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Wer erschoss Rosendo García?: Ein Bericht
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eBook205 Seiten2 Stunden

Wer erschoss Rosendo García?: Ein Bericht

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Über dieses E-Book

Ein Wortgefecht zwischen gewerkschaftlichen Aktivisten im Restaurant La Real im Stadtteil Avellaneda von Buenos Aires mündet in eine Schießerei mit drei Toten und mehreren Verletzten. Die Sache wird von den Ermittlungsbehörden vertuscht, verdreht und schließlich ad acta gelegt. Walsh entwirrt bei seinen Recherchen den Knäuel der Ereignisse. Im Vordergrund steht der Glücksritter Rosendo García, einer der drei Toten, der ins Kreuzfeuer geraten war. Im Wesentlichen aber geht es um das Drama der peronistischen Gewerkschaftsbewegung der 1960er-Jahre, in dessen Zentrum der allmächtige, korrupte Gewerkschaftsboss Agustín Vandor, ein Rechtsperonist, steht und wirkt - ohne ihn läuft gar nichts. Hatte er auch mit dem Gewaltexzess im La Real zu tun?

Nach Das Massaker von San Martín ist Rosendo der zweite "dokumentarische Roman" von Rodolfo Walsh, der auf minutiösen journalistischen Recherchen beruht und sich liest wie ein politischer Kriminalroman.
SpracheDeutsch
HerausgeberRotpunktverlag
Erscheinungsdatum7. Juni 2012
ISBN9783858695185
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    Buchvorschau

    Wer erschoss Rosendo García? - Rodolfo Walsh

    178.

    Teil 1

    Die Personen – die Tatsachen

    1. Raimundo

    Diese Packmaschine musste repariert werden, damit die Firma Conen weiterhin ihre Seife verpacken, die Drogerien sie verkaufen, die Tornquist-Gruppe die Dividende einstreichen und Raimundo Villaflor seinen puchero essen konnte, so wie er es an diesem Mittag des 13. Mai 1966 tat.

    Er kannte diesen ehernen Kreislauf, denn schließlich hatte er sich dafür entschieden. Vielleicht hatte aber auch sein Vater, Aníbal Clemente Villaflor, der am 17. Oktober 1945 mit daran beteiligt war, auf der Plaza de Mayo die mächtigsten Gewerkschaften von Avellaneda zu versammeln, und der zwei Jahre später Bürgermeister geworden war, für ihn entschieden.

    Wahrscheinlich hatte Raimundo Villaflor zum ersten Mal auf der Industrieschule die Wahl gehabt. Er war im fünften Jahr abgegangen, als noch zwei Jahre bis zum Abschluss als Techniker fehlten. Womöglich wollte er gar nicht Techniker werden, so wie sein Vater seinerzeit nicht Bürgermeister hatte werden wollen. Aber nein, erklärt er, es war purer Schlendrian. Damals haben wir alles gratis gehabt: Bücher, Schuluniform, Bus und Straßenbahn.

    Mit vierzehn hatte er als Lehrling bei Corrado begonnen, mit sechzehn war er zur Baseler Limitada gewechselt. Dort wurden Eisenbahnwaggons und Laufkräne hergestellt. Er war Monteursgeselle, als Perón gestürzt wurde und die Militärkommissare die Betriebsräte von Amts wegen nominierten. Bei der Baseler wurde als Betriebsratsvorsitzender Raimundo Villaflor eingesetzt. Er war gerade zweiundzwanzig Jahre alt.

    Weil ich noch ein so junger Bursche, aber trotzdem schon lange im Betrieb war, dachten sie wohl, ich würde mich in nichts einmischen. Gut, ich habe die Fabrik dann für sie »organisiert« und ihnen einen Streik gemacht.

    In seinem Haus in der Calle Pasteur 600 war Raimundo Villaflor an diesem Freitag, dem Dreizehnten, mit dem Essen fertig. Er war inzwischen elf Jahre älter, seine Frau Alicia spülte das Geschirr, seine Tochter Chela war in der Schule.

    Er überflog die Zeitung. Es stand auch damals nicht viel anderes darin als heute: 300 Luftangriffe auf Vietnam, Erhöhung der Telefontarife, Streiks in Tucumán, der Bau des Chocón-Staudammes. Der Präsident (Illia) reist nach Chubut, der zukünftige Präsident (Onganía) geht nach Entre Ríos auf die Jagd. Der Dollar steigt auf über 190 Pesos, das Thermometer nur auf 15 Grad.

    »Wissen Sie, wie viele Generäle es in der argentinischen Armee gibt?«, fragt in Washington Senator Fulbright, Vorsitzender der Kommission für Auslandangelegenheiten des Senats.

    »Nein, mein Herr«, antwortet Verteidigungsminister Robert McNamara.

    »Ich habe gehört, dass es in der argentinischen Armee mehr Generäle geben soll als in der nordamerikanischen. Kann das sein?«

    »Schon möglich. Doch bleiben Sie beim Thema, Herr Vorsitzender.«

    Obwohl es so viele Generäle gab, kannte Raimundo Villaflor nicht einen. Einmal jedoch telefonierte der Sekretär des Generals Gallo mit ihm. Er sagte, ich solle den Streik abbrechen, falls nicht, würde der ganze Betriebsrat, ich vorneweg, eingesperrt werden. Ich sagte ihm, wenn er den Streik beenden wolle, dann solle er doch vorbeikommen. Er antwortete, wir sollten sofort ins Gewerkschaftshaus kommen. Da ist dann die Unternehmerkommission hingefahren, und wir sind auch hingefahren, aber nicht zusammen, wir wollten nicht mit denen in einem Bus fahren. Dort stellte man uns vor, und sofort wollten sie uns kleinkriegen.

    Ein Hauptmann brüllte sie an, wollte sie zusammenstauchen. Villaflor wurde kühn und schrie lauter als er: Vielleicht sei er es gewohnt, in den Kasernen Befehle zu erteilen, uns könne er aber noch lange nichts befehlen. Uns könne kein General, kein Oberst und kein was auch immer herumkommandieren, denn wir seien Arbeiter, und er solle uns gefälligst anständig behandeln. Wenn die Unternehmer wollten, dass der Streik aufhöre, dann sollten sie bitteschön die überfälligen Wochenlöhne bezahlen, denn das sei der Grund für den Streik. Und außerdem brülle er wohl herum und leiste es sich, unverschämtes Zeug daherzureden, weil er vermutlich keine Ahnung habe, was arbeiten sei. Ihm blieb die Spucke weg, und wir haben damals gewonnen. Wirklich, gewonnen haben wir.

    Doch dann kam 56 der große Metallerstreik: Die Leute waren sauer, sie wollten kämpfen. Die Vertrauensleutegremien traten zusammen, und alle Vertrauensleute beschlossen zu streiken. Doch dann, auf den Kongressen, da gab es Delegierte aus den Großbetrieben, die wollten nicht recht. Einer dieser Delegierten aus den Großbetrieben beim Kongress der Metallarbeiterunion, Region Avellaneda, war ein versierter Redner, der eine laue, zurückhaltende Position vertrat. Er verdiente sich seine ersten gewerkschaftlichen Sporen, vertrat die Siam Automotores und hieß Rosendo García. Villaflor kann sich nur noch vage an ihn erinnern.

    Mitten in den Kongress hinein platzten zwei Mannschaftswagen der Polizei und der Armee, angeführt von einem Offizier, der uns zur Schnecke machen wollte. Also, wie üblich glaubte der Kerl, er sei in einer Kaserne, und drohte uns, er werde uns mit Schüssen auseinanderjagen, uns einbuchten und uns das Fell über die Ohren ziehen. So lange bis ihm dann doch einer antwortete: Warum verduften Sie nicht zu der Hure, die Sie geboren hat? Und da waren dann alle mit dabei: Hau ab, du Schlächter, du Sohn einer wer weiß was, und er musste abziehen. Er musste abziehen oder uns alle erschießen. Doch auf einige hatte es doch Eindruck gemacht, und sie vertraten dann Positionen, die nicht die waren, die in den Betriebsversammlungen festgelegt worden waren, oder sie brachten Vorwände ein, von wegen Sitzstreik, es gäbe Gesetze, die uns schützten und Pipapo. Sie hatten die Hosen voll. Da sind dann viele von uns aus den kleinen Werkstätten aufgesprungen und haben denen gesagt, dass es hier nicht darum gehe zu zeigen, wie viel Schiss man habe, sondern darum, was in den Betrieben beschlossen worden sei. Es wurde für den Generalstreik gestimmt. Und wir haben uns gut geschlagen und haben fünfundvierzig Tage ausgehalten. Ja, es heißt, das war Vandor. Aber hier in Avellaneda war Vandor ein Unbekannter. Selbst Rosendo kannte fast niemand. Der Generalstreik hier, der war die Sache von Curra, von Bellón, von Álvarez, vom verstorbenen Fernández, von Rincón, von Isotti. Fast alle diese Leute sind verschwunden.

    Als das dreißigköpfige Streikkomitee gebildet wurde, war Raimundo das jüngste Mitglied. Er sollte die Verbindung zur schwierigsten Fabrik halten, der Ferrum, direkt neben der Gendarmerie gelegen. Außerdem war er zuständig für Tamet, für Sánchez y Gurmendi und für Gálvez. Die Polizei suchte ihn, doch niemand verdächtigte diesen Jungen, der, die Jacke über dem Arm, herumschlenderte und einen Apfel aß. Kommissar Plomer, vom Zweiten Polizeirevier in Lanús, kam ihm schließlich auf die Spur. Man durchsuchte seine Wohnung, aber da war er schon am Dock Sur. Als man ihn am Dock Sur suchte, war er schon in Berazategui. Am Ende wurden alle außer ihm verhaftet.

    Ich erinnere mich, es war in der Calle Catamarca, in Ost-Lanús. Wir waren neunundzwanzig und hatten gerade Plenum, als die Polente kam, mit Lastwagen, eine ganze Brigade. Ein paar von uns sprangen über eine Mauer, aber sie landeten in einem Hühnerstall. Und einer brach sich ein Bein. Wer glatt landete, das war ich. Dann haben sie angefangen zu schießen, sogar mit Karabinern. Ich sprang über drei Zäune, bevor ich die Straße erreichte. Mit mir türmte ein Genosse, der stark rauchte, und er rannte schon nicht mehr, trottete nur noch, und als ich gerade über den letzten Zaun setzen wollte, da sausten zwei Kugeln in eine Wand neben uns, und der Kollege blieb stehen. Doch ich sprang rüber, raste hinter einer Straßenbahn her und erwischte sie, obwohl ich völlig am Ende war. Später habe ich dann meine Jacke ausgezogen und bin zurückgegangen. Sie mussten alle auf den Polizeilastwagen steigen. Es gab einen Auflauf, und die Polizei erzählte den Leuten, sie wären Diebe. Ganz schön riesig: eine Bande von neunundzwanzig Dieben. Sie riefen: »Wir sind keine Diebe, wir sind Arbeiter!« Aber sie wurden abtransportiert.

    Das Streikkomitee in Avellaneda bestand auf einmal nur noch aus diesem dunkeläugigen Jungen von mittelgroßer Statur. Ihm an die Fersen heftete sich in jenen Tagen fast immer ein aufgeweckter, stets gut gelaunter Junge: sein Bruder Rolando, drei Jahre jünger, der sich später voller Nostalgie und Bewunderung an jene Zeit erinnern sollte:

    »Was wir durchgemacht haben, mein lieber Gott. Wir haben in den Bächen Frösche gefangen und tagein, tagaus Lauch gegessen, erinnerst du dich noch daran, Pelusa?«

    Raimundo erinnert sich wohl. In Quilmes war die Polizei hinter ihm her, er musste aus einem fahrenden Zug springen. Er musste umziehen und agitierte weiter. Als das landesweite Plenum den Streik abbrach, kehrte er zu seiner Fabrik zurück und setzte sich zu den Streikposten auf den Bürgersteig. Die Belegschaft umringte ihn, bevor sie die Arbeit wieder aufnahm. Er erklärte seinen Kollegen, dass es jetzt darum ginge, sich für die Verhafteten einzusetzen.

    Trotz so vieler Streiktage waren die Leute nicht gebrochen. Es gab Not, das ja, aber die Leute waren nicht gebrochen. In der Fabrik drin aber wartete schon der Kommissar Plomer auf mich. Die ganze Nacht hatte er auf mich gewartet, er war wie mein schwarzer Schatten, genau wie dieser Polizist, der Jean Valjean in Die Elenden verfolgt, wie hieß der nochmal? Mit einem Auto kamen noch zwei, die hatten Maschinengewehre dabei, und da war ich auch schon gefangen. Vierzehn Tage in völliger Isolation in Lanús, das waren damals diese heißen Tage mit vierzig Grad Celsius, ich hab in diesem Loch sieben Kilo abgenommen. Danach zehn Tage in Olmos. Als mich dann ein Beamter freiließ, sagte er zu mir: »Ich hoffe, Sie hier nie wieder zu sehen.« Ich hab ihm geantwortet: »Bei jedem Streik, den?s gibt, werden Sie wieder mit uns zu tun haben.«

    War es der Mühe wert gewesen? Raimundo Villaflor verabschiedete sich von seiner Frau und schnappte sich den Beutel mit den Sandwiches: Um zwei würde er bei Conen antreten und acht Stunden am Stück durchziehen. Er ging vor bis zur Avenida Mitre, wo er die Linie 8 – die Rote – nahm, mit der er bis nach Piñeyro fahren und gegenüber der Wollfabrik aussteigen würde. Als Angestellter der Abteilung Wartung und Reparatur bei Conen, die schon 1883 eine Kerzenfabrik gewesen war und heute 500 Arbeiter in drei Schichten beschäftigte, mit drei Mechanikern pro Schicht, reparierte Raimundo an der Packmaschine herum, bis diese endlich aufhörte, den Karton zu knautschen. Danach machte er sich an die Seifenpressen, an die Mahlwerke, an irgendein Einzelstück. Es war seine erste feste Arbeit seit zehn Jahren, seit jenem Streik.

    Als er aus Olmos entlassen wurde, war er arbeitslos und auf einer schwarzen Liste registriert. Seitdem hatte er unzählige Werkstätten durchlaufen. Stets war nach zwei Tagen alles vorbei: So lange dauerte es, bis die Informationen vom Unternehmerverband und der Polizei eintrafen.

    Jahre habe ich auf der Walz zugebracht, als Gelegenheitsarbeiter. Für einen Facharbeiter ist das schlimm. Ich kannte mich an allen möglichen Maschinen aus, an der Drehbank, an der Schleifmaschine, an der Hobelmaschine, an der Fräse. Als wir damals den Streik verloren haben, da haben die Chefs einen Haufen Leute rausgeworfen. Sie konnten es sich leisten, wählerisch zu sein, sie verlangten den Gesellenbrief. Ich war neu damals, ich kannte mich mit den gefälschten Briefen und so weiter noch nicht so aus. Es war eine ewige Wanderschaft, eine Riesenmenge von Leuten war da auf Achse. Man gab uns keine Arbeit, man verfolgte uns, nie bekamen wir einen Fuß auf den Boden. Und so mancher von uns setzte sich gleich in Szene als Aktivist, kaum dass er wo eingestellt war. Das war eben diese Sturheit, diese Unerfahrenheit von uns Kerlen. Wir waren in Rage, und wir blieben in Rage, nie kühlte sich die Sache ab.

    Mit der Zeit hielt jeder Job zwei oder drei Monate. Die Informationen sickerten allmählich langsamer durch. Wo er jedoch nie wieder hingehen konnte, das war in die Gewerkschaft.

    Es ist nicht zu fassen, aber dort wurden wir noch mehr verfolgt als bei den Chefs. Keiner von uns, die wir den Streik in Avellaneda angeführt hatten, konnte je wieder in die Gewerkschaft zurück. Die war zu einer richtigen Mafia verkommen. Sogar die unabhängigen Lotteriebuden verschwanden, man musste dafür Provision abdrücken. Die Gewerkschaftsbosse trieben Schrotthandel mit den Unternehmern, unter dem Vorwand des Kommunismus warfen sie kämpferische Arbeiter aus der Gewerkschaft und aus den Betrieben, bereicherten sich und scharten bezahlte Killer um sich. Von da an habe ich dann schon von Vandor reden hören.

    Der gewerkschaftliche Weg war verbaut, also organisierte sich Raimundo politisch. 1958 lernte er einen dicken, freundlichen, kurzsichtigen Mann kennen, der stets einen riesigen Hut trug. Dieser Mann – er wurde sehr bewundert und verehrt – hatte viele Namen: »der Alte«, »Mingo«, »der Grieche«, »der Chemiker«. Sein wahrer Name war Domingo Blajaquis, einer der vergessenen Toten des 13. Mai 1966. Der Einfluss, den er auf Raimundo und seine Freunde gehabt hatte, war enorm.

    Er kurierte uns von all den Flausen, die wir im Kopf hatten. Zum Beispiel, dass wir allein deshalb schon Peronisten wären, einfach weil wir bei den Peronisten eingeschrieben seien, statt zu begreifen, dass der Peronismus eine Bewegung sei, ähnlich den Bewegungen anderer Völker, die für ihre Befreiung kämpften. Er war da ganz klar, er war schon immer ein Revolutionär gewesen, er hatte schon immer ein klares Konzept von der Aufgabe der Arbeiterklasse gehabt. Und er erklärte uns die Gründe, warum wir verloren hatten, die Rolle des Imperialismus, die Rolle der Oligarchie

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