Manchmal Liebe: Erzählungen
Von Fee Grupe
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Über dieses E-Book
Manchmal Liebe besteht aus zwölf Erzählungen, die alle von verschiedenen Formen der Liebe und Beziehungen handeln. Verbunden werden sie durch die Figuren, die immer wieder auftauchen, aber in keinem zeitlichen Verhältnis zueinander stehen, und deren Streben nach Selbstbestimmung und Freiheit.
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Buchvorschau
Manchmal Liebe - Fee Grupe
1
Das erste Kind
Auf dem Foto sitzen sie zusammen auf dem Sofa. Martha hält den Telefonhörer in der Hand, aber vermutlich telefoniert sie nicht wirklich. Ida und Margot schauen zu ihr herüber. Beide tragen Kopfschmuck mit Federn. Sie erinnern sich nicht an diese Szene. Keine von ihnen erinnert sich, obwohl Margot damals schon acht oder neun gewesen sein muss.
Als Margot geboren wird, ist ihre Mutter zwanzig Jahre alt und Studentin. Ihre Noten sind so gut, dass sie ein Stipendium erhält. Sie bezahlt die Miete immer pünktlich und reicht Hausarbeiten und Essays lange vor der Abgabefrist ein. Sie war noch nie so betrunken, dass sie am nächsten Morgen Kopfschmerzen gehabt hätte. Sie ist nur weniger als fünf mal in ihrem Leben zu spät gekommen. Die Bücher stehen in alphabetischer Reihenfolge in ihrem Regal. Inga ist fleißig, organisiert und diszipliniert, steht auf dem Zeugnis, das ihr die Bibliothek nach ihrem Praktikum ausgestellt hat. Seit Kurzem hat Inga etwas mit Alex. Sie haben keine wirkliche Beziehung, zumindest nicht nach Ingas Maßstäben. Zwei mal in der Woche essen sie zusammen in Ingas kleinem Studentenzimmer zu Abend. Danach schlafen sie miteinander. Manchmal bleibt Alex bis zum nächsten Morgen, manchmal nicht. Das hängt von seinen Arbeitszeiten ab. Er hat einen Job in einem Lager. Keinen Job, um sein Studium zu finanzieren. Keinen Job, bei dem er davon ausgeht, ihn nur jetzt auszuführen und später nicht mehr, dessen Ende absehbar ist. Seit sie Alex kennt, nimmt Inga die Pille. Sie nimmt sie widerwillig und unregelmäßig. Warum nimmt sie sie unregelmäßig?
Sie macht den Test am elften Oktober. Ihre Brüste fühlen sich anders an, ihre Brustwarzen unangenehm sensibel. Seit zwei Tagen spürt sie eine leichte Übelkeit und ein Ziehen im Unterleib. Es ist nicht der erste Schwangerschaftstest, den sie macht. Damals war sie sich sicher, schwanger zu sein, heute ist sie es nicht. Fast geht sie vom Gegenteil aus. Das Ergebnis ist nicht sofort sichtbar. Und während Inga darauf wartet, dass es erscheint, wäscht sie sich die Hände und putzt die Zähne. Sie denkt an den Tag. Am Vormittag hat sie eine Vorlesung und ein Seminar, danach möchte sie einkaufen gehen. Sie braucht Butter und Reis, vielleicht kauft sie Tomaten. Ihr Blick fällt auf den Test, der neben der Toilette auf dem Boden liegt. Geldverschwendung, denkt Inga, während sie ihn aufhebt. Sie wirft einen flüchtigen Blick darauf, realisiert erst langsam, was sie gesehen hat, hält inne, schaut noch mal. Fassungslosigkeit. Zuerst ist sie fassungslos, dann wird sie von einer unbändigen Freude überwältigt, dann von Panik. Zwanzig Jahre alt, Studentin, ein Kind.
Sie kauft noch einen Test von einer anderen Marke, den sie am nächsten Morgen machen will. Aber sie hält es nicht aus und macht ihn noch am selben Abend. Zwei Striche.
Wenn Alex sie besucht, nimmt er manchmal seinen Laptop mit. Inga hasst das. Und noch mehr hasst sie es, dass er auf den Bildschirm starrt und überlegt, ob er lieber die blauen oder die schwarzen Unterhosen bestellen soll, während sie ihm etwas erzählen will. Erzählen muss.
Ich muss dir etwas erzählen, sagt sie.
Was denn, fragt Alex, ohne sie anzusehen.
Sie wartet, bis er den Blick auf sie richtet, aber er wendet ihn nicht vom Bildschirm ab.
Es ist wichtig, sagt Inga.
Dann erzähl es mir.
Wenn er wüsste, denkt sie und steht auf. Sie geht an ihm vorbei zum Fenster. Sie holt Luft, um nicht zu weinen. Warum muss sie jetzt weinen? Langsam atmet sie aus, wieder ein.
Alex fragt: Blau oder schwarz?
Ich bin schwanger, sagt Inga.
Da sieht er sie endlich an, ungläubig. Und als sei es ein Fremdwort, das er zum ersten Mal hört, wiederholt er: Schwanger?
Ja.
Alex freut sich. Später wird er sich Sorgen machen. Aber in diesem Moment freut er sich, bedingungslos, ohne Zweifel. Er steht auf und nimmt Inga in den Arm. Hält sie ein Stück von sich weg, um ihr lächelnd ins Gesicht sehen zu können. Drückt sie an sich. Schaut sie wieder an. Dann beugt er sich herunter und küsst ihren Bauch.
Unser Baby, flüstert er und da wird Inga ganz warm und sie fühlt sich so aufgeregt wie als Kind vor Weihnachten.
Sie kennen die Geschichte. Margot, Ida und Martha kennen die Geschichte. Inga hat ihnen erzählt, wie sie zum Arzt gegangen und einen Ultraschalltermin ausgemacht hat. Sie hat von der Sprechstundenhilfe erzählt, die gesagt hat: Danach geht alles ganz schnell.
Die Schwangerschaft, hat Inga unsicher gefragt.
Da ist die Sprechstundenhilfe ein wenig rot geworden und hat gestammelt: Ich meine, wenn du das Baby nicht haben willst, dann erledigen wir das ganz schnell.
Doch natürlich wollte Inga das Baby haben.
Natürlich wollte ich dich haben, sagt sie jedes Mal an dieser Stelle, zieht Margot zu sich heran und gibt ihr einen Kuss. Und dann küsst sie auch Ida und Martha, deren Geschichten niemand kennt, weil sie keine wirklichen Geschichten haben. Inga und Alex wollten ein Geschwisterchen für Margot. Und dann wollten sie noch ein Kind haben. Inga hat die Pille nicht genommen. Sie hat sie nicht unregelmäßig genommen, sondern gar nicht und innerhalb von wenigen Monaten war sie schwanger. Man könnte aus der Erinnerung eine Geschichte machen. Inga könnte von dem positiven Schwangerschaftstest erzählen, von der Freude, dem Ultraschall, der Fahrt ins Krankenhaus. Als Margot geboren wurde, riefen sie ein Taxi. Inga sagte, es sei nicht nötig, sie könnten den Bus nehmen. Doch Alex bestand darauf. Es war das erste Mal, dass sie mit dem Taxi fuhren. Und der Taxifahrer schaute immer wieder panisch in den Rückspiegel.
Vielleicht hat er später seiner Frau davon erzählt. Vielleicht hat er gesagt: Fast hätte heute ein Mädchen ihr Kind in meinem Taxi bekommen.
Er hat bewusst Mädchen und nicht Frau gesagt, weil Inga mit zwanzig so jung aussah, dass sie von der Sprechstundenhilfe beim Arzt geduzt wurde. Sie sagt: Die Leute haben mich angestarrt, wenn ich mit meinem riesigen Schwangerschaftsbauch über die Straße ging. Und wenn ich Margot im Tragetuch mit zur Uni genommen habe. Es war skandalös.
Sie sagt das nicht ohne einen gewissen Stolz. Als Ida geboren wird, ist Margot schon fünf. Martha folgt ein Jahr später. Auf dem Foto sitzen sie zusammen auf dem Sofa. Martha hält den Telefonhörer in der Hand, aber vermutlich telefoniert sie