Zwischen Stern und Stall: Ein Begleiter durch die Advents- und Weihnachtszeit - Andachten, Gedichte und Gebete
Von Tina Willms
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Über dieses E-Book
Texte, die inspirieren und hinterfragen, verzaubern und erden, bestärken und manchmal auch provozieren: Vielleicht lässt ein Gott, der im Stall als Mensch geboren wird, sich auch heute eher am ungewöhnlichen Ort finden als am vertrauten, eher in der Frage als in der Antwort, eher in der Irritation als in der Bestätigung.
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Buchvorschau
Zwischen Stern und Stall - Tina Willms
1. Kapitel
Sich vorbereiten
Advent
Nun wechselt die Welt
ihr Kleid.
Sie will das
grobgewebte Gewand
aus nebelfahlen Tagen
nicht länger tragen.
Stattdessen nimmt sie
sanften Samt
aus dem Schrank
und bestickt ihn mit Sternen.
Nun kommt die Welt
im Lichtkleid daher,
und summt beharrlich
von Hoffnung:
Nun beginnt eine neue,
heilige Zeit.
Ein Funkeln
über dem Alltag.
Bist du bereit?
Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe!
Psalm 24,7
Ein besonderer Adventskalender
Einmal hatte unser Sohn einen besonderen Adventskalender. Er hatte keine Türen, sondern bestand aus 24 kleinen Büchlein, eines für jeden Tag bis zum heiligen Abend.
In der Abenddämmerung zündete ich die Kerzen auf unserem Adventskranz an und wir machten es uns bei Tee und Plätzchen gemütlich. Dann lasen mein Mann oder ich vor. Märchen, Gedichte, Geschichten, immer über die Advents- und Weihnachtszeit. Eine Geschichte etwa handelte von Kindern, die am heiligen Abend ihr Festessen für eine arme Familie hergeben und ihr so Liebe und Freude schenken.
Und da fand sich auch manches wieder, was ich schon lange vergessen hatte. Die alten Gedichte, die ich in der Schulzeit auswendig gelernt hatte: „Holler Boller Rumpelsack oder „Denkt nur, ich habe das Christkind gesehn
. Jetzt entdeckte ich diese Schätze noch einmal neu. Mit ihnen kam ein Stück eigene Kindheit zurück. Und wir erzählten plötzlich von damals.
So blieben wir nach dem Vorlesen oft noch eine ganze Weile auf dem Sofa sitzen und sprachen über die Gedichte, Erzählungen, Geschichten. Über das, was Weihnachten bedeutet. Manchen Text lasen wir ein zweites Mal.
Obwohl der Adventskalender keine Türen hatte, kam es mir vor, als habe er in mir Türen geöffnet. Denn als ich schließlich am Heiligen Abend das Büchlein mit der Weihnachtsgeschichte vorlas, fühlte ich mich anders auf das Fest vorbereitet als sonst.
Ich hatte nicht nur Geschenke gekauft, Plätzchen gebacken, den Baum geschmückt.
Nein, ich war trotz aller Hektik auch zur Ruhe gekommen. Und hatte gemeinsam mit meiner Familie darüber nachgedacht, was an Weihnachten wirklich wichtig ist.
Es war, als hätten sich in diesen Minuten auf dem Sofa nicht nur die kleinen Bücher geöffnet, sondern auch mein Herz. Für Gott, der am Weihnachtsfest als Kind zur Erde kommt – auch zu mir.
Türen öffnen
Adventszeit. Zeit, um Türen zu öffnen.
Die des Adventskalenders.
Und die des Herzens.
Gott einziehen lassen in mein Leben.
Anderen Menschen freundlich begegnen.
Zeit verschenken. Aufmerksam sein.
Für einen guten Zweck spenden.
Mich interessieren für die Welt.
Wie im Märchen
Ein bitterarmes Mädchen bekommt einen Zaubertopf geschenkt. Wenn man sagt: „Töpfchen, koche!, so kocht es süßen Hirsebrei. Wenn man sagt: „Töpfchen, steh’!
, so hört es zu kochen auf. Nun muss das Mädchen nie mehr Hunger leiden und auch seine Mutter hat an jedem Tag genug zu essen.
Eines Tages, als das Mädchen ausgegangen ist, befiehlt die Mutter: „Töpfchen, koche!". Doch als sie satt ist, hat sie vergessen, wie der Befehl lautet, der den Topf zum Aufhören bringt. Und so kocht und kocht das Töpfchen weiter; der Brei quillt über und erfüllt das ganze Haus, um dann auf die Straße weiterzufließen.
Als das Mädchen nach Hause zurückkehren will, kommt ihm die dicke süße Masse entgegen. Entsetzt ruft es: „Töpfchen, steh’!"
In die Stadt aber gibt es keinen Weg mehr, es sei denn, man isst sich durch den süßen Brei hindurch.
Manchmal komme ich mir in der Adventszeit vor wie im Märchen „Der süße Brei. Als sei das Zauberwort abhanden gekommen, das ein „Genug
anzeigen und so das „Mehr und Mehr" beenden könnte, das mich in dieser Zeit bedrängt: Die Geschenke – so scheint mir – werden immer größer und immer aufwändiger verpackt, die Plätzchenrezepte werden vielfältiger, die Weihnachtsfeiern ausufernder und die Dekorationen nehmen ein nahezu absurdes Ausmaß an.
Mir scheint, es gibt keinen Weg zum Weihnachtsfest an all dem vorbei. Ich fühle mich manchmal vollgestopft, überrumpelt oder gar überrollt davon. Die Musik auf dem Weihnachtsmarkt empfinde ich dann als Gedudel, die glitzernde Überfülle der Lichter blendet mich, und der Andrang in den Geschäften macht mich aggressiv.
Und es kommt – anders als im Märchen – niemand, um ein Zauberwort zu sprechen, das den Überfluss beendet, der zum Schrecken geworden ist.
Wie gut, wenn ich mich darauf besinnen kann, dass ich es bin, die die Adventszeit gestalten kann. Ich selber habe das Zauberwort in mir.
„Halt!, könnte es heißen, „Weniger ist mehr
oder „Es kommt auf den Inhalt an, nicht auf die Verpackung."
Ich denke an das erste Weihnachtsfest. Armselig ging es dort zu. Und doch war alles da, was notwendig war. Gott beschenkte die Welt mit sich selbst.
Dieses Geschenk gleicht eher einem Schwarzbrot oder einem Apfel als süßem Brei. Es ist eher nahrhaft als klebrig süß und macht eher kraftvoll als dick.
Gott bedrängt und überrollt mich nicht. Er beschenkt mich mit sich selbst. Seine Energie geht auf mich über. Sein sanftes Licht steckt mich an. Seine Liebe erfasst mich und macht mich selbst zu einer Liebenden.
Gebet
Gott, Geheimnis der Welt,
um mich ist es nicht dunkel,
um mich ist es viel zu hell.
Auch still ist es nicht um mich,
sondern oft viel zu laut.
Dein Licht hat es schwer,
mich zu erreichen,
und deine Stimme dringt
kaum noch durch zu mir.
Weck in mir neu
ein Sehnen nach dir:
nach deinem Licht,
das die Welt erhellt,
nach deinem Wort,
das ins Leben ruft.
Sorgen im Advent
Tanja ist eine Frau von heute, ihr Weihnachtsbaum soll modern aussehen. So macht sie jeden Trend mit. Jahr für Jahr erhält der Tannenbaum ein anderes Outfit: Einmal sind die Kugeln violett und glänzend, dann entscheidet Tanja sich für rot und matt, und im Jahr darauf schmückt sie die Zweige mit karierten Päckchen.
Nach dem Fest wirft sie den – nun schon nicht mehr ganz so topaktuellen – Schmuck nicht weg, er könnte ja noch zu gebrauchen sein, an einem der kommenden Weihnachtsfeste, und sei es auch erst in zehn oder zwanzig Jahren.
Nach und nach stapelt sich Kiste um Kiste sorgfältig beschriftet im Abstellraum: „rote Kugeln, glänzend, „grüne Kugeln, matt
, „karierte Päckchen, Holzfigürchen, bunt
, „Tannenzapfen, mit Goldbronze lackiert".
Schließlich reicht der Platz in der Abstellkammer nicht mehr aus, einen Keller aber hat Tanja nicht. Also baut sie im Flur neue Regale auf, in die sie nun Jahr für Jahr den neuen Weihnachtsschmuck hineinpacken kann.
Einige Male hat Tanja auch fertige Plastikbäumchen gekauft. Die waren so gelungen dekoriert, dass sie selbst es nicht schöner hätte hinkriegen können. Diese Bäumchen nehmen allerdings besonders viel Platz weg. Tanja hat sie im Wohnzimmer aufgebaut und dafür die Zimmerpflanzen abgeschafft. Über das Tannenwäldchen hat sie eine Plastikplane gespannt, damit es nicht zu viel Staub abbekommt.
Mit Grauen denkt Tanja an das Jahr 1991 zurück: Damals hatte sie ganz vergessen, Lametta zu kaufen, das silberne, mit den hellgrünen Streifen. Der Baum sah erbärmlich aus und das ganze Fest war verdorben. 1992 hatte sie das Lametta dann gleich im Februar erstanden, rosé, mit violetten Punkten bedruckt. Es hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit Luftschlangen gehabt, sie hatte es an Silvester weiter verwendet und anschließend vorsichtig wieder aufgerollt.
Lametta hebt Tanja übrigens im Kleiderschrank auf. Für Lichterketten hat sie vor einigen Jahren einen Schrank neben dem Bett aufgestellt; in allen Farben sind sie vertreten. Im letzten Jahr hätte sie beinahe die gelbe wieder verwenden können, wäre der Farbton nicht etwas zu dunkel gewesen.
Tanja fragt sich, wo sie in diesem Jahr den Weihnachtsbaum aufstellen soll.
Im Wohnzimmer würde er neben dem Plastikwäldchen kaum zur Geltung kommen. Und auch im Schlafzimmer ist es zu eng.
Zur Not könnte sie ihn ja auf der Terrasse stehen lassen und draußen feiern. Nur hat sie die dicken Winterjacken und auch den Wintermantel weggeworfen, weil sie einfach zu viel Platz im Kleiderschrank benötigten.
Ja, der Baum … Seit Wochen steht er schon auf der Terrasse. Tanja schüttelt ihn regelmäßig, damit die Nadeln rechtzeitig abfallen. Denn das ist gerade der letzte Schrei. Und die Farbe?