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Vertraulichkeiten
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eBook292 Seiten3 Stunden

Vertraulichkeiten

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Über dieses E-Book

Bei seiner Rückkehr in die Heimat sucht Max Lobe im Bassa-Wald die alte Frau Mâ Maliga auf, um von ihr zu erfahren, was sie über die Unabhängigkeitsbewegung in Kamerun und deren Anführer Ruben Um Nyobè weiß. Vertraulichkeiten ist die Erzählung dieser redseligen und schelmischen Frau, die den Widerstand gegen die Kolonialmacht am eigenen Leib erfahren hat. Beim Erzählen vergisst sie nicht, vom Palmwein zu kosten und ihrem Gegenüber ebenfalls davon anzubieten. In einer Mischung aus tiefer Ernsthaftigkeit und leichter Trunkenheit erfahren wir so die Geschichte der Unabhängigkeit Kameruns und seines verschwiegenen Krieges. Aus dem Französischen übersetzt von Katharina Triebner-Cabald. Mit einem Nachwort von Alain Mabanckou. Ausgezeichnet mit dem Ahmadou Kourouma Preis.
SpracheDeutsch
Herausgeberakono Verlag
Erscheinungsdatum15. Aug. 2022
ISBN9783949554087
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    Buchvorschau

    Vertraulichkeiten - Max Lobe

    1

    So, jetzt ist es so weit. Ich bin im Flugzeug, das mich nach Duala bringt.

    Rückkehr in die Heimat.

    Mein Herz schlägt so heftig.

    Freude, aber auch Angst, nach Hause zu kommen.

    Duala, dort kam ich zur Welt und dort verbrachte ich die ersten achtzehn Jahre meines Lebens.

    Ich wuchs dort auf und ging so gut wie nie in eine andere Stadt des Landes. Ausgenommen Jaunde, die Hauptstadt.

    Was macht mich als Bewohner Dualas zu einem Kameruner?

    Das erinnert mich an Freunde aus Genf, die trotz des ausgezeichneten Schweizer Schienennetzes niemals die Saane bei Freiburg überquert haben, um sich in die sogenannte Deutschschweiz zu begeben.

    Was macht sie zu Schweizern?

    Warum erst jetzt die Entscheidung treffen, in die Heimat zurückzukehren?

    Kamerun ! Une guerre cachée aux origines de la Françafrique (1948–1971).

    Ich nahm in Gegenwart zweier der Co-Autoren, Thomas Deltombe und Jacob Tatsitsa, an einer Vorstellung dieses Buches in Genf teil. Es geht darin um den geheimen Krieg, den Unabhängigkeitskrieg, in Kamerun in den 1950er Jahren und die damit zusammenhängenden Ursprünge der Françafrique.

    Die Entdeckung meiner Unwissenheit bringt mich zur Verzweiflung.

    Ich lese ausführlich zu dem Thema. Ich recherchiere weiter und es tauchen haufenweise Fragen auf. Ich beschließe, den Schritt zu tun, nach Hause zurückzukehren.

    Noch ein kleines Zögern.

    Da fällt mir eine so schöne Passage aus LÉnigme du Retour von Danny Laferrière ein:

    »Man wird irgendwo geboren, möglicherweise wird man dann in fremde Länder reisen, was von der Welt sehen, wie man sagt, manchmal jahrelang dort bleiben, aber am Ende geht man zurück zum Ausgangspunkt.«

    Aber am Ende geht man zurück zum Ausgangspunkt. Es war an der Zeit, in dieses mir so schlecht bekannte Land zurückzukehren.

    Vor allem zu seiner jüngsten Geschichte, über die so wenig gesprochen wird, die sogar ausradiert wird.

    Ganz bewusst.

    2

    Mein Sohn, nur, dass dir niemand Märchen erzählt: Egal, ob du aus Duala oder Jaunde kommst, du musst einfach nur den Weg über Boumnyébel nehmen, um hier in mein Dorf zu gelangen, nach Song-Mpeck, wo wir genau jetzt sind. Gezwungenermaßen, oh! Das oder nichts! Außer du entscheidest dich selbst dazu, über den Himmel zu kommen. Aber in dem Fall, hm, ich weiß nicht genau, wie das läuft. In meinem ganzen Leben habe ich meine Füße noch nie in ein Flugzeug gesetzt. Ich habe noch nicht einmal eines gesehen, so, mit meinen eigenen Augen hier; außer vielleicht wenn eines hier oben vorbeifliegt, über unsere Wälder, und uns dabei die Ohren mit seinem Lärm betäubt. Hörst du? Ihr anderen, die ihr dort auf der anderen Seite lebt bei den Weißen, ihr seid die Einzigen, die wissen, woher ihr euren Teil Mut nehmt, um da hineinzusteigen, in diese Apparate da, oh!

    Die Straße, die du genommen hast, um hierherzukommen, die, die Duala und Jaunde verbindet, wurde schon vor vielen Jahren von unserem Präsidenten-Papa gebaut. Allein Nyambé weiß, welche Segen er ihm dafür zukommen lassen wird. Aber weißt du was, mein Sohn? Einige böse Zungen haben ganz schnell tausend oder zweitausendmal behauptet, dass diese Straße da nur durch Zufall auch an Boumnyébel vorbeiführt. Hm, also ich weiß wirklich nicht, warum die Leute sich so gerne ihre Münder zerreißen über Probleme, die sie nichts angehen und denen sie außerdem bei Weitem nicht gewachsen sind. Verstehst du, was ich dir sage? Die Münder haben überall hier in der Gegend erzählt, dass unser Präsidenten-Papa uns dabei noch nicht einmal in seinen Plänen hatte, auch nicht in seinem Kopf, als er seine Leute damit beauftragte, die Hauptverkehrsachse Duala-Jaunde zu teeren. Aber was sie vergessen, diese Großmäuler da, ist, dass wir, egal ob durch Zufall oder nicht, jetzt auch eine gute Straße haben, um in unser Dorf zu kommen. Ist das nicht eine gute Sache?

    Ach, mein Sohn, dass man dir nur keine Lügen erzählt, in diesem Land eine asphaltierte Straße zu haben, ist eine sehr gute Sache. Es ist ein echtes Glück. Zu meiner Zeit? Oh, wie anders es damals war! Vollkommen anders sogar …

    Ékiééé! Ich bin schon dabei, mich mit dir zu unterhalten, dabei habe ich euch noch nicht einmal willkommen geheißen, weder dich, noch meinen Sohn Makon, der dich begleitet. Ich hoffe, ihr hattet eine gute Fahrt, denn in dieser Zeit am Jahresende, im Dezember wie jetzt, sterben häufig Leute auf unseren Straßen. Eins-zwei, schon ist ein Unfall passiert. Eins-zwei, schon sind Tote überall. Ich schwör’s dir. Wuyè!

    Ach, Makon! Kannst du in meine Küche gehen, dort hinter dem Haus, und mir einen Glasballon Matango holen? Das ist sehr guter Palmwein. Einer meine Söhne aus dem Dorf hat ihn mir gestern auf dem Heimweg von seinem Feld vorbeigebracht. Nein. Warte. So wie ich dich kenne, Makon, bringst du uns vielleicht nur einen halbvollen Glasballon oder gar einen leeren Glasballon. Kann man eine Katze bitten, auf die Fische aufzupassen? Bleib lieber hier mit unserem Gast, ich gehe ihn selbst holen, diesen Matango.

    Mein Sohn Makon sagte mir, dass du von weit-weither gekommen bist. Von sehr weither sogar. Er sagte mir, dass du aus dem Land der Weißen, dort, wo du lebst, hergekommen bist, nur um mich zu sehen. Er sagte mir, du willst, dass ich dir von Um Nyobè erzähle. Ist das die wahre Wahrheit? Hm, wirklich! Ach mein Sohn, du erweist mir Ehre. Das erfüllt mein Herz mit viel Freude, dass ein junger Mann wie du von so weit herkommt, nur um mich zu sehen, mich, Maliga. Meistens kommen die, die zu euch dorthin gehen, nicht mehr hierher zurück. Nein, oh! Sie kommen nicht wieder. Sie bleiben dort hängen. Ich weiß nicht, wer ihnen solche Flausen in den Kopf setzt, dass sie alles, alles, alles vergessen, sogar das Loch, das sie auf die Welt gebracht hat.

    Gehört sich das etwa? Ehrlich, mein Sohn, du erweist mir Ehre. Möge Nyambé dir deinen Teil Segen zukommen lassen. Möge er dir viel-viel davon zukommen lassen! Hörst du? Möge er dir einen ganzen Fluss davon zukommen lassen, wenn er kann.

    Nimm, mein Sohn. Trink ein bisschen von diesem guten Matango. Ekiééé! Nicht so schnell. Warum hast du es so eilig, als hättest du Durchfall? Langsam! Gieß zuerst einmal ein bisschen davon auf den Boden für unsere Toten und unsere Ahnen. Schau. Mach es wie ich. So. Gaaanz genaaau. Gut. Jetzt kannst du trinken.

    Aber sag uns, ist es denn die wahre Wahrheit, dass du denen ihr Flugzeug da genommen hast? Wie ist das, da innen drin? Oder bist du vielleicht mit einer Piroge gekommen? Wer weiß? Denn mein Sohn Makon sagte mir kürzlich, dass das heute so sei, dass die jungen Leute wie du es so machen, um dorthin zu euch zu gehen, um dort auf der anderen Seite bei den Weißen zu leben. Sie nehmen nur die Piroge. Deswegen fragte ich mich, ob auch du sie genommen hast, um hierher zurückzukehren.

    Gut. Lassen wir diese Geschichten von Flugzeugen und Pirogen am Boden. Denn so, wie ich dich gerade lächeln sehe, so wie die Leute bei euch dort, heißt das, dass du nicht viel Lust hast, darüber zu reden. Nicht wahr? Kein Problem.

    Sag mir nun, warum wolltest du mich treffen? Was willst du wissen über Um Nyobè? …

    Oh mein Gott! Schau dir diese dicke Stechmücke da an. Ha, heute wird sie mir nicht entkommen! Ich habe sie schon seit zwei Tagen im Auge. Ich werde sie kriegen. Warte einen Moment. Sooo! Diesmal habe ich sie erwischt. Weißt du, mein Sohn, man muss aufpassen: Hier in unserem Wald gibt es zu viele Stechmücken. Vor allem am Abend. So groß, wie sie sind, sieht man sofort, dass das professionelle Blutsauger sind. Ich schwör’s dir! Wuyè! Aber sei unbesorgt. Die Natur gibt uns immer Lösungen für unsere Krankheiten. Ich hoffe, dass ich in den nächsten Stunden ein bisschen Zeit haben werde, um dir in dem Wald, der uns umgibt, Medikamente zu zeigen, die Malaria heilen. Denn ich, Maliga, die ich hier zu dir spreche, ich habe kein Vertrauen mehr in das, was von euch dort kommt. Wuyè! Dabei habe ich im Fernsehen gesehen, als ich noch einen Fernseher hatte, dass das bei euch ist, wo die Weißen die echten-echten Medikamente gegen Malaria und gegen die anderen Krankheiten da herstellen, die uns hier einfach sterben lassen wie die Fliegen. Aber warum funktionieren ihre Medikamente nicht an uns hier? Soll das heißen, dass wir keine Menschen sind wie sie? Es funktioniert überhaupt nicht mehr an uns. Alle hier haben das bereits festgestellt, aber die Leute nehmen sie weiterhin. Auf jeden Fall bin ich der Meinung, dass diejenigen, die hier in unseren Dörfern noch an Malaria sterben, nicht an die Macht unserer Bäume und unseres Waldes glauben wollen. Sie wollen nur die Medikamente, die von anderswo kommen. Sie wollen nur gesund werden mit dem Zeug, das das Flugzeug genommen hat oder die Piroge, um bis hierher zu uns zu finden. Aber ich, Maliga, ich sage: Pech für sie! Was soll ich damit für ein Problem haben? Wenn sie wollen, sollen sie doch weiterhin auf die magischen Pillen der Weißen warten.

    Komm. Komm hierher, mein Sohn. Wir müssen gehen. Wir haben keine Zeit, den ganzen Tag hier zu sitzen. Ich habe dir viel zu zeigen und zu erzählen. Komm, gehen wir. Nimm vor allem den Glasballon Matango mit. Ekiééé! Lässt man etwa einen Glasballon mit Palmwein einfach so zurück, wenn man weiß, dass Makon zu Hause ist? Nein, oh! Nimm unseren Matango. Und vergiss nicht die Plastikbecher da. Gehen wir!

    Mach die Augen weit auf, mein Sohn, und sieh dir den Weg an, den wir nehmen werden. So kannst du das nächste Mal, wenn du kommst – und ich hoffe sehr, dass du wiederkommen wirst, denn diejenigen, die zu euch dort gehen, kommen so gut wie nie mehr hierher zurück – so kannst du das nächste Mal, wenn du kommst, falls ich nicht mehr lebe, in diesem Wald spazieren gehen, ohne einen Führer zu brauchen. Nicht einmal meinen Sohn Makon. Und du selbst wirst andere führen können.

    Ich war noch ein junges Mädchen, als ich hörte, wie Um Nyobè und seine Kameraden über ihr Politik-Politik-Dingsbumszeugs da sprachen. Hörst du mir zu? Gut. Zu dieser Zeit verstand niemand irgendetwas davon. Wir dachten einfach nur, dass sie Spaß daran hatten. Wir dachten, sie machten zu viel Lärm um nichts, ohne ein Ziel. Wir sagten sogar, um uns über sie lustig zu machen, sie hätten sich in etwas verrannt. Dass sie nichts erreichen würden. Aber hätten wir uns vorstellen können, dass diese Geschichte da, die Geschichte der Unabhängigkeit, von der sie sprachen, das werden würde, was sie letztendlich geworden ist? Wussten wir etwa, dass das ein Ding werden würde, dem wir bei Weitem nicht gewachsen sein würden?

    Weißt du, dass die Leute ihm schließlich den Namen Mpodol gaben? Weißt du, was das heißt? Gaaanz genaaau! Das ist gut. Es ist gut, dass du unsere Sprachen von hier nicht vergessen hast. Die jungen Leute machen sich heutzutage nicht mehr die Mühe, die Sprachen aus den Dörfern zu lernen, hm. Sie wollen nur Poulassi sprechen, das feine-feine Französisch der Weißen. Aber was soll ich damit für ein Problem haben? Pech für sie!

    Heutzutage noch einmal einen Mpodol zu finden, einen Wortführer, jemanden, der wirklich gut sprechen kann und die Interessen seines Volkes vertritt, wie es Um Nyobè tat, ach, nein, das ist unmöglich. Keine Chance. Es ist niemand mehr da. Ich sage dir, es ist niemand mehr da. Hörst du? Diejenigen, die heutzutage überall herumerzählen, dass sie Politik machen, dass sie für uns sprechen, um unsere Leiden zu mindern, die haben in Wahrheit großen Hunger. Sie haben sogar zu viel Hunger, mein Sohn. Alles, was sie wollen, ist es, sich ihren Teil Geld auf unsere Kosten einzuverleiben. Aber was können wir schon tun? Deshalb habe ich zu Makon gesagt, er solle ebenfalls in die Politik gehen, auch wenn es nur eine kleine Ortsgruppe in einem Dorf ist. Es sind die Politik-Sachen, die jetzt in diesem Land Geld bringen, mein Sohn. Aber hört Makon vielleicht auf mich? Er hält sich für Jesu-Christo: Er will für die Sünden der anderen sterben. Was er vergisst, ist, dass selbst Jesu-Christo persönlich dem nicht gewachsen war und schnell-schnell zu Nyambé, seinem Vater, rannte, um ihm zu sagen, er solle ihn zurückholen und uns Menschen in Ruhe lassen in unserer Bösartigkeit. Uns in Ruhe lassen in unserer Boshaftigkeit.

    3

    Weißt du, mein Sohn, hier bei uns will man immer noch nicht sehr über Um Nyobè sprechen. Wenn du Fragen zu Um Nyobè stellst und dazu, was wirklich mit ihm geschah, werden dir alle, die es erlebt haben, nur antworten, dass es Vorkommnisse gab. Die Vorkommnisse. Niemals wird irgendjemand dir genau sagen, um welche Vorkommnisse es sich handelte. Wuyè! Man wird dir nur sagen, dass es zu viele Tote gab. Dass die Erinnerungen so schwer wiegen wie der Felsen von Ngog-Lituba. Dass man nicht einfach so daran rütteln und all den Staub aufwirbeln will, der sich darunter verbirgt.

    Unser Präsidenten-Papa sagte sogar im Fernsehen – und ich schwöre dir, dass ich ihn dabei mit eigenen Augen sah, als ich noch meinen Fernsehapparat hatte – dass wir einen Schlussstrich ziehen müssen. Er sagte, es gäbe Zeiten, in denen man sich mit Steinen bewerfe, und Zeiten, in denen man sich in den Armen läge. Er sagte, dass nun die Zeit gekommen sei, sich in den Armen zu liegen, und schnell-schnell diese Geschichten da von Um Nyobè zu vergessen. Sie zu vergessen, weil sie uns nicht voranbringen würden in unserer heutigen Welt. Ach mein Sohn, wenn ich nur meinen Kopf hier öffnen könnte und alle Vorkommnisse von da drinnen herausnehmen könnte, dann würde ich alles-alles einfach so vergessen, wie unser Präsidenten-Papa es von uns verlangt. Aber da das nicht möglich ist, wird es schwierig werden, zu tun, was er sagt.

    Mein Sohn, es ist seltsam: Hier verlangt man von uns, alles zu vergessen. Und da wir nichts vergessen und auch nicht alles einfach so vergeben können, sorgen sie dafür, dass alles aus unserem Gedächtnis gelöscht wird: unsere Erinnerungen, unsere Geschichte. Sie wissen, dass es nicht einfach für uns ist, da drinnen in unseren Herzen alles wieder zu erwecken und darüber zu sprechen. Sie wollen nichts an unsere Kinder weitergeben in ihren Schulen da. Genauso erreicht man es, so zu tun, als ob nichts geschehen sei, als ob alles gut sei und wir alle die besten Freunde der Welt seien. Und ich fürchte um dich, um euch, meine Kinder.

    Ich fürchte, dass ihr das Gleiche noch einmal erlebt.

    Ich habe in meinem kleinen Fernseher gesehen, dass es dort bei euch, wo du herkommst, anders ist. Nicht wahr? Man bewahrt immer Bilder, Videos, mündliche und schriftliche Zeugnisse dessen auf, was passiert ist. Jedes Jahr erinnert man sich an die traurigen Vorkommnisse, die die Menschen geprägt haben. Man weint. Man legt große-große Blumengestecke nieder und die Menschen, die Politik machen, reißen ihre Münder zu langen-langen Reden auf, um zu versprechen, dass das nie wieder vorkommen wird. Das ist gut, nicht wahr?

    Sie haben in ihrem Fernsehen da eines Tages gesagt, und ich habe es genau gehört mit meinen beiden Ohren hier, dass man bei ihnen sogar gute Bücher finden kann, die in ihrem feinen-feinen Französisch der Weißen da von unserem Um Nyobè sprechen. Wusstest du das? Konntest du diese Bücher da lesen? Gut. Was erzählen sie darin? Bitte, wenn du wieder dort bei euch bist, mach eine Übersetzung auf Bassa davon. Hörst du? Mhm. So kannst du sie mir dann vorlesen, wenn du hierher zurückkehrst und ich noch am Leben bin. Und ich, Mâ Maliga, werde dir dann sagen können, ob das, was sie da in ihre Bücher geschrieben haben, wahr ist oder ob es nur ein Sack voller Lügen ist.

    Was sagst du? Man kann das nicht auf Bassa übersetzen? Aber mein Sohn, wer hat denn dann ihre Bibel auf Bassa übersetzt? Sie brauchen nur den wiederzufinden, der das gemacht hat, und er soll das dann auch für diese Bücher da machen, die du gelesen hast. Hörst du? Gaaanz genaaau.

    Wir sind fast angekommen. Siehst du, mein Alter erlaubt es mir nicht mehr, so schnell zu gehen. Du wirst viel Geduld brauchen, wenn du diesen Spaziergang wirklich mit mir machen willst.

    Nur, dass das klar ist zwischen uns, hm, mein Sohn. Ich muss dir das sagen, weil es Leute gibt wie dich, die herkommen und mich hier stören, wo ich in Ruhe in meinem Haus sitze, um mich zu bitten, ihnen die Vorkommnisse zu erzählen. Makon hat dich hierhergebracht, damit ich dir die Geschichte von Um Nyobè erzähle, aber sag mir, war ich etwa seine Frau? Hm? Ich war nicht seine Frau. Nein, oh! Ich weiß nicht, warum Makon dich nicht dorthin in das Dorf Ndjock-Nkong gebracht hat, auf der anderen Seite der Straße, die durch Boumnyébel führt, damit du direkt Mama Martha treffen kannst, Ums echte-echte Witwe. Sie, ja sie kann dir erzählen, was mit ihrem Mann passiert ist. Sogar Mama Maria, die andere Frau, die ihm mit einem kleinen Baby in die Wälder folgte, lebt auch da in der Gegend von Ndjock-Nkong. Sie sind alle beide noch am Leben. Ihre Kinder auch. Sie wissen viel mehr über Um Nyobè als ich. Aber anstatt dort hinzugehen und meine großen Schwestern da zu stören, nein, oh, da lässt man sie lieber in Ruhe und ich bin die Einzige, die aufgesucht wird. Möge Nyambé mir helfen. Wuyè!

    Ich werde dir die wahre Wahrheit erzählen über alles, was ich zu dieser Geschichte da weiß. Nicht mehr und nicht weniger. Ich bin keine dieser übertreibenden Frauen da, die zu allen Soßen Salz, Pfeffer und sogar Ndjansan dazugeben. Nein, nein und nein. Ich sage nur, was ich weiß. Da du keinen Dolmetscher brauchst, glaube ich, dass Makon uns sogar allein lassen kann, wenn er will. Das, was ich dir sagen werde, soll nicht verwässert werden wie ein schlechter Palmwein. Mögen meine Worte hier, die jetzt meinen zahnlosen Mund verlassen werden, gut-gut Eingang in deine Ohren finden und dort drinnen in deinem Kopf bleiben. Denn ihr Kinder von heute, wenn man zu euch spricht, geht es hier rein und da drüben wieder raus.

    Wenn du, nachdem du mir zugehört hast, noch mehr darüber wissen willst, trag einfach deine beiden Füße nach Ndjock-Nkong, etwa sieben Kilometer von hier, du wirst Mama Martha oder Mama Maria sehen und sie werden dir sagen, was du von mir nicht hast erfahren können.

    Einverstanden? Passt dir das? Ist dir das recht, was ich gerade gesagt habe? Denn hinterher darfst du nicht meinen Namen durch den Dreck ziehen bis zu euch dort oben zu den Weißen, indem du sagst, dass ich, Mâ Maliga, eine böse Frau bin, dass ich mich weigere, das, was ich über unsere Geschichte weiß, weiterzugeben …

    Ach, ich vergaß, das Haus, an dem wir gerade vorbeikamen, das ist das Haus, in dem Um Nyobè aufwuchs. Ja-ja, das, wo wir die jungen Männer gegrüßt haben, die mit der Axt Holz hackten. Was? Warum schaust du mich so an, als hätte ich etwas Schlechtes getan? Aaach! Jaaa! Ich verstehe. Du wolltest Fotos machen. Nicht wahr, mein Sohn? Wirklich, ihr, die Leute, die von den Weißen kommen, ihr bringt mich zum Lachen. Ihr liebt es so sehr, Fotos zu machen. Reicht euch das, was eure Augen ganz natürlich fotografieren, denn nicht? Habt ihr Angst, Dinge zu vergessen? Hat euer Kopf da ein Speicherproblem? Warum holt ihr immer eure Apparate vor den Dorfbewohnern raus? Ihr kommt hierher, um uns zu verspotten mit euren komischen-komischen Geräten da.

    Was du wissen musst, ist, dass es in diesem Dorf hier immer besser ist, ein bisschen diskret zu sein, wenn man fremd ist. Insbesondere, wenn man weiß, dass man da ist, um im Detail oder entfernt all das zu behandeln, was mit dem Leben von Um Nyobè zu tun hat. Die Leute halten dich schnell-schnell für einen Spitzel unseres Präsidenten-Papas oder für einen Spitzel der Weißen von euch dort. Deshalb misstrauen dir die Leute hier sofort. Wenn du versuchst, dich ihnen zu nähern, sagen sie dir nur, du sollst weitergehen und ihnen ihren Teil Frieden lassen. Siehst du, wenn die Leute, die wir vor dem Haus von Um Nyobè da gegrüßt haben, gesehen hätten, wie du deinen Apparat rausholst, um Fotos zu machen, hätten wir unseren Teil an Problemen dort für so eine Kleinigkeit einsammeln können. Sie hätten dir deinen Apparat aus der Hand reißen können. Ihn sogar konfiszieren. Und sie hätten gesagt, dass ich, Maliga,

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