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Gut genug
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eBook105 Seiten1 Stunde

Gut genug

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Über dieses E-Book

Sie verdient ihr Geld halbtags mit Tippen im Anwaltsbüro Hoffmann, senior, der "Fräulein Ragotsky" zu ihr sagt und seine Zähne erst gegen elf einsetzt, wenn er zum Gericht muss. Sie kündigt, holt ihre alte Schreibmaschine, eine Olympia, vom Dachboden und will für Studenten arbeiten.
Sie ist schwanger und findet es einen Skandal, dass "man ein Biologie an sich hat". Obwohl ihr nur handfeste Gründe gegen das Kinderkriegen einfallen, entscheidet sie sich für das Kind und stellt sich den Herausforderungen, Mutter zu werden.
SpracheDeutsch
HerausgeberRotbuch Verlag
Erscheinungsdatum4. Juli 2013
ISBN9783867895644
Gut genug

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    Buchvorschau

    Gut genug - Birgit Vanderbeke

    Birgit Vanderbeke

    Gut genug

    Erzählung

    Rotbuch Verlag

    eISBN 978-3-86789-564-4

    © 2013 (1993) by BEBUG mbH / Rotbuch Verlag, Berlin

    Umschlaggestaltung: MetaDesign, Berlin

    unter Verwendung einer Zeichnung von Julian Vanderbeke

    eBook: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

    Ein Verlagsverzeichnis schicken wir Ihnen gern:

    Rotbuch Verlag

    Alexanderstraße 1

    10178 Berlin

    Tel. 01805/30 99 99

    (0,14 Euro/Min., Mobil max. 0,42 Euro/Min.)

    www.rotbuch.de

    Für Julian

    Erst hatte ich kein Kind.

    Ich wollte keins.

    Dann hatte ich eins.

    Gut.

    Gut?

    Mein größtes Problem war, am Leben zu bleiben.

    Sie lachen, aber das ist kein Witz.

    Manchen Leuten gelingt es, am Leben zu bleiben, vielen gelingt es nicht.

    Als ich schwanger war, dachte ich, das Risiko ist, daß du vorher stirbst, also Selbstmord, Suff, Unfall und Krebs. Bei Weltuntergang kannst du nichts machen. Es war vielleicht nicht gerade ein mütterlicher Gedanke. Aber vielleicht war es auch ein mütterlicher Gedanke. Ich weiß nicht genau, was das ist. Bis heute. Mit Vorhersterben habe ich gemeint, bevor dieses Kind dann groß wäre, also groß genug, um damit klarzukommen. Wenn sie noch zu klein sind, denken sie, sie hätten es selbst gemacht, daß man stirbt. Sie denken, sie sind allmächtig, und dann kommen sie nicht damit klar. Natürlich nicht. Also kein Selbstmord Suff Unfall und Krebs. Mehr kann ich dir nicht versprechen. Man hat am Leben zu sein, bis das Kind merkt, der Haß reicht nicht aus, um einen leibhaftig umzubringen.

    Die siebziger Jahre waren um. In den siebziger Jahren war es eine Zeitlang Mode gewesen, Kinder zu kriegen. Das hörte dann wieder auf. Eine Weile lang war alles mögliche psychosomatisch. Manches bloß simuliert. Die meisten Kinder, die ich kannte, waren gräßlich, aber ich kannte im Grunde keine. Wenn man keine Kinder hat, kennt man keine Leute mit Kindern und folglich auch keine Kinder, aber manchmal sieht man welche oder hört sich Geschichten an. Ich hatte keine Lust, Leute mit Kindern zu kennen, ich habe bis heute keine Lust, Leute mit Kindern zu kennen, weil sie Leute mit Kindern sind und also Kinder haben, aber das hilft nunmal nicht. Vermutlich ist es das Statistische Bundesamt oder das Arbeitslosigkeitsamt in Nürnberg, wo die Mode erfunden wird, dann kriegen plötzlich alle ein Kind, und ein paar Jahre später ist es vorbei. Nur die, die es dann immer noch nicht begriffen haben, kriegen zwei oder drei. Vielleicht ist es auch das Verfassungsamt. Herrschaft. Und Reproduktion. Wobei Reproduktion heißt: das Kinderkriegen. Irgendein Trick ist dabei, alle fallen drauf rein, nur weißt du nicht, wie du durchkommst. Man kann sie auch nicht second hand weggeben, weil die Mode im nächsten Jahr wechselt und man sich nicht mehr erinnert, wieso man sie mitgemacht hat. Die meisten Zweitkinder entstehen vielleicht aus Verzweiflung.

    Als ich schwanger war, dachte ich, doch mal sehn, ob wir das nicht schaffen, obwohl ich mir nicht so sicher war. Zu der Zeit hatten es viele auch ohne Kinder schon nicht geschafft. Selbstmord Suff Unfall und Krebs, ich könnte sie herzählen, beide Hände reichen dafür nicht aus, später kam auch noch Aids. Erstaunlich viele haben sich vom Balkon gestürzt und ein paar auch im Wald erschossen. Und Motorradunfälle. Heroin hätte ich fast vergessen. Mit Kindern, wie gesagt, kannte ich keine. Als ich schwanger wurde, war Kinderkriegen nicht sehr in Mode. Ein paar Jahre später kam es wieder in Mode. Jetzt ist es, glaube ich, auch gerade wieder in Mode.

    Ich war mir nicht sicher, ob ich es schaffe, lebend da durchzukommen.

    Die Schwangerschaft über habe ich mir Monat für Monat beim Arzt auf die Hände gepißt, anstatt in den Kaffeeautomatenbecher hineinzutreffen, jedesmal eine Sauerei, bis so viel Urin drin war, daß sie feststellen konnten, wieviel vorgeburtlicher Eisenmangel, anfangs bin ich wütend gewesen, daß sie es wirklich am Ende dieses erfinderischen Jahrhunderts noch nicht zuwegegebracht haben, etwas zu konstruieren, wo man problemlos hineinpinkeln kann, ohne sich auf die Hände zu pissen, aber mit der Zeit hat es mich kläglich gemacht. Einen Knacks gibt das. Wobei Reproduktion heißt: die Wiederholung. Es hat dann noch mehrmals geknackst, bis mir aufgefallen ist, daß das der Sinn ist. Nicht die Absicht, aber der Sinn. Aber vielleicht auch die Absicht.

    Wenn ich mir genau überlege, warum ich das Kind gekriegt habe: ich hatte ein bißchen Kraft drüber. Die siebziger Jahre waren vorbei, und viele, die vorher etwas großspurig und über Zimmerlautstärke der Welt die Welt erklärt hatten, fingen an, sich die Ohrringe aus den Ohren zu nehmen und irgendwo möglichst weit oben unterzukommen. Viele waren auch tot, nur der Rest hatte es noch nicht begriffen, weil es natürlich eine Frage der Intelligenz ist, sonst nichts.

    Oder?

    Ich hatte ein bißchen Kraft drüber und wußte nicht recht, wohin damit. Ich weiß nicht, ob Sie das kennen, aber wenn man zuviel Kraft hat und benutzt sie nicht – es gibt da so etwas wie eine Verfallsfrist. Danach ist sie spurlos weg, und man kommt plötzlich nicht mehr hoch. Natürlich hätte ich auswandern können. Oder Sozialarbeit. Oder Aikido. Oder was? Die Welt hat sich damals benommen, als wäre sie rund und bunt und ein einziger Selbstbedienungsverein. Manchmal stand in der Zeitung, daß sie kein Selbstbedienungsverein sei, man solle das ja nicht glauben, und alle Leute haben gesagt, was in der Zeitung steht, aber weil es in der Zeitung steht, glaubt doch keiner daran. Bis einer die unterste Flasche rauszieht, habe ich gedacht, das kann dann ziemlich scheppern. Also bin ich nicht ausgewandert. Für Sozialarbeit muß man ein guter Mensch sein. Wenigstens muß man glauben, daß man einer ist. Früher habe ich mir abends gelegentlich vorgenommen, ein guter Mensch zu werden, etwa wie Albert Schweitzer, es war ein Mittel gegen die Furcht, die einen am Einschlafen hindert, aber sobald man anfängt zu denken, ist es aus mit dem guten Menschen. Aikido brauchst du nur, wenn du Angst hast, dich fällt jemand an, mich fällt aber niemand an.

    Die Kraft war also drüber, ein Überschuß eben, vielleicht ein Übermut, und ich wußte damit nicht, wohin. Manche Leute regeln das übers Fernsehen, und wenn du dann das Verfallsdatum überschritten hast, merkst du nichts mehr davon. Von der Unruhe. Es ist eine sinnlose Unruhe, natürlich, sie hat mit dem Leben zu tun, das nicht ordentlich stillhalten will, sondern quer durch die Modderpampe immer durchlatschen immer.

    Der Arzt, als er mir gesagt hat, daß der Schwangerschaftstest so und so und also positiv wäre, nachdem ich mir das erste Mal über die Hand gepißt hatte, wußte erst nicht, ob er mir gratulieren soll oder lieber gleich eine Abtreibung machen. Ich auch nicht. Wir hatten in der Schule die Atombombe, den Rassismus in den Vereinigten Staaten, Arno Schmidt, den Faschismus, die Unterdrückung der Frau, die zweite Natur und überhaupt eine Menge gelernt, und in Musik die Seeräuberjenny, aber das war kein Pflichtkurs, und jedenfalls hat man da schon, mit Ausnahme des Rassismus in den Vereinigten Staaten, die hier nur mit Einschränkung gelten, lauter handfeste Gründe dagegen. Gegen das Kinderkriegen. Wenn Sie nachdenken, fallen Ihnen bestimmt auch noch welche ein. Meiner Mutter sind ziemlich viele eingefallen, als ich dann damit kam, sogar meinem Vater sind welche eingefallen. Eigentlich allen. Mir auch. Um es genau zu sagen, fällt einem, wenn man halbwegs bei Verstand ist, kein einziger Grund dafür ein. Sagen Sie nichts von Liebe. Wir sind für Liebe nicht so sehr gut geeignet. Nicht nach alldem. Sie auch nicht, da brauchen Sie nicht so zu tun. Der Arzt hat auch gewußt, daß es nicht einen einzigen Grund gibt, Kinder zu kriegen, er hat ganz vorsichtig und behutsam gesagt, es ist schließlich ein natürlicher Vorgang, und ich bin sofort wütend geworden und hochgegangen, ich war sowieso noch ein bißchen wütend wegen der Kaffeeautomatenbecher am Ende dieses Jahrhunderts. Ich habe gesagt, das glauben Sie doch wohl selber nicht, daß das ein natürlicher Vorgang ist. Im Gegenteil, habe ich gesagt, es ist etwa der widernatürlichste Vorgang, der sich nur denken läßt. Geradezu antinatürlich. Nicht daß eine Abtreibung machen ein natürlicher Vorgang ist, habe ich gesagt, aber eine Abtreibung machen ist immer noch natürlicher, als sie nicht zu machen und statt dessen ein Kind zu kriegen. Am natürlichsten ist weder noch. Das ungefähr hat später auch meine Mutter gesagt. Dafür haben sie nicht die Pille erfunden, daß du jetzt daherkommst und schaffst dir ein Kind an. Meine Mutter hat die Erfindung der Pille immer als große Menschheitsleistung bezeichnet und revolutionär gefunden, nicht für ihre eigenen Töchter natürlich, für die sie weder noch angemessen gefunden hat, weder Pille noch Kinderkriegen, aber als Menschheitserfindung und für in Indien hat sie sie für eine gewaltige Leistung gehalten. Vor der Erfindung der Pille ist das Leben für Frauen

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