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Die Angst vor Jakob: Psychotherapeutische Geschichten
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Die Angst vor Jakob: Psychotherapeutische Geschichten
eBook126 Seiten1 Stunde

Die Angst vor Jakob: Psychotherapeutische Geschichten

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Über dieses E-Book

Wie geht man damit um, verlassen zu werden? Wie mit der Angst um liebe Menschen? Wie mit der Angst vor dem Tod? Und wie mit sich selbst? Ein Maler, der nicht mehr zärtlich sein kann, ein Geschäftsmann, den es beinahe bildlich zwischen seiner Frau und seiner Geliebten zerreißt, eine junge Studentin, die sich hinter Make-up und Mode versteckt oder ein Ehepaar, das aneinander vorbeilebt und sich belügt: Empathisch erzählt die Therapeutin von Begegnungen in ihrer Praxis, lässt den Leser teilhaben an ihren eigenen Assoziationen und Empfindungen und an der Entwicklung von Lösungen. Es sind berührende Geschichten, direkt aus dem Leben gegriffen. In den acht bewegenden Geschichten der erfahrenen Psychotherapeutin Elisabeth Jupiter geht es stets um das Wichtigste im Leben eines Menschen: um die Liebe, um den Tod, um das Überleben - und immer wieder um das Ich, das in jeder der Geschichten gesucht, bisweilen auch gefunden wird.
SpracheDeutsch
HerausgeberPicus Verlag
Erscheinungsdatum1. Aug. 2012
ISBN9783711751102
Die Angst vor Jakob: Psychotherapeutische Geschichten

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    Buchvorschau

    Die Angst vor Jakob - Elisabeth Jupiter

    Herz mit Narben

    Walter S.

    Es kommt in meiner Praxis relativ selten vor, dass sich Männer allein zur Therapie anmelden. Oft rufen die Frauen im Vorfeld an, um ihre Partner anzumelden, oder sie selbst beginnen eine Einzeltherapie, bis sich herausstellt, dass da ohne Mann nichts zu machen ist. In einigen Fällen war es dann auch so, dass die Frauen zwei oder drei Sitzungen absolvierten, dann die Männer dazukamen und eine fruchtbare Paartherapie entstand. Oder auch umgekehrt, dass die Therapie als Paartherapie begann und dann in Einzeltherapien überging. Ich bin systemische Familientherapeutin; da ist so etwas möglich. Denn die Systemiker gehen davon aus, dass jedes System, also auch ein Familiensystem, dazu neigt, sich selbst am Leben zu erhalten. Das bedeutet also, dass, wenn sich ein Teil des Systems ändert, die anderen Teile mitziehen müssen, damit das System als Ganzes bestehen bleibt. Für Familiensysteme eine naheliegende Überlegung, obwohl ich sagen muss, dass der manchmal häufige Wechsel von Einzel- zu Paartherapie und umgekehrt ein derartiger Drahtseilakt ist, dass ich mir mitunter wünsche, ich wäre Psychoanalytikerin. Da käme so etwas auf keinen Fall infrage.

    Gut, bei Walter war es anders; er rief an und verlangte nach einem Termin für eine Einzeltherapie. Zur vereinbarten Stunde öffnete ich die Tür und vor mir stand ein Mann um die sechzig, groß, stattlich, wie man bei Männern statt übergewichtig zu sagen pflegt, mit einem sehr schönen Gesicht, das allerdings zu einem Drittel von einer riesigen Brille verdeckt war. Er schwitzte, obwohl es nicht heiß war. Ich bat ihn herein und es war offensichtlich, dass er sich nicht wohlfühlte, auch konnte er es sich in meinem Fauteuil nicht wirklich bequem machen. Er blieb sozusagen am Sprießerl, an der Kante des Sessels, sitzen und drückte seine Unbehaglichkeit auch damit aus, dass er sagte:

    »Wissen Sie, ich halte überhaupt nichts von Psychologie, die einzigen Ärzte, die für mich etwas können, sind Chirurgen!«

    Diese Abwertung sah ich als Ausdruck seiner Unsicherheit, obwohl er es im Brustton der Überzeugung und mit einem faszinierenden Charme gesagt hatte.

    Dennoch reagierte ich rigid, indem ich ihm die Unterschiede zwischen Medizin, Psychologie, Psychiatrie und Psychotherapie darlegte. Diese objektive Schilderung der verschiedenen Disziplinen diente einerseits der Aufklärung, andererseits aber auch dazu, ihm zu zeigen, dass ich mich nicht beleidigt fühlte und seine Unsicherheit verstehen konnte.

    Walter schien kein Schöngeist zu sein, er war Geschäftsmann, und es wunderte mich, dass er mich aufgesucht hatte. Ich war auf eine Überraschung gespannt, die nicht lange auf sich warten ließ. Er erzählte, dass er einen Herzinfarkt gehabt habe, seither sehr ängstlich sei und dass ihm auch von den Ärzten zu einer Psychotherapie geraten worden sei. Obwohl, wie er wiederholte, er ja eigentlich nichts davon halte, denn der Infarkt sei ohnehin nicht wieder ungeschehen zu machen. Leider, wie er betonte.

    Auf meine Intervention, dass er nun doch hier sitze, reagierte er, wie man auf so einen platten Psychotherapeutenschmäh nur reagieren kann, mit einer Miene, die »No na« ausdrückte.

    »Ein Herzinfarkt ist immer ein Schuss vor den Bug!«, versuchte ich es.

    »Das können Sie laut sagen, ich sterbe vor Angst vor dem Tod!«

    Eine herrliche Definition! Wir waren sofort mittendrin!

    Genau das mag ich so an Therapien mit Männern, dass sie erst kommen, wenn sie schon alles andere wie spielen, saufen, betrügen, Extremsport, monatelanges Vor-dem-Fernseher-Liegen versucht haben. Das heißt, sie sind dann einfach wirklich so weit, sich mit dem Problem auseinanderzusetzen und man erspart sich einige Monate des Herumredens.

    »Das Wissen um und die Angst vor dem Tod begleiten uns alle ein Leben lang.«

    »Schauen Sie, ich bin nicht da, um zu philosophieren, sondern ich will Ihre Hilfe, um diese Angst zu überwinden.«

    »Das wollen alle Religionen und Philosophien seit Tausenden von Jahren erreichen, glauben Sie, dass wir das hier schaffen können?«

    Es kam keine Antwort, aber er schien ziemlich genervt. Ein praktischer Mensch, ein Geschäftsmann.

    Als ich sagte, ein Herzinfarkt sei immer ein Schuss vor den Bug, meinte ich das auch aus tiefster Seele. Denn auch mir war eine Herzphobie nicht fremd. Walter war nun ganz konkret mit Todesangst konfrontiert und ich konnte seine Angst sehr gut nachvollziehen.

    »Hören Sie mir auf mit Religion und Philosophie, davon verstehe ich nichts, aber ich will mein Leben wieder so genießen können wie vorher.«

    »Vor dem Infarkt?«

    »Ja.«

    »Was konnten Sie denn besonders genießen?«

    »Zum Beispiel beim Ausgehen mit meinen Freunden, da hatten wir immer eine Riesenhetz und es wurde viel und gut gegessen. Die anderen haben auch viel getrunken, aber das schmeckt mir nicht, nach einem Bier habe ich genug und Wein kann mir überhaupt gestohlen bleiben.«

    »Was hindert Sie jetzt an diesem Genuss?«

    Er schaute mich erstaunt und fragend an: »Aber ich darf doch nicht mehr fressen, was ich will!«

    »Fressen?«

    »Na, eben vernünftig sein, ein Steak, Salat und aus.«

    »Steak und Salat klingt nicht so schlecht.«

    »Keine Vorspeise, keine Erdäpfel, keine Nachspeise, das soll ein Genuss sein?«

    »Ich könnte mir vorstellen, dass das für viele Menschen ein Genuss ist.«

    »Wissen Sie, was mir die Psychologin bei der Rehabilitation geraten hat?«

    »Nein.«

    »Sie sagte, dann gehen Sie halt einfach nicht mehr mit den Freunden essen, wenn Sie sich nicht beherrschen können. So ein Trampel, das hätte mir auch die Hausmeisterin sagen können.«

    »Beherrschung ist ein Instrument, auf dem nur wenige spielen können.«

    »Wissen Sie, ich brauche keine Therapie, denn ich liebe das Leben.«

    Selten höre ich als Therapeutin, dass jemand das Leben liebt. Und es war natürlich eine ganz besondere Herausforderung, das von jemandem zu hören, der gerade einen Herzinfarkt gehabt hatte und auch nicht mehr der Jüngste war.

    Natürlich macht es einen großen Unterschied, ob man eine Herzphobie behandelt oder einen Menschen, der wirklich schon einen Infarkt hatte. Bei der Phobie handelt es sich um den zwanghaften Kontrollwunsch, Ort und Zeitpunkt des Todes selbst bestimmen zu wollen, allerdings natürlich gleichzeitig auch die große Angst genau davor. Nach einem Infarkt geht es aber darum, etwas in seinem Leben zu verändern. Also vor allem herauszufinden, was dazu geführt haben kann. Einerseits bin ich eine Vertreterin der Schulmedizin und halte den Einfluss der Psyche auf das Auftreten physischer Erkrankungen nur für minimal, aber andererseits ist es schon offensichtlich, dass jeder, wenn er psychisch angeschlagen ist, auch anfälliger für Viren aller Art ist. Und ein Herzinfarkt ist sicherlich das Resultat von mehreren Faktoren.

    Allerdings: Walter rauchte schon seit zwanzig Jahren nicht mehr und Alkohol war für ihn überhaupt kein Thema. Also mussten doch psychische Faktoren wie zum Beispiel Stress eine Rolle spielen.

    Ich wollte mehr über sein Leben wissen, daher fragte ich ihn, ob er verheiratet sei, was ich eigentlich als selbstverständlich vorausgesetzt hatte.

    »Ja, seit über vierzig Jahren, und ich habe eine Tochter und eine Enkelin, die ich über alles liebe.«

    Mein Gott, der Mann, der eigentlich lieber einen Chirurgen, der sein Herz für immer reparieren kann, vor sich hätte, bot in den ersten zehn Minuten Stoff für monatelange Therapie. Er liebte seine Frau nicht! Aber doch schwang etwas in seiner Stimme, eine derart große Liebesfähigkeit, dass ich meine Idee verwarf. Er liebt sie, aber irgendwie anders, als ich als Frau mir wünschen würde von einem Mann geliebt zu werden. Es passiert mir selten, dass ein Patient in der ersten Stunde so viele Saiten in mir anklingen, so viele Gegenübertragungen ahnen lässt.

    »Wie würden Sie Ihre Ehe beschreiben?«

    »Was hat das mit mir zu tun?«

    Ich schaute ihn erstaunt und fragend an. Wir begannen gleichzeitig herzlich zu lachen. Das gemeinsame Lachen erhöht die Bindung zwischen Therapeut und Patient und ist meiner Meinung nach ein sehr wichtiges therapeutisches Instrument. Witze sind in der Therapie oft wie Metaphern anzuwenden und dienen auch dazu, Unbewusstes schneller zu erkennen, denn in den Witzen gibt es immer die Möglichkeit, sich mit dem einen oder anderen Protagonisten zu identifizieren. Niemals aber darf sich der Therapeut über den Patienten lustig machen oder gar sarkastisch sein!

    Ich fragte noch einmal nach, wie denn seine Ehe sei, denn ich witterte da eine Ungereimtheit, die möglicherweise ein Stressverursacher sein konnte. Viele Ehen sind nicht glücklich, viele Paare arrangieren sich mit den Jahren und finden Kompromisse, die für beide erträglich sind, aber einige schaffen das auch nicht. Wie war das bei Walter?

    Und nun begann er zu erzählen, nicht sehr ausschweifend, denn er war kein Mann großer Worte, aber doch so viel, dass ich

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