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Die Pinnwand: Notizen aus der Forensik
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Die Pinnwand: Notizen aus der Forensik
eBook212 Seiten

Die Pinnwand: Notizen aus der Forensik

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Über dieses E-Book

Niemand von uns weiß, wo wir morgen oder übermorgen landen werden.
In seiner neuesten Erzählung, schreibt Erdinç Aydın, die Geschichte von Emil Raskolnikov.
Emil Raskolnikov war ein Mann, dem es eigentlich eher gut ging.
Und irgendwann wendet sich sein Lebensweg, so dass er in der Forensik landet.
Forensik?
Das ist die Geschichte von Herrn Raskolnikov....in der Forensik.
Schrecklich, bedrückend, schmerzhaft und traurig.
Aber trotz allem, ist auch sie dort zu finden. Die Liebe.
 
SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum11. Apr. 2024
ISBN9783755474531
Die Pinnwand: Notizen aus der Forensik

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    Buchvorschau

    Die Pinnwand - Aydın Erdinç

    Vorwort

    Es hat mich regelrecht eine Überwindung gekostet, das Buch zu schreiben.

    Auch lange überlegt habe ich es mir, ob es richtig sein kann, über die Verhältnisse aus einer Einrichtung zu schreiben, wo die Freiheit eines Menschen, auf ein Minimum reduziert wird. Ein Schriftsteller ist irgendwie doch schon immer auf der Suche, nach neuem Schreibstoff. Nun, da bot sie sich mir an. Die Forensik.

    So überwand ich mich selbst, hörte auf lange zu überlegen, und schrieb.

    Die Geschichte von Emil Raskolnikov in der Forensik.

    Es bleibt nur noch zu hoffen, dass die Erzählung mir gelungen sein wird.

    Erdinç Aydın

    Erstes Kapitel

    Spätsommer 2021

    Nach dem er, hier und da, gelandet war, im Laufe seiner Jahre, landete er nun in der Forensik einer Psychiatrie. Wie ein Vogel etwa, von Ast zu Ast. Oder wie ein Zigeuner, von Gegend zu Gegend. Nun, wie auch immer. Landen hier, landen dort. Nun war er gelandet in der Forensik. Ein Bereich der Psychiatrie, wo Kriminelle untergebracht werden. Ist man kriminell und auch noch lala in der Birne, so ist man ein Fall für die Forensik. Nun war er dort.

    Als er sie das erste Mal sah, in der Abteilung, wo er untergebracht war, in der Forensik, hielt er sie für eine Praktikantin oder eine Studentin. Sie war so jung, so zierlich, so hübsch und hatte eine Figur, wie aus einem Modellalbum. Lang war sie nicht. Doch auf die Länge kommt es nicht an, damit eine Frau attraktiv und reizend wirkt. Eine Praktikantin oder eine Studentin. So jung und unschuldig und nicht verbraucht, noch sehr frisch, sowie sie aussieht.

    Sie saß in der Gruppe der Mitarbeiter des Hauses, wo er untergebracht wurde und die ihn in Empfang nahmen. Die Stationsärztin, der Oberarzt, der Sozialarbeiter, der Pflegeleiter der Abteilung und noch ein paar Leute. Alle sie saßen am Tisch. Er, in Handschellen. Er ist ja gefährlich. Gemein gefährlich.

    Nach viel Blabla und wieder Blabla wurde er in die Zelle geführt. Erst dort nahm man sie ihm ab, die Handschellen.

    „Nun gut" sagte er ....und saß sich auf einen Stuhl, der schon vielen vor ihm den Arsch aufgewärmt hatte, in der Zelle. Hier sollte er die nächste Zeit also verbringen. Die Zelle war fünf Schritte lang und vier Schritte breit. Sie hatte ein Fenster, was vergittert war und nur gekippt werden konnte. In der Zelle befanden sich ein Tisch, ein Stuhl, ein Bett und ein in die Wand gebauter Schrank, sowie eine kleine Toilette, aus Metall und ein Waschbecken, ebenfalls aus Metall. Die Tür der Zelle war aus Massivholz und hatte in der Mitte eine Glasscheibe, wo alle Mitarbeiter des Hauses, zu jeder Zeit, in die Zelle rein sehen konnten. So etwas wie eine Intimsphäre blieb ihm verwehrt. Nur in die Toilette konnte man durch die Glasscheibe nicht sehen. Denn sie war in einem kleinen Nebenraum angebracht, wo wirklich nur der Kloschüssel und der Waschbecken hinein passten. Über dem Waschbecken hing ein Spiegel, ebenfalls aus Metall. Oder zumindest aus einem Material, was nicht zerbrechlich war. Hartgummi oder etwas in der Richtung. Vielleicht eine Legierung, was spiegelte. Es gab eine Gemeinschaftsdusche, die man nur einzeln betreten und benutzen konnte. Das Frühstück, das Mittagessen und auch das Abendessen hatte man auf einem Tablett aus Plastik in der Zelle zu nehmen. Es gab in der Zelle kein Fernseher, kein Radio, kein Wecker. Nichts, was elektrisch oder gar elektronisch arbeitete. Das Besteck bestand ebenfalls aus Plastik. Zahncreme und Zahnbürste mussten nach Verrichtung wieder abgegeben werden. Eine Seife befand sich am Rand des Waschbeckens. Der Waschbecken hatte eine Warmwasser und eine Kaltwasserleitung; doch es floss immer nur kaltes Wasser durch die Leitungen. Angeblich wurde vor jeder Neubesetzung die Zelle gereinigt. Doch rein war sie nicht, die Zelle. Er bat die Pfleger um Putzzeug und reinigte zuerst seine Zelle und anschließend seinen Körper am Waschbecken. Er wusste, schon in den ersten Stunden, dass er die Gemeinschaftsdusche nie benutzen wird. Denn, er sollte sich ja reinigen und nicht sich ein Dutzend Krankheiten einholen. Er glaubte zu wissen, worauf es ankommt, wenn es um die Körperpflege ging. Nach drei Stunden etwa war die Zelle so sauber, dass er seinen Ekel los wurde und sich frei in der Zelle, ohne Berührungsangst, bewegen konnte. Nach der Zelle, reinigte er auch sich selbst und erst dann legte er sich aufs Bett, schaute in die Decke und sagte sich, erneut:

    „Nun gut, jetzt bin hier. Und...?-

    Und irgendwann muss er wohl eingeschlafen sein. Denn als er wieder wach wurde, sah er die Abenddämmerung aus dem vergitterten Fenster.

    Man teilte ihm mit, dass er für zwei mal, jeweils für eine halbe Stunde, die Zelle verlassen und auf der Wiese sich die Beine vertreten könne. Dabei könnte er auch Zigaretten rauchen. Jedoch auch in Handschellen. In die Gemeinschaft, das heißt, zusammen mit den anderen Insassen, dürfe er erst dann auf die Wiese, wenn die Hausleitung einwilligt und diesem auch zustimmt. Er war auf all die anderen Insassen nicht neugierig. Irgendwelche Schwerverbrecher werden sie wohl sein, sagte er sich. In dieser Abteilung der Forensik befanden sich um die zwanzig Insassen. Alle männlich, doch wohl anscheinend keiner ein Mann. In der Zelle befand sich eine Sprechanlage, mit der er, bei Bedarf, mit den Pflegern sich austauschen konnte und auch durfte. Gelegentlich kam ein Pfleger und warf ein Blick durch die Scheibe an der Tür. Das lag wohl daran, dass Suizidversuche sich hier öfters ereigneten. Die Abteilung bestand aus zwei Bereichen. Einem Bereich, wo Neuankömmlinge, wie er, untergebracht wurden, und einem Bereich, wohin man verlegt wurde, wenn die Leitung die Meinung vertrat, dass der Häftling sich beruhigt hat. Nach und nach, warf auch er einen Blick aus der Scheibe an der Tür. In dem Bereich, wo die Akutfälle untergebracht wurden, standen von einigen Zellen die Türen auf, so dass die Häftlinge in den Fluren und in dem Gemeinschaftsraum sich aufhalten durften. Einige Zellen wiederum waren verschlossen, so wie auch seine Zelle. Der Bereich, wo sich seine Zelle befand, hatte eine runde Form, wo sich die Zellen aufeinander reihten und auf eine Seite sich dann der Flur befand. Ein paar Schritte entlang des Flurs befand sich das Häuschen der Pfleger, bestehend aus Glas, so dass sie jede Bewegung sehen und registrieren konnten. Sie nannten ihr Häuschen „Stützpunkt". Rechts neben dem Stützpunkt, in einem separaten Büro, saß der Leiter der Abteilung. Ein Mann des mittleren Alters, mit langjähriger Erfahrung in der Verwahrung von Forensik-Häftlingen. Ein Zimmer weiter befand sich die Toilette für das Personal. Wieder ein Zimmer weiter befand sich ein Raum, der meistens leer stand und nur bei Bedarf in Anspruch genommen wurde. Diesem Raum folgte die Gemeinschaftsdusche, die Emil nie benutzte. Dann kam die Küche, wo die Mahlzeiten für die Häftlinge zubereitet wurden. Auf der anderen Seite des Flures befanden sich Räume für die Putzfrauen, die übrigens die einzigen Personen waren, die Zutritt zu dem Bereich hatten. Abgesehen von den Besuchern der Häftlinge, die in dem Essraum ihre Angehörigen sehen konnten. Die Putzfrauen waren somit die einzigen Personen, die wussten, wie es in den Zellen aussieht und die auch die Häftlinge zu Gesicht bekamen. Zwischen den zwei Bereichen gab es keinerlei Trennung. Sie waren beide an den jeweilig gegenseitigen Richtungen der Einrichtung untergebracht. Die Stationsärztin und die Pflegeleiter entschieden, wann der Häftling aus der einen Seite, auf die andere Seite wechseln durfte. Auf der anderen Seite waren die Türen der Zellen bis in die Abendstunden geöffnet, so dass die Häftlinge den ganzen Tag sich in den Fluren oder im Aufenthaltsraum aufhalten konnten und durften. Er war ein Notfall und akut, somit stand er unter strenger Beobachtung. Während auf seiner Seite die Patienten die Mahlzeiten in der Zelle zu sich nehmen mussten, durften die Häftlinge der anderen Seite in der Gemeinschaft sie zu sich nehmen, im Essraum. In der anderen Seite waren die Bedingungen etwas gelockert. Daher sprach man auch von Lockerungen. Er wusste nicht, wann er auf die andere Seite wechseln durfte. Er machte sich auch gar keine Gedanken darüber. Er war zu erschöpft, zu müde, zu kaputt, um sich überhaupt mit der Zukunft beziehungsweise mit der Entwicklung in dieser Einrichtung Gedanken machen zu können. Irgendwie war er froh, dass der Hektik der letzten drei Jahre endlich einen Halt machte. Er war froh, dass das Chaos der letzten drei Jahre endlich ein Stopp fand und stoppte. Seit drei Jahren ungefähr, befand er sich wieder im Stillstand. Hier in dieser Zelle kam er zum Stillstehen. Er stand still. Und das nach drei sehr beweglichen und turbulenten drei Jahren. Er war doch schon froh über diesen Stillstand.

    „Endlich, sagte er sich „endlich herrscht Ruhe, endlich komme ich zur Ruhe.

    Doch so ruhig, wie er es sich gedacht und erhofft hatte, wurden die folgenden Monate und das folgende Jahr doch nicht. Es fanden verbale Kämpfe statt, sowohl mit den Mithäftlingen, mit den Pflegern und auch mit den Ärzten. Doch dazu später.

    Vorerst würde der Autor gerne auf die Psyche des Häftlings eingehen, auf seine seelische Verfassung und auch auf seine körperlichen Zustand, um das Bild zu vervollständigen, die er versucht zu zeichnen, aus der Einrichtung, wo sein Held Erfahrungen machen musste, die ihn für den Rest seines Lebens geprägt haben, wo er aber die Liebe fand, die er, wie Wundermedizin, auf die Wunden und Narben aufzutragen lernte.

    Um es kurz auf den Punkt zu bringen, sein seelischer Zustand:

    Nach drei Jahren der Obdachlosigkeit und ein Jahr Knast, glich er eher einem Wrack, als einem Menschen. Ein Mann, der seine Freiheit liebte und schätzte und auch pflegte und verteidigte, war erleichtert, als er in dieser Zelle zur Ruhe kommen konnte. Er hatte alles verloren. Aber auch alles, was ein Mann zu verlieren hatte. Das, was er noch besaß, war sein bloßer Körper, auch den er pflegte und verteidigte, sowie liebte und schätzte. Doch war sein Körper sein einziges Gut und sein einziges Haben. Außer seinem Körper besaß er nichts mehr. Auch seine Seele versuchte man ihm weg zu nehmen, weg zu klauen, weg zu zaubern, weg zu suggerieren. Drei Jahre war er in der Obdachlosigkeit und in der Anonymität untergetaucht, Jahre, die ihn gekennzeichnet hatten. Drei Jahre in der Anonymität, die ihn verändert hatten. Jahre, die aus einem Menschen, einen Monster gemacht hatten. Er hatte gelernt, in diesen drei Jahren, sich allein durch zu setzen, zu überleben, zu kämpfen, zu klauen, zu hassen, zu lieben. Bis er verhaftet wurde und für ein Jahr in den Knast musste. Doch auch im Knast fand er keine Ruhe und verletzte einen Beamten schwer, so dass er nun ein Fall wurde, für die Psychiatrie. Nun war er hier, in der Forensik, wo Menschen untergebracht werden, die sowohl kriminell aber auch lala waren. Und nach einem Jahr Knast und davor drei Jahre in der Obdachlosigkeit, wurde auch er kriminell und lala. Es ist nicht nötig, alles nieder zu schreiben, was ihm in der Obdachlosigkeit so alles widerfahren ist, was mit ihm so alles geschah, was mit ihm so alles getan wurde. Auch nicht nötig, zu schreiben, wo überall er geschlafen hat, mit wem so alles er verkehrt hat, wie viel er gelaufen ist und wie viel er weggelaufen ist. Es ist auch nicht erforderlich, weshalb er den Hausarbeiter im Knast die Nase gebrochen hat. Alles Nebensachen, die Statt fanden, doch nicht aufgeschrieben werden müssen. Nun war er in der Zelle und fühlte sich zum ersten Mal, nach vier Jahren, wieder geschützt. Die Zelle, in der man ihn eingesperrt hatte, gab ihm Schutz. Er musste nicht mehr weglaufen, nicht mehr prügeln, nicht mehr klauen, nicht mehr auf der Bank schlafen, und so weiter und so fort. Diese kleine Zelle gab ihm nicht das Gefühl, eingesperrt worden zu sein, sondern sie gab ihm das Gefühl der Sicherheit und des Schutzes. Er war froh, dass er zur Ruhe kam und er war froh, dass er endlich zum Stillstand kam. „Nun gut" sagte er sich erneut und legte sich wieder aufs Bett, das frisch bezogen war. Nicht lange und schon kam wieder der Schlaf. Gott, war das schön. Schlafen mit beiden Augen. Sonst hatte er in der Obdachlosigkeit geschlafen, immer nur mit einem Auge. Das andere Auge hatte zu wachen. Wieder schlafen mit beiden Augen. Das wurde für ihn wieder möglich, erst in dieser Zelle.

    Seine neuen Nachbarn in den Nachbarzellen bekam er kaum zu Gesicht. Nur wenn er aus der Scheibe an der Tür in den Flur sah, sah er den einen oder den anderen, ähnlich wie ein Zombie, lahm und in Zeitlupe durch die Flure wandern. Man erkannte, dass sie mit Medikamenten voll gepumpt waren. Erst im Laufe der Wochen und der Monate sollte er allmählich so in Erfahrung bringen, warum sie alle hier waren. Schreckliche Gründe, die ihn beinahe schon zu Ekel brachten und ihn auch zum Distanz zu denen veranlassten. Gründe, die er nicht einmal aufzuzählen er sich zumutete; geschweige denn, mit diesen Leuten am selben Tisch sitzen und Mahlzeiten zu sich zu nehmen. Geschweige denn, mit ihnen gemeinsam Kaffee trinken und dabei eine Zigarette rauchen. Seine neuen Nachbarn waren alle Männer, mit denen er nie Freundschaften schließen würde, selbst wenn er tausend Jahre einsam leben sollte. Nein. Mörder, Sexualstraftäter, Schwerverbrecher. Dass auch er hier landete, wunderte ihn äußerst. Doch, er war ja in seiner Zelle eingesperrt, wo es Ruhe gab, Stille und Schlaf. Alles Sachen, die er dringend nötig hatte.

    Nach circa eine Woche gab es Arztvisite in den Zellen. Der Oberarzt, die Stationsärztin und die Psychologin standen vor seiner Zelle. Und zwei Pfleger. Und da sah er sie zum zweiten Mal. Sie, von der er annahm, sie sei eine Praktikantin oder eine Studentin. Nein. Sie war die Psychologin der Station. Er wunderte sich sehr. So jung und schon eine Psychologin? Na ja. Nicht nur hübsch ist sie, auch nicht nur gepflegt, sondern auch intelligent. Ganz beiläufig musterte er sie, während des Gespräches mit dem Oberarzt. Sie hatte kleine Füße, zierliche Finger, lange braune Haare, braune Augen. Am Tisch beim Erstgespräch hatte sie sich ihm vorgestellt als Frau Schneider. Doch in der Hektik an dem Tag, hatte er sie akustisch gar nicht verstanden. So auch ihren Namen. Frau Schneider. Also Deutsch. Doch etwas südländisches hatte sie schon. Als die Gruppe der Ärzte, nach der Visite, sich von seiner Zelle entfernten und wieder Richtung „Stützpunkt marschierten, sah er ihr nach. Nur ihr. Sie trug einen engen, blauen Jeans. Ein sexuell ausgehungerter Mann, der die letzten vier Jahre keine Frau angefasst hatte, geschweige denn mit ihr etwas angefangen hatte, sieht einer Frau nach, die er äußerst attraktiv findet und auch sehr begehrt. Seine Gedanken kann sich der Leser selber ausdenken. Was in seinem Kopf vorgeht, möchte der Leser sich selber ausmalen. Der Autor glaubt, dass Emil seine Gedanken in diesem Augenblick gar nicht in Worte fassen konnte. Er weiß nur, dass er leise vor sich hersagte:Göttlich".

    Es bereitete ihm ein Vergnügen, sich wieder ins Bett zu legen und zu schlafen. Die Tür der Zelle war verriegelt und niemand konnte herein, außer die Pfleger, die auch so gut wie nie rein kamen und ihn schlafen ließen. Es bereitete ihm ein Vergnügen, wieder die Augen zu schließen, schließen zu können, ohne Angst zu haben, vor Leuten, die Obdachlosen ins Gesicht treten, während sie doch am Schlafen sind. Sie sogar anzünden, während sie doch am Schlafen sind. Hier in der Zelle konnte er im Bett während des Schlafs beide Augen schließen, was er schon gar nicht mehr kannte. Schlafen mit beiden Augen, war für ihn ein Genuss und das konnte er hier in der Zelle wieder genießen.. •

    Nach circa einer weiteren Woche kam der Mitarbeiter vom Sozialdienst in die Zelle und fragte nach seinem Wohlbefinden und ob er für ihn irgendetwas tun könne. Nichts. Doch wurde er auch daran erinnert, dass die Forensik auch eine Bibliothek besitzt, wo Häftlinge sich Bücher ausleihen können und dürfen. Er freute sich. Und so bestellte er durch den Sozialdienst ein paar Bücher aus der Bibliothek der Anstalt. Unter anderem von seinen großen Idolen Dostojewskij, Brecht und Hesse. Schon am nächsten Tag kam der Sozialarbeiter mit den Büchern. Zum ersten Mal nach circa vier Jahren empfand er etwas, was an Glück erinnerte. Können ein paar geliehene Bücher, einem Mann zum Glück verhelfen? Ooohh ja. Er sah die Bücher, die nun auf seinem Tisch in der Zelle lagen, lange Zeit an und empfand, im wahrsten Sinne des Wortes, etwas Glück. Ausgerechnet Bücher von Dostojewskij, Brecht und Hesse. Seine literarischen Lieblinge. Er kam so langsam zur Besinnung und wurde, auch durch die Bücher, etwas ruhiger. Lesen bildet, glaubte er zu wissen; doch mehr als es bildet, es beruhigt. Das beste Beruhigungsmittel, was die Menschheit je erfunden hatte, war für ihn, das Lesen. Nun war es ihm gegönnt, in seiner Zelle so lange zu lesen, wie er nur lesen wollte. Und zwar die Autoren und die Schriftsteller, die er am liebsten lesen wollte. Vor allem Dostojewskij, Brecht und Hesse.

    Nach circa zehn Tagen durfte er zum ersten Mal auf die Wiese, was in der Einrichtung „Hof" genannt wurde. Allein, mit Schellen an den Händen, sowie an den Füßen und in Begleitung von zwei männlichen Pflegern. Eine halbe Stunde. Der Hof war um die dreihundert Quadratmeter groß und bestand aus Grün, also eine Wiese. Eine Tischtennisplatte befand sich an einer Ecke der Wiese, sowie zwei Fußballtore, die so groß waren wie Eishockeytore. Ein paar Fußballbälle lagen in der Gegend herum. Also wird hier auch etwas Fußball gespielt, und auch Tischtennis, sagte er sich. Er zündete sich eine selbstgedrehte Zigarette an und umdrehte ein paar Male den Hof. Es war nicht besonders angenehm und auch nicht schmackhaft, die Zigaretten in Handschellen zu rauchen. Doch nahm er es hin. Auch die Schellen an seinen Füßen drückten auf die Versen und auf die Knöchel. Die anderen

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