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Nox Arcanum: Essays zur Philosophie und Praxis der Selbstvergöttlichung
Nox Arcanum: Essays zur Philosophie und Praxis der Selbstvergöttlichung
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eBook396 Seiten4 Stunden

Nox Arcanum: Essays zur Philosophie und Praxis der Selbstvergöttlichung

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Über dieses E-Book

Der linkshändige Pfad, der „Pfad der Selbstvergöttlichung“, hat eine ältere Tradition als sein Gegenstück,entstammt er noch der frühesten Phase der menschlichen Evolution. Die ophidischen Traditionen vonAfrika, die drakonische Kulte des Alten Ägypten und die tantrischen Systeme aus Indien gelten als dieUrsprünge dieses Pfades. In diesem Buch kommen moderne Vertreter des linkshändigen Pfades zu Wort. Neben theoretischen Abhandlungen finden praxisbezogene Übungen wie Rituale Platz in diesem Sammelband illustrer Gestalten,dass nicht selten voller Humor ist. Aus dem Inhalt (Änderungen vorbehalten):Vama Marg - Der Pfad der Linken Hand von Thomas LückewerthEin Herz für Tantra von Jan FriesYezidi von Frater EremorEtz Chajim und Ha-ilan ha-izon: Der Baum des Lebens und der Baum des Todes - Eine kurzeEinführung in die kabbalistische Lehre von den Sephiroth und Qliphoth von Christiane & HolgerKliemannelSufismus - Ein Zugang zum Linken Pfad? von Frater LaShTal-NHSHDer drakonische Pfad - Eine Einführung von Asenath MasonSalja Heljar - Auf dem Weg zur Hel von Daemon SutekSutuach von Frater EremorBöses um böses zu bekämpfen - Eine kurze Untersuchung des assyrischen Dämons Pazuzu vonHolger KliemannelBaphomet! - Auf den Spuren einesMysteriums von Deyemon & Frater Lux TenebrarumSamael von Asenath Mason
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum26. Aug. 2013
ISBN9783944180304
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    Buchvorschau

    Nox Arcanum - Asenath Mason

    Erbarmt Euch, Königin, würde ich es mir jemals erlauben,

    einer Dame Wodka einzugießen? Nein, das ist reiner Sprit!

    – Michail Bulgakow, Der Meister und Magarita

    Copyright © 2013 by Edition Roter Drache für die Gesamtausgabe.

    Copyright © der einzelnen Beiträge verbleiben beim jeweiligen Autor.

    Edition Roter Drache, Holger Kliemannel, PF 10 01 47, 07391 Rudolstadt

    edition@roterdrache.org; www.roterdrache.org

    Buch & Umschlaggestaltung: Edition Roter Drache.

    Titelbild: Asenath Mason.

    Übersetzung der Beiträge von Asenath Mason aus dem Englischen: Wolf Kaminski.

    Lektorat: Julia Peupelmann.

    Die Stiche zu jedem Kapitel stammen von Gustav Doré.

    Gesamtherstellung: Wonka Druck.

    1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2013

    Alle Rechte der Verbreitung in deutscher Sprache und der Übersetzung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Ton- und Datenträger jeder Art und auszugsweisen Nachdrucks sind vorbehalten.

    ISBN 9783944180304

    Inhaltsverzeichnis

    Cover

    Zitat

    Titel

    Impressum

    Vorwort

    Vama Marg – Der Pfad der Linken Hand

    THOMAS LÜCKEWERTH

    Erste Schritte zur Befreiung von der „Urschuld" und deren Kompensationsstrategien

    FRATER SDDB

    Der Zorn Gottes – Vom Nutzen der Gottesfurcht für Luziferianer

    FRATER PSYCHOPOMP

    Die Goetische Magie – Eine kleine Einführung

    ASENATH MASON

    Etz Chajim und Ha-ilan ha-hizon: Der Lebensbaum und der Baum des Todes

    CHRISTIANE & HOLGER KLIEMANNEL

    Der Pfad des Drachen

    ASENATH MASON

    Ich bin Dynamit! – Von Philosophen, Runen und Vitamintabletten

    FRATER PANDAGAZ247

    Sutuach

    FRATER EREMOR

    Baphomet! – Auf den Spuren eines Mysteriums

    DEYEMON & FRATER LUX ENEBRARUM

    Dionysos

    STEFAN PAPP

    Böses um böses zu bekämpfen – Eine kurze Darstellung des assyrischen „Dämons" Pazuzu

    HOLGER KLIEMANNEL

    Salja Heljar – Auf dem Weg zur Hel

    DAEMON SUTEK

    Die elf qliphotischen Kräfte Tiamats

    ASENATH MASON

    Sathanahata – Eine ägyptische Crossover Mantra-Meditation

    FRATER EREMOR

    Sufismus – Ein Zugang zum Pfad zur Linken?

    FRATER LASH TAL-NHSH

    Die Autoren

    Anmerkungen

    Vorwort

    E

    inen Sammelband herauszugeben, egal zu welchem Thema, ist nie einfach. So manches einst geplante Buch ist an der Umsetzung gescheitert – umso erfreulicher, dass es mit diesem funktioniert hat und ihr nun endlich das lang angekündigte Nox Arcanum in den Händen halten könnt.

    Den Hauptteil der Aufsätze kennt der eine oder andere Leser bereits aus der früheren Ausgabe Die Dunkelheit enthüllen, ursprünglich war Nox Arcanum hier als deren unveränderte Nachauflage geplant. Einige Beiträge wurden bewusst aussortiert, andere haben die Autoren nicht für einen Nachdruck frei gegeben, und so kristallisierte sich bei der Suche nach Ersatz für diese langsam ein neues Konzept heraus. Die Chaosmagie passte, so flexibel sie auch ist, nicht in dieses neue Schema hinein. Daher soll ihr eine eigene Essaysammlung gewidmet werden, vorausgesetzt es finden sich hierzu ausreichend Autoren.

    Was erwartet den Leser also in diesem neuen alten Buch?

    Eröffnet wird es von Thomas Lückwerth mit seinem interessanten Beitrag Vama Marg. In diesem erläutert er, was unter dem linkshändigen Pfad zu verstehen ist und inwiefern er sich vom rechtshändigen unterscheidet. Ein Thema, über welches sich noch mehr schreiben und auch streiten ließe, als es der Platz in diesem Buch zulässt.

    Frater SDDB führt uns auf die Ersten Schritte zur Befreiung von der Urschuld und deren Kompensationsstrategien. Denn erst wenn ein Magier sich von seiner Unschuld in jeglicher Form befreit hat, steht ihm der Weg zur Selbstvergöttlichung wirklich frei. Der im Beitrag beschriebene Ritus enthält dabei psychologisch-spirituelle Ideen, die der Quantenpsychologie nach Stephen Wolinsky entstammen.

    Anschließend erzählt uns der Chaosmagier Frater Psychopomp‘ in Der Zorn Gottes: Vom Nutzen der Gottesfurcht für die Luziferianer und umreißt, was die eigene Göttlichkeit, deren Vorhandensein gern schnell und mühelos behauptet wird, eigentlich bedeutet und welche Konsequenzen sie hat. In seinem Beitrag geht es um die Entwicklung des eigenen Fanatismus und die Frage, wieso dieser für den Luziferianer nützlich ist und wie man hierdurch seine eigene Göttlichkeit näher kennen lernt. Also lest und genießt!

    Seit der frühen Antike ist die Evokation von Dämonen und den Geistern Verstorbener überliefert. Hierzu sind die Grimoires, allen voran die Goetia, wichtige magische Zeugnisse. Über die Geschichte und die Bedeutung dieses außergewöhnlichen Grimoires berichtet Asenath Mason uns in ihrem ersten Beitrag Die Goetische Magie.

    Christiane & Holger Kliemannel wissen uns von den Etz Chajim und Hailan ha-hizon, Der Lebensbaum und der Baum des Todes der jüdischen Mystik, zu erzählen. Neben einer kurzen Einführung in die Sephiroth enthält ihr Beitrag eine Darstellung der 11 qliphotischen Ebenen sowie eine Reise zur Qlipha Thagirion mittels des Sorath-Symbols nach Rudolf Steiner.

    Im Anschluss stellt uns Asenath Mason in Der Pfad des Drachen die drakonische Tradition als Initiationssystem in den Linken Pfad vor. Mythen über Schlangen und Drachen lassen sich auf der ganzen Welt fest machen und repräsentieren dabei die Urformen Chaos und Finsternis. Aus diesem Grund kann man auf dem drakonischen Pfad mit allen kulturellen Glaubenssystemen und Religionen arbeiten.

    Nach diesem Beitrag geht es gleich mit praxisbezogener Arbeit von Frater Pandagaz247 mit dem schönen Titel Ich bin Dynamit! – frei nach dem gleichnamigen Ausspruch des Philosophen Friedrich Nietzsche – weiter. Sie zeigt uns, dass man mit Vitamintabletten einer Selbstvergöttlichung näher kommen kann als so manch einer glaubt.

    Der darauf folgende Block besteht aus Darstellungen zu einigen Gottheiten. Den Reigen eröffnet Frater Eremor; er widmet sich in seinem Beitrag ganz dem ägyptischen Gott Seth mit seinem ursprünglichen Namen Sutuach. Dabei zeigt er den Wandel auf, welchen der Gott im Laufe der Jahrhunderte in Ägypten erfuhr, vom Verteidiger des Sonnengottes Ra gegen die Unterweltschlange Apep bis hin zum Bösewicht Nummer eins des ägyptischen Pantheon.

    Deyemon & Frater Lux Tenebraum wandeln auf den Spuren von Baphomet!, von seinen ersten Erwähnungen in den Verhörprotokollen der Templer über jene bei Crowley und LaVey bis hin zum Ordo Baphomae. Dabei kommen die beiden Autoren zu dem interessanten Schluss, dass es keine Schlussfolgerungen gibt.

    Stefan Papp bringt uns Dionysos näher und wirft die Frage auf, ob der Gott des Rausches den Adepten des Linken Pfades nützlich sein kann, oder ob man auf dem Weg zur Selbstvergöttlichung dem Alkohol entsagen sollte. Dagegen spricht laut des Verfassers, dass der Gott des Rausches auch den Wahnsinn nährt und dadurch im trunkenen zustand Facetten hervorholt, welche nüchtern eher unterdrückt werden.

    Holger Kliemannel legt in seinem Beitrag dar, dass der assyrische ‚Dämon’ Pazuzu benutzt wurde, um Böses mit Bösem zu bekämpfen. Pazuzu spielt im Film Der Exorzist eine wichtige Rolle und erlebt seitdem eine Renaissance. Ob die Beschreibungen im fiktiven Necronomicon zutreffend sind, und was es mit Pazuzu und Heilung auf sich hat, das erfahrt ihr in diesem Beitrag.

    Daemon Sutek erfreut den Leser mit einer Reise in die Unterwelt des germanischen Pantheons namens Salja Heljar - das Reich der Hel, eines der Kinder Lokis. In dieser Meditation opfert sich der Praktizierende selbst, wird symbolisch zerstört und wiedergeboren – um anschließend aus dem Totenreich mit Wissen, neuen Eigenschaften oder magischen Fähigkeiten zurück zu kehren.

    Asenath Mason beschließt diesen Block mit den Elf qliphotischen Kräften Tiamats. Sie stellt uns die babylonische Göttin und ihre elf Ungeheuern vor, wie sie im Epos Enuma Elish beschrieben werden, und deren Bezug zu den Qliphoth.

    Nach diesen Dämonen- und Götterdarstellungen folgt die ägyptische Crossover Mantra-Meditation Sathanahata von Frater Eremor. Diese Meditation basiert auf einer Passage aus dem Buch des Nichtsterbens und dient der Annahme verschiedener Gottformen.

    Den Abschluss des Sammelbands und zugleich den längsten Beitrag bildet der Aufsatz von Frater LaSh Tal NSH, in welchem er die Frage stellt, ob der Sufismus einen Weg zum Linken Pfad bereitstellt. Diese Frage scheint auf den ersten Blick unberechtigt zu sein, aber gerade das Aufwerfen solcher provokativen Theorien ist ein Bestandteil des Linken Pfades. Damit es nicht nur eine theoretische Abhandlung bleibt, hat der Autor kleine Übungen mit einfließen lassen.

    Damit wäre die Darstellung der einzelnen Arbeiten auch schon geschafft und viel bleibt nicht mehr zu sagen. Ich wünsche allen Lesern viel Freude beim Lesen, den Praktikern kraftvolle Erfahrungen und den Autoren danke ich für die Teilung ihres Wissens. Nox Arcanum ist alles in allem eine farbenprächtige Darstellung des dunklen Pfads.

    Holger Kliemannel am chinesischen Neujahr, Jahr der Schlange

    Die Straße der Ausschweifung führt zum Palast der Weisheit.

    – William Blake, Sprichwörter der Hölle

    Vama Marg

    Der Pfad der Linken Hand

    THOMAS LÜCKEWERTH

    S

    pirituelle Konzeptionen lassen sich seit jeher in zwei Grundtypen klassifizieren: Den passiven Glauben und den aktiven Glauben. Die in Westeuropa vorherrschende Glaubensstruktur (das Christentum) ist dem passiven Aspekt zuzuordnen, daher liegt es auf der Hand, dass sie ihren aktiven Gegensatz zu verneinen bzw. zu bekämpfen versucht. Die naheliegendste Dämonisierung der religiösen Konkurrenz wurzelt in der Entfesselung der menschlichen Urängste; eine Methodik, die seit Anbeginn der Zeit von religiösen wie politischen Strömungen höchst erfolgreich angewandt wird: Der spirituelle Gegner ist immer die Verkörperung des Bösen; das Ruchlose, er vergiftet Brunnen und schlachtet Kinder, er trifft sich an geheimen Orten und vollzieht grausame Riten, sein Handeln zielt immer auf den Umsturz der herrschenden Ordnung ab. Doch tatsächlich wächst inmitten der Ordnung und Rechtschaffenheit eine philosophische und spirituelle Blüte heran, die nur von wenigen verstanden und praktiziert wird. Diese kleine Blüte entfesselt jedoch eine Dynamik, die es problemlos mit der gigantisch wirkenden Kraft der Ordnung aufnehmen kann. Tatsächlich scheint sie sogar reifer zu sein, denn sie benötigt nur sich selbst. Sie blüht aus sich selbst heraus und schlägt sich in jeder Umgebung durch, gleichgültig wie feindlich die Umwelt es mit ihr meint. Diese Blüte nennen wir den Pfad der Linken Hand.

    Um den Begriff des Linkshändigen Pfades zu klären, müssen wir das Terrain des Christentums verlassen und uns mit einem weitaus komplexeren religiösen Konzept befassen: Dem Hinduismus. Der traditionelle Hinduismus predigt die Askese und die Abstinenz als Pfad zur Weisheit und gibt eine Vielzahl von Regeln und Anleitungen zur Reinigung und Selbstkasteiung vor. Dies ist der Pfad der Rechten Hand; der Weg der Ordnung. Der Anhänger des Rechten Pfades verneint und verteufelt die Erde und das irdische Dasein; er sehnt sich nach der Auslöschung seines Egos, will dieses mit der großen Leere vereinen, um das Leid, welches jegliches menschliches Dasein verkörpert, zu beenden. Der Anhänger des Linken Pfades bindet sich an die Erde und zelebriert sein fleischliches Dasein. Je nach Paradigma glaubt er an eine irdische Existenz, aus der es alles herauszuholen und auszuschöpfen gilt, oder an die Wiedergeburt, bei der er sich für immer an die Erde bindet. Das Fleisch, dem sich der Asket zu entziehen versucht, ist das Herz und das Ziel des Anhängers des Linken Pfades. Der Rausch der Ekstase wird der Stille der Meditation vorgezogen. Anhängern des Rechten Pfades ist beispielsweise der Genuss von Fleisch, Fisch und Alkohol verboten, während sie im Linken Pfad fester Bestandteil des Kultes sind.

    In Zeiten, in denen heute selbstverständliche Zivilisationsgüter undenkbar waren, wischte man sich nach der Ausscheidung von Kot das Gesäß mit der linken Hand ab, um das Essen, welches mit der rechten Hand eingenommen wurde, rein und sauber zu halten. In dieser simplen und leicht unappetitlichen Tatsache liegt die Wurzel des Begriffes des „Pfades von der Linken Hand". Das Linke gilt als Unrein. Als böse und teuflisch wird es verfemt; sprachlich hat sich über die Jahrhunderte hin ein Dualismus etabliert, der im Deutschen besonders stark zum Ausdruck kommt. Doch auch im Englischen schlägt sich diese Negativbehaftung unter anderem in dem Begriff „sinister" nieder, der so viel wie „finster/​düster" bedeutet und vom Lateinischen „sinistra" abstammt, was nichts anderes als „links bedeutet. Noch in den achtziger Jahren unseres Jahrhunderts war es üblich, linkshändigen Kindern gewaltsam den Gebrauch der rechten Hand anzutrainieren. Diese völlig sinnlose und dumme Maßnahme ist symbolisch und prägnant für die unbewusste Angst vor dem „Linken; vor dem, was anders ist und sich abseits der gesellschaftlich akzeptierten Norm bewegt.

    Die rechte Seite wird traditionell mit dem Guten assoziiert, sie steht für Ordnung, für das uns Vertraute und Bekannte, das Licht und die Vernunft, für Sicherheit und Ratio. Sie repräsentiert den Weg, den unzählige vor uns bereits beschritten haben und von dem allgemein angenommen wird, dass es „natürlich„ ist, ihn zu betreten.

    Die linke Seite hingegen steht für das (vermeintlich) Böse, für das Chaos, für alles Unbekannte, die Dunkelheit, den Instinkt und die Gefahr. Es ist jener Weg, vor dem wir immer gewarnt werden, da er durch unbekanntes und gefährliches Terrain führt.

    Der Vama Marg entzieht sich jedoch einer moralischen und ethischen Diskussion im allgemeinen; er kann nicht im Vorfeld als „böse oder „verwerflich abgestempelt werden, denn zunächst ist er nicht mehr als ein Bekenntnis zum fleischlichen und irdischen Dasein. Zu Verirrungen, die wir aus unserer Perspektive als ethisch für nicht vertretbar erachten, kann es auf jedem Pfad kommen. Der schlechte Ruf des Vama Marg wurzelt in seiner Verweigerungshaltung vor göttlichen Autoritäten und deren Stellvertretern; er ist in dem Sinne durchaus anarchisch und im wahrsten Sinne des Wortes individualistisch. Für einen Anhänger göttlicher Ordnung stellt sich eine derartige Ignoranz gegenüber der Schöpfung und der Allmacht Gottes als verwerflichste Blasphemie dar; damals ebenso wie heute. Die organisierte Religion bietet den Gläubigen Mittler und Wegweiser auf ihrer spirituellen Suche an, der direkte Kontakt zum Göttlichen wird jedoch unterbunden. Ein direkter Kontakt würde die bestehende Ordnung zerbersten und die Macht der organisierten Religion sprengen. Der Anhänger des Linken Pfades sucht diesen Kontakt. Er fristet daher auch in den meisten Kulturkreisen ein Leben als Eremit; er mag im vereinzelten Austausch mit anderen stehen, lebt seine Religiosität jedoch primär für sich.

    Vama bedeutet zudem soviel wie „Frau„; weitere Assoziationen sind der Mond und, wie sollte es anders sein, die Erde. Die Energien des Vama Marg sind chthonischer Natur; daher wird die Erde des Vama Marg auch nicht von der Sonne, sondern vielmehr vom Licht des Mondes befruchtet. Übersetzen wir Vama Marg mit „Weg der Frau„, so steht dies für eine archaische Vereinigung des Individuums mit der (Erd)Göttin. Diese Vereinigung besitzt einen gleichermaßen symbolischen, rituellen und spirituellen Charakter. Die Symbolebene wurde bereits eingangs erklärt, das Ritualelement wird unter anderem durch die sexuellen tantrischen Elemente verkörpert, während die spirituelle Komponente wiederum den Schwur und das Bekenntnis zur Erde bedeutet (also die Vereinigung mit der Erdgöttin).

    Der Linkshändige Pfad vollzieht sich zumeist abseits der gesellschaftlich-religiösen Ordnung; er entwickelt sich quasi entgegengesetzt zur populären spirituellen Strömung. Die Inhalte des Vama Marg sind daher nicht zwingend traditioneller Natur, sondern vielmehr wird mit der gesellschaftlichen Akzeptanz einer Strömung der Nährboden für ihren linkshändigen Schatten vorbereitet. Die Saat des linkshändigen Pfades keimt auf in jeder religiösen Strömung, denn die Existenz des einen ist die Voraussetzung für die Geburt des anderen. Während die Primärströmung zur Massenkompatibilität eine grundlegende Schlichtheit besitzen muss, um von der Masse anerkannt zu werden, so reifen die Sekundärströmungen zumeist in kleinen Gruppierungen und Bewegungen. Die Struktur der Sekundärströmung ist zumeist vielschichtiger und fordert den Gläubigen sowohl auf der theoretischen als auch auf der praktischen Ebene. Die Primärströmung hält für den durchschnittlich spirituell aktiven Menschen eine Auswahl an Lebensweisheiten und Regeln bereit, während der anspruchsvollere Anhänger des rechtshändigen Pfades diese Regeln detailliert untermauert, dabei jedoch das bereits vorgegebene Dogma nicht unterlaufen kann. Tut er dies dennoch, so wird er sich dem Verdacht aussetzen, dem Linkshändigen Pfad zu folgen. Die Primärströmung kann sich nur dadurch am Leben erhalten, dass sie nicht angezweifelt und nicht zu komplex wird, da dies den Glauben der Masse, welcher die Voraussetzung für den Machterhalt ist, schwächen würde. Dies würde letztendlich zum Untergang der Strömung führen. Diese Gebundenheit an das Dogma ist eine tragikomische Facette des Glaubens, bedenken wir beispielsweise die Folgen der Inquisition. Selbst die abgrundtief lächerlichsten Anschuldigungen wurden über Jahrhunderte aufrechterhalten, da auch nur ein ansatzweise geäußertes Schuldeingeständnis den Machtverlust zur Folge gehabt hätte. Der Linkshändige Pfad hat mit derartigen Strukturen keine Probleme, da es diese schlichtweg nicht gibt. Der Rechtshändige Pfad ist an das Kollektiv gebunden, der Linkshändige Pfad an das Individuum selbst. Der Vama Marg kennt kein Rechtfertigen vor göttlichen Instanzen oder deren Stellvertretern auf Erden, da der Praktizierende diese Rollen selbst einnimmt. Dass in dieser Grenzenlosigkeit oder, wenn man so will, äußeren Gottlosigkeit, auch eine gewisse Gefahr für das Individuum und dessen Umfeld lauern kann, versteht sich von selbst. Doch letztendlich ist diese Gefahr geringer als bei der Primärströmung, da der Linkshändige Pfad die Moralinstanzen in sich selbst, und nicht bei externen Göttern oder Autoritäten sucht. Dass dieser Weg letztendlich ein höheres Maß an Verantwortung für sich und seine Umwelt hervorbringt, zeigt uns die Geschichte anhand zahlreicher Beispiele.

    Aspekte des Linkshändigen Pfades finden sich in zahlreichen religiösen und esoterischen Strömungen. Auch die bekannteste Spielart der Esoterik, die Kabbala, verfügt über eine Schattenseite. Sie stellt den Lebensbaum Otz Chiim, die zentrale Glyphe der kabbalistischen Lehre, auf den Kopf und tauft ihn Ha-Ilan Ha-Izon: Baum des Schattens. Anstelle der Sephiroth, welche den Weg der göttlichen Schöpfung vom grenzenlosen Licht hin zur materiellen Erde versinnbildlichen, treffen wir am Baum des Schattens auf die Qliphoth. Die Qliphoth stellen die Schattenseiten der Sephiroth dar und stehen für die lichten Aspekte in ihrem Zustand vor der Schöpfung. Sie sind sozusagen die pränatalen Sephiroth; die sich in einem kreativen Chaos befinden. Das Bewusstsein des linkshändigen Kabbalisten wird also in den Zustand vor der Schöpfung versetzt um letztendlich selbst als Schöpfer zu agieren. Während der traditionelle Kabbalist ehrfürchtig die Schöpfung zu verstehen und zu erforschen versucht, ernennt sich sein linkshändiger Gegenpart selbst zum Schöpfer. Die Welt der Qliphoth wurde in den siebziger Jahren intensiv durch Kenneth Grant erforscht und beschrieben, unterstützt wurde er dabei von seinem Medium Maggie Ingalls/​Soror Nema, die nicht zuletzt durch die Proklamation des Aeons der Maat bekannt sein dürfte. Grant ist bis heute die Primärquelle für Kabbalisten des linken Pfades; seine Forschungen wurden in den neunziger Jahren unter anderem durch den Schweden Thomas Karlsson fortgeführt, der sich ausführlich mit den Qliphoth und der linkshändigen Kabbala beschäftigt.

    In der ägyptischen Mythologie, die ein exzellentes Beispiel für eine feste und bis ins Detail durchdachte und strukturierte Hierarchie ist, begegnen wir dem Linkshändigen Pfad in der Gestalt des Gottes Seth, der permanent die göttliche Ordnung in Form seines Bruders Horus attackiert. Horus, der geflügelte Falkengott, wird natürlich mit dem Himmel assoziiert, während Seth für die chthonischen Kräfte der Erde steht. Erze im Erdboden nannten die alten Ägypter die „Knochen des Seth". Hier finden wir also erneut die Kräfte des Linken Pfades im Erdinneren, während jene des Rechten Pfades im Himmel weilen. Obwohl Seth sich gegen die bestehende göttliche Ordnung wendet, handelt er nicht gegen die Schöpfung, sondern tritt vielmehr als deren Bewahrer auf, denn einer der bekanntesten Mythen um Seth erzählt von seiner nächtlichen Fahrt auf der Sonnenbarke, bei der er die Meeresschlange Apep in Schach hält, welche die Schöpfung vernichten will. Ebenso gibt es Darstellungen der Sonnenbarke, bei der diese von Seth-Tieren, und nicht, wie üblich, von Schakalen gezogen wird.

    Ein Pyramidentext setzt die Kraft Seths gleich mit der Kraft der Pharaonen; ein Ausspruch, dessen überwältigende Bedeutung wir erst dann verstehen können, wenn wir uns ins Gedächtnis rufen, dass die Pharaonen als Götter betrachtet und behandelt wurden (dies ist also letztendlich nichts anderes als die Gottwerdung der Linkshändigen Kabbalisten). Anders als im Christentum waren sie keine Stellvertreter mit vermeintlich gutem Kontakt nach oben, sondern tatsächliche Emanationen göttlicher Macht.

    Im Namen des Set, roter Gott, schwarzer Gott.

    Wir preisen Dich, Set,

    Vielverkannter, Ofterkannter,

    Brecher der ehernen Tafeln,

    Brecher, Zerbrecher,

    Grenzerhöher, Grenzzerstörer,

    erschaffender Geist,

    sich erhebend aus totem Gebein und der Asche der Sterne.

    Du gelangst in unsere Welt aus den endlosen Wüsten,

    der Weite des Meeres,

    den Unendlichkeiten des Alls,

    umgürtet mit der Schlange Leviathan,

    Dein Kelch ist ein schwarzes Loch,

    verschlingend und gebärend am Firmament hinter dem Westtor,

    wo sich die Nebel des Chaos umwinden.

    Dein pulsierendes Herz ist reine, rote Glut,

    auf dem Amboss der Zeit geschmiedet in der Stadt der Pyramiden.

    Und das Feuer lodert auf und blitzt durch Deine Augen,

    die entflammen, was sie erblicken.

    Du bist fest verwurzelt in den Tiefen der Erde,

    in Ewigkeit verschlungen mit Deiner Mutter,

    die Deine Geliebte ist im Zentrum Deines Zeichens,

    dem Taukreuz.

    Und doch trägt der Nachtwind Dich fort in die fernen Reiche bis

    hinter die Sterne,

    hinein in unsere Träume,

    unser Sehnen, Wünschen und Lieben,

    unser Streben, Hassen und Zähnezeigen.

    Seth, ich bin wie Du, ein Werdender!

    Ich habe mich aufgerüstet zu voller Größe.

    Da ist ein Gott, wo ich bin.

    Alles Heil dieser Welt,

    wir bleiben Deiner Erde treu, Set!

    Wir leben im Wind, im Sturm.

    Wir leben auf der Erde und graben unsere Hände tief hinein.

    Wir sind das Feuer und unsere Stütze ist ein Stab,

    der die Schlange birgt. ¹

    (Frater Eremor)

    Diese Anrufung des Gottes Seth beinhaltet mit der Gottwerdung, dem Schwur an die Erde und der Symbolik der Schlange die drei prägnantesten Motive des Vama Marg. Ebenfalls in diesem Kontext muss das Sinnbild Kephras gesehen werden, dem Skarabäus, der sich aus sich selbst heraus erschuf. Kephra gilt als Erscheinungsform des Urgottes Atum und würde in späterer Zeit als ein Aspekt des Sonnengottes Re gedeutet. Kephra symbolisiert das sich selbst Erschaffen, das aus sich selbst heraus Werden. Kephra gebiert sich selbst, aus seinem eigenen Willen heraus formt er sich und erhebt sich am östlichen Firmament. Die diesem Sinnbild innewohnende Symbolik ist zutiefst mit dem Linkshändigen Pfad verbunden, ist Kephra doch keiner höheren Macht unterworfen, sondern wird selbst zum Schöpfer. Er befindet sich in einem permanenten Schöpfungsprozess, denn er „ist niemals, sondern er „wird beständig. Kephra ist vergleichbar mit dem ewig strömenden Tao und dem „Wyrd der nordischen Mythologie. Eine ständige und niemals abgeschlossene Schöpfung, die lediglich dem eigenen Willen folgt. Dieser Logik folgend zeigt die ägyptische Hieroglyphe für den Terminus „Entstehung eben jenen Käfer. Interessanterweise haben wir es hier aber mit einem gezähmten Aspekt des Linkshändigen Pfades zu tun, denn anders als Seth, der auch zu altägyptischer Zeit gefürchtet wurde, erfreute sich die Gestalt Kephras großer Beliebtheit, was sich nicht zuletzt an der bis heute anhaltenden Tradition der Verwendung Kephras als Glücksbringer in Gestalt des Skarabäus zeigt.

    Schwerer zu fassen ist der Linkshändige Pfad im Rahmen der germanischen Religion. Es gibt hier kein klassisches dualistisches Schema, alle Götter haben gute und schlechte Eigenschaften und ihre Schicksale sind zutiefst miteinander verwoben. Das Gute entsteht hier aus dem Bösen und umgekehrt – die komplexe Mythologie, die wir aus den Götterliedern der Edda und

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