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Im Schatten des Lichts: Bekenntnisse einer Tochter aus gutem Hause
Im Schatten des Lichts: Bekenntnisse einer Tochter aus gutem Hause
Im Schatten des Lichts: Bekenntnisse einer Tochter aus gutem Hause
eBook306 Seiten3 Stunden

Im Schatten des Lichts: Bekenntnisse einer Tochter aus gutem Hause

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Über dieses E-Book

Die schicke Gesellschaft der 1950er und 1960er Jahre mit ihren rauschenden Bällen und ausgelassenen Partys, den Stars und feinen Zirkeln, bildet die Kulisse für diese dramatische Familienchronik, in der Sissy Böhm, älteste Tochter von Karlheinz Böhm, ihre persönliche Geschichte und die ihrer Vorfahren beschreibt.
SpracheDeutsch
HerausgeberSeifert Verlag
Erscheinungsdatum11. Juli 2015
ISBN9783902924476
Im Schatten des Lichts: Bekenntnisse einer Tochter aus gutem Hause

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    Buchvorschau

    Im Schatten des Lichts - Sissy Böhm

    Unveränderte eBook-Ausgabe

    Copyright © 2015 Seifert Verlag

    Quellenhinweise

    Coverfotos: Foto Karlheinz Böhm: Schneider Press, Foto Erwin Schneider; Foto Ly Zonewa mit Sissy Böhm: Sissy Böhm privat

    Foto 4. Umschlagseite: Foto Quirin Leppert

    Innenteil: Wo nicht anders genannt, stammen die Bilder im Bildteil von Schneider Press/Erwin Schneider. Von Schneider Press stammen auch die bearbeiteten Scans.

    Die abgedruckten Dokumente wurden uns dankenswerter Weise von Sissy Böhm zu Verfügung gestellt.

    Trotz aufwendiger Recherche war es uns nicht möglich, bei der Drucklegung des Buches jeden einzelnen Urheber der abgedruckten Fotos ausfindig zu machen. Der Verlag bittet um Verständnis dafür und wird gegebenenfalls Urheberrechtsansprüche in angemessener Form nachträglich abgelten.

    1. Auflage (Hardcover) Februar 2015

    ISBN: 978-3-902924-47-6

    ISBN des Hardcovers: 978-3-902924-32-2

    Seifert Verlag GmbH

    Ungargasse 45/13

    1030  Wien

    www.seifertverlag.at

     |  facebook.com/seifert.verlag

    Inhaltsverzeichnis

    Widmung

    Vorwort

    Abschied

    1. Anfang

    Über den Wolken

    Die Braut aus der Luft

    »Ninis Fluch«

    2. Sissy mit Ypsilon

    Mehr tot als lebendig

    Strohwitwe Böhm in Grünwald

    Der letzte Winter

    3. Schicksalsjahre

    Ein Alptraum beginnt

    Zuckerbrot und Peitsche

    Ly macht Karriere

    Im Bauernhaus am Tegernsee

    4. Unterwegs

    Schloss Stein an der Traun am Chiemsee

    Cureggia und ein Zwischenfall in Baldham

    Lys Männer

    Karlheinz ist unzuständig

    Eine Trotzreaktion mit s­chwerwiegenden Folgen141

    Geschlossene Anstalt

    5. Auf eigenen Beinen

    München Lehel

    Neuanfang in Paris

    Bei Rainer Werner Fassbinder

    Reza

    Romy

    Das Hotel »George V«

    Eine geplatzte Hochzeit

    6. Rückkehr

    Begegnung auf dem See

    Rainer II.

    Karl und Thea gehen

    »Menschen für Menschen«

    7. Späte Zeiten

    Noch mehr Hochzeiten

    Auf ewig Muz

    Zu Strassburg gegen Mitternacht

    Der letzte Besuch

    Nachwort

    Danksagung

    Bildteil

    Ich widme dieses Buch meinem Sohn Florian Karl Dragomir Böhm und wünsche mir für ihn, dass er mit Anstand, Liebe – und der notwendigen Portion Glück sein Leben lebt.

    VORWORT

    Vor über drei Jahrzehnten habe ich begonnen, meine Gedanken und Gefühle niederzuschreiben, um mich aus meinem »Seelengefängnis« zu befreien. Angst und Scham hinderten mich daran, öffentlich darüber zu berichten. Und das war gut. Denn heute weiß ich, dass man nach jedem Jahrzehnt sein Leben aus einer anderen Perspektive sieht – und daran wächst.

    Aber ich weiß auch, dass es Dinge gibt, die nach außen drängen und einen nicht ruhen lassen, bis sie ans Licht gekommen sind.

    Dieses Buch, das mir geholfen hat, mit meiner Vergangenheit ins Reine zu kommen, soll auch den Grundstein bilden für ein neues Musiktherapie-­Institut für traumatisierte Kinder, das ich hier in ­Tirol, in meiner neuen Heimat, gründen möchte. Damit verwirkliche ich ein Projekt, mit dem ich mich seit sechs Jahren intensiv beschäftige.

    Sissy Böhm

    ABSCHIED

    Der Mai 2014 war zumeist kalt und verregnet gewesen. Während sonst um diese Jahreszeit die Balkone der Häuser hier in den Tiroler Bergen beinahe überquollen von leuchtendroten Geranien, tauchte dieses Jahr nur spärlicher Pflanzenschmuck an Fenstern und Brüstungen auf. Der Frost war zu hartnäckig gewesen. Die Wolken wollten nicht weichen, hingen tief in die Täler herab, und die Sonne zeigte sich oft tagelang nicht.

    Ich arbeitete bereits seit Monaten an meinem Buch, in dem ich mein Leben und die Spuren, die meine Eltern und Vorfahren darin hinterlassen hatten, aufzeichnen wollte. Vieles drängte schon seit langem an die Oberfläche, darunter manches Schöne, das ich gerne aus meiner Erinnerung hervorholte, aber auch anderes, das zu vergessen ich mich seit vielen Jahren vergeblich bemüht hatte.

    Auch an diesem Donnerstag, dem 29. Mai, saß ich im Erker meines Wohnzimmers am Schreibtisch, umgeben von alten Aufzeichnungen, Bildern, Briefen und zahllosen Erinnerungsstücken, und wollte eben mit der Arbeit beginnen, als das Telefon läutete.

    Almaz war dran, die äthiopische Ehefrau meines Vaters Karlheinz Böhm, die er 1991 in vierter Ehe geheiratet hatte. Er hatte die um 36 Jahre jüngere Agraringenieurin in Addis Abeba bei seiner Hilfsorganisation »Menschen für Menschen« kennengelernt, sie hatte ihm zwei Kinder geboren, und nun, da er seit geraumer Zeit schon bettlägerig war, lebte sie mit ihm in seinem Haus in Grödig bei Salzburg. Ich wusste, dass es ihm sehr schlecht ging, und instinktiv erschrak ich, als ich jetzt Almaz’ Stimme hörte.

    »Dein Vater ist tot«, sagte sie und begann zu weinen. Ich holte Luft, um etwas zu sagen, und fühlte, wie mein Herz bis zum Hals klopfte. Obwohl ich auf diese Nachricht schon gefasst war, denn ich hatte immer wieder in Grödig angerufen, um mich nach seinem Zustand zu erkundigen, und die Antworten waren von Mal zu Mal ernster und zuletzt hoffnungslos ausgefallen, war es ein Schock für mich. Ich suchte nach Worten, aber brachte nur heraus: »Wann ist es passiert?«

    »Knapp vor vier Uhr Nachmittag«, sagte Almaz, und dann: »Du bekommst Nachricht von mir, wann das Begräbnis ist.«

    Benommen kehrte ich an den Schreibtisch zurück. In einer Ecke des Sofas lehnten die zwei Bambis, die Romy Schneider und mein Vater zur Premiere des ersten Sissi-Filmes von Margarethe Steiff und ­Aenne Burda bekommen hatten. Romy und mein Vater hatten sie wenig später an mich weitergeschenkt. Mein Blick fiel jetzt darauf, und auf den kleinen silbernen Becher mit der eingravierten Widmung »Meinem geliebten Schnurpsilein von deinem Papi«, den ich als Kind von Vater erhalten hatte und seit meiner Internatszeit als Zigarettenhalter verwendete. Es war also vorbei: mehr als dreißig Jahre Einsatz für Afrika durch »Menschen für Menschen« und eine fast ebenso lange Schauspielerkarriere mit dem frühen Erfolg der Sissi-Filme, einem Erfolg, den er als Schauspieler nicht wiederholen konnte, jedoch als Philanthrop im fernen Äthiopien noch übertroffen hatte.

    Wenige Tage später kam ein Schreiben von Almaz, in dem sie mich und meinen Sohn Florian am 13. Juni zur Beerdigung und einem anschließenden Zusammensein im engsten Familien- und Freundeskreis bat. Die Einladung war förmlich gehalten. Der Landeshauptmann von Salzburg, Dr. Wilfried Haslauer, so stand darin, habe dem Verstorbenen ein Ehrengrab der Stadt Salzburg zugedacht und lade zu einem Empfang in die Salzburger Residenz.

    Am Morgen des 13. Juni fuhren Florian und ich los, mit einem riesigen Trauerbukett, einem Herz aus lauter weißen Rosen, im Kofferraum meines VW Beetle.

    Als wir in der Residenz, dem ehemaligen Sitz der Salzburger Fürsterzbischöfe, eintrafen, warteten dort schon meine Halbgeschwister Michael und Daniela, die Kinder aus der zweiten Ehe meines Vaters mit Gudula Blau. Ihre Schwester Kristina befand sich noch mit Almaz hinter der Bühne und stieß erst später zu uns. Man hatte uns allen einen Platz vorne in der rechten Bankreihe zugewiesen. Katharina, die Tochter aus Vaters dritter Ehe mit Barbara Lass, war nicht gekommen. Vor den Sitzreihen liefen Kameraleute hektisch hin und her, um uns zu fotografieren: die ältesten Kinder der verstorbenen Wohltäter-Ikone.

    Langsam füllte sich hinter uns der Saal. Rund eine Stunde verging, ohne dass etwas geschah, dann war plötzlich Gemurmel und Geraune zu hören, kurz darauf wurde es still, und alle Blicke richteten sich nach vorne.

    Almaz kam langsam über die Stiege herab, die an der Stirnseite des Saales zur Bühne führte, gestützt von ihren beiden Kinder Nicolas und Aida. Ihre äthiopischen Verwandten sowie Gäste, die sie zum Begräbnis hatte einfliegen lassen, folgten. Auch Repräsentanten der äthiopischen Regierung waren darunter. Vor den Sitzreihen angelangt, hielt die Gruppe sekundenlang inne, mit den Gesichtern zu den Gästen im Saal. Dann nahmen alle Platz, auf der linken Seite der Stuhlreihen, getrennt von uns anderen durch den Mittelgang.

    So war es immer, schoss es mir in diesem Augenblick durch den Kopf. Wir hatten immer ein separates Leben geführt. Hier Karlheinz und Almaz mit Nicolas und Aida und der weitverzweigten äthiopischen Verwandtschaft, und da die Kinder aus den früheren Ehen. Nur Katharina war davon ausgenommen. Kathi hatte bei meinem Vater eine Sonderstellung, an der konnte auch Almaz nicht rütteln. Kathi lebte mit ihrem Sohn immer noch in Baldham bei München, im Hause der Eltern. Sie hatte mit ihrer Mutter Barbara und den Großeltern Böhm sogar so etwas wie ein Böhm’sches Familien­leben genossen. Heute bin ich davon überzeugt, nach allem, was ich von meiner Großmutter mütterlicherseits weiß, dass Barbara Lass, die Mutter von Kathi, die einzige seiner Frauen war, die Karlheinz Böhm wirklich geliebt hatte. Ich hatte Kathi zuletzt vor fünf Jahren gesehen, als ich meinen Vater einmal um Unterstützung für meine Firma gebeten und er mich an Almaz verwiesen hatte, die seine finanziellen Angelegenheiten regelte. Almaz hatte mich daraufhin in das Büro des Vermögensverwalters Andreas Seck bestellt. Dort war ganz unvermittelt auch Kathi aufgetaucht.

    »Ich habe Katharina gebeten, dabei zu sein«, hatte Almaz erklärt, »weil ich dich nicht kenne.«

    »Ich hätte das ja auch lieber mit meinem Vater selbst besprochen«, hatte ich geantwortet.

    Und darauf Almaz: »Erwartest du jetzt in Gegenwart deiner Schwester, dass sich dein Vater bei dir entschuldigt, dass er nie für dich da war?«

    Daran fühlte ich mich in diesem Augenblick erinnert, angesichts der »Kluft«, die uns von Almaz und den Ihren trennte.

    Nun begannen schon die Ansprachen: Der deutsche Ex-Bundespräsident Horst Köhler ergriff das Wort, dann die Vizepremierministerin von Äthiopien, Vertreter von »Menschen für Menschen«, Salzburgs Landeshauptmann Haslinger und die ehemalige Landeshauptfrau Gabi Burgstaller als Freundin der Familie.

    Dann trat Almaz’ Tochter Aida auf die Bühne und sang Leonard Cohens »Hallelujah«.

    Weiter ging’s in den Trauer­reden, die alle wortreich den Wohltäter Karlheinz Böhm und sein Lebenswerk »Menschen für Menschen« lobten, welches Almaz als Schirmherrin weiterführen würde.

    Unter den Trauergästen hatte ich Bully Herbig entdeckt, der die Stiftung seit längerem unterstützt. Dass Sara Nuru, die Gewinnerin von Germany’s Next Topmodel mit äthiopischen Wurzeln auch anwesend war, entnahm ich erst später den Zeitungen. Frank Elstner, in dessen Sendung »Wetten dass…« der Grundstein für »Menschen für Menschen« gelegt worden war, fehlte, auch Blacky Fuchsberger. Aber der gehörte sowieso der Schauspieler-Vergangenheit meines Vaters an, um die es hier nicht ging. Der Wohltäter hatte den Schauspieler längst an Ansehen übertroffen.

    Auf die Feier im Carabinieri-Saal der Residenz folgte das Begräbnis auf dem Salzburger Kommunalfriedhof. Die Trauergemeinde war nun geschmolzen, Almaz hatte eine Bestattung im engsten Familien- und Freundeskreis geplant. Eine evangelische Pfarrerin hielt die Grabrede, das hatte mein Vater sich gewünscht. Fast musste ich lächeln, als ich daran dachte, wie streng katholisch Thea und Karl Böhm ihren Sohn Karlheinz erzogen hatten. Dass jetzt eine evangelische Pfarrerin die Grabrede hielt, wirkte wie ein später Protest des Sohnes gegen die übermächtigen Eltern.

    Dann begann das Trauerdefilee. Langsam bewegte sich der Zug hin zum Grab, vor dem zwei Holzkästen aufgestellt waren. Einer gefüllt mit Erde aus Äthiopien, der andere mit österreichischer Erde. Mein Vater hatte sich einmal vor Jahren gewünscht, in Äthiopien begraben zu werden, deshalb hatte Almaz äthiopische Erde einfliegen lassen.

    Äthiopien. In Äthiopien wusste man gar nicht, dass ich existierte, oder Daniela oder Michael oder Kristina. Daniela, Michael und ich hatten einander überhaupt erst beim Begräbnis unseres Großvaters Karl Böhm im Jahr 1981 zum ersten Mal gesehen, Kristina war ich einmal kurz in Wien begegnet. Und jetzt waren wir vor dem Grab unseres leiblichen Vaters wieder zusammengekommen. Immer nur vor Gräbern. Ich konnte eine gewisse Bitterkeit nicht unterdrücken, als ich mich bückte, um die Schaufel mit Erde aufzunehmen. In einiger Entfernung erblickte ich eine Schar einheitlich gewandeter Männer, sie trugen schwarze Anzüge mit schwarzen Pelerinen über die Schultern – die Freimaurer-Brüder meines Vaters. Und auch Katharina war auf dem Friedhof aufgetaucht. Sie stand abseits mit ihrem Sohn Samuel.

    Und da war noch jemand, den ich unter den Trauernden entdeckt hatte. Eva Hess. Die Geliebte meines Vaters, die ihn zuerst nach Afrika begleitet hatte. Mit ihr hatte Vaters Engagement damals in Äthiopien angefangen.

    Als wir uns danach in Vaters Lieblingsgasthof wieder versammelten, teilten sich Daniela und Kristina mit Eva einen Tisch. Michael mit seinen beiden Söhnen, mein Sohn Florian und ich saßen gleich daneben. Natürlich tauschten wir Erinnerungen aus, denn alle hatten wir ja unsere Geschichte, die uns mit dem Verstorbenen verband.

    Die meine ging so:

    ANFANG

    Über den Wolken

    Ly wollte gerade ihre kleine Wohnung im Pariser Faubourg St. Honoré verlassen, als das Telefon klingelte. Ihre Freundin Greta, Chefstewardess der Air France, war am Apparat: »Kannst du mich auf dem Flug München–Berlin vertreten? Ich hatte einen Unfall.«

    »Was ist passiert? Ist es schlimm?«, fragte Ly entsetzt. Aber Greta beruhigte sie. »Nein, nicht so schlimm. Ich hatte einen Auffahrunfall. Eine leichte Gehirnerschütterung.«

    Ly atmete auf. »Gott sei Dank!« Aber es blieb jetzt keine Zeit, nach den näheren Umständen von Gretas Unfall zu fragen. Sie zog sich in Windes­eile an, rief ihren amerikanischen Verlobten an, um ihm zu sagen, dass sie in zwei Tagen zurück sei, und rannte aus dem Haus.

    Auf der Fahrt zum Flughafen überließ sie sich den Gedanken an ihre Beziehung mit dem Schauspieler aus Amerika und malte sich aus, wie ihr Leben an seiner Seite in den Staaten aussehen würde. Würde sie sich den dortigen Verhältnissen anpassen können? Sie liebte doch die Alte Welt über alles, das Pariser Savoir-vivre, die europäische Kultur, die Sprachenvielfalt, das alles würde ihr dort fehlen.

    Die ganze Zeit über war sie so in Tagträumen versunken, dass sie in der Air-France-Maschine anfangs nicht so sorgfältig auf die üblichen Formalitäten achtete, wie es eigentlich die Pflicht einer Chefstewardess gewesen wäre. Daher entging ihr in der Passagierliste auch der Name eines Schauspielers, der von der Presse in Berlin schon begierig erwartet wurde.

    Nachdem sie die Liste beiseite gelegt hatte, begann sie die Gäste vorschriftsmäßig zu begrüßen. Sie hatte noch nicht einmal geendet, da meldete sich auch schon ein junger Mann zu Wort und verlangte ungeduldig ein Frühstück mit Champagner.

    Ly beherrschte sich mühsam, weil der Passagier ihr so unwirsch ins Wort gefallen war, wandte sich dann um und strebte an ihm vorbei, den Gang zurück.

    Da setzte er nach: »Wissen Sie nicht, wer ich bin?«

    Sie blieb stehen: »Verzeihen Sie, nein«, erwiderte sie. »Wer sind Sie denn?«

    »Ich bin Karlheinz Böhm«, kam es aus der Richtung des jungen Mannes. »Auf dem Weg zum Dreh von ›Salto Mortale‹.«

    Ly beeindruckte das gar nicht. Der Umgang mit illustren Persönlichkeiten war ihr nicht neu, sie kannte eine Menge davon, und dieser vorlaute Schauspieler sollte erst einmal lernen, sich zu benehmen.

    »Na und?«, gab sie daher zurück. »Das berechtigt Sie noch lange nicht, mich in diesem Ton zu behandeln. Sie werden Ihr Frühstück bekommen, sobald wir in der Luft sind.«

    Aber als die Maschine dann endlich in der Luft war und Ly, wie angekündigt, das Champagnerfrühstück durch den Gang heranbalancierte, geschah das Malheur: Die Maschine sackte in ein Luftloch ab, und Champagner wie Brötchen glitten über Karlheinz Böhms Kopf hinweg und hinunter in seinen Schoß.

    Er war empört.

    Ly entschuldigte sich tausendmal, eilte sofort, um einen Stapel Tücher zu holen und die Spuren ihres Missgeschicks so gut es ging zu beseitigen. Aber natürlich gelang ihr das nicht, und so bot sie dem aufgebrachten Schauspieler an, den Anzug in Berlin in die Reinigung zu bringen.

    Als sie in Berlin landeten, hatte er sich offenbar eines Besseren besonnen, schlug Lys Angebot aus und machte ihr seinerseits das Angebot, sie zu einem Abendessen einzuladen.

    Sie lehnte ab, denn immerhin war sie verlobt, aber Karlheinz Böhm ließ nicht locker. Er fand auf unerklärlichen Wegen heraus, in welchem Hotel sie in Berlin übernachtete, schickte ihr einen Strauß roter Rosen und wiederholte seine Einladung.

    Wieder lehnte Ly ab. Und tags darauf nahm sie die Maschine zurück nach Paris.

    Aber manchmal scheint ein bestimmter Weg für einen vorgezeichnet zu sein, denn nach einem guten halben Jahr begleitete Ly eine Maschine von Paris nach Wien, und der Zufall wollte es, dass jener vorlaute Schauspieler ausgerechnet wieder in ihrer Maschine saß. Auch diesmal war er unterwegs zu einem Dreh. Ein Film über eine ehemalige österreichische Kaiserin sollte es werden, über Kaiserin Sisi.

    In Wien nahm Ly nun allerdings seine Einladung zum Abendessen an. Der Eindruck, den Karlheinz Böhm an diesem Abend bei ihr hinterließ, muss überwältigend gewesen sein, denn als sie tags darauf nach Paris zurückflog, war es, um die Verlobung mit ihrem amerikanischen Freund zu lösen.

    So wurde mir das Zusammentreffen meiner Mutter und meines Vater wieder und wieder beschrieben. Es geschah im Frühjahr 1953. Mein Vater, Karlheinz Böhm, war gerade 25 Jahre alt, und meine Mutter, Elisabeth »Ly« Zoneva, war 22.

    Die Braut aus der Luft

    Ly und Karlheinz verbrachten die kommenden Ostern miteinander. Danach stand für beide fest, dass sie füreinander bestimmt waren, und die Hochzeit war eine beschlossene Sache.

    Als Ly ihrer Mutter die Nachricht überbrachte, freute die sich natürlich über die Euphorie, die in Lys Erzählungen mitschwang, allerdings fand sie es auch ein wenig merkwürdig, wie rasch ihre Tochter von einer »großen Liebe« in die nächste »große Liebe« hineingetaumelt war, und die Idee einer Eheschließung mit einem Filmschauspieler erschien ihr eigentlich nicht wirklich »standesgemäß«. Auch Lys Adoptivvater Dragomir, der zur damaligen Zeit noch in Sofia im Gefängnis saß, bereitete dies ein wenig Kopfzerbrechen, denn ein Filmschauspieler hatte für ihn – im Unterschied zu einem Theatermimen – immer etwas von einem Filou.

    Karl und Thea Böhm, die Eltern von Karlheinz, zeigten sich ebenfalls nicht sehr erbaut von den Plänen ihres einzigen Sohnes. Dementsprechend zurückhaltend verlief auch das erste Treffen zwischen ihnen und Lys Mutter, meiner Großmutter Muz.

    Karl Böhm hatte seine Dirigentenkarriere schon nach dem Ersten Weltkrieg begonnen und während des Zweiten Weltkriegs einen ersten Höhepunkt seiner Popularität erlebt. 1944 hatte man ihn in die sogenannte »Gottbegnadeten-Liste« der Dirigenten aufgenommen, was bedeutete, dass er nicht in den Krieg eingezogen werden konnte. Und obwohl er nach dem Krieg von den Alliierten aufgrund seiner allzu großen Nähe zum NS-Regime ein Auftrittsverbot erhalten hatte, konnte an seiner Genialität und seinen Verdiensten um die Musikrezeption kein Zweifel bestehen.

    Das wusste nicht nur er, das wussten auch die Leute, die in der Kultur das Sagen hatten, und so wurde er nach dem Ende der Besatzungszeit 1955 ein zweites Mal zum Direktor der Wiener Staatsoper bestellt, nachdem er diese Position bereits in den Kriegsjahren 1943–1945 innegehabt hatte.

    Karl Böhm ging vollkommen in seinen künstlerischen Ambitionen auf, daher oblag alles, was die Dinge des Alltags betraf, und dazu gehörte auch das Wohlergehen seines Sohnes Karlheinz,

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