Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

LADYHAWKE - DER TAG DES FALKEN: Der Roman zum Film
LADYHAWKE - DER TAG DES FALKEN: Der Roman zum Film
LADYHAWKE - DER TAG DES FALKEN: Der Roman zum Film
eBook243 Seiten3 Stunden

LADYHAWKE - DER TAG DES FALKEN: Der Roman zum Film

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Die Lady - Isabeau von Anjou - ist ein Falke, frei zu fliegen am Tag, und eine Frau nur bei Nacht. Ihr Geliebter - der Ritter Etienne von Navarre - durchstreift die Nacht als Wolf und ist bei Tag ein Mann. Sie sind dazu verflucht, einander nur für einen flüchtigen Augenblick in der Dämmerung zu begegnen...



Die preisgekrönte Science-Fiction- und Fantasy-Autorin Joan D. Vinge (Die Schneekönigin, 1983) schrieb den ebenso zauberhaften wie düsteren Roman zu Ladyhawke – Der Tag des Falken (Regie: Richard Donner, 1985), einem der spektakulärsten Fantasy-Filme der (19)80er Jahre – mir Rutger Hauer als Etienne von Navarre, Michelle Pfeiffer als Lady Isabeau, Matthew Broderick als Philippe Gaston und John Wood als Bischof von Aquila.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Romans in der Reihe APEX FANTASY-KLASSIKER.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum7. Sept. 2018
ISBN9783743879973
LADYHAWKE - DER TAG DES FALKEN: Der Roman zum Film

Ähnlich wie LADYHAWKE - DER TAG DES FALKEN

Ähnliche E-Books

Fantasy für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für LADYHAWKE - DER TAG DES FALKEN

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    LADYHAWKE - DER TAG DES FALKEN - Joan D. Vinge

    Das Buch

    Die Lady - Isabeau von Anjou  - ist ein Falke, frei zu fliegen am Tag, und eine Frau nur bei Nacht. Ihr Geliebter - der Ritter Etienne von Navarre - durchstreift die Nacht als Wolf und ist bei Tag ein Mann. Sie sind dazu verflucht, einander nur für einen flüchtigen Augenblick in der Dämmerung zu begegnen...

    Die preisgekrönte Science-Fiction- und Fantasy-Autorin Joan D. Vinge (Die Schneekönigin, 1983) schrieb den ebenso zauberhaften wie düsteren Roman zu Ladyhawke – Der Tag des Falken (Regie: Richard Donner, 1985), einem der spektakulärsten Fantasy-Filme der (19)80er Jahre – mir Rutger Hauer als Etienne von Navarre, Michelle Pfeiffer als Lady Isabeau, Matthew Broderick als Philippe Gaston und John Wood als Bischof von Aquila.

    Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Romans in der Reihe APEX FANTASY-KLASSIKER.

    LADYHAWKE – DER TAG DES FALKEN

    Kapitel 1

    Bei Sonnenaufgang wartete der Reiter in Schwarz auf den Hügeln fern über der Stadt, wie er am letzten Morgen gewartet hatte und am Morgen davor. Müde und durchfroren reckte er sich im Sattel, während über ihm der Himmel heller wurde und sich drunten im Tal der graue Morgennebel aus den Niederungen hob.

    Als der Nebel sich teilte, traten in goldener Pracht die zinnenbewehrten Türme von Burg Aquila hervor, wie eine Vision der Himmelsfeste. Für einen kurzen Moment erfüllte ihn der Anblick mit einem schmerzlichen Sehnen. Doch nur für einen Moment. Er lächelte freudlos über seine eigene Unfähigkeit, den Glauben abzulegen, dass diese Morgenwache einmal ein Ende haben oder ihm eine Antwort zeigen würde.

    Unter ihm schälte sich nun der Rest der alten Stadt aus dem Nebel. Aquila war schon seit römischen Zeiten ein blühender Ort gewesen - es trug immer noch den alten römischen Namen, der Adler bedeutete. Aber das Mittelalter hatte seine zusammengepferchten Häuser und seine gewundenen, engen Straßen in Mauern aus grauem Stein eingeschlossen und mit einem Graben umgeben, dessen schwarzes, träges Wasser von einem unterirdischen Fluss gespeist wurde.

    Die Felder außerhalb der Stadttore waren beinahe ebenso trist. Der Herbst war dieses Jahr früh gekommen, nach einem heißen Sommer fast ohne Regen. Das Jahr davor war nicht besser gewesen. Mittlerweile war auch der letzte Halm von den halbverdorrten Feldern abgeerntet worden. Die Ernte dieses Jahres hätte das bereits hungrige Volk von Aquila selbst dann kaum durch den Winter bringen können, wenn der Bischof nicht erneut die Steuern erhöht hätte, um seine eigenen Speicher und Truhen voll zu halten. In den düsteren Gassen der Stadt ging das Gespenst der Hungersnot um. Doch wo die Kirche herrschte, da zahlte das Volk und litt Not.

    Nur die Kathedrale im Herzen der Stadt bewahrte sich ihre ätherische Schönheit im vollen Licht des Tages. Hohe Fenster aus farbigem Glas und zahllose seidene Banner verwandelten ihre von Heiligen gesäumten Wände und Deckengewölbe in eine Vision des Paradieses - das Höchstmaß an himmlischen Freuden, das den meisten der Gläubigen, die sich hier zur Messe versammelten, auf Erden je zuteilwerden würde. Der Bischof versprach ihnen ihren Lohn in der nächsten Welt, während er den seinen jetzt genoss.

    Die ausgezehrten Gesichter der Bürger von Aquila blickten ausdruckslos im Kerzenschein auf den Altar, während sie ihre Gebete murmelten. Orgelmusik erfüllte den gewaltigen Raum und drang hinaus auf die Straßen und noch bis zu dem Wächter auf dem fernen Hügel.

    Der Bischof von Aquila stand vor dem geschmückten Altar, eine Gestalt von Strenge und Pracht in seinen weißen, golddurchwirkten Gewändern. Er intonierte das Credo der Messe in einem hohen, tonlosen Singsang, der mehr eine Warnung als eine Verheißung war. Die Gläubigen gaben die obligatorischen lateinischen Antworten, bedeutungslose Worte, die sie auswendig hersagen konnten. Wenn einer von ihnen gewagt hätte, seinen Oberhirten direkt anzublicken, wäre ihm vielleicht der Gegensatz zwischen der reichen Kleidung und der ungesunden Blässe seines kantigen Gesichts bewusst geworden. Er war ein hochgewachsener Mann, schon in fortgeschrittenem Alter, mit Zügen, in denen sich die Spuren eines ausschweifenden Lebens zeigten, und mit Augen so kalt und erbarmungslos wie Eis.

    Er wandte sich den beiden Chorknaben zu, die an der Seite des Altares standen. Sie hielten ihm einen juwelenbesetzten, goldenen Kelch zum Segen entgegen. Er hatte seiner Gemeinde erzählt, dass dies der Heilige Gral sei, und für ihn selbst war er schön genug, dass er es hätte sein können. Er hatte genug dafür bezahlt, dass er es hätte sein sollen. Er war ein Mann mit einem ausgeprägten Sinn für Schönheit.

    Er hielt seine ringgeschmückte Hand den beiden Knaben entgegen; dabei traf sein Blick den Ring, den er trug. Er war aus massivem Gold und so groß und schwer, dass er nur auf seinen Daumen passte. Seine schlichte, massive Fassung hielt einen vollkommenen Smaragd von der Größe einer Olive. Der Ring allein hatte ihn ein kleines Vermögen aus dem Reichtum gekostet, den er den Gläubigen im Namen Gottes abgepresst hatte. Doch Gottes Bedürfnisse waren weder so weltlich noch so teuer wie seine eigenen.

    Als die Knaben den Ring küssten und zurücktraten, hallte ein dumpfes Krachen wie das Echo eines Peitschenknalls durch die Kathedrale. Der Bischof blickte zu einem unverschlossenen Fenster. Draußen auf dem offenen Platz vor den Mauern von Schloss Aquila zuckten noch die Beine dreier Opfer am Galgen. Die Orgelmusik schwoll zu einem erneuten Crescendo, und der Bischof wandte sich unbeteiligt wieder der Messe zu.

    Inzwischen hatte sich draußen auf dem Richtplatz eine kleine Menge der weniger frommen Bürger von Aquila versammelt. Mit großen Augen starrten sie zu den schlaffen, baumelnden Leichen der drei Diebe empor, die jetzt ihren eigenen Frieden mit Gott gemacht hatten. Die vier Stadtwachen, die noch mehr Gefangene zur Hinrichtung zu führen hatten, starrten misstrauisch zurück und warteten auf weitere Befehle ihres Hauptmanns. Ihre schwarzroten Uniformen hoben sich in einem blutigen Kontrast von den bräunlichen, geflickten Kleidern der Menge ab.

    Marquet, der Hauptmann der Wache, war ein brutaler Mann mit einem dunklen Bart und Augen so hart wie sein Gemüt. Sein grober, muskelbepackter Körper sah, aus, als sei er dazu geboren worden, Gewalt und Totschlag zu begehen. Marquet war seit zwei Jahren Hauptmann, seit ihr früherer Anführer vom Bischof des Verrats bezichtigt und für vogelfrei erklärt worden war, aus Gründen, die keiner von ihnen genau verstanden hatte. Ihr alter Hauptmann war ein Mann gewesen, den sie geachtet und bewundert hatten, und sie hatten ihm gern gedient. Marquet wurde keines von beidem - aber er wurde gefürchtet, und so dienten sie ihm ebenso gut. Aber wie ihr Leben und das Leben von jedermann in Aquila unter Marquets Kommando von Tag zu Tag schlimmer wurde, murrten die Wachen hinter vorgehaltener Hand, dass irgendwann ihr früherer Hauptmann wiederkehren und seine Rache fordern würde. Marquet hörte, was sie sagten, und da er dasselbe fürchtete, verschlimmerte sich sein Gemütszustand nur noch.

    Jetzt blickte Marquet zu den baumelnden Leibern empor, und sein Gesicht verzog sich zu einem zufriedenen Grinsen. Die drei würden kein Korn mehr aus des Bischofs Speichern stehlen. Die goldenen Adlerflügel auf seinem Helm, das Zeichen seines Ranges, blitzten in der Sonne, als er nickte. »Das wird ihnen eine Lehre sein«, knurrte er. Der Bischof hatte ihn zum Hauptmann ernannt, weil er Gewähr dafür bot, dass er die Befehle des Bischofs ohne mit der Wimper zu zucken ausführen und seine Arbeit auch noch genießen würde. Er wandte sich zu seinem Leutnant. »Jehan! Die nächsten drei.«

    Jehan salutierte knapp und schritt mit seinen Männern über den gepflasterten Hof zum Verlies von Burg Aquila. Sie betraten einen unterirdischen Gang, der sich mit schlüpfrigen Stufen, die aus dem massiven Fels gehauen waren, in einer engen Spirale abwärts wand - der einzige, schwer bewachte Eingang zu einem Gefängnis, das sie in den letzten Monaten nur zu gut kennengelernt hatten. Die Luft wurde feuchter und stickiger, als sie hinabstiegen, und sie hörten das Stöhnen der Gefangenen aus der Tiefe.

    Das Verlies lag in einer gewaltigen Höhle, die in den Felsen eingehauen war, auf dem Burg Aquila stand, eine Höhle, so tief und unentrinnbar wie der Abgrund der Hölle. Ein Gitterwerk aus Holz und Eisen unterteilte die Kammer in eine Wabe von zahllosen Zellen und Käfigen, aus denen man einen unmittelbaren Blick auf das Foltergerät des Kerkers hatte. Jehan rief nach dem Aufseher, als die Wachen den Grund der Höhle erreicht hatten. Eine verwachsene Gestalt kam auf sie zu gehumpelt mit einer Fackel in der Hand; ein Ring mit eisernen Schlüsseln klirrte an seinem Gürtel. »Warum baut ihr keinen größeren Galgen?«, grollte er. »Das würde mir viel Ärger ersparen.«

    »Sei froh, dass du hier nur auf Besuch bist«, sagte einer der Wachen. Er hielt sich die Nase zu. Jehan schnaubte. Der Aufseher führte sie über hölzerne Stege an einer Zelle nach der anderen vorbei. Das Stöhnen und die Schreie verebbten, als sie vorübergingen; gespenstische Gesichter wichen von den schimmelfeuchten Gitterstäben zurück. Die Gefangenen versteckten sich in den dunklen Winkeln ihrer Käfige, als gäbe es für sie immer noch etwas Schlimmeres als den lebenden Tod, in dem sie jetzt dahinvegetierten.

    Vor einer der letzten Zellen in den tiefsten Gründen der Höhle hielt Jehan. Er blickte durch das Gitter und suchte mit einer plötzlichen Ungeduld nach dem nächsten Opfer. Er erinnerte sich an diesen speziellen Gefangenen; er hatte ihn eigenhändig in die Zelle gesteckt. Der junge Dieb, auf den jetzt der Galgen wartete, hatte die Wache monatelang zum Narren gehalten und war ihnen ein ums andere Mal entwischt, bevor sie ihn schließlich gefangen hatten. Jehan freute sich darauf, die schlüpfrige kleine Ratte baumeln zu sehen.

    Jehan blickte durch das Gitterwerk. Seine Augen brauchten eine Weile, um sich auf das Dunkel auf der anderen Seite einzustellen. Er hielt den Atem an; der Gestank nach Eiter und menschlichen Ausscheidungen war überwältigend. Endlich konnte er zwei zerlumpte Gestalten ausmachen, die sich an der Rückwand zusammengekauert hatten. Einer von ihnen blickte starr vor sich hin, als ob sein Geist diesem Höllenloch entflohen sei und nur seinen Körper zurückgelassen habe. Der andere Gefangene summte ein monotones Liedchen, dessen Worte unverständlich blieben. Selbst in der Dunkelheit wusste der Wachmann, dass keines von den hageren, schmutzigen Gesichtern das war, was er suchte. Es war niemand sonst darin. »Phillipe Gaston...?«, sagte er. Er wandte sich zu dem Aufseher um. »Falsche Zelle. Ich suche Phillipe Gaston, der, den sie die Maus nennen.«

    Der brabbelnde Gefangene begann deutlich hörbar zu singen: »Die Maus, die Maus... ist nicht zu Haus...«

    Der Aufseher hielt seine Fackel hoch und spähte auf die beinahe unlesbaren Kratzer auf der Zellentür. »Einszwounddreißig, Herr. Das ist die richtige.«

    »Oh, Graus und Schreck«, sang der Gefangene, »die Maus ist weg...« Er kicherte und deutete mit einer knochigen Hand auf den Boden der Zelle.

    Jehan presste sich erneut gegen die Gitterstäbe und blickte schärfer in die dunklen Winkel der Zelle. Diesmal sah er das offene Abflussgitter. Jehans Augen weiteten sich vor Unglauben. Das Loch war nicht mehr als zwei Fuß im Durchmesser. Sicherlich konnte sich kein erwachsener Mensch, nicht einmal jener magere, halbwüchsige Wicht Gaston, dort hindurchgequetscht haben. Wie er darauf starrte, kam eine kleine Ratte aus dem Loch und über den schmierigen Boden gehuscht.

    »...ist frisch und munter den Abfluss runter...«

    »Halt's Maul, du Idiot!« fauchte Jehan. Er sah den Aufseher an. »Mach die Tür auf!«

    Der Aufseher klirrte mit seinen Schlüsseln und schloss die Tür in wilder Hast auf. Jehan und die Wachen drängten in die Zelle. »Was ist mit ihm geschehen?«, fragte Jehan grob.

    Der Sänger sah mit unbekümmerter Ruhe zu ihm auf. »Ich habe es Euch eben gesagt, edler Herr.« Er wies auf das Abflussloch. »Ich habe es selbst versucht, aber ich passte nicht durch.« Er lächelte und hielt seine Hände hoch. »Da er nun noch lebt, könnt Ihr mich ja zweimal umbringen.«

    Jehan wandte sich ab. Vor seinen Augen war nur das Gesicht von Phillipe Gaston, der nicht da war. Wütend packte er seine Leute und stieß sie zur Tür. »Durchsucht jede Kloake! Jeden Abflusskanal! Findet ihn, oder Hauptmann Marquet wird euch an seiner Stelle hängen!« Und mich vielleicht auch, das verdammte Aas. Er hörte ihre Schritte aufgeschreckt die Halle hinabpoltern. Er blickte ein letztes Mal auf das Abflussrohr. »Unglaublich...«, murmelte er. Mit einem Fluch der Enttäuschung verließ er die Zelle.

      Kapitel 2

    Tief unter Burg Aquila öffnete sich das Abflussrohr in eine andere Welt - eine Welt, die noch abschreckender war als selbst das Burgverlies. Die Kloaken von Aquila gingen ebenso wie die Stadt auf römische Baumeister zurück, die seinerzeit ein natürliches Höhlensystem, das unter der früheren Siedlung lag, für die Abwässer-Beseitigung ausgenutzt hatten. Einst waren die Kloaken, wie die Stadt selbst, Teil einer geordneten, planmäßigen Anlage gewesen. Doch in den Jahrhunderten seit dem Fall des römischen Reiches waren auch sie zerfallen und verkommen, wie die Stadt über ihnen sich in einer willkürlichen und unkontrollierten Art ausgebreitet hatte. Jetzt waren sie ein unerforschtes Labyrinth von Tunneln und Gängen, die sich unter jedem Gebäude und jeder Straße von Aquila hindurchfraßen - eine Welt für sich, aber eine Welt, die zu betreten kein vernünftiger Bürger von Aquila das Verlangen hatte.

    Jene geheime, unterirdische Welt lag wartend in ewigem Schweigen, das nur durch das gelegentliche Quietschen von Ratten, das Tröpfeln von Abflüssen und das ferne Rauschen von Wasser unterbrochen wurde. Aber nun wurde ihr dunkler Friede von neuen, unerwarteten Lauten gestört. Die keuchenden und kratzenden Geräusche waren zunächst nur schwach, aber sie wurden lauter, bis sie aus dem Abflussrohr in den leeren Tunnel wider hall ten. Plötzlich stieß ein Arm aus dem Rohr in den freien Raum. Er fuhr wild auf und nieder, in Überraschung und Triumph. Nach dem Arm kam ein Teil einer Schulter. Dann schob sich Stück für Stück der Rest von Phillipe Gastons schmächtigem, gelenkigem Körper wie ein neugeborenes Kind durch die Öffnung. Sich windend und drehend wie ein Akrobat kam der junge Dieb schließlich aus dem Rohr frei und ließ sich auf den Boden fallen.

    Er schnappte keuchend nach Luft und bemerkte kaum den Gestank, als sich zum ersten Mal seit viel zu langer Zeit seine Lungen vollständig füllten. Er blickte beinahe ungläubig auf das Loch zurück, aus dem er gekrochen war, und ein kleines, verquältes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. »Fast wie bei der Geburt«, murmelte er. »Gott, was für eine Erinnerung...« Schaudernd wandte er sich wieder ab. Seine Haut war am ganzen Leib zerschunden, seine Kleidung war zerfetzt und schmierig. Seine Fingernägel waren eingerissen und blutig, da er sich mit ihnen das Abflussrohr entlanggezogen hatte. Es hatte ihn Stunden gekostet, seinen Körper hindurchzuzwängen, Stunden, die ihm wie Jahre erschienen. Das Abflussrohr hatte nicht geradewegs in den Kanal geführt, sondern hatte sich gewunden wie eine Schlange. Manches Mal hatte er schon geglaubt, hoffnungslos in einer Windung oder Biegung seiner Schlingen gefangen zu sein. Aber er hatte keine andere Wahl gehabt, als sich weiterzukämpfen, und am Ende hatte er es doch geschafft. Er war aus dem Verlies entkommen, und die guten Bürger von Aquila würden ihn nie mehr Wiedersehen - wenn er nur den Weg aus ihrer Kanalisation herausfand.

    Er setzte sich auf, wo er war, und sah sich langsam um. Das Ausmaß dieser unterirdischen Welt war beeindruckend. Er war oft in Städten von der Größe von Aquila gewesen, aber nie hatte er sich in das Abwassersystem einer Stadt verirrt. In den meisten Städten, die er gesehen hatte, liefen die Abwasserkanäle einfach in der Mitte der Straße entlang. Wenigstens war die Dunkelheit nicht vollkommen - ein leichter Schimmer drang durch zahllose Abflussöffnungen aus der Oberwelt hinab. Seine Augen, die an die Düsternis des Kerkers gewöhnt waren, hatten keine Schwierigkeiten, etwas zu sehen.

    Das erste, was er sah, war ein menschliches Skelett, das etwa eine Armeslänge entfernt aus dem schwarzen Schlick ragte. Mit einem Schrei fuhr er auf. Der vergilbte Schädel grinste humorlos zurück. Er bedachte ihn mit einem eigenen bedauernden Lächeln und nahm das Skelett näher in Augenschein. »Einssechsundachtzig, hm?« Seine Stimme hallte schwach im Tunnel wider. Er erhob sich und richtete seine eigene kleine Gestalt zu ihrer vollen Höhe auf. »Eine ideale Größe, um durch das Himmelstor einzugehen, mein Freund. Aber du siehst, wohin der Herr uns in seiner unendlichen Weisheit hat kommen lassen.« Er deutete mit einer Handbewegung ringsum und blickte dann plötzlich zu der tropfenden Decke auf. »Ich beschwere mich ja gar nicht, hörst du?«, meinte er zum Himmel gewandt. »Ich wollte... es nur mal gesagt haben.« Er zuckte die Achseln. Er hatte so etwas wie eine persönliche Beziehung zu Gott oder stellte es sich zumindest so vor; es war ein Trost zu wissen, dass der ihm immer zuhörte, auch wenn es sonst keiner tat. Er wollte nicht undankbar erscheinen, wo sein Gebet erhört worden war, und sei es auch nur durch einen gemischten Segen. Er seufzte und stapfte los. Seine Füße quatschten im Morast.

    Weit über ihm, doch nicht so weit wie der Himmel, füllten die Wachen des Bischofs die Straßen von Aquila auf der Suche nach ihrem entflohenen Gefangenen. Ein Trupp Gardisten betrat auf Marquets Geheiß den Turm der Kathedrale und zog die schweren Glockenseile. Zum ersten Mal seit Jahren läuteten die gewaltigen Glocken der Kathedrale den Alarm durch die Stadt.

    In der Kathedrale war die Messe noch im Gang. Aber als die Glocken ertönten und das hohe Gewölbe mit ihrem Hall erfüllten, sahen die Gläubigen einander in Erstaunen und Furcht an. Der Bischof wandte sich vom Altar ab; sein ausdrucksloses Gesicht wirkte plötzlich gespannt. Er blickte über die Köpfe der Stehenden und sah

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1