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Totgeweiht
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eBook617 Seiten8 Stunden

Totgeweiht

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Über dieses E-Book

Ein bei lebendigem Leibe enthaupteter Priester in Rom. Eine US-Biologin, die in eine menschenverachtende südostasiatische Diktatur entführt wird. Ein in Afghanistan geplanter terroristischer Anschlag auf Deutschlands größten Flughafen.
Der deutsche Top-Journalist Gerald Winter und sein Bruder Franz geraten ungewollt in die Wirren einer internationalen Verschwörung. Welche Rolle spielt der päpstliche Nuntius im Vatikan, der mit allen Mitteln um den globalen Einfluss seiner Kirche kämpft? Wie skrupellos ist eine radikale Bewegung von Visionären, die gegen alle Widerstände die menschliche Evolution perfektionieren möchte? Und welche Interessen verfolgt der amerikanische Geheimdienst?
Im Laufe seiner Recherchen dringt Gerald Winter immer weiter ins Dickicht der Verschwörung vor und setzt sich und alle seine Mitwisser dadurch tödlichen Gefahren aus. Am Ende muss der
Journalist erkennen, wie untrennbar sein eigenes Leben mit den Geschehnissen verbunden ist.

Der Debut-Roman von Gerd Koslowski ist kein futuristischer Science Fiction, sondern ein knallharter Thriller, der auf realistischen Szenarien basiert. Wissenschaftler und Philosophen arbeiten seit Jahren daran, die Evolution des Menschen mit Hilfe der modernen Technik und Medizin zu perfektionieren. Dynastische Regime und Geheimdienste wollen davon profitieren. Konservative Kreise wiederum möchten den Eingriff in die natürliche Schöpfungsordnung unter allen Umständen verhindern. Ein gefährlicher Konflikt, der zum Pulverfass werden kann.

In "Totgeweiht" wird die Lunte angelegt. Erzählt wird ein tödlicher Kampf, der an zahlreichen Orten dieser Welt ausgetragen wird: im Vatikan, in den USA, in Nordgojang (ein fiktives kommunistisches Regime in Asien), in Deutschland und in Schottland. Der deutsche Journalist Gerald Winter, der die Verschwörung zusammen mit seinem Bruder Franz , einem Jesuiten-Pater in Rom, aufzudecken versucht, verliert spätestens in Nordgojang die Kontrolle über den Fall. Dort findet er mit Lindsay Townsand, einer entführten US-Biologin, seine verlorene Liebe wieder. Zugleich öffnet sich hier in Asien das Fenster in die eigene Kindheit und zerstört alle Ideale aus dieser Zeit.

Ein Leser schrieb: "Ein tolles Buch. Die Story ist thematisch so nach an der (vermutlichen) Realität, dass es einem Angst machen kann. Gerne mehr davon!"
SpracheDeutsch
HerausgeberXinXii
Erscheinungsdatum17. Dez. 2013
ISBN9783957030108
Totgeweiht

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    Buchvorschau

    Totgeweiht - Gerd Koslowski

    Gerd Koslowski

    Totgeweiht

    Thriller

    I M P R E S S U M

    Totgeweiht

    © 2013 Gerd Koslowski

    Alle Rechte vorbehalten.

    Autor: Gerd Koslowski

    gerdkoslowski@hotmail.com

    ISBN: 9783957030108

    Verlag GD Publishing Ltd. & Co KG

    E-Book Distribution: XinXii

    www.xinxii.com

    Dieses E-Book, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt und darf ohne Zustimmung des Autors nicht vervielfältigt, wieder verkauft oder weitergegeben werden.

    Gestaltung: Das Cover-Bild ist eine private Aufnahme und zeigt den Apostel Bartholomäus im Mailänder Dom. Dem Heiligen wurde der Legende nach bei lebendigem Leibe die Haut abgezogen. Anschließend hat man ihn kopfüber gekreuzigt.

    Ich widme dieses Buch allen freiheits- und lebensliebenden Menschen, allen voran meiner Frau Ruth und unseren beiden Söhnen Moritz und Jakob.

    Der Mensch ist etwas, das überwunden werden will.

    Friedrich Nietzsche,

    Also sprach Zarathustra

    Prolog, Köln, 1985

    Es war ein warmer Sommertag, an dem die Drei starben. Die fliederfarbenen Blüten der großen Lavendelbüsche in den Gärten der Stadt waren belagert von Hummeln, Bienen und weißen Faltern. Kinder liefen mit spitzen Schreien durch den kalten Sprühregen der Wassersprenger. Jeder der in die Luft geschleuderten Tropfen spiegelte kristallklar die Farben des Sonnenlichts, das kräftige Grün des Rasens, das klare Blau des Himmels, bevor sie sich wirbelnd auf den Boden legten, versickerten oder sich in der Hitze des Sommers geistergleich auflösten in unsichtbaren Nebel, der gen Himmel strebte, um eines Tages verändert wiederzukehren.

    Der Tod trat ein, während sich die beiden Brüder Gerald und Franz im Schatten einer großen Buche den Ball zuspielten. Gerald, der 17-Jährige, hoch aufgeschossen, mit breitem Rücken und einer lockigen blonden Mähne und der drei Jahre jüngere knabenhaft flinke Franz mit einem Wesen von Ruhe, Intelligenz und innerer Aufmerksamkeit. Ihre Mutter Anne bereitete einen Sommersalat mit Granatapfelkernen und Kräutern aus eigener Saat zu. Sie schaute zu ihren Söhnen mit einem sanften Lächeln hinüber. Ihre glatten dunklen Haare, das schmale Gesicht und ihre langen schlanken Finger, mit der sie die Salatblätter zupfte, verliehen ihr die Anmutung einer göttergleichen Figur der griechischen Antike. Sie wirkte grazil und elegant mit ihrem ruhigen Blick, selbst in dem einfachen gepunkteten Sommerkleid, das sie jetzt trug.

    Martin Winter, Annes Mann und Vater der Jungen, war geschäftlich verreist. Wie so oft. Schlank und groß gewachsen mit schwarzen Scheitel, stets korrekt gekleidet. Der Alltag im Hause Winter fand ohne ihn statt. Den Jungen fehlte etwas, aber sie wussten nicht, was es war. Ihr ganzes weiteres Leben würden sie danach suchen.

    Das große Anwesen der Winters gehörte Hektor, dem 75-jährigen Patriarchen der Familie, Vater von Martin Winter, und seiner Frau Marlene. Hektor hatte es während des Zweiten Weltkriegs erworben. Die damaligen „Umstände", wie er es nannte, hatten einen vergleichsweise günstigen Erwerb des Grundstücks ermöglicht. Mehr gab es dazu nicht zu sagen. Nach dem Krieg avancierte Hektor Winter mit seiner Privatpraxis am Hohenzollernring zu einem der bekanntesten Ärzte Kölns. In seinen aktiven Jahren gehörten Politiker, Unternehmer und Persönlichkeiten aus dem gesellschaftlichen und kulturellen Leben der Stadt zu seinen Patienten. Den Ruhestand genoss er mit seiner Frau Marlene bei Ausflügen mit ihrem Mercedes 280 SE Cabrio, auf den Hektor so stolz war. So wie an diesem Sonntagmittag, als sie gemeinsam in die Sonne hinaus gefahren waren. Unterwegs auf der Landstraße zwischen Köln und Bonn flatterte Marlenes Halstuch im Fahrtwind des offenen Verdecks, Hektor hatte seine Schirmmütze tief ins Gesicht gezogen. Elegant und standesbewusst glitten sie über den heißen Asphalt.

    Das entgegenkommende Fahrzeug prallte auf gerader Strecke ohne erkennbaren Grund frontal in den Mercedes. Es war langsam herübergezogen, hatte die rechte Fahrbahn verlassen und war unmittelbar auf den Mercedes zugesteuert. Keiner der beiden Fahrer hatte die Geschwindigkeit verringert. Niemand versuchte zu bremsen oder sonst irgendwie den unweigerlichen Zusammenprall zu verhindern. Hektor hatte in seinem Leben gelernt, die Spur zu halten und nicht auszuweichen. Er blieb seiner Überzeugung treu, bis in den Tod. Der alte Mann bemühte sich mit zusammengekniffenen Augen den anderen zu erkennen, versuchte zu verstehen. Er hätte gerne den Schleier auf der Frontscheibe weggewischt, der seine Sicht behinderte. Aber da war keiner. Er konnte klar sehen und doch nicht erkennen. War das ihr Schicksal? So viele Angriffe in seinem Leben hatte er erfolgreich abwehren können, Angriffe, die weit gefährlicher erschienen waren als dieses Auto auf einer menschenleeren Straße an einem sonnigen Sonntagmittag zwischen Köln und Bonn.

    Marlene sah den Unfall voraus, griff nach links und rechts, um sich irgendwo am Leben festzuhalten, egal an was, verkrampfte und schaffte es nicht mehr, einen Laut von sich zu geben. Sie starb still. Die Fahrzeuge splitterten ineinander, verschmolzen in einer Symphonie berstenden Glases, brechender Kunstoffe und sich biegenden Metalls. Die Hupe des Mercedes setzte ein, als Hektor mit einem bereits beim Aufprall aus dem Rückgrat gerissenen schwingenden Kopf auf das hölzerne Lenkrad aufschlug. Die Fahrzeuge drehten sich gegeneinander. Es war wie das Duell zweier schwergewichtiger Stiere, die ihre Hörner verkeilt hatten und deren Leiber heftig gegeneinander schlugen. Bei dem Duell auf der Landstraße gab es keinen Überlebenden.

    Martin Winter ärgerte sich über die Störung. Den Anruf aus der Hotellobby, es gäbe ein dringendes Telefonat seiner Familie aus Köln, beschied er mit einem zornigen „Jetzt nicht!". Er habe darum gebeten, unter keinen Umständen gestört zu werden. Ob man das nicht verstanden habe. Sicherlich, Herr Winter, man bedauere die Störung auch außerordentlich, erklärte der Concierge des Hotels mit tiefstem Wiener Akzent durch das Telefon. Man habe ihn auch nur deshalb angerufen, weil es sich um seinen Sohn Gerald Winter gehandelt und dieser auf die besondere Dringlichkeit der Angelegenheit hingewiesen habe. Keine Familienthemen jetzt. Das würde warten können bis zum Abschluss seines Geschäftes.

    Martin Winter blickte seinem Gegenüber in die Augen, lächelte und legte behutsam den Telefonhörer zurück auf die Gabel. Den in einem grauen Anzug gekleideten Asiaten mit kleiner Statur und schwarzen Haaren durfte er unter keinen Umständen verunsichern. Er kam ein Mal im Jahr mit einer großen Liste von Bestellungen, deren Gesamtvolumen mehrere Millionen D-Mark ausmachten. Geld spielte keine Rolle bei diesen Einkäufen. Dieser Mann war seine persönliche Goldader und er würde ihm auch in diesem Jahr wieder alle seine Wünsche erfüllen – diskret und kreativ. Wenn es nicht anders ging, auch an den offiziellen Behörden vorbei. Ein schlechtes Gewissen plagte Martin Winter nicht. Er war nicht der einzige in diesem Metier, der die bestehenden Regelungen etwas großzügiger auslegte. Wozu die verschiedenen Werkzeuge, Maschinen und Materialien verwendet wurden, wusste Martin nicht. So war es gut. Er nahm sich die aktuelle Liste vor, die sein Geschäftspartner mitgebracht hatte, und begann mit ihm Punkt für Punkt durchzugehen. An Position 1 fanden sich 10 Aluminium-Tanks in der Höhe von rund zwei Metern. Martin Winter hatte bereits eine Idee, wo sie zu beschaffen waren.

    Der Fahrer des zweiten Unfallfahrzeugs hinterließ nichts außer einem mehrfach sorgfältig gefalteten Zettel, groß wie eine Zigarettenschachtel. Die Kanten waren wie mit einem Fingernagel glatt gezogen worden. Er hatte sich damit viel Zeit genommen. Der Polizist, der das Papier in den Trümmern fand, bemerkte die roten Spritzer, die sich wie ein Fischernetz über das Weiß des Blattes gezogen hatten. Erst sehr viel später öffnete jemand den kleinen Brief und fand darin ein fein säuberlich mit schwarzer Tinte geschriebenes Fragment eines bekannten Gedichtes:

    ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete

    dein aschenes Haar Sulamith er spielt mit den Schlangen

    Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland

    er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft

    dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng

    Der Zettel landete in den Akten zu diesem tragischen Unfall, dessen Hintergründe nicht aufgeklärt werden konnten. Fest stand nur, dass die Winters keine Schuld traf. Die alleinige Verantwortung hatte der Fahrer des zweiten Unfallfahrzeugs zu tragen, der seinen Wagen aus nicht geklärter Ursache auf die Gegenfahrbahn gelenkt hatte. Der Wagen war auf einen Jakob Schimmel zugelassen. Alkohol und Drogen konnten als Erklärung hierfür ebenso wenig herhalten wie der Verdacht auf einen plötzlichen Herzinfarkt am Steuer. Der Mann war kerngesund, als er in den Mercedes der Winters fuhr. Auf einen Sicherheitsgurt hatte er verzichtet. Man konnte im Nachhinein keine lebenden Angehörigen des Unfallfahrers mehr ausfindig machen.

    Der Gottesdienst für Hektor und Marlene war bewegend. Über 200 Gäste nahmen daran teil. Gerald und Franz trugen die Särge mit, die auf dem Melaten-Friedhof im Kölner Westen feierlich zu Grabe getragen wurden. Ihr Vater hatte aus Wien Sachertorten mitgebracht für die anschließende Trauerfeier. Seine Stimmung war gut. Der Abschluss war geglückt.

    Als die Trauergesellschaft im Garten des Hauses der Winters den Tod seiner Großeltern bedauerte, griff Gerald nach der Flasche Whiskey im Bar-Fach seiner Eltern. Die Trauer über den Verlust seines geliebten Großvaters Hektor trieb ihn an jenem Tag in ein anderes Leben. Mit jedem Schluck aus der Flasche streifte er seine Kindheit ein bisschen mehr ab, bis nichts mehr blieb. Als Gerald wiedererwachte, war er in einer kalten, grauen und übelriechenden Welt angekommen. Sein Bruder Franz saß leise weinend neben ihm.

    Teil 1,

    Die unsichtbare Bedrohung,

    Oktober 2012

    „Es ist als wäre der Mensch plötzlich zum Geschäftsführer des größten Geschäftes überhaupt ernannt worden, dem Geschäft der Evolution – berufen, ohne überhaupt gefragt zu werden, ob er dies machen wolle und ohne angemessene Warnung und Vorbereitung. Doch der Mensch kann diesen Job nicht ablehnen. Ob er will oder nicht, ob er weiß, was er tut, oder nicht, er bestimmt die zukünftige Richtung der Evolution der Erde. Das ist sein unentrinnbares Schicksal und je eher er das realisiert und daran glaubt, desto besser für alle Beteiligten."

    Julian Huxley (1957)

    Kapitel 1, Rom

    Haben Sie eine Vorstellung davon, wie es sich anfühlt, endlos zu sterben? Ohne jedes Hoffen?

    Die beiden ersten Sätze des Briefes ließen den 67-jährigen Priester erschauern. Draußen war es dunkel und kalt in dem frühmorgendlichen Rom. Herbstliche Stimmungen. Wassertropfen hingen in der Luft und wurden von einem heftigen Wind durch die leeren, milchig beleuchteten Straßen getrieben. In seiner Wohnung beugte sich der massige Priester an seinem großen, vom jahrelangen Gebrauch zerkratzten Holzschreibtisch im Licht der Leselampe über den handgeschriebenen Brief, runzelte die grobe Stirn, während zwei geisteswache Augen über die Zeilen huschten.

    Wissen Sie, was es bedeutet, einen Menschen zu verlieren, den Sie über alles lieben? Einen Mensch, der in Ihrem Leben steht, tief und fest verwurzelt als Teil Ihrer selbst? Der rausgerissen tiefe Wunden schlägt in ein zerfetztes Herz, das ewig blutet, ohne zu heilen? Wenn Sie ihm dabei zusehen müssen, wie er mit gefühlloser Langsamkeit aus dem Leben scheidet? Und scheidet. Und scheidet. An einer gottgegebenen unmenschlichen Krankheit. Eine Krankheit, die die Würde des Menschen in dem Maße zersetzt wie sein Gewebe und seine Organe mit hämischer Willkür langsam, ganz langsam zerstört werden. Und nichts als eine Hülle bleibt, die Funktionen birgt und das Bewusstsein, mit seinem ganzen Sein dem Tod ausgeliefert zu sein. Ich konnte nichts mehr tun als beten. Solange, bis auch das sinnlos wurde. Welchen Nutzen hat es, einen Gott anzubeten, der das Leiden und den Tod des Menschen zur Eingangspforte in sein Himmelreich erhöht hat. Welch ein Zynismus!

    Der Priester hatte den Brief gestern Abend erhalten. Er war unfrankiert und ohne Absender. Auf dem Umschlag stand: „An Monsignore Lombertini. Und darunter: „Bitte sofort lesen! Jemand – vermutlich der Schreiber selbst – musste ihn persönlich in den Briefkasten geworfen haben. Die Schrift war ordentlich, aber nicht schön. Eine Männerhandschrift.

    Gestern Abend hatte der Priester nicht mehr die Kraft gehabt, das Couvert zu öffnen. Er hatte es sich für den nächsten Tag vorgenommen und ihn auf seinen Schreibtisch gelegt. Leute schrieben an Geistliche nur in eiligen Lagen. Immer ging es um Not, Sünde, Vergebung, Hochzeit, Krankheit und Tod. Er hatte mit seinen 67 Jahren noch nie erlebt, dass ein Gläubiger seiner Gemeinde mit ihm per Brief eine theologische Glaubensfrage erörtern wollte. Das Schreiben in seiner Hand stammte wohl nicht aus seiner Gemeinde. Er kannte die Menschen, die zu ihm in den Gottesdienst kamen. Und er wusste um ihre Sorgen. Dieser Brief war nicht bittend. Hier wollte jemand nicht seine Ängste mit ihm teilen und den priesterlichen Segen einholen. Das Schreiben las sich eher wie eine bittere Anklage. Aus den Worten klang Enttäuschung und Verbitterung, Verletzung und große Ohnmacht. Schmerz. Es las sich wie eine Herausforderung. Eine Abrechnung. Der Priester überlegte und warf einen Blick auf das Ende des Briefes auf der zweiten Seite. Dort stand der Satz „Im Andenken an meine liebe Schwester. Unterschrieben hatte der unbekannte Autor mit dem Pseudonym „Ankh - Priester des ewigen Lebens.

    Es gibt die Chance auf ein ewiges Leben. Aber nicht mit Ihrem Gott, Monsignore. Es gibt das Versprechen der Heilung und Gesundheit für alle jene, die heute noch unter Krankheit und Verfall leiden, wenn die Menschheit es wirklich will. Dazu reichen nicht Beten und fromme Worte. Forschung, Innovation und Wissenschaft, Experimente und die Bereitschaft zum Opfer sind die Sakramente unserer neuen Religion. Wer sich ihr in den Weg stellt, erfährt die heilige Inquisition, damit er daselbst gerettet werde und befreit von seinem Irrglauben.

    Der Priester warf den Brief angewidert auf den Schreibtisch. Verspottete ihn hier jemand oder handelte es sich tatsächlich um eine handfeste Drohung? Wer wollte sich mit der Mutter Kirche anlegen? Wer mit ihm! Der Monsignore schob erregt den Stuhl zurück, wuchtete sich aus der Lehne und ging heftig atmend hinüber ins Wohnzimmer, um aus dem Fenster auf die Lichter der römischen Nacht zu schauen. Er musste sich beruhigen. Noch immer wehte ein heftiger Wind, doch der Regen hatte aufgehört. Einzelne Autos suchten sich den Weg durch die Nacht.

    Natürlich kannte der Priester seine Gegner. Aber noch nie hatten sie sich so weit vorgewagt. Die Bewegung wurde immer gefährlicher, von Tag zu Tag. Ihre Forderungen radikaler. Gestern Abend noch hatte der Monsignore alle seine Energie daran gesetzt, den einflussreichen Nuntius Tomasz Wiszynski im Vatikan von der Ernsthaftigkeit der Lage zu überzeugen. Die christliche Kirche verlor seit Jahren Einfluss. Sie schrumpfte. Heerscharen von Menschen wandten sich Jahr für Jahr von ihr ab. Das ewige Leben war die letzte Bastion der Kirche. Das letzte Monopol der auf den Fels Petri gebauten Weltorganisation. Das Bollwerk musste mit allen Mitteln verteidigt werden, koste es, was es wolle. Vielleicht war es die letzte Chance für die Kirche.

    Um 5.02 Uhr klopfte es leise. Gennaro Lombertini stutzte und sein Kopf fuhr um in Richtung des Flurs. Nichts. Vermutlich hatte er das Holz seiner Dielen gehört, die sich dehnten. Seine Haushälterin würde erst gegen 6 Uhr kommen, um ihm bei den Vorbereitungen der Morgenmesse zu helfen. Doch dann klopfte es ein weiteres Mal, jetzt lauter. Jemand stand vor seiner Wohnungstür und begehrte Einlass. Monsignore Lombertini zog seinen Morgenrock fest zu und überlegte noch, wer ihn so früh zu sprechen wünschte, als er schon ging, um die Tür zu öffnen. Im Dunkel des Hausflurs stand ein Mann in durchsichtigem Schutzanzug. Wegen des Regens, war zu vermuten. Er trug einen Aluminiumkoffer, wie ihn Notärzte benutzten. Auf dem Boden stand eine große viereckige Kiste mit zwei Klappverschlüssen, ebenfalls mit Aluminiumblech ummantelt. Der Mann sprach ihn freundlich an. „Guten Morgen, Monsignore. Ich bedauere, Sie so früh stören zu müssen, aber ich habe es leider eilig. Es geht um Leben und Tod."

    Der Priester bemühte sich, das Gesicht des Mannes zu identifizieren. Doch im Dunkeln konnte er nur schemenhaft sehen. Erkennen konnte er ihn nicht. Was er sah, war ihm unbekannt. „So früh? Ich verstehe nicht… Wie kann ich Ihnen denn helfen?" Die ganze Situation war ihm unbehaglich.

    „Nein, nein, Monsignore, das haben Sie falsch verstanden", entgegnete der Mann mit einer frischen und klaren Stimme. „Ich möchte Ihnen helfen. Haben Sie denn meinen Brief nicht erhalten?"

    Gennaro Lombertini durchfuhr der Gedanke wie ein Blitz. Vor ihm stand der unbekannte Schreiber. Seine Gegner, die er über Jahre nie zu Gesicht bekommen hatte, mit denen er Worte ausgefochten hatte, Ideen und Überzeugungen. Jetzt gab es ein Gesicht, wurde die Auseinandersetzung persönlich. Wirklich. Die heilige Inquisition. Im Brief hatten sie die heilige Inquisition angedroht. Es war ein leichtsinniger Fehler gewesen, die Tür zu öffnen. Der Priester brachte noch „Zum Teufel!" heraus, als ihn der funkensprühende Taser von den Beinen riss.

    Kapitel 2, Baltimore

    Die attraktive Biologin Lindsay Townsand hatte sich einen Plan zurechtgelegt. Ihre Bewerbung um den Chefposten für das neue Institute an der John Hopkins Universität hatte sich offensichtlich in der Community herumgesprochen. Vor drei Wochen hatte sie ein Reporter von Newsweek angerufen und Lindsay um ein Gespräch gebeten. Da sie bislang immer in der zweiten Reihe gestanden und deswegen nie direkten Kontakt zu Journalisten hatte, kannte Lindsay den Mann nicht. Er hieß Bob Fisher und schrieb für den Wissenschaftsteil des Magazins. Woher er die Information über ihre Bewerbung habe, wollte er nicht sagen. Quellen-Geheimnis. Dennoch fühlte sich Lindsay geschmeichelt und erkannte ihre Chance. Sie überlegte kurz, ihre Chefin, die Nobelpreis-Gewinnerin Nancy Wolfson, einzuweihen. Aber der Journalist hatte ihr davon abgeraten und tatsächlich ging es ja bei dem Gespräch nicht um ihre Arbeit im Nancy Wolfson Labor, sondern um ihre Bewerbung für das neue Forschungslaboratorium. Es war also ihre Sache und sie würde es für sich behalten. Mit einem positiven Artikel in Newsweek könnte sie die Entscheider in der Universität beeindrucken. Denn mit der Bekanntheit und Reputation der Wissenschaftler an den Instituten stieg auch die Chance, Forschungsgelder einzuwerben und Kooperationen mit potenten Konzernen zu vereinbaren.

    Eine Woche nach dem ersten Anruf hatten sich Bob Fisher und Lindsay Townsand zum Lunch getroffen. Das war jetzt genau zwei Tage her. Fisher hatte ein gojangnisches Restaurant vorgeschlagen, das „Nam Kang" auf der Maryland Avenue. Damit lag es in sicherer Entfernung zur School of Medicine, was garantierte, dass sie ungestört und unbeobachtet reden konnten. Bob Fisher war einer von der leisen Sorte, groß gewachsen, schlank, allerdings nicht athletisch. Er hatte den Kopf mit dem schütteren Haar leicht gebeugt und seine ganze Körperhaltung hatte etwas Schiefes an sich.

    Lindsay hatte sich ein graues Kostüm mit knielangem Rock und eine weiße, leicht durchsichtige Bluse mit dunklem BH angezogen. Sie sah sexy aus und das war auch gewollt. Ihrer Ausstrahlung auf Männer war sich Lindsay seit ihrer Jugend bewusst und im Gegensatz zu manch anderen gut aussehenden Frauen, die ihre Weiblichkeit lieber versteckten statt aufzufallen, ließ Lindsay sie in den richtigen Augenblicken bewusst zur Geltung kommen. Als Biologin wusste Lindsay, dass und wie die Natur dafür gesorgt hatte, dass Männer und Frauen Signale senden und empfangen konnten. Sie wusste, damit umzugehen und nur selten scheiterte sie damit.

    Für Lindsay, die Single war, gab es genau drei Kategorien bei Männern, auf die sie sich einließ: Spaß, Freundschaft, Geschäft. Groß mochte sie, blond auch. Dieser Deutsche, Gerald Winter, war ein Mann nach ihrem Geschmack gewesen. Damals in München. Auch mit ihm hatte sie Spaß gehabt, war auf ihre Kosten gekommen. Aber da war mehr als die pure Freude am Abenteuer. Der Mann hatte sie interessiert. Sie hatte sich jede Minute dieser drei Kongresstage auf ihn gefreut, im Bett und an der Bar. Er hatte etwas zu erzählen. Und er mochte sie. Schließlich war der Kongress vorbei und sie hatten sich aus den Augen verloren. Schade eigentlich. Wenn sie in ihrer Badewanne lag und sich verwöhnte, dachte sie hin und wieder auch an ihn. Schön die Vorstellung, ihn eines Tages wiederzusehen. Erregend die Idee, er könnte in jenem Augenblick bei ihr liegen.

    Bob dagegen war kein Typ für ihr Bett. Dafür war er aber der Typ für das Geschäftliche. Er war wichtig für sie. Nachdem sie ein paar Belanglosigkeiten ausgetauscht hatten, bestellten sie gojangische Spezialitäten und brieten das Fleisch auf ihrer Kochplatte am Tisch. Bob Fisher hatte ihr von Beginn an das Gefühl gegeben bedeutend zu sein. Er habe ihre Karriere schon seit längerem verfolgt und ihre Publikationen mit großem Interesse gelesen, hatte er erklärt. Es sei an der Zeit, eine zweite Frau neben Nancy Wolfson zu fördern und in die internationale Wissenschaftsszene einzuführen. Bob hatte klar Position für Lindsay bezogen und ihr versprochen einen Artikel zu schreiben, der ihre Ambitionen unterstützen werde. Die folgende Stunde hatte er ihr Zeit gelassen zu erzählen. Woran sie augenblicklich arbeite, was sie interessiere, wie sie das Labor führe und welche therapeutischen Anwendungen sie sich von der Forschung erwarte.

    Lindsay war in ihrem Element gewesen. Mit jeder Antwort war die Überzeugung weiter gewachsen, sie sei die Richtige für das neue Labor. „Ich bin reif für diese Aufgabe", hörte sie sich sagen. Das hatte sie sich erkämpft. Sie wusste, dass ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein im wettbewerbsintensiven amerikanischen Wissenschaftssystem unerlässliche Voraussetzung für Karriere war. Niemand würde ihr die Aufgabe zutrauen, wenn sie nicht selber davon überzeugt war, die beste Kandidatin für diesen Job zu sein. Skrupel dürfte sie jetzt nicht haben, keine Selbstzweifel und keine gerne von Frauen zur Schau getragene Zurückhaltung. Jetzt nicht.

    „Sie sind sehr überzeugt von Ihrer Forschung, Lindsay. Gibt es Grenzen, die Sie ziehen würden? Ethische oder andere?"

    Die Wissenschaftlerin hatte kurz nachgedacht. Was sie sagte, musste Hand und Fuß haben. Es musste zum einen ihre Ambitionen unterstreichen, zum anderen aber jegliche Provokation vermeiden. „Das Leiden von Patienten zu lindern, das Entstehen von Krankheiten zu verhindern und den Menschen ein längeres Leben in Gesundheit zu ermöglichen, ist jede Anstrengung wert. Jede persönliche Anstrengung und jede finanzielle Anstrengung. Auf dem Weg dorthin sollten wir uns nicht von unnötigen Hindernissen aufhalten lassen. Unsere Patienten haben keine Zeit zu verlieren." In ihren Ohren hatte das ehrgeizig genug geklungen. Und es war politisch korrekt.

    Seit dem Mittagessen hatte Lindsay Townsand nichts mehr von Bob Fisher gehört. Jetzt, auf dem Weg in die Stadt, versuchte sie ihn erneut telefonisch zu erreichen. Auf ihre Bitte sie zurückzurufen, hatte er bislang nicht reagiert. Dabei hatte Bob ihr versprochen, sie über das Erscheinen des Artikels zu informieren und offene Fragen zu klären.

    Bob Fisher hatte ihr auch den Tipp gegeben, Martin Svensson zu treffen, einen einflussreichen Lobbyisten, der bei Politikern, Unternehmen und der Universität in Baltimore ein und aus ging. Jetzt war sie auf dem Weg zu seinem Büro, das im Zentrum der Stadt lag. Er hatte sofort zugesagt, als sie ihn angerufen hatte.

    Sie hatte sich gar nicht vorstellen müssen. Ihr Name am Telefon reichte. Das schmeichelte ihr. Bob Fisher schien bereits ganze Arbeit geleistet zu haben, als er Martin Svensson ihren Anruf avisiert hatte.

    „Guten Tag, Mrs. Townsand. Ist schon gut. Ich weiß, wer Sie sind, unterbrach er sie in freundlichem Ton. „Sie sind die Favoritin für den Posten des neu zu schaffenden Labors an der School of Medicine, Mrs. Townsand. Dieser Reporter von Newsweek hat hier angerufen. Ich glaube, er hieß Frank.

    „Bob. Er heißt Bob", korrigierte Lindsay auf die Schnelle.

    „Bob? Nein. Bestimmt nicht, hielt Martin dagegen. „Tut aber auch nichts zur Sache. Jedenfalls war er total begeistert von Ihnen, Lindsay! So wie viele andere auch. Ich habe mich schon umgehört. Sie haben eine Top-Reputation in der Community. Daraus lässt sich etwas machen. Da bin ich sicher. Die Hopkins Universität braucht jemanden wie Sie, Lindsay! Wir müssen uns treffen. Ich werde Sie unterstützen, wenn Sie das möchten. Wann können wir uns sehen?

    So schnell wie möglich, wenn es nach ihr ginge. Sie spürte ihre Chance. Die Warnung einer besorgten Freundin schlug sie in den Wind. Svenssons Ruf sei halbseiden, seine Methoden nicht ganz koscher. Lindsay hielt das für das übliche Klischee, mit dem man PR-Leuten und Strippenziehern wie Svensson in den USA begegnete. Die Amerikaner vermuteten hinter jeder Ecke gleich eine Verschwörung und sie fürchteten sich vor undurchsichtiger Manipulation mächtiger Interessengruppen.

    Eine Suchanfrage bei Google bestätigte Lindsay. Es gab keine Anhaltspunkte für erhöhte Wachsamkeit. Martin Svensson war ein in Baltimore aktiver Lobbyist, der bei der Eröffnung des Kindergartens ebenso zugegen war wie bei dem Spiel des heimischen Football-Clubs Baltimore Ravens. Er war beliebt, bekannt, hatte sein Büro seit Jahren im Stadtzentrum. Okay, er kann sich keinen Namen merken!

    Es war jetzt Viertel vor Sieben, gegen 19 Uhr sollte sie im Büro der Political Campaign Association Baltimore – kurz PCAB – sein. So war es abgesprochen. Martin Svensson würde ihr die entscheidenden Tipps geben und die finalen Fäden spinnen, um ihre Ernennung zur Laborleiterin unumgänglich zu machen. Das bedeutete die Verantwortung über ein 50 Millionen Dollar-Budget und ein Team von 20 Wissenschaftlern. Vor allem aber bedeutete es Ruhm, die Aufnahme in die Top-Liga der wissenschaftlichen Elite des Landes sowie die Chance auf Anerkennung und renommierte Auszeichnungen. Bei dem Gedanken daran fuhr ihr das Adrenalin in die Glieder. Sie war auf dem Weg zur Spitze. Es war ein schöner Herbsttag, der sich mit einer warmen Abendbrise verabschiedete. Der Fahrtwind spielte ihr um die langen braunen Haare. Es war bereits dunkel und die Straßen wider Erwarten leer.

    Lindsay Townsand fuhr in die Tiefgarage des Bürogebäudes der PCAB. Kein Problem, einen Parkplatz zu finden. Die meisten Angestellten waren bereits auf dem Heimweg und Klienten gab es um diese Uhrzeit nur wenige. Lindsay parkte direkt neben dem Aufzug zum Bürogebäude. Was ein Glück, dass dieser Parkplatz frei war! Jedes Mal, wenn sie in eine Tiefgarage einfuhr, beschlich sie ein mulmiges Gefühl. So auch jetzt. Bilder aus Horror-Streifen, die sie gesehen hatte, holten sie ein. Lindsay dachte an das Interview mit einer bekannten Feministin aus Deutschland, das sie am Morgen im Frühstücksfernsehen gesehen hatte. Wenn sie Recht hatte, waren die Medien Teil einer männlich dominierten Propaganda-Maschine, deren einziger Zweck es war, durch Bilder sexueller Attacken von Männern auf Frauen – vorzugsweise in den dunklen Höhlen der modernen Zivilisation, also den Tiefgaragen – den weiblichen Teil der Gesellschaft permanent in Angst zu halten. Damit blieben sie in Abhängigkeit vom Patriarchat. Lindsay war bei Gott keine Feministin und froh darüber, sich nicht ihr ganzes Leben lang mit bösartigen Männerphantasien beschäftigen zu müssen. Sie konnte sich Schöneres mit ihnen vorstellen. Dennoch fröstelte es Lindsay, als sie jetzt den Motor abstellte.

    Links neben ihrem Chevrolet stand ein schwarzer Van mit abgedunkelten Scheiben. Aber es war ruhig. Lindsay schaute nach rechts, dann über den Rückspiegel nach hinten. Nichts rührte sich. „Jetzt fängst du auch schon mit dieser Paranoia an!", ärgerte sie sich, packte ihre Unterlagen und schwang ihre Beine aus dem Auto.

    Es passierte, als sie die Autotür wieder zuwarf. Lindsay wirbelte panisch herum, als sie die Geräusche hörte. Drei schwarz gekleidete und maskierte Männer sprangen aus dem Van und liefen direkt auf sie zu. Sie wusste sofort, was es bedeutete. Nun also doch! Sie sah die Männer mit den schwarzen Masken und die Spritze, die im nächsten Augenblick in ihren Hals gestochen wurde. Zum Schreien blieb keine Zeit. Im selben Moment verlor sie das Bewusstsein.

    Das Ganze dauerte rund 15 Sekunden. Es war jener Zeitraum, für den die Videoüberwachungskamera für diesen Teil der Tiefgarage keine Bilder lieferte.

    Um 20 Uhr verließ Martin Svensson kopfschüttelnd sein Büro und fuhr mit dem Aufzug in die Tiefgarage. Lindsay Townsand war nicht wie verabredet aufgetaucht. Weshalb blieb ihm ein Rätsel. Kein Anruf von ihr und das Handy hatte sie abgeschaltet. Wenn er sich jetzt beeilte, schaffte er es vielleicht noch zum ersten Drittel der Baltimore Ravens.

    Kapitel 3, Rom

    Als Francesca Morini die Leiche des Monsignore Gennaro Lombertini fand, bekreuzigte sie sich drei Mal, bevor sie losschrie. Schnell ging ihre Hand, als hinge davon ihr Leben ab. Als könne nur die Berührung im Kreuzzeichen die gegenwärtigen Tod und Teufel abwehren. Denn für deren leibhaftige Existenz lag mit dem auf dem über die Jahre dunkel getretenen Parkettboden liegenden toten Monsignore ein weiteres erschütterndes Beweisstück vor.

    Eigentlich war die Haushälterin gekommen, um den Monsignore zur frühmorgendlichen Andacht zu wecken, die er als Gemeindepfarrer von Santa Maria in Cosmedin jeden Morgen um 7 Uhr zelebrierte. So, wie sie es immer tat seit über 20 Jahren. Als sie das Licht im Arbeitszimmer von Gennaro Lombertini brennen sah, glaubte sie auch zunächst, er habe die Nacht über seinen Schriften und Predigten gesessen. Das wäre nichts Ungewöhnliches gewesen. „Wo dieser Mann die Kraft hernimmt", hatte sie noch halb bewundernd, halb liebevoll ärgerlich über die Unvernunft dieses 67-Jährigen sinniert, als sie anklopfte. Doch im Arbeitszimmer fand sie ihn nicht. Sie fand ihn im Wohnzimmer.

    Francesca Morini schrie in ihrer Angst noch immer. Aus dem entsetzten schrillen Schrei zu Beginn war ein klagendes und ängstliches Wehgeschrei geworden. Wie lange sie dort schon stand, wusste sie nicht. Eine beginnende Ohnmacht legte sich auf die Stimme. Aber sich zu rühren war die Haushälterin nicht in der Lage. Hier war etwas Unmenschliches am Werk gewesen, dessen fortdauernde Präsenz die fromme Frau lähmte. Unsagbar und unvorstellbar die Tat, unschuldig das Opfer. Francesca Morini suchte verzweifelt Etwas, das ihr hätte Stütze geben und Beistand gewähren können. Francesca Morini umfasste zitternd und suchend ihr silbernes Kruzifix, das sie immer um den Hals trug, und drückte es, bis ihre Handknöchel schmerzten. Sie war gefangen in dieser Szenerie des Todes. Irdischen Trost konnte es keinen geben.

    Sie bemerkte weder die Schmerzen in ihrer Hand, noch den jungen Pater Franz Winter, der plötzlich neben ihr stand und auf die blutige Szenerie niederblickte. Ihn entrückte der Anblick des toten Monsignore wie eine geheimnisvolle Kraft. Gekommen war auch er wie jeden Morgen, um dem Pfarrer bei der Vorbereitung der Morgenmesse behilflich zu sein. Es war nicht seine stärkste Stunde. Pater Franz hatte sich mehr mechanisch, als enthusiastisch auf den Weg zu seinem ersten Amt an diesem Tag aufgemacht. In dieser Hinsicht entsprach er nicht dem allgemeinen Ideal eines Geistlichen, von dem man annahm, dass er leidenschaftlich gerne schon in den frühen Morgenstunden auf harten Holzbänken kniete und Psalmen sang. Pater Franz tat zuverlässig seinen Dienst, aber die Leidenschaft setzte bei ihm erst gegen 9 Uhr morgens ein, wenn neben seinem drahtigen Körper endlich auch der Geist erwacht war.

    Jetzt aber war er hellwach, trotz der frühen Morgenstunde. Nicht nur wegen des sirenenartigen Geschreis der alten, zitternden Haushälterin, sondern vor allem wegen des skurrilen Anblicks des vor ihm liegenden kopflosen Pfarrers, dem er seit zwei Jahren in dessen Gemeinde zur Hand ging. Er hatte die tiefe Hinwendung des 67-Jährigen zu den Menschen stets bewundert, seine herzliche Freude über jedes Sakrament, das er spenden konnte, jede Taufe, Kommunion und Hochzeit. Er ließ niemanden die Routine spüren, wenn er einmal mehr einen Vater den Toten übergab und dessen Witwe und Kinder tröstete.

    Nun lag er vor ihm. Ermordet. Den letzten Kampf hatte er verloren. Hier half kein Gott mehr. Pater Franz rief die Polizei.

    Zehn Minuten später traf der ehrgeizige junge Inspektor Michele Moratti von der römischen Polizei ein, gefolgt von weiteren Polizisten und den Spezialisten von der Spurensicherung mit ihren Koffern, Kameras und Leuchten. Sie waren schnell gewesen. Der römische Verkehr ließ so früh am Morgen noch ungewohnten Raum für schnelle Einsatzfahrten. Es war 6.23 Uhr, als Moratti das Haus betrat.

    Das schwierigste an seinem Job war das Ankommen, der erste Blick auf das Unbeschreibliche. Das Überschreiten der Schwelle. Vor dieser lag das mehr oder minder friedliche und aufregende Leben der Bürgerlichkeit, hinter ihr lag die dunkle Fratze des Bösen. Etwas in ihm verlangsamte die letzten Schritte, sein Herz pumpte schneller als gewöhnlich, der Körper schüttete Adrenalin aus, Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn.

    Das war ihm nicht unbekannt. Das Ankommen verlangte von Moratti eins auf das andere Mal die Bereitschaft ab, sich einer körperlichen und psychischen Reaktion auszusetzen, die ihn schmerzte und zugleich befreite. Anders ging es nicht. Der erste Blick auf die Leiche glich dem Sturz in das dunkle Eisloch, in das er mit jugendlichen 15 Jahren beim Schlittschuhfahren eingebrochen war. Das Eiswasser traf den jungen Moratti wie ein Schock. Es drohte ihn zu verschlingen. Flach und schnell ging sein Atem, die ihn umgebende Flüssigkeit brannte wie Feuer auf seiner Haut, sein Organismus drohte zu versagen und sein Bewusstsein verengte sich auf dieses eine Ziel: Überleben. Damals retteten ihn zwei Freunde, zogen ihn heraus und weg von dem tödlichen, kalten schwarzen Loch.

    Das Geschehene aber hinterließ Narben. Nachts bekam er Alpträume und über die folgenden Monate verlor er seine Lebensgeister, bis er begriff, dass er zurück in das Eiswasser springen musste, um sich von dem Fluch der Furcht zu befreien. Der erste Blick am Tatort glich diesem Sprung in das eisige Wasser seiner Jugend. Und jedes Mal, wenn er sprang, wurde er stärker.

    Der Dielenboden knarzte jetzt unter Morattis Füßen. Es empfing ihn eine düstere Wohnung. Die schwachen Glühbirnen in den zwei von altmodischen Lampenschirmen umkränzten Deckenleuchtern schafften es nicht, das Dunkel der Nacht aus der kleinen Wohnung des Monsignore Lombertini zu verbannen. Es roch muffig, nach alten Tagen, auch wenn die Zimmer einen insgesamt sauberen Eindruck machten. In die Luft mischte sich ein süßlicher Duft, vermutlich Weihrauchreste in den Kleidern des Priesters. Er sah Menschen, eine ältere Frau mit Kopftuch, deren Arme sich krampfhaft bebend vor ihren Körper gespannt hatten. Neben ihr einen kleinen drahtigen Mann im priesterlichen Aufzug mit wenigen, kurzen Haaren auf einem runden Kopf, um die 40 Jahre, mit wachen Augen, vermutlich dieser Pater Franz, der sie gerufen hatte.

    Dann fiel Morattis Blick auf die Leiche. Da war es wieder. Er stand am Eisloch. Etwas saugte ihn ein. Er versuchte zu verstehen, aber immer wieder löste sich sein Verstand. Noch war er nicht so weit. Wie in Trance übermannte ihn die Vision dieses Anblicks. Eine Mordtat, die so grausam war, dass sie die menschliche Würde des vor ihm liegenden Priesters im Sinne des Wortes geradezu entrissen hatte. Moratti hatte bereits vieles gesehen. Aber was er hier zu sehen bekam, war eine neue Qualität von Verbrechen. Erst Recht, weil sich die Tat gegen einen Würdenträger der katholischen Kirche in Rom gerichtet hatte. Jetzt bekreuzigte sich auch Moratti.

    Es war seine Pflicht, den Toten und den Tatort präzise und ruhig in Augenschein zu nehmen. Jeden Hinweis auf die Tat und den Täter aufzunehmen und als allererstes Mosaiksteinchen für das zur Aufklärung des Falles nötige große und ganze Bild einzubrennen wie in ein schützendes und durchsichtiges Prisma aus Glas. Es reichte selten zu wissen, was passiert war. Auch das Verstehen alleine war nicht ausreichend. Michele Moratti wollte das Verbrechen fühlen, die Umstände wahrnehmen, das Blut riechen. Das war die dritte Dimension der wirklich erfolgreichen Kriminalisten, die nicht fehlen durfte, davon war er überzeugt.

    Hinter dem Inspektor strömten die Polizisten herein. Einem nach dem anderen stockte der Atem beim Blick auf die geschändete Leiche. Die Schritte verlangsamten sich, die zuvor noch lauten und hektischen Stimmen verstummten plötzlich.

    Morattis Bewusstsein kehrte jetzt zurück an die Oberfläche. Er war wieder ganz Inspektor. Leiter der Ermittlungen. Er musste Weisungen geben und seine Truppe führen. Moratti richtete sich auf. In seinem dunkelbraunen Maßanzug und wie stets versehen mit seinem klassischen Borsalino Marrone Hut verkörperte er die Autorität seiner Position und rief den Männern Anweisungen zu. Es fühlte sich ganz normal an.

    „Die Spurensicherung soll anfangen und holt mir Laura aus der Gerichtsmedizin, avanti! Niemand verändert hier etwas. Ich möchte, dass die Nachbarn befragt werden, ob sie etwas gesehen oder gehört haben. Irgendetwas Auffälliges, Schreie oder Kampfgeräusche. Und macht die Augen auf."

    Moratti wandte sich jetzt der Haushälterin und dem Pater zu. Der Polizist packte die unter Schock stehende Frau sanft an Arm und Schulter und führte sie aus dem Wohnzimmer ins benachbarte spärlich eingerichtete Gastzimmer. Pater Franz folgte ihnen. Dort setzten sie sich an einen einfachen Tisch, über dem ein Holzkreuz hing.

    Der Inspektor stellte sich vor, fragte die beiden Zeugen nach ihren Namen und notierte diese in einem kleinen weißen Block, den er samt Stift aus der Innentasche seines Anzugs gezogen hatte. „Wer von Ihnen hat den Toten gefunden? Francesca Morini schlug sich mit der flachen Hand mehrmals nacheinander auf die Brust, so als wollte sie Luft in die Lungen pumpen, um sprechen zu können. „Ich war es, Inspektor. Ich bin die Haushälterin von Monsignore Gennaro Lombertini. Nach einem Zögern: „War es", verbesserte sie sich und musste die anschwellende Tränenflut zurückdrängen. Ihr Atem ging flach. Moratti durfte die Frau, die aussah, als hätte sie bereits bei Don Camillo in Diensten gestanden, jetzt nicht überanstrengen. Doch die ersten Stunden nach der Tat entschieden in den meisten Fällen über den Erfolg der weiteren Ermittlungen.

    „Wann haben Sie ihn gefunden?, fragte er ganz ruhig. Francesca Morini blinzelte an die Decke, um sich auf die Fragen konzentrieren zu können. „Heute Morgen vor der Andacht, gegen 6.00 Uhr. Ich komme immer, um ihm zu helfen und das erste Frühstück zu bereiten, müssen Sie wissen. Das Licht im Arbeitszimmer brannte. Aber dort war der Monsignore nicht. Er arbeitete oft über Nacht, Inspektor. Er war außerordentlich fleißig. Ich habe nie verstanden, wo er die Kraft für sein Amt hernahm, bei so wenig Schlaf.

    Ganz im Gegenteil, Moratti konnte das gut verstehen. Ihm ging es auch nicht anders. „Was geschah dann?, fuhr er mit der Befragung fort. „Ich fand ihn auf dem Boden im Wohnzimmer. So wie er… Etwas ist in mich gefahren. Ich konnte nicht mehr aufhören zu weinen. Die letzten beiden Sätze sagte die Haushälterin leise und mit furchtsamen Augen, so als könnte sie, während sie die Worte sprach, beobachten, wie ein schwer lastender Schatten auf sie hernieder ging.

    „Hat jemand von Ihnen etwas verändert? Etwas vom Tatort entfernt oder den Monsignore angefasst?", fragte Moratti ebenso leise und schaute dabei abwechselnd zwischen den beiden Zeugen hin und her. Die Haushälterin schüttelte nur unmerklich den Kopf. Sie hatte keine Kraft mehr. Pater Franz antwortete mit einem einfachen Nein. Er sei zehn Minuten nach der Haushälterin am Tatort eingetroffen, ergänzte er und beantwortete damit die Frage, die Inspektor Moratti als nächste zu stellen gedachte. Dieser nickte kurz und notierte die Zeit in seinem Block.

    „Können Sie mir etwas über Monsignore Lombertini sagen? Gab es Auseinandersetzungen, die Sie beobachtet haben? Streit? War er beliebt oder gefürchtet?"

    Francesca Morini schaute ihn unverwandt an: „Der Monsignore wurde nicht gefürchtet. Er wurde geachtet. Er war ein wahrer Kirchenmann, der das Göttliche in sich trug. Diesen Schlag Priester mögen manche Leute heute nicht mehr. Es ist ein Schande! Dass man den Monsignore nicht mehr haben wollte, war durch diese Tat offensichtlich geworden, dachte Moratti, behielt diese Feststellung aber für sich. „Was hat ihn denn so beschäftigt? An was hat er gearbeitet?, fragte er stattdessen.

    „Er hat jede freie Minute mit dem Studium seiner Bücher verbracht. Für die seelsorgerische Arbeit war Pater Franz zuständig." Sie redete über ihn, als ob er nicht anwesend wäre. Der Pater bestätigte die Angaben mit einem kurzen Nicken und einem Blick zum Inspektor.

    „Bitte, darf ich mich jetzt ausruhen." Es war keine Frage von der alten Frau gewesen. Ein zitterndes Flehen eher. Sie wollte es zu Ende bringen und das raubte ihr die letzte Kraft. Die Frau senkte den Blick und nach kurzem Zögern kehrte die Furcht vor dem Unbegreiflichen zurück. Francesca Morina hatte am ganzen Körper heftig zu zittern begonnen.

    Inspektor Moratti tauschte einen kurzen Blick mit dem Pater, erhob sich und dankte der Haushälterin. Diese schlich langsam durch den Flur und warf einen letzten Blick auf ihren toten Monsignore. Ein letztes Kreuzzeichen, dann ging sie. Moratti rief einen Polizisten und bat ihn, Francesca Morini in ihre Wohnung zu begleiten. Dann rief er einen Mitarbeiter des psychologischen Dienstes im Polizeipräsidium an und bat ihn unmissverständlich, sich um Francesca Morini zu kümmern. „Nein, es hat keine Zeit!", rief er ins Telefon und legte auf.

    Den Pater bat er, in dem Zimmer zu warten. Er würde ihm etwas später gerne noch ein paar weitere Fragen stellen. Dann kehrte er an den Ort des Geschehens zurück. Der Anblick der Leiche des Monsignore war noch immer verstörend. Moratti zwang sich, die Merkmale des Tatorts systematisch aufzunehmen. Gefühle, die Abscheu vor der Tat, die Wut auf den Täter, den er noch nicht kannte, all das gehörte nicht hierher. Nicht jetzt.

    Monsignore Lombertini lag auf dem Rücken. Er war vollständig bekleidet, allerdings nicht so, wie man es um 6.00 Uhr morgens erwarten würde. Er trug weder Schlafanzug, noch Freizeitkleidung. Lombertini lag dort in seinem violetten Messgewand. Er war fertig angezogen für die Andacht. Das priesterliche Gewand war geradegezogen und ordentlich. So als wäre er für diesen makabren Auftritt noch fein gemacht worden.

    Was die Szenerie durchbrach, war der fehlende Kopf des Priesters. Das bronzene Kreuz, das auf seiner Brust ruhte, hing mit der Kette noch am Stumpf des Halses. Die Mordtat musste hier im Wohnzimmer des Monsignore geschehen sein. Denn rund um den Halsstumpf hatte sich eine fächergleiche Blutlache ergossen, die dunkel purpurrot glänzte. Das Ganze hatte einen fast mystischen Schein. Diese rote Fläche war fast unberührt. Der Begriff „jungfräulich" krabbelte in Morattis Kopf, fast wie ein Insekt, vor dem man sich ekelt. Keine Fußabdrücke, keine Schleifspuren in dem roten Blutsee. Aber etwas wie eine weiße Schleife war hinein gemalt an dem Ort, wo zuvor der Kopf gewesen war. Gezogen wie mit feinem Pinselstrich in den ausgetretenen Lebenssaft.

    Moratti musste einen Moment den Blick abwenden, um wieder neu sehen zu können. Er musste den Kopf frei bekommen für neue Details. Erst jetzt fiel ihm auf, dass die Arme des Monsignore im rechten Winkel abgelegt waren. Mit dem Körper bildeten sie ein Kreuz.

    War das Zeichen oder Zufall? Eine Botschaft des Mörders? Warum sonst sollte man einen Mann der Kirche auf diese Weise posieren lassen? Ein Raubmord konnte definitiv ausgeschlossen werden. Abgesehen davon, dass man bei einem Priester keine Reichtümer erwarten konnte, scheute jeder Dieb die Gewaltanwendung und erst Recht würde er sich nicht die Mühe machen, seinem Opfer den Kopf abzuschneiden.

    Aber natürlich konnte es ebenso gut ein Ablenkungsmanöver sein. „Der Mörder will uns in die Irre leiten, überlegte Moratti laut. „Die Tat eines Psychopathen? Vielleicht auch jemand, der sich rächen wollte. Aber wofür? Der Kopf war jedoch nicht der einzige Körperteil, der dem Monsignore fehlte. Auch die linke Hand war entfernt worden.

    „Glatte, chirurgische Schnitte, hörte Moratti jetzt Laura sagen, die gerade hereingekommen sein musste. „Das sieht nach einem Profi aus. Sie kniete sich neben die Leiche, wobei sie peinlich genau darauf achtete, den Tatort nicht zu verunreinigen und nicht in die Blutlache zu treten. Sie begrüßten sich kurz.

    Es war nicht der erste Mordplatz, den sie gemeinsam begutachteten, wenn auch keiner zuvor dieses Maß an Schrecken und Grausamkeit offenbart hatte. Laura war die örtliche Gerichtsmedizinerin. Eine Mittvierzigerin mit einem roten, krausen Haarschopf und einem sehr extravaganten modischen Geschmack. Sie liebte aufwändige Kleider und Pullover in Batik mit roten Grundfarben, sowie je nach Stimmung und Saison braunen, grünen oder blauen Mustern im Ethno-Stil. Heute war Blau dran. Dazu trug sie eine dicke, bunte Steinkette, die schwer im Ausschnitt baumelte und ihren langen Hals zu beugen schien.

    Laura hatte einen Teil ihrer Ausbildung in Texas genossen und dort einen trockenen und hin und wieder raubeinigen Ton angenommen. Sie hatte diese Mischung aus amerikanisch hart gesotten und südeuropäisch aufgeschlossen. Eine Eigenschaft schätzte Moratti ganz besonders an ihr: Sie ließ sich durch nichts aus der Ruhe bringen und sie verfügte über einen siebten Sinn. Vielleicht gab es ja tatsächlich so etwas wie die weibliche Intuition. Jedenfalls mochte Laura ihren Job und sie liebte ihre Leichen!

    „Kannst du schon etwas über die Tatwaffe sagen?, fragte Moratti. „Langsam, Schatz. Ich kann nicht hellsehen. Das ist mein erster Blick auf die Leiche. So viel ist sicher: Ein Brotmesser war es bestimmt nicht. Ihrem schwarzen Arztkoffer hatte Laura eine große, rechteckige Lupe entnommen und damit näherte

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