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Takla Makan: Das blaue Licht
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eBook233 Seiten2 Stunden

Takla Makan: Das blaue Licht

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Über dieses E-Book

Ella, 14, besucht eine Gesamtschule in Berlin-Kreuzberg. Die große Mehrheit der Schüler sind solche mit sogenanntem 'Migrationshintergrund'. Ellas Vater, selbst Lehrer, will es so. Und eigentlich ist es ja auch in Ordnung, auch wenn das Klima mitunter rau ist. Mit den meisten in ihrer Klasse kommt Ella gut zurecht, und es gibt Sofia, ihre beste Freundin. Probleme macht eigentlich nur Orkan, der eine viel zu große Klappe hat und sich für unwiderstehlich hält. Alles wird anders, als Ella wieder und wieder, wenn sie allein ist, aus heiterem Himmel ein blaues Licht erscheint. Das Licht hüllt sie ein und scheint sie für kurze Momente in eine andere Zeit zu entführen. Sie erlebt Situationen mit einem anderen, erwachseneren, einem hilfsbereiten Orkan, in den sie unsterblich verliebt ist ... Was Ella nicht weiß, ist, dass ein Orakel in der chinesischen Wüste Takla Makan der Großmeisterin der weißen Magie, Leila, offenbart hat, dass ihr Neffe Orkan aus Berlin-Kreuzberg zu ihrem Nachfolger bestimmt ist: er und ein deutsches Mädchen, das seine Braut werden soll. Leila belegt Ella mit dem Zauber der verschobenen Zeiten, um ihr einen Weg in die Zukunft zu weisen und um Arda, den Schwarzmagier und Gebieter über die Dreibeinige Einsilbige Katze, daran zu hindern, Ella und Orkan ins Verderben zu stürzen.
SpracheDeutsch
HerausgeberParlez Verlag
Erscheinungsdatum6. Apr. 2023
ISBN9783863271091
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    Buchvorschau

    Takla Makan - Petra Nouns

    Taube und Krähe

    Ich glaube, alles fing am 27. August dieses verdrehten Jahres an. Die Geschichte ist natürlich viel älter. Wie alt, weiß niemand genau. Für mich jedenfalls begann sie an diesem Tag. Ich kam in die 8 a der Marie-Curie-Gesamtschule in Kreuzberg, was nicht weiter schlimm gewesen wäre, aber auch Orkan war in dieser Klasse.

    Vor Beginn der ersten Stunde stolperte ich über seine Tasche, die quer im Gang zwischen den Tischen lag. Ich hatte gehofft, Orkan wäre kleben geblieben, doch nun sah es aus, als müsste ich ihn in ein weiteres Jahr ertragen.

    Das achte Jahr Orkan. Seit der Grundschule.

    Mein Vater liebt Kreuzberg, liebt Multikulti. Er hat mich auf eine Grundschule mit einem Ausländeranteil von drei Vierteln geschickt. Und dann auf die Marie Curie, mit immerhin noch zwei Dritteln. Zwei Drittel Ausländer – ich meine natürlich Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund. Mein Vater hat keinen Schimmer, was das heißt. Er selbst ist Lehrer an einem Schickimicki-Gymnasium in Wilmersdorf. Heuchler. Aber ein lieber Heuchler. Ist eben Papa, pardon, ich meine Lars, denn er möchte nicht Papa genannt werden.

    Ach ja, ich habe auch eine Mutter. Das vergesse ich manchmal, weil ich sie so selten sehe. Sie ist Ethnologin. Ethnologie war eines der ersten Worte, die ich schreiben konnte. Mama war damals sehr stolz auf mich. Was Ethnologie genau ist, habe ich bis heute nicht verstanden. Nur so viel: Immer die Nase in fremden Angelegenheiten und immer auf Achse. Lars hätte sie lieber zu Hause, logo, aber was soll er machen? Sie anbinden? Sie würde sich scheiden lassen. Fertig.

    Um es kurz zu machen: Ich habe eine komische Familie, wenn man das überhaupt so nennen will, und wünschte, ich hätte einen Vater, der Bundesliga guckt, und eine Mutter, die … na sagen wir, die einfach da ist, angebunden oder nicht.

    Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass ich immer ein und dasselbe Sweatshirt trage. Es ist schwarz, lang, weit, im Winter wärmend, im Sommer kühlend, wie ich finde, und es hat vorn und hinten die Aufschrift Sweatshirt. Um ehrlich zu sein, ich habe natürlich nicht nur dieses eine. Ich habe zugegebenermaßen zwei davon, absolut identisch. Sie wandern immer abwechselnd in die Waschmaschine und sind deshalb auch absolut identisch verwaschen.

    Und noch was: Ein paar Tage vor diesem ersten Schultag in der 8 a hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben eine Brieftaube gesehen. Mit einem Ring am Fuß und einem zusammengerollten Briefchen darin. Es war Abend. Die Taube saß auf der Linde vor meinem Zimmer und wurde von einer Krähe angegriffen. Ich wollte ihr helfen, aber die Krähe hackte auf sie ein, bis sie wegflog. Ich weiß, das klingt jetzt nicht besonders aufregend, aber seltsam daran war, dass sich das Ganze nachts um halb zwölf abspielte, wenn Krähen und Tauben eigentlich schlafen – soviel ich weiß.

    Womöglich war das der Beginn meiner Geschichte.

    Das Orakel

    Auf einer Düne am südlichen Rand der Wüste Takla Makan hockt Leila, die letzte Großmeisterin der weißen Magie im Orden der Itnanin. Die Mittagsonne steht hoch über der endlosen Weite goldener Wellen. Mit ihrem knochigen Zeigefinger schreibt Leila Buchstaben in den Sand, Zeile für Zeile, langsam und bedächtig.

    O heiliges Orakel der Sandkörner,

    Verehrt von Ahnen und Urahnen,

    Gib preis, wen du bestimmst

    Zu meinem Lehrling und würdigen Nachfolger.

    Offenbare!

    Wer wird der Prüfling sein?

    Von ferne, vom Zentrum der Wüste her, kommt ein Brausen auf. Es schwillt an, wird zum Sturm, heult und wirbelt eine Million Sandkörner durch die Luft. Leila hält ihre Gewänder zusammen und duckt sich. Dann hebt sie den Kopf, kneift ihre achthundertsiebenundzwanzig Jahre alten Äuglein zusammen und blinzelt gegen die Sonne.

    Auf einer Düne am nördlichen Rand der Wüste Takla Makan hockt Arda, Großmeister der schwarzen Magie im Orden der Shaitanin. Er frisst einen Echsenkopf. Langsam zermalmt er den Schädel, schluckt, rülpst und schreit gen Süden:

    „Los! Orakel! Spiegle!"

    In der Ferne der Wüste zeigt sich das Orakel der Spiegelungen. Ein glänzender Streifen, der sich langsam ausdehnt zu einer flimmernden Fläche. Eine Fata Morgana. In ihrem Spiegelbild zeigt sie ihm, was Leila, seine ärgste Feindin, auf der anderen Seite der Wüste treibt.

    Arda hat Mühe, die Spiegelschrift zu entziffern.

    „Kann sich ums Verrecken nicht kurz fassen, diese Leila. Verehrt von Ahnen und Urahnen , schnaubt er und reißt seine schwefelgelben Augen weit auf. „Einen Nachfolger braucht die Alte also. Interessant .

    Da erscheint die Antwort des Orakels. Erst undeutlich, dann immer klarer bildet sich aus der Sandwolke ein Schriftzug:

    Orkan

    Leila stößt einen Schrei des Entsetzens aus und wirft sich zu Boden.

    Orkan?! Ihr Neffe Orkan? Der Orkan, der in Berlin-Kreuzberg lebt und sich vor allem für Handys interessiert und für Turnschuhe, die den Namen der griechischen Siegesgöttin Nike tragen, und diese verehrt, als hätte die Göttin sie eigenhändig geschustert?

    Der Orkan, den sie dennoch liebt wie einen leiblichen Sohn, dieser Orkan etwa?

    Arda wischt sich mit seinem Ärmel das Echsenblut von den Lippen, liest, was da in die Luft geschrieben steht, und ein Grinsen macht sich auf seinem Gesicht breit.

    „Orkan!? Leila, das ist dein Untergang! Dein Ende! Das Bürschlein Orkan, dein Zauberlehrling? Ha! Haha!" Sein Lachen lässt die Fata Morgana erzittern. Sein Mund ist weit aufgerissen und sein einziger Zahn steht in seinem Mund wie ein Stalagmit in einer Tropfsteinhöhle.

    „Warum Orkan? Warum?", fragt Leila kopfschüttelnd, dabei weiß sie, dass das Orakel auf diese Frage nicht antwortet. Es sagt, was sein wird, aber niemals, warum.

    Wie um aller sieben Himmel willen soll Orkan die harten Prüfungen der Zauberlehre bestehen? Er wird reifen müssen, schneller, als es seinem Alter entspricht, viel schneller. Geistig wachsen, sein Herz weiten, seinen Mut stärken.

    Leila weiß natürlich, was nun zu tun ist. Aber was wird Orkan davon halten? Eine Braut muss gefunden werden, dann muss das Paar dem Zauber der verschobenen Zeiten ausgesetzt werden. Das ist die erste der Prüfungen, bevor Orkan seine Lehre überhaupt antreten kann. So sind die Regeln, wenn der Lehrling männlich ist. Jeder der Magie Kundige – egal ob der weißen oder der schwarzen – kennt sie.

    Auch Arda. Der frohlockt. Ein Kinderspiel, beinahe schon zu einfach, um Spaß zu machen. Er wird dafür sorgen, dass dieser Kasper von Orkan und seine Braut den Zauber der verschobenen Zeiten nicht überleben. Und dann: das Ende der Itnanin! Und zwar ein Ende mit Rache! Rache für das, was Leila vor achthundertzehn Jahren verbrochen hat. An Ardas Vater Erim, einem redlichen, ehrenhaften, zutiefst unanständigen Schwarzmagier.

    Erim begehrte Leila, tat alles, um von diesen verfluchten Itnanin akzeptiert zu werden, war bereit, sich mit Haut und Haar der weißen Magie zu verschreiben, aber sie haben ihn abgelehnt. Und Leila verschmähte ihn. Verhöhnte ihn!

    Schön war Leila damals. Blutjung, siebzehn und bildschön.

    Doch selbst eine Itnanin altert, ist sterblich.

    „Sterblich! Jawohl!" Ardas Ruf erschüttert die Wüste Takla Makan.

    Leila wird sterben. Bald. Sehr bald. Er muss nicht einmal nachhelfen, denn im Grunde ist sie schon so gut wie tot. Wenn sie ihr wahres Gesicht trägt, dann ähnelt sie bereits der Mumie, die sie bald sein wird.

    Doch bevor es so weit ist, wird sie noch erleben müssen, wie ihr nichtsnutziger Erbe Orkan versagt und verreckt. Nichts wird übrig bleiben von ihrer lächerlichen, blässlich weißen Magie. Sie wird sterben, ohne einen Nachfolger zu haben, und ohne einen neuen Großmeister der weißen Magie wird der Orden der Itnanin untergehen. In der Bedeutungslosigkeit verschwinden. Die Shaitanin werden die Welt regieren! Dank ihm, Arda, dem größten Schwarzmagier aller Zeiten – der er dann sein wird.

    Der Sturm ist vorbei, die Sandkörner haben sich gesetzt. In ruhigen Wellen liegt die Wüste wieder da. Leila steht auf, verbeugt sich vor dem Orakel, dankt ihm und verspricht, seiner Weisung Folge zu leisten. Dann springt sie behände wie ein junges Mädchen auf ihr geflügeltes Pferd und fliegt los.

    Hoch steigen sie auf in den wolkenlosen Himmel.

    Es gibt viel zu tun. Einkäufe in Kashgar, und bevor sie der Dreibeinigen Einsilbigen Katze in Istanbul ihren Pflichtbesuch abstattet, muss sie zum alljährlichen Familientreffen in Sarp. Wenn Orkan dort ist – sie weiß, er kommt nicht gern in dieses Kuhkaff, wie er es nennt, sei's drum –, wenn er kommt, dann wird sie ihm sagen müssen, was das Orakel verkündet hat. Ohne Umschweife.

    Ardas Mund klappt zu, seine knittrigen Lippen schließen sich, doch sein Zahn ragt steil aus der Unterlippe hervor, gräbt eine Kerbe in die Oberlippe und stakt in seinen Schnauzbart. Ohne sich bei seinem Orakel zu bedanken und ebenso leichtfüßig wie Leila, springt er auf seinen Teppich. Es ist ein sehr alter Teppich, ein Erbstück von unermesslichem Wert, wenn auch ziemlich durchlöchert.

    „Los! Trag mich!" Auf seinen Teppich einpeitschend, nimmt Arda die Verfolgung von Leila auf.

    Über der Stadt Kashgar, am westlichen Rand der Wüste Takla Makan, stoßen die nördliche und die südliche Route der Alten Seidenstraße zusammen. Und genau da stoßen auch Leila und Arda zusammen. Leilas Pferd wiehert erschrocken und bäumt sich auf. Leila hat Mühe, sich auf seinem Rücken zu halten, und Arda purzelt beinahe von seinem Teppich.

    Leila empört sich: „Kannst du nicht aufpassen!? Bei dem bisschen Verkehr! Anfänger! Sonntagsflieger! Hättest mal sehen sollen, was hier vor achthundert Jahren los war!"

    Arda rückt seinen Turban zurecht und schnauzt: „Rechts hat Vorfahrt, Alte!"

    „Ach was. Links in Pakistan, rechts in Kirgistan, bis 1949 links in China, jetzt rechts, in Usbekistan seit ich weiß nicht wann rechts, wen kümmert's?"

    Nichts ist Leila anzumerken von der Angst, die ihr in die Knochen gefahren ist, als sie Arda erblickte, als sie Arda roch, als sich jede Faser ihres Körpers gegen Ardas Gegenwart sträubte. Sie rückt sich im Sattel zurecht und rümpft verächtlich die Nase. „Was machst du überhaupt hier, du erbärmliche Ausgeburt des Bösen! Mir nachstellen?!"

    Leila gibt dem Pferd mit den Fersen einen zarten Druck, zieht die Zügel an und macht sich bereit zum Landeflug auf Kashgar.

    „Nimm dich blof nicht fo wichtig! Ich!? Dir nachftellen!? Ich bin rein fufällig hier!"

    Ardas Zahn hämmert gegen seine Oberlippe. Wenn er unsicher wird, entgleiten ihm manchmal die Zischlaute.

    „Wie kommt es bloß, dass du so wenig respektgebietend wirkst, sobald du deinen Mund aufmachst? Übrigens hast du schrecklichen Mundgeruch."

    „Das ist der Hauch der Hölle!" Er reißt sein Maul auf und stößt seinen Höllenatem aus.

    Totenbleich sackt Leila in sich zusammen und kippt nach vorn. Kraftlos hängt sie über dem Pferdehals. Als sie wieder zu sich kommt, sieht sie bereits die Dächer von Kashgar. Auf ihr kluges, treues Pferd ist Verlass. Aber die Übelkeit wirkt noch nach. Ardas Vater, der ihr einst nachstellte, stank genauso. Als er damals vor langer Zeit endlich seine widerliche Buhlerei aufgeben musste, hat er Rache geschworen. Während das Pferd die alte Stadtmauer von Kashgar ansteuert, geht Leila die ganze Geschichte wieder durch den Sinn.

    Es gab schon einmal eine Kandidatin für ihre Nachfolge. Latifa, benannt vom Heiligen Orakel der Sandkörner, so wie Orkan heute. Sie wurde das Opfer von Ardas Vater Erim. Von höchster Stelle seines Ordens erhielt Erim den Befehl, Latifa unschädlich zu machen. Er war der Richtige für diesen Auftrag, gedemütigt, hasserfüllt und rachsüchtig, nachdem Leila ihn hatte abblitzen lassen.

    Erim raubte Latifa den Geruchssinn, und das war nicht alles. Durch sein Werben um Leila hatte er genug über die Itnanin gelernt, um Latifa vorzutäuschen, er sei einer von ihnen. In Gestalt eines schönen Jünglings verführte er das Mädchen, stahl ihre Unschuld, schwängerte sie – und verliebte sich in sie. Latifa gebar Arda und starb am Kindbettfieber. Bis heute machen die Shaitanin die Itnanin für ihren Tod verantwortlich und die Itnanin die Shaitanin.

    Erim aber war derart in wahrer Liebe zu Latifa entbrannt, diesem ersten weißen Wesen, das er in seinem Leben berührt hatte, dass er sich vor Kummer eigenhändig erdolchte. Auch hierbei sollen den Legenden nach die Itnanin ihre Finger im Spiel gehabt haben.

    „Diese Shaitanin stürzen sich ganz allein ins Unglück. Dazu brauchen sie uns nicht, murmelt Leila vor sich hin. „Aber Schluss jetzt mit den alten Geschichten. Konzentration!, ermahnt sie sich.

    Für den Zauber der verschobenen Zeiten braucht sie Gewürze vom Sonntagsmarkt in Kashgar. Und getrocknete Wildschweinnasen. Außerdem fünfzehn Milliliter Flusswasser vom Ufer des Tuman, von der Stelle, wo die Kamele getränkt werden, gemischt mit 0,968 Milliliter Kamelspucke. Leila denkt angestrengt nach. Sie besitzt kein Rezeptbuch, kein Notizbuch und auch keinen PC – obwohl Orkan ihr ständig in den Ohren liegt, sich einen dieser federleichten Laptops zu kaufen.

    „Für Vielflieger wie dich echt cool", meint er.

    Nichts von ihrem großen Wissen hat sie je aufgeschrieben, nicht sie und nicht ihre Vorfahren. Das Wissen der Itnanin ist so alt wie die Menschheit. Es niederzuschreiben würde es zunichte machen, denn was geschrieben steht, kann nicht geheim bleiben, und was nicht geheim bleibt, ist ungeschützt. Urheberrecht, Produktschutz, Patentrecht und so weiter – alles stümperhafte Versuche unwissender Krämerseelen.

    „Schon wieder schweife ich ab. Ich werde alt, jaja, alt."

    Sie sammelt sich.

    Die Kamelspucke muss von einer trächtigen, weniger als fünf Jahre alten Kamelstute stammen. Leila darf nichts vergessen, nichts durcheinanderbringen. Der Zauber der verschobenen Zeiten ist gefährlich. Lebensgefährlich.

    Auf einem einsamen Gelände vor den Toren von Kashgar lässt Leila ihr Pferd landen. Sie steigt ab, strafft ihren Rücken, und ordnet ihre Gewänder.

    Arda landet hinter einer nahen Mauer. Mit Mühe hat er es geschafft, auf seinem Teppich mit Leilas Pferd mitzuhalten. Als Zauberteppich funktioniert er einwandfrei. Bäuchlings auf ihm liegend, im Schneidersitz auf ihm sitzend oder mittig auf ihm stehend, führt Arda seine Zauberkunst aus. Und als Teppich der bösen Schritte leistet er Großartiges. In jedem, der einen Fuß auf ihn setzt, weckt er zerstörerische Kräfte: Hass, Wut, Niedergeschlagenheit, Verachtung, Gier, Neid, Verwirrung, Mordlust – was auch immer Arda wecken will. Ein Magierwerkzeug der Spitzenklasse! Aber als Flugobjekt ist er bestenfalls Mittelklasse.

    Arda macht sich daran, sich in den mächtigen Vogel Greif zu verwandeln. Flügel wie eine Boeing, aber noch schneller, Schnabel und Krallen stärker als Baggerschaufeln. Arda stellt sich auf seinen Teppich, schließt die Augen und murmelt ein Kauderwelsch aus chinesischen, uigurischen, türkischen, arabischen und salarischen Worten. Dann hält er zehn Minuten lang die Luft an. Nichts passiert.

    Zwar schon Großmeister der schwarzen Magie, Angehöriger des Ordens der Shaitanin, jedoch gerade mal einhundertzweiunddreißig Jahre alt, fehlt ihm die langjährige Praxis der Verwandlungen. Im Grunde seines schwarzen Herzens mag er Verwandlungen auch nicht. Schon sein Vater hatte kein Glück damit. Wozu sich wandeln? Man ist, wie man ist, basta. Aber wenn's denn sein muss, denkt er und hält weiter die Luft an. Er wird puterrot, dunkellila, blau. Endlich hört sein Herz auf zu schlagen. Nase und Mund einschließlich des Stalagmiten-Zahns wachsen zusammen und ziehen sich zu einem spitzen Schnabel in die Länge. Der Bauch schwillt an, die Gewänder platzen, die Beine schrumpfen, die Füße

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