internetprobleme diskutiert, was im