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Abgetaucht: Dramen und Liebe in turbulenten Zeiten
Abgetaucht: Dramen und Liebe in turbulenten Zeiten
Abgetaucht: Dramen und Liebe in turbulenten Zeiten
eBook317 Seiten4 Stunden

Abgetaucht: Dramen und Liebe in turbulenten Zeiten

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Über dieses E-Book

Eine gewaltige Explosion im Hafen reißt am 13. Oktober 1969 frühmorgens die Hamburger aus dem Schlaf. Unbekannte haben versucht, auf der Werft Blohm + Voss eine Korvette zu versenken, ein Kriegsschiff zur Bekämpfung von Aufständischen in den portugiesischen Kolonien.
Fluchtpunkt Paris - danach wieder politisch bewegte Zeiten in Hamburgs alternativer Szene. Manch leidenschaftliche Liebe begleitet die beiden Aktivisten im Kampf gegen AKWs und für den Frieden. Trotz unterschiedlicher Lebenswege bleiben sie enge Freunde und stoßen auf neue rechte Netzwerke, die ihre persönlichen Pläne vehement bedrohen.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum3. Apr. 2023
ISBN9783757896355
Abgetaucht: Dramen und Liebe in turbulenten Zeiten
Autor

Jürgen Zichnowitz

Jürgen Zichnowitz wohnte viele Jahre in Hamburg und lebt seit zehn Jahren in Südfrankreich. Er war leitender Redakteur beim Feinschmecker und WeinGourmet, hat anschließend u.a. für die Zeitschrift BEEF und das Frankreich Magazin kulinarische Reportagen über seine neue Heimat geschrieben und Reiseführer bei Gräfe und Unzer sowie im Bruckmann Verlag über Destinationen in Frankreich veröffentlicht.

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    Buchvorschau

    Abgetaucht - Jürgen Zichnowitz

    Kapitel 1 - 13. Oktober 1969, 6.32 Uhr

    Eine Explosion erschüttert den Hamburger Hafen

    „Wann macht der Kerl eigentlich mal Pause?"

    Ole guckt vorsichtig über die Mauer und stöhnt leise. Der Werkschutzfritze von Blohm + Voss latscht den Kai rauf und runter und blickt aufs Wasser. Ole kauert sich wieder hinter die Mauer. Sein Kumpel Hans ist allmählich genervt:

    „Mann, hat der Zeit."

    Gar nicht lange her, da haben die beiden noch bei Blohm + Voss gelernt. Jetzt haben sie ihren Gesellenbrief in der Tasche und planen etwas ganz anderes – eine revolutionäre Aktion für die internationale Solidarität. Vor ein paar Tagen schnitten sie ein Loch in den Zaun und tarnten es sorgfältig mit Büschen. Nur einen Steinwurf entfernt im Dock liegt ihr Ziel, die „João Coutinho". Die Korvette soll, nach Fertigstellung auf der Werft, Richtung südliches Afrika auslaufen – Seeunterstützung im Kampf Portugals gegen die Aufständischen in seinen Kolonien Angola und Mozambique.

    Ole und Hans haben sich ein paar Nächte um die Ohren geschlagen und die Routinerunden der Werkschutzmänner ausgekundschaftet: Irgendwann unterbrechen die ihren Rundgang und steuern den Getränkeautomaten an. Der ist weit weg. Ole peilt wieder über die Mauer: Der Werkschützer blickt zu den Sternen empor. „Hat der heute überhaupt keinen Durst!?"

    Dann bricht der Wachmann die Erkundung des Himmels ab und setzt die Runde fort. „Bald wird’s hell, und um sieben fängt die Frühschicht an",

    Hans wird langsam nervös.

    „Komm, wir verschieben die Sache auf morgen", sagt Ole.

    „Nee, wir ziehen das jetzt durch!"

    Prompt verschwindet der Wachmann in seiner Bude. Er knipst eine Lampe an, schaltet das Radio ein und setzt sich mit einem Heft an den Tisch.

    „Western oder Landser?"

    „Wichsvorlage", tippt Ole.

    Der Werkschützer reißt eine Bierdose auf. „Sieh mal an, staunt Hans, „na ja, wenn’s keiner mitkriegt – uns kann’s nur recht sein.

    Es geht los. Sie schnappen sich Plastiksprengstoff und Zeitzünder, den alten Wecker von Oles Großmutter. „Oma Martha war Anfang der dreißiger Jahre bei den Roten aktiv – sie wäre stolz auf uns."

    Auf Höhe der Korvette hat eine Schute festgemacht, Hans klettert die Leiter an der Kaimauer runter, Ole behält die Gesamtlage im Auge. „Scheiße, die „Coutinho ist zu weit weg!

    „Häng` die Ladung neben der Schute ins Wasser, das Zeug ist stark genug! Gibt ein schönes Loch!"

    In einem Meter Wassertiefe zwischen Schute und Kriegsschiff deponiert Hans den Sprengstoff, kraxelt wieder zurück auf die Kaimauer und läuft gemeinsam mit Ole geduckt zurück zu ihrem Zaunloch.

    „Ich hab‘ den Wecker auf halb sieben eingestellt, jetzt schnell die Polizei anrufen."

    Menschenleben wollen sie auf keinen Fall gefährden, das haben sie sich vorher geschworen. Also warnen, damit niemand dem Schiff zu nahe kommt. Schon sind sie auf der Straße, atmen tief durch und wollen eben zur Telefonzelle rennen, als Ole voller Panik einfällt „wir haben die Zange am Kai liegen lassen, damit können sie uns auf die Schliche kommen."

    Zurück zum Zaun, wieder durchgekrabbelt, die Zange sofort entdeckt und erneut zum Durchschlupf. „Halt, stehenbleiben!"

    Ein anderer Wachmann ist aufgetaucht. Ole denkt nicht ansatzweise daran zu stoppen und schlüpft wieder auf die Straße. Glück gehabt, der Wächter unternimmt weiter nichts. Er hat seine Pflicht erfüllt und glaubt wahrscheinlich, Werftarbeiter seien eben mal ausgebüxt, um in der nahe gelegenen Kaffeeklappe etwas zu trinken. Das kommt häufiger vor. Rasch in die Telefonzelle, die vorbereiteten Groschen rausgeholt, den Hörer von der Gabel genommen, Groschen rein, klack, klack, sie fallen durch. Nochmal, die Finger zittern. Gleiches Ergebnis. Da erst entdeckt Ole den Zettel „Dieser Münzfernsprecher ist vorübergehend… „Scheiß, Mann, das geht schief!

    Richtung Haupteingang der Werft steht ein weiterer Apparat.

    „Der ist zu nahe dran! „Egal, selbst wenn uns jemand sieht, weiß der doch nicht, wer wir sind, mit wem wir telefonieren und was wir sagen.

    Nach dreimal Tuten ist die Polizei an der Strippe.

    „Dies ist eine ganz ernste Warnung. In einer Viertelstunde fliegt die João Coutinho bei Blohm und Voss in die Luft. Sorgen Sie dafür, dass absolut niemand in der Nähe ist." Nächster Anruf beim Werkschutz, gleicher Text.

    „Und, haben sie’s geglaubt?"

    „Weiß nicht, wenn nicht, geht eben einer vom Werkschutz drauf, hätte sich ja einen vernünftigen Job suchen können", tut Hans jetzt ganz cool.

    „Ey, du spinnst wohl!"

    „War nicht ernst gemeint, ich ruf noch mal an." Die Reaktion des Werkschutzes ist jedoch eindeutig: Man ist in heller Aufregung und wird dafür sorgen, dass kein Mensch in die Nähe der Korvette kommt.

    „Jetzt nicht laufen, aber schnell und unauffällig zu unserem Auto".

    Ole gibt sich umsichtig, atmet aber doch recht hektisch. In dem Moment, als sie den Wagen aufschließen, hören sie einen gewaltigen Rrumms, der wohl selbst an der Alster noch zu hören ist.

    „Ha, es hat geklappt!" Stolz grinsend sehen sie sich an und starten ihren Käfer.

    „Jetzt folgt die zweite Phase, meint Hans, „Paris, wir kommen!

    Sie haben vor, für einige Zeit das Land zu verlassen. Möglichst rasch, bevor man nach ihnen sucht. „Der 13. Oktober 1969 wird später als Gedenktag im Kalender stehen!" ist sich Hans sicher.

    Kapitel 2 – 1. Oktober 1968

    Rückblick: Erste Sabotage-Pläne

    Theaterbesuche waren eigentlich nicht Oles Sache. Als Kind hatte er sich mit seinen Eltern im Fernsehen Willy Millowitsch oder Stücke aus dem Ohnsorg-Theater angeguckt. Die Namen Schiller und Goethe sagten ihm natürlich was, für ihn waren das aber olle Kamellen. Zudem erlebten sie gerade turbulente Zeiten. Demos und Teach-ins, das war seine Welt, den plüschigen Theatersessel überließ er gern langweiligen Spießern. Irgendwann würden auch diese Typen merken, dass die Zeit überreif war, die alte Welt aus den Angeln zu heben. Doch ein Plakat des „Jungen Theaters" an der Mundsburg hatte ihn neugierig gemacht. Ein Stück wurde angekündigt, dessen Autor er im Februar auf dem Vietnam-Kongress in der Westberliner TU erlebt hatte: Peter Weiß.

    „Die Straße ist unser legitimes Massenmedium – diesen Spruch von Weiß hatte sich Ole gemerkt. Vor allem aber seinen Satz „Handeln muss zur Sabotage werden, wo immer diese möglich ist. Den hatte Ole sich mit einem dicken schwarzen Filzstift in großen Lettern auf die Raufasertapete seines WG-Zimmers geschrieben.

    „Der Gesang vom Lusitanischen Popanz hieß das Stück. Ein Musical. Ole musste an „My Fair Lady denken – und so etwas von Peter Weiß? Doch es geht um die Diktatur in Portugal unter Salazar und die Unterdrückung der Bevölkerung in seinen afrikanischen Kolonien. Kurz entschlossen kaufte er zwei Karten für sich und seine Kollegin Beate, die bei Blohm + Voss als Sekretärin des Betriebsrats arbeitete. Mit ihrem kecken, resoluten Auftreten genießt sie die Anerkennung ihres Chefs und das Vertrauen der Belegschaft. Ole war nach einem kurzen Moment der Verblüffung begeistert, das hier war ein anderer Schnack als Heidi Kabels „Tratsch im Treppenhaus".

    Das Bühnenbild äußerst schlicht, mit einer riesigen und rostigen Blechfigur, dem Popanz, im Mittelpunkt, dessen Maul scheppernd und rasselnd auf- und zugeht. Dazu sieben Schauspieler, die in elf Nummern das Kolonialsystem anklagen, verhöhnen und bekämpfen. Teils gesungen, teils in bewusst einfachen Reimen. Sie nennen Zahlen und Namen der Unterdrücker – „klasse Agitation, das geht unter die Haut", flüsterte Ole seiner Kollegin ins Ohr.

    Beate wohnte auf der anderen Seite der Norderelbe, in Wilhelmsburg, und hatte ihrem Freund dort schon angekündigt, er solle nicht auf sie warten. Sie fuhren zu Ole in die Bismarckstraße. „Das ist ja absurd, meinte Beate beim Blick auf den Straßennamen, „der Sozialistenhasser! Und wir haben gerade sozialistische Propaganda vom Feinsten erlebt. Sie kroch zu Ole unter die Decke und ergänzte den kulturellen um weitere Höhepunkte.

    Am nächsten Tag war Ole in der „Eichenburg" verabredet, die nicht weit von seiner Wohnung entfernt lag. Ein kurzer Wink zum Wirt Uwe genügte, und der setzte sofort den Zapfhahn in Gang. Ole und seine Kumpel warfen sich auf die lederbespannte Bank und die dunkelbraunen Stühle um den runden Ecktisch, der deutliche Spuren von so manchem Gelage aufwies. Sie waren heute die ersten Gäste, abgesehen von dem alten Willi, der am Tresen saß und vor sich hin brabbelte. Kalter Zigarettenrauch vom Vorabend hing im Raum. Ziemlich eklig, dachte Hans, diesen Geruch müssen wir auffrischen, steckte sich eine Reval ohne an und spuckte ein paar Tabakkrümel auf den Boden. Das machte er schon ganz automatisch, aber zu Filterzigaretten wechseln kam nicht in Frage.

    „Moin, Uwe brachte die Halben an den Tisch, „was lag heute an? Ganz selbstverständlich setzte er voraus, dass sie gerade von einer Demo oder einem Go-in kamen, „welches Denkmal habt ihr heute umgeschmissen?"

    Gut konnte der Wirt sich erinnern, dass einige von ihnen nach dem Sturz des Wissmann-Denkmals bei ihm eingekehrt waren. Das hatte zum Andenken an Hermann von Wissmann, den „Kolonialhelden" und brutalen Gouverneur von Deutsch-Ostafrika, neben dem Hauptgebäude der Uni gestanden. Erst vor kurzem wurde es nach einem gescheiterten Versuch im Vorjahr endgültig vom Sockel gestürzt. Um afrikanische Kolonien sollte es auch heute gehen. Ole erzählte vom gestrigen Theaterabend.

    „Das ist doch verrückt: Lusitanien hieß Portugal zu der Zeit, als es von den Römern unterdrückt wurde, sagte Hans, „und heute ist das Land selbst der Unterdrücker.

    Das Wort „Sabotage von Peter Weiß machte die Runde. Sie waren sich einig, dass die Zeit vorbei sei, wo man nur redete. Handeln war angesagt, direkte Aktion. „Morgen kommt ein Team vom holländischen Fernsehen ins Lehrlingszentrum, berichtete Frank später, einer der Wortführer des sozialistischen Studentenverbands in Hamburg, „die zeigen uns ihren Film über deutsche Waffenlieferungen. Waffen, die die Portugiesen im Kolonialkrieg einsetzen wollen. Dann sehen wir weiter. Ich hab da schon so ne Idee." Das wollten sie aber lieber nicht in der Kneipe diskutieren.

    Der UN-Sicherheitsrat hatte ein Waffenembargo gegen Portugal verhängt, doch im Film der holländischen Fernsehleute war zu sehen, wie dieses von westdeutschen Konzernen unterlaufen wurde. Im Mittelpunkt: die drei bei Blohm + Voss auf Kiel liegenden Korvetten, schnelle, modern ausgerüstete Kampfschiffe für den Einsatz an der afrikanischen Küste. Hinzu kamen Maschinengewehre und Militärflugzeuge.

    „Da geht einem ja das Messer in der Tasche auf!, meinte eine junge rothaarige Germanistikstudentin aus der Gruppe im Sozialistischen Lehrlingszentrum in der Hochallee empört. „Das Messer lass mal stecken, sagte Frank, „wir müssen erst mal die Werftarbeiter auf unsere Seite kriegen." Hans guckte skeptisch, als ob er seinen eigenen Kollegen auf der Werft nicht allzu viel zutraute.

    „In Holland gibt es schon seit längerem ein Solidaritätskomitee, so Frank, „die haben einen direkten Draht zur angolanischen Befreiungsbewegung, der MPLA. Dann erzählte er noch, dass beim AStA der Uni ein Schreiben von Amilcar Cabral aus Guinea-Bissau eingegangen sei, der für alle anti-portugiesischen Befreiungsbewegungen sprach. Es sei müßig, lang und breit über Solidarität zu reden, hatte er geschrieben. Was nötig sei, sei der Kampf, auch in Europa. Er wolle aber ihnen nicht vorschreiben, wie sie zu kämpfen hätten.

    Jetzt redeten alle wild durcheinander, alle möglichen Ideen schwirrten durch den Raum. Frank schwieg ein paar Minuten – ungewöhnlich für ihn – und zwirbelte seine blonden Locken.

    „Die MPLA verfasst je einen Brief an die Arbeiter und den Vorstand von Blohm und Voss, schlug er dann vor, „und wir verteilen die vor den Werfttoren als Flugblatt. Einigen ging das nicht weit genug, doch Ole und Hans unterstützten Frank, und ihr Wort als Lehrlinge auf der Werft hatte in dieser Angelegenheit Gewicht. Ihnen schwante, dass Frank noch etwas in der Hinterhand hatte.

    Später, als sie nur noch in kleinem Kreis zusammensaßen, rückte Frank mit seinen Gedanken heraus.

    „Wir müssen die Kollegen auf der Werft überzeugen. Wenn sie den Bau der Kriegsschiffe boykottieren, wäre das eine große Hilfe für den Befreiungskampf in Angola. Wenn nicht, müssen wir es sein, die ein Fanal setzen."

    Sabotage! „Wir jagen die Dinger in die Luft!"

    Am liebsten wären sie sofort losgezogen. Dann kamen die Bedenken. War das nicht zu gefährlich? Für die Kollegen und sie selbst? Und woher sollten sie den Sprengstoff kriegen? Praktische Erfahrungen damit hatte ohnehin keiner von ihnen. Wieder war es Frank, der die weiteren Schritte skizzierte. Hans und Ole sollten sich einen genauen Überblick verschaffen, wie man an die Schiffe herankäme, er wolle sich um die Finanzierung von Reisen, Material und Propaganda kümmern. „Michael, du hast dich ja mit den Holländern ausführlich unterhalten, wandte er sich an den Bärtigen neben sich, „kannst du wegen der Flugblätter Kontakt zu ihnen aufnehmen?

    Und Helmut, der etwas dickliche Soziologie-Student, sollte an der Uni die Öffentlichkeitsarbeit über portugiesischen Kolonialkrieg ankurbeln.

    „Denk auch an die Presse, dein Vater arbeitet doch beim Spiegel. Vielleicht hilft er dir, noch weitere Kontakte zu knüpfen."

    Das konnte sich Helmut zwar nicht vorstellen. Sein Vater sah sich als Linksliberaler, nahm die außerparlamentarische Opposition, die APO, aber nicht ernst. Doch die Machenschaften der Rüstungsindustrie unter Bruch der UN-Beschlüsse wären vielleicht auch für den Spiegel ein Thema.

    „Und wer legt den Sprengstoff? fragte Ole noch. „Na, ihr beiden natürlich, sagte Frank ganz trocken.

    Nachdenklich gingen die beiden B + V-Lehrlinge Richtung Dammtor-Bahnhof. Von hinten betrachtet hätte man sie für Brüder halten können, beide groß, kräftig und mit dichtem schwarzem Haar. Doch während Ole ein rundliches Gesicht mit einem pfiffigen Ausdruck hatte, blickte Hans eher energisch. Einerseits waren sie stolz darauf, mit einem erfolgreichen Anschlag auf die Korvetten einen wichtigen Beitrag für die Befreiungsbewegungen leisten zu können. Die APO noch mehr in den Blick der Öffentlichkeit zu rücken. Zu Helden der sozialistischen Bewegung in Hamburg zu werden. Andererseits...

    „Ist das nicht ne Nummer zu groß für uns?"

    In den vergangenen zwei Jahren hatten sie mehr erlebt als manch Älterer in seinem ganzen Leben. Der Kampf gegen den Vietnamkrieg, gegen die Notstandsgesetze, gegen den Schah, die Diktatur in Griechenland, die Blockaden vor dem Springer-Verlag, wo sie mit Polizeiknüppeln mehr Erfahrung gemacht hatten als ihnen lieb war – aber Schiffe in die Luft zu jagen war noch eine ganz andere Nummer.

    „Zugesagt haben wir ja noch nicht… „Morgen fahr ich erstmal mit Michael nach Amsterdam, sagte Ole, „gucken wir mal, welche Unterstützung die uns geben können."

    Kapitel 3 – November 1968

    Kontakte in Amsterdam

    „So, nun aber mal los! Ole wirft die Reisetasche auf den Rücksitz. Michael startet seinen Renault R4. „So bequem hattest du dir das nicht vorgestellt, oder? Freunde mit einem geschickten Händchen hatten in den spartanisch ausgestatteten R4 weich gepolsterte Sitze eines ausrangierten Citroën DS eingebaut. Michael hatte noch am Vorabend mit den niederländischen TV-Leuten ihren Besuch arrangieren können.

    „Die sind sehr locker drauf, erzählt Michael. „Heute Vormittag haben wir noch einmal telefoniert, und die haben mir eine Adresse gegeben, wo wir pennen können.

    Er blickt zur Seite, Ole ist schon eingeschlafen. Michael selbst hatte als Handelslehrerstudent den Tag ganz ruhig angehen lassen. In Amsterdam stupst er Ole an.

    „Komm mal hoch, du musst mir jetzt helfen. Die Adresse ist etwas merkwürdig: ‚Karavaan‘ am Sarphatikade. Wir müssen uns am Amstelhotel orientieren, das soll so aussehen, dass wir es uns nicht leisten können". Der Straßenname stimmt. Sie haben Glück und können ihren R4 in eine enge Parklücke quetschen. Am Kai gegenüber des Luxushotels liegen Dutzende von Hausbooten. Keine schicken Designerboote, sondern umgebaute Frachtkähne, denen man die langen Dienstjahre deutlich ansieht. Ein schlaksiger junger Typ mit wilden Locken und Vollbart löst sich von einem der Poller und kommt zu ihnen herübergeschlendert.

    „Ihr seid also die beiden aus Hamburg?" fragt er mit nur leichtem holländischen Akzent und deutet auf ihr Autokennzeichen. Ole und Michael nicken.

    „Na, dann kommt mal mit, ich bin Willem. Über eine lose auf die Reling gelegte Planke geht es an Bord eines Hausboots. Karavaan hat jemand mit weißer Farbe auf den dunklen Stahlrumpf gemalt. „Das ist Lisbeth, stellt Willem eine schwarzhaarige junge Frau vor, die gerade barfuß und gut gelaunt aus dem Bauch des Schiffes an Deck kommt, „meine Liebste, Skipper und Admiral."

    „Willkommen an Bord. Wir können uns auf Deutsch unterhalten, sagt sie, „das haben wir in der Schule gelernt.

    Der große frühere Laderaum ist mit Tisch und Stühlen, einem breiten Bett, einigen Regalen, einem kleinen Fernseher und einem mit gesammelten Holzresten befeuerten Ofen möbliert. Hinter einer Bretterwand verbergen sich noch zwei kleine Räume, ein Mini-Atelier von Lisbeth, die an der Kunstschule in Amsterdam studiert, und ein Mehrzweckraum, der regelmäßig auch als Gästezimmer herhält.

    „Auf den Matratzen hier könnt ihr schlafen. Aber erst einmal gibt’s einen Schluck zu trinken."

    Willem hat einige Flaschen Amstel-Bier geöffnet und dazu einen Imbiss vorbereitet, mit Bitterballen, panierten Bällchen aus Kartoffelpüree mit Fleischfüllung. Dazu Goudawürfel und Roggenbrot. „Ich arbeite beim Angola-Comité mit, das gibt es schon seit einigen Jahren. Aber morgen kommt jemand, der euch die Kontakte vermitteln kann."

    Irgendwann ziehen sich die beiden Hamburger in ihre Schlafkammer zurück. Den nach der langen Fahrt erschöpften Michael schaukeln die leichten Bewegungen des Hausboots schnell in den Schlaf. Ole lässt noch die ersten Eindrücke auf sich wirken. Amsterdam würde ihm auch bei Tageslicht gefallen. Und mit ihren beiden Gastgebern, von denen aus dem Nebenraum zärtliche Laute zu hören sind, könnte er sich gut anfreunden.

    Morgens nur kaltes Wasser und keine Dusche, doch Willem hat schon Witte bolle, fluffige Weizenbrötchen, und einige Kaneelmonsters, Zimtschnecken, zum Frühstück besorgt. Auch heißer Kaffee kommt bei dem recht frischen Wind sehr recht. Energische Schritte auf der Planke, ein beherzter Sprung aufs Boot.

    „Das ist Klaas", übernimmt Willem die Vorstellung. Abenteuerlich sieht er schon aus, denkt Michael, fast wie Che Guevara, mit den dunklen Haaren, dem Bart und dem forschenden Blick. Klaas ist bereits über 30 Jahre alt, studiert Psychologie und hatte mit anderen vor einigen Jahren die Niederländische Studentengewerkschaft gegründet.

    „Lange Jahre war ich aktiv in der Vietnam-Bewegung. Jetzt liegt mein politischer Schwerpunkt auf Angola und den anderen portugiesischen Kolonien in Afrika. Kurze Pause. „Ihr habt da in Hamburg was vor? Und braucht einen Kontakt?

    Ole und Michael nicken. Natürlich weiß Klaas, dass in Hamburg portugiesische Korvetten für die Kriegsschauplätze in Angola und Mozambique gebaut werden.

    „Polizeiaktionen werden diese Kriege gern genannt. Das hört sich besser an, und so kann man mögliche Ausfuhrbeschränkungen von Waffen für Kolonialkriege leichter umgehen, meint er. „Auch die Niederlande haben direkt nach dem Zweiten Weltkrieg so genannte Polizeiaktionen in Niederländisch-Indien, dem späteren Indonesien, durchgeführt. Sie endeten mit rund 100 000 toten Indonesiern. Wir würden es stark finden, wenn ihr auf der Werft in Hamburg ein deutliches und laut hörbares Zeichen setzen könntet.

    Klaas sagt ihnen, wie sie mit den westeuropäischen Vertretern der MPLA, der Movimento Popular de Libertação de Angola, in Kontakt treten können und überreicht ihnen einen kleinen Zettel mit einer Telefonnummer. „Wenn irgendwas passiert, ihr zum Beispiel durchsucht werden sollt, werft den Zettel weg, schluckt ihn runter, verbrennt ihn – er darf auf keinen Fall in die Hände des der Polizei fallen." Dank, Umarmungen mit den drei äußerst sympathischen Aktivisten, Dreifachkuss rechts, links, rechts zum Abschied. Dann, wieder auf festem Land, zurück mit Michaels Renault in Richtung Hamburg.

    „Ein strammer Trip, aber sehr ergiebig, zieht Ole kurz Bilanz. „Wir haben unseren Job gemacht, bestätigt Michael.

    Kapitel 4 – Februar 1969

    Zweifel vor der Aktion

    Über Gewalt hatten sie in den vergangenen Wochen und Monaten davor viel diskutiert. Sie hatten brutale Polizeieinsätze erlebt, bei denen die Bullen auf Protestierende bei friedlichen Sit-ins einprügelten und sie an den Haaren wegschleiften.

    „Da kann man nicht länger einen auf Mahatma Gandhi machen, dachte Hans. Aber Steine oder faule Eier werfen bringt ja auch nichts. Ein Zeichen von Ohnmacht. Aufrufe zu Gewalt, zu Mord und Totschlag? „Konterrevolutionär hatte Rudi Dutschke das in einem Interview mit dem „Spiegel" genannt. Das sah Hans genauso. Der kapitalistische Staat hatte solche Skrupel nicht, tödliche Schüsse wie die auf Benno Ohnesorg kamen eben mal vor. Rudis Meinung hatte sich allerdings auf die Metropolen hochentwickelter Industrieländer bezogen. Gegen Diktatoren wie Ky in Vietnam oder Duvalier in Haiti, die Kriege gegen das eigene Volk führten, halfen keine Luftballons oder lustige Parolen auf Spruchbändern. Dort war Gewalt nicht nur richtig, fand Hans, sondern geradezu notwendig.

    Aber in Hamburg? Nächtelang wälzte er diese Gedanken hin und her. Würde eine Zerstörung der Korvetten nicht eine Spirale der Gewalt nach sich ziehen? Könnte er dann überhaupt noch schlafen, wenn die Polizei nach dem Attentat alle Aktivisten verfolgte, inhaftierte, die Büros und Treffs zerstörte, mit Verletzten und womöglich sogar Toten? Andererseits: Wie lange wollte man sich noch alles gefallen lassen und auf Gewalt mit Pudding-Attentaten und anderen spaßigen Happenings antworten? In seinen wirren Träumen rannte er übers Werftgelände, kam jedoch überhaupt nicht voran. Die Beine wurden schwerer, seine Verfolger kamen näher und näher. Arbeiter auf den Schiffen hielten Zettel mit Wertungsnoten wie beim Eiskunstlaufen hoch, Ausflügler auf einer vorbei fahrenden Barkasse feuerten ihn an. Auf einem Baum saß ein Typ vom Werkschutz und stieß ein meckerndes Lachen aus. Hans stürzte, bekam einen Wadenkrampf – und wachte mit wild klopfendem Herzen und einem Wadenkrampf auf. ‚Merkwürdig, dachte er, ein Krampf im Traum und in der Realität‘? Wieder einmal eine

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