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Stimmen im Raum: Der Komponist Beat Furrer
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eBook140 Seiten1 Stunde

Stimmen im Raum: Der Komponist Beat Furrer

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Über dieses E-Book

Der Band versammelt die Beiträge des Symposiums für und mit Beat Furrer «Stimmen im Raum» unter der Leitung von Hans-Klaus Jungheinrich im Rahmen von «Auftakt 2010» der Alten Oper Frankfurt/Main.

Beat Furrer, 1954 im schweizerischen Schaffhausen geboren, gehört heute zu den profiliertesten mitteleuropäischen Komponisten seiner Generation. Er lebt seit seinem 21. Lebensjahr vornehmlich in Österreich, war zunächst in Wien Schüler von Roman Haubenstock-Ramati und ist seit längerem Professor in Graz, aber auch in Frankfurt am Main. Zentrale Elemente des Furrer'schen Komponierens sind Sprache, Stimme und Raum. Gleichsam in einer Laborsituation (Furrer betreibt umfangreiche analytische Klangforschungen) kristallisieren sich zunächst kleinere Stücke heraus, die oft zu größeren Forma­ten, besonders zu musiktheatralischen Einheiten, zusammenwachsen. Bedeutende Werke dieser Art waren in letzter Zeit «Begehren» und «Wüs­ten­buch».
SpracheDeutsch
HerausgeberSchott Music
Erscheinungsdatum2. März 2015
ISBN9783795786397
Stimmen im Raum: Der Komponist Beat Furrer

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    Buchvorschau

    Stimmen im Raum - Schott Music

    Die Vielfalt der Stimmen

    Singen und Sprechen im Musiktheater von Beat Furrer

    Julia Cloot

    Beat Furrer hat in den letzten beiden Jahrzehnten sechs Werke für das Musiktheater komponiert. In all diesen musiktheatralen Arbeiten werden literarische Vorlagen verschiedener Sprachräume, Epochen und Gattungen miteinander verknüpft.¹ Mehrfach hat Beat Furrer antike Mythen verwendet und diese mit einem oder mehreren Sujets aus der Literatur des 20. Jahrhunderts kunstvoll verwoben. In der 1989 geschriebenen Oper Die Blinden nach Les Aveugles von Maurice Maeterlinck sind Ausschnitte aus dem Gedicht Patmos von Friedrich Hölderlin und aus Platons «Höhlengleichnis» eingeschoben, ein Gedicht von Arthur Rimbaud steht am Ende. Dem Musiktheaterwerk NARCISSUS von 1994 liegt der Mythos von Narziss zu Grunde, wie er in Ovids Metamorphosen beschrieben ist, im Original und in deutscher Übersetzung. BEGEHREN, 2001 als Auftragswerk des Steirischen Herbstes uraufgeführt, kreist mit Texten von Ovid und Vergil, Hermann Broch, Cesare Pavese und Günther Eich, dessen Hörspiel Geh nicht nach El Kuwehd! den Ausgangspunkt bildete, um den Orpheus-Mythos. Das 2005 in Donaueschingen uraufgeführte «Hörtheater» FAMA individualisiert den bei Ovid beschriebenen Mythos von der im Erdinneren alles Leid der Welt aufnehmenden Göttin Fama mit dem herzzerreißenden Schicksal von Arthur Schnitzlers Novellenfigur Fräulein Else. Hinzu treten als weitere Texteinsprengsel De rerum natura von Lukrez, La mecchanica von Carlo Emilio Gadda und ein anonymes Fundstück. Der Mythos von Fama ist ein für Furrer zentrales Bild, das er bereits in invocation (2003) verwendet hat. Neben dem Ovid-Mythos flankieren in diesem Stück ein Gedicht von Cesare Pavese, ein Fragment von einem spanischen Anonymus aus dem 16. Jahrhundert, zwei Gedichte des spanischen Dichters Juan de la Cruz und die Orphische Hymne Nr. 30 in griechischer und deutscher Sprache den thematischen Kern, Marguerite Duras’ Roman Moderato cantabile.

    WÜSTENBUCH, Beat Furrers jüngstes Musiktheater, 2010 in Basel uraufgeführt, weist wohl das komplexeste Textgeschehen der sechs Werke auf: Ein Fragment von Händl Klaus, Gedichte von Antonio Machado und José Ángel Valente, ein altägyptischer Papyrus in Übersetzung von Jan Assmann, Texte von Lukrez und Furrer selbst reichern das titelgebende WÜSTENBUCH-Textfragment aus Ingeborg Bachmanns Todesarten-Projekt an. Den Ausgangspunkt bildete jedoch der Papyrus. Die anderen Texte kamen nach und nach hinzu; Ingeborg Bachmanns Skizze sollte eine Art Handlungsgerüst darstellen. Assoziativ ist auch Michelangelo Antonionis Film Il Deserto rosso mit diesem Musiktheater verbunden. Auf der Basis der zusammengetragenen Materialien hat Beat Furrer Händl Klaus gebeten, ein Libretto zu verfassen, das die Grundlage bildete für umfangreiche Textbearbeitungen durch den Komponisten. Ähnlich wie in invocation ist das titelgebende Bachmann-Fragment im Libretto zu WÜSTENBUCH noch relativ präsent, im Lauf der kompositorischen Arbeit trat es aber stark zurück. Meist wird ein literarisches Werk in den Mittelpunkt gestellt und mit Texten anderer Gattungen angereichert, die den bestehenden Haupttext weiter ausdeuten – im Sinne einer umso stärkeren Fokussierung des Erzählten auf einen zentralen Aspekt, um den die Texte kreisen: «Die Montage ist wie ein Objektiv, durch das die Situation betrachtet wird»,² schreibt Beat Furrer im Booklet zu Die Blinden und äußert im Zusammenhang mit NARCISSUS: «Dramatische Konflikte interessieren mich weniger in einer linear nachvollziehbaren Erzählstruktur.»³

    Eins der erwähnten Werke, NARCISSUS, ist als Oper betitelt, drei heißen Musiktheater: Die Blinden, BEGEHREN und WÜSTENBUCH; das Stück mit dem für sich sprechenden Titel invocation hat keine Gattungsbezeichnung, während FAMA programmatisch als «Hörtheater» bezeichnet ist. Aus der neueren Musiktheaterpraxis ist uns ein riesiges Spektrum an Wortschöpfungen vertraut, von der «Musik mit Bildern» (Helmut Lachenmanns Mädchen mit den Schwefelhölzern, 1997) bis zum Stationenmusiktheater (Manos Tsangaris’ Batsheba. Eat the History! von 2009). Der Gedanke, dass der Begriff «Musiktheater» als Oberbegriff für vielfältigste experimentelle Mischformen, die sich programmatisch als Überwindung der Oper oder dezidiert als ihr Gegensatz verstehen, als per se neu und fortschrittlich dem Begriff «Oper» als überkommener Gattung entgegenzusetzen sei, spielt bei Beat Furrer jedoch eine nachgeordnete Rolle.

    Die Verwendung antiker Mythen, die einzig in WÜSTENBUCH zurücktritt, ist in der Oper des 20. und im Musiktheater des 21. Jahrhunderts alles andere als ungewöhnlich. Trotz oder gerade wegen der Tendenz, die aktuelle Gegenwart musiktheatral aufzubereiten, gehören antike Mythen mit zyklisch verlaufenden Renaissancen zu den beliebtesten Stoffquellen im neueren Musiktheater.⁴ Luigi Nono hat Prometheus, Aribert Reimann Troades und 2010 bei den Wiener Festwochen Medea, Peter Michael Hamel und Michael Jarrell Kassandra, Manfred Stahnke bei der Münchner Biennale Orpheus, Wolfgang Rihm Ödipus, Ariadne, Persephone und zuletzt bei den Salzburger Festspielen 2010 Dionysos⁵ in den Mittelpunkt eines musiktheatralen Werks gestellt. Das Spektrum dieser Werke reicht von der Literatur- bis zur Internet oper.

    Keinem dieser Werke liegt jedoch eine so reich assoziierende Textarbeit zu Grunde wie den Stücken von Beat Furrer. «Mythen sind Geschichten von hochgradiger Beständigkeit ihres narrativen Kerns und ebenso ausgeprägter marginaler Variationsfähigkeit», schreibt Hans Blumenberg in Arbeit am Mythos.⁶ Es gehört demnach zu den Charakteristiken des Mythos, dass die Kerngeschichte konstant, alles andere aber immer im Fluss und damit für Projektionen, Neudeutungen, Weiterentwicklungen offen ist. Mythen bieten vor allem eine Andockstelle für das variationsreiche Spiel mit dem Zeitgebundenen und dem Überzeitlichen, dem Allgemeinen und dem Besonderen, dem Individuellen und dem Kollektiven und rühren in dieser Verschränkung an Grundfragen menschlichen Seins. Bereits Richard Wagner hat das – bezogen auf den antiken, nicht auf den von ihm verwendeten germanischen Mythos – formuliert: «Das Unvergleichliche des Mythos ist, dass er jederzeit wahr, und sein Inhalt, bei dichtester Gedrängtheit, für alle Zeiten unerschöpflich ist. […] der Mythos selbst war meist gerechter gegen das Wesen der Individualität, als der bedeutende Dichter.»⁷ Für Beat Furrer haben Cesare Paveses Überlegungen zum Mythos und seiner Verwendung durch den Künstler, denen zufolge der Mythos kein intakter Ort der Sehnsucht bleiben dürfe, eine wichtige Rolle gespielt: Der Künstler «versucht so konturenscharf wie möglich zu sehen, ist dabei aber immer bestrebt, die Auflösung nicht so weit zu treiben, dass von der schönen mythischen Fabel nur noch eine ‹ganz natürliche› Geschichte übrig bleibt».⁸

    Jede musiktheatrale Bearbeitung schafft eine zusätzliche Perspektive auf die Überlieferung. «Den Mythos lesen lernen», schreibt Christa Wolf, «ist ein Abenteuer eigner Art […].»⁹ Und jeder Komponist ist zunächst einmal ein Leser. Für Beat Furrer gilt das sicher in besonderem Maße. Die im Mythos schon angelegte Vielschichtigkeit besitzt eine natürliche Verwandtschaft zu Beat Furrers mehrschichtiger Erzählhaltung, die aber aus der Musik heraus begründet ist.

    Verfahren der Textmontage prägen das Musiktheater seit Bernd Alois Zimmermanns Requiem für einen jungen Dichter von 1969. Die Frage, was und wie ein Komponist im Musiktheater erzählen möchte, betrifft zunächst die Stoffwahl, sodann die Organisation dieses Stoffes (die Makrostruktur) und schließlich die Ausgestaltung des Textes (die Mikrostruktur). Bei Beat Furrer ist die jeweilig verschiedene Textmontage vor allem die Basis für die Disposition von gesungener und gesprochener Sprache. Der Rückgriff auf unterschiedliche Sprachräume und die Vielfalt der literarischen Gattungen bieten zudem eine Fülle von Möglichkeiten, Nähe und Distanz des Vermittelten zu differenzieren. Denn eine Arbeit mit der Sprache ist immer auch eine Arbeit mit der Geschichte der Sprache, ihren unterschiedlichen Klangqualitäten und ihrer semantischen und semiotischen Verschiedenheit. Die mikro-strukturelle Gestaltung der Texte dagegen ist unabdingbar bedeutsam für das Beziehungsnetz, das der Komponist zwischen den verschiedenen vokalen und instrumentalen Schichten der Partitur spannt.

    In den zuvor genannten Werken schlägt Beat Furrer nicht nur weite, viele Jahrhunderte umschließende thematische Bögen, sondern er entfaltet auch eine Bandbreite von Figurenkonstellationen, bei denen der Begriff der Protagonistin oder des Protagonisten nicht mehr greift. Zu allen Stücken gehört ein Vokalensemble, Sopran, Alt, Tenor, Bass, zwei- bis dreifach besetzt. Vorsicht ist immer dort geboten, wo es gilt, die Sänger, die Sprecher oder die Chöre in Beat Furrers Musiktheaterwerken einer bestimmten Funktion zuzu-ordnen.¹⁰ So kann der Chor neutral das Geschehen kommentieren oder den subjektiven Inhalten eine überzeitliche Dimension spenden, er muss aber nicht.

    Die Versuchung ist groß, eine Konkordanz in der Zuordnung von Textsorten und Sprachen zu den vokalen Parts zu vermuten. Schaut man sich aber die Werke daraufhin an, ist eine solche Vermutung nur zum Teil zutreffend. Das Augenmerk sollte daher auf die Ausgestaltung der Schnittstellen zwischen den verschiedenen

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