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Das Mädchen von der Erde
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eBook325 Seiten4 Stunden

Das Mädchen von der Erde

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Über dieses E-Book

Keine Abenteuer, bitte! stellt Professor Selesnjow Alissa zur Bedingung, bevor sie an Bord des guten alten "Pegasus" zu einer Tierfangexpedition in den Kosmos aufbrechen. Doch er sollte seine Tochter kennen! Konnte sie etwa Augen und Ohren vor den rätselhaften Vorgängen auf dem Leeren Planeten verschließen oder sich in der Kajüte verkriechen, wenn die Büsche vom Aldebaran plötzlich aus dem Laderaum ausbrechen und zum Sturmangriff auf die Raumschiffbesatzung ansetzen? Und was ist mit diesem merkwürdigen Doktor Werchowzew los, der ihnen auf allen Planeten, wo sie Station machen, über den Weg läuft? Er scheint ein recht unfreundlicher Zeitgenosse ihres 21. Jahrhunderts zu sein. Ob er etwas mit dem Verschwinden des legendären Zweiten Kapitäns zu tun hat?

SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum9. Mai 2024
ISBN9798224904891
Das Mädchen von der Erde

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    Buchvorschau

    Das Mädchen von der Erde - Kir Bulytschow

    Keine Abenteuer, bitte! stellt Professor Selesnjow Alissa zur Bedingung, bevor sie an Bord des guten alten „Pegasus" zu einer Tierfangexpedition in den Kosmos aufbrechen. Doch er sollte seine Tochter kennen! Konnte sie etwa Augen und Ohren vor den rätselhaften Vorgängen auf dem Leeren Planeten verschließen oder sich in der Kajüte verkriechen, wenn die Büsche vom Aldebaran plötzlich aus dem Laderaum ausbrechen und zum Sturmangriff auf die Raumschiffbesatzung ansetzen? Und was ist mit diesem merkwürdigen Doktor Werchowzew los, der ihnen auf allen Planeten, wo sie Station machen, über den Weg läuft? Er scheint ein recht unfreundlicher Zeitgenosse ihres 21. Jahrhunderts zu sein. Ob er etwas mit dem Verschwinden des legendären Zweiten Kapitäns zu tun hat?

    Kir Bulytschow

    Das Mädchen von der Erde

    Originaltitel: Девочка с Земли

    (für diese Ausgabe wurden daraus die Beiträge

    entnommen:

    Девочка, с которой ничего не случится

    und Путешествие Алисы)

    Illustrationen von

    Regine Schulz und Burckhard Labowski

    Das Mädchen,

    dem nie etwas zustößt

    Berichte über das Leben eines kleinen Mädchens aus dem 21. Jahrhundert, aufgeschrieben von ihrem Vater

    Statt eines Vorworts

    Morgen kommt Alissa in die Schule. Das wird ein aufregender Tag für sie. Schon seit heute früh rufen all ihre Freunde und Bekannten über Video an und gratulieren. Aber ehrlich, Alissa liegt seit drei Monaten selbst allen Leuten damit in den Ohren, plappert in einem fort von der bevorstehenden Schulzeit.

    Buss, der Marsianer, hat ihr einen ganz erstaunlichen Federkasten geschickt, den bisher niemand zu öffnen vermochte – weder ich noch meine Kollegen. Dabei gibt es, nebenbei erwähnt, unter ihnen zwei Doktoren der Naturwissenschaften sowie den Chefmechaniker des Zoos.

    Schuscha hat erklärt, er würde Alissa zur Schule begleiten. Er will herauskriegen, ob sie auch eine gute und erfahrene Lehrerin bekommt.

    Unwahrscheinlich viel Aufhebens jedenfalls. Als ich seinerzeit in die Schule kam, wurde nicht soviel Wind gemacht.

    Im Augenblick ist der Trubel ein wenig abgeflaut – Alissa ist in den Zoo gegangen, um sich von Bronta zu verabschieden.

    Da will ich, solange es im Haus still ist, ein paar Begebenheiten aus dem Leben Alissas und ihrer Freunde diktieren. Die Bänder schicke ich Alissas Lehrerin, damit sie erfährt, mit was für einem leichtsinnigen Mädchen sie es zu tun bekommt. Das kann ihr bei der Erziehung meiner Tochter nur nützen.

    Etwa bis zu ihrem dritten Lebensjahr war Alissa ein Kind wie jedes andere. Als Beweis dafür mag die erste Geschichte gelten, die ich gleich erzählen werde. Doch schon ein Jahr später, nachdem sie Bekanntschaft mit Bronta geschlossen hatte, entwickelte sie eine Neigung, immer das Gegenteil von dem zu tun, was verlangt wurde. Sie verschwand im unpassendsten Augenblick spurlos und machte ganz zufällig Entdeckungen, an denen sich die bedeutendsten Gelehrten unserer Zeit die Zähne ausbissen. Sie versteht es, Nutzen aus der Sympathie zu ziehen, die ihr entgegengebracht wird, und besitzt trotzdem eine Menge echter Freunde. Wir als Eltern haben’s manchmal ziemlich schwer mit ihr. Schließlich können wir nicht die ganze Zeit zu Hause sitzen und auf sie aufpassen: Ich arbeite im Zoo, und Alissas Mutter baut Häuser, oftmals sogar auf anderen Planeten.

    Ich möchte Alissas Lehrerin im vorhinein warnen – auch sie wird es gewiß nicht leicht haben. Schon deshalb wäre es gut, wenn sie die Geschichten, die sich im Laufe der letzten drei Jahre mit dem Mädchen Alissa an den verschiedensten Orten der Erde und im Kosmos wirklich zutrugen, aufmerksam anhörte.

    Ich wähle eine Nummer

    Alissa schlief noch nicht. Es ging bereits auf zehn, aber sie war noch immer wach. Ich sagte: „Schlaf jetzt, Alissa, sonst …"

    „Was ‚sonst‘, Papa?"

    „Sonst videofoniere ich mit der Baba-Jaga."

    „Die Baba-Jaga, wer soll das sein?"

    „Na, das sollten Kinder eigentlich wissen. Baba-Jaga Knochenbein ist eine böse alte Frau, die kleine Kinder ißt. Ungezogene Kinder."

    „Warum tut sie das?"

    „Weil sie eben böse ist und Hunger hat."

    „Und warum hat sie Hunger?"

    „Weil es in ihrer Hütte keine Lebensmittelleitung gibt."

    „Aber warum gibt es die nicht?"

    „Weil ihre Hütte ganz, ganz alt ist und im tiefen Wald steht."

    Alissa fand das so interessant, daß sie sich im Bett aufsetzte. „Im tiefen Wald? Da arbeitet sie wohl im Naturschutzgebiet!"

    „Schlaf jetzt, Alissa!"

    „Du hast versprochen, die Baba-Jaga anzurufen. Ach bitte, Papi, ruf sie an."

    „Na schön, wie du willst. Aber du wirst es bereuen."

    Ich ging zum Videofon und drückte wahllos ein paar Knöpfe. Ich war überzeugt, daß die Zahlen keine Nummer ergeben würden und die Baba-Jaga so eben „nicht zu Hause war. Doch das erwies sich als Trugschluß. Der Videofonschirm wurde immer heller, und dann erfolgte ein Klicken – der Teilnehmer am anderen Ende der Leitung hatte die Empfangstaste betätigt. Noch ehe das Bild aufgeflammt war, sagte eine schläfrige Stimme: „Botschaft des Mars am Apparat …

    „Na, wie sieht’s aus, Papa, kommt sie?" rief Alissa aus dem Schlafzimmer.

    „Sie ist schon im Bett", erwiderte ich ärgerlich.

    „Hier die Botschaft des Mars!" wiederholte die Stimme.

    Ich wandte mich wieder dem Videofon zu. Ein noch junger Marsmensch sah mich an, er hatte grüne wimpernlose Augen.

    „Entschuldigen Sie bitte, ich hab mich wohl in der Nummer geirrt."

    Der Marsianer lächelte, doch er schaute nicht mich an, sondern jemanden hinter mir. Natürlich, Alissa war aus dem Bett geklettert und stand barfuß auf dem Fußboden.

    „Guten Abend", sagte sie zu dem Marsianer.

    „Guten Abend, Kleine."

    „Die Baba-Jaga lebt also bei Ihnen?"

    Der Marsmensch sah mich fragend an.

    „Alissa konnte nicht einschlafen, erklärte ich, „da wollte ich die Baba-Jaga anrufen, damit sie ein ernsthaftes Wort mit ihr spricht. Aber ich hab die falsche Nummer gewählt.

    Der Marsianer lächelte abermals. „Gute Nacht, Alissa. Du mußt fein schlafen, sonst ruft dein Papa die Baba-Jaga."

    Der Fremde verabschiedete sich von mir und schaltete ab.

    „Na, wirst du jetzt endlich schlafen? Du hast doch gehört, was der Onkel vom Mars sagte."

    „Ja, werd ich. Nimmst du mich mal auf den Mars mit?"

    „Aber nur, wenn du dich anständig aufführst. Wir fliegen im Sommer."

    Endlich war Alissa eingeschlafen, und ich ging wieder an die Arbeit. Ich saß bis ein Uhr nachts, plötzlich klingelte gedämpft das Videofon. Ich drückte auf die Taste – es war der Marsianer aus der Botschaft.

    „Entschuldigen Sie bitte, wenn ich so spät störe, sagte er, „aber da Ihr Videofon nicht abgeschaltet ist, nehme ich an, daß Sie noch wach sind.

    „Ja, das stimmt."

    „Wir wollten Sie um eine kleine Gefälligkeit bitten. Die ganze Botschaft ist auf den Beinen. Wir haben das Videofonbuch studiert und sämtliche Enzyklopädien gewälzt doch nirgends ein Anhaltspunkt über die Baba-Jaga. Wer ist das bloß, und wo wohnt sie?"

    Bronta

    Unser Moskauer Zoo erhielt eines Tages das Ei eines Brontosaurus. Chilenische Touristen hatten es nach einem Erdrutsch am Ufer des Jenissej gefunden. Das Ei war fast rund und in dem ewigen Frost ausgezeichnet erhalten geblieben. Als unsere Spezialisten genauere Untersuchungen vornahmen, stellten sie fest, daß es noch ganz in Ordnung war. So wurde beschlossen, es im zooeigenen Inkubator auszubrüten.

    Natürlich glaubten die wenigsten an einen Erfolg, doch schon eine Woche später zeigten Röntgenaufnahmen, daß sich der Keimling zu entwickeln begann. Kaum war diese Mitteilung über die Intervisionssender gegangen, reisten von überallher Wissenschaftler und Korrespondenten an. Obwohl wir das gesamte achtziggeschossige Hotel „Venus in der Gorkistraße zur Verfügung stellten, fanden nicht alle Platz. Acht Paläontologen aus der Türkei übernachteten bei uns im Wohnzimmer, und zwei Korrespondentinnen von der Zeitschrift „Antarktische Frau richteten sich in Alissas Zimmer ein. Ich selbst zog mich mit einem Journalisten aus Ekuador in die Küche zurück. Als unsere Mama abends aus Nukus anrief, wo gerade ein Stadion gebaut wird, glaubte sie an den falschen Teilnehmer geraten zu sein.

    Sämtliche Telesputniks der Welt sendeten Aufnahmen von dem Ei. Das Ei von vorn, das Ei von der Seite, das Ei neben Skeletten von Brontosauriern …

    Der Kongreß der Kosmosphilologen, der gerade in Moskau tagte, kam in voller Besetzung zu einer Exkursion in den Zoo. Doch zu diesem Zeitpunkt hatten wir den Zutritt zum Inkubator bereits untersagt, und so mußten sich die Philologen mit den Eisbären und Gottesanbeterinnen vom Mars begnügen.

    Am 46. Tag dieses turbulenten Lebens platzte das Ei. Mein Freund Professor Yakata und ich saßen gerade neben der Glasglocke, unter der das Ei lag, und tranken Tee. Wir hatten schon alle Hoffnung aufgegeben, daß dort je etwas herausklettern würde. Wir hatten nämlich, um unserem „Säugling" nicht zu schaden, auf weiteres Röntgen verzichtet. Und in Vermutungen konnten wir uns schon deshalb nicht ergehen, weil noch niemand vor uns einen Brontosaurus ausgebrütet hatte.

    Das Ei erzitterte jedenfalls, ruckte ein zweites Mal und … platzte. Durch die dicke lederartige Schale begann sich ein schwarzer, schlangenähnlicher Kopf zu arbeiten. Die automatischen Kameras fingen zu surren an. Ich wußte, daß in diesem Augenblick über der Tür des Inkubatoriums eine rote Lampe aufleuchtete. Auf dem Gelände des Zoos setzte so etwas wie Panik ein.

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    Bereits fünf Minuten später hatten sich all jene eingefunden, die von Amts wegen hier sein mußten. Gleichzeitig kamen viele, die nicht unbedingt gebraucht wurden, doch dabeisein wollten. Es wurde sofort furchtbar heiß.

    Schließlich kämpfte sich ein winziger Brontosaurus ans Tageslicht.

    „Und wie soll er heißen, Papa?" hörte ich plötzlich eine nur allzu bekannte Stimme.

    „Alissa, rief ich erstaunt aus, „wie kommst du hierher!

    „Ich hab mich an die Korrespondenten gehalten."

    „Aber Kinder dürfen hier nicht rein!"

    „Ich schon. Ich hab allen erzählt, daß ich deine Tochter bin, da haben sie mich durchgelassen."

    „Weißt du auch, daß es sich nicht gehört, verwandtschaftliche Beziehungen für persönliche Zwecke auszunutzen?"

    „Aber Papa, der kleine Bronta langweilt sich vielleicht ohne Kinder, deshalb bin ich gekommen."

    Ich winkte resigniert ab. Ich hatte keine Minute frei, Alissa hinauszubefördern, und von den Umstehenden war niemand bereit, das für mich zu übernehmen.

    „Bleib hier stehen und rühr dich nicht vom Fleck", sagte ich. Dann eilte ich zur Glocke mit dem frisch geschlüpften Brontosaurus.

    Den ganzen Abend sprach ich kein Wort mit Alissa. Wir hatten uns gestritten. Ich verbot ihr, sich im Inkubator blicken zu lassen, doch sie erwiderte, sie könne in diesem Fall nicht gehorchen, da ihr der arme Bronta leid täte. Und tatsächlich schummelte sie sich am nächsten Tag hinein, diesmal mit einigen Kosmonauten vom Raumschiff „Jupiter-8". Die Kosmonauten wurden als Helden angesehen, und niemand vermochte ihnen eine Bitte abzuschlagen.

    „Guten Morgen, Bronta", sagte Alissa, als sie bei der Glocke angelangt war.

    Das Brontosaurusbaby sah sie scheel an.

    „Wem gehört dieses Kind!" fragte Professor Yakata streng.

    Ich hätte in den Erdboden versinken mögen.

    Doch Alissa ist um eine Antwort nie verlegen. „Ich gefall Ihnen wohl nicht?" fragte sie zurück.

    „Aber nein, ich bitte Sie …, ganz im Gegenteil … Ich dachte nur, Sie hätten sich verlaufen …" Der Professor konnte ganz und gar nicht mit kleinen Mädchen umgehen.

    „Na schön, sagte Alissa, „morgen besuch ich dich wieder, Bronta, mach’s bis dahin gut.

    Wirklich fand sich Alissa am darauffolgenden Morgen erneut bei dem Brontosaurus ein. Und sie kam immer wieder, fast täglich. Man hatte sich an sie gewöhnt und ließ sie widerspruchslos passieren. Ich wusch meine Hände in Unschuld. Unser Haus steht gleich neben dem Zoo, sie braucht keine Straße zu überqueren, und Leute, die sie mit hineinnehmen, finden sich immer.

    Der Brontosaurus wuchs schnell heran. Nach einem Monat hatte er eine Länge von zweieinhalb Metern erreicht und wurde in einen speziell für ihn errichteten Pavillon umgesetzt. Er spazierte in seinem eingezäunten Gehege umher und kaute junge Bambustriebe sowie Bananen. Der Bambus wurde mittels Frachtraketen aus Indien herbeigeschafft, mit den Bananen versorgte uns der Sowchos „Bewässerte Felder". In einem Zementbecken inmitten des Geländes plätscherte warmes, mit Salz angereichertes Wasser, wie es der Brontosaurus liebte.

    Plötzlich jedoch verlor unser Schützling den Appetit. Drei Tage lang blieben Bambus und Bananen unangerührt. Am vierten Tag legte sich der Brontosaurus auf den Beckengrund, sein kleiner schwarzer Kopf ruhte auf der Plastumrandung. Es sah ganz so aus, als schickte er sich an zu sterben. Das aber konnten wir nicht zulassen, wir hatten ja nur den einen Brontosaurus. Die besten Tierärzte der Welt eilten zu Hilfe, doch umsonst. Bronta lehnte alles ab – Gras, Vitamine, Apfelsinen, Milch.

    Alissa wußte nichts von dieser Tragödie. Ich hatte sie zur Großmutter nach Wnukowo geschickt. Doch am vierten Tag schaltete sie den Fernseher zufällig in dem Augenblick an, als es um die Verschlechterung seines Gesundheitszustandes ging. Ich weiß nicht, wie sie es schaffte, die Großmutter zu überreden, jedenfalls erschien Alissa noch am gleichen Morgen im Pavillon.

    „Papa, rief sie, „wie konntest du mir das verheimlichen! Wie konntest du bloß!

    „Später, Alissa, ich hab jetzt keine Zeit. Ich muß zur Besprechung."

    Und tatsächlich tagten wir seit drei Tagen fast ununterbrochen.

    Alissa entfernte sich, ohne ein Wort zu sagen. Gleich darauf hörte ich den erschrockenen Ausruf eines Besuchers. Ich drehte mich um und sah, daß Alissa die Umzäunung bereits überwunden hatte und quer durchs Gehege zum Brontosaurus lief. In der Hand hielt sie ein Brötchen.

    „Iß, Bronta, sagte sie, „die lassen dich doch glatt verhungern. Ich an deiner Stelle hätte die ewigen Bananen auch satt.

    Ich hatte die Barriere noch nicht erreicht, als das Unwahrscheinliche geschah. Es brachte Alissa großen Ruhm ein, ließ uns, die Biologen, aber ziemlich dumm dastehen.

    Der Brontosaurus hob den Kopf, sah Alissa lange an und nahm ihr vorsichtig das Brötchen aus der Hand.

    „Leise, Papa! Alissa drohte mir mit dem Finger, als sie sah, daß ich über die Umzäunung klettern wollte. „Bronta hat Angst vor dir.

    „Keine Bange, sagte Professor Yakata, „er tut ihr nichts.

    Daß Alissa keine Gefahr drohte, sah ich selber. Doch was würde die Großmutter zu dieser Szene sagen!

    Danach stritten sich die Gelehrten lange. Sie streiten sich noch heute. Die einen behaupten, Bronta habe einen Nahrungswechsel gebraucht, andere sind der Meinung, sein Vertrauen zu Alissa sei größer als zu uns. Wie dem jedoch auch sein mag – die Krise war überwunden.

    Inzwischen ist Bronta ganz zahm. Obwohl er in der Länge fast dreißig Meter mißt, gibt es kein größeres Vergnügen für ihn, als Alissa auf seinem Rücken spazierenzutragen. Einer meiner Assistenten hat eine spezielle Leiter gebaut, und wenn Alissa den Pavillon betritt, streckt Bronta seinen langen Hals, nach der Ecke aus, wo das Gerät steht. Er schnappt die Leiter mit seinen dreieckigen Zähnen und legt sie geschickt an seine schwarze glänzende Flanke. Alissa klettert hinauf, und er trägt sie im Pavillon umher oder schwimmt mit ihr im Becken.

    Die Tutexe

    Als ich zu einer Konferenz auf den Mars flog, nahm ich Alissa wie versprochen mit. Der Flug verlief ohne Zwischenfälle, allerdings vertrug ich die Schwerelosigkeit schlecht und zog es deshalb vor, in meinem Sessel zu bleiben. Meine Tochter dagegen schwebte die ganze Zeit durchs Raumschiff, und einmal mußte ich sie von der Decke der Steuerzentrale herunterholen, wo sie gar zu gern einen roten Knopf gedrückt hätte. Es handelte sich um den Auslöser für die Notbremsen. Aber die Piloten waren ihr nicht allzu böse.

    Auf dem Mars angelangt, besichtigten wir die Stadt, fuhren mit Touristen in die Wüste und statteten den Großen Höhlen einen Besuch ab. Danach hatte ich keine Zeit mehr, mich um Alissa zu kümmern, und gab sie für eine Woche in ein Internat. Auf dem Mars arbeiten viele Spezialisten von uns, deshalb haben uns die Marsianer geholfen, eine riesige Kuppel als Kinderstädtchen zu errichten. Dort ist es sehr schön – sogar richtige Erdenbäume wachsen. Manchmal unternehmen die Kinder auch Ausflüge; sie streifen ihre kleinen Skaphander über und gehen in einer Reihe auf die Straße hinaus.

    Tatjana Petrowna, die Erzieherin, sagte, ich brauchte mich um Alissa nicht zu sorgen, und auch Alissa beruhigte mich. Wir verabschiedeten uns für eine Woche voneinander.

    Doch am dritten Tag verschwand Alissa.

    Das war ein ganz außerordentliches Vorkommnis. Seit Bestehen des Internats war noch keins der Kinder verlorengegangen, nicht einmal für zehn Minuten. Auf dem Mars abhanden zu kommen ist nämlich ein Ding der Unmöglichkeit, zumal für ein Erdenkind im Skaphander. Der erstbeste Marsianer, der ihm begegnete, würde es zurückbringen. Dazu kommen die Roboter, der Notdienst … Nein, auf dem Mars konnte wirklich niemand verlorengehen.

    Alissa aber verschwand trotzdem.

    Sie war schon fast zwei Stunden unauffindbar, als ich von der Konferenz abberufen und mit einem Springmobil, wie sie dortzulande verkehren, ins Internat gebracht wurde. Ich sah wohl recht mitgenommen aus, denn als ich in der Kuppel erschien, verstummten die Anwesenden teilnahmsvoll.

    Unwahrscheinlich, wie viele Leute sich dort versammelt hatten! Sämtliche Erzieher und Roboter des Internats, etwa zehn Marsianer im Skaphander (sie müssen die Raumanzüge überstreifen, wenn sie die mit Erdenluft angefüllte Kuppel betreten), einige Sternenflieger, Archäologen, Nasarjan, der Leiter der Rettungsmannschaft, und viele andere.

    Wie sich herausstellte, sandte die Fernsehstation der Stadt bereits seit einer Stunde alle drei Minuten die Mitteilung aus, daß ein kleines Erdenmädchen verschwunden war. Sämtliche Videofone auf dem Mars waren auf Notruf geschaltet, der Unterricht war in allen Schulen unterbrochen worden. Die Schüler durchkämmten, aufgeteilt in kleine Trupps, die Stadt und ihre Umgebung.

    Alissas Verschwinden war gleich bemerkt worden, als ihre Gruppe vom Spaziergang zurückkehrte. Das lag, wie gesagt, zwei Stunden zurück. Der Sauerstoff in ihrem Skaphander aber reichte nur für drei Stunden.

    Da ich meine Tochter kannte, erkundigte ich mich, ob auch die verstecktesten Winkel im Internat selbst und seiner näheren Umgebung abgesucht worden wären. Vielleicht hatte Alissa irgendwo eine echte Mars-Gottesanbeterin aufgespürt und beobachtete sie …

    Ich erhielt die Antwort, daß es in der Stadt keinerlei Kellergewölbe gäbe, das Internat aber von Schülern sowie Studenten der Mars-Universität gründlich durchstöbert worden wäre. Sie kannten sich in solchen Dingen aus.

    Ich war wütend auf Alissa. Gewiß würde sie gleich mit der unschuldigsten Miene der Welt aus irgendeiner Ecke hervorkommen. Dabei hatte ihr Verhalten mehr Unruhe in der Stadt gestiftet als ein Sandsturm. Alle Marsianer und Erdenbewohner der Stadt hatten ihre Arbeit unterbrechen müssen, der gesamte Rettungsdienst war auf den Beinen. Allmählich machte ich mir ernstlich Sorgen. Dieses Abenteuer konnte schlecht für sie enden.

    Inzwischen gingen laufend Meldungen der Suchtrupps ein: „Die Schüler des zweiten Mars-Vorgymnasiums haben das Stadion durchsucht. Von Alissa keine Spur, „Die Süßwarenfabrik des Mars teilt mit, daß auf ihrem Gelände kein Kind gefunden wurde …

    Und wenn ihr’s nun tatsächlich gelungen ist, bis zur Wüste vorzudringen? überlegte ich. In der Stadt hätte man sie längst finden müssen. Doch in der Wüste … Die Wüsten auf dem Mars waren so gut wie unerforscht, dort konnte jemand so gründlich verlorengehn, daß er selbst nach zehn Jahren nicht entdeckt wurde. Ihre Randregionen aber waren mit Hilfe der Springmobile abgesucht worden.

    „Wir haben sie!" rief plötzlich ein Marsianer in blauem Kittel nach einem Blick auf seinen Taschenfernseher.

    „Wo denn, wo ist sie! Wo hat sie gesteckt?" Die Leute in der Kuppel gerieten in Aufregung.

    „In der Wüste. Zweihundert Kilometer von hier."

    „Zweihundert Kilometer?!"

    Natürlich, dachte ich, sie kennen Alissa nicht. Bei ihr ist alles drin.

    „Dem Mädchen geht es gut, sie wird bald hier sein."

    „Wie ist sie bloß dorthin geraten?"

    „Mit der Postrakete."

    „Also da war’s!" sagte Tatjana Petrowna und fing an zu weinen. Sie hatte sich am meisten gegrämt.

    Alle stürzten auf sie zu, um sie zu trösten.

    „Wir sind nämlich am Postamt vorbeigegangen, erklärte sie, „als gerade die automatischen Postraketen beladen wurden. Ich hab nicht weiter drauf geachtet, wir sehn so was hundertmal am Tag.

    Als zehn Minuten später ein Flugzeug Alissa zurückbrachte, fand sich des Rätsels Lösung.

    „Ich bin reingeklettert, sagte Alissa, „um den Brief zu holen.

    „Was für einen Brief?"

    „Na, den von Mama. Du hast doch gesagt, Papa, daß sie uns schreiben wird. Da wollt ich mal nachsehn, ob er vielleicht drin ist."

    „Du bist in die Rakete geklettert?!"

    „Na sicher. Die Luke war offen, und dahinter lag eine Menge Briefe."

    „Und was geschah dann?"

    „Ich war kaum drin, da klappte die Luke zu, und die Rakete flog ab. Ich wollte sie anhalten und hab nach dem entsprechenden Knopf gesucht. Aber es gab unheimlich viele Knöpfe, und als ich den letzten an der Reihe gedrückt hatte, ging die Rakete runter und die Tür wieder auf. Ich kletterte ins Freie – nichts als Sand um mich her. Keine Tante Tanja, keine Kinder."

    „Sie hat die Taste für die Sofortlandung betätigt!" rief der Marsianer im blauen Kittel begeistert aus.

    „Zuerst hab ich ein bißchen geweint, doch dann beschloß ich, mich auf den Heimweg zu machen."

    „Und woher wußtest du die Richtung?"

    „Ich bin auf einen kleinen Hügel geklettert, um Ausschau zu halten. Ich konnte aber nichts entdecken. Doch in dem Hügel war eine Tür. Ich hab sie aufgemacht, dahinter befand sich ein Zimmer. Ich bin hineingegangen und hab mich dort hingesetzt."

    „Was für eine Tür? wunderte sich der Marsianer. „In dieser Region gibt’s nichts als Wüste.

    „Aber wenn ich’s doch sage. Dort war eine Tür und ein Zimmer. Und in dem Zimmer befand sich ein großer Stein. Wie eine ägyptische Pyramide, nur kleiner. Erinnerst du dich, Papa, du hast mir mal was über die ägyptische Pyramide vorgelesen …"

    Alissas Behauptung versetzte den Marsianer im blauen Kittel und auch Nasarjan, den Leiter der Rettungsmannschaft, in helle Aufregung.

    „Das müssen die Tutexe sein!" riefen sie aus.

    „Wo genau ist das Mädchen gefunden worden? Wir brauchen die Koordinaten!"

    Die Hälfte der Anwesenden war auf einmal wie vom Erdboden verschluckt. Tatjana Petrowna aber, die es sich nicht nehmen ließ, Alissa eigenhändig ein Essen vorzusetzen, erzählte mir, daß auf dem Mars vor vielen tausend Jahren die geheimnisvolle Zivilisation der Tutexe existiert hatte. Von ihr zeugten einige kleine Steinpyramiden, in der Wüste versprengt und von Sand verschüttet.

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