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Scheitern und Glauben als Herausforderung
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eBook141 Seiten1 Stunde

Scheitern und Glauben als Herausforderung

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Über dieses E-Book

Der gesellschaftliche und kirchliche Umgang mit dem Phänomen "Scheitern" steht im Mittelpunkt des Sammelbands. Bislang wird die Problematik des Scheiterns häufig fragmentarisch in den Blick genommen. Die Autoren ermöglichen nun einen umfassenden Überblick über das Thema, dessen Bedeutung aktuell immer weiter zunehmen dürfte.
Die beiden Beiträge "Zur Soziologie des Scheiterns. Ansätze, Perspektiven, Fakten" (Matthias Junge, Rostock) und "Gott am Ende? Das gebrochene Perfekt des Glaubens" (Gotthard, Fuchs, Wiesbaden) erhellen die soziologische und theologische Perspektive des Themas.
Der glaubensgeschichtliche Zugang erörtert die Spannung von Kirchenliebe, Kirchenkritik und Fruchtbarwerden von Scheitern in der Kirche am Beispiel von Mary Ward (Igna Kramp, St. Georgen), Christoph Blumhardt (Corinna Dahlgrün, Jena) und Teilhard de Chardin (Gotthard Fuchs).
Ergebnisse einer empirischen Studie werden unter der Frage "Scheitern auf dem Glaubensweg? Krise und Neu anfang am Beispiel von Ordensbiographien" (Katharina Karl, München) vorgestellt.
SpracheDeutsch
HerausgeberEchter Verlag
Erscheinungsdatum1. Okt. 2013
ISBN9783429061500
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    Buchvorschau

    Scheitern und Glauben als Herausforderung - Echter Verlag

    Scheitern und Scheiternsbewältigung vor dem Hintergrund empirischer Daten

    Matthias Junge

    Einleitung

    2004 hielt ich in einem Überblicksbeitrag (vgl. 2004b) zur damals wie heute nicht etablierten¹ soziologischen Scheiternsforschung fest, dass Beiträge zur existenziellen Problematik des Scheiterns vor allem von den kirchlichen Transzendenzarbeitern, etwa von Priestern oder Mönchen, zu erwarten seien. Wenngleich diese Gruppe in Konkurrenz zu anderen Sinnarbeitern, vor allem Psychotherapeuten und Lebensberatern, steht, so zeigt die von ihnen ausgerichtete Tagung, dass die Handlungs- und Deutungsaufforderung existenziellen Scheiterns von den Kirchen angenommen wird. Jedoch muss diese Arbeit eingebettet sein in die Wahrnehmung und Kenntnisnahme der sozialen Rahmenbedingungen. Der Beitrag wird aus soziologischer Perspektive Informationen hierzu zur Verfügung stellen.

    Dazu wird in drei großen Schritten, abgerundet durch ein Fazit, vorgegangen: Zuerst wird unter Rückgriff auf Zygmunt Baumans Konzeption des „menschlichen Abfalls skizziert, welche sozialen Konsequenzen das Scheitern in einer auf Erfolg und erfolgreiches Handeln kulturell programmierten Gesellschaft hat und wie sich die dadurch erzeugte soziale Angst bis in die Mittelschicht hinein auswirkt (1.). Sodann werden Grundelemente einer soziologisch gehaltvollen Theorie der Unverfügbarkeit dargestellt, dabei jedoch schon angemerkt, dass der „richtige oder „angemessene" Ansprechpartner für dieses Anliegen außerhalb der Soziologie, vor allem in der Gruppe der Sinnarbeiter, zu suchen wäre (2.). Die Überlegungen werden mit Fragen bezüglich des gesellschaftlichen Umgangs mit dem Scheitern und Scheiternden abgerundet (3.) und mit einem kurzen Fazit zur ambivalenten Grundstruktur des Scheiterns abgeschlossen.

    1. Menschlicher Abfall – ein Beispiel für das Scheitern

    Ich beginne mit einer Schilderung der strukturellen Veränderungen, die beim Übergang von der Moderne zur Postmoderne das Scheitern direkt betreffen. Ich werde Befunde zusammentragen, die Scheitern als ein Scheitern am Erfolgsversprechen der Gesellschaft beschreiben. Hierfür wird Baumans Konzeption des menschlichen Abfalls als Kennzeichnung einer scheiternden sozialen Gruppierung leitend sein.

    Die von Bauman beschriebene Verflüchtigung der Verhältnisse führt mit sich, dass eine zunehmende Zahl von Verlierern, von Ausgeschlossenen, von Exkludierten, denen die Möglichkeit zur Teilhabe an den gesellschaftlichen Chancen verwehrt ist, zu konstatieren ist. Sie sind Ausdruck der strukturellen Schattenseite des Übergangs zur Postmoderne. Sie stellen dar, was Bauman zuspitzend als „menschlichen Abfall (im Original: „human waste 2004) kennzeichnet, um auf diese Gruppe hinzuweisen. Und es ist diese Kehrseite, Angst vor dem sozialen Abstieg, Angst vor dem Scheitern des eigenen Bemühens, Angst „menschlicher Abfall" zu werden, Angst vor Repression und Mangel an Konsumchancen, die eine strukturell verursachte Schattenseite der Postmoderne kennzeichnet.

    Bauman verwendet eine einfache sozialstrukturelle Dichotomisierung, um die Gesellschaft zu beschreiben: Bifurkation. Unterstellt wird damit, dass die Mitglieder einer Gesellschaft in zwei einander ausschließende Kategorien eingeteilt werden können. Diese beiden Gruppen lassen sich sodann entlang beliebiger Merkmale gegenüberstellen: Chancen, Probleme, Perspektiven, Formen des Erfolgs, Formen des Konsums, Formen des Scheiterns und anderes mehr. Ein Beginn mit der theoretischen Struktur der Bifurkation hat den Vorteil, dass diese Form der Unterscheidung sowohl theoretisch wie auch in der alltäglichen Orientierung gebräuchlich ist – und damit auch die für eine Analyse des Scheiterns wichtigen Dichotomien von Handeln versus Scheitern und von Scheitern versus Erfolg vorgezeichnet sind.

    Mit der Entwicklung der Konzeption des menschlichen Abfalls überschreitet Bauman die Grenzen seiner ursprünglich bei Ambivalenz ansetzenden Gesellschaftstheorie. War Ambivalenz noch rein wissenssoziologisch als Versagen der Nenn-Trennfunktion der Sprache definiert, so wird nun menschlicher Abfall einerseits als Ergebnis der notwendigen sozialen Trennfunktion beschrieben: The production of ‘human waste’ ... is an inevitable outcome of modernization, and an inseparable accompaniment of modernity. It is an inescapable side-effect of order-building. (Bauman 2004: 5) Andererseits wird menschlicher Abfall mit direktem Bezug auf die Entstehung von Ordnung definiert und damit eine über die wissenssoziologische Perspektive hinausgehende Integration von Klassifikation und Handlung hergestellt. Kurz: Das Konzept des menschlichen Abfalls geht über die Möglichkeiten des Konzepts der Ambivalenz hinaus und öffnet fruchtbar Perspektiven für Gesellschaftsanalyse und -kritik.

    Das soll im Folgenden an exemplarischen Daten und gesellschaftlichen Diskussionen ausgeführt werden. Ein Beispiel hierfür ist die vor 6 Jahren geführte Debatte und ihre heutige Weiterführung um die sog. „Unterschicht oder, wie der damals geläufige Begriff war, das sog. „Prekariat. Denn diese Debatte drehte sich nicht wirklich um die soziale Not einer etwa 5–6 % der Bevölkerung umfassenden dauerhaft in ihrer sozialen Lage gefangenen Gruppe. Vielmehr war diese Debatte Ausdruck der Angst der Gewinner des Übergangs, jederzeit zu Verlierern werden zu können. Ausgelöst werden diese Ängste durch einen strukturellen Befund: Die objektive Wohlstandsentwicklung hatte sich verlangsamt. Und es war diese Gefährdung des erreichten Wohlstands, die nun auch Teile der Mittelschicht erreichte und Angst vor einem möglichen Statusverlust hervorrief. Anders und zugespitzt formuliert: Statusverlust wurde mit Scheitern gleichgesetzt.

    Das ist eine sehr schnelle Identifizierung in eine Gesellschaft, die auf sozialer Mobilität beruht – denn Mobilität meint immer Auf- und (!) Abstiegsmobilität. Gerade befristete, zeitweilige Abstiege sind vorgesehen, in Grenzen auch sozial und versicherungstechnisch abgesichert. Die in ihrer Angst befangene Mittelschicht setzte relative Verluste mit absoluten Verlusten gleich und stellte drohende Verluste eines Abstiegs nicht mehr in Relation zu anderen Verlusten.

    Diese Ängste der ursprünglich Gewinner des Übergangs zur Postmoderne darstellenden gesellschaftlichen Mittellage sind vor allem eine Reaktion auf den Rückzug des Staates von seiner moderner Aufgabenstellung der Sorge für seine Bürger. Galt der Staat in der Moderne als Garant von sozialer und ökonomischer Sicherheit, so hat er diese Aufgabenstellung in der Postmoderne neu definiert. Der postmoderne Staat verspricht stattdessen „persönliche Sicherheit und wird zu einem „Sicherheitsstaat, der vor allem vor „Bedrohungen wie Pädophile auf freiem Fuß, Serienmördern, aufdringlichen Bettlern, Straßenräubern, Stalkern, Giftmördern, Terroristen ... zu beschützen verspricht. (Bauman 2008: 26) Diese Verlagerung der Aufmerksamkeit und Orientierung des Staates ist nur konsequent, weil er nicht mehr über die Mittel verfügt, um seine aus der Moderne stammenden Aufgaben weiter zu erfüllen. Folglich tritt er von diesen Aufgaben zurück und setzt an ihre Stelle die vordergründig wichtigere Befassung mit „persönlicher Sicherheit.

    Mit dieser Entwicklung werden Gruppen von der gesellschaftlichen Entwicklung abgehängt, die zuvor in der Moderne und weiterhin auch in der Postmoderne auf soziale Sicherheit angewiesen sind, denen aber der Ersatz „persönliche Sicherheit" wenig zu bieten hat – die Unterschicht, von Armut betroffene Gruppen. Hierzu gehören insbesondere Kinder. Laut UNICEF Vergleichsbericht 2012 sind in der BRD 1,2 Millionen Kinder mit einer ernsthaften Mangelsituation konfrontiert. Dazu gehören aber auch eine wachsende Zahl bedürftiger Rentnerinnen (Altersarmut trifft laut DIW 2011 vor allem Frauen) und ähnliche Gruppen.

    Um ein Zwischenfazit zu ziehen: „Armut ist in unserer Gesellschaft mittlerweile wieder zu einem substantiellen Risiko geworden, das auch die mittleren Schichten betrifft." (Bohle 1997: 148) Es ist vor allem die Gefährdung erreichten Wohlstandes, die die strukturelle Schattenseite der Postmoderne kennzeichnet. Die Wohlstandsgefährdung wird als eine Spaltung der Gesellschaft in Gewinner und Verlierer, Inkludierte und Exkludierte, Arbeitsplatzbesitzer und Nicht-Arbeitsplatzbesitzer wahrgenommen. (Bauman 1999) Und sie bestimmt mittlerweile auch die Wahrnehmung der ehemals stabilen gesellschaftlichen Mittellage. Dies ist ein Indikator dafür, dass die ehemals saturierte und sich sozial sicher fühlende gesellschaftliche Lage sich nun auch von der Gefahr bedroht fühlt, zum menschlichen Abfall zu werden und damit zum Objekt der anderen Seite der gesellschaftlichen Bifurkation gemacht zu werden.

    Dies verändert die Wahrnehmung des gesellschaftlichen Gefüges insgesamt – die theoretisch benutzte Bifurkation taucht gesellschaftlich als deutliche Zweiteilung des sozialen Raumes wieder auf: Haben versus Nicht-Haben, Reich versus Arm, Gescheitert versus Erfolgreich usw.

    Soziale Spaltung im Bewusstsein der Bevölkerung*

    * Mansel/Heitmeyer 2005: 55 (Daten der GMF-Studie, etwa 3000 repräsentativ Befragte)

    Die starke Abstiegsangst der Mittelschicht lässt sich mit Hilfe des Indikators Angst vor Arbeitslosigkeit operationalisieren. Dies ist deshalb ein guter Indikator, weil Arbeit und über Arbeitseinkommen gesicherte Lebenschancen den Kernbereich gesellschaftlicher Regulation und Anforderungen an den Einzelnen abbilden. Es geht bei der Angst vor Arbeitslosigkeit darum, dass angesichts prekären Wohlstands Arbeitslosigkeit eine Hauptursache sozialen Abstiegs geworden ist. Denn das Risiko des mit Erwerbslosigkeit verbundenen Einkommensverlusts ist erheblich. So stieg nach den Ergebnissen der vom Statistischen Bundesamt verwendeten ILO-Arbeitsmarktstatistik zwischen 1991 und 2004 die Erwerbslosenquote im Jahresdurchschnitt von 4,9 % auf 9,2 %, um erst in den letzten Jahren gipfelnd im April/Juli 2012 mit 2,963/2,87 Millionen Arbeitslosen (7 %) laut Statistischem Bundesamt wieder zu fallen, ohne dass ein Wiederanstieg ausgeschlossen werden kann.

    Wir wissen aus der Ungleichheitsforschung, dass prekäre Lagen bis hin zu zeitlich befristeten Notlagen der Regelfall sozialer Mobilität in Gegenwartsgesellschaften sind. Soziale Mobilität führt bei vielen kurz- und mittelfristig zu jeweils kürzeren oder längeren Phasen des sozialen Abstiegs, die zumeist durch erneute Phasen des sozialen Aufstiegs aufgefangen und ausgeglichen werden. Diese Erfahrung einer hochmobilen sozialen Statussituation führt jedoch vor allem für die Gruppe derjenigen, deren Wohlstand als nicht endgültig gesichert zu bezeichnen ist, zu massiven sozialen Abstiegsängsten. Die Befürchtung geht um, dass sich die Mittelschicht aufzulösen beginnt, ihre scheinbar gesicherte Statusposition unter dem Druck von Globalisierung und fortschreitender gesellschaftlicher Modernisierung verliert und in einen „Abwärtsstrudel" hineingezogen wird.

    Umfrageergebnisse zeigen, dass die Angst vor dem sozialen Abstieg mittlerweile bis weit in die Mittelschichten hinein verbreitet ist, denn immerhin gibt ein Drittel der Gesamtbevölkerung an, sich zumindest

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