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Der Riss: 1915–1943. Die ungelösten Verflechtungen zwischen Italien und Deutschland
Der Riss: 1915–1943. Die ungelösten Verflechtungen zwischen Italien und Deutschland
Der Riss: 1915–1943. Die ungelösten Verflechtungen zwischen Italien und Deutschland
eBook458 Seiten6 Stunden

Der Riss: 1915–1943. Die ungelösten Verflechtungen zwischen Italien und Deutschland

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Über dieses E-Book

8. September 1943: Die italienische Regierung schließt einen Waffenstillstand mit den Alliierten und beendet somit den Pakt mit dem Deutschen Reich. Für Italien ist dieser Tag zum Symbol geworden, ein Symbol für die Schwäche, aber gleichzeitig auch für die moralische Kraft der Nation. Was bedeute dieses Datum aber für Deutschland? Und wie haben die deutsche Bevölkerung und die zahlreichen Soldaten in Italien diese Bekanntmachung erlebt?

Emilio Petrillo versucht, auch durch einen Rückblick auf frühere Ereignisse, dieser Frage nachzugehen. Seine Quellen sind in erster Linie die 17 Bände der „Meldungen aus dem Reich", welche, verfasst vom Sicherheitsdienst der SS, die Meinungen der Bevölkerung im Reich aufzeichnen, aber auch zum Großteil noch unbekannte Zeitungsartikel und vor allem auch das Gespräch mit noch lebenden Zeitzeugen. Die Aufarbeitung einer nicht unwesentlichen Episode in der jahrhundertelangen, engen und konfliktreichen Beziehung zwischen Deutschen und Italienern.

Mit seinem frischen und unvoreingenommenen Wagemut ist es dem beherzten Journalisten Paolo Emilio Petrillo gelungen, in einem farbenreichen Bild von Einklängen und Missklängen nach siebzig Jahren die Erinnerungen von einfachen Soldaten wieder ins Leben zu rufen, mit dem Ziel, einen schwierigen Teil einer gemeinsamen Geschichte offenzulegen. Heucheleien verflechten sich mit Rechtfertigungen, und dabei zeigt sich schließlich, wie es ganz normalen Menschen, die von dramatischen Ereignissen mitgerissen wurden, gelingt, eine eigene, sinnige Menschlichkeit zu finden. (Luigi Vittorio Ferraris, ehemaliger Botschafter Italiens in Bonn.)
SpracheDeutsch
HerausgeberDrava Verlag
Erscheinungsdatum18. Aug. 2016
ISBN9783854358121
Der Riss: 1915–1943. Die ungelösten Verflechtungen zwischen Italien und Deutschland

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    Buchvorschau

    Der Riss - Paolo Emilio Petrillo

    Übersetzern.

    Erster Teil

    Phasen eines Prozesses

    Gespräch mit Siegfried Bock

    „Eigentlich kann ich nicht viel zu dem Thema Ihrer Untersuchung sagen. Natürlich hatte man nach 1943 über die Italiener kein gutes Wort mehr gehört: Es wurde gesagt, dass man sich nicht auf sie verlassen könne; dass sie Verräter seien. Das war die Auffassung, die die Deutschen über den ehemaligen Verbündeten in jenen Jahren hatten, wenigsten nach dem 8. September 1943. Im Übrigen standen wir alle, und zwar massiv, unter dem Einfluss der Nazi-Propaganda."

    Es ist Siegfried Bock, der hier zu Wort kommt. Bock, Jahrgang 1926, geboren in Meerane in Sachsen, war Diplomat im gehobenen Dienst der DDR. 1944, gerade 18 Jahren alt, wurde er eingezogen und an die Ostfront geschickt, die inzwischen bereits in Polen lag. Er blieb dort bis März 1945, wurde in den Kämpfen um Breslau verwundet und in ein Lazarett eingeliefert, geriet dann in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Auf Grund seines Alters und seines Rangs – als einfacher Soldat der Wehrmacht – blieb dem jungen Siegfried eine längere Gefangenschaft erspart; er erhielt am Ende des Krieges nach seiner vollständigen Genesung die Erlaubnis, nach Deutschland zurückzukehren. Von 1947 bis 1950 studierte er Jura in Leipzig und trat dann 1951 in den Dienst des Außenministeriums der DDR. 1962 wurde Bock Botschaftsrat in Rumänien, eine Funktion, die er bis 1966 innehatte. Von 1972 bis 1975 nahm er – zeitweise auch als Chef der DDR-Delegation – an der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) teil, heute OSZE. 1977 kehrte er nach Rumänien zurück, diesmal als Botschafter, und blieb dort bis 1984. 1988 wurde er Botschafter in Jugoslawien, wo er seine letzten beiden Dienstjahre verbrachte. Die Auflösung der DDR im Jahre 1990 fiel mit seiner Pensionierung zusammen. Von 1993 bis 2007 war Siegfried Bock Präsident des Verbands für Internationale Politik und Völkerrecht, dessen rege Veröffentlichungsarbeit unter anderem eine Untersuchung und Darstellung der Außenpolitik der DDR zum Ziel hat. Das folgende Gespräch mit dem Botschafter Siegfried Bock fand an einem Vormittag im Sommer 2010 in seiner Berliner Wohnung statt.

    Herr Bock, was dachte man über die Italiener vor dem 8. September? Es scheint ja, als ob schon während des Afrika-Feldzugs wenig schmeichelhafte Ausdrücke über sie kursierten …

    „Ganz richtig. Schon während des Afrikakrieges fing es an, dass die Deutschen von den Italienern keine besonders gute Meinung hatten."

    Wurde Ihrer Ansicht nach dieser schlechte Ruf durch die Medien gefördert oder entstammte er den Auffassungen und Urteilen der Bevölkerung?

    „Alles beides. Die Presse hatte sicherlich ihren Teil dazu beigetragen, indem sie über dieses Thema schrieb und die öffentliche Meinung beeinflusste; die Propaganda hatte eine große Rolle gespielt. Die Folge war, dass die breite Masse der Bevölkerung tatsächlich von Italien nicht allzu viel gehalten hat. Schon 1942 gab es hier die Diskussion um den Einsatz der italienischen Soldaten an der Ostfront: Und schon da wurde die Linie vertreten, die Italiener hätten die Front aufgemacht, so dass die Russen also reinstoßen konnten. Italien und seine Soldaten galten kurz gesagt in der öffentlichen deutschen Meinung als unzuverlässig."

    War das auch der vorherrschende Tenor in der deutschen Presse?

    „Sicherlich hing der schlechte Ruf der Italiener, wie ich schon sagte, auch mit der Tagespresse zusammen, und das blieb meiner Meinung nach ab ’43 im wesentlichen auch weiter so."

    Spielten Ihrer Meinung nach auch die Erinnerungen an die Ereignisse 1915 eine Rolle?

    „In jenen Jahren war der Erste Weltkrieg noch sehr präsent, auch wenn er schon einige Zeit zurücklag. Deshalb spielte auch dieser Faktor bei der Zuschreibung der Unzuverlässigkeit keine geringe Rolle. Und damals hatte es ja auch schon Probleme mit den Italienern gegeben. Verstehen Sie mich richtig: Ich habe diesen Standpunkt niemals geteilt; ich erzähle nur, wie das Denken damals war. Und ich glaube, dass sich in den Jahren zwischen 1915 und 1943, und wenn Sie so wollen bis 1945, ein Italienbild geformt hat, das auch heute noch in den Köpfen spukt. Viele Deutsche, vor allem die älteren, haben immer noch ein bisschen Vorbehalte gegenüber Ihrem Land."

    Heute noch?

    „Ja. Warum, haben Sie einen anderen Eindruck bekommen?"

    Nein, ich sehe das auch so. Und auf was beziehen sich heute diese Vorbehalte genau?

    „Zuallererst, nicht besonders zuverlässig zu sein, leichtlebig; nicht alles so genau zu nehmen; ein ‚mediterraner‘ Lebensstil eben."

    Und wie hat sich Ihrer Ansicht nach das Italienbild in Deutschland zwischen 1915 und 1945 gewandelt?

    „In den dreißiger Jahren war das Verhältnis zwischen Italien und Deutschland gut und wurde nach und nach immer enger. Sicher, 1934 gab es wegen Österreich Spannungen zwischen beiden Ländern, aber die Affäre wurde rasch entschärft. Die Deutschen glaubten, dass die politischen Entwicklungen Italiens der zwanziger Jahre Hitler beeinflusst hatten und dass er sich daran orientierte. Auch heute glaube ich, wie übrigens viele, dass der Nationalsozialismus seine Entstehung zu einem guten Teil dem italienischen Experiment verdankte. Der Faschismus und seine führenden Vertreter – Mussolini, Ciano, Balbo – hatten auf die Deutschen Eindruck gemacht; auch mir selbst als kleinem Jungen damals, erschien die Achse Rom-Berlin als eine politische Bewegung, mit deren Hilfe beide Länder wieder stark werden konnten. Italiener und Deutsche kämpften dann zwischen 1936 und 1939 gemeinsam in Spanien, aber man sah damals – meiner Meinung nach – dieses Ereignis mit anderen Augen als im Nachhinein: Ich will damit sagen, dass man heute dazu neigt, Spanien als den ersten Versuch eines wirkungsvollen Bündnisses zwischen Nationalsozialisten und Faschisten zu betrachten. Stattdessen ging es meiner Ansicht nach darum, dass Deutschland und Italien aus ähnlichen Motiven ein Versuchsfeld für weitere und zukünftige Unternehmungen benötigten. Diese ganze Frage der Unzuverlässigkeit und des Verrats ist dann erst im Laufe des Zweiten Weltkrieges entstanden. Sicherlich gab es einige, die das Verhalten der Italiener in Abessinien verurteilt haben, doch das waren einzelne Stimmen, die weder von der Bevölkerung aufgegriffen wurden, noch irgendwelchen Einfluss hatten. Im Gegenteil, jener Kriegseinsatz – im Übrigen siegreich – wurde allgemein als Beitrag zur Zivilisierung und als Fortschritt verstanden. Die Stimmung kippte jedoch im Verlauf des Krieges 1939 45: Vor allem die Art und Weise, wie der deutschen Öffentlichkeit das Handeln der italienischen Truppen an der Ostfront vermittelt wurde, trug doch wesentlich zum negativen Ansehen der Italiener und zu der Überzeugung bei, dass man mit ihnen keine Kriege gewinnen könne."

    Fand dieser Meinungsumschwung vor oder nach Stalingrad statt?

    „In der Masse der Bevölkerung ist diese Ansicht nach Stalingrad zu einem Allgemeinplatz geworden, als allen die Tragweite der deutschen Niederlage klar geworden ist. Natürlich hat auch der Versuch des Regimes, die Schuld für das Geschehen Anderen in die Schuhe zu schieben, keine kleine Rolle gespielt: sowohl den Italienern als auch den Rumänen wurde vorgeworfen, dass sie gar nicht richtig hätten kämpfen wollen. Es war wahrscheinlich ein schleichender Prozess der Abkehr von Italien, der zwischen ’39 und ’43 stattgefunden hat."

    Könnte man sagen, dass sich eine erste Distanzierung im September 1939 ereignete, das heißt also beim Ausbruch des Krieges und dem Ausbleiben der italienischen Beteiligung?

    „Wahrscheinlich ja, auch wenn in der allgemeinen Begeisterung angesichts der ersten großen Erfolge Deutschlands dieses fehlende Eingreifen im Hintergrund blieb und dem keine besondere Bedeutung beigemessen wurde. In dieser Situation dachten die Deutschen, dass sie das alleine schaffen; die Frage von Verbündeten spielte da keine große Rolle. Im Übrigen haben die Deutschen zwischen ’39 und ’40 tatsächlich den Krieg alleine geführt. Als aber der Konflikt immer mehr zu einem Abnutzungskrieg wurde, waren sie gezwungen, sich immer mehr auf die Verbündeten zu stützen; eine Notwendigkeit, die im Verlaufe des Krieges immer dringlicher wurde."

    Es gibt die These, dass der entscheidende Moment in dieser Phase die Schlacht von Dünkirchen gewesen sein soll.

    „Ich halte Dünkirchen nicht für so entscheidend. Im Übrigen wäre es nicht so leicht gewesen, dreihunderttausend Soldaten mit Kriegsausrüstung ins Meer zu jagen. Ich glaube, dass das Hitlerregime damals die feindlichen Truppen bestimmt aufgerieben hätte, wenn es ihm möglich gewesen wäre. Es wird heute gerne so begründet, dass man Großbritannien Luft lassen wollte, dass man es nicht erniedrigen wollte, aber da habe ich meine Zweifel: Ich denke hingegen, dass die Deutschen den Engländern so sehr schaden wollten wie nur möglich, und dass sie es nicht gemacht haben, weil es einfach nicht möglich war."

    Also halten Sie den Ausgang von Dünkirchen für eine militärische und nicht für eine politische Entscheidung?

    „Bestimmt war auch von entscheidender Bedeutung, dass für Hitler die Ostfront viel wichtiger war, auch wenn sie erst noch eröffnet werden musste; und sicherlich hatte er auch an die Möglichkeit gedacht, sich mit den Westmächten noch zu verständigen, um vielleicht noch ein Bündnis gegen Russland in der Hand zu haben. Aber ich zweifle doch sehr, dass Hitler auf dreihunderttausend Gefangene verzichtet hat, um eine gute Tat zu tun."

    Erinnern Sie sich daran, welche Reaktionen es in Deutschland am 25. Juli 1943 gab, als Mussolini abgesetzt wurde?

    „Also, soweit ich mich erinnere, löste die Befreiung Mussolinis, das Werk von Otto Skorzeny, ein größeres Echo aus als sein Sturz. Nicht wenige Deutsche glaubten, von nun an würde Italien wieder ein stabilerer und entschiedenerer Verbündeter sein: ein Ergebnis der Propaganda natürlich und ein großer Erfolg! Aber zu dieser Zeit lagen unsere eigentlichen Probleme wo ganz anders: die Situation an der Ostfront, die andauernde Bombardierung der deutschen Städte… Dass die Front im Süden hingegen – Griechenland, Italien – nicht entscheidend sein würde, wussten wir von Anfang an."

    Sie sind 1944 eingezogen worden, als Italien bereits zweigeteilt war und im Norden die Republik von Salò bestand. Welche Vorstellung hatte man – Sie und Ihre Kameraden – von dieser „Italienischen Sozialrepublik"? Und hat man etwas über den Partisanenkampf gehört?

    „Wir waren Soldaten an der Ostfront und hatten – mal abgesehen davon, dass wir praktisch über keine Informationsquellen verfügten – schon genug mit russischen oder polnischen Partisanen zu tun, um uns auch noch für die italienischen zu interessieren. Ein Freund aber, ein Kamerad, der bereits vor 20 Jahren gestorben ist und der in Italien gekämpft hatte, erzählte mir von einigen Vorkommnissen. Nur diejenigen Soldaten, die tatsächlich dabei waren, wussten etwas über die Kämpfe gegen die Partisanen und kannten den Ablauf bestimmter Aktionen. In Deutschland sprach man nach dem Krieg über solche Dinge nicht, vor allem als Vorsichtsmaßnahme und aus Selbstschutz."

    Wo wurde darüber nicht gesprochen? In der DDR oder in ganz Deutschland?

    „In ganz Deutschland vermied man es, darüber zu sprechen; in der DDR wäre es vielleicht sogar noch gefährlicher gewesen. In Westdeutschland wurden diese Dinge aus der Zeit des Krieges meistens als Kavaliersdelikte betrachtet, für die man nicht vor ein Gericht gestellt worden wäre."

    Gab es Unterschiede zwischen Ost und West in Bezug auf die Haltung zur Rolle Italiens im Krieg?

    „Aber natürlich: In der DDR zum Beispiel bekam der Begriff des ‚Verrats‘ einen ganz anderen Aspekt, weil der Waffenstillstand von Badoglio 1943 vielmehr als Bruch mit Hitler als mit Deutschland verstanden und deshalb positiv gesehen wurde. Was im Osten insgesamt als Erkenntnisprozess und als mutige Rückkehr zur Vernunft galt, wurde im Westen völlig anders, ja entgegengesetzt beurteilt."

    Diese Frage des ‚italienischen Verrats‘ war im Nachkriegsdeutschland aber doch eine verbreitete Auffassung innerhalb der Bevölkerung und niemals offizielle Position des Staates.

    „Na gut, aber wenn Sie sagen: des Volkes Stimme, so ist das nicht ohne Zutun der politischen Führung gewesen. Die ganze Problematik des Faschismus und des Krieges wurden im Osten völlig anders behandelt als im Westen. In der DDR dachten wir alle, wenn auch ohne rechten Grund, wir wären Teil der Anti-Hitler-Koalition und wir waren nicht bereit, irgendeine Verantwortung für das zu übernehmen, was durch den deutschen Faschismus in der Welt geschehen war. In der Bundesrepublik hingegen bekannte man, dass unser Land schuldig war, fügte aber hinzu, dass auch die anderen Länder eine Mitverantwortung trügen. Man hatte daher auch verschiedene Vorstellungen davon, was in Italien passiert war. Selbstverständlich hat sich dann einiges geändert im Laufe der Zeit; im Westen z.B. wandelte sich nach dem Kriege das Italienbild ganz und gar zu dem eines Traumlandes, wo die Leute zu leben verstehen und wo man gerne Urlaub macht. Ein Reiseziel eben. Die älteren Generationen, die den Zweiten Weltkrieg mitgemacht hatten, und vielleicht auch den Ersten, spielten dabei nicht mehr die entscheidende Rolle."

    War denn die italienische Frage ein Thema in der DDR?

    „Ja natürlich. Als man zu erklären versuchte, was genau das Ende des Faschismus herbeigeführt hatte, hob man unter anderem die Tatsache hervor, dass Italien an einem bestimmten Punkt das faschistische Bündnis verlassen hatte. Ein Ereignis, das mit Sicherheit den Kriegsverlauf beeinflusst hatte, und das uns als solches immer bewusst war. Im Westen sah man das, wie ich schon sagte, etwas anders."

    Nach dem 8. September 1943 also war die überwiegende Mehrheit der Deutschen der Meinung, dass die Italiener einen Verrat begangen hätten. Gab es nur diese eine Lesart der Ereignisse?

    „Der größte Teil der Deutschen hielt das Verhalten des ehemaligen Verbündeten sicherlich für Verrat, aber natürlich gab es Andere, die dachten, dass Italien einen guten Weg gefunden habe, sich rechtzeitig aus dem Krieg herauszuziehen, und es gab auch den ein oder anderen, der sich emotional mit den Partisanen verbunden fühlte. Aber das waren Gedanken, die versteckt blieben, weil sie damals natürlich öffentlich nicht geäußert werden duften."

    1915–1943: Phasen eines Prozesses

    In einem Zeitraum von fast dreißig Jahren, von 1915 bis 1943, wechselte das Verhältnis zwischen Italien und Deutschland gleich zweimal die Vorzeichen, um sich dann am Ende in einem ähnlichen Zustand wie am Anfang wiederzufinden. Die Italiener, die „Verräter" von 1915, wurden mit dem 8. September 1943 für einen Großteil der Deutschen nun endgültig zu solchen. Gleichzeitig erschien von diesem Moment an, und zwar für fast zwei Jahre, der deutsche Soldat wieder als Erbfeind, der jetzt auf italienischem Boden die Gewalt – auch bestialische Gewalt – ausübte, für die er schon bekannt war.

    Bevor Italien und Deutschland jedoch die Waffen aufeinander richteten, war – woran Siegfried Bock erinnerte – zwischen beiden Ländern in einem längeren Prozess eine Nähe entstanden, wie es sie in ihrer gemeinsamen Geschichte bis dahin noch nicht gegeben hatte. Wenn wir versuchen, eine deutsche Sicht der Ereignisse um den 8. September 1943 zu rekonstruieren, so müssen wir im Blick behalten, wie sich in Deutschland das Bild von Italien und den Italienern im Laufe jener Jahren und bis zu diesem Zeitpunkt gewandelt hatte.

    Aus diesem Grund sind die folgenden Kapitel dieses ersten Teils chronologisch gegliedert und der Zeitraum von dreißig Jahren in einzelne Perioden unterteilt. Da es sich um sehr bekannte Ereignisse handelt, über die es bereits eine reiche Literatur gibt, ist die Darstellung dieser Geschichte hier bewusst knapp gehalten und soll hauptsächlich helfen, die Berichte und Kommentare der deutschen Zeitzeugen für diesen fraglichen Zeitraum einzuordnen.

    1919–1933: „Italia docet"

    Für eine erste Annäherung an diese Periode, von der Gründung der Weimarer Republik 1919 bis zu Hitlers Machtergreifung 1933, in die auch der erfolgreiche Marsch auf Rom im Oktober 1922 fällt, kann man Wolfgang Schieder zu Wort kommen lassen. Aus dessen Arbeit Faschistische Diktaturen. Studien zu Italien und Deutschland sollen hier zwei Passagen zitiert werden. Schieder

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