Helden des Himmels: Geschichten vom Kosmos und seinen Entdeckern
Von Christian Pinter
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Über dieses E-Book
Wissenschaftspublizist Christian Pinter erzählt faszinierende Geschichten aus der Welt der Astronomie: Etwa, wie eine Mondfinsternis Columbus das Leben rettete und ihn in seinem Irrglauben bestärkte, Indien erreicht zu haben. Oder wie eine Wette in einem Londoner Wirtshaus Isaac Newton veranlasste, gleich eine ganz neue Physik zu entwickeln.
Christian Pinter erzählt von den Geschichten, mit denen die Menschen die Himmelslichter umrankten - vor allem aber die Geschichte jener, die den Aufbau des Alls ergründeten.
Vor 400 Jahren hat Johannes Kepler seine beiden ersten Planetengesetze formuliert. Und im selben Jahr begann Galileo Galilei, mit seinen Fernrohrbeobachtungen
das damals gültige Weltbild zu erschüttern.
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Helden des Himmels - Christian Pinter
DER HIMMEL ALS BILDERBUCH
Fabelwesen der Sonnenbahn
Der liebeshungrige griechische Gott Zeus täuscht Alkmene in Gestalt ihres Gemahls. So schenkt sie ihm Herakles. Zeus legt den Säugling an die Brust seiner Gattin Hera. Die stößt ihn erbost zurück; dabei spritzt göttliche Milch übers Sternenzelt und gerinnt zum zarten Band der Milchstraße. Im Altgriechischen heißt die Milch »gala«. Deshalb nennen Astronomen unsere Milchstraße »Galaxis« und andere Milchstraßensysteme »Galaxien«.
Die Römer verehrten den starken Herakles später unter dem Namen »Hercules«. Er ist gleich mit drei der zwölf Tierkreissternbilder verknüpft. Das himmlische Dutzend, das genau genommen sogar aus 13 Konstellationen besteht, bildet eine Art Rennbahn. Darauf laufen die Wandelgestirne – Sonne, Mond und Planeten – um die Wette.
Um deren Lauf abzustecken, setzten Astronomen des Zweistromlands die helleren und schwächeren Sterne entlang der himmlischen Rennbahn sehr früh zu Bildern zusammen. Die Griechen übernahmen viele der mesopotamischen Motive und verwoben sie mit ihren eigenen Mythen. Die Tierkreisbilder legen anschaulich Zeugnis von der reichen Legendenwelt der Antike ab. Über das Konstrukt der Sterndeutung findet sich jeder Mensch in einer dieser Himmelsfiguren wieder – obwohl die von den Astrologen so strapazierten Sternzeichen längst nichts mehr mit den am Nachthimmel tatsächlich sichtbaren Sternbildern zu tun haben.
Krebs, Löwe, Stier
Im Schoß der Erde hauste die schönwangige Echidna, deren untere Körperhälfte einem schlangenhaften Untier glich. Der Riese Typhon liebte sie. Aus seinen Schultern ragten hundert Schlangenhäupter, die Flammen und Lava spieen. Die Wasserschlange Hydra war Kind des seltsamen Paares. Auch sie besaß hundert Köpfe. Schlug man einen ab, wuchs er doppelt nach. Die Göttin Hera zog die Hydra nahe der Stadt Lerna groß, wo sie bald über das Vieh herfiel. Herakles wollte sie töten. Um den verhassten Sohn ihres Gatten zu schwächen, entsandte Hera einen riesigen, unbarmherzigen Krebs. Dessen scharfe Scheren bohrten sich ins Bein des kämpfenden Helden. Er siegte trotzdem.
Der zertretene Krebs (lat.: Cancer) wurde als gleichnamiges Sternbild ans Firmament gesetzt. Vor 2000 Jahren erreichte die Sonne diese Konstellation zu Sommerbeginn. Bei Ovid glühen die Scheren des Himmelskrebses deshalb in der Sonnenhitze. Für Seneca ist es tatsächlich seine Glut, welche die Saaten reifen lässt.
Noch bevor Herakles die Hydra tötete, pflanzte sie sich fort. Ihr Enkel war ein schrecklicher Löwe, dessen hartes Fell unverwundbar machte. Hera zog ihn bei Nemea auf. Die Stadt lag nur wenige Gehstunden von Mykene entfernt, wo man um 1250 v. Chr. das berühmte Löwentor errichtete. Heras reißendes Tier geriet zur Landplage, bis es erwürgt wurde – natürlich von Herakles. Fortan diente ihm die Löwenhaut samt der dichten Mähne und dem leuchtenden Rachen als Umhang. Um den Mut seines Sohnes aller Welt vor Augen zu führen, hob Zeus das erlegte Raubtier als Sternbild Löwe (Leo) an den Himmel.
Um 150 n. Chr. taufte der Alexandriner Claudius Ptolemäus die himmlischen Lichtpunkte nach ihrer Lage in der jeweiligen Konstellation. Sein Werk wurde zunächst ins Arabische und später von dort ins Lateinische übersetzt. Auch deshalb tragen viele Sterne heute arabische Eigennamen. Jene des Löwen heißen etwa Duhr (Rücken), Subra (Mähne), Aldhafera (Haarsträhne), Denebola (Schwanz) oder Kabeleced (Herz). Letzterer Stern wird aber meist Regulus (lat.: kleiner König) genannt. Wie Astronomen mittlerweile herausfanden, rotiert er extrem schnell um seine Achse. Es fehlte nicht viel und die Fliehkraft risse den Löwenstern auseinander.
Die griechische Zwei-Euro-Münze erinnert an die Geschichte der phönizischen Königstochter Europa. Einst kletterte sie arglos auf den Rücken eines anmutigen Stiers. Der trabte mit ihr zum Ufer, schwamm durchs Mittelmeer und setzte sie an Kretas Küste ab. Dort erst gab sich Zeus zu erkennen und zeugte den mächtigen König Minos. Später tauchte nochmals ein strahlend weißer Stier auf Kreta auf, der mit Wahnsinn gestraft war. Herakles überwältigte ihn – und geriet so einmal mehr zum Inbegriff für Macht und Stärke.
Im Sternbild Stier (Taurus) erblickten die alten Griechen einen der beiden kretischen Stiere. Der leicht orangefarbige Stern Aldebaran bildet sein blutunterlaufenes Auge. Daran schließt die lockere Sterngruppe der Hyaden an. Am Stiernacken schimmern die kleineren Plejaden. In der Antike sah man in den Sternen beider Haufen Schwestern. Damit lag man gar nicht so falsch. Tatsächlich werden Sterne im All meist nicht einzeln, sondern in ganzen Familienverbänden geboren. Jeweils einige Dutzend oder gar Hunderte von jungen Sonnen bilden einen sogenannten »Offenen Sternhaufen«. Am Himmel formen die beiden Sternhaufen das Goldene Tor: Die Sonne schreitet jedes Jahr um den 25. Mai zwischen Hyaden und Plejaden hindurch.
Fische, Steinbock, Wassermann
Einmal stieg der schon erwähnte Riese Typhon aus der Erdentiefe und jagte den Göttern Angst ein. Sie nahmen allerlei Truggestalten an und flohen an die Gestade des Nils. Zeus verwandelte sich in den gehörnten Anführer einer Schafherde, Artemis in eine Katze, der schnelle Hermes (röm.: Merkur) in einen geflügelten Ibis, Hera in eine schneeweiße Kuh, Aphrodite (röm.: Venus) in einen Fisch. Der griechische Mythos versuchte zu erklären, warum die Ägypter ihre Götter mischgestaltig sahen. Ammon besaß dort tatsächlich gewundene Hörner, Bastet ein Katzenhaupt, Thot einen Ibiskopf. Die Kuh war Symboltier der ägyptischen Hathor, während die altägyptische Hatmehit einen Fischkopf trug.
Womöglich tauchte die flüchtende griechische Liebesgöttin Aphrodite aber auch unverwandelt in die Fluten – gemeinsam mit ihrem Sohn Eros. Zwei Fische trugen die beiden davon. Zum Dank erhielten diese einen Platz am Firmament.
Um das Sternbild Fische (Pisces) rankt sich noch eine andere Legende. Unter den einäugigen Kyklopen, so erzählt Homer, war Polyphem der riesigste. Als er sich in die milchweiße Galateia verliebte, stutzte er sich den Bart mit der Sichel und kämmte sein borstiges Haar mit dem Rechen. Die Meeresnymphe ignorierte sein Werben und zog den hübschen Akis vor. Polyphem erschlug den Mitbewerber. Vielleicht entkam Akis jedoch und sprang mit der schönen Galateia ins Meer. Dort verwandelten sich die Liebenden in Fische – und tauchten gemeinsam ab.
Der Wald- und Hirtengott Pan mischte sich gern unerkannt in die Herden, um dort Schrecken zu verbreiten – daher das Wort »Panik«. Als der vielhäuptige Typhon den Olymp stürmte, ergriff ihn jedoch selbst panische Angst. Sowieso schon bockshörnig und bocksfüßig, tarnte sich Pan als Ziege. Weil er gleichzeitig ins Wasser sprang, verwandelte sich sein Unterleib in einen muskulösen Fischschwanz: Alte Himmelskarten zeigen das Sternbild Steinbock (Capricornus) tatsächlich noch als Ziegenfisch. Das eigentümliche Mischwesen stammt ursprünglich aus Mesopotamien. Es ähnelt dem Symbol des sumerischen Süßwassergottes Enki, den die Babylonier Ea nannten.
Eine andere babylonische Legende erzählt: Einst vermehrten sich die Menschen viel zu rasch und störten die Götter mit ihrem Lärm. Diese fassten den Beschluss, die Störenfriede ohne Ausnahme mit einer großen Flut zu ertränken. Der weise Enki durchkreuzte jedoch den Plan seiner Götterkollegen. Er riet einem Sterblichen zum Bau eines mehrstöckigen Schiffes. Damit rettete wenigstens dieser Mann seine Familie, Tiere und Habe. Er wurde zum Stammvater eines neuen Menschengeschlechts. Es war weniger fruchtbar – und entsprechend leiser.
Aus dem alten Griechenland kennt man einen vergleichbaren Mythos. Als auf Erden das Eiserne Zeitalter angebrochen war, wühlten Menschen in den »Eingeweiden der Erde«. Bodenschätze wie Eisen und Gold wurden Anlass für Zwietracht, Raub und Krieg. Überall regierten Habgier, Heimtücke und Gewalt. Zeus beschloss, die frevelnde Menschheit auszulöschen. Die Flussgötter öffneten die Schleusen der Quellen; entfesselte Ströme wälzten sich zum Meer. Bald wohnten Delfine in den Wäldern, während Meeresnymphen die versunkenen Städte bewunderten. Nur zwei Menschen retteten sich auf einem kleinen Floß: Deukalion, der das Recht mehr liebte als jeder andere, und seine gottesfürchtige Gemahlin Pyrrha. Nachdem Zeus den Rückzug der Fluten befohlen hatte, folgte das Paar einem Orakelspruch und warf die »Gebeine« der Mutter Erde – Steine – hinter sich. Aus diesen entsprang ein neuer Menschenschlag, hart und ausdauernd. Er legt davon Zeugnis ab, woraus wir entstanden sind, resümiert Ovid. Im Herbststernbild Wassermann (Aquarius) ist der griechische Stammvater Deukalion verewigt. In den Händen hält er einen schweren Krug, aus dem sich ein Strom Wasser ergießt.
Jungfrau, Waage, Skorpion
Typhons frecher Himmelssturm musste scheitern. Der Riese wurde überwältigt. Die Götter warfen Sizilien auf ihn. Manchmal versucht er noch, die Massen abzuwälzen. Dann beben Berge und Städte. Speit Typhon Feuer, brennt der Ätna. Selbst der Unterweltgott Hades fürchtet, die Erde würde aufreißen; Sonnenstrahlen könnten dann zu den blutleeren Schatten der Toten vordringen. Deshalb fährt Hades mit seinem schwarzen Gespann prüfend um die Insel.
In der Unterwelt wirkt Aphrodites Zauber nicht. Das kränkt die Liebesgöttin. Sie sorgt dafür, dass Hades in Leidenschaft zur Zeus-Tochter Persephone verfällt. Er entführt die Jungfrau, reißt sie hinab in sein Schattenreich und macht sie, so Vergil, zur »Herrin der Tiefe«. Der Raub erschüttert Persephones Mutter, die Fruchtbarkeitsgöttin Demeter. In Zorn und Trauer zerbricht sie die Pflüge und befiehlt den Äckern, die Saat zu unterschlagen. Als Rinder und Bauern verhungern, spricht Zeus ein Machtwort: Persephone darf einen Teil des Jahres mit ihrer Mutter auf dem Olymp verbringen; dann tragen die Felder Ähren. Muss sie zurück in den Hades, fallen die Blätter von den Bäumen. Seither verändert sich die Vegetation in alljährlichem Rhythmus.
Im Sternbild Jungfrau (Virgo) erblickte man entweder die Fruchtbarkeitsgöttin Demeter oder ihre Tochter Persephone. Schon bei Aratos trug die himmlische Jungfrau eine schimmernde Ähre in der Hand; alte Himmelskarten stellen sie noch so dar. Der Name des hellen Hauptsterns Spica (lat.: Ähre) spiegelt ebenfalls die Verbindung zum Ackerbau wider. Einst nutzten griechische Bauern die Spica wohl als Kalendergestirn. Heute fahren Teleskopbesitzer reiche Ernte in der Jungfrau ein: Im Norden der Konstellation liegt, 55 Millionen Lichtjahre von uns entfernt, ein Teil des berühmten Virgo-Galaxienhaufens. Jeder seiner matt schimmernden Nebel ist ein sternreiches Milchstraßensystem ähnlich dem unseren.
Ein anderer Mythos sieht in diesem Sternbild die jungfräuliche Gerechtigkeitsgöttin Astraea. Als das frevlerische Eiserne Zeitalter anbrach, verließ sie »als Letzte der Himmlischen die blutgetränkte Erde« (Ovid). Uns ist die römische Justitia als Personifikation des Rechts vertrauter. Zu deren Attributen zählt die Waage. Tatsächlich grenzt das Tierkreissternbild Waage (Libra) direkt an das der Jungfrau an. Es wurde gern als Sinnbild der Gerechtigkeit betrachtet. Johann Gottfried Herder brachte die Himmelswaage im 18. Jahrhundert sogar mit dem Jüngsten Gericht in Verbindung.
Die Bewegungszone der Wandelgestirne heißt traditionell Zodiakus. Der Begriff leitet sich vom griechischen Wort »zoion« ab, das nicht »Tier«, sondern »Lebewesen« bedeutet. Im sogenannten »Tierkreis« ist demnach sehr wohl auch Platz für Mischwesen, Menschen oder menschengestaltige Gottheiten. Die Waage bildet dort allerdings den einzigen Gegenstand. Das nährt Gerüchte, wonach sie erst spät Aufnahme in den Zodiakus fand. Vielleicht griffen antike Astronomen hier aber doch auf einen uralten ägyptischen Mythos zurück.
Am Nil maß man den Ernteertrag schon 2000 v. Chr. mit Waagebalken und Waagschalen. Damals erreichte die Sonne den fraglichen Himmelsabschnitt zu Herbstbeginn. An diesem Termin steigt sie exakt im Osten auf und geht genau im Westen unter. Tag und Nacht sind gleich lang. Wahrscheinlich empfand man das als besonderes Zeichen kosmischer Balance. Gewogen wurde auch beim ägyptischen Totengericht, und zwar das Herz des Verblichenen gegen die Straußenfeder der Ma’at. Sie war die Begleiterin des Sonnengottes Re auf seiner täglichen Fahrt mit der Sonnenbarke. Die Göttin stand für die kosmische und weltliche Ordnung. Wer weiß: Womöglich entspringt auch die Himmelswaage letztlich der ägyptischen Religion.
In ihrer unteren Schale ruht jedenfalls der Stern Alpha Librae. Manche Menschen trennen ihn bereits ohne optisches Gerät in zwei Lichtpunkte. Die meisten brauchen dazu allerdings ein Opernglas oder einen Feldstecher. Das Teleskop zeigt etliche solcher Doppelsterne. Deren Komponenten ziehen jeweils um ihren gemeinsamen Schwerpunkt. Der leichtere Stern übt weniger Anziehungskraft aus; er muss beim Tanz den längeren Weg zurücklegen. Aus dem Bewegungsspiel lassen sich also die Massen der beiden Sonnen ermitteln. Es ist, als hielten Astronomen eine Sternenwaage in Händen.
Alpha Librae wird auch Zuben Elgenubi genannt. Dieser aus dem Arabischen stammende Name bedeutet »südliche Schere«: Denn einst dehnte der angrenzende Skorpion (Scorpius) »seine Glieder über den Raum von zwei Tierkreiszeichen« aus (Ovid). Dann erst wurde ihm die Himmelswaage in die Scheren gedrückt. Später stutzte man seine Fangarme gar zurecht, um die Waage zu isolieren. Sobald dieser Skorpion am Himmel erscheint, flieht das Sternbild Orion. Das giftige Spinnentier wurde nämlich von der Erdgöttin ausgesandt, um den hünenhaften Jäger Orion zu töten. Der hatte zuvor leichtfertig geprahlt, alles Wild auf Erden erlegen zu können.
Am Herz des himmlischen Skorpions funkelt ein heller Lichtpunkt. Seine Farbe erinnerte die Griechen an jene des Planeten Mars, der ihnen als Gestirn des Kriegsgottes Ares galt. Deshalb tauften sie den Stern »Antares«. Rückte man ihn an die Stelle unserer Sonne, verschwänden Merkur, Venus, Erde und Mars in seiner Gashülle. Antares hat sich nämlich schon zum Roten Riesen aufgebläht. Dabei sank die Oberflächentemperatur auf 3000 Grad C. Seither ist er deutlich kühler als unsere eigene Sonne und glänzt daher in leicht orangefarbigem Ton. Damit bildet er einen hübschen Gegensatz zur Spica in der Jungfrau. Dort mischt sich, bei 20 000 Grad C, ein Schuss Blau ins Sternenweiß. Der Blick zum Nachthimmel macht unser Auge zum kosmischen Thermometer: Aus den Pastelltönen der hellsten Fixsterne lassen sich deren Oberflächentemperaturen abschätzen.
Schütze, Widder, Zwillinge
Auf einem Berg in Thessalien liebte Gott Kronos (röm.: Saturn) die Okeanos-Tochter Philyra. Um den Ehebruch vor seiner Gattin Rheia zu verbergen, vollzog er ihn in Gestalt eines Hengstes. So entstand der weise, unsterbliche Kentaur Chiron, halb Pferd, halb Mensch. Er unterrichtete Göttersöhne und Helden – auch im Umgang mit dem Bogen. Herakles verletzte ihn versehentlich mit einem Giftpfeil. In unsagbarem Schmerz sehnte Chiron den Tod herbei. So wurde er schließlich als Sternbild Schütze (Sagittarius) in den Tierkreis aufgenommen.
Im Himmelsschützen verschmolzen wohl ältere Motive aus Ägypten und Mesopotamien. Dort hatte man in seinen Sternen eine Reitergestalt bzw. einen Bogenschützen erblickt. In Sommernächten zielen heute Tausende Fernrohre in seine Richtung. Der Schütze ist nämlich reich an interessanten Himmelsobjekten. Der Omeganebel zählt zu den Emissionsnebeln. Diese weiten Wolken aus leuchtendem Gas sind kosmische Kreißsäle, in denen gerade neue Sterne geboren werden. Aus dem Lagunennebel guckt bereits ein ganzer Haufen von Sternenkindern hervor. Sie sind erst wenige Millionen Jahre alt. Ein Fernglas genügt, um sie zu grüßen.
Einst trachtete die böse Stiefmutter den Königskindern Helle und Phrixos nach dem Leben. Die beiden konnten gerade noch fliehen – und zwar auf dem Rücken eines goldwolligen, flugfähigen Widders. Auf der luftigen Reise verlor Helle den Halt. Sie stürzte über den Dardanellen ab. Deshalb taufte man diese Meerenge »Hellespont«. Phrixos landete sicher im heutigen Georgien. Dort nahm ihn der Bruder der Pasiphae auf. Das fliegende Tier wurde geopfert und als Sternbild Widder (Aries) ans Firmament gesetzt. Sein Fell, das Goldene Vlies, verblieb in Kolchis. Chirons Schüler Jason stach mit den Argonauten in See, um es zu rauben.
Einst verführte Zeus die Leda in Gestalt eines Schwans. Noch am selben Tag empfing sie ein zweites Kind, diesmal von ihrem königlichen Gatten. So brachte sie schließlich Zwillinge zur Welt: den unsterblichen Polydeukes, den Vergil »Pollux« nennt, und den sterblichen Castor. Die Brüder schlossen sich Jasons Argonauten an. Nach ihrer Rückkehr aus Kolchis wurden sie zu einer Hochzeitsfeier eingeladen – und raubten die Bräute. Im folgenden Kampf fiel Castor. Pollux wollte auf seine Unsterblichkeit verzichten und ihm in die Unterwelt folgen.
Die Bitte seines Sohns rührte Zeus (röm.: Jupiter). Er erlaubte den Zwillingen, abwechselnd auf dem Olymp und dann wiederum im Hades zu weilen. Die beiden wechselten fortan gemeinsam zwischen Licht und Dunkel, Leben und Tod. Auch das Tierkreissternbild Zwillinge (Gemini) steigt täglich in den Himmel auf, um 16 Stunden später wieder unter die Erde zu sinken.
Die Namen der Brüder sind auf die beiden Hauptsterne des Sternbilds übergegangen. Auf den ersten Blick muten sie gleich hell an; erst bei genauerem Hinsehen verrät Pollux seine »göttliche Abstammung«. Er glänzt kräftiger. Der 34 Lichtjahre entfernte Stern besitzt sogar einen eigenen richtigen Planeten: Solche Exoplaneten entziehen sich dem teleskopischen Blick und sind nur unter Einsatz komplizierter Verfahren nachweisbar. Dafür entlarvt schon das Amateurfernrohr Castor als Doppel- bzw. Dreifachstern. In Wahrheit besteht er wahrscheinlich sogar aus sechs Sonnen.
In den Zwillingen schimmert außerdem ein kleines, rundliches Nebelscheibchen. Im großen Teleskop erinnert es an einen Inuit mit Pelzkapuze. Objekte wie dieser Eskimonebel zählen zu den sogenannten »Planetarischen Nebeln«. Sie haben mit Planeten aber nichts zu tun. Vielmehr sind das die Reste jener Gashüllen, die Sterne am Ende ihres Lebens ins All blasen. In einigen Milliarden Jahren gibt unsere Sonne wohl mit einem ähnlichen Nebelgebilde Kunde von ihrem Ableben.
Und dann noch der Schlangenträger
Apollon war der Gott des Lichts, der Weissagung und der Dichtkunst. Er verliebte sich in das schönste Mädchen Thessaliens: Als ihm Koronis untreu wurde, schoss er ihr einen Pfeil in die Brust. Mit schwacher Stimme gestand sie ihm, sein Kind im Leib zu tragen. Jetzt reute Apollon die Untat. Doch all seine Heilkunst versagte, Koronis starb. Schließlich riss er den ungeborenen Sohn aus ihrem Leichnam. Der weise Kentaur Chiron zog das Kind auf.
Dank Chirons Unterricht wurde Apollons Sohn Asklepios – wir nennen ihn »Äskulap« – zu einem grandiosen Arzt. In Epidauros verehrten ihn Kranke wie einen Gott. Als das pestgeplagte Latium seine Hilfe benötigte, wollten ihn die Stadtväter nicht ziehen lassen. Daher schiffte sich Asklepios in Schlangengestalt ein, zischend und züngelnd. Sein Stab, von der Schlange umwunden, wurde später zu einem Symbol der Heilkunde. Asklepios versuchte, den vom Skorpion gestochenen Jäger Orion zu retten. Später holte er sogar einen Toten ins Leben zurück. Das war Frevel und Zeus erschlug den allzu erfolgreichen Heiler. Am Sommerhimmel lebt er jedoch als Sternbild Schlangenträger (Ophiuchus) weiter.
Zu seinen Schätzen zählen etliche Kugelsternhaufen, wie z. B. M 10 und M 12. Mit einem Alter von mehr als zwölf Milliarden Jahren beherbergen Kugelhaufen die Sternengreise unserer Galaxis. Bis zu einer Million solcher Methusalems drängen sich dort jeweils in einem Raumgebiet von wenigen Dutzend Lichtjahren zusammen. Der M 12 pendelt häufig durch die dichte Zentralebene unserer Milchstraße. Er hat dabei bereits die allermeisten Sonnen eingebüßt. Nur 200 000 sind ihm noch geblieben. Deshalb mutet sein Sterngetümmel im Liebhaberfernrohr untypisch locker an.