Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Geschlechterverhältnisse und Pfarrberuf im Wandel: Irritationen, Analysen und Forschungsperspektiven
Geschlechterverhältnisse und Pfarrberuf im Wandel: Irritationen, Analysen und Forschungsperspektiven
Geschlechterverhältnisse und Pfarrberuf im Wandel: Irritationen, Analysen und Forschungsperspektiven
eBook543 Seiten6 Stunden

Geschlechterverhältnisse und Pfarrberuf im Wandel: Irritationen, Analysen und Forschungsperspektiven

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Das Selbstverständnis von Männern und Frauen hat sich in den letzten Jahrzehnten ebenso verändert wie der Pfarrberuf. Dem Ineinander beider Veränderungsprozesse im Kontext des gesellschaftlichen Wandels geht dieses Buch nach. Seine Beiträge untersuchen Genderfragen im Pfarrberuf in Ost- wie Westdeutschland, dem europäischen Ausland und den USA. Dabei zeigen sich widersprüchliche Entwicklungen: Geschlechtsspezifische Rollenerwartungen lösen sich auf und sind zugleich immer noch präsent. Die Debatte über Genderfragen im Pfarrberuf, die unter dem Stichwort der "Feminisierung" oft oberflächlich geführt wird, erhält durch die empirischen Forschungen und theoretischen Beiträge weiterführende Impulse.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum23. Mai 2013
ISBN9783170271708
Geschlechterverhältnisse und Pfarrberuf im Wandel: Irritationen, Analysen und Forschungsperspektiven

Ähnlich wie Geschlechterverhältnisse und Pfarrberuf im Wandel

Ähnliche E-Books

Theologie für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Geschlechterverhältnisse und Pfarrberuf im Wandel

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Geschlechterverhältnisse und Pfarrberuf im Wandel - Simone Mantei

    Einleitung

    Seit gut dreißig Jahren üben Frauen und Männer in den Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland den Pfarrberuf mit gleichen Rechten aus. Die Auseinandersetzungen über die Frauenordination gehören in diesem geographischen und konfessionellen Umfeld der Vergangenheit an. Dennoch ist der Blick auf die Geschlechterverhältnisse im Pfarrberuf weiterhin von wissenschaftlichem Interesse. Denn gleichzeitig mit dem Wandel der Rollen von Mann und Frau in Gesellschaft und Kirche hat sich auch der Beruf der Pfarrerin und des Pfarrers verändert. Aufbrüche, zuweilen aber auch die Reproduktion traditioneller Muster im Geschlechterverhältnis bestimmen Selbstverständnis und Praxis der Pfarrerinnen und Pfarrer. Zugleich wird das Bild des Pfarrberufs in diesem Zusammenhang neu konturiert. Der Dynamik und wechselseitigen Beeinflussung beider Veränderungsprozesse im interdisziplinären und internationalen Austausch nachzugehen, ist das Thema dieses Aufsatzbandes. Insgesamt ist die Situation in den Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland von einer zunehmenden Selbstverständlichkeit in der Repräsentanz der Geschlechter gekennzeichnet. Ca. 33,5 % aller im Pfarrberuf Tätigen sind Frauen (vgl. EKD-Statistik 2009), das heißt sie haben die Minderheitensituation in der Berufsgruppe hinter sich gelassen. Die Ordination von Frauen wie Männern wird als ein theologisches Kennzeichen evangelischer Identität thematisiert.

    Auf der Leitungsebene allerdings kann bis heute nicht von einer angemessenen Repräsentanz der Geschlechter gesprochen werden. Zugleich gibt es Hinweise darauf, dass traditionelle Zuschreibungen im Blick auf das Geschlechterverhältnis weiterhin in der beruflichen Praxis wirksam werden: Parallel zum wachsenden Frauenanteil unter den Theologiestudierenden hat sich eine Debatte um die sogenannte „Feminisierung" des Pfarrberufs entwickelt, in der die Entwicklung nicht nur beschrieben, sondern auch als problematisch bewertet wird.¹ Geschlechtsspezifische Zuschreibungen und die Gefährdung, traditionelle Rollenbilder zu reproduzieren, finden sich auch in der Rollenverteilung und Aufgabenzuordnung von Ehepaaren, die sich eine Pfarrstelle teilen.² Offenbar ist gegenwärtig mit einem Nebeneinander von tiefgreifender Veränderung und partieller Reproduktion traditioneller Vorstellungen im Geschlechterverhältnis zu rechnen, das analytisch nicht ohne vertiefte empirische und theoretische Studien einzuholen und zu erhellen ist. Untersuchungen aus den USA zeigen, dass auch nach einer längeren Geschichte der Gleichberechtigung subtile Mechanismen der Ungerechtigkeit zu beobachten sind.³ Obwohl der Pfarrberuf wie andere Professionen in der modernen Gesellschaft von seinen rechtlichen Rahmenbedingungen und Ausbildungsvoraussetzungen her genderneutral gefasst ist, bleibt die Frage bestehen, inwieweit dennoch geschlechtsbezogene Vorstellungen die beruflichen Interaktionen und Strukturen, die inhaltlichen Orientierungen und die biographischen Entscheidungen im Alltag des Pfarrberufs präfigurieren.

    Die berufssoziologische Forschung hat die Aufmerksamkeit dafür geschärft, dass in der Arbeitsorganisation insgesamt Mechanismen und Zuschreibungen einer geschlechtsbezogenen Arbeitsteilung wirken, die allerdings durch den Wandel im Geschlechterverhältnis in den letzten Jahrzehnten brüchig geworden sind.⁴ Wie sieht die Entwicklung der Veränderungen im Blick auf den Pfarrberuf aus? Diese Frage ist nicht zu beantworten, wenn man nicht im Blick behält, dass die historische Prägung dieses Berufs als klassische Profession im 19. Jahrhundert eng verknüpft war mit Differenzierungen im Geschlechterverhältnis⁵ und dass seine theologische Begründung erst im 20. Jahrhundert die im evangelischen Verständnis prinzipiell angelegte Inklusion der Geschlechter einholen konnte.⁶

    Die Beiträge in diesem Band wählen unterschiedliche theoretische und empirische Zugangsweisen und betrachten den Pfarrberuf in verschiedenen Kontexten, um das Ineinander von Veränderung auf der einen und Mechanismen traditioneller Beharrung auf der anderen Seite zu beschreiben und zu analysieren. Es wird nicht nur das Geschlechterarrangement thematisiert, sondern es kommt auch die Frage in den Blick, wie dieses mit dem Selbstverständnis und der Organisation des Pfarrberufes insgesamt verknüpft ist.⁷ Die unterschiedlichen historischen und gegenwärtigen Kontexte in Ost- und Westdeutschland werden gesondert in den Blick genommen.⁸ Nicht zuletzt wird die Notwendigkeit deutlich, nach den geschlechtertheoretischen Implikationen aktueller Leitbilder des Pfarramts zu fragen und dabei auch die Perspektive des Verhältnisses von Männlichkeit und Pfarrberuf zu integrieren.⁹ Denn die praktisch-theologischen Konzeptionen des Pfarrberufs haben die Genderkategorie bislang kaum explizit thematisiert. Gleichwohl transportieren die in den letzten Jahrzehnten vorgelegten Berufstheorien implizit Geschlechterbilder der Pfarrpersonen, deren Analyse für die zukünftige Orientierung von Theorie und Praxis des Pfarrberufes unerlässlich ist.

    Historisch gesehen repräsentierte das Pfarrhaus das Ideal der bürgerlichen Familie, in dem Beruf und private Lebensform eng aufeinander bezogen waren. Für die Struktur des Pfarrberufs hatte diese komplementäre Zuordnung der Geschlechterrollen eine prägende Bedeutung, weil die Pfarrfrau nicht nur für die Ordnung des privaten Lebens im Pfarrhaus zuständig war, sondern ebenso als „Gehilfin" des Pfarrers den Bereich der familiären Fürsorge bis in die Gemeinde hinein ausdehnte. Bis in die Gegenwart spiegelt sich diese Konstruktion in Erwartungen, die an Pfarrer und Pfarrerinnen und ihre Partner und Partnerinnen gestellt werden.¹⁰ Ebenso ist es zu beobachten, dass die Veränderung der privaten Lebensformen und Lebensweisen, die mit dem Wandel der Geschlechtsrollen einhergeht, das Leben im Pfarrhaus prägt und das Verständnis der Profession beeinflusst.¹¹

    Bedeutsam für die Entwicklung des Pfarrberufs ist auch die Frage nach der Orientierung des theologischen Nachwuchses. Dabei interessiert zum einen der Blick auf Lebens- und Familienplanung, die spätestens dann für das Geschlechterarrangement entscheidende Auswirkungen hat, wenn sich die Frage nach der Vereinbarkeit von Beruf und Elternschaft stellt.¹² Zum anderen regt der Befund einer finnischen Studie dazu an, der Frage nachzugehen, inwieweit auch in Deutschland die theologische Orientierung des Nachwuchses Einfluss darauf hat, wie sich das Verhältnis der Geschlechter in der Zukunft des Pfarrberufes gestaltet – je nachdem, ob sie eher liberal oder eher konservativ ausfällt.¹³ Genauere Erkenntnisse in dieser Hinsicht sind auch für das kirchenleitende Handeln notwendig und aufschlussreich.¹⁴

    Ein neues Feld der geschlechterbewussten Pastoraltheologie tut sich auf in der Analyse der ästhetischen Konstruktionen des Bildes von Pfarrer und Pfarrerin in Literatur, Film und Medien.¹⁵ Dass überhaupt Pfarrerinnen in diesem Zusammenhang auftreten, ist ein Hinweis auf eine sich im öffentlichen Diskurs durchsetzende Selbstverständlichkeit ihrer Existenz. Zugleich wird in den einschlägigen Werken die Widersprüchlichkeit deutlich, mit der die jeweiligen Geschlechtscharaktere gezeichnet werden. Zuschreibungen, die als „typisch weiblich oder „typisch männlich erscheinen mögen, stehen neben fluiden Bestimmungen der Rollen und Charakterbilder, die auf die erfolgten Veränderungen verweisen.

    In zwei Beiträgen am Schluss werden weiterführende Forschungsperspektiven bedacht, die – wie der gesamte Band – eine Weiterführung des wissenschaftlichen Nachdenkens über Geschlechterfragen und Pfarrberuf anregen wollen.¹⁶

    Die Drucklegung dieses Buches, das die erweiterte Dokumentation einer Tagung an der Philipps-Universität Marburg im März 2011 darstellt, wurde durch Druckkostenzuschüsse aus unterschiedlichen Quellen ermöglicht. Wir danken der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau, der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, dem Konvent Evangelischer Theologinnen e.V. und der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland (VELKD) für die Unterstützung.

    Heike Mevius erstellte die Druckvorlage. Iris Cramer und Philipp Meyer unterstützten die Korrekturarbeiten. Auch ihnen sei herzlich gedankt!

    Nicht zuletzt geht unser Dank an Jürgen Schneider und Florian Specker aus dem Lektorat des Kohlhammer-Verlages für die bewährte Begleitung des Projektes.

    Literatur

    Frauenforschungsprojekt zur Geschichte der Theologinnen Göttingen (Hg.), „Darum wagt es, Schwestern …", Neukirchen-Vluyn 1994.

    Gildemeister, Regine / Robert, Günther, Die Macht der Verhältnisse. Professionelle Berufe und private Lebensformen, in: Dies., Geschlecht und Macht, Wiesbaden 2008.

    Gildemeister, Regine / Wetterer, Angelika (Hg.), Erosion oder Reproduktion geschlechtlicher Differenzierungen. Widersprüchliche Entwicklungen in professionalisierten Berufsfeldern und Organisationen, Münster 2007.

    Janowski, J. Christine, Umstrittene Pfarrerin, in: Greiffenhagen, Martin (Hg.), Das evangelische Pfarrhaus, Stuttgart 1984, 83–108.

    Rabe-Kleeberg, Ursula, Frauenberufe – zur Segmentierung der Berufswelt, Bielefeld 1992.

    Wagner-Rau, Ulrike, Gender – (k)ein Thema? Erwägungen zur Geschlechterfrage in Kirche und Pfarrberuf, in: Haese, Bernd-Michael / Pohl-Patalong, Uta (Hg.), Volkskirche weiterdenken. Zukunftsperspektiven der Kirche in einer religiös pluralen Gesellschaft, Stuttgart 2010, 119–131.

    1 Vgl. Wagner-Rau, Gender – (k)ein Thema?, 2010.

    2 Vgl. den Beitrag von Ursula Offenberger in diesem Band.

    3 Vgl. den Beitrag von Paula Nesbitt in diesem Band.

    4 Vgl. Wetterer/Gildemeister, Erosion oder Reproduktion, 2007.

    5 Vgl. Gildemeister/Robert, Die Macht der Verhältnisse, 2008.

    6 Vgl. Janowski, Umstrittene Pfarrerin, 1984.

    7 Vgl. den praktisch-theologischen Beitrag von Simone Mantei und – aus soziologischer Perspektive – die Beiträge von Kornelia Sammet und Maria Dammayr in diesem Band.

    8 Vgl. den Beitrag von Kerstin Menzel in diesem Band.

    9 Vgl. den Beitrag von David Plüss in diesem Band.

    10 Vgl. den Beitrag von Katrin Hildenbrand in diesem Band.

    11 Vgl. den Beitrag von Kerstin Söderblom in diesem Band.

    12 Vgl. den Beitrag von Anke Wiedekind in diesem Band.

    13 Vgl. Kati Niemeläs Vorstellung einer empirischen Studie aus Finnland in diesem Band, die entsprechende Differenzen zwischen männlichen und weiblichen Studierenden ergeben hat.

    14 Vgl. die Beiträge aus kirchenleitender Perspektive in diesem Band von Regina Sommer, Ilse Junkermann und Kristin Bergmann.

    15 Vgl. die Beiträge von Inge Kirsner, Inger Littberger Caisou-Rousseau und Klaus Eulenberger in diesem Band.

    16 Vgl. die Beiträge von Gerald Kretzschmar und Ulrike Wagner-Rau in diesem Band.

    I. Gender und Pfarrberuf heute – praktisch-theologische und soziologische Perspektiven auf das Berufsverständnis

    Simone Mantei

    Neue Vielfalt – Problem oder Potenzial?

    Auswirkungen des Geschlechterrollenwandels auf Wirklichkeit und Verständnis des Pfarrberufs

    God needs all kinds of people

    Philipp Potter

    Einleitung

    Geschlechterrollen in Deutschland haben sich im 20. Jahrhundert gewandelt. Der vorliegende Beitrag fragt nach Auswirkungen dieses Wandels auf den Pfarrberuf. Er erkundet zunächst, ob sich die Wirklichkeit des Pfarrberufs und sodann auch sein Verständnis durch die neuen Geschlechterverhältnisse verändert haben und, wenn ja, wie.

    Der Beitrag richtet sein Augenmerk dabei weniger auf pfarramtliche Aufgaben als auf die Akteure und Akteurinnen selbst sowie ihre kulturellen und organisationsstrukturellen Rahmenbedingungen. Zunächst werden die Konturen der neuen gesellschaftlichen Geschlechterarrangements in Erinnerung gerufen. Im Spiegel des Pfarrdienstrechts sowie auf der Grundlage einer eigenen quantitativ-empirischen Studie über pastorale Berufsverläufe werden sodann Auswirkungen des Wandels auf die Berufswirklichkeit skizziert. Abschließend wechselt der Beitrag von der deskriptiven (pastoralsoziologischen) auf die normative Ebene. Er fragt nach bisherigen und künftigen Implikationen der neuen Geschlechterverhältnisse für das Verständnis des Pfarrberufs und plädiert für den Neuansatz einer Pastoraltheologie der Vielfalt, die pastorale Identität und individuelle Diversität konstruktiv aufeinander zu beziehen sucht.¹⁷ Die Geschlechterthematik im Pfarrberuf weist somit über sich selbst hinaus auf die aktuelle Grundsatzfrage nach einer pluralismusfähigen Pastoraltheologie und Personalpolitik.

    1. Geschlechterverhältnisse im Wandel

    1.1 Was sind Geschlechterrollen?

    In jeder Gesellschaft gibt es Verhaltenserwartungen und Normen, die sich an bestimmte Gruppen richten. In unserem vom Konzept der Zweigeschlechtlichkeit geprägten Kulturkreis strukturieren sich die Erwartungen und Normen unter anderem entlang der Geschlechterkategorie. Verhaltensweisen werden einem bestimmten Geschlecht zugewiesen, das heißt ‚gegendert‘, und in Geschlechterrollen (gender roles) zusammengefasst.¹⁸ Sie bündeln, was im jeweiligen kulturellen Kontext als typisch ‚männlich‘ bzw. ‚weiblich‘ angesehen wird.

    Geschlechterrollen normieren Verhalten, reduzieren Vielfalt und strukturieren Wahrnehmung. Sie sind jedoch keine Naturprodukte, sondern kulturelle Konstrukte. Was für Männer oder Frauen als typisch bzw. akzeptabel gilt, ergibt sich nicht – wie gemeinhin postuliert – aus der ‚Natur‘ der Frau bzw. des Mannes, sondern aus gesellschaftlichen Übereinkünften. Geschlechterzuschreibungen sind sowohl historisch kontingent als auch milieu- und kulturabhängig.¹⁹ Sie sind folglich wandelbar, was sich bereits an verschieden konturierten Geschlechterverhältnissen in den neuen und alten Bundesländern nachvollziehen lässt.²⁰ Der Wandel von Geschlechterrollen ist allerdings ein nur bedingt steuerbares, da langwelliges gesellschaftliches Phänomen. Das Individuum findet sich stets eingebettet in gesellschaftliche Geschlechterstereotype, die es nicht beliebig variieren kann. Zum einen hat es sie größtenteils selbst habitualisiert, das heißt als Wesensmerkmale übernommen. Zum anderen manifestieren sie sich unter anderem in staats- und dienstrechtlichen Regelungen, die dem unmittelbaren Zugriff ebenfalls entzogen sind.²¹ Den individuellen Gestaltungsmöglichkeiten sind somit strukturelle Grenzen gesetzt.

    1.2 Konturen des Wandels

    Im zurückliegenden Jahrhundert vollzog sich ein Paradigmenwechsel von einem streng hierarchischen zu einem egalitären Geschlechterverhältnis mit weitreichenden Folgen insbesondere für die weibliche Geschlechterrolle. Frauen erhielten zu Beginn des 20. Jahrhunderts erstmals Zugang zu höherer Bildung und konnten das Abitur sowie universitäre Studienabschlüsse erlangen.²²

    Mit der Übertragung des aktiven wie passiven Wahlrechts 1918 erhielten Frauen in Deutschland ferner die Chance zu gesellschaftlicher Mitbestimmung und konnten erstmals (mindestens formal) Einfluss nehmen auf die rechtliche Ausgestaltung des Geschlechterverhältnisses in Staat, Gesellschaft und im Berufsleben der Moderne.²³ Ihre zunehmende Inklusion ins Erwerbsleben ging im Verlauf des 20. Jahrhunderts unter anderem mit wachsender materieller Autonomie und einer Diversifizierung der Lebensformen einher.²⁴

    Im Zuge des Paradigmenwechsels vom Leitbild eines hierarchisch strukturierten zu einem egalitären Geschlechterverhältnis erhielten Frauen im zurückliegenden Jahrhundert zwar erstmals breiten Zugang zu Bildung, gesellschaftlicher Mitgestaltung und entlohnter Arbeit. Doch finden sich auch im 21. Jahrhundert noch Relikte der Geschlechterhierarchie, so dass gegenwärtig z.T. widersprüchliche Geschlechterarrangements kommuniziert werden.²⁵

    Der Paradigmenwechsel im Geschlechterverhältnis hatte zudem auf die Geschlechterrollen von Männern und Frauen divergente Auswirkungen. Die Segregation der Arbeitswelt in Haus- und Erwerbsarbeit wurde bislang lediglich im Blick auf weibliche Geschlechterzuschreibungen hinterfragt. Festlegungen der Frauen auf die Hausfrauenrolle wurden erweitert um die Optionen der Berufsorientierung (‚Karrierefrau‘) sowie der sogenannten Doppelrolle, die Familien- und Berufsorientierung zu vereinbaren sucht.²⁶

    Eine parallele Vervielfältigung männlicher Geschlechterrollen ist nicht zu konstatieren. Die nahezu ausschließliche Berufsorientierung der Männlichkeitskonstruktionen besteht ungebrochen fort. Eine Erweiterung der klassischen Ernährerrolle ist trotz gesetzgeberischer Bemühungen bislang nicht erfolgt.

    Dazu der Leiter des nationalen Bildungspanels Hans-Peter Blossfeld 2012: „Männer leben heute noch so wie vor 40 Jahren. Da hat sich nicht viel geändert. […] In der Lebensmitte sind fast genauso viele Männer Vollzeit erwerbstätig wie vor 40 oder 50 Jahren."²⁷

    Weder haben sich männliche Erwerbsmuster bis dato in nennenswertem Umfang diversifiziert noch haben sich die Rollenerwartungen nachhaltig pluralisiert.²⁸ Insbesondere im Blick auf Erziehungs- und Pflegeaufgaben ist die Persistenz geschlechterstereotyper Rollenerwartungen nach wie vor hoch.²⁹

    Zusammenfassend lässt sich also sagen: Im Geschlechterverhältnis vollzog sich im 20. Jahrhundert ein Paradigmenwechsel von einem hierarchischen zu einem egalitären Leitbild. Infolgedessen sind insbesondere weibliche Geschlechterrollen fluider geworden, haben sich pluralisiert und reglementieren das Leben nicht mehr in demselben Maß wie ehedem. Der Entwicklungsprozess ist allerdings weder linear noch abgeschlossen. Geschlechtsspezifische Normen und Verhaltenserwartungen existieren mithin fort, strukturieren unsere Wahrnehmung und prägen auch das Berufsleben – zum Beispiel in Form geschlechtsspezifischer Erwerbsverläufe und Beschäftigungsformen.

    2. Wandel und vielfältige Wirklichkeit im Pfarrberuf

    Der skizzierte Paradigmenwechsel hatte kaum zu überschätzende Auswirkungen auf den Pfarrberuf. Durch die Integration von Frauen öffnete sich der Pfarrberuf erstmals – über die seit jeher bestehende individuelle Vielfalt der Pfarrpersonen hinaus – für strukturelle Diversität (Geschlechtervielfalt).³⁰

    Ein kurzer Rückblick auf die Berufsentwicklung im 20. Jahrhundert sowie eine geschlechterbewusste Analyse aktueller Berufsverläufe von Pfarrern und Pfarrerinnen mögen dies veranschaulichen.

    2.1 Dienstrechtliche Entwicklungen im 20. Jahrhundert

    Epochal war im letzten Jahrhundert zunächst die Inklusion von Theologinnen in das pastorale Berufsfeld. Während dieser Schritt für die Mehrheit der weltweiten Christenheit – unter anderem die katholische Schwesterkirche – noch aussteht, kam es im deutschen Protestantismus ab dem zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts zu ersten Ordinationen von Theologinnen.³¹

    Das Amt der Theologin wurde jedoch zunächst in dezidierter Abgrenzung und Subordination zum Gemeindepfarramt, welches Männern vorbehalten blieb, als Sonder(pfarr-)amt entworfen. Damit existierten zunächst zwei nach Geschlechtern getrennt verfasste pastorale Berufe. Geschlechtsspezifische (Pfarr-)Dienstgesetze markierten die Segregation unter anderem hinsichtlich der Amtsbezeichnung, der Vikariatsausbildung, der Amtstracht, der Anstellungs- sowie Lebensform, des Gehalts sowie des Einsatzortes.³² Erst 1970 führte die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) als EKD-weit erste Landeskirche das bis dahin nach Geschlechtern getrennt verfasste Dienstrecht zusammen und etablierte den ersten geschlechterübergreifenden Pfarrberuf.³³

    Durch die Inklusion der Theologinnen in das pastorale Berufsfeld haben sich wesentliche Strukturmerkmale des Pfarrberufs verändert. Dazu gehören unter anderem der Ausbau sogenannter Funktionspfarrstellen, die Möglichkeit zur Beurlaubung aus familiären Gründen sowie die Einführung von Teildienstverhältnissen. Die Veränderungen gingen allerdings nur z.T. auf die Intervention von Theologinnen zurück und waren mitunter auch das Resultat geschlechtsspezifischer Rollenzuweisungen (wie zum Beispiel die Beschränkung auf Funktionspfarrstellen).

    Die maßgeblichsten Auswirkungen des Geschlechterrollenwandels bestanden jedoch in der Öffnung des pastoralen Berufsfeldes für Frauen sowie der sukzessiven Angleichung des zunächst geschlechtsspezifisch verfassten Dienstrechts bis zum ersten gemeinsamen Pfarrdienstrecht.

    2.2 Geschlechterverhältnisse in aktuellen pastoralen Berufsbiographien

    Nachdem Meilensteine erreicht sind, stellt sich die Frage, ob Geschlechterrollen auch auf die gegenwärtige Wirklichkeit des Pfarrberufs noch Auswirkungen haben. Gibt es im beruflichen Kontext überhaupt noch auf Genderstereotypen basierende Ungleichheiten und, wenn ja, welche? Und umgekehrt: Wo lassen sich die Kennzeichen des Wandels wie egalitäre Geschlechterverhältnisse und Pluralisierung von Geschlechterrollen auffinden? Der folgende Abschnitt geht diesen Fragen mithilfe aktueller Statistiken sowie einer eigenen empirischen Erhebung pastoraler Berufsverläufe von 180 Pfarrpersonen im aktiven Dienst der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau nach.³⁴ Die Analyse berufsbiographischer Daten beschreibt dabei das aktuelle Neben- und Ineinander verschiedener Geschlechterpraktiken und bemüht sich um eine Strukturierung der disparaten Befunde.

    2.2.1 Pastorale Berufsbiographien – gleich und ungleich zugleich

    1975 betrug der EKD-weite Männeranteil im Pfarrberuf 97 %. Innerhalb von 35 Jahren sank der Wert um 30 Prozentpunkte auf 66,4 % im Jahr 2009.³⁵ Mit Unterschreiten der 70 % Marke im Jahr 2004 ist der Pfarrberuf soziologisch betrachtet kein Männerberuf mehr, sondern ein sogenannter Mischberuf mit ausgewogener Geschlechterverteilung.³⁶ Pfarrerinnen sind somit von der Ausnahme zur Regel geworden und werden nicht mehr primär über ihr Geschlecht als ‚die anderen‘ (engl.: tokens) wahrgenommen. Dieser Befund impliziert zunächst eine zurücktretende Relevanz der Geschlechterkategorie im pastoralen Berufsfeld. Aktuelle Studien bestätigen dies und machen damit zugleich deutlich, dass die im Zuge der sogenannten „Feminisierungsdebatte" vorgetragenen Vorbehalte gegen das zunehmend ausgewogene Geschlechterverhältnis eine Minderheitenposition darstellen.³⁷

    2010 wurden Pfarrpersonen in einer Studie befragt, ob sie durch den wachsenden Anteil von Frauen im Pfarramt weitreichende Veränderungen des Pfarrberufs erwarteten und wie sie diese bewerten. 48,89 % der Befragten (N = 1172) rechnete mit positiven Veränderungen, 44,45 % mit keinen Veränderungen des Berufs und nur 6,66 % mit negativen.³⁸

    2.2.2 Ausbildungsweg und Stelleninhalt – (zunehmend) gleich

    Nicht nur in der Selbstwahrnehmung der Statusgruppe, sondern auch in der Analyse pastoraler Berufsverläufe lassen sich Bereiche ausweisen, in denen Geschlechterdifferenzen von abnehmender bzw. keiner Relevanz mehr sind. Letzteres gilt zum Beispiel für den gesamten Ausbildungsweg bis zum ersten Stellenantritt. In der Berufsverlaufserhebung wurde dafür das Durchschnittsalter der Theologen und Theologinnen bei Ablegung der Ersten und Zweiten Theologischen Prüfung, der Ordination sowie des ersten Stellenantritts verglichen, ohne dass sich statistische Signifikanzen ergaben, so dass für den parallel verlaufenden Ausbildungsweg durchaus von egalitären Geschlechterverhältnissen gesprochen werden kann.³⁹

    In anderen Bereichen kam es ebenfalls zu Annäherungen. So war der Stelleninhalt in der EKHN bis 1959 streng segregiert, da ausschließlich Männer Zugang zum Gemeindepfarramt hatten, während Frauen auf Funktionspfarrämter verwiesen waren. Noch heute arbeiten 42 % der Pfarrerinnen der Berufsverlaufsstudie im Funktionspfarramt jedoch nur 29 % der Pfarrer. Die Varianzanalyse zeigt allerdings, dass die Geschlechterunterschiede hinsichtlich des Stelleninhalts in der Kohorte der über 61jährigen Pfarrpersonen am größten sind, während sie in der jüngsten Kohorte der 41jährigen stark abgenommen haben.⁴⁰ Es bleibt abzuwarten, ob sich dieser Trend zur Nivellierung der Geschlechterunterschiede im Blick auf den Stelleninhalt verstetigt.

    Neben solchen Bereichen der Erwerbsbiographie, in denen von einem egalitären bzw. zunehmend egalitären Geschlechterverhältnis gesprochen werden kann, gibt es jedoch nach wie vor zentrale Bereiche der pastoralen Erwerbsbiographie, die geschlechtsspezifisch segregiert sind. Dieser Befund sei exemplarisch ausgeführt anhand des Stellenumfangs.

    2.2.3 Stellenumfang – ungleich

    Bei der Analyse des Stellenumfangs ist zunächst zu bedenken, dass der evangelische Pfarrberuf bis zur Einführung der Pfarrbesoldung im 19. Jahrhundert über weite Strecken seiner Geschichte mit Nebenerwerb – meist Landwirtschaft – verbunden war. Die Vollerwerbstätigkeit als heute häufigste Beschäftigungsform ist demnach jüngeren Datums als der Pfarrberuf in Teilzeit.

    Das ‚moderne‘ Teilzeitpfarramt wurde Ende der 1960er Jahre eingeführt, und zwar zunächst ausschließlich für Frauen. Erst mit der Angleichung der geschlechtsspezifischen Pfarrdienstgesetze erhielten ab den 1970er Jahren auch Männer die Möglichkeit zum eingeschränkten Dienstverhältnis sowie zur zeitweisen Beurlaubung aus familiären Gründen.⁴¹

    Ende 2009 arbeitete EKD-weit mehr als jede fünfte aktive Pfarrperson im eingeschränkten Dienstverhältnis.⁴² Die Werte differieren allerdings stark zwischen den Geschlechtern. Während von den aktiven Pfarrerinnen mit knapp 43 % fast jede Zweite in Teilzeit arbeitete, war es unter den aktiven Pfarrern nur jeder Achte.⁴³ Männer im Pfarrdienst wiesen damit zwar eine höhere Teilzeitquote auf als der Bundesdurchschnitt der erwerbstätigen Männer, doch waren auch sie im Teildienst deutlich unterrepräsentiert.⁴⁴ Während sie 66,4 % der gesamten Pfarrschaft stellten, schwand ihr Anteil unter den Teildienstlern auf – nur bzw. immerhin – 39,25 %. Diese Geschlechterquote hat sich in den zurückliegenden 20 Jahren kaum verändert.⁴⁵ Der Teildienst ist somit zwar mitnichten eine ausschließlich weibliche Beschäftigungsform, doch gilt nach wie vor, dass Frauen jedweden Alters signifikant häufiger in eingeschränkten Dienstverhältnissen arbeiten als ihre männlichen Kollegen.⁴⁶ Der Stellenumfang bleibt demnach ein stark geschlechtersegregierter Bereich des Erwerbslebens. Wie stark auch die Wahrnehmung von Vollerwerbstätigkeit bzw. Teilzeit dichotom konstruiert ist entlang der Geschlechterrollen wird deutlich durch einen Perspektivenwechsel von der synchronen Analyse des aktuellen Stellenumfangs zur diachronen Analyse des Stellenumfangs im bisherigen Berufsverlauf. Statt zwei treten nunmehr drei Gruppen ins Visier, denn neben jenen, die ausschließlich Voll-, bzw. Teilzeit gearbeitet haben, wiesen 41 % der untersuchten Pfarrpersonen in ihrer Berufsbiographie beide Beschäftigungsformen auf und durchkreuzen somit die gegenderten Arbeitszeit-Stereotypen. Der Stellenumfang ist folglich nicht nur eine Frage des Geschlechts, sondern auch der Lebensumstände, wie sogleich zu zeigen sein wird, wobei die jeweiligen Geschlechterrollen die Wahlmöglichkeiten einschränken – für Männer wie für Frauen. Ein Blick auf die Pfarrpersonen, die in ihrer Berufsbiographie bisher ausschließlich voll- bzw. teilzeitbeschäftigt waren, mag dies erläutern.

    2.3 Exklusiver Teildienst – typisch weiblich?

    In der Berufsverlaufsstudie betrug der Anteil der Pfarrpersonen, die in ihrer Berufsbiographie ausschließlich im Teildienst tätig waren 14,4 %, wobei fast jede zweite dieser Personen (12, N = 180) zum Erhebungszeitpunkt mehrere Dienstaufträge innehatte.⁴⁷ Der Frauenanteil lag bei 65,4 %, während er in der Gesamtstichprobe 50 % betrug. Dauerhafter Teildienst ist somit tendenziell aber mitnichten ausschließlich ein weibliches Erwerbsmuster. Es ist zudem eine vielfältigere Beschäftigungsform als bisher angenommen. So wiesen überproportional viele ‚exklusiv Teildienstbeschäftigte‘ zertifizierte Zusatzqualifikationen (Promotion, Zweitstudium, Ausbildung) auf und waren entsprechend häufiger im Bildungsbereich tätig.⁴⁸ Das Menetekel der ‚Dauerhalben‘, durch welche eine Gefahr für die Professionsethik ausgeht, scheint angesichts der Daten überzogen.⁴⁹ Sie deuten vielmehr darauf hin, dass es neben der Teilzeit aus familiären Gründen weitere Begründungszusammenhänge gibt, und die festzustellende Diversifizierung der hier versammelten Berufsbiographien (erhöhte Zahl an Stellen, Beurlaubungen und parallelen Dienstaufträgen) nicht zwangsläufig mit einer Deprofessionalisierung einhergeht.

    Der kurze Blick auf die kleine Untergruppe verdeutlicht, wie wenig wir bislang über teildienstbeschäftigte Pfarrpersonen, ihre Berufsverläufe und ihr Professionsverständnis wissen bzw. wie stark bisherige defizitäre Sichtweisen vom Leitbild der sogenannten ‚Normalerwerbsbiographie‘ geprägt waren. ‚Der Teildienstler – das unbekannte Wesen‘ ist mithin ein dringendes Forschungsdesiderat der Pastoraltheologie.

    2.4 Ununterbrochene Vollerwerbstätigkeit – typisch männlich

    Bei näherer Analyse erweist sich nicht nur der Teildienst als nach wie vor segregiertes Erwerbsmuster. In der Berufsverlaufsstudie war nahezu die Hälfte der untersuchten Pfarrpersonen (44,4 %, N = 179) in ihrer bisherigen Berufsbiographie ausschließlich voll berufstätig. Knapp ein Drittel (31,6 % = 57) erfüllte auch das zweite Kriterium der sogenannten ‚klassischen Normalerwerbsbiographie‘: ununterbrochene Vollerwerbstätigkeit.⁵⁰

    Befragt man diese Untergruppe auf ihre Geschlechterverteilung, zeigt sich, dass zwischen 43 und 50 % der Männer jeder Alterskohorte diesem Modell entsprechen, während die Werte bei den Frauen nicht nur konstant darunter liegen, sondern mit zunehmendem Alter auch rasant abfallen von 36,6 % in der jüngsten Kohorte auf nur noch 3,3 % in der ältesten Kohorte.⁵¹ Die ‚Normalerwerbsbiographie‘ ist somit (mindestens für die älteren Kohorten) ein geschlechtsspezifisches Berufsverlaufsmuster – deutlicher noch als der Teildienst.⁵² Im Zuge einer geschlechterbewussten Pastoraltheologie ist daher zu hinterfragen, ob bzw. für wen eine ununterbrochene Vollerwerbstätigkeit weiterhin als ‚normaler‘ Berufsverlauf angesehen werden sollte.⁵³ Als ‚normal‘ im normativen Sinn könnte künftig beispielsweise auch ein den Lebensumständen angepasster flexibler Stellenumfang betrachtet werden, wie ihn 41 % der Untersuchten bereits aufwiesen.

    15 der 16 Frauen, die eine sogenannte ‚Normalerwerbsbiographie‘ aufwiesen, waren kinderlos, womit sich eine Erklärung für den geschlechtsspezifischen Unterschied im Berufsverlauf nahelegt, zumal es auch einen statistisch nachweisbaren (wenngleich geringen) Zusammenhang zwischen Mutterschaft und Stellenumfang gibt. Das heißt: Pfarrerinnen mit Kindern arbeiteten häufiger in Teilzeit als ihre kinderlosen Kolleginnen (r = 0,34**).

    Bei Pfarrern hat Vaterschaft indes keinen Einfluss auf den Stellenumfang.⁵⁴ Während Mutterschaft demnach tendenziell dazu führt, vom standardisierten Erwerbsverlaufsmuster abzuweichen, wird es durch Vaterschaft nicht irritiert. Kinder haben somit nach wie vor einen geschlechtsspezifisch divergenten Einfluss auf pastorale Erwerbsbiographien.

    2.5 Zwischenresümee

    Wie lassen sich die Ergebnisse der Berufsverlaufsstudie sowie der historische Rückblick nun auf unsere Ausgangsfrage nach den Auswirkungen des Geschlechterrollenwandels auf die Wirklichkeit des Pfarrberufs beziehen?

    Zum einen wurde deutlich, dass Geschlechterbilder die Wirklichkeit des Pfarrberufs mit formen. Sie bilden sich unter anderem im Dienstrecht sowie in berufsbiographischen Wegen ab. Zum anderen zeigten sich die immensen Auswirkungen des Wandels der Geschlechterverhältnisse auf den Pfarrberuf. Er löste ihn aus seiner engen Bindung an das Geschlecht und führte zur zunehmend gleichberechtigten Inklusion von Theologinnen ins Berufsfeld sowie zur Pluralisierung von Erwerbsbiographien. Diese Umwälzungen haben nicht nur das Gesicht des Berufs verändert, sondern auch das der Kirche.⁵⁵ In ihrer Tragweite ist die neue Wirklichkeit im Pfarrberuf durchaus mit der Aufhebung des männlichen Zölibats im Zuge der Reformation vergleichbar.

    Die volle Verwirklichung egalitärer Geschlechterverhältnisse im Pfarrberuf steht gleichwohl noch aus. In einigen Bereichen der Erwerbsbiographie wie zum Beispiel dem Stellenumfang bestehen Geschlechterunterschiede unvermindert fort und legitimieren unter anderem die Hierarchisierung von Berufstätigkeiten (Hauptverdiener/Zuverdienerin).⁵⁶ Alte hierarchische und neue egalitäre Geschlechtermodelle existieren damit gegenwärtig nebeneinander und prägen die zum Teil diskrepante Wirklichkeit – nicht nur – des Pfarrberufs.

    3. Vielfältige Wirklichkeit – einfältige Pfarrbilder? Auswirkungen des Geschlechterrollenwandels auf das Verständnis des Pfarrberufs

    Der dritte und letzte Teil verlässt die Ebene deskriptiver historischer wie pastoralsoziologischer Analysen, um nach normativen Implikationen der beschriebenen Entwicklungen zu fragen. Welche Auswirkungen hatten die neuen Geschlechterverhältnisse bisher auf pastoraltheologische und kirchliche Leitbilddiskussionen? Wie wird die gewandelte Wirklichkeit im Pfarrberuf hier bewertet?

    3.1 Berufsrollen und Leitbilder

    Berufsrollen sind ebenso wie Geschlechterrollen historisch wie kulturell kontingente diskursive Konstrukte. Das Profil des Pfarrberufs und die damit verbundenen Rollenerwartungen liegen mitnichten in der ‚Natur der Sache‘. Vielmehr muss immer wieder neu ausgehandelt werden, wie der Pfarrberuf im gegebenen gesellschaftlichen Kontext sinnvoll konturiert werden kann und was zu seinen Aufgaben gehört.

    Leitbilder haben in diesem Prozess eine orientierende Funktion. Als Idealbilder bündeln sie Rollenerwartungen, die sich aus Fremd- und Selbstbildern speisen.⁵⁷ Allerdings haben sich die pastoralen Leitbilder ähnlich den Geschlechterbildern in den letzten Jahrzehnten pluralisiert. Neben die Pastoraltheologie als genuinen Ort, an dem geistliche Berufsrollen reflektiert und neue generiert werden, treten seit einigen Jahren als neue Gattung ferner die von Kirchenleitungen und Standesvertretungen initiierten stärker kirchenpolitisch motivierten Leitbildprozesse.

    Kompetenzorientierte Berufsbilder von der Pfarrperson als leitendem geistlichen Mitarbeiter, intellektueller Theologin, Manager oder standesbewusster Vertreterin einer Profession stehen neben solchen vom Führer ins Heilige, der Schwellenkundigen, dem Nachbarn oder Narren. Die Aufzählung macht deutlich, das Verständnis vom Pfarrberuf gibt es nicht (ebenso wenig wie das Geschlechterbild), sondern stets eine Vielzahl miteinander konkurrierender Entwürfe. Allerdings gibt es durchaus ‚hegemoniale‘ Pfarrbilder, die für eine Zeit die Leitbilddebatte prägen und ihre jeweiligen Rollenerwartungen breit kommunizieren.⁵⁸

    3.2 Pastoraltheologische Entwürfe

    Pfarrer und Pfarrerinnen üben über ihre Berufsrolle hinaus eine Vielzahl weiterer mit Verhaltenserwartungen verknüpfter Rollen aus wie Vater, Ehefrau, Patient oder Bürgerin. Insbesondere die binär konstruierten Geschlechterrollen von Mann und Frau stehen dabei in engem Bekräftigungsverhältnis zu Berufsrollen, das heißt in und durch unsere Arbeit reproduzieren wir Geschlechteridentitäten. Ein weitreichender Wandel im Geschlechterverhältnis kann somit nicht folgenlos bleiben für das Berufsverständnis. Bislang allerdings hatte der Wandel der Geschlechterrollen zwar weitreichende Auswirkungen auf die Wirklichkeit nicht jedoch auf das Verständnis des Pfarrberufs.

    In den pastoraltheologischen Entwürfen der letzten Jahrzehnte fand das Geschlecht der Pfarrperson kaum Beachtung. Wo es thematisiert wurde, ging es meist exklusiv um das weibliche Geschlecht.⁵⁹ Morgenthaler stellt fest:

    „Zur Männlichkeit der Männer im Pfarramt und ihrer Theologie gibt es bis heute wenig empirisch begründete Erkenntnisse und auch kaum eine Diskussion in den Evangelischen Kirchen des deutschen Sprachbereichs. Die Wahrnehmung haftet an den Frauen. Sie waren und sind das auffällige, ‚andere‘ Geschlecht im Pfarramt. [...] ‚Mannsein‘ im Pfarramt wird kaum einmal als das Andere, Fremde und Problematische ansichtig, das sich verändert und verändern muss. Damit wird Macht gesichert, werden aber auch Potentiale ausgeblendet."⁶⁰

    Insgesamt hat der pastoraltheologische Diskurs die Geschlechtervielfalt im Pfarrberuf bislang nur in Teilen zur Kenntnis genommen und in den Auswirkungen auf das Berufsbild noch nicht ausreichend reflektiert. Zwar dokumentiert sich zum Beispiel in Beiträgen von Wagner-Rau, Karle, Pohl-Patalong, Klessmann oder Morgenthaler ein Bewusstsein und hohes Reflexionsniveau, doch tradieren andere pastoraltheologische Veröffentlichungen weiterhin – mindestens implizit – das Leitbild des ununterbrochen vollerwerbstätigen Gemeindepfarrers und marginalisieren bzw. problematisieren davon abweichende Berufsausübungen wie Teilzeit- oder Funktionspfarrstellen.⁶¹ Zahlreiche Erwerbsbiographien lassen sich dadurch nur schwer in Einklang bringen mit pastoraltheologischen wie kirchlichen Rollenerwartungen.

    Im Bild gesprochen: So wie die Schnittmuster der Talare noch nicht den Bedürfnissen von Männern und Frauen angepasst wurden, das heißt die gezogenen Falten zwar Bäuche verdecken, Brüste (zumal große) jedoch mitunter unvorteilhaft erscheinen lassen, wirken auch vom Leitbild der sogenannten ‚Normalbiographie‘ abweichende (oftmals weibliche) Berufsverläufe per se ‚unvorteilhafter‘. Ähnlich wie die Talare als Symbolisierungen des Pfarrberufs bedürften daher auch die ‚Schnittmuster‘ pastoraltheologischer Leitbilder einer geschlechterbewussten Revision.⁶²

    Zwei Optionen tun sich auf. Entweder die devianten Berufsausübungen passen sich den Leitbildern an oder die Berufsbilder den gewandelten Bedingungen. Christian Grethlein beschreitet ersteren Weg, welcher mit der Tendenz zur Differenzverstärkung und Remaskulinisierung pfarramtlicher Rollenbilder einhergeht. Er wendet sich unter anderem gegen den gemeindlichen Teildienst, den er mit seinem Leitbild des intellektuellen Theologen nicht zu vereinbaren mag.⁶³ Die Quantität der Arbeit wird bei Grethlein zum Kriterium ihrer Qualität.

    Ulrike Wagner-Rau beschreitet den zweiten Weg und nimmt die Pluralisierung der Berufswirklichkeiten insofern konstruktiv in ihr Berufsbild auf, als sie den Pfarrberuf auf der Schwelle verortet und damit sowohl die Begrenzung (unter anderem von Zeit) als auch den Umgang mit Pluralität zu seinen Konstitutiva zählt.⁶⁴

    Michael Klessmann sucht ebenfalls den Anschluss beruflicher Leitbilder an die vielfältige Wirklichkeit und reflektiert die Auswirkungen gewandelter Geschlechterverhältnisse.

    „Lange Zeit galt das Pfarramt als unteilbar; durch die Arbeit von Frauen ist es teilbar geworden, das kommt auch Männern zugute. Damit hat eine Entmythologisierung des Pfarramts begonnen!"⁶⁵

    Zielperspektive für ein Geschlechterbewusstsein in der Gestaltung und dem Verständnis des Pfarramts ist ihm eine „Transformation der bisherigen Dualismen und Hierarchien zu einer Gleichheit in der Differenz"⁶⁶.

    Geschlechterverhältnisse haben sich verändert – in der Gesellschaft wie im Pfarrberuf. Erst vereinzelt finden sich in der Pastoraltheologie Stimmen, die diese Entwicklung nicht länger ignorieren oder problematisieren, sondern konstruktiv in ihren Ansatz integrieren als Potential für neue pluralismusfähige pastorale Berufsbilder.

    4. Fazit und Ausblick: Pastoraltheologie der Vielfalt

    Welche Auswirkungen, so die Ausgangsfrage, hatte der Geschlechterrollenwandel auf die Wirklichkeit und das Verständnis des Pfarrberufs? Pointiert zusammengefasst lässt sich formulieren, der Wandel der Geschlechterverhältnisse führte im 20. Jahrhundert in erster Linie zu Vielfalt im Pfarrberuf. Vielfalt nicht im Sinne individueller Vielfalt, die selbstredend stets gegeben war, sondern im Blick auf soziodemographische Persönlichkeitsmerkmale, zu denen unter anderem das Geschlecht zählt. Durch die Ordination von Frauen kam es im Pfarrstand erstmals zu einer Geschlechterpluralität und damit zu struktureller Vielfalt.⁶⁷ Frauen im Talar waren somit im zurückliegenden Jahrhundert das erste sichtbare Zeichen einer Pluralisierung im Amt. Durch ihre Zulassung kam es jedoch nicht nur zu einer ersten Öffnung des Pfarrberufs für strukturelle Vielfalt, sondern in der Folge auch zu einer Diversifizierung von Erwerbsmustern. Damit sind Pfarrerinnen nicht nur Ausdruck und Katalysator einer Modernisierung, die den Pfarrberuf in der Mitte der spätmodernen Gesellschaft hielt, sondern zugleich eine Irritation für pastoraltheologische Identitätskonzepte, die die Einheit des Amtes nach wie vor über größtmögliche strukturelle Homogenität zu generieren suchen.

    Die lebensweltliche Vielfalt als Signum unserer spätmodernen Gesellschaft – oft beschrieben als Resultat von Individualisierungs- und Pluralisierungsprozessen – fand bislang weder in pastoraltheologischen Entwürfen noch kirchlichen Pfarrdienstrechten angemessene Berücksichtigung. Zu stark wird hier noch im Schatten den Tendenzschutzes mit gängigen Differenzkategorien operiert und Homogenisierungsdruck ausgeübt.⁶⁸ Die Diskurse um Geschlechterfragen im Pfarrberuf werfen jedoch – ebenso wie strukturanaloge Debatten zum Beispiel um religionsverschiedene Pfarrehen, um Homosexuelle, Geschiedene oder Behinderte im Pfarrberuf – die Grundsatzfrage auf, ob pastorale Berufsidentität durch lebensweltliche Vielfalt nachhaltig gefährdet wird bzw. wie beide sich konstruktiv aufeinander beziehen lassen. Als Auftakt einer strukturellen Pluralisierung des Pfarrpersonals weisen Geschlechterfragen daher über sich selbst hinaus auf ein neues forschungsleitendes Paradigma der Pastoraltheologie: den Umgang mit Diversität.

    Der Reiz einer pastoraltheologischen Auseinandersetzung mit Geschlechterfragen liegt somit darin, auf Einheit bzw. Vereinheitlichung gründende Identitätskonzepte zu hinterfragen und exemplarisch das Verhältnis von Identität und Vielfalt neu zu vermessen, mithin neben den Problemen auch das Potenzial in der Vielfalt zu erschließen. Meine Überlegungen zu einer geschlechterbewussten Pastoraltheologie stelle ich daher in den weiteren Kontext einer Pastoraltheologie der Vielfalt.⁶⁹ Eine Pastoraltheologie der Vielfalt generiert pastorale Identität nicht länger über Ausgrenzungen zwischen gleich und anders. Sie sucht vielmehr die Alternativen zu überwinden zugunsten des Ineinanders von Gleichheit und Verschiedenheit. Vergleichbar den zwei Motiven eines Vexierbildes sucht sie Homogenität wie Heterogenität der Personen in ihren Ansatz zu integrieren.

    Eine solchermaßen konturierte Pastoraltheologie findet Anschluss an den noch jungen Forschungsdiskurs der Diversity Studies. Auch hier liegt der Fokus weniger auf der Untersuchung bestimmter ‚Minoritäten‘ als auf den Konstruktionsbedingungen von Teil- und Gruppenidentitäten mittels verschiedenster Differenzkategorien, durch welche – auch und gerade im Beruf – Diskriminierungsmechanismen generiert werden (zum Beispiel Ethnie, Alter, Behinderung, Geschlecht, Religion, sexuelle Orientierung).⁷⁰ Gegenstand des Interesses sind somit die Konstruktion von Differenz sowie der Umgang mit Vielfalt.

    Vielfalt wird in diesem Kontext verstanden als Unterschiede und Gemeinsamkeiten, so dass essentialistische Festlegungen auf Teilidentitäten (wie Frau, Schwuler, Muslima, Behinderter) umgangen und ein Bewusstsein wachgehalten wird sowohl für Unterschiede

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1