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Kinkerlitzchen für die Leselust Band I: Alfreds Geheimnis
Kinkerlitzchen für die Leselust Band I: Alfreds Geheimnis
Kinkerlitzchen für die Leselust Band I: Alfreds Geheimnis
eBook315 Seiten4 Stunden

Kinkerlitzchen für die Leselust Band I: Alfreds Geheimnis

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Über dieses E-Book

Es war einmal … so fingen früher Märchen an. Früher?
Es war einmal die Fee Leselust. Deren Geschichte wird im Buch des Autors Felix Grimmig erzählt und im Kinkerlitzchen-Verlag zur Edition vorbereitet. Der Verleger unterhält sich mit seinem Freund vertraulich darüber, dass ihre Enkel nicht lesen wollen. Das hört die Fee, die kurz zuvor dem Manuskript entstiegen war. Sie warnt die Großväter, dann die Enkel. Als alles nichts fruchtet, verwünscht sie die Kinder. Sie nimmt ihnen die Fähigkeit, die sie ohnehin nicht nutzen: das Lesen. Plötzlich bemerken sie, dass sie im Grunde immerzu lesen, und sind erschrocken. Doch an wen und wohin sollen sie sich wenden, um ihre verlorene Fähigkeit zurückzugewinnen? In den Stunden höchster Not erinnert sich Tims Großvater an eine Geschichte, die er nur vom Hörensagen kennt. Die rankt sich um das Leben eines Vorfahren.

Gründlich recherchierter, spannender und farbenprächtiger Roman um eine Intrige, Missgunst und die Liebe zu den Büchern sowie eine Hommage an gleich mehrere wundervolle Berufe. Erleben Sie mit, wie Kinder zu Helden heranreifen und sammeln Sie mit ihnen Erfahrungen über die Liebe zur Literatur und die Menschen, die Büchern ihr Herz verschrieben haben. Der vorliegende Band ist der erste Teil einer Reihe.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum16. Okt. 2014
ISBN9783735733290
Kinkerlitzchen für die Leselust Band I: Alfreds Geheimnis
Autor

Jörg F. Nowack

Der Autor wurde 1963 in Nebra geboren. Er hatte das unsägliche Glück, in seiner Kindheit in einer Buchhandlung ein- und ausgehen zu dürfen und bekam auf diesem Weg sehr früh Kontakt zu Büchern. Von der Buchhändlerin, seiner Tante, erfuhr er, wie viele Geheimnisse in den Büchern verborgen liegen und welchen Schatz jedes Buch darstellt. Deshalb lernte er lesen, so schnell es ging, und seitdem liest er. Bereits im Alter von zehn Jahren, so ist überliefert, hatte er mehr als 50 Bücher gelesen. Und im Lauf der Jahre kam ein Buch zum anderen und mittlerweile ist die Zahl der Bücher, die er gelesen hat, Legion. Neben anderen Berufen erlernte Herr Nowack den des Werbe- und Medienvorlagenherstellers. In der Ausbildung zu diesem Abschluss erwarb er vielfältige Kenntnisse in der Buchherstellung. Besonders die Typographie und das Setzen von Texten hatten es ihm angetan. Stets hat Herr Nowack auch geschrieben, allerdings meist nur für sich. Erst die Frage seines Enkels, wie denn Bücher gemacht werden, brachte ihm die Inspiration zu dieser Buchreihe, in der es um das Lesen und die Liebe zu Büchern geht. Doch es ist enorm wichtig, Kinder von der Literatur und vom Lesen zu begeistern. Deshalb richtet sich diese Buchreihe an die Omas und Opas, Onkel und Tanten, Papas und Mamas, Lehrerinnen und Lehrer. Denn nur wenn sie begeistert lesen, werden es die Kinder eines Tages auch tun.

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    Buchvorschau

    Kinkerlitzchen für die Leselust Band I - Jörg F. Nowack

    Nowack

    Unterschriften

    »Abgemacht!« Cornelius Nebukadnezar Schmerbauch rieb sich die Hände.

    »Abgemacht!«, erwiderte Felix Grimmig und streckte seine Rechte aus. Schmerbauch schlug ein. Die Männer waren sich einig.

    Sie saßen in der Bibliothek des Kinkerlitzchen-Verlags auf zwei mit rotem Leder gepolsterten Sesseln. Um sie herum standen große Regale, die bis zur Decke reichten und in denen Hunderte Bücher ihr Zuhause hatten. Im Raum herrschte ein angenehmes, für bedrucktes Papier günstiges Klima. Der Hausherr und sein Gast fühlten sich sichtlich wohl.

    Cornelius Nebukadnezar Schmerbauch war ein stattlicher Mann in den besten Jahren. Er hatte blonde, kurzgeschnittene Haare, die von ersten grauen Strähnen durchzogen waren. Er trug eine Brille mit einem dünnen Goldrahmen und einen dunkelblauen Anzug, aus dem ein weißer Hemdkragen herausschaute. Vor dem Kragen seines Hemdes befand sich eine etwas altmodisch wirkende Fliege. Deren Muster wiederholte sich auf dem Einstecktuch, das aus der Tasche schaute, die auf der linken Brustseite seiner Anzugjacke angebracht war. Die Füße des Älteren steckten in dunklen Strümpfen und schwarzen Schuhen. An Schmerbauchs linker Hand glitzerte ein goldener Siegelring, den er niemals ablegte. Außerdem trug er an der rechten Hand einen dünnen goldenen Ehering. Cornelius Nebukadnezar Schmerbauch war der Verleger des Kinkerlitzchen-Verlags.

    Im Sessel gegenüber hatte Felix Grimmig platzgenommen. Er war Autor und hatte ein neues Buch geschrieben. Die Planung sah vor, dass es zu Beginn des Weihnachtsgeschäfts erscheint. Jetzt war Anfang Mai und bis dahin würde noch viel Arbeit nötig sein. Es sollte ein gutes Buch werden und alle Details an ihm stimmen. Felix Grimmig hatte seine dünnen, aschblonden Haare mit einem Schnippgummi zu einem kleinen Pferdeschwanz gebunden. Auf seiner Nasenspitze saß eine kreisrunde Brille, ohne die ihr Besitzer nicht lesen konnte. Alles, was kleiner war als der Titel einer Zeitung, verschwamm nämlich vor seinen blaugrauen Augen. Er selbst dachte, er hätte in seinem Leben schon zu viel gelesen und deshalb seien seine Augen mit der Zeit immer schlechter geworden.

    Grimmig war klein, dünn und hatte Äuglein, die unstet umherhuschten. Seine Brille saß auf einer ziemlich spitzen Nase. Er trug ein kariertes Hemd über einer fadenscheinigen Jeans, die auch schon bessere Tage gesehen hatte. Seine nackten Füße steckten in Jesuslatschen.

    Felix Grimmig war das absolute Gegenteil zur Erscheinung von Cornelius Nebukadnezar Schmerbauch. Der stellte den Typ eines erfahrenen Geschäftsmannes dar. Grimmig dagegen wirkte noch immer wie ein – mittlerweile etwas in die Jahre gekommener – Student.

    »Dann können wir jetzt zur Vertragsunterzeichnung kommen«, sagte der Hausherr.

    Er schlug die rote Ledermappe auf, die auf dem kleinen Tisch zwischen ihnen lag. Darin befanden sich zwei Exemplare des Verlagsvertrags für Grimmmigs Buch. Der Verleger zog die Mappe mit der linken Hand heran und griff mit der rechten Hand in die linke Innentasche seiner Anzugjacke.

    Als diese Hand wieder erschien, hielt sie einen goldenen zylinderförmigen Gegenstand umfasst, den er nun öffnete. Zum Vorschein kam eine goldglänzende Feder aus erstklassigem Metall, die hochwertig eingefasst war. Es war der Füllhalter, den er ausschließlich dazu benutzte, um Übereinkommen mit Autoren zu unterzeichnen.

    Bedächtig, aber wiederum schwungvoll setzte er das aktuelle Datum und seinen deutlich lesbaren Namenszug unter den ausgehandelten Vertrag. Sanft glitt die zarte Feder über das edle Papier. Sie hinterließ auf ihrem Weg, den ihr die Hand Schmerbauchs wies, eine dünne Spur aus dunkelblauer, nass schimmernder Tinte. Kein überflüssiges Kratzen störte diesen Akt des Schreibens. In jenem Moment vollzog der Verleger eine beinahe weihevolle Handlung. Er erhoffte, durch diesen Kontrakt abermals ein Buch zu veröffentlichen, welches den guten Ruf seines Verlags festigen würde. Obendrein war die Fertigkeit des Schreibens eine der Künste, die auch heute noch in ähnlicher Form wie schon vor Urzeiten praktiziert wurden.

    Andächtig sah er auf das Papier, auf dem sich die Spur der Feder noch immer feucht abzeichnete.

    Nun nahm Schmerbauch einen altmodischen, halbrunden Löschpapierhalter aus dunklem Holz zur Hand und rollte ihn wiegend über die feuchte Linie. Damit hatte er die entbehrliche Tinte weggelöscht und die Gefahr war gebannt, dass sie durch eine Unachtsamkeit verwischen könnte. Anschließend vollzog er bei der zweiten Ausfertigung des Vertrags ebenso andächtig dieselben Schritte.

    Als er fertig war, verschloss er den Füllhalter sorgfältig und ließ die golden schimmernde Röhre wieder dort verschwinden, von wo er sie hervorgeholt hatte.

    Dann schob er die rote Mappe zu Grimmig hinüber.

    Der zückte mit der linken Hand einen billigen Kugelschreiber mit einem bunten Werbeaufdruck und klickte die Miene heraus. Er legte mit der rechten Hand die beiden Exemplare des Abkommens so, dass die Unterschriftenfelder gut sichtbar übereinander lagen. Nun unterzeichnete er ebenso schwungvoll wie Schmerbauch. Im Gegensatz zu diesem unterschrieb er viel schneller und völlig unleserlich die eine und sofort danach die zweite Ausfertigung. Grimmig schrieb mit links.

    Nach diesem Akt, der ihn einige Anstrengung gekostet hatte, steckte er den Kuli wieder in seine Hemdtasche und schob die Mappe zum Verleger hinüber. Dann lehnte er sich im Sessel zurück und streckte beide Füße weit von sich. Nun rieb er sich die Hände.

    »Jetzt noch einen Schluck Ihres guten Freyburger Sekts und ich kann das Leben wieder genießen!«

    »Unsere Frau Puschenzickel wird Ihnen in den nächsten Tagen Ihr Exemplar des Vertrags per Post zusenden und sicher auch Ihren Vorschuss umgehend anweisen«, sagte der Hausherr. »Was den Sekt angeht, möchte ich Sie in unseren Pausenraum bitten. Sie wissen ja, die Bücher!«

    »… vertragen keine Feuchtigkeit jedweder Art, ja ja, ich weiß, Herr Schmerbauch! Das haben Sie mir schon oft genug gesagt.«

    »Es gibt noch einige Grundregeln mehr im Umgang mit Büchern, die ich mein Leben lang eingehalten habe, Herr Grimmig. Bisher ist es mir damit ausgesprochen gut ergangen. Ich bin sehr dankbar, dass ich diese Regeln breits als kleiner Junge erlernen durfte. Ich überlege schon eine ganze Zeit, ob ich diese Grundsätze in einem ›Brevis liber de libro‹, einem ›Kleinen Buch über die Bücher‹ zusammenfassen und sie jedem, der es möchte, zugänglich machen sollte.«

    »Mein lieber Herr Schmerbauch, das wird ganz sicher ein Bestseller, davon bin ich überzeugt. Doch mit meiner trockenen Kehle kann ich Ihren bedeutsamen Ausführungen leider nur noch sehr bedingt Folge leisten.«

    »Na dann kommen Sie! Wir wollen auf unseren Vertrag anstoßen, wie es sich gebührt«, sagte Cornelius Nebukadnezar Schmerbauch und stand auf. »Frau Puschenzickel erwartet uns sicher schon.«

    Die beiden völlig unterschiedlichen Männer verließen die Bibliothek. Die Tür schloss sich hinter ihnen.

    Der Verlag

    Der Kinkerlitzchen-Verlag hatte seinen Sitz in der Buchstadt Leipzig. In einem sehr modern, aber durch die historische Fassade gediegen wirkenden Haus hatte der Verlag die vierte Etage gemietet. Das Haus aus der Blütezeit der Leipziger Buchkunst in der Inselstraße hatte vor fünfzehn Jahren praktisch noch auf der Abrissliste gestanden. An der Fassade des Gebäudes konnte man noch immer die alten, mittlerweile von Meistern ihrer Kunst wieder hergestellten Verzierungen erblicken, welche das Haus, das im Graphischen Viertel Leipzigs stand, schmückten. Hier, im Reclam Carrée, waren schon vor zirka hundert Jahren wundervolle Bücher gemacht worden. An diese Tradition knüpfte der Kinkerlitzchen-Verlag an. Das ganze Herz Schmerbauchs hing an ihm.

    Das Büro des Verlegers lag am Ende der Büroetage, die er vor etwa zehn Jahren gemietet hatte. Doch er nannte dieses Büro, so wie es in vergangen Zeiten üblich war, liebevoll sein ›Contor‹. Von diesem Contor aus hatte er einen guten Ausblick zur Leipziger City.

    Schmerbauch saß an seinem Schreibtisch und las ein Exposé auf seinem Klapprechner. Ein Exposé stellt eine kurze Inhaltsangabe eines literarischen Werkes dar, die der Autor für den Verlag verfasst hat.

    Hinter Herrn Schmerbauch, doch von ihm völlig unbeachtet, fand soeben ein beeindruckender Sonnenuntergang statt. Der Schreibtisch war aufgeräumt. Nur der Klapprechner, welcher drahtlos mit den Servern verbunden war, und eine Akte, die an der Seite lag, störten die Leere der Schreibtischplatte. Zumindest, wenn man von der Kupferstatuette und drei in rotes Leder gebundene Bücher einmal absah. Diese beiden Dinge hütete der Verleger schon seit Jahrzehnten wie seinen Augapfel. Die Statuette stellte Faust und Mephistopheles in Auerbachs Keller dar, die Bücher waren eine alte Ausgabe von Goethes »Faust«. Von beiden Dingen wollte sich Cornelius Nebukadnezar Schmerbauch um keinen Preis der Welt trennen.

    Seitlich des Schreibtischs befanden sich an einer sonst freien Wand vier Stiche, die das alte Graphische Viertel zeigten. Sie umrahmten ein Bildnis Johannes Gutenbergs. An der gegenüberliegenden Wand fanden sich Fotos aus dem Betrieb, wie er jetzt war. Neben diesen hingen einige Fotos aus der Zeit, bevor das Gebäude modernisiert worden war. Auf ihnen sah man, wie heruntergekommen das ganze Objekt in jener Ära gewesen war.

    Die Möbel im Contor des Verlegers waren halbhoch und in einem hellen Holzton gehalten. Das gab dem Raum eine behagliche Atmosphäre. Und dadurch wirkte der Raum viel größer, als er im Grunde war. Cornelius Nebukadnezar Schmerbauch fühlte sich in seinem Contor ausgesprochen wohl.

    Es klopfte.

    Die hell gemaserte Holztür öffnete sich leise und herein kam Frau Isolde Puschenzickel, Ihres Zeichens Verlagsorganisatorin des Kinkerlitzchen-Verlags. Sie residierte als solche im Vorzimmer des Verlegers. Der bezeichnete sie nicht zu Unrecht als seine rechte Hand. Es gab keine Entscheidung, die er nicht mit ihr besprach, obwohl er sich stets das letzte Wort vorbehielt. Auf die oft intuitiven Urteile der Frau Puschenzickel konnte sich Cornelius Nebukadnezar Schmerbauch immer verlassen. Isolde Puschenzickel war dem Verlag und seinem Verleger treu ergeben. Schmerbauch hatte sie, als der Verlag in die Räume im Graphischen Viertel gezogen war, unter zig Bewerberinnen ausgewählt. Und das, obgleich sie eine der Ältesten in dieser Runde gewesen war. Sie war arbeitslos geworden, nachdem die Firma, in der sie vor jener Zeit gearbeitet hatte, in Insolvenz gehen musste. Auch schon in ihrem Alter war Arbeitslosigkeit oftmals gleichbedeutend mit dem Absinken in die persönliche Bedeutungslosigkeit. Die wurde oft gefolgt von totaler sozialer Ausgrenzung bis zum Eintritt in das Rentenalter und darüber hinaus.

    Doch Isolde hatte Glück. Bereits einen Monat, nachdem sie ihre Kündigung erhalten hatte, fand das Bewerbungsgespräch statt, welches zu ihrer Einstellung als Verlagsgehilfin im Kinkerlitzchen-Verlag geführt hatte. Durch ihre gute Arbeit war sie dem Verleger bald sehr positiv aufgefallen. Und so stieg Isolde Puschenzickel bald zur Verlagsorganisatorin auf und bekam einige äußerst bedeutsame Aufgaben übertragen.

    Ein feiner Hauch des Parfums, das Isolde Puschenzickel dezent aufgelegt hatte, wehte dem Verleger in die Nase. Cornelius Nebukadnezar Schmerbauch sah von seinem Klapprechner auf und Isolde Puschenzickel direkt in ihr apartes Gesicht. Die stand lächelnd vor dem Schreibtisch. Sie hatte die Unterschriftsmappe unter dem Arm. Die wollten sie gleich gemeinsam durchgehen wie jeden Tag um diese Zeit.

    Schmerbauch war dankbar, dass eine verlässliche Person wie Isolde Puschenzickel seine rechte Hand war. Sie wusste über alle Vorgänge im Verlag bescheid und war in allen Belangen jederzeit auskunftsbereit. Mittlerweile kannte sie die meisten Zulieferer und Dienstleister, mit denen der Kinkerlitzchen-Verlag geschäftlich verbunden war. Auch die Kontaktleute in den jeweiligen Unternehmen konnten sich niemand Besseren auf diesem Posten wünschen. Stets war Isolde freundlich und aufgeschlossen. Sie hatte für jedermann ein gutes Wort übrig und sie sah sofort, wenn einen der Schuh drückte.

    »Frau Puschenzickel!«, rief Schmerbauch, als hätte er ihr Hereinkommen erst jetzt bemerkt. Und nach einem kurzen Blick auf die Uhr seines Rechners: »Sie sind pünktlich wie immer! Bitte nehmen Sie doch Platz und gedulden Sie sich einen Augenblick, bis ich das Exposé hier zu Ende gelesen habe!«

    »Na klar, vielen Dank, Herr Schmerbauch!«, ließ sich die Verlagsorganisatorin vernehmen und setzte sich auf einen Stuhl, der vor dem Schreibtisch stand. Sie hatte eine angenehm dunkle Stimme, die sie nur wenig erheben musste, um an allen Stellen im Raum gut verstanden zu werden. Sie legte die Mappe auf ihre Knie und verschränkte die Hände darüber.

    Isolde Puschenzickel war einige Jahre jünger als der Verleger. Sie hatte knallrote Haare und eine etwas korpulente Figur, trug jedoch stets Kleidung, die dieser schmeichelte. So auch heute. Ein dunkelgrauer, einfarbiger Rock wurde perfekt von ihrem kanariengelben Blazer ergänzt. Der war günstig geschnitten, sodass ihre ausladenden Hüften viel schmaler erschienen, als sie es waren. Eine hellgelbe Seidenbluse und ein grüner Schal, der perfekt mit ihrem roten Haar kontrastierte, vervollständigten heute ihr Ensemble. Ein Paar graue Pumps ergänzten ihre Garderobe.

    Nach wenigen Minuten wandte sich der Verleger vom Bildschirm ab. Er schrieb etwas auf ein Blatt Papier. Dazu benutzte er einen Bleistift, den er aus einer Schublade des Schreibtischs genommen hatte. Als er damit fertig war, legte er beides auf die Tastatur des Klapprechners und schob diesen etwas nach hinten. Somit war nun Platz für die Unterschriftenmappe, die die Verlagsorganisatorin mitgebracht hatte.

    »Was gibt’s Neues, Frau Puschenzickel?«, fragte der Verleger seine Vertraute.

    Sie zog ihre Stirn in Falten. »Ich kann das ja nicht beurteilen, Herr Schmerbauch. Aber die Höhe des Vorschusses, den ich an diesen Herrn Grimmig überweisen soll, erscheint mir unangemessen hoch. Was versprechen Sie sich nur von diesem Büchlein, das er geschrieben hat? Und dann noch der Titel: ›Die Fee Leselust‹! Soll das wirklich so ein Renner werden?« Sie blickte ihn aus ihren strahlenden smaragdgrünen Augen fragend an.

    »Wissen Sie, liebe Frau Puschenzickel, Bücher liegen mir sehr am Herzen. Das ist schon so, seit ich in meiner Kindheit in der Buchhandlung meines Onkels ein- und ausgegangen bin. Besonders wichtig ist es mir natürlich, dass alle Kinder begeisterte Leser sind. Denn nur so können die Bücher, die eine große Macht besitzen, in ihnen immer weiterleben. Leider wird heute in vielen Schulen und auch von manchen Eltern und Großeltern versäumt, dem Nachwuchs das Virus des begeisterten Lesens einzupflanzen.« Die Miene des Verlegers verdunkelte sich. »Das sehe ich ja an meinem Enkelsohn Tim. Der kann zwar prima lesen, hat aber noch kein einziges Buch bis zum Ende geschafft. Ich dagegen hatte in seinem Alter bereits über fünfzig Bücher gelesen! Aber er sieht sich lieber eine Buchverfilmung im Kino oder Fernsehen an. Noch lieber surft er aber im Internet und vergisst dabei völlig, dass ein Computer nur ein Instrument zur Erfüllung bestimmter Aufgaben ist. Das eigentliche Genie ist hier oben drin.« Er tippte an seine Stirn. Dann fuhr er fort: »Und zwar bei jedem von uns! Darum möchte ich namentlich solche Bücher und ihre Autoren fördern, die dazu in der Lage sein können, den Virus des Lesens wieder mehr zu verbreiten. Vor allem natürlich unter den jungen Leuten. Und deshalb bekommt der Herr Grimmig seinen Scheck, auch wenn Sie, verehrte Frau Puschenzickel, ihn nicht besonders gut leiden mögen.« Er lächelte. »Und nun zeigen Sie mir bitte die Unterschriftenmappe!«

    Draußen dunkelte es. Der Verleger saß noch immer an seinem Schreibtisch. Er las gerade ein neues Exposé, das ihm der Cheflektor zur Prüfung auf seinen Klapprechner geschickt hatte. Während des Lesens hatte er hin und wieder verwundert seinen Kopf geschüttelt.

    Nun unterbrach er seine Lektüre. Er griff nach seinem Mobiltelefon, suchte eine Nummer heraus und rief an. Gleich darauf vernahm er aus dem Hörer das vertraute Rufzeichen.

    »Schiller!«, meldete sich der Angerufene.

    »Ich bin’s, Friedbert«, sagte Schmerbauch.

    »Ah, Cornelius, was gibst’s?«, wollte der wissen. Er hatte seinen Freund an dessen Stimme erkannt.

    »Kannst du bitte mal kurz in mein Contor kommen?«, fragte dieser zurück.

    »In einer halben Stunde wollte ich ohnehin Feierabend machen. Wenn du bis dahin Zeit hast, komme ich, bevor ich gehe, noch bei dir rein.«

    »Einverstanden!«, sagte der Verleger. »Aber vergiss es bitte nicht!«

    »Natürlich nicht. Ich wollte dich ohnehin etwas fragen. Also bis dann, Cornelius!«

    Dieser legte auf und steckte das Mobiltelefon zurück in seine Jackentasche. Erneut blickte er auf den Bildschirm und schüttelte noch einmal den Kopf.

    Gut zwanzig Minuten später klopfte es an der Tür des Verlegers. »Komm nur rein, Friedbert!«, rief er.

    Die Tür öffnete sich. Der Cheflektor des Kinkerlitzchen-Verlags trat ein.

    Friedbert Schiller war ein kleiner, gedrungen wirkender Mann, der stets braune Cordanzüge trug. Er ließ sich auf die Ellbogen und die Unterarme der Jacken immer gleich, wenn er sie gekauft hatte, Flicken in einem anderen Braunton nähen. An den Ärmeln wurden die nämlich schnell etwas dünner. Diese Anzüge bezeichnete er selbst nur als ›Manchester-Anzüge‹, weil er sie als Kind unter diesem Namen kennengelernt hatte. Er sagte ›Mánchester‹ mit Betonung auf dem ›a‹. Zu diesen Anzügen trug er nichts als karierte Hemden. Heute hatte er eines an, dessen Hauptfarbe Grün war.

    Der Verleger erhob sich und begrüßte seinen Cheflektor mit einem kräftigen Handschlag.

    »Ich freue mich, dich zu sehen, Friedbert!«, sagte der Herr Schmerbauch, während er seinem alten Freund die Hand schüttelte. Obwohl sie im gleichen Haus saßen und oft an denselben Projekten arbeiteten, sahen sie einander manchmal tagelang nicht. »Ich freue mich auch, dich zu sehen, Cornelius«, sagte Friedbert Schiller und fuhr fort: »Auch wenn es viel zu selten ist, dass wir uns sehen, ist es jedes Mal schön, wenn wir uns unterhalten können.«

    »Komm, nimm Platz, alter Junge!«, forderte Schmerbauch seinen Cheflektor auf.

    Als der sich etwas umständlich auf einen Stuhl gesetzt hatte, sah er den Verleger gespannt an.

    »Was macht das Manuskript des Buches von Felix Grimmig?«, fragte Cornelius seinen Freund. »Ist es schon bei dir angekommen?«

    Der Cheflektor war etwas älter als sein Verleger und kannte sich mit der Bearbeitung von Manuskripten aus wie kein Zweiter. Er kannte die Rechtschreibung und die Grammatik der deutschen Sprache aus dem sprichwörtlichen Effeff und beherrschte den Computersatz perfekt.

    »Das Manuskript ist heute gegen Mittag bei mir angekommen. Du brauchst diesen Grimmig also nicht zu mahnen«, meinte Friedbert. »Gleich am Wochenende werde ich mal drübersehen und mir einen Eindruck verschaffen, wie viel Arbeit nötig ist. Dann kann ich auch einschätzen, wem ich diese Arbeit anvertrauen werde. Ich habe das ausgedruckte Manuskript hier in meiner Innentasche.« Er klopfte auf sein Jackett, das dort, wo er hinklopfte, eine deutliche Beule hatte.

    »Ich brauche dir ja nicht noch einmal zu sagen, dass dieses Buch sehr wichtig für uns ist. Es muss auch besonders gut werden!«, ermahnte ihn sein Chef. »Mir wäre es ja am liebsten, du würdest dich selbst darum kümmern können«, fuhr Cornelius fort.

    »Und ich brauche dir auch nicht noch einmal zu sagen, dass ich mit der Neustrukturierung unserer Datenbank vollauf genug zu tun habe«, schnaufte Schiller. Der erledigte diese Aufgabe nur mit Widerwillen und brauchte deshalb auch etwas länger dafür, als wenn er sie mit etwas mehr Liebe getan hätte. »Außerdem habe ich ja mit der Anleitung und Kontrolle der Lektoren wahrlich genug um die Ohren. Da muss ich mich nicht noch selbst über den Text hermachen«, stöhnte er fast.

    »Klar, ich weiß«, gab Cornelius zurück. »Was meinst du, wem wirst du ›Die Fee Leselust‹ anvertrauen?« Der Verleger wirkte angespannt und besorgt.

    »Wie gesagt, ich werde mir das morgen erst mal ansehen, aber ich hatte mir vorgestellt, Isa damit zu betrauen. Also, wenn du einverstanden bist, und auch nichts anderes dagegenspricht, werde ich es auch so machen«, beschloss Friedbert Schiller.

    »Warum sollte ich etwas dagegen haben, Friedbert?«, fragte Cornelius. »Aber bitte schau ab und zu mal nach dem Rechten, also ob sie ihre Sache auch wirklich gut macht. Du weißt, es geht in dem Buch um die Fee Leselust. Da sollen schließlich kein fehlerhafter Buchstabe und kein falsches Satzzeichen stören.«

    »Sei unbesorgt, Cornelius«, beruhigte ihn der Cheflektor. »Isa ist dieser Sache durchaus gewachsen, auch wenn Deutsch nicht ihre Muttersprache ist.«

    Isa war in Russland geboren und sprach die ersten Jahre ihres Lebens ausschließlich diese Sprache. Doch sie war schon nach Deutschland gekommen, als sie acht Jahre alt war.

    »Sie spricht Deutsch so gut wie du und ich, das weißt du doch genau!«, stellte sich Friedbert vor seine Mitarbeiterin. »Und außerdem weißt du so gut wie ich, dass kein anderer Bewerber und keine andere Bewerberin beim Deutschtest so gut abgeschnitten hat, wie sie. Auch kein Muttersprachler. Deshalb haben wir uns ja letztendlich für sie entschieden, bitte denk daran, Cornelius!« Friedbert Schiller hatte sich in Rage geredet. ›Auf meine Mitarbeiter lasse ich nichts kommen! Ich weiß schließlich, was sie können und jeden Tag leisten müssen. Davon bekommt Cornelius hier in seinem Contor natürlich nichts mit.‹, dachte er bei sich.

    Langsam beruhigte sich der Cheflektor wieder, als er keine Erwiderung vom Verleger bekam.

    Der legte seine linke Hand auf Friedberts Unterarm.

    »Verzeih mir bitte, ich wollte weder dich noch Isa beleidigen. Ich möchte doch nur, dass alles wirklich so gut wie möglich wird!«

    »Lass uns nur machen, Cornelius!«, sagte Schiller mit Nachdruck.

    »Dann wird alles gut.«

    »Weshalb hast du mich nun herkommen lassen, Cornelius?«, wollte Schiller nach ein paar Minuten des Schweigens wissen. Er ahnte, dass es nicht das Manuskript Grimmigs war, weshalb er hier saß.

    Der Verleger wies mit der Hand auf den Bildschirm seines Rechners: »Friedbert, was wagen sich manche Autoren nur, uns anzubieten?!«, ereiferte er sich. »Es muss ja kein perfektes Werk sein, das sie uns anbieten. Aber ein gutes, halbwegs lesbares Deutsch ist doch wohl nicht zu viel verlangt, oder?!«

    »Immerhin bekommen sie das Geld von dir für ihre Ideen«, wandte Schiller ein.

    »Da hast du völlig recht! Aber es darf doch nicht so sein, dass wir mehr Arbeit in das Manuskript stecken müssen, um es zu verbessern, als es den Autor gekostet hat, es zu schreiben, oder? – Auch wenn die Idee gut ist.«

    »Da hast du vollkommen recht, mein lieber Cornelius«, stimmte Friedbert Schiller dem Verleger zu. »Um welches Manuskript geht es? Kenne ich es?«

    »Das glaube ich schon. Du hast es mir ja weitergeleitet. Die Idee, die dahinter steckt, ist wirklich nicht schlecht, aber bei diesem Sprachstil verzichten wir besser auf die gute Idee. Es ist ja gar kein Sprachstil, sondern eher eine Aneinanderreihung von Wortgruppen!« Er überlegte einen Augenblick. »Ich werde der Sekretärin gleich einen Brief auf Band sprechen, damit sie diesem Autor eine Absage schicken kann. Da brauchen wir nicht erst lange darüber beraten.«

    Friedbert Schiller nickte. ›Es gibt kaum etwas Schlimmeres, als ein Manuskript, in dem auf jeder Seite zig Fehler korrigiert werden müssen, die eigentlich keine sind und die deshalb auch die gewiefteste Rechtschreibkontrolle nicht findet. Das kostet zu viel Zeit, weil es die Lektoren tun müssen. Und die Lektoren müssen schließlich teuer bezahlt werden‹, dachte Schiller bei sich.

    »Ja, das ist besser so, Cornelius«, meinte Friedbert schließlich.

    Damit war dieses Thema für die beiden Männer erledigt.

    Dennoch konnte sich Schiller nicht entschließen, aufzustehen und zu gehen.

    »Hast du noch etwas auf dem Herzen, Friedbert?«

    »Wir haben uns

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