Handbuch des Blockflötenspiels
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Buchvorschau
Handbuch des Blockflötenspiels - Hans-Martin Linde
Hans-Martin Linde
Handbuch des Blockflötenspiels
Hans-Martin Linde
Handbuch des
Blockflötenspiels
2. erweiterte Auflage
SCHOTT
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Bestellnummer SDP 138
ISBN 978-3-7957-8562-8
© 2016 Schott Music GmbH & Co. KG, Mainz
Alle Rechte vorbehalten
Als Printausgabe erschienen unter der Bestellnummer ED 8703
© 1962, 2003 Schott Musik International, Mainz
www.schott-music.com
www.schott-music.com
Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlags. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne eine solche Einwilligung kopiert und in ein Netzwerk gestellt werden. Das gilt auch für Intranets von Schulen oder sonstigen Bildungseinrichtungen.
Inhalt
Abkürzungen
Vorwort
Die Blockflöte
Akustische Grundlagen
Material
Bezeichnungen
Formen
Wahl eines Instrumentes
Behandlung des Instrumentes
Die Spielweise der Blockflöte
Atmung und Tonbildung
Klang
Haltung
Griffweisen
Fingertechnik
Artikulation
Üben
Vorspielen, Konzertieren
Schulen und Studienwerke
Die Blockflötenmusik und ihre Wiedergabe
Musizierpraxis mit Blockflöten vor 1600
a) Frühes Mittelalter
b) Ars antiqua
c) Ars nova
d) Zeitalter der alten Niederländer
Stilfragen des 14., 15. und 16. Jahrhunderts
a) Artikulation
b) Verzierungen
c) Notation
d) Tempo
e) Besetzungsvorschläge
Musizierpraxis mit Blockflöten zwischen 1600 und 1750
a) Frühbarock
b) Hochbarock
Stilfragen des 17. und 18. Jahrhunderts
a) Artikulation
b) Verzierungen
c) Tempo
d) Rhythmik
e) Besetzungsvorschläge
Aufgaben der Blockflöte im 20. Jahrhundert
Bibliographie
Register
Abkürzungen
Instrumente
Literatur
Verlage
Vorwort
Ein zu Beginn der sechziger Jahre an der Schola Cantorum Basiliensis geführter Methodikkurs gab den Anstoß, der Anregung des Schott-Verlages zu folgen und die vorliegende Arbeit in ihren Grundzügen festzulegen. Seit der darauffolgenden Erstveröffentlichung (1962) hat das Blockflötenspiel eine bemerkenswerte Entwicklung erfahren. Heute gibt es in allen Teilen der Welt hervorragende Blockflötisten, die den Vergleich mit anderen Instrumentalisten nicht zu scheuen brauchen. Die Blockflöte hat nach wie vor ihren wichtigen Platz in der musikalischen Erziehung jugendlicher Spieler. Sie hat aber auch Einzug gehalten in die Konzertsäle, und die Zahl der Schallplattenaufnahmen mit Blockflöte ist fast unüberschaubar groß. Das Interesse an historisch orientierter Aufführungspraxis ist weltweit verbreitet. Aber auch die Moderne macht einen wesentlichen Anteil heute gespielter Blockflötenliteratur aus.
Es erwies sich deshalb als dringend notwendig, das „Handbuch" zu überarbeiten und dabei der veränderten Situation gerecht zu werden. Die vorliegende Neufassung folgt zwar dem ursprünglichen Aufbau der Schrift. Doch wurden neue Einsichten und die erweiterte Kenntnis historischer und gegenwärtiger Aufführungspraxis einbezogen. Das bedeutete sowohl Ergänzung als auch gelegentliche Umgestaltung. Die zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung noch notwendigen Hinweise auf die damals recht wenigen Blockflöten-Schallplatten erübrigen sich in dieser Neufassung. Der bibliographische Teil wurde überarbeitet. Dabei erwies es sich aus heutiger Sicht als sinnvoll, manche Titel zu streichen und inzwischen erschienene Publikationen ergänzend einzufügen.
Hans-Martin Linde
Die Blockflöte
Akustische Grundlagen
Die Blockflöte ist eine am einen Ende offene, am anderen Ende durch die Anblasevorrichtung verschlossene Röhre. Hauptmerkmal aller Flöteninstrumente ist die Schneidenkante (Labium), die den Atemstrom zerteilt. Bei der Blockflöte wird der Atemstrom in einer durch die Form des Kernspaltes festgelegten Breite und Höhe auf das Labium gelenkt. Darin unterscheidet sich der Anblasevorgang der Blockflöte von dem der Querflöte, bei welcher die Lippen des Bläsers den Atemstrom zu formen haben. Beim Auftreffen des Luftstromes (Lamelle) aus dem schmalen Kernspalt der Blockflöte auf das Labium entstehen hier abwechselnd auf unterer und oberer Seite der Labiumkante Luftwirbel. Ein Teil dieser Wirbel gelangt an der Unterseite des Labiums in das Flötenrohr, während der andere Teil oberhalb der Kante nach außen strömt. Die Wirbel an der Unterseite drehen sich nach rechts, die an der Oberseite nach links. Hierdurch wird das Luftband in Schwingungen versetzt. Der so entstehende Ton wird Schneidenton genannt. Beim Auftreffen der Wirbel auf die Schneidenkante entsteht überdies eine Stoßwelle, deren Rücklauf die Bildung des nächsten Spaltwirbels beeinflussen kann. Das schwingende Luftband ist imstande, ein schwingungsfähiges Gebilde – in unserem Falle die Luft in der Blockflöte – zu Resonanzschwingungen anzuregen.
Die Luftteile innerhalb des Flötenrohres bewegen sich in Richtung von deren Längsachse (longitudinale Wellen). Sie sind abhängig von den durch den Schneidenton hervorgerufenen Druckveränderungen. Das Bewegungstempo dieser Luftteile (Schwingungszahl) ist maßgebend für die Tonhöhe. Bei größerer Schnelligkeit wächst die Tonhöhe an, bei nachlassender sinkt sie. Gewisse Stellen der Luftsäule bleiben unbewegt. Derartige stehende Wellen nennt man Wellenknoten. Zwischen ihnen findet die Bewegung der Luftteile statt (Wellenbauch). Je kleiner der Abstand der Wellenknoten ist, desto schneller wird die Schwingung und damit der Ton entsprechend höher. Der einfachste Schwingungsvorgang (Grundschwingung) ruft den Grundton der Flöte hervor. Dieser tiefste Teilton der Flöte, der beim Schließen aller Grifflöcher entsteht, besitzt entsprechend der Länge des Rohres die größte Wellenlänge. Am offenen Ende der Röhre ist die Geschwindigkeit der Luftmoleküle am größten (Geschwindigkeitsbauch), der Druck hingegen am kleinsten (Druckknoten). Dieser Grundwelle sind noch einige kürzere Wellen überlagert. Die entstehenden Teiltöne nennt man Obertöne. Sie sind für die Färbung des Flötenklanges verantwortlich. Höhere Töne als der Grundton werden durch Öffnen der Grifflöcher erzeugt, da die Öffnung eines Griffloches eine Verkürzung der schwingenden Röhre bedeutet. Das Flötenende wird also sozusagen verschoben.
Wirbelablösung am Blockflötenlabium
Die Tonhöhe kann durch Veränderung des Winddruckes variiert werden. So sagt Martin Agricola¹: Die untersten acht Töne ganz messig blas/Die andern sieben etwas schneller las/die nechstē vier begerē ein schnellern wind/die öbirsten ij gehe ganz geschwind. Der Winddruck liegt bei der Blockflöte mit 10 bis 40 mm WS um eine Größenordnung tiefer als bei den meisten anderen Blasinstrumenten. Es ist ein Maßstab für die Reinheit eines Instrumentes, eine nach Schalldruck und Reinheit der Intonation möglichst ausgeglichene Winddruckkurve zu erzielen. Unsere heutige Forderung nach sauberer Intonation in chromatischer Tonfolge über gut zwei Oktaven stellt erhebliche Anforderungen an die Herstellung der Blockflöte. Darin liegt auch der Grund dafür, daß sich viele billige und deshalb oft schlechte Blockflöten auf dem Markt befinden.
Wie bereits geschildert, ist die Höhe des Winddruckes und damit auch die Windgeschwindigkeit von Einfluß auf das Klangspektrum. Bei Erhöhung des Winddruckes beobachtet man ein Ansteigen der Schneidentonfrequenz und der Höhe des Grundtones. Wird der Winddruck weiter gesteigert, kommt die Schneidentonschwingung allmählich in die Nähe des zweiten Pfeifenteiltones. Von einem bestimmten Druck an wird dieser stärker als der Grundton erregt. Geschieht das unkontrolliert, spricht der Bläser vom „Überschlagen oder „Kieksen
. Gesteuert bewirkt dieser Vorgang das Überblasen, das freilich nur bei einem Teil der Holzblasinstrumente (Querflöten, Barockoboe) und Orgelpfeifen ohne Zuhilfenahme einer Oktavklappe oder eines Überblasloches ausgeführt wird. Bei der Blockflöte geschieht das Überblasen durch das Öffnen von etwa 1/10 des Daumenloches. Die Wellenlänge des gegriffenen Tones wird auf diese Weise halbiert, und die Oktav erklingt. Je weiter die Mensur eines Instrumentes ist, desto schwerer sprechen die Überblastöne an. Ein Beispiel dafür bieten die sogenannten „Renaissanceflöten, die entsprechend alten Vorbildern weiter mensuriert sind als Blockflöten des barocken Typs. Ihr Umfang ist zwangsläufig kleiner (Altblockflöten f’ bis d’
) als bei der gut zweieinhalb Oktaven umfassenden Barockflöte.
Für die Praxis ist das Verhältnis von Pfeifenlänge zu Pfeifenquerschnitt, die Mensur, wesentlich. Im allgemeinen lassen sich in Röhren mit großem Querschnitt nur die tiefsten Teiltöne zu nennenswerten Amplituden (Schwingungen) anregen. Weite Flöten klingen deshalb sehr grundtönig, oftmals sogar dumpf. Je enger der Querschnitt im Verhältnis zur Länge ist, desto größer ist der Reichtum an höheren Teiltönen im Klangspektrum. Engmensurierte Flöten besitzen deshalb eine schwache Tiefe, weitmensurierte hingegen ein kräftiges Tiefenregister. Die starke Grundtönigkeit von Instrumenten großen Durchmessers ist besonders bei Verwendung von Holz als Baumaterial feststellbar. Metallene Instrumente besitzen diese Eigenart in bedeutend geringerem Maße. Derartige obertonarme Klänge verschmelzen schlecht mit anderen Stimmen. Soll eine Melodielinie von einer anderen möglichst deutlich abgehoben werden, erweist sich ein mehr grundtöniges Instrument als besonders vorteilhaft.
Die Höhe eines Tones ist weiterhin von der Geschwindigkeit abhängig, mit der die Luftwirbel an der Schneidenkante aufeinanderfolgen. Der Abstand der Luftwirbel voneinander ist ebenso groß wie der Abstand des Kernspaltes vom Labium. Bei kleinem Abstand von Kernspalt und Oberlabium ist der Ton höher als bei größerem Abstand.
Ein sehr schmales Labium bewirkt einen obertonarmen und verhältnismäßig leisen Ton. Bei steigender Labienbreite beobachtet man ein Anwachsen der Intensität aller Teiltöne. Die Vergrößerung des Labiums kommt also einer Vergrößerung der die Flöte anregenden Energie gleich. Hohe Wände an den Seiten des Kernspaltes verursachen einen hellen, süßen Ton, flache Wände hingegen einen offenen, streichenden Klang. Der Kernspalt kann mehr oder weniger gewölbt oder auch gerade verlaufen.
Von erheblichem Einfluß auf die Tonhöhe ist die Temperatur. Bei Veränderung der Temperatur der schwingenden Luftsäule ändert sich die Schallgeschwindigkeit. Dünnwandige Instrumente sind naturgemäß besonders empfindlich für auch kleinere Temperaturunterschiede. Der Blockflötenspieler weiß aus Erfahrung, daß bei größerer Erwärmung der Flöte die Tonhöhe steigt und daß sie bei niedrigerer Temperatur fällt.
Material und Wandstärke eines Instrumentes beeinflussen seinen Klang. Die Erfahrung lehrt, daß Flöten aus festem, dichtem Holz kräftiger klingen als solche aus weichem. Flöten aus festerem Holz besitzen außerdem einen größeren Reichtum des Klangspektrums. Schließlich lassen sich auf ihnen die höheren Teiltöne leichter und klangschöner hervorbringen.
Größe und Sitz der Grifflöcher sind wesentlich beteiligt an den Schwingungsvorgängen im Flötenrohr. Daraus erklären sich der verschieden weite Abstand und die mehr oder weniger schräge Bohrung einzelner Grifflöcher. Im Prinzip ist für die Töne der unteren Oktave der obere Rand, für die obere Oktave der untere Rand der Grifföffnungen maßgebend. Ist also beispielsweise d’ zu tief, so vergrößert der Flötenbauer das folgende Griffloch an seinem unteren Rand. Ist d
zu hoch, wird das folgende Griffloch am oberen Rand mit Hilfe von Schellack oder ähnlichem Material verkleinert. Doch ist auch der Grad der ins Innere der Flöte verlaufenden Abschrägung der Öffnung von Einfluß auf die Tonhöhe.
Weitere Unterschiede ergeben sich aus der Art der Bohrung. Die akustisch einwandfreie Berechnung eines Pfeifenkörpers ist nur bei dessen zylindrischer Bohrung möglich. Da aber die Blockflöte eine verkehrt-konische Bohrung aufweist, ist der Flötenmacher auf Versuche und daraus gewonnene Erfahrungen angewiesen. Charakteristisch für konische Flöten ist deren süßer, warmer Klang. Blockflöte und Barocktraverso besitzen diese Art der Bohrung. Bei der zylindrischen Böhmflöte fällt zwar deren größere Grundtönigkeit auf, jedoch führt die zylindrische Bohrung auch zur stärkeren Ausbildung des unharmonischen Charakters des Klangspektrums².
Letztlich wird der Klang der Flöte noch vom Anblasedruck bestimmt. Gewisse Blockflöten erlauben auf Grund ihrer Bauweise (u. a. ist die Enge des Kernspaltes dafür verantwortlich) nur einen relativ geringen Anblasedruck. Obertöne aber können erst bei stärkerer Tongebung hörbar gemacht werden. Für derartige Flöten ist also ein besonders obertonarmer Klang charakteristisch.
Material
Holz ist das im Flötenbau zu allen Zeiten mit Vorzug verwendete Material. Die Erfahrungstatsache des Materialeinflusses auf den Klang beschreibt Francis Bacon³: Wenngleich der Ton zwischen dem Atemstrom des Mundes und der Luft im Flötenrohr entsteht, so sind doch auch der Zustand der Flötenwandung und die ihr innewohnenden Geister von Einfluß auf ihn.
Ein Vergleich der Kataloge verschiedener Instrumentensammlungen⁴ ergibt folgende Verteilung des Baumaterials:
Den 73 hölzernen stehen hier also 30 aus anderem Material gefertigte Flöten gegenüber. Dabei ist zu berücksichtigen, daß für die auffällig große Zahl von Elfenbeinflöten nicht nur deren unbestrittene klangliche Vorzüge, sondern auch der damals große Materialwert ausschlaggebend ist. Marin Mersenne⁵ berichtet über das Flötenmaterial: Ihr Material kann vom Pflaumenbaum, vom Kirschbaum und von anderen Holzarten sein, die sich leicht bohren lassen; aber gewöhnlich wählt man Holz mit einer schönen Farbe und solches, das eine schöne Politur annimmt, damit die Schönheit die Güte des Instrumentes begleite und die Augen in gewisser Weise die Teilhaber des Vergnügens der Ohren sind: gewöhnlich stellt man sie aus Buchsbaum her [. . .]
Tatsächlich überwiegen