Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Sonne und Stahl: Autobiografischer Essay
Sonne und Stahl: Autobiografischer Essay
Sonne und Stahl: Autobiografischer Essay
eBook107 Seiten1 Stunde

Sonne und Stahl: Autobiografischer Essay

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

»,Sonne und Stahl‘ ist eine Darstellung meines fast schicksalhaften dualistischen Denkens und eine Erzählung über die physiologische Notwendigkeit, dualistisches Denken zu entwickeln.« Yukio Mishima

Yukio Mishima gilt als einer der bedeutendsten und meistübersetzten Autoren Japans. Er wurde nicht nur durch seinen Roman „Bekenntnisse einer Maske“, sondern auch durch seinen Selbstmord 1970 weltbekannt. Damals hatte er in Tokio in einer theatralischen Aktion einen Putsch zugunsten des japanischen Kaisers ausgerufen und dann vor aller Augen Harakiri begangen.
In seinem autobiografischen Spätwerk „Sonne und Stahl“, das 1968 als Gesamttext veröffentlicht wurde, reflektiert Mi­shima vor dem Hintergrund seiner intellektuellen, spirituellen und physischen Entwicklung insbesondere die Beziehung zum eigenen Körper, zu dem er erst in seiner zweiten Lebenshälfte durch obsessives Training in Bodybuilding und Kampfkunst sowie einer Episode beim japanischen Militär einen positiven Bezug entwickeln konnte.
Mittels einer eigenwillig subversiven und elektrisierend poetischen Metaphorik lässt er uns teilhaben an seiner Verwandlung vom „Mann der Worte“ zum „Mann der Tat.“ In dieser paradoxen Verfassung kreiert er, den parasitären Worten zum Trotz, eine mystische Sprache des Körpers, um seine persönliche „Fleischwerdung des Logos“ zu inszenieren.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum30. Juni 2023
ISBN9783963118203
Sonne und Stahl: Autobiografischer Essay
Autor

Yukio Mishima

Yukio Mishima (1925–1970) war Schriftsteller, Lyriker, Dramatiker, Darsteller, Model, Filmregisseur und gilt als einer der namhaftesten und meistgelesenen Autoren Japans des 20. Jahrhunderts. Sein Roman „Bekenntnisse einer Maske“ machte ihn 1949 als jungen Autor über Nacht berühmt. Vor seinem rituellen Suizid galt er als japanischer Favorit für den Literatur-Nobelpreis.

Ähnlich wie Sonne und Stahl

Ähnliche E-Books

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Sonne und Stahl

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Sonne und Stahl - Sabine Mangold

    Taiyō to Tetsu

    Inhalt

    Kapital 1

    Epilog – F104

    Seit einiger Zeit habe ich oft das Gefühl, dass sich in mir alle möglichen Dinge anstauen, die sich in einer herkömmlichen Kunstgattung wie dem Roman nur schwer darstellen lassen. Andererseits bin ich kein zwanzigjähriger Lyriker mehr beziehungsweise bin auch nie einer gewesen. Auf der Suche nach einem alternativen Genre für mein persönliches Anliegen stieß ich schließlich auf eine hybride Form, die, angesiedelt zwischen Bekenntnis und kritischer Abhandlung, eine subtile, zweideutige Form darstellt – eine ‚persönliche Reflexion‘ gewissermaßen. Eine Art Zwielicht im Grenzbereich zwischen Nacht des Bekenntnisses und helllichtem Tag der Kritik, im Grenzbereich des tasogare¹ – Wer ist er? – im etymologischen Sinn.

    Das ‚Ich‘, von dem ich spreche, ist nicht dasjenige, das im strengen Sinne zu mir gehört. Denn es strömen nicht alle von mir geäußerten Worte in mein Inneres zurück, sondern es bleibt etwas übrig – ein Rest, der nicht zurückströmt oder mir zuzuordnen ist. Eben auf diesen beziehe ich mich, wenn ich von meinem ‚Ich‘ spreche.

    Beim Nachdenken über die Beschaffenheit dieses ‚Ich‘ kam ich zu dem Schluss, dass es genau den Raum markiert, den ich physisch einnehme. Was ich also suchte, war eine Sprache² meines ‚Körpers‘.

    Wenn mein ‚Selbst‘ meine Heimstatt ist, dann ist mein Körper eine Art Obstgarten, den ich entweder bis zur Perfektion kultivieren oder aber verwahrlosen lassen kann. Ich habe zwar die freie Wahl, aber es ist keine leicht zu begreifende Freiheit. Die meisten Menschen würden ihren heimischen Garten sogar als ‚schicksalsgegeben‘ bezeichnen.

    Eines Tages kam ich auf die Idee, meinen Obstgarten intensiv zu bewirtschaften. Dazu dienten mir Sonne und Stahl. Kontinuierliches Sonnenlicht und stählerne Gerätschaften wurden zu den beiden wichtigsten Elementen meiner Kultivierung. Und als der Garten allmählich Früchte trug, begann mein Körper einen erheblichen Teil meiner Gedanken einzunehmen.

    So etwas geschieht natürlich nicht über Nacht und auch nicht ohne einen tief verborgenen Antrieb.

    Denke ich an meine Kindheit zurück, dann scheinen die Erinnerungen an Worte viel weiter in die Vergangenheit zu reichen als die an meinen Körper. Während bei den meisten Menschen der Körper den Worten vorausgehen dürfte, war es bei mir genau andersherum: zuerst die Worte und erst viel später – und das ziemlich unwillig – das Körperliche, das zu diesem Zeitpunkt bereits mit bestimmten abstrakten Konzepten einherging. Selbstredend war es da schon durch Worte heillos zerfressen.

    Normalerweise steht zuerst der Pfahl aus rohem Holz und dann kommen die Termiten, um ihn zu zernagen. In meinem Fall jedoch tauchten zuerst die Termiten auf und erst später der rohe Pfahl, schon halb morsch.

    Meine Leser mögen es mir nachsehen, dass ich die Worte, die grundlegender Bestandteil meines Handwerks sind, als Termiten bezeichne. Jede Wortkunst beruht grundsätzlich auf ihrer ätzenden Wirkung, wie Salpetersäure sie bei der Radierung hat, und bei der Erschaffung unserer Werke machen wir uns diese die Wirklichkeit zersetzende Kraft der Sprache zunutze. Doch der Vergleich hinkt, denn die bei der Radierung verwendeten Elemente Kupfer und Salpetersäure entstammen beide der Natur, während das Verhältnis von Wörtern und Wirklichkeit nicht auf der gleichen Ebene angesiedelt ist. Wörter sind ein Medium, das die Wirklichkeit auf eine abstrakte Ebene überführt, um sie unserem rationalen Verstand zu vermitteln. Daher läuft ihre zersetzende Wirkung unweigerlich Gefahr, dass die Worte selbst zersetzt werden.

    Ein passenderer Vergleich wäre vielleicht der mit der Wirkung überschüssiger Magensäure, die ihr Organ selbst verdaut und zerfrisst.

    Die meisten Menschen dürften bezweifeln, dass sich dieser Vorgang bereits im frühesten Lebensstadium ereignet. Aber genau das ist mir untrüglich widerfahren und hat zwei widersprüchliche Neigungen in mir angelegt. Zum einen meine Entschlossenheit, die ätzende Wirkung von Worten konsequent voranzutreiben und dies zu meinem Beruf zu machen, zum anderen meine Sehnsucht, in einer Sphäre jenseits von Worten mit der Wirklichkeit in Berührung zu kommen.

    In einem ‚gesunden‘ Entwicklungsprozess besteht kein Konflikt zwischen diesen beiden Bedürfnissen, nicht einmal bei geborenen Schriftstellern. Sie ergänzen sich vielmehr mit dem meist glücklichen Resultat, dass das Erlernen von Wörtern zu einer Neuentdeckung der Wirklichkeit führt. Aber hierbei handelt es sich um eine ‚Wiederentdeckung‘, die voraussetzt, dass der Betreffende zu Beginn seines Lebens über eine unverfälschte Körpererfahrung verfügte, die nicht schon vorher durch Worte kontaminiert war, was auf mich nun mal nicht zutraf.

    In der Schule reagierten die Japanischlehrer³ oft verständnislos auf meine fantasiereichen Aufsätze, deren Inhalte niemals einen Bezug zur Realität aufwiesen. Vermutlich hatte ich bereits in frühesten Jahren eine unbewusste Ahnung von den subtilen und pedantischen Gesetzen der Sprache. Ich wusste intuitiv, dass es besser sei, den Kontakt zur Wirklichkeit mittels Worten nach Möglichkeit zu vermeiden. Anders gesagt, es galt, nur die Fühler der positiven Ätztechnik auszustrecken, jedoch die zersetzungsanfälligen Objekte zu meiden, um mir ausschließlich die positiv zersetzende Kraft von Worten zunutze zu machen und ihren negativen Auswirkungen zu entgehen – einfacher ausgedrückt: um den Worten ihre Reinheit zu bewahren.

    Die natürliche Reaktion darauf war, dass ich die Existenz von Wirklichkeit und Körperlichkeit frei und offen nur in Bereichen zuließ, wo Worte keine Rolle spielten. Wirklichkeit und Körper sind für mich zu Synonymen geworden, zu Objekten eines fetischistischen Interesses. Mein Faible für Worte begann sich dann zweifellos, wenn auch unbewusst, auf diesen anderen Bereich auszudehnen, sodass jener Fetischismus mit meinem Wort-Fetischismus genau korrespondierte.

    In der ersten Phase schlug ich mich selbst logischerweise voll und ganz auf die Seite der Worte, während ich den Komplex Körper/Wirklichkeit/Handeln den Anderen zugeordnete. Fest steht ebenso, dass diese von mir geschaffene Antinomie meiner Voreingenommenheit für Sprache weiteren Vorschub leistete, während sich zugleich ein tief verwurzeltes Unverständnis von Körper/Wirklichkeit/Handeln in mir heranbildete.

    Diese Spaltung fußte auf der Vorstellung, dass ich weder Körper noch Wirklichkeit oder Handeln als mir zugehörig empfand. Der Körper suchte mich ja mit erheblicher Verspätung in meiner ersten Lebensphase auf, sodass ich ihn bereits mit Worten ausgestattet empfing und aufgrund besagter ursprünglicher Neigungen vermutlich nicht sogleich als ‚mein eigenes Fleisch‘ erkannte. Hätte ich ihn akzeptiert, wäre die Reinheit meiner Sprache verloren gegangen. Aus mir wäre ein von der Realität befallenes Subjekt geworden, ich hätte ihr nicht mehr entkommen können.

    Das Kuriose war jedoch, dass ich dem Körperlichen⁴ vor allem deshalb so hartnäckig trotzte, weil in meiner Auffassung vom Körper von vornherein ein entzückendes Missverständnis steckte. Ich wusste nicht, dass der männliche Körper sich per se niemals als ‚Existenz‘ offenbart. In meiner Auffassung jedoch musste er sich partout als ‚Existenz‘ manifestieren. Deshalb erschrak ich mächtig, als sich mein Körper schließlich unverhohlen als schreckliches Paradoxon entpuppte – nämlich als eine Form des Seins, das seine eigene Existenz negiert. Ich geriet in Panik, als wäre ich einem Ungeheuer begegnet, und bildete mir ein, ich wäre die große Ausnahme. Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, dass es anderen Männern, praktisch allen, genauso erging wie mir.

    Insofern ist es kein Wunder, dass ein solches Schockerlebnis, auch wenn es offenkundig auf einem Missverständnis beruht, zwangsläufig zur Fiktion eines ‚idealen Körpers‘, einer

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1