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Die Macht der Göttinnen: Ethnopsychoanalytische und tiefenhermeneutische Ansätze im Kontext einer Studienreise nach Indien, Andhra Pradesh
Die Macht der Göttinnen: Ethnopsychoanalytische und tiefenhermeneutische Ansätze im Kontext einer Studienreise nach Indien, Andhra Pradesh
Die Macht der Göttinnen: Ethnopsychoanalytische und tiefenhermeneutische Ansätze im Kontext einer Studienreise nach Indien, Andhra Pradesh
eBook293 Seiten3 Stunden

Die Macht der Göttinnen: Ethnopsychoanalytische und tiefenhermeneutische Ansätze im Kontext einer Studienreise nach Indien, Andhra Pradesh

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Über dieses E-Book

Dieses Buch beschreibt meine Forschungsreise nach Indien, Andhra Pradesh, im Jahr 2008. Im Zentrum meines Forschungsinteresses stand der Begriff „Heimat“. Während meinem Aufenthalt vor Ort entstand außerdem das Interesse an der Ergründung des hierarchischen Kasten- und Familiensystems und der Erschließung des Geschlechterkonfliktes vor dem Hintergrund wirtschaftlicher und finanzieller Gegebenheiten im fremden Kulturkreis. Die Unterkunft in einem christlichen Kloster erbrachte mir den notwendigen Zugang zu Frauen, die sich innerhalb bestehender sozialer Verbände zu Gruppen zusammengeschlossen hatten, um von den angebotenen Spar- und Kreditprogrammen profitieren zu können.
Von den herrschenden Verhältnissen zunächst irritiert, konnte ich mich dann doch durch einen offenen Forschungszugang auf diese Begegnungen einlassen. Die Anlehnung an die Ethnopsychoanalyse, sowie tiefenhermeneutischen Forschungsmethoden unterstützten mich auf dem Weg zur Erkenntnis. Die Forschungsergebnisse, wenngleich nicht traditionell empirisch dargestellt, stehen immer in Verbindung mit meiner persönlichen, selbstreflexiven Auseinandersetzung.
Durch die Supervision einer Psychodramatherapeutin wird weiters aufgezeigt, wie westliche Forschung innerhalb fremder Kulturen wertschätzend betrieben werden kann.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum11. Apr. 2012
ISBN9783844829754
Die Macht der Göttinnen: Ethnopsychoanalytische und tiefenhermeneutische Ansätze im Kontext einer Studienreise nach Indien, Andhra Pradesh
Autor

Alexandra Liehmann

Alexandra Liehmann, geb. 1982, studierte zum Zeitpunkt der Forschungsreise Psychologie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Ihr Praktikum bei ASPIS, dem Forschungs- und Beratungszentrum für Opfer von Gewalt, inspirierte ihr Interesse an neuen Erfahrungen mit Menschen aus einem anderen Kulturkreis.

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    Buchvorschau

    Die Macht der Göttinnen - Alexandra Liehmann

    10)

    1. KULTURSCHOCK

    Nach neun Stunden Flugzeit war ich endlich über Hyderabad. Lange Zeit flogen wir über die Stadt, die nicht enden wollte. Voller Euphorie und Neugier auf das neue Land, landete ich, Oktober 2008, am Flughafen in Hyderabad. Die Glas- und Stahlkonstruktion des modernen High-Tech Flughafens hob sich von der kargen Landschaft ab, die aus Palmen und sandigem Untergrund bestand. Aufgrund der schon eingetretenen Dunkelheit stachen mir noch deutlicher die zahlreichen, bunt gekleideten Menschen ins Auge. Trotz Müdigkeit war ich an den Personen, die so anders als ich aussahen, interessiert. Während meines Flughafenaufenthaltes war ich noch von einigen Europäern umgeben, die sich auf Geschäftsreise befanden. Kaum hatte ich das Gelände verlassen, stand ich vor einer großen Menschenmenge. In der Hoffnung abgeholt zu werden, stellte ich mich vor den Eingang. Aus Unsicherheit telefonierte ich mit meiner Bekannten Asha, aus Österreich, zu deren Familie ich unterwegs war.

    Vermutlich wurde ich aufgrund meiner andersartigen Haut- und Haarfarbe und meiner 'langweiligen' Kleidung erkannt - ein Mann winkte mir bereits von der Ferne zu. Ich reichte dem Mann das Telefon und dieser sprach zu Asha, die, wie sich später herausstellen sollte, dessen Cousine war. Zudem kamen ein junger sowie ein älterer Mann hinzu, die mir als Bruder und Onkel meiner Bekannten aus Österreich vorgestellt wurden.

    Wir stiegen in einen Jeep, der für mich Wohlstand symbolisierte. Die Fahrt erwies sich als sehr aufregend, da es weder Gurte im Auto gab, noch sich die Fahrer an Verkehrsregeln zu halten schienen.

    „Hier fährt man auf der linken Seite und bis jetzt habe ich nur zwei Verkehrsregeln herausgehört: Der Stärkere gewinnt und wenn man eine Stopptafel überfährt, dann hupt man." (Blogeintrag, 13.10.08, AL)

    1.1.ARMUT

    Als ich die vielen Menschen, hauptsächlich Kinder, entlang des Straßenrandes stehen, liegen und schlafen sah, wurde mir schlagartig bewusst, dass ich nicht mehr in Europa war und dies kein Urlaub werden würde. Mein erster Eindruck der Stadt wurde durch zahlreiche Häuser sowie hausähnliche Bauten aus Plastikplanen geprägt, die für mich bereits die Armut des Landes repräsentierten. Demgegenüber konnte ich, während der Fahrt durch Hyderabad, wunderschöne riesige Moscheen, Tempel, Kirchen, Sehenswürdigkeiten und Hotelkomplexe sehen, welche für mich ein Widerspruch zur Armut waren.

    Ilija Trojanow (2008, S. 12) beschreibt in seinem Buch „Gebrauchsanweisung für Indien", dass man hauptsächlich in den Großstädten einen Kulturschock erfahre, da sich dort die Armut bündele. Auch mir wurde schlagartig bewusst, wie reich – materiell betrachtet – ich war. Ich glaube, man begreift das erst so richtig, wenn man Menschen, die in Armut leben, mit eigenen Augen gesehen hat.

    „Seit heute weiß ich, dass ich reich bin. Ich gehöre zu den reichen Menschen auf dieser Welt. Das zu erfahren, bin ich sehr froh. […] Jetzt, wo ich es selber erfahre, weiß ich, dass ich mir das nicht vorstellen kann." (Forschungstagebuch, 15.10.08, AL)

    Als treffenden Vergleich empfinde ich die Definition absoluter Armut von Robert Strange McNamara, dem ehemaligen Präsidenten der Weltbank:

    „Armut auf absolutem Niveau ist Leben am äußersten Rand der Existenz. Die absolut Armen sind Menschen, die unter schlimmen Entbehrungen und in einem Zustand von Verwahrlosung und Entwürdigung ums Überleben kämpfen, der unsere durch intellektuelle Phantasie und privilegierte Verhältnisse geprägte Vorstellungskraft übersteigt."¹

    CS: „Und da fängt die Weisheit an, ja? Weisheit ist dort, wenn ich weiß, ich kann mir das nicht vorstellen. […] Man kann nur das sehen, was man selbst gelernt hat zu sehen. […] Du kannst nicht sehen, was Du nicht erlernt hast zu sehen. Wenn Du keine Armut kennst, dann weißt Du nicht was es ist. […] Nur über die Erfahrung kannst Du einen Eindruck kriegen, wie es ist. Und dann noch kannst Du es nicht wirklich sehen, weil die Menschen leben in der Armut, und da sind drei Kartoffel vielleicht schon Reichtum. Das heißt ihre Wertsysteme sind völlig andere. Das … Du schaust dann immer mit Deinem westlichen Auge oder Deinem reichen Auge auf das Arme. Ja? Du müsstest da ein Jahr wohnen um zu verstehen, wie gehen die mit Armut um." (Supervision, 22.06.2009, CS)

    Durch das Erblicken von Menschen, die in derart armen Verhältnissen leben oder nur wenig materielle Besitztümer haben, fühlte ich mich reich. Zugleich kam in mir Trauer, aufgrund von Mitleid und Schuldgefühlen, hoch, da ich über das Überleben hinaus sinnlose Besitztümer habe, während andere Menschen nicht einmal ein Dach über den Kopf besitzen. Dabei habe ich erkannt, dass es mir nicht gelingt, mich in die Lage von, in Armut lebenden Menschen hineinzuversetzen. Diese Erfahrung, die mein Privileg infrage stellte, verstärkte in mir den Drang, in meinem Leben Sinnvolles leisten zu wollen, allem voran von meinem Wohlstand an die materiell arme Bevölkerung etwas abzugeben.

    1.2.FAMILIE

    1.2.1. Kulturschock

    Bei der Ankunft in der Gastfamilie verstärkte sich mein neu erlangtes Bewusstsein über meinen materiellen Wohlstand zusätzlich. Das gemauerte, gelbe Haus mit dem Dach aus Wellblech besaß zwei Stockwerke. Die Stiege verlief außen, an der Hausmauer entlang. Das Erdgeschoss war ummauert, dahinter lag eine gepflasterte Fläche von der aus man das Stiegenhaus, den Wohnraum oder die Toilette betreten konnte. Als Toilette und Waschraum wurde mir ein dunkler Raum mit einer Glühbirne gezeigt. Nur das, mit einem Metallgitter überdeckte Loch im Boden und ein Kübel voll mit Wasser, ließen mich darauf schließen, dass es sich hierbei um die Toilette handelte.

    Abbildung 2: Stadtwohnung

    Als ich mit Ashas Bruder und ihrem Cousin meinen zukünftigen Wohnraum betreten hatte, wurden wir bereits von ihrer Mutter und drei Nachbarskindern, die auf dem einzigen Bett im Zimmer saßen, erwartet. Ein kleiner Junge lachte als er mich sah. Das Bett stand auf dem Steinboden, darüber befanden sich Regale an der Wand, die mit Zeitungspapier ausgelegt waren. Eine alte Holzvitrine stand dekorativ im Zimmer. Demgegenüber erschien der moderne Kühlschrank nebenan aus einer anderen Zeit zu stammen. Auch Kakerlaken, vor denen ich mich fürchtete, befanden sich im Zimmer. Die Wand hinter dem Bett schloss den Raum nicht ab, dahinter befand sich noch eine schmale, in die Länge gezogene Kammer mit einem Waschbecken, in welchem Kakerlaken aus dem Abfluss krabbelten. Der Bruder stellte meine Koffer in den hinteren Raum, einem gemauerten Vorsprung, ab. Ashas Mutter hatte meine Angst vor den Kakerlaken bemerkt. Sie erschlug daraufhin fünf der Tiere mit einem Besen und legte Zeitungspapier über den Abfluss. Die Lebensbedingungen der Familie waren für mich schockierend und überforderten mich, obgleich sie selbstverständlicher Alltag für die Familie waren. Aus Höflichkeit versuchte ich meinen ersten Eindruck jedoch vor der Familie zu verbergen.

    Nach einem kurzen Gespräch mit der Mutter und dem Bruder wurde ich müde und wartete darauf, alleine gelassen zu werden. Doch die Familie blieb, trotz später Stunde, anwesend. Dann teilte mir Ashas Bruder mit, dass seine Mutter die Nacht bei mir verbringen würde. Ich lehnte daraufhin das Angebot dankend ab. Die Mutter hatte mich trotz ihrer mangelnden Deutsch- und Englischkenntnisse verstanden und wollte gehen. Ihr Sohn befahl ihr jedoch bei mir zu bleiben. Meine Einwände wurden von ihm ignoriert und so schlief die alte Frau in der Nacht am Steinboden, vor meinem Bett. Als Unterlage verwendete sie einen orangen, seidenglänzenden Sari². Aus Unbehagen vor der Mutter und der Angst vor den Kakerlaken brachte ich in der Nacht, trotz Müdigkeit von dem langen Flug, kein Auge zu. Den weiteren Indienaufenthalt bei der Familie zu verbringen schien mir undenkbar. Gleich morgens nahm ich den Reiseführer aus meinem Koffer und reservierte für die folgenden Nächte ein Zimmer in einem Hotel.

    „Mir vergeht bis jetzt voll die Reiselust. Es waren zwar schon total spannende Sachen, die ich bis jetzt gesehen habe und auch nette Leute, die ich kennengelernt habe, aber irgendwie habe ich gerade den vollen Kulturschock und will voll ignorant von der anderen Kultur nichts wissen, sondern nur heim. Und das Schlimme ist, das nur wegen Hygienegründen – ok, natürlich auch Privatsphäre. Mich schockiert nur, dass ich das schon am ersten Tag nicht aushalte." (Forschungstagebuch, 13.10.08, AL)

    CS: „Das eigentlich Dein Hauptthema ist: Ich will heim. […] Und hier bist Du eindeutig fremd, ja? Die Armut überfordert. Du spürst ganz klar, ich bin ein ganz anderer. Ja? Ich passe mich nicht an die Armut an. […] Ich brauche keine Kakerlaken im Waschbecken. Das ist die direkte Überforderung, aber auch eine direkte Identitätsfindung. […] Auch wenn Du so klar spürst: „Das nicht! – weißt Du auch was Du hast. Auch wenn Du so Heimweh spürst: „Ich will heim. – hast Du ein Heim. Ja? Und in der kindlichen Geschichte hast Du Dich einfach überall mit wenig Lust mal angepasst. […] Da wird Dir Deine Identität eigentlich klarer bewusst." (Supervision, 22.06.2009, CS)

    Die Reiselust verging mir bereits nach der ersten Nacht in Indien. Die neue Kultur überforderte mich und ich hatte keine Lust mich anzupassen. Ich bezeichne dieses Erlebnis als meinen Kulturschock, der auch in der ICD-10 (WHO, 2000) unter dem Begriff „Anpassungsstörungen angeführt ist. Der, unter diagnostischen Krankheitsbildern geführte, Begriff des Kulturschocks war jedoch für die Bewusstwerdung über meine eigene Identität hilfreich. Ständige Anpassung an wechselnde Umgebung ist, seit der Scheidung meiner Eltern, Teil meiner kindlichen Identität gewesen. Durch die Ankunft in Indien konnte ich erfahren, dass ich dennoch 'wohin gehöre', dass ich ein „Heim besitze.

    Die Toilette und das Waschen, mit Wasser aus einem Kübel, erinnerten mich an ein Zeltlager oder ein Musikfestival. Mein Leben unter derartigen Hygienebedingungen zu verbringen war für mich undenkbar.

    Hier möchte ich mich auf Kakar beziehen (2006, S. 37) und auf seine psychoanalytische Sichtweise von Hygiene verweisen, bei welcher er sich auf den Begriff der Reservoire³ von Vamik Volkan bezieht:

    „Alle kleinen Kinder, überall auf der Welt, bemühen sich, ihre „schlechte, sozial missbilligte Dreckigkeit zu verleugnen, indem sie sie nach außen projizieren. […] Den anderen – die Gegenseite – als dreckig und von daher als unmenschlich einzustufen, ist auch bei ethnischen Konflikten (überall auf der Welt) üblich. Dabei werden die eigene Sauberkeit und Kultiviertheit nicht nur als menschlich-zivilisiert betrachtet, sondern schon beinahe in Gottesnähe gerückt.

    Die Ablehnung meiner eigenen „Dreckigkeit, der westlichen Vorstellung, bei welcher jeglicher Kontakt mit Körperöffnungen verleugnet und mit Tabus versehen wird, beschreibt Kakar (2006, S. 38), mit einem Verweis auf Kubies Studie des Körpers als Unrat-Fabrik, treffend. Verpönt ist nach seiner Theorie auch der direkte Kontakt der linken Hand beim Waschen des Gesäß´ nach dem Toilettengang sowie Rülpsen oder Furzen in der Öffentlichkeit. Nach Kakar (2006, S. 36) gehen Inder und Inderinnen mit ihren Schmutzphantasien anders als Europäer und Europäerinnen um. Während sich ihm zufolge bei Menschen aus den westlichen Industrieländern die anale Fixierung im Sprachgebrauch durch Wörter wie beispielsweise „Arschloch oder „Scheiße zeigt, projizieren Inder und Inderinnen die „Dreckigkeit nach außen, beispielsweise auf die Kaste der Dalit⁴. Dadurch sehen sie sich selbst als rein, indem sie andere als unrein betiteln (Kakar, 2006, S. 36).

    Eine große Irritation war für mich die, am Boden schlafende, Mutter. Mich selbst auch auf den Boden zu legen konnte ich mir noch weniger vorstellen. Nach Auskunft der Familie schläft die Frau immer am Boden. Als ich mich nach dem Grund hierfür erkundigte, bekam ich zur Antwort, dass dies zu meinem Schutz wäre. Meine Ablehnung des Angebotes hatte der Sohn ignoriert.

    „Eine alte Frau muss am Boden schlafen, damit ich im Bett liegen kann (wahrscheinlich noch, weil ich ja bezahlt habe). Obwohl ich laut kundgab, dass mich das stören würde, interessierte das niemanden." (Forschungstagebuch, 13.10.08, AL)

    Ich konnte mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, dass eine alte Frau wegen mir, am Boden schläft, während ich in einem Bett schlafe. Das Verhalten des Bruders ärgerte mich, denn ich fühlte mich nicht ernst genommen. Auch sein Verhalten der Mutter gegenüber irritierte mich und ließ mich dabei an die Stellung der Frau in der indischen Gesellschaft denken: „Indien war und ist noch immer eine patriarchale Gesellschaft, in der Frauen sich im Allgemeinen unterzuordnen haben und entmachtet sind." (Kakar, 2006, S. 46)

    CS: „Das ist sicher eine kulturelle Sache auch. […] Nicht nur ein gastfreundliches Angebot, weil es hat sogar einen Grund. […] Dann ist das unser westliches Wertsystem wo das nicht geht, dass eine ältere Frau am Boden schläft. […] Das kulturelle Verständnis ist da wichtig, gell? Weil es kann sein, dass die Frau sich fürchterlich schlecht gespürt hätte, wenn die im Bett geschlafen hätte. […] Interessant ist eigentlich zu wissen, warum bietet sie es an? Ja zum Schutz. Ja? Schutz vor was dann? Vor Männern? Vor Tieren? Vor Vergewaltiger? Vor was denn? Ist es eine Normalität, wenn Gäste neu kommen, dass die erste Nacht da jemand dazu schläft. Ja? Weil das ist nicht so klar, ob das eine Aktion ist, die mit Dir zu tun hat, weil Du beziehst das vielleicht auf Dich, oder ob das einfach ein … ja eine Art Gastfreundschaft ist, die dazugehört, wenn eine Frau kommt, ja? Weil ich denke, dass es immer wichtig ist, doch auch wahrzunehmen, dass da zwei Kulturen aufeinanderprallen." (Supervision, 22.06.2009, CS)

    Ich nahm die Gastrolle ein, nach der man, nach der westlichen Sichtweise, frei ist, sobald man bezahlt hat. Die Familie teilte mir eine andere Rolle zu. Für sie war ich vermutlich die Freundin von Asha gewesen, ein Mädchen, das zu Besuch kommt und beschützt werden soll. Inwieweit derartiger Schutz vor Vergewaltigung oder Raub, in dem von mir bereisten Gebiet, Thema war oder welche für den Kulturkreis relevanten Hintergründe hierbei eine Rolle spielten, kann ich mit meiner westlichen Sichtweise nicht beurteilen.

    1.2.2. Kontrolle versus Vertrauen

    Nach meiner Hotelbuchung fühlte ich mich wieder eigenverantwortlich. Da mir die Stadt und ihre Regeln noch völlig unbekannt waren, hatte ich auch Bedenken bezüglich meines Vorhabens, auf eigenen Füßen stehen zu wollen. In der Absicht mich zu Waschen, ging ich in den Wohnbereich der Mutter, der sich im zweiten Stock des Hauses befand. Von der Dachterrasse aus konnte man zu den anderen Wohnblöcken sehen. Ein kleines, circa drei Jahre altes Mädchen riss die Augen weit auf und rief erschrocken vom Nachbarhaus herüber: „Oh! She is so fair!" Beschämt versteckte sie sich hinter einer Frau, die gerade ihre fülligen, schwarzen Haare

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