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Des Teufels liebstes Spiel: Krimi noir
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eBook280 Seiten3 Stunden

Des Teufels liebstes Spiel: Krimi noir

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Über dieses E-Book

Harry Hagen & Die Vagabonds

Eine total verrückte Geschichte mit den Protagonisten Elvis, El Chapo, Paco & Pico, Eddy Constantine, dem Rächer mit der Schwarzen Mamba, Romeo & Yulia, dem neuen Geheimdienst STING, einer Spionin in Lebensgefahr, Sadko, dem Schlächter, einem Maigret-imitator - das alles gedreht in Acapulco, Teheran, Berlin, Nizza & Saint Tropez. Für Harry Hagen lange einfach ein ›Scheißfall‹, der kaum zu lösen ist …
Der zweite Harry Hagen-Krimi.
SpracheDeutsch
HerausgeberDittrich Verlag
Erscheinungsdatum2. Mai 2024
ISBN9783910732223
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    Buchvorschau

    Des Teufels liebstes Spiel - Al Schmidt

    Prolog

    Gorbatschows Strategie der Öffnung und der Abrüstung hatte eine Kehrseite: neben der Beendigung des Kalten Krieges zerfiel die Sowjetunion. Die neue Nomenklatura sicherte sich über eine mafiöse Dauerherrschaft die Schätze Russlands. Der Westen rüstete ab und arrangierte sich mit dem Capo di Capi im Kreml.

    Dieser öffnete ein Drittel Jahrhundert später erneut das Tor zur Hölle, das in Europa als endgültig verschlossen galt. Und brachte unendliches Leid über Millionen Ukrainer und Hunderttausende von Russen. Die Kehrseite hier: die Menschen lernten wieder, den Frieden zu lieben und gleichzeitig mit der Knarre zu üben. Der Nordatlantik-Pakt stand von den Toten wieder auf – und gebar sogar einen winzigen Abkömmling: STING – Strategic Intelligence Group. Eine geheime Kooperation der westlichen Dienste mit präventiven Zielen und ohne Samthandschuhe. Keine westliche Hauptstadt wollte diesen ›Bastard‹ haben, man einigte sich auf Berlin – die Stadt der schrägen Existenzen.

    ›Welcome to Berlin!‹

    Eins

    Traum und Albtraum

    ACAPULCO JANUAR 1963

    Die fünfziger und sechziger Jahre gehörten auch in den USA zu den glücklichsten in der jüngsten Geschichte: nach den Verlusten, Schmerzen und Entbehrungen des Zweiten Weltkriegs brach das Wirtschaftswunder mit einer ungeheuren und herrlich naiven Lebensfreude aus. ›The American way of life‹ bescherte vor allem dem (weißen) Mittelstand uniforme kleine Häuschen mit Benzinschluckern vor der Tür und verwaisten Kinderrädern in den Vorgärten, zu Tausenden aufgereiht in den wie Pilze aus dem Boden sprießenden ›Suburbs‹, in denen samstags nachmittags mit den Nachbarn am türkisen Pool Barbecue-Feste mit Steaks und Spareribs gefeiert wurden. Die Welt war wieder heil, das Leben so Rock ’n’ Roll wie die hochtoupierten Haare der Frauen – und die Unterhaltungsindustrie hatte einen König: Elvis Presley! Und Acapulco, einer der ältesten und schönsten Badeorte Mexicos, wurde ›the place to be‹ für die Berühmten, Schönen & Reichen: der ›Party Place‹ für den Jetset und das Showbusiness.

    *****

    Diego Padilla war als junger Mann aus dem verarmten Sinaloa nach Acapulco gekommen, um hier Arbeit zu finden. Er hatte ein Jahr hier und da gejobbt – und dann schließlich eine Stelle als Fahrer im mit weitem Abstand besten Hotel an der Küste ergattert, dem ›Las Brisas‹. Diese Ikone war ein hoch über den Stränden dieses Badeorts thronendes, in Terrassen angelegtes und komplett in Rosa getauchtes Paradies in sich. Als besonderen Clou hatten die Hoteliers 20 kleine Jeeps angeschafft und knallig pink streichen lassen. Mit diesen ›Fun Cars‹ wurden die illustren Gäste Tag und Nacht durch Acapulco chauffiert, was eine enorme Werbekraft, ja sogar fast internationale Berühmtheit für dieses Luxusresort entfaltete.

    Die letzte Nacht hatte Diego vor Aufregung kaum geschlafen, da heute ein großer Tag war: Elvis Presley war mit seiner gesamten Film-Entourage im Anflug auf Acapulco International und acht Pink Jeeps standen aufgereiht vor dem Airport und warteten auf den King, um ihn dann am Meer entlang hoch ins Las Brisas zu kutschieren. Und den ersten Jeep würde Diego fahren, der Elvis als persönlicher Chauffeur und Betreuer zugeteilt – und der, wie fast jeder – ein totaler Elvis-Fan war. Er genoss die Zeit des Wartens auf den Glücksmoment, wenn der King in seinen Jeep steigen und von da an von ihm betreut werden würde. Später erinnerte er sich, dass bei allen weiteren unvergesslichen Situationen mit Elvis dies die glücklichste von allen für ihn gewesen war. Es sind die Vorboten des Glücks, die uns vor allem selig machen.

    In einer Zeit, in der Fliegen noch abgehobener Luxus und kein erniedrigender Viehtransport war, brauchten Elvis und sein Filmteam nicht einmal zehn Minuten, um durch die ehrfürchtig um Autogramme heischende ›Kontrolle‹ zu gehen und in die rosa Wagenkolonne zu steigen: vorneweg der Regisseur Richard Thorpe, dann der Latin Lover Alejandro Rey, gefolgt von Ursula Andress, der Star in den hocherotischen Träumen von Abermillionen heranwachsenden, aber auch erwachsenen Amerikanern – und zum Schluss als unwirklicher Höhepunkt Elvis himself, der fast ein wenig schüchtern versuchte, sich in der Szenerie vor dem Flughafen zu orientieren und seinen Fahrer zu finden. Auf Diegos Winken setzte sich der King ganz entgegen der Etikette auf den Beifahrersitz und gab dem Mexikaner mit einem ›Hi‹ wie selbstverständlich die Hand. Als sich die Prozession endlich in Bewegung setzte, mischte sich ein Hauch von Hollywood in den tropischen Sommerwind und an den Straßen winkten Schaulustige der Karawane in Pink zu und hielten ihre Kameras hoch.

    Vor dem Las Brisas hatten sich alle Angestellten hierarchisch geordnet in einem riesigen Halbkreis aufgestellt – in der Mitte der Hoteldirektor umrahmt von zwei Grazien der Klasse ›Miss Acapulco‹ und an den beiden Außenrändern die Kofferträger und Schuhputzer, die wahrscheinlich mehr zum Wohlbefinden der Gäste beitrugen als der eitle Anzugträger im Zentrum, der sich bei seinem Willkommen in einer letztlich nicht mehr kontrollierbaren und verständlichen Aneinanderreihung von Nebensätzen verhedderte, bis der King ihn mit einem gnädigen ›Thank you all so very much!‹ erlöste. Danach verschwanden die Stars in ihren Suiten mit Traumblick auf Acapulco und das türkis-blaue Meer, so als wollten sie nichts mehr miteinander zu tun haben – während der Rest der Crew warten musste, ehe ihre vergleichsweise schäbigen Koffer in die kleinen und trüben Kammern auf der Rückseite des Gebäudes gebracht wurden.

    Der geplante Filmtitel ›Fun in Acapulco‹ war so belanglos wie das Drehbuch und die Songs zu diesem Film. Der eigentliche Strippenzieher in diesem Projekt war wie immer Elvis dominanter Ziehvater und gieriger Manager Colonel Tom Parker, der den Star zu einer Gelddruckmaschine in immer mehr, immer unbedeutenderen Film- und Musikproduktionen gemacht hatte. Entsprechend begann die Karriere dieses im Grunde begnadeten Künstlers bereits zu bröckeln – und so war dessen Stimmung trotz der tropischen Strandkulisse nicht die Beste, wie Diego schnell mitbekam.

    Als Fahrer und Betreuer war der junge Mexikaner fast rund um die Uhr dienstbereit und so erhielt er einen hautnahen Einblick, wie Elvis seine Zeit verbrachte: Drehtage und freie Tage unterschieden sich eigentlich nur durch die An- bzw. Abwesenheit von Kameras. Der Rest waren immer gleiche Abläufe von Wasserski, Strandleben, schönen Frauen, Liedchen trällern, Cocktailpartys etc. Ein Tag war wie der andere: der Regisseur kämpfte um den Zeitplan, Ursula Andress gab die kapriziöse Diva – und Elvis war meist schlecht gelaunt und sehr genervt. Viva Acapulco 1963!

    Am Abend des letzten Drehtags gab es auf der spektakulären Terrasse des Hotels ein Abschiedsessen für die gesamte Truppe, das aufgrund der Erleichterung über die pünktlich abgeschlossenen Dreharbeiten gegen Mitternacht in ein Saufgelage überging, das mit zunehmender Dauer das sehr unterschiedliche Stehvermögen und Niveau der Hollywoodstars und Sternchen schonungslos offenlegte. Der King hatte wenig Lust auf einen alkoholisierten Wettbewerb von Prahlerei, steigender Aggression und unverhohlener Geilheit. Er stahl sich daher schon früh davon und ließ sich von Diego an den einsamen Strand Puerto Marques außerhalb von Acapulco fahren, wo dieser oft seine freien Tage verbrachte und verträumte. Als der Mexikaner schüchtern im Jeep bleiben wollte, packte Elvis ihn am Arm und zog ihn mit in die Nähe der sanft plätschernden Wellen.

    Beide schauten eine Zeitlang schweigend auf das vom Vollmond beschienene Meer und genossen die leichte Abkühlung, die die Brise der Sommernacht brachte. Auf einem Pfahl im Wasser stand ein großer Vogel mit einem Riesenschnabel unbeweglich auf einem Bein, das andere an seinen Körper gelegt. ›Auf einem Bein schlafen?‹ ging Diego durch den Kopf. Er wagte es aber nicht, ein Gespräch zu beginnen. Einerseits wollte er den Pelikan nicht wecken. Andererseits fühlte er sich in der Gesellschaft des gottgleichen Stars hilflos und völlig fehl am Platz. Aber dann durchbrach der King das Schweigen:

    »Diego, als ich so jung war wie Du, da hatte ich meinen Traum, für den ich alles gab. Und mit dieser Energie, einigem Talent und sehr viel Glück habe ich vielmehr erreicht, als ich mir je vorstellen konnte. Vielleicht sogar zu viel. Hast Du einen Traum?« Diego druckste schüchtern herum. Aber als Elvis kumpelhaft seinen Arm um ihn legte, flossen die Worte nur so aus ihm heraus:

    »Ich komme aus einem sehr armen Dorf in der Nähe von Sinaloa. Dort gibt es kaum Arbeit. Hier in Acapulco verdiene ich inzwischen super und kann das meiste sparen. In ein, zwei Jahren gehe ich zurück und mache eine Autowerkstatt auf. Und: ich heirate mi corazón – Maricarmen!« Elvis gab Diego ein achtungsvolles ›Daumen hoch‹, das zugleich aber auch seine Berührtheit überspielen sollte. Wie glücklich war er selbst doch gewesen, als s e i n e Träume sich gerade zu öffnen schienen, aber noch lange nicht so übererfüllt waren, wie heute. Die Vorboten des Glücks. Gemessen an dem grellbunten Filmchen, das am Tag in Cinemascope gedreht wurde – war diese Szene im Mondlicht am Strand Puerto Marques so einsam, so wunderschön und so magisch wie ein Gemälde von Edward Hopper. Eines, das Hopper allerdings nie gemalt hatte und auch nie malen würde. Elvis schaute Diego an:

    »Du wirst sehen, sobald Du etwas erreicht hast, beginnt es Dich zu langweilen. Der Weg dahin ist der ganze Spaß!«

    Wieder lag ein Schweigen zwischen den beiden – aber kein peinliches mehr, sondern jetzt eher ein vertrautes Einvernehmen – bis der King seine Gitarre aus dem Jeep holte und begann, rhythmisch mit dem rechten Fuß in den Sand stampfend einen schwarzen Blues nach dem anderen mit seinem tiefem Timbre zu singen. Ein unbezahlbares Konzert nur für den jungen Mexikaner – und den einbeinigen Schläfer auf dem von seichten Wellen umspülten Pfahl. Ab und zu traute Diego sich, zaghaft Beifall zu klatschen und Elvis endete stilecht mit ›Ol’ Man River‹. Diego schloss die Augen, um diesen Moment für immer in sich aufzunehmen. Als er sie wieder öffnete, war der Pelikan verschwunden – so, wie der Zauber dieser Privatvorstellung plötzlich verschwunden war. Auf der Rückfahrt musste Diego versprechen, sich ›Fun in Acapulco‹ auf keinen Fall im Kino anzuschauen, um den King in der einzig wahren Erinnerung zu behalten.

    »Don’t you ever watch that shit!« waren die Worte des King, die Diego nie mehr vergessen sollte.

    *****

    Die Abreise am nächsten Morgen schien für die meisten eine Erleichterung zu sein – insbesondere für die VIP-gestressten Angestellten im Las Brisas. Nur Diego war ein wenig traurig, da seine Zeit mit und für Elvis so schnell endete, wie sie gekommen war. Ein neuer Tag und vielleicht hatte der King den Abend vorher bereits vergessen. Denn dieser schwieg die ganze Zeit, während Diego ihn zum Acapulco International chauffierte. Dann, beim Aussteigen, huschten Strahlen des Glücks über das Gesicht des Superstars, als er Diego umarmte und ihm ein schmales, längliches Päckchen in die Hand drückte:

    »Für Deinen Traum! Aber enttäusch mich nicht: Gründe die beste Autowerkstatt – und die schönste Familie Mexicos!« Diesen Appell des Kings an die Familie sollte Diego nie mehr vergessen und genauso kategorisch an seinen späteren Sohn weitergeben.

    *****

    Diego Padilla blieb noch ein Jahr in Acapulco und kehrte an jedem seiner freien Tage an den Strand seiner Sternstunde mit Elvis zurück, ehe er wieder nach Sinaloa ging und ›Diego’s Coches Famosas‹ aufmachte. Im selben Jahr heiratete er seine Maricarmen. Ihr Sohn Bronco ›Elvis‹ Padilla kam zehn Monate später zur Welt. Schon als Kind durfte dieser in der Werkstatt seines Vaters erst bei allem zuschauen, dann überall helfen. Und so war es kein Wunder, dass Bronco als autobegeisterter junger Mann Fahrer bei einem aufstrebenden Geschäftsmann in Sinaloa wurde.

    *****

    26 JAHRE SPÄTER

    Acapulco 1989. In den siebziger und achtziger Jahren wurde Mexico von einer bis dahin nicht gekannten Welle des organisierten Verbrechens und der Korruption überzogen, die seitdem dieses ehemals wunderbare Land in allen Bereichen des Lebens beherrschte und bis heute prägt. Eine herausragende Figur war dabei Félix Gallardo, der Boss des Guadalajara Kartells, das den Drogenverkehr von Kolumbien über Mexiko in die USA bestimmte. Joaquín Guzmán war ursprünglich Gallardos Chauffeur, stieg im Kartell aber schnell zum Chef der Logistik auf und bekam aufgrund seiner Körpergröße den Spitznamen ›El Chapo‹ – der Kurze. Nach der Verhaftung von Gallardo in 1988 baute Guzmán sein eigenes Sinaloa-Kartell auf, dessen Führungsanspruch er durch selbst für ›Narcos‹ ungewöhnliche Gewalt festigte. Von allen Drogenbossen Lateinamerikas war niemand auch nur annähernd so gefährlich wie El Chapo. Das war der Hauptgrund für seinen rasanten Aufstieg, seine alles und jeden unterwerfende Macht und seinen unermesslichen Reichtum. Auf dem Höhepunkt seines Erfolges führte Forbes Magazine ihn als den sechstreichsten Menschen der Welt.

    *****

    Im Januar 1989 trafen sich die verbliebenen mexikanischen Drogenkartelle in Acapulco, um die Nachfolge und Aufteilung des Guadalajara-Reichs zu besprechen: die Arellano-Felix-Brüder vom Tijuana-Clan, Carillo Fuentes mit seiner Juárez-Gruppe und das Sinaloa-Kartell mit den Bossen Zambada, Palma und vor allem Guzmán. Gegen die Zusammenkunft dieser blutrünstigen Raubtiere war das Treffen der New Yorker Mafiafamilien 1957 in Apalachin/NY ein gemütliches Kaffeekränzchen mit Spitzendeckchen gewesen.

    Aus dem ehemaligen tropischen Traum Acapulco war inzwischen ein unsäglicher Albtraum geworden: mit dem Einzug von Drogen, Erpressung, Mord und Totschlag waren zuerst die Hollywood-Stars, dann die weniger schönen Reichen und zum Schluss auch die einfachen Touristen ausgeblieben. Inzwischen war dieser Ort nur noch für Mörder und eventuell noch für Selbstmörder ein lohnendes Ziel. Und auch wenn das blaue Meer, die feinsandigen Strände und die beeindruckenden Hotels ein unverändertes Bild ergaben, war die Hitze nun nicht mehr nur dem tropischen Klima geschuldet, sondern vor allem dem Tor zur Hölle. Die Kulisse dieses heruntergekommenen Theaters war unverändert, aber jetzt führte der Teufel Regie. Acapulco war ein kriminelles Ghetto mit einer der höchsten Mordraten in Mexico und der Welt. ›Beware of Acapulco 1989!‹

    *****

    So gewalttätig Guzmán, den alle jetzt nur noch ehrfürchtig El Chapo nannten, auch war – so sehr brauchte auch er einen inneren Kreis von Vertrauten, die ihn deckten und seine Befehle ausführten. In seinem rapide wachsenden Machtbereich waren viele Aufgaben zu organisieren: die großen Deals mit den kolumbianischen Produzenten vereinbarte El Chapo noch selbst, aber der tonnenschwere tägliche Drogentransport und Schmuggel in die USA, das regelmäßige Beseitigen missliebiger Personen, das Zählen, Verstecken und Vergraben der Millionen und Abermillionen Dollar Bargeld und schließlich der zunehmende Kampf mit den anderen Kartellen – Guzmán brauchte ein immer größeres Team um sich herum. Bronco Elvis Padilla war ursprünglich nur einer der Fahrer von El Chapo, wurde aufgrund seiner völlig angstfreien Art und seines strategischen Geschicks aber bald zum Chef der Leibwache und zum engsten Berater von Guzmán. Bronco als besonders mutig zu beschreiben, würde ihm aber nicht annähernd gerecht werden: der Gefühlsbereich ›Angst‹ war bei ihm genetisch nicht eingebaut. Aufgrund seines ungewöhnlichen zweiten Vornamens bekam er den Spitznamen ›El Cantante‹ – ›der Sänger‹. Mexikaner lieben Spitznamen, vor allem für ihre Macho-Heroen.

    Da die lausig bezahlte mexikanische Polizei von den lokalen Einheiten bis zu ihren Offizieren und weiter hinauf bis zu Ministern und angeblich sogar hoch bis zum Präsidenten von den Kartellen gekauft waren – hatte sich die amerikanische Drogenbehörde DEA mit dem mexikanischen Militär zusammengetan, um die Hauptverantwortlichen für die jährlich Hunderttausende von Drogenopfern in den USA in Mexiko zu schnappen und vor amerikanische Gerichte zu bringen. Eine erfolgreiche Taktik der DEA-Agenten war dabei die Fokussierung auf einzelne Stellvertreter, die zum innersten Kreis der Drogenbosse gehörten und die im Laufe der Ermittlungen manchmal jahrelang observiert und abgehört wurden – ehe sie verhaftet oder zur Kooperation als Informanten gezwungen wurden. Und wenn die Jungs von der DEA schon keine Samthandschuhe trugen, so waren die Militärs noch einmal ein ganz anderes Kaliber. Also genug Argumente für gefasste Clanmitglieder, lieber ein Informant in Mexiko als ein lebenslanger Häftling in einem der berüchtigten ›Hühnerkäfige‹ in den USA zu sein.

    *****

    Das Treffen der nach der Verhaftung Gallardos verbliebenen Drogenbosse fand am 13. Januar 1989 in einer abgelegenen Villa im spanischen Stil in den Bergen hoch über Acapulco statt. Von dort hatte man einen phantastischen Blick auf alles, was sich dem Anwesen auf der einzigen Zufahrtstraße näherte oder von diesem zu fliehen versuchte. Alle Teilnehmer waren der Vereinbarung entsprechend mit zwei Stellvertretern gekommen und Bronco Elvis Padilla war einer von Guzmáns Begleitern. Im selben Jahr bewiesen die Produzenten der Bondfilme ihr besonderes Gespür für passende Drehorte und filmten ›License to Kill‹ in der Nähe in dem 28-Zimmer-Palast ›Villa Arabesque‹ des Baron Enrico ›Ricky‹ di Portanova. Padilla war mit besonderen Gefühlen nach Acapulco angereist, da sein Vater Diego ihm vor seinem viel zu frühen Tod immer wieder von seiner besonderen Begegnung mit Elvis am Strand und dessen generösem Abschiedsgeschenk und Appell an die Familie erzählt hatte. Daher war Bronco am Tag zuvor noch einmal nach Puerto Marques gefahren – an den Beach, an dem Elvis und sein Vater eine halbe Nacht ein kleines Wunder unterm Sternenhimmel erlebt hatten.

    *****

    El Cantante setzt sich nah an die heran rauschenden Wellen und versucht, die vielen unvergesslichen Erzählungen seines Vaters in seiner Phantasie wieder zu beleben. Aber da ist kein Pelikan auf einem Bein, nicht einmal mehr ein Pfahl im Wasser und die damals für ein paar Stunden zauberhafte Verbindung zwischen dem King und seinem Fahrer ist einer Horde koksender und sinnlos kichernder Junkies gewichen. Der Strand ist übersät mit Spritzen und das Meer schwemmt die stinkenden Fäkalien der umliegenden Hotels heran.

    Enttäuscht und angewidert steht Padilla auf, als er in die Mündung eines angerosteten und leicht mit Sand panierten Revolvers eines zotteligen Hippies schaut:

    »Mach Taschen leer, Tourista!« El Cantante lächelt amüsiert und beginnt, seine Zigaretten, seine fette Rolle Dollars, eine goldene Kreditkarte und seinen Ausweis in den Sand zu legen. Dieser Ort ist für ihn trotz aller Verkommenheit immer noch heilig und er will auf keinen Fall die zauberhafte Geschichte seines Vaters durch eine eigene, hässliche Episode übertünchen. Zum Schluss zieht er den mächtigen Lauf seiner Magnum aus seinem hinteren Hosenbund und legt die Waffe vorsichtig vor sich in den Sand.

    »Hey Leute, kommt mal her, der Typ hier hat ne Knarre!« Augenscheinlich haben drei weitere Junkies auch ein Schießgerät. Sie stürmen herbei und wedeln juchzend damit herum. Bronco:

    »Jungs, das ist unfair! Ihr seid bekifft. Ihr seid keine Pistoleros! Ihr seid bestenfalls Gelegenheitsdiebe. Ihr habt gegen mich keine Chance. Ihr habt keine Ahnung, mit wem Ihr euch gerade anlegt. Deshalb: nehmt die Dollars, lasst den Rest liegen und verschwindet.«

    Der Anführer zählt die Dollars.

    »Hältst Du uns für Anfänger? Du stinkst nach Geld. Nach viel mehr Geld. Wir schenken Dir jetzt unsere berühmte Acapulco-Tour: wir schlagen Dir die Fresse ein, schleifen Dich zum nächsten Geldautomaten, werfen Dich in unseren Kofferraum – und das machen wir alle drei Stunden, bis Dein Konto leer ist. Danach schmeißen wir Deine Karte und Dich auf den Müll!« Das Kichern der drei Junkies wird immer schriller, während sich Padillas Gesichtsausdruck schlagartig verändert:

    »Ihr besudelt hier heiligen Boden, den mein Vater und der King Elvis vor vielen Jahren geweiht haben – und den ich heute besuche, um sie zu ehren. So nehmt denn meine Güte, meine Gnade und mein Geld – und rettet Euer Leben!« Der Anführer stößt prustend hervor:

    »Leute, der Alte ist total zugedröhnt und faselt was von Elvis und seinem schwulen Vater! Mister, hat

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