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Drei im Blau: Kunst und Glaube
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eBook304 Seiten3 Stunden

Drei im Blau: Kunst und Glaube

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Über dieses E-Book

Wo sich Glaube und Kunst begegnen - und auf den Menschen treffen.

Kunst und Glaube werden heute oft für unvereinbar gehalten. Doch der Jesuitenpater Gustav Schörghofer spannt einen Bogen über die Jahrhunderte bis zur Gegenwart, von glaubensbildender Kunst zu bildhaftem Glauben, und hebt damit den Gegensatz auf: Einerseits zeigt er hinter Techniken und Themen der Maler das tiefe Grundbedürfnis der Menschen, über sich selbst hinausgehend Sinn zu entdecken wie zu stiften. Andererseits lässt er den Wert sichtbarer Schönheit und poetischen Geistes für religiöse Lehren begreifen. Aus dieser doppelten Perspektive gelingt Strich für Strich ein Bild von Kunst und Glaube, welches Nähe schafft, wo lange Zeit nur Distanz gesucht wurde.
SpracheDeutsch
HerausgeberResidenz Verlag
Erscheinungsdatum25. Sept. 2013
ISBN9783701744237
Drei im Blau: Kunst und Glaube

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    Buchvorschau

    Drei im Blau - Gustav Schörghofer

    ist.

    TEIL I

    DREI IM BLAU

    BIRNEN/KOSMOS – ein kleines Bild von Heinrich Menches. Zwei rotbraune Dreiecke nehmen ein mächtiges Blau in ihre Mitte. Die heftige Bewegung der Pinselstriche, Aufschäumen und Versinken der Farbe: Blau, aus dem Blauweiß ins Schwarzblau. Und schwebend im Blau drei gelbe Birnen.¹

    „Und als er an einem Tag auf den Stufen desselben Klosters die Tagzeiten unserer Herrin betete, begann sich ihm der Verstand zu erheben, als sähe er die heiligste Dreifaltigkeit in Gestalt von drei Tasten …"² So schildert Ignatius von Loyola in seiner Autobiografie, dem „Bericht des Pilgers", seine Schau Gottes. Ignatius spricht von sich selbst in der dritten Person. Er sagt nicht, er habe drei Orgeltasten gesehen und diese hätten ihn an die Dreifaltigkeit erinnert. Er sagt, er habe die Heiligste Dreifaltigkeit in Gestalt von drei Tasten gesehen. Sie hat sich ihm zu erkennen gegeben. Aber nicht in mächtigen Erscheinungen, sondern in der Gestalt unscheinbarer Gegenstände. Gott kann in den Gestalten dieser Welt wahrgenommen werden. In Gestalt von drei Orgeltasten. Oder von drei Birnen im Blau.

    Jesuitenkosmos – eine Installation von Christoph Steinbrener und Rainer Dempf. Von November 2008 bis Mai 2009 war über den gesamten Innenraum der Wiener Jesuitenkirche/Universitätskirche eine Ansicht der Erde aus dem Weltall gespannt. Über dem Blau der Meere weiße Wolken. Schwarz die Weite des Raums. Ein Astronaut schwebt im Freien. Teile der Raumstation. Die Gewölbefresken eines der prächtigsten hochbarocken Kirchenräume Wiens sind mit diesem auf ein engmaschiges Netz gedruckten Foto der NASA verhängt, das Bild des von Engeln bevölkerten Himmels ist durch ein neues Bild ersetzt worden. Das Motiv der „Eroberung des Himmels mit technischen Mitteln" wurde mit neuen Methoden umgesetzt, der Innenraum der Kirche mit einer aus der Werbung bekannten Technik neu interpretiert. Das neue Bild forderte eine Wendung des Blicks, eine radikale Änderung der Blickrichtung. Nicht mehr Aufstieg des Blicks in himmlische Zonen, sondern ein Abstieg des Blicks auf die Erde. Der umgekehrte Blick geht von oben nach unten.

    Diese Sichtweise entspricht jener, die Ignatius von Loyola in seinem Exerzitienbuch für die „Betrachtung über die Menschwerdung vorschlägt: „Die drei göttlichen Personen sehen und erwägen, gleichsam auf ihrem königlichen Sitz oder Thron ihrer göttlichen Majestät, wie sie das ganze Angesicht oder die Rundung der Erde und alle Völker schauen.³ Die Installation Jesuitenkosmos bot dem Betrachter eine Ansicht der Welt aus der Perspektive der göttlichen Personen. Sie verbarg das in der Apsiswölbung gemalte Bild der Dreifaltigkeit. Doch sie bot die Möglichkeit, die Welt mit den Augen Gottes zu betrachten. Der Blick Gottes auf die Welt entdeckt mehr als bloß einen schönen blauen Planeten.

    Michael Collins, ein Mitglied der Mannschaft von Apollo 11, schlug nach der Rückkehr vom Mond vor, auf zukünftigen Flügen auch einen Dichter, einen Priester und einen Philosophen mit an Bord zu nehmen: „Dann werden wir eine bessere Vorstellung von dem bekommen, was wir gesehen haben."

    Unsere Erde, der „Blaue Planet". Wir haben sie gesehen, mit den Augen derer, die vom Mond oder frei schwebend im All zurückgeschaut haben: im Schwarz das leuchtende Blau der Erde. Wo wir geschützt durch Luft und von der Schwere am Boden gehalten leben. Schwer oder luftig. Wo wir unter freiem Himmel Häuser und Hütten bauen. Auf festem Boden oder auf Sand. Wo wir Heimat suchen, einen Ort der Ankunft. Im Blau der Erlösung.

    Die Welt aus dem All zu sehen. Von außen auf sie zu schauen. Der Blaue Planet als Ort der Rast. Wo Leben Erlösung findet. Wo es zur Entfaltung kommt. Wo es kommt und geht, im Blau der Erde. Blau ist die Farbe des Unendlichen, des Ewigen und der Reinheit. Wir leben eingetaucht ins Blau.

    Blau des Himmels, Blau des Meeres, Kornblumenblau, Stahlblau, Lavendelblau, das Blau des Eisvogels, Blau der Feder des Eichelhähers, Blau des Wellensittichs, Saphirblau, Lapislazuliblau, Blau des Labradorsteins, Ultramarinblau, Kobaltblau, Indigoblau, das Blau des Abends und des Morgens, das Blau der Nacht, das Blau des hellen Mittags, das Blau ferner Berge.

    „Die Japaner schliefen unter blauen Moskitonetzen, die ihnen die Illusion von Frieden und Kühle vermitteln sollten."

    Die Erde als Rastplatz zu betrachten. Wo es nichts zu erreichen gibt, weil alles schon erreicht ist. Millionen Jahre hat es gedauert. Doch nun bin ich angekommen. Und bevor ich wieder gehe, halte ich kurz Rast. Eingebettet ins Blau.

    Marienblau. Das Blau der Unbefleckten Empfängnis. Das Blau der Reinen, die nicht unversehrt geblieben ist. Bedrohtes Blau. Bedroht vom Schmerz des Abschieds, vom Schmerz des Unverständlichen, vom Schmerz des Unrechts, vom Schmerz des Todes, vom Schmerz der Einsamkeit. Bedroht von Machtgier, von Ichsucht, von Neid, Geiz, Zorn und Wut. Bedroht von den Ausschweifungen des Geistes und der Sinne. Bedrohtes Blau. Gefährdetes Blau.

    Gerettetes Blau. In die Geste der Versöhnung hinein gerettetes Blau. Das blaue Lachen des Kindes. Der blaue Blick der Unschuld. Blauäugig nicht. Das blaue Wunder der Liebe. Die Fahrt ins Blaue des Vertrauens. Das Blau der ungetrübten Hingabe. In den weiten Raum der Freiheit gerettetes Blau. Blau der Zuneigung. Die blaue Blume.

    Blauer Himmel. Blaue Luft. Blaues Meer. Blaue Ferne. Blaue Augen. Blaue Lippen. Blaue Flecken. Blauer Rauch. Blaue Bohnen. Blaue Jungs. Blauer Dunst. Blauer Montag. Blaustichig.

    Die Erde als einen Ort der Rast gestalten. Mit Musik. Mit Kunst. Mit Dichtung. Mit Essen und Trinken. Mit Gespräch. Mit Aufmerksamkeit. Mit Entgegenkommen. Mit Demut. Mit Freundlichkeit. Mit Vertrauen. Mit Witz. Mit kühlem Kopf. Mit brennendem Herzen. Mit Wissen. Mit Können. Mit Geduld. Das Blau der Geduld üben. Das blaue Wunder immer neu herbeirufen. Und blaue Flecken nicht scheuen.

    Blau der Schuld, der eigenen und der Schuld anderer. Blaubarts Spur. Das Blau der Kälte. Blau des Eises. Blau des Stillstands. Blau des Erstarrens. Blau der Salzsäule. Das Blau der Rast verkehrt zum tödlichen Blau erstickten Lebens. Blausäure.

    Das Blau der Erinnerung. Vergissmeinnichtblau. Das Gewesene im reinen Blau bewahren. Dass ihm das Drückende genommen wird. Dass es reingewaschen wird im Blau der Vergebung. Dem Blau des Verzichts Raum schenken. Dem Blau des Verzichts, das dem Leben der anderen nicht das eigene Recht auf Vergeltung entgegenstellt. Blau der Vergebung, die das Leben der anderen freispricht von den Folgen ihres unrechten Tuns. Das helle Vergissmeinnichtblau der Erinnerung. Die wie die lichtdurchfluteten Schichten des Meeres getragen ist vom Blau der Tiefe. Nachtblau der Erinnerung, das birgt und verbirgt. Tiefes Blau der Rast in Vergebung.

    Das Blau von Derek Jarman:

    „Blau ist die universelle Liebe, in welcher der Mensch badet – es ist das irdische Paradies."

    „Im Pandämonium der Bilderwelt

    Präsentiere ich dir das universelle Blau

    Blau, eine offene Tür zur Seele

    Eine unbegrenzte Möglichkeit

    Die greifbar wird."

    „Das unergründliche Blau der Seligkeit."

    „Ich lege dir eine Ritterspornblüte, Blau, aufs Grab."

    „Blue" – der letzte Film von Derek Jarman, der damals schon erblindet war, die Leinwand blau, nur blau, und Stimmen, 1993.

    Das Blau von Yves Klein.

    Das Blau von Georg Trakl:

    „Ein blauer Augenblick ist nur mehr meine Seele."

    „In blauem Kristall

    Wohnt der bleiche Mensch, die Wang’ an seine Sterne gelehnt."

    „Blaue Blume,

    Die leise tönt in vergilbtem Gestein."

    „Dunkle Stille der Kindheit. Unter grünenden Eschen

    Weidet die Sanftmut bläulichen Blickes; goldene Ruh."

    „Die blaue Woge

    Des Gletschers."

    Das Blau von Karl Prantl:

    In den blau schimmernden Flächen des Labradorsteines sah er die Augen der Verstorbenen, ein Augenfriedhof. Die Millionen Augen der in den Gaskammern Ermordeten. Der Stein ist der Augen Rast und Ruhe. All die gebrochenen Augen leuchten im blauen Schimmer des Steins.

    Das Blau Giottos:

    Blau ist der Grund der Welt, Figuren, Bäume und Tiere, Bauten und Felsen, sie stehen im Blau. Blau ist das Gewölbe, das sich über alles breitet, Blau der Stille, Blau des Bergens, Blau der Heimkehr, Blau der Zusage, Blau des Trostes.

    Das Blau der Glasfenster.

    Von jenseits des Himmels betrachtet ist die Erde blau. Den Augen anderer verdanke ich diesen Blick auf unseren Blauen Planeten. Den Augen anderer verdanke ich die Einsicht, dass sich auch meinem Blick Gott zeigen kann. Überall im Blau der Erde lässt sich Gott finden.

    ÜBER SICH HINAUSGEHEN

    Unter dem Datum des 8. April 1873 findet sich im Tagebuch von Gerard Manley Hopkins folgende Notiz: „Der Eschenbaum in der Ecke des Gartens wurde gefällt. Er wurde zuerst gestutzt: ich hörte das Geräusch und indem ich hinausschaute und sah wie er verstümmelt wurde kam da in jenem Augenblick ein tiefer Stich und ich wünschte mir zu sterben und nicht mehr die Inbilder der Welt zerstört werden zu sehen."

    Ist es übertrieben, sich wegen einer gefällten Esche den Tod zu wünschen? Gerard Manley Hopkins war Jesuit, Priester, einer der großen Dichter englischer Sprache. Er hat gewusst, was er sagte und wovon er sprach. Die Inbilder der Welt werden zerstört, damals wie heute. Wer sieht es, wen schmerzt es? Die Sensibilität der Kirche ist sozial orientiert, nicht ästhetisch. Die Hässlichkeit der Kirchenräume erzeugt nicht jenen Schmerz, den soziale Ungerechtigkeit erzeugt.

    Hat die Schönheit im Evangelium keinen Platz? Gibt es in der Heiligen Schrift keine „Inbilder der Welt? Mit dem von ihm gebildeten Wort „inscape hat Hopkins etwas gemeint, das mit „Gestalt recht gut übersetzt werden kann, oder eben mit „Inbild. Gemeint ist etwas, das in seiner Erscheinung Sinn wahrnehmbar macht, einen Sinn, der nicht schriftlich zu formulieren wäre, sondern der in einem sichtbaren Gebilde, in der Gegenwart seiner Gestalt aufleuchtet. Das sind oft sehr unscheinbare Vorgänge. Gegen Ende Oktober 1873 schreibt Hopkins in sein Tagebuch: „Am Ende des Monats harte Fröste. Wundervoller Blätterregen: als die Morgensonne den Frost zu schmelzen begann fielen sie bei einer einzigen Berührung und in wenigen Minuten war ein ganzer Baum ihrer entledigt; sie lagen und maskierten und tapezierten den Boden um den Fuß. Dann scheint der Baum hinabzublicken auf sein entlassenes Selbst wie blauer Himmel auf den Schnee blickt nach einem langen Fall, sein Verlieren, sein Tun."

    Inbilder der Welt gibt es in der Bibel genug. Die Sprache der Heiligen Schrift lebt davon, das Sichtbare als Inbild wahrzunehmen. Die Gleichnisse Jesu beziehen daraus ihre Kraft, ihre Wahrheit. Was entspricht dem heute im kirchlichen Leben? Was den westlichen Kirchen heute am meisten abgeht, ist der Sinn für Schönheit und Poesie. Das Gleiche gilt für die Gesellschaft im Allgemeinen. Wer eine der alten Kirchen betritt, wird den Eindruck bekommen, hier werde Altes sorgfältig bewahrt. Aber eine Spur von Gegenwart? Oft gibt der neue Altar zu verstehen: Man wäre doch lieber im Barock. Und das Lesepult zeigt: Hier wird vorgelesen, aber dieses Wort hat keine die Welt gestaltende Kraft. Wer eine der neu erbauten Kirchen betritt, bekommt in den meisten Räumen den Eindruck, hier hätten sich Kraftlosigkeit und mangelnder Sinn für Schönheit ein Haus errichtet. Hübsch ist es ja immer wieder. Aber das Atemberaubende der Schönheit ist kaum zu erfahren. Auch nicht jene Erscheinung von Welt, die deutlich macht: Der Anfang einer neuen Schöpfung ist jetzt schon zu erfahren.

    In Zeiten allgemeiner Ratlosigkeit und zunehmender Verwirrung gibt es die Neigung, der Aufsplitterung des Lebens in Teilbereiche durch einen Rückzug in einzelne dieser Teilbereiche zu begegnen. Die Pflege des Körpers, die Natur, die Kunst, die Religion, die Wissenschaften – sie alle bilden solche Rückzugsgebiete. Durch Abgrenzung dem Anderen, dem Fremden gegenüber lässt sich eine gewisse Beheimatung im Eigenen erreichen. Der Preis ist Blindheit und Taubheit dem Fremden gegenüber. Der in der Kunst Beheimatete weiß nichts vom Glauben. Für den im Glauben Geborgenen ist die Kunst unbedeutend.

    Andererseits bietet gerade die allgemeine Verunsicherung wieder Anlass genug, die Nähe zum voneinander Getrennten zu suchen. Vielleicht sind dort Halt und Bereicherung zu finden. Heute gehört es bereits zum guten Ton christlicher Gemeinden, der zeitgenössischen Kunst Interesse zu schenken. Waren es von den Fünfzigern bis in die Achtzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts noch einzelne Pioniere, die hier am Werk waren, einsame Brückenbauer zwischen den getrennten Welten von Kunst und Kirche, so hat sich vor allem in den vergangenen zehn Jahren die Situation gewandelt. Christliche Gemeinden und kirchliche Institutionen haben ein reges Interesse für das Schaffen von Künstlerinnen und Künstlern entwickelt. Diese reagieren darauf mit großer Offenheit.

    Meist wird die Brücke zwischen den beiden Welten durch die Suche nach Gemeinsamkeiten errichtet. Diese Suche konzentriert sich auf Inhalte von Kunst und Religion. Eben auf der inhaltlichen Ebene waren Kunst und Religion ja lange, Jahrhunderte lang, miteinander verbunden. Auch heute noch lassen sich im Inhaltlichen weitreichende Bezüge entdecken. Doch wird dabei im Fremden vor allem das Eigene gesucht und gefunden. Auch hier bleibt das Fremde, das Andere, dem betrachtenden Blick ungeschaut, dem hörenden Ohr unerhört.

    Wie kann ich dem Fremden als Fremdem begegnen? Die Antwort des Evangeliums ist: Ich muss aus dem Eigenen ausziehen, muss es verlassen, ja, ich muss mir selber sterben. „Wer sein Leben retten will, wird es verlieren, wer aber sein Leben um meinetwillen und um des Evangeliums willen verliert, wird es retten." (Mk 8,35) Im Glauben erreiche ich das Fremde, das ist der Andere, das ist Gott, nur, indem ich mich selbst überschreite, mich zurücklasse. In der Kunst gilt das Gleiche. Darin liegt der Drang nach Neuem begründet. Künstlerisches Schaffen bleibt nur lebendig, wenn alles Erreichte und Gelungene immer neu zurückgelassen wird, wenn alle Sicherheiten immer von Neuem aufgegeben werden.

    Warum aber sollte dieser wahnwitzige Schritt getan werden? Warum sollte immer neu das Eigene, Vertraute, Erworbene aufgegeben werden? Um Jesu und des Evangeliums willen, ist die Antwort des Glaubens. Und die Antwort der Kunst? Damit werden sich die folgenden Texte beschäftigen. Es wird sich zeigen, dass gerade der Glaube von der Kunst viel lernen kann, wenn sie ihn das Fremde betrachten lehrt.

    Welcher Preis ist dafür zu entrichten? Die Kunst muss aufhören, Zerstreuung zu sein. Doch wer Kunst betrachtet und sich mit Kunst beschäftigt, sucht fast immer Zerstreuung. So lenkt er sich davon ab, über sich und seinen Zustand nachzudenken. Blaise Pascal hat die Bedeutung der Zerstreuung hellsichtig erkannt: „Das einzige, was uns in unserem Elend tröstet, ist die Zerstreuung, und dabei ist sie die Spitze unseres Elends; denn sie ist es, die uns grundsätzlich hindert, über uns selbst nachzudenken, die uns unmerklich verkommen lässt. Sonst würden wir uns langweilen, und diese Langeweile würde uns antreiben, ein besseres Mittel zu suchen, um sie zu überwinden. Die Zerstreuungen aber vergnügen uns und geleiten uns unmerklich bis zum Tode." (Pensées, 171)¹⁰ Das eigentlich Fremde zum Leben ist der Tod. Was aber, wenn die Kunst hilft, von diesem Fremden nicht abzulenken, sondern ihm hellsichtig und wach zu begegnen?

    Kunstwerke können, bei genauerem Betrachten, sehr rasch langweilig werden. Viele Kunstwerke halten ein längeres Betrachten gar nicht aus. Um die sich rasch einstellende Langeweile zu vertreiben, müssen sie durch neue ersetzt werden. Daher wird sich die Kunst immer neu selbst überbieten, um immer noch reizvollere Abwechslung zu schaffen. Wer das einmal erkannt hat, wird die von der Kunst gebotene Zerstreuung bald als langweilig empfinden. Er wird sie beiseitelassen und bessere Zerstreuung suchen. Oder er gibt das Suchen nach Zerstreuung den Kunstwerken gegenüber auf, um in ihnen etwas anderes zu entdecken. Was könnte dieses Andere sein? Es gibt Kunstwerke, deren Entstehen in gewisser Weise einen Tod zur Voraussetzung hat. Nur die Bereitschaft zum Scheitern, nur die erlittene Möglichkeit des Scheiterns lässt sie entstehen. Warum sollte in der Kunst immer neu das Eigene, Vertraute und Erworbene aufgegeben werden? Eben um das zu erreichen, das nicht die Wiederkehr des immer Gleichen ist, sondern das Neue, das noch nie Dagewesene.

    DAS FREMDE SEHEN

    Um 1800 ist Gott aus der europäischen Kunst verschwunden. Tausend Jahre lang wurden in ihr immer neue Bilder Gottes entworfen. Doch auf einmal war es damit vorbei. In den letzten zwei Jahrhunderten wandten sich Künstlerinnen und Künstler den Menschen und ihrer irdischen Welt, der Natur und den Dingen zu. Wenn Bilder Gottes oder der Heiligen auftauchen, sind es Erinnerungen an längst Vergangenes, nur sehr selten die Gestaltung erlebter Gegenwart. Sehr selten durchbricht das Bild einer überirdischen Macht die Konzentration auf das Irdische. Ist Gott in der Kunst überflüssig geworden? Sind ihr die Heiligen abhandengekommen? Ist ihr der Glaube zunehmend verloren gegangen? Der Glaube in der Kunst?

    Einige der großen Künstler der Moderne, wie Paul Cézanne oder Vincent van Gogh, waren tiefgläubig. Doch nur ausnahmsweise wird in ihren Bildern inhaltlich auf die Religion Bezug genommen. Und auffallend ist, dass gerade diese Arbeiten zu den eher schwachen zählen, die es im Werk eines jeden noch so bedeutenden Künstlers auch gibt. Andere Künstler, deren Werk wesentlich in permanenter Selbstdarstellung bestand, haben merkwürdigerweise bestimmte Aktionen in der Öffentlichkeit sorgfältig verheimlicht. Die Wallfahrten von Yves Klein nach Cascia oder die Tätigkeit Andy Warhols in einem Obdachlosenheim wurden erst nach dem Tod der Künstler bekannt. Francis Bacon hat sich beharrlich als Atheist bezeichnet, doch gibt es in seinem Werk erstaunliche Hinweise auf zentrale Themen des Glaubens. Auch er ist Notleidenden beigestanden, ohne diese Hilfe bekannt zu machen. Hinweise auf Religiöses und Spirituelles sind in den Werken vieler Künstlerinnen und Künstler zu finden. Nicht selten sind diese Hinweise Teile einer privaten Spiritualität, die heute sehr oft zu finden ist. Mit Glauben muss das alles nicht unbedingt zu tun haben. Je mehr daher auch in der Kunst von Spiritualität die Rede ist, je ausdrücklicher sich Kunstwerke auf Spiritualität beziehen, desto mehr ist ein nüchterner und unterscheidender Blick gefordert.

    Mit Glauben ist im Folgenden eine Haltung des Vertrauens gemeint. Vertraut wird der Wahrheit bestimmter Aussagen der Heiligen Schrift und der kirchlichen Tradition. Vertraut wird vor allem einem lebenden Gegenüber, Gott und Menschen. Glauben kann ich selber nicht erzeugen. Er wird mir geschenkt, in mir von anderen wachgerufen. Glauben bedeutet daher, in der Beziehung zu einem Anderen, einem Fremden zu leben.

    Was ist mit Kunst gemeint? Eine von einem autonom agierenden Subjekt, dem Künstler oder der Künstlerin, geschaffene Kunst ist eine Erfindung des 16. Jahrhunderts. Giorgio Vasari hat mit seinen Lebensbeschreibungen der berühmtesten Architekten, Maler und Bildhauer Italiens wesentlich zur Entstehung und der Verbreitung dieser Vorstellung beigetragen.¹¹ Das Tun der Künstler wurde mit dem Handeln Gottes verglichen. Sie galten als die Schöpfer eigenständiger Welten, gottähnliche Urheber von Wirklichkeit. Im Geniebegriff des 19. Jahrhunderts sollte sich diese Vorstellung vollenden. Sie wirkt heute noch immer nach. Das Genie unserer Zeit praktiziert die Kunstreligion vor allem in Beziehung auf den Kunstmarkt. Insoweit ist es vom Glauben denkbar weit entfernt.

    Ich will im Folgenden auf etwas hinweisen, das, wie mir scheint, sowohl auf Seiten der Kunst als auch auf Seiten der Kirche zu wenig Beachtung findet. Bei genauem Betrachten der modernen und der zeitgenössischen Kunst stellt sich nämlich heraus, dass für den Glauben in diesem Bereich eine ungeheure Bereicherung zu entdecken ist. Umgekehrt entdeckt der Blick des Glaubens in dieser Kunst Aspekte, die ihre Bedeutsamkeit außerordentlich vertiefen, die aber anderen Betrachtern weitgehend verborgen bleiben.

    Glaube und Kunst stehen sich heute als Fremde gegenüber. Wer aber lernt, das Fremde zu betrachten, dem tun sich auch im Eigenen neue Welten

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