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eBook511 Seiten8 Stunden

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Über dieses E-Book

Als Trainer von Manchester United (1986 bis 2013) gewann Sir Alex Ferguson 38 Titel,unter anderem 13-mal die englische Meisterschaft, fünfmal den FA Cup, zweimal dieChampions League und einmal den Europapokal der Pokalsieger. 1999 wurde er von Queen Elisabeth II zum Ritter geschlagen.
Nach einer erstaunlichen Karriere – zunächst in Schottland, dann über 27 Jahre bei Manchester United – legt Sir Alex Ferguson "Leading" vor, in dem der größte Fußballtrainer aller Zeiten die zentralen Führungsentscheidungen seiner 38-jährigen Teammanager-Karriere analysiert und, gemeinsam mit seinem Freund und Koautor Sir Michael Moritz, die Lektionen herausarbeitet, die jeder im Geschäftsleben und im Leben verwenden kann, um langfristig transformative Erfolge zu erzielen. Von Einstellungskriterien zu Entlassungsentscheidungen, vom Umgang mit Veränderung zu Teamwork, von der Souveränität in der Vorstandsetage bis zur Reaktion auf Misserfolg und Widerstände: "Leading" ist so inspirierend wie praktisch und ein Nachschlagewerk für jede Führungskraft im Beruf, im Sport und im Leben.
SpracheDeutsch
Herausgeberbooks4success
Erscheinungsdatum16. März 2016
ISBN9783864703355
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    Buchvorschau

    Leading - Alex Ferguson

    1

    HERANREIFEN

    Zuhören

    Wie wird man „man selbst"? Als junger Mensch habe ich nie groß über dieses Thema nachgedacht, aber als Spieler und insbesondere als Teammanager interessierte mich diese Frage mehr und mehr. Wenn man andere Menschen anführt, hilft es, ein Gefühl dafür zu entwickeln, wer diese Menschen eigentlich sind – welchen Hintergrund haben sie? Wie sind sie aufgewachsen? Durch welche Handlungen spornt man sie zu Höchstleistungen an? Mit welchen Bemerkungen verunsichert man sie? Das lässt sich nur durch zwei Aktivitäten herausfinden, die heutzutage etwas aus der Mode gekommen sind – Zusehen und Zuhören.

    Die meisten Menschen nutzen ihre Augen und Ohren nicht effektiv. Sie sind nicht aufmerksam und sie hören nicht genau zu. Das Resultat: Sie verpassen die Hälfte von dem, was um sie herum geschieht. Mir fallen einige Teammanager ein, die wahrscheinlich auch unter Wasser reden könnten, aber hilft es ihnen? Es hat schon seinen Grund, dass Gott uns zwei Ohren, zwei Augen, aber nur einen Mund gegeben hat – auf diese Weise können wir doppelt so viel zuhören und zusehen wie reden. Und das Schönste daran: Zuhören kostet noch nicht einmal etwas.

    Zwei der besten Zuhörer, die ich kennengelernt habe, haben für das Fernsehen Interviews geführt. David Frost, der 2013 gestorben ist, hat fast fünf Jahrzehnte lang Menschen befragt. Sein berühmtestes Interview war wohl das mit dem ehemaligen US-Präsidenten Richard Nixon. Ich lernte Frost 2005 kennen, weil wir beide in einen Immobilienfonds investiert hatten. Einige Jahre später, da war er schon nicht mehr bei der BBC, interviewte er mich für Sky Sports.

    Anders als die meisten Fernseh-Interviewer musste David nicht unter Beweis stellen, dass er klüger als sein Gast war. Er war kein Wadenbeißer, er unterbrach auch nicht ständig, aber er ließ sich auch nicht herumschubsen – das zeigen schon die 28 Stunden und 45 Minuten an Gesprächen, die er 1977 mit Richard Nixon aufzeichnete. Zum Teil hängt Davids Art auch mit dem Format seiner Sendungen zusammen. Er stellte sich nicht nach Abpfiff an den Spielfeldrand und versuchte, in einem 90-sekündigen Interview knackige Zitate aus seinem Gegenüber herauszukitzeln, wie es sein Produzent von ihm verlangte. Und er fing auch nicht an, mitten während des Gesprächs Ausschau nach dem nächsten ahnungslosen Opfer zu halten. David blickte einem in die Augen, blendete den Rest der Welt aus und legte großes Interesse an den Tag. Er hatte Zeit, 30 Minuten, 60 Minuten – halbe Ewigkeiten in der heutigen Welt der Sofortnachrichten und Twittermeldungen, Zeit genug, dass sein Gegenüber sich wohlfühlen konnte. Davids größte Gabe bestand darin, seine Gäste dazu zu bringen, dass sie sich entspannten. Wahrscheinlich war das der Kniff, der es ihm erlaubte, aus seinem Gegenüber das kleine bisschen mehr herauszukitzeln. Seinen Spitznamen „Der Großinquisitor" trug er wahrlich nicht zu Unrecht.

    Ähnlich ist es bei Charlie Rose, einem amerikanischen Fernsehmoderator. Charlie kenne ich nicht so gut, wie ich David kannte, aber vor einigen Jahren wurde ich in seine Show eingeladen. Ich fühlte mich ein wenig unwohl, weil ich mit dem US-Fernsehen weitaus weniger vertraut bin als mit den britischen Talkshows. Am Tag vor meinem Auftritt lud Charlie mich in New York ins „Harry Cipriani ein, ein italienisches Restaurant auf der Fifth Avenue. Charlie ist ein kräftiger Kerl mit Pranken so groß wie Essteller und ich fragte mich, ob meine Hände wohl halbwegs intakt aus diesem Schraubstock herauskommen würden. Als Erstes sagte er zu mir: „Wissen Sie, ich bin halber Schotte. Da wusste ich, alles wird gut. Er hatte uns zum Eisbrechen ein einfaches Thema gegeben und mich auf clevere Weise dazu gebracht, mich zu entspannen.

    Die Aufzeichnung am folgenden Tag lief sehr gut. Charlie hörte genauso intensiv zu wie David, allerdings bin ich mir nicht sicher, ob seine Produzentin nicht gedacht hat: „Wir brauchen für den Kerl Untertitel. Wie soll unser Publikum in Mississippi und Kansas diesen schottischen Akzent verstehen?"

    Als Gastgeber einer Talkshow habe ich mich nie versucht, aber ich habe immer viel davon gehalten, anderen zuzuhören. Das bedeutet natürlich nicht, dass ich regelmäßig andere Leute anrief, um sie zu fragen, was ich in der und der Situation tun sollte. Grundsätzlich bin ich eher der Typ, der seine Angelegenheiten selbst klärt. Ich erinnere mich jedoch, wie ich 1984 Hilfe brauchte. John Paton, einer der größten Aktionäre der Glasgow Rangers, hatte mir den Posten des Teammanagers angeboten. Es war das zweite Mal, dass sich die Rangers bei mir meldeten, also rief ich Scot Symon an, der den Verein 13 Jahre lang trainiert hatte. Ich hatte meine Zweifel, ob ich das Angebot annehmen sollte. Sollte ich von Aberdeen zu einem anderen schottischen Verein wechseln? Als Scot herausfand, dass ich gar nicht mit Willie Waddell gesprochen hatte, dem stellvertretenden Präsidenten und dem Mann, der letztlich das Sagen hatte, riet er mir, das Angebot abzulehnen. Für ihn klang das eher danach, als fische da jemand im Trüben, ohne die offizielle Rückendeckung des Vorstands zu haben. Ich lehnte ab und habe es nie bereut.

    Viele Menschen haben die Fähigkeit verloren, gut zuzuhören. Das gilt umso mehr, wenn sie erfolgreich sind und ihr ganzes Umfeld sich unterwürfig gibt und so tut, als würde man wie gebannt jedem einzelnen Wort dieser Person lauschen. Diese Menschen sondern Monologe ab, als hätten sie schlagartig die Weisheit für sich gepachtet. Abgesehen von diesen Egomanen gilt aber grundsätzlich: Es lohnt sich immer, anderen Menschen aufmerksam zuzuhören. Es ist, als hätte man sich an einem ständigen, das ganze Leben anhaltenden, kostenlosen Fortbildungsprogramm eingeschrieben – ein Kurs ganz ohne Prüfungen! Und was einem an Blödsinn unterkommt, kann man gleich wieder vergessen. Ich möchte Ihnen einige Beispiele dafür geben, was ich meine:

    Vor Jahren gab mir jemand eine Reihe Tonbänder, auf denen Gespräche waren, die Bill Shankly, Teammanager bei Liverpool zwischen 1959 und 1974, geführt hatte. Es waren seine Erinnerungen und nicht für die Öffentlichkeit gedacht, aber ich habe sie mir beim Autofahren mehrere Male angehört. Shankly erzählt dort jede Menge Anekdoten, aber durch die Bänder zieht sich eine offenkundige Wahrheit: Er war voll und ganz vom Fußball besessen, diese Leidenschaft hat vermutlich noch sein Knochenmark durchdrungen. Shankly mag ein Grenzfall zum Extremen gewesen sein, aber es bekräftigte mich in der Auffassung, dass es viel Hingabe braucht, um erfolgreich zu sein.

    Ein anderes Beispiel trug sich 1992 nach einem Match gegen Leeds United zu. Ich war zusammen mit den Spielern in der Dusche – ausgesprochen ungewöhnlich für mich – und hörte mir an, wie sie das Spiel analysierten. Steve Bruce und Gary Pallister schwärmten von Eric Cantona, dem französischen Stürmer, den Leeds von Olympique Nîmes unter Vertrag genommen hatte. Vor allem der damalige Leeds-Kapitän Steve Bruce war sehr angetan vom Können Cantonas. Diese Äußerungen blieben bei mir haften und kurz darauf wandten wir uns an Leeds, um Cantona zu kaufen.

    Und selbst als wir Eric Cantona unter Vertrag nahmen, beriet ich mich mit Menschen, denen ich vertraute. Ich sprach mit dem französischen Nationaltrainer Gérard Houllier und dem französischen Sportjournalisten Erik Bielderman, weil ich den Spieler, den ich kaufte, gerne besser verstehen wollte. Ich sprach auch mit Michel Platini und er sagte: „Sie sollten ihn unter Vertrag nehmen. Sein Charakter wird unterschätzt, er braucht nur etwas Verständnis." Sie alle gaben mir Ratschläge, wie man am besten mit Eric umzugehen habe. Als er zu United kam, stand er – unfairerweise – im Ruf, untrainierbar zu sein. Eric zu kaufen erwies sich als wichtigste Entscheidung für United in der Saison, wenn nicht sogar für das ganze Jahrzehnt. In den sechs Spielen, bevor Eric kam, hatten wir vier Tore geschossen. In den nächsten sechs Spielen waren es 14!

    Es war eine ungewöhnliche Äußerung, die uns schließlich zu Cantona brachte, aber ich habe es mir angewöhnt, sehr genau darauf zu hören, wie die Spieler die mögliche Aufstellung der gegnerischen Mannschaft bewerteten. Es war immer ein Ratespiel und bis wir die offizielle Aufstellung in der Hand hielten, konnte die Aufstellung des Gegners starken Einfluss auf die eigene Taktik haben. In der Woche vor einem Spiel sprechen die Spieler häufig mit ihren Kumpels in den anderen Teams, vor allem mit ihren ehemaligen Mannschaftskollegen. Manchmal schnappen sie dabei Hinweise darauf auf, welche Spieler neben ihnen im Einlauftunnel stehen werden. Wir haben gerne kleine Wettbewerbe gespielt, bei denen es darum ging, wer die gegnerische Aufstellung am besten erraten kann. Egal, wie aufmerksam ich auch zuhörte – die komplette Elf konnte ich nie vollständig erraten. Und das wurde noch schwerer, als die Kader größer wurden. Und so war die gegnerische Aufstellung immer anders als das, was ich erwartet hatte. Die Spieler machten sich dann einen Spaß daraus, mich aufzuziehen: „Tja, Boss, da haben Sie wieder mal recht gehabt."

    Nachdem United im November 2012 in Norwich verloren hatte, war es ein Gebot der Höflichkeit, mich in der Trainerkabine der Sieger sehen zu lassen. Chris Hughton war sehr liebenswürdig, aber der Raum war rappelvoll mit Leuten, die ihren Sieg feierten. Ich wollte keine Schwäche zeigen, also machte ich gute Miene zum bösen Spiel und hörte mir an, was sie zu sagen hatten … und vor allem, welche Spieler sie ganz besonders lobten. Ich merkte mir alle Namen, die fielen, und nahm mir vor, jeden einzelnen bei uns auf den Radarschirm zu setzen.

    Wenn ich weiter zurückschaue, erinnere ich mich noch an einen weiteren Ratschlag mit weitreichenden Folgen. 1983 stand Aberdeen, das Team, das ich von 1978 und 1986 trainierte, in Göteborg im Finale des Europapokals der Pokalsieger. Unser Gegner: Real Madrid. Ich lud damals Jock Stein ein, uns zu begleiten. Jock war einer meiner Helden, er hatte 1967 als erster britischer Teammanager einen Europapokal gewonnen, als Celtic Glasgow Inter Mailand besiegte. Jock sagte zwei Dinge, die ich nie vergessen habe. Erstens riet er mir: „Sorge dafür, dass ihr am Tag vor dem Spiel als zweites Team auf dem Platz trainiert. Eure Gegner werden dann denken, ihr würdet sie beobachten." Außerdem empfahl er mir, eine Flasche Macallan-Whisky für den großen Alfredo Di Stéfano mitzunehmen, den Trainer von Real Madrid. Als ich Di Stéfano die Flasche überreichte, war dieser verblüfft. Ganz offensichtlich dachte er, dass wir in Ehrfurcht vor ihm erstarren würden – er der große Di Stéfano, wir das kleine Aberdeen, das sich bereits völlig chancenlos fühlte. Ich bin froh, dass ich auf Jock gehört habe, denn beide Empfehlungen erwiesen sich als hilfreich.

    Später arbeitete ich als Co-Trainer der schottischen Nationalmannschaft für Jock und löcherte ihn immer mit Fragen zur Taktik und zum Umgang mit Management-Themen. Er war quasi mein Management-Mentor und wie ein Schwamm saugte ich nahezu alles auf, was er zu sagen hatte. Jock riet mir, nach einem schlechten Spiel am Sonnabend niemals am Sonntag die Fassung gegenüber den Spielern zu verlieren. „Warte bis Montag, bis sich die Dinge beruhigt haben." Das war ein guter Ratschlag, er passte nur leider nicht zu meiner Art. Es ist kein Zufall, dass das größte Bild in meinem Büro in Wilmslow eines von Jock Stein und mir ist. Es wurde am 10. September 1985 vor dem Spiel Wales gegen Schottland aufgenommen – es war der Abend, an dem er starb.

    Und noch ein letztes Beispiel fällt mir ein: Jimmy Sirrel, Teammanager von Notts County. 1973 war ich auf einem Trainerkurs in Lilleshall, einem der britischen Sport-Leistungszentren, und Jimmy, der dort unterrichtete, brachte mir etwas sehr Wesentliches bei: Er erklärte mir, ich solle dafür sorgen, dass niemals alle Spielerverträge gleichzeitig auslaufen, denn die Spieler könnten dann gemeinsame Sache gegen den Teammanager und den Verein machen. Bevor mich Jimmy darauf hinwies, hatte ich über dieses Thema niemals nachgedacht, aber von da an achtete ich sehr genau darauf, dass die Verträge unterschiedliche Laufzeiten hatten. Mir die Zusammenhänge zu erklären wird Jimmy keine Minute Zeit gekostet haben, aber profitiert habe ich mein Leben lang davon. Das zeigt wieder einmal, dass man die besten Ratschläge oftmals dann erhält, wenn man am wenigsten damit rechnet, und dass Zuhören nichts kostet, aber zu den wertvollsten Dingen gehört, die man tun kann.

    Zusehen

    Zusehen ist die andere unterschätzte Aktivität, und auch sie kostet Nullkommanichts. Ich unterscheide zwei Arten des Zusehens: Beim ersten achtet man auf die Einzelheiten, beim zweiten auf das große Ganze. Als ich Teammanager von Aberdeen war, war mir der Unterschied zwischen dem Achten auf winzigste Einzelheiten und dem Versuch, das Gesamtbild zu erfassen, nicht so recht klar. Das änderte sich erst, als ich Archie Knox als Co-Trainer holte. Kurz nachdem er angefangen hatte, setzte sich Archie mit mir hin und fragte mich, warum ich ihn eingestellt hatte. Die Frage verblüffte mich zunächst, aber dann erklärte er mir, er habe nichts zu tun, weil ich darauf bestünde, alles selbst zu erledigen. Er blieb in diesem Punkt sehr hartnäckig und wurde dabei von Aberdeens Faktotum Teddy Scott angestachelt, der ganz seiner Meinung war. Archie erklärte mir, ich solle das Training nicht leiten. Stattdessen solle ich vielmehr an der Seitenlinie stehen, zusehen und beaufsichtigen. Ich zögerte. Sollte ich seinem Ratschlag folgen? Aber das würde doch meine Kontrolle über das Training beeinträchtigen, oder? Ich erklärte Archie, ich würde seinen Vorschlag überdenken, aber er blieb hartnäckig. Nach einigem Zögern lenkte ich ein. Es dauerte eine Weile, aber dann wurde mir klar, dass man deutlich mehr erkennen kann, wenn man nicht mittendrin im Getümmel steht. Es war die wichtigste Entscheidung, die ich je getroffen habe, was meinen Management- und Führungsstil anbelangt. Wenn man einen Schritt zurücktritt, sieht man oftmals überraschende Dinge, und das ist wichtig. Es ist gut, sich überraschen zu lassen. Wer mit der Pfeife im Mund mitten in einer Trainingsübung steht, der ist voll und ganz auf den Ball konzentriert. Als ich einen Schritt zurücktrat und das Ganze von der Seitenlinie verfolgte, gewann ich eine breitere Perspektive. Ich konnte das gesamte Training erfassen und die Stimmung, den Einsatz und die Gewohnheiten der Spieler registrieren. Das war eine der wertvollsten Lektionen meiner Laufbahn und ich bin froh, dass ich sie vor über 30 Jahren erhalten habe. Archies Bemerkung hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin.

    Als Spieler hatte ich versucht, beides zu tun – auf den Ball am Fuß zu achten und gleichzeitig im Auge zu haben, was wo auf dem Spielfeld gerade geschieht. Aber bis mir Archie mit dem Zeigefinger drohte, war mir nicht wirklich klar geworden, dass ich Gefahr lief, mich in Einzelheiten zu verlieren. Es dauerte nur wenige Tage, dann erkannte ich den Nutzen von Archies Vorschlag. Von da an war ich stets imstande, heranzuzoomen, um mir ein Detail näher anzusehen, und dann wieder herauszuzoomen, um das Gesamtbild zu betrachten.

    Ein Teammanager achtet immer auf ganz bestimmte Dinge. Wie macht sich dieser Spieler im Training, hat er seine Oberschenkelverletzung vollständig auskuriert? Wie ist dieser vielversprechende Zwölfjährige in der Fußballschule? Ist dieser Bundesliga-Spieler wirklich so gut, dass es sich gelohnt hat, extra seinetwegen ein Flutlichtspiel in einem deutschen Stadion zu verfolgen? Wie benimmt sich dieser Spieler oder jener Co-Trainer beim Mittagessen? Vielleicht sieht man sich auch eine Videoanalyse an und sucht nach bestimmten Mustern und Hinweisen. Oder man achtet auf die Körpersprache während einer Verhandlung oder auf die Höhe des Rasens auf einem Spielfeld. Dann, an einem Samstagnachmittag oder einem Mittwochabend, muss man vielleicht auf Weitwinkel umschalten, vielleicht ist dann die Fähigkeit gefragt, das große Ganze zu erkennen.

    „Ja, ich glaube dem, was meine Augen sehen." Das klingt so einfach und ist schnell dahergesagt, aber sehr schwer umzusetzen. Es ist erstaunlich, was wir alles an Vorurteilen und vorgefertigten Meinungen mit uns herumschleppen. Und all das beeinflusst, was wir sehen … oder genauer gesagt, was wir meinen zu sehen. Wenn mir ein Scout erklären würde, Spieler XY habe einen guten linken Fuß, würde ich mich schwer damit tun, diese Beobachtung zu vergessen, wenn ich mir den Spieler ansehe – und dadurch fällt es leicht, eine andere Qualität zu übersehen oder, was noch schlimmer wäre, einen schweren Fehler zu ignorieren. Natürlich interessiert mich die Meinung anderer, aber ich will mir nach Möglichkeit immer ein eigenes Bild verschaffen, ohne dass meine Meinung durch die Filter anderer beeinflusst wird.

    Lassen Sie mich Ihnen ein Beispiel für eine Beobachtung geben, von der ich jahrzehntelang profitieren sollte. 1969 trainierte die Nationalmannschaft der BRD im Rugby Park in Kilmarnock. Ich bat Karl-Heinz Heddergott vom DFB darum, dem Training zusehen zu dürfen. Auf dem Feld waren nur die deutschen Spieler, der Stab, ein paar Platzwarte und ich. Etwa anderthalb Stunden lang beobachtete ich das Training. Die deutsche Mannschaft spielte ohne Torwarte und konzentrierte sich einzig auf den Ballbesitz. Das war ungewöhnlich, denn zu dieser Zeit streuten Trainer gern Langstreckenläufe in das Trainingsprogramm ein. Diese eine Begegnung machte mächtig Eindruck auf mich, bald darauf begann ich, dem Thema Ballbesitz mehr Bedeutung beizumessen. Nachdem ich Trainer beim FC St. Mirren geworden war, führte ich „Vier gegen zwei"-Übungen ein. Auf engem Raum spielten dabei vier Spieler gegen zwei andere. Anfangs waren die Räume 25 mal 25 Meter groß. Das schränkte den Raum der Spieler ein und verbesserte ihre Ballfertigkeit. Je besser die Spieler am Ball wurden, desto stärker verkleinerten wir die Räume, bis sie schließlich imstande waren, One-Touch-Fußball zu spielen. Mit dieser Trainingsmethode habe ich bis zum 17. Mai 2013 gearbeitet, bis zu meiner letzten Trainingseinheit bei United. 90 Minuten Trainingskiebitz in Kilmarnock 1969 lehrten mich etwas, das ich fast ein halbes Jahrhundert anwendete.

    Zu beobachten, andere abzuschätzen und Situationen zu bewerten, ist ein wichtiger Teil der Vorbereitung. Bei United haben wir es uns zur Gewohnheit gemacht, uns vor wichtigen Spielen unsere Gegner sehr sorgfältig anzusehen. Besonders wichtig war das in einer Zeit, als es noch keine ausgeklügelten Videoanalysen gab und man bestenfalls im Schnelldurchlauf vorspulen oder zurückspulen konnte. Gelohnt hat sich diese Vorgehensweise beispielsweise 1991. Damals stand United gegen den FC Barcelona im Finale des Europapokals der Pokalsieger. Seit der Katastrophe im Heysel-Stadion 1985 und dem Ausschluss englischer Teams aus dem internationalen Wettbewerb war es das erste Mal, dass ein englisches Team wieder in einem Finale stand. Ich hatte mir gemeinsam mit dem ehemaligen Aberdeen-Spieler Steve Archibald Barcelonas erstes Halbfinale gegen Juventus Turin angesehen. Bei dem Hinspiel hatte Barcelonas Stürmer Christo Stoitschkow überragend gespielt und zwei Treffer erzielt. Beim Rückspiel in Turin zerrte er sich die Kniesehne, sodass klar war, dass er das Finale verpassen würde. Dadurch geriet bei Barcelona die komplette Aufstellung durcheinander. Beim Finale setzten die Spanier im Angriff vor allem auf Michael Laudrup. Er sollte vom zentralen Mittelfeld aus sein Team nach vorne treiben. Weil wir uns Barcelona im Vorfeld angesehen hatten, hatten wir damit gerechnet und unsere Taktik bereits entsprechend angepasst. Egal, wie sehr Laudrup sich auch bemühte, unsere Spieler nach vorne zu locken, wir hielten unbeirrt an unserer taktischen Marschroute fest und gewannen das Spiel mit 2 : 1.

    Und sehr oft gab es auch Fälle, in denen ich im Augenwinkel einen Spieler ausmachte, der mich völlig überraschte, und zwar im positiven Sinne. 2003 etwa war ich in Frankreich, um mir einen sehr jungen Petr Cech anzusehen. Mit ihm auf dem Spielfeld stand Didier Drogba, von dem ich zuvor noch gar nichts gehört hatte. Der Mann war wie ein Dynamo, ein starker Stürmer, der explodieren konnte und einen absoluten Torriecher besaß. Letztlich ging er uns aber leider doch durch die Lappen. Anders dagegen bei Ji-sung Park. Ich hatte mir 2005 Lyons Michael Essien angesehen, als die Franzosen im Europapokal-Viertelfinale gegen PSV Eindhoven spielten, und da war dieses Energiebündel, das über das Feld jagte wie ein Cockerspaniel. Das war Ji-sung Park. In der folgenden Woche schickte ich meinen Bruder Martin los, der als Scout für United arbeitete. Er sollte sich Park ansehen und mir berichten, was er von ihm hielt. Seine Augen sagten ihm dasselbe wie meine und wir nahmen Park unter Vertrag. Er war einer dieser außergewöhnlichen Spieler, die immer einen Weg durch die gegnerischen Reihen finden.

    Das waren schon ganz besondere Momente. Mir hat es immer sehr gefallen, über ein neues Talent zu stolpern, wenn man am wenigsten damit rechnet. Nur ganz selten sieht man etwas so Erstaunliches, dass man meint, es stamme von einem anderen Planeten (an seinen allerbesten Tagen war Eric Cantona so jemand). Diese Augenblicke und diese Spieler sind der Lohn dafür, dass man ein Leben lang sehr sorgfältig zugesehen hat. Keiner von diesen Spielern fiel uns aus dem Blauen in den Schoß. Sie alle waren die Folge dessen, dass wir unser Radar rund um die Uhr in Betrieb hatten.

    Lesen

    Sehr viel habe ich im Laufe der Jahre beim Lesen gelernt. Als Junge war ich für meine Eltern eine Enttäuschung, weil ich mich in der Schule nicht besonders angestrengt habe (was vor allem damit zu tun hatte, dass ich bereits der Faszination des Fußballs erlegen war). Deshalb endete meine schulische Ausbildung auch mit 16. Aber am Lesen habe ich immer Spaß gehabt. Auch am 6. Februar 1958 war ich gerade in der Bibliothek von Glasgow, als ich von der Tragödie von München hörte.* Seit vielen Jahren habe ich für die Werktage den Daily Express und für das Wochenende die Scottish Sunday Mail, die Sunday Post, den Sunday Express und den Independent abonniert. Mir gefällt auch die Racing Post, die mich zum Thema Pferderennen auf dem Laufenden hält. Aber noch mehr haben mir stets Bücher gefallen.

    Mein Interesse an Büchern geht weit über das Thema Fußball hinaus. Einer der Trainer, über die ich Bücher gelesen habe, stammt aus einer Sportart, von der ich überhaupt nichts weiß. Die Rede ist vom großen Basketball-Coach John Wooden, der sein Team, die Mannschaft der University of California in Los Angeles, in zwölf Jahren zu zehn Meistertiteln führte. Er war möglicherweise besser im Inspirieren als in Taktikfragen, aber er machte auch immer ganz deutlich, wer das Sagen hat. Launenhaftigkeit tolerierte er genauso wenig wie ein Abweichen von dem Pfad, den er vorgegeben hatte. Auch über Vince Lombardi habe ich gelesen, der in seiner Zeit als Coach der Green Bay Packers in den USA landesweit bekannt war. Er war genauso vom American Football besessen wie ich vom Fußball. Ich kann mich sehr gut in ihn hineinversetzen und besonders gut gefällt mir sein Zitat: „Wir haben das Spiel nicht verloren, uns fehlte zum Schluss nur die Zeit."

    Auch in Werke über das Managen und das Führen habe ich mich hineingelesen, aber wirklich angesprochen hat mich nie eines. Vielleicht liegt es daran, dass ich immer zu sehr mit meinem eigenen Job beschäftigt war. Dasselbe gilt für Sportbücher und Spieler-Biografien. Der Blickwinkel mag ein anderer sein, aber die Erinnerungen eines United-Spielers waren angefüllt mit Dingen, die ich bereits erlebt hatte, bei denen ich dabei gewesen war. Mir brachten Bücher mehr Spaß, die wenig mit meiner täglichen Arbeit zu tun hatten. Gelegentlich stolperte ich über Fußballbücher wie Damned United von David Peace, einen fiktionalisierten Bericht über die 44 Tage, die Brian Clough 1974 als Teammanager von Leeds United im Amt war, aber ich kann nicht behaupten, dass mich das Werk besonders gefesselt hätte. Anders dagegen Farewell but not Goodbye, die Autobiografie von Bobby Robson, ein Mann, den ich sehr bewundert habe. Robson begann sein Leben im Bergwerk. Nachdem er 1990 das WM-Finale um Haaresbreite verpasst hatte, wurde er als englischer Nationaltrainer entlassen. Er legte großen Mut an den Tag, indem er sich davon nicht unterkriegen ließ, sondern in die Niederlande ging, um den PSV Eindhoven zu trainieren. Später folgten noch der FC Porto und Barcelona, bevor er schließlich in seine Heimatstadt Newcastle zurückkehrte. Wenn es um Autobiografien von Spielern geht, würde ich nur eine hervorheben: Red von Gary Neville aus dem Jahr 2011. Sie ist sehr wohlüberlegt und vermittelt dem Leser sehr gut, unter welchem Druck und speziell unter welchem Erfolgsdruck die Spieler stehen.

    Ich will diesem Punkt nicht allzu viel Bedeutung beimessen, aber auch in Büchern über Militärgeschichte fand ich einiges, das sich gut auf Fußball übertragen ließ. Jeder General muss wissen, wann der beste Augenblick für eine Attacke gekommen ist und wann man sich besser konservativ verhält. Erstaunlicherweise wurde dieser Punkt in einem Lehrgang bekräftigt, den ich bei der britischen Spezialeinheit SAS absolvierte. Dort wurde erläutert, wie die Soldaten bei ihren Angriffen vorgehen, wie sie den Gegner von zwei Seiten in die Zange nehmen und ablenken, bevor sie durch die Mitte kommen und zum tödlichen Schlag ausholen. Einmal gingen wir während einer Spielpause für einige Tage mit der gesamten Mannschaft auf das SAS-Übungsgelände in Herefordshire. Sie ließen uns überall hereinschnuppern – wie man mit einer Winde aus einem Hubschrauber heruntergelassen wird, wie es auf dem Schießstand zugeht, wie Geiselsituationen gelöst werden. Die Spieler fanden es großartig. Was ich von der SAS mitnahm, war, wie effektiv die „Büffelhorn"-Formation der Zulu sein konnte. Dabei greifen die Truppen auf den Flügeln an, um die Abwehr in der Mitte zu schwächen. Diese Lektion übertrug ich sofort auf den Trainingsplatz, wo wir vor einem Spiel gegen Liverpool eine Woche lang daran arbeiteten. Ich ließ die Spieler den ersten und den zweiten Pfosten angreifen, dann kam Gary Pallister praktisch direkt durch die Strafraummitte und machte das Tor. Das ganze klappte sogar zweimal nach exakt derselben Methode. Es war, als hätten wir einen Angriff der Zulu-Krieger nachgestellt, allerdings fiel das keinem der Fernsehkommentatoren auf.

    Besonders interessiert hat mich auch immer die amerikanische Geschichte, sowohl die militärische als auch die politische. Ich habe einiges über Abraham Lincoln und JFK gelesen, vor allem darüber, wie gut es ist, sich vor dem Fällen von Entscheidungen ausreichend Zeit zu nehmen. Team of Rivals: The Political Genius of Abraham Lincoln, ein Buch von Doris Kearns Goodwin, fand ich ganz besonders fesselnd. Und das Verhalten von John F. Kennedy während der Kubakrise von 1962 ist ein perfektes Beispiel für besonnenes Entscheiden. Mit zunehmendem Alter finde ich mehr Gefallen daran, mich geduldig an die richtige Entscheidung heranzutasten. Als junger Teammanager konnte ich sehr hitzig sein, alles musste jetzt und gleich getan werden, jeder Situation musste ich meinen Stempel aufprägen. Es braucht ein gutes Maß an Mut zu sagen: „Ich muss erst darüber nachdenken." Als junger Mensch will man zum Mond fliegen, und zwar gleich. Normalerweise ist Enthusiasmus der Grund. Im Laufe der Jahre zügelt man seine Begeisterung durch Erfahrung.

    Zusehen, Zuhören und Lesen – mir ist bewusst, dass viele andere Faktoren als nur diese drei uns prägen. Wir alle sind zufällige Opfer der DNA unserer Eltern. Der Zufall prägt uns genauso wie das Umfeld, in dem wir aufwachsen, und die Bildung, die wir bekommen. Aber wir alle bekommen sehr mächtige Werkzeuge mit auf den Weg, die voll und ganz unserer Kontrolle unterstehen – unsere Augen und unsere Ohren. Andere zu beobachten, ihren Ratschlägen zuzuhören und über andere Menschen zu lesen waren drei der besten Dinge, die ich je getan habe.

    *Dem Flugzeugabsturz, bei dem viele Spieler und Betreuer von Manchester United starben oder verletzt wurden.

    2

    DEN HUNGER ERKENNEN

    Disziplin

    Disziplin wurde mir bereits in jungen Jahren eingebläut. Mein Vater war ein echter Fanatiker, was Disziplin anbelangt. Er arbeitete im Schiffbau, ein hartes und unerbittliches Geschäft. Er redete nicht viel, aber obwohl er stur wie ein Maulesel sein konnte und kaum den Mund aufbekam, war er doch sehr intelligent. Er hatte sich sein Wissen größtenteils selbst angeeignet. Die Schule hatte er mit 14 verlassen, aber er las ständig. Mein Bruder und ich sollten etwas lernen, das war sein Wunsch. Profi-Fußballer durfte ich erst werden, nachdem ich meine Lehre zum Werkzeugmacher abgeschlossen hatte. Schon ganz früh trimmte er uns auf Disziplin. An den Schultagen zerrte er mich um Punkt sechs Uhr am Bein aus dem Bett. Er selbst verließ das Haus um Schlag 6:45 Uhr, denn er war gerne an der Werft, wenn dort die Tore öffneten. Vielleicht ist das der Grund, warum ich einige Jahrzehnte später als Teammanager noch vor dem Milchmann bei der Arbeit erschien. Nachdem ich angefangen hatte, fürs Fußballspielen Geld zu bekommen, ging ich gern auch mal Samstagabend aus. Meinem Vater schmeckte das überhaupt nicht, er fand, mein Leben sei viel zu einfach. Sechs Monate lang wechselten wir kein Wort – wir waren uns schlicht zu ähnlich.

    Mit 14 fing ich an, für die Drumchapel Amateurs zu spielen, die führende Amateurmannschaft in Schottland. Geleitet wurde die Mannschaft von Douglas Smith, einem ziemlich wohlhabenden Mann, dessen Familie eine Abwrackwerft gehörte. Er hatte eine Absprache mit „Reid’s Tea Rooms" im Stadtzentrum von Glasgow, die vorsah, dass seine Jungs dort kostenlos essen konnten. Er hatte fünf Mannschaften – die unter 18-Jährigen (U18), die U17, U16, U15 und U14. Jedes Wochenende brachte er uns auf sein Anwesen in Dunbartonshire knapp außerhalb von Glasgow. Er führte uns durch seine Schweinezucht, dann ließ er uns auf seinem eigentlich für Bowls gedachten Rasen fünf gegen fünf spielen. Wenn eines seiner Teams verlor, wurde er richtig angespannt. Er fing dann an zu schwitzen und war sichtlich verärgert. Er hatte sehr viel übrig für Disziplin und war getrieben von dem unbedingten Wunsch zu gewinnen.

    Auch beim FC St. Mirren, den ich von 1974 bis 1978 trainierte, wurde Disziplin ab Tag 1 großgeschrieben. Als ich neu war, schickte die örtliche Zeitung, der Paisley Daily Express, einen Fotografen vorbei, damit er ein Mannschaftsbild mit dem neuen Teammanager machte. Am nächsten Tag hielt ich die Zeitung in der Hand und sah, dass der hinter mir stehende Mannschaftskapitän Ian Reid mir Hasenohren verpasst hatte. Nachdem wir gegen Cowdenbeath unser erstes Spiel verloren hatten, bestellte ich am Montagmorgen Reid in mein Büro. Er sagte, die Hasenohren seien nur als Witz gemeint gewesen. „Das ist nicht die Art von Witz, die ich mag, sagte ich. John Mowat war ein guter, junger Spieler, aber als ich ihm während eines Spiels Anweisungen zurief, kam er mir mit Widerworten. Ich sagte ihm, er brauche nicht wiederzukommen, und schickte ihn und Reid zur Hölle. Ein anderer Spieler sagte mir, er könne nicht zum Training kommen, er und seine Freundin hätten nämlich Eintrittskarten für ein Popkonzert. Ich fragte, ob die Konzerte jeden Abend des Jahres seien. Als er verneinte, sagte ich: „Wenn du zu dem Konzert gehen willst, fein, aber dann brauchst du nicht wiederzukommen. Ich wollte den Spielern ein für alle Mal klarmachen, dass sie mir nicht auf der Nase herumtanzen konnten. Die Botschaft kam an.

    Als Teammanager war es eine meiner Aufgaben, im Team für Disziplin zu sorgen. In St. Mirren bestand die Mannschaft aus Halbprofis, aber dennoch fuhren wir alle mit demselben Bus zu den Auswärtsspielen. Ein Spieler beschloss eines Samstags, zum Spiel nach East Fife selbst zu fahren. Ich faltete ihn vor dem Spiel in der Umkleidekabine zusammen. Er halte sich wohl für was Besonderes, deshalb könne er sich das Spiel von außen ansehen, erklärte ich ihm. Erst dann fiel mir auf, dass ich nur zwölf Spieler hatte. Nun ja, so viel zu dieser Disziplinierungsmaßnahme.

    Meine nächste Trainerstation war Aberdeen, wo es etwas ruhiger zugeht als in Glasgow. Dort wurde mir klar, dass ich der Mannschaft einen Schuss Glasgower Wildheit und Disziplin verabreichen musste, also legte ich los und machte keine halben Sachen. Ich war aggressiv und fordernd und ich kann mir denken, dass nicht alle sehr viel Vergnügen daran fanden. Aber es funktionierte: Die Spieler wurden Männer und sie schärften ihr Profil.

    In Aberdeen gab es drei Spieler, die meiner Meinung nach Störenfriede waren und die das Training einfach nicht ernst genug nahmen. Also bestellte ich sie jeden Nachmittag noch einmal zum Training ein und schickte sie dann in die zweite Mannschaft, wo sie an einem Dienstag- oder Mittwochabend an lausig kalten Orten wie Peterhead ran mussten. Mit der Zeit wurde ich sie alle los.

    Disziplin war vor Jahrzehnten vielleicht auch deshalb so wichtig, weil sich die Mannschaften selten groß veränderten. Man kann sich das heute kaum vorstellen – vor allem, wenn man bei einem Premier-League-Spiel die sieben Ersatzspieler auf der Bank sieht –, aber erst ab Mitte der 1960er-Jahre waren Einwechslungen überhaupt erlaubt. In meiner Jugend veränderte sich eine Mannschaft die ganze Saison über kaum und selbst heute noch kann ich die Aufstellung der Raith Rovers aus den frühen 1950er-Jahren herunterbeten. Damals war es noch aus einem anderen Grund sehr wichtig, unter den ersten Elf zu bleiben – nur so konnte man sicherstellen, dass man seinen Bonus erhielt.*

    In meinen jungen Tagen legte ich gelegentlich zu viel Gewicht auf Disziplin und tat auch schon einmal Dinge, die ich im Rückblick bedauere. So war es 1983, nachdem wir in Schweden den Europapokal der Pokalsieger gewonnen hatten. Nach unserer Rückkehr nach Aberdeen gab es eine Parade, die in Pittodrie endete, dem FC-Stadion, das bis unters Dach dicht gefüllt war. Alle Fans wollten, dass die Spieler eine Ehrenrunde durch das Stadion mit der Trophäe drehen, und unser Mittelstürmer Mark McGhee wollte ihnen diesen Wunsch nur allzu gern erfüllen. Ich jedoch hatte das Gefühl, er habe zu viel gefeiert. Also raunzte ich ihn an und verbot ihm, den Pokal zu tragen. Aber als dann seine Mutter in der Umkleide auftauchte, fühlte ich mich natürlich doch schlecht. Am nächsten Morgen rief ich McGhee an und entschuldigte mich. Ich bat ihn, mit mir zum Hafen zu kommen, wo wir den Fans, die mit dem Boot aus Göteborg zurückgekommen waren, den Pokal präsentierten. Ich habe sehr darauf geachtet, solche Fehler nicht zu wiederholen.

    Das Thema Disziplin begleitete mich meine gesamte Laufbahn hindurch. Bevor ich mich im November 1986 Manchester United anschloss, führte ich Gespräche mit [dem Vereinspräsidenten] Martin Edwards. Dabei deutete er an, dass einige Spieler gerne einen über den Durst tranken. Dass man mir den Managerposten angeboten hatte, habe auch mit meinem Ruf zu tun, so Edwards. Ich

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