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Das Evangelium der Junia: Ein Kriminalfall im Nahen Osten
Das Evangelium der Junia: Ein Kriminalfall im Nahen Osten
Das Evangelium der Junia: Ein Kriminalfall im Nahen Osten
eBook433 Seiten6 Stunden

Das Evangelium der Junia: Ein Kriminalfall im Nahen Osten

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Über dieses E-Book

Ein alter Lehrer findet ein altes Manuskript, angeblich ein apokryphes Evangelium, das viele Jahre vor den biblischen Evangelien verfasst wurde, und zwar von einer Frau aus dem Kreis der Apostel. Ist es echt oder eine geniale Fälschung?
Der Finder geht in den Nahen Osten, um die Übersetzung vor Ort zu ergänzen und zu überprüfen. Kontakte zu Israelis und Palästinensern lassen die Aktualität des Textes in ungeahnter Weise erleben. Der alte Lehrer erlebt den grausamen Alltag des Nahen Ostens.
Fundamentalisten aller Couleur wollen verhindern, dass dieser Text veröffentlicht wird. Mehrere Menschen werden umgebracht, weil man versucht, alle zum Schweigen zu bringen, die das Manuskript kennen könnten. Doch das Evangelium wird veröffentlicht.
Darin wird Jesus als normaler Mensch erlebt, der sich von Gott beauftragt gesehen hat als Knecht Gottes. Er war verheiratet und hat auch Frauen als Apostel berufen. Er war bereit, mit den Menschen und für die Menschen zu leiden, bis zum Tod. Aber die Sache Jesu ging und geht weiter. Denn Jesus lebt.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum21. Dez. 2017
ISBN9783743985049
Das Evangelium der Junia: Ein Kriminalfall im Nahen Osten

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    Buchvorschau

    Das Evangelium der Junia - Jonathan Peter Hamoudi

    Die Entdeckung des Evangeliums

    1. Kapitel: Das Manuskript des Fluchs

    Dr. Matthias Achtnich, ein gebildeter Mann und kritischer Zeitgenosse, Doktor der Philologie und Lateinlehrer im Ruhestand, hielt sich für so aufgeklärt, dass er Vorstellungen von Teufeln und Dämonen, von Besessenheit und Visionen strikt ablehnte. Nach langen Jahren als Lehrer an einem Gymnasium wusste er mit Sicherheit, dass der Fluch eines Pharao oder der Segen eines Abraham in der heutigen Zeit nichts bedeuten und nichts bewirken konnte. Das wusste er, bis er eben wieder einmal auf einen alten Text stieß.

    "Seit einigen Monaten lebte Junia, die Apostelin, nun in Kefarnahum in der Nähe ihrer Kinder, die inzwischen erwachsen waren und sie schon dreimal zur Großmutter gemacht hatten. Sie war dort inzwischen eine Stütze der christlichen Gemeinde, leitete oft den Gottesdienst und wurde immer wieder gebeten, aus dem Schatz ihrer Erinnerungen an Jeschua den Messias, den lebendigen Knecht Gottes, zu erzählen. Und deshalb war es für sie selbstverständlich gewesen, alles festzuhalten für den Apostel Paulus.

    Junia war mehrere Monate damit beschäftigt gewesen, die Berichte zusammenzustellen, mit ihren eigenen Erinnerungen zu vergleichen, mit Brüdern und Schwestern zu besprechen, bis dann die ganze Geschichte des Jeschua von Nazareth auf den Papyrusblättern stand, so wie sie sich nach

    ihrer Erinnerung abgespielt hatte. Es war nicht billig gewesen, dem Schreiber Epaphroditus einen so langen Text zu diktieren.

    Jetzt erst konnten wir, Schuschanna und ich, Elischabeth, uns mit ihr auf den Weg machen, um den Apostel Paulus in Jerusalem zu treffen. Die Reise von Kefarnahum bis Jericho war mühsam, aber in vier Tagen geschafft. Wir wollten dann noch einen Umweg über Bethlehem machen, denn Schuschanna, die mit Junia und mir unterwegs war, wollte dort ihren Bruder besuchen.

    Wir blieben also eine Nacht in Bethlehem. Es war dann am Morgen des Ostersonntags im dritten Jahre des Kaisers Nero, als wir uns von Bethlehem aus auf den Weg nach Jeruschalajim machten.

    Doch beim Grab der Rahel sollte unsere Reise grausam beendet werden, ohne dass wir den Apostel Paulus treffen konnten.

    Junia hatte gerade zu mi zu mir gesagt: „Liebe Elischabeth, du bist ja noch jung. Ich bin schon alt. Ich bin ein wenig müde. Lass uns doch im Schatten des Grabmals ein wenig rasten."

    Wir hatten uns gerade hingesetzt und ein Stück Brot ausgepackt. Da kamen zwei Männer auf schnellen Pferden herangeritten. Ohne ein Wort zu sagen, griffen sie uns an. Es waren sicher Räuber. Vermuteten sie, wir Frauen mit unserer guten Kleidung hätten Schätze bei uns? Oder hatte sich Junia schon bei wichtigen Männern in Jerusalem unbeliebt gemacht, als sie anfing, Nachrichten über Jeschua zu sammeln, um den Bericht über Jeschua zu schreiben?

    Wir zwei, Schuschanna und ich, konnten uns hinter einem Felsen beim Grabmal verstecken, aber Junia kam nur bis zum Vorraum des Heiligtums; es gelang ihr gerade noch, die Kupferdose mit dem Papyrus in eine Ritze im Boden zu schieben. Da waren die Männer schon über ihr, sie schlugen sie nieder und durchsuchten sie, sogar ihren toten Körper tasteten sie ab, aber offenbar fanden sie nichts Wertvolles bei ihr - die Kupferdose mit dem Papyrus war inzwischen vom Staub bedeckt.

    Wir beiden liefen dann ganz schnell davon, voll Angst, selber getötet zu werden. Wir gingen nach Jerusalem, um den Brüdern und Schwestern vom Tod der Schwester zu berichten.

    Inzwischen hatten reisende Kaufleute den Leichnam entdeckt und die tote Junia zuerst nach Bethlehem und dann nach Jerusalem gebracht.

    Am Abend trafen einige Jünger des Herrn im Haus der alten Maria, der Mutter unseres Herrn, ein. Auch der Apostel Jakobus, der Bruder des Herrn, war dabei. Viele weinten mit uns. Wir beteten für Junia und dankten dem Herrn dafür, dass sie ihm mit ihren Gaben so treu gedient hatte. Besonders traurig war natürlich Simon Petrus, der nicht nur eine Mitapostelin, sondern seine geliebte Jochgenossin verloren hatte.

    Jakobus aber sprach mit ernster Miene: „Liebe Schwestern und Brüder, irret euch nicht. Gott lässt sich nicht spotten. Junia wollte die gute Ordnung Gottes zerstören. Uns Männer hat der Herr berufen und gesandt. Sie hat sich erdreistet und wollte selber Gemeinden führen und predigen. Sie wollte sogar ihre Erinnerungen aufschreiben, was wir so nicht annehmen konnten. Nun hat Gottes Urteil sie getroffen. Der Bericht, von dem sie geredet hat, ist verschwunden; er war nicht bei ihr. Er muss auch verschwunden bleiben, für immer! Der Herr verfluche den Menschen, der versuchen sollte, einen solchen Bericht zu behalten oder weiterzugeben! Ein solcher Mensch soll dem Satan übergeben werden, zu ewigem Verderben!"

    Schuschanna hielt sich die Hand vor den Mund, als sie das hörte. Woher wusste Jakobus, dass die Mörder den Bericht nicht gefunden hatten? Wie konnte er vermuten, dass Junia das Manuskript bei sich hatte?

    Mir ging es ähnlich. Ich fürchtete mich vor Jakobus und seinen Helfern. Voller Entsetzen standen wir auf, Schuschanna und ich, und verließen die Versammlung weinend.

    Nie wieder haben wir von unserer Schwester Junia und ihrem Bericht gehört. Die Kupferdose mit der Schriftrolle blieb verschwunden. Der Apostel Jakobus war zufrieden. Doch der Apostel Paulus wartete bis zu seinem Tod vergeblich auf die Erinnerungen der Junia.

    Der Fluch des Jakobus – war das eine der vielen Legenden aus der Anfangszeit der christlichen Kirche oder eine der zahllosen Fälschungen des Mittelalters?

    Dr. Achtnich glaubte selbstverständlich nicht an einen solchen Fluch. Wie sollte ein solcher Satz nach Jahrtausenden Wirkung zeigen, gleichgültig, ob er von einem Apostel oder einem Pharao oder einem Priester des Altertums stammte? Und doch, Jahre später, als das alte Dokument (oder eine Fälschung?) aufgetaucht war, als im Zusammenhang mit diesem Manuskript Morddrohungen ausgesprochen wurden, und mehr noch, als mindestens sechs Menschen zu Tode gekommen waren, da war es für Matthias Achtnich mit der Ruhe dahin. Sollte doch etwas dran sein an dem alten Fluch? Aber das war, wie gesagt, Jahre später. Damals war es nur wissenschaftliches Interesse, was ihn bewegte.

    Im Herbst 2004 fand sich in der Zeitschrift für Studien des Neuen Testaments (StNT) ein Artikel, der sich mit dem alten Manuskript beschäftigte, in dem vom Tod einer Apostelin Junia die Rede war. Der Artikel fiel Dr. Matthias Achtnich auf, denn ausgerechnet diesen Text hatte Achtnich als junger Student an einem Seminar zu spätgriechischen Texten lesen und übersetzen müssen. Das war zu Beginn der Sechzigerjahre. Achtnich hatte ein Jahr vorher in Heidelberg sein Studium begonnen, Altphilologie und damals noch Evangelische Theologie. Der Theologie hatte er dann bald den Rücken gekehrt. Es gab einfach zu viele Fragen und Zweifel.

    Der Papyrus war kurz zuvor aufgetaucht, auf dunklen Kanälen in eine Versteigerung geraten. Und jetzt war dieser apokryphe Text wieder aus der Versenkung aufgetaucht. Und mit ihm der Fluch des Apostels Jakobus!

    Das Manuskript hatte inzwischen die wissenschaftliche Bezeichnung TAe III B 21 erhalten. Man musste ja dem Ding einen Namen geben. Sicher verwahrt liegt es in Münster im Institut für Neutestamentliche Textforschung, jahrelang war es nicht beachtet worden. Dieses Institut hat Kopien von nahezu allen Handschriften des Neuen Testaments, aber auch von den übrigen Texten aus jener Zeit, die nicht in die offizielle Liste der autorisierten Bibel aufgenommen worden waren.

    Der Artikel, der jetzt veröffentlicht wurde (StNT 2004, S. 218ff.), stammte von Dr. Martin Kuhn, einem jüdischen Historiker. Auch in seinen Augen war diese Mitteilung historisch absolut wertlos. Sie ließe höchstens etwas über Legenden und Vorstellungen des 5. oder 6. nachchristlichen Jahrhunderts erkennen. Hintergrund sei, so Professor Kuhn, die wachsende Feindschaft der offiziellen Kirche gegenüber den Juden und auch gegenüber den Judenchristen, die die Verbindung zu den Synagogengemeinden nicht aufgeben wollten.

    Achtnich hatte dem Autor geschrieben und gefragt, ob er denn tatsächlich davon überzeugt sei, dass hinter dieser „Legende" keine historische Erinnerung stecke. Ob nicht doch eine Frau in der Anfangszeit des Christentums ein Evangelium geschrieben habe. Aber er hatte keine Antwort erhalten.

    2. Der Fund des Manuskripts

    Dr. Matthias Achtnich hatte vor seiner Pensionierung an einem Gymnasium in Nürnberg vor allem Latein unterrichtet und für dein paar ganz Eifrige auch eine Arbeitsgemeinschaft für Griechisch eingerichtet. Jetzt hatte er viel Zeit. So fuhr er mit seiner Frau im Jahr 2005 auf eine Studien- und Pilgerreise ins Heilige Land, nicht zum ersten Mal. Den Artikel und seine Anfrage nahm er mit. Es könnte ja sein, dass er mit dem alten Professor in Jerusalem Kontakt aufnehmen könnte.

    Es waren meist Lehrer und Lehrerinnen im Ruhestand, zwei alte Pfarrer und ein paar ältere Fräuleins, die sich für diese Studien- und Pilgerreise angemeldet hatten. Diesmal wollte er auch wieder das Rahelgrab besuchen, die legendäre Grabstätte der Lieblingsfrau des Patriarchen Jakob. Von diesem Ort war ja in dem alten Manuskript die Rede. Deshalb schlug er vor:

    „Könnten wir nicht mit dem Bus nach Bethlehem fahren? Wir sollten doch auch die Geburtskirche und die Hirtenfelder besuchen. Und auf dem Markt in Bethlehem könnten wir noch ein paar Andenken kaufen, eine Krippe oder ein Palästinensertuch. Was meint ihr?"

    Achtnich wollte sich dann selbständig machen und zum Rahelgrab laufen.

    Bevor die anderen Mitglieder der Reisegruppe antworten konnten, entschied der israelische Reiseleiter: „Es ist heute zu gefährlich, nach Bethlehem hinaus zu fahren. Wir müssten damit rechnen, dass die Palästinenser wieder Steine werfen oder gar Molotow-Cocktails, wie vor einigen Monaten. Ich übernehme nicht die Verantwortung für einen solchen Ausflug. Wir bleiben bei unserem ursprünglichen Programm und besuchen die Holocaust-Gedenkstätte Jad Vashem."

    Achtnich kümmerte sich nicht um diese Warnung, sondern setzte sich von der Reisegruppe nach dem Mittagessen für den Nachmittag ab, um mit dem Bus Richtung Bethlehem zu fahren. Seine Frau verstand ihn gut. Sie kannte ihn und wusste, dass er immer wieder ein paar Stunden oder Tage allein sein wollte. Sie blieb bei der Gruppe, die Jad Vashem, die Gedenkstätte in Jerusalem besuchte.

    Es fiel ihm nicht leicht, das Rahelgrab zu finden, obwohl er es doch kannte. Er wusste, es liegt an der Straße von Jerusalem nach Bethlehem. Schließlich stand er vor dem, was noch übrig war von dem Grabmal. Es hatte schon wochenlang nicht mehr geregnet. Deshalb war nicht nur die Straße voller Staub, sondern auch das Gelände rechts und links von der Straße war nur eine graubraune Wüste mit ein paar vertrockneten Gräsern. Ein paar einsame Büsche und ein oder zwei Bäume kümmerten traurig vor sich hin. Und mittendrin das Rahelgrab. Aber was er vorfand, war kein altes Heiligtum, sondern nur eine Ruine, vergessen, verlassen.

    Als der Lehrer die Kapelle im Jahr 1996 zum ersten Mal besucht hatte, da war es ein kleines fast quadratisches Häuschen, keine zehn Meter Seitenlänge, mit einer zu hohen Kuppel; davor ein Vorraum, zu dem fünf Stufen hinauf führten. Nur zwei winzige Fenster erhellten diesen Vorraum notdürftig. Damals waren jüdische und muslimische Frauen dorthin gepilgert, wenn ihr Kinderwunsch nicht in Erfüllung ging. Doch jetzt war diese uralte Grabstätte wieder einmal zerstört. Das kleine Gebäude war seit dem 4. Jahrhundert bekannt, immer wieder war es zerstört worden, immer wieder wurde es aufgebaut.

    Langsam ging er um die Reste der Kapelle herum und stieg über die Trümmer, traurig und empört über diese sinnlose Zerstörung.

    Die Gedenkstätte selbst war ganz in Trümmern; nur vom Vorraum standen noch Mauerreste. Er stieg über die Reste des Türrahmens in den kleinen Raum, wo man früher die Schuhe abgestellt hatte. Da entdeckte er, dass in der hinteren Ecke eine Steinplatte des Bodens zerbrochen war. Ein wenig schief lagen die Stücke im Staub und gaben den Blick in eine kleine dunkle Gruft frei. Darunter war nicht das Grab der Rahel, sondern eine winzige Kammer, kaum einen halben Quadratmeter Grundfläche und höchstens 30 cm tief. Da waren wohl ursprünglich, vor langer Zeit, nach jüdischem Brauch alte Handschriften bestattet worden, die unbrauchbar geworden waren. Oder waren es Erinnerungsstücke an einen muslimischen Lehrer, der hier verehrt wurde?

    Vorsichtig schob er die zerbrochene Platte ein wenig beiseite. Wäre es nicht herrlich, irgendetwas Altes hier zu finden, wie es schon immer sein Traum gewesen war? Vielleicht hatten die Archäologen oder die Grabräuber ein Fetzelchen eines Manuskripts oder eine kleine Tonscherbe oder eine alte Münze übersehen. Aber er fand nur Dreck und Sand in der kleinen Nische. Mit bloßen Händen holte er den Staub der Jahrhunderte heraus. Inzwischen war er selber voller Staub, auch seine Kleider, Hemd und Hose und Sandalen, alles war voller Dreck.

    Natürlich schien die Kammer leer. Trotzdem ließ er nicht locker. Er kniete nieder und wühlte im Staub, bis die Fugen der Steine überall zu sehen waren. Es war ja niemand in der Nähe, der unangenehme Fragen gestellt hätte. Die israelischen Soldaten waren heute weit weg, ausnahmsweise.

    Da plötzlich war er wie elektrisiert: An einer Stelle hinten in der Ecke war ein Stein etwas höher als die anderen, kaum einen Zentimeter. Er passte nicht ganz. Der Stein ließ sich herausnehmen, mit Hilfe des Hotelschlüssels. Und darunter war ein kleines Versteck, Platz für einen kleinen Schatz.

    Da lag doch tatsächlich eine schmale Dose aus Kupferblech, versiegelt und fest verschlossen, geschützt durch Staub und Dreck. Er schaute den Fund voller Ehrfurcht an. Sollte diese Dose tatsächlich alt sein oder hatte sich jemand einen Scherz erlaubt? Hatte dieser Gegenstand Jahrhunderte und Kriege und Grabschändungen heil überstanden? Übersehen. Vergessen. Versteckt im Staub. Niemand war in der Nähe, als Dr. Achtnich den Fund nun in aller Eile unter sein Unterhemd schob. Sein buntes Hemd ließ er jetzt locker über den Gürtel hängen.

    Natürlich hätte er das nicht tun dürfen. Er wusste, dass es streng verboten war, irgendwelche alten Gegenstände einfach mitzunehmen. War er jetzt auch ein Grabräuber? Aber die Versuchung war zu groß. Das war doch schon immer sein Traum gewesen, ein altes Manuskript zu finden, möglichst einen unbekannten Text. Was mochte diese Kupferdose enthalten?

    Er klopfte sich den Staub von den Kleidern, so gut es ging, und wanderte dann zu Fuß wieder nach Bethlehem zurück, gemächlich, um sich zu beruhigen

    Erst im Hotelzimmer – wie üblich wohnte die Gruppe im arabischen Teil von Jerusalem im Hotel Capitol in der Nähe des Herodestores - traute er sich, den Fund genauer zu betrachten. Er hatte das Zimmer abgeschlossen, die Vorhänge zugezogen und am Empfang gesagt, er wolle nicht gestört werden, nach dem anstrengenden Tag. Seine Frau war mit der Gruppe immer noch unterwegs in Jerusalem oder vielleicht schon irgendwo beim Abendessen.

    Dem alten Lehrer zitterten ein wenig die Hände, als er sich daran machte, die Dose anzuschauen. Der Puls ging erheblich schneller, schon fast bedrohlich. Aber das hatte wohl nichts mit seinem etwas überhöhten Blutdruck zu tun.

    Die Kupferdose war tatsächlich noch heil und fast unbeschädigt, nur ein wenig zusammengedrückt, voller Grünspan und Dreck, aber noch immer dicht verschlossen.

    Achtnich wagte es, ganz vorsichtig die Kupferdose zu öffnen. Behutsam reinigte er die Kapsel und lockerte mit einer Nadel zuerst und dann mit einem kleinen Obstmesser den Deckel von der eigentlichen Dose. Langsam zog er die beiden Teile auseinander, um sie ja nicht zu beschädigen. Eine Schriftrolle aus Papyrus fand er, etwa 12 cm hoch, in sehr gutem Zustand, eng beschrieben mit etwa 8 cm breiten Spalten, mit griechischen Großbuchstaben, ohne Trennung von Wörtern, ohne Punkt und Komma, ohne Satzzeichen.

    Ganz gespannt entzifferte er die Titelzeilen:

    ΑΝΑΜΝΗΣΕΙΣΤΟ ΥΙΗΣΟ ΥΑΓΕΓΡΑΜ ΜΕΝΕΙΣ ΥΠΟΙΟ ΥΝΙΑΙΟΑΝΝΑΜΑ ΘΗ ΤΡΙΑΚΑΙΑΠΟΣΤΟΛΗΤΟΥΜΕΣΣΙΑΙΗ ΣΟΥΑΤΩΠΑΥΛΟΣΥΝΑΠΟΣΤΟΛΟ·

    Es war mühsam genug, diese Buchstabenreihe zu verstehen und zu übersetzen. Wie lange war es her, seit er das versucht hatte. Aber es gelang ihm doch. Und nach etwa zwei Stunden hatte er das Ergebnis vor sich auf ein Blatt Papier notiert, die Übersetzung der ersten paar Zeilen, nach mehreren Versuchen nun ohne durchgestrichene und korrigierte Wörter:

    Erinnerungen an Jeschua, wie es Junia Johanna, Jüngerin und Apostelin des Maschiach Jeschua aufgeschrieben hat, für Paulus, den Mitapostel.

    Du hattest mich gebeten, lieber Bruder Paulus, für dich aufzuschreiben, was ich noch von dem weiß, was unser Freund und Rabbi Jeschua von Nazareth gesagt und getan hat. Als wir damals in Antiochia in Syrien im Gefängnis waren mit Andronikus, unserem Freund und Mitbruder im Apostelamt, hatten wir viele Tage Zeit, darüber zu reden, was Jeschua getan und gesagt hat.

    Dr. Achtnich kam ins Grübeln und Zweifeln: Sollte es eine Apostelin Junia oder Johanna gegeben haben, die ihre Erinnerungen an Jesus, also eine Art Evangelium, aufgeschrieben hat? Er war so gut wie sicher, dass der Text diesen Eindruck erwecken wollte. Deshalb war er unheimlich aufgeregt und wollte endlich wissen, was diese Junia geschrieben hat.

    Aber zuerst einmal verschloss er das Manuskript wieder in der Kupferdose, denn er durfte doch nicht einfach diesen Fund für sich behalten. Er versteckte den Schatz zwischen seinen verschwitzten Hemden und den dreckigen Hosen und wartete darauf, dass die Gruppe ins Hotel zurückkäme.

    Was sollte er seiner Frau sagen? Sollte er sie einweihen und ihre Vorwürfe in Kauf nehmen? Sollte er es verschweigen und so tun, als sei es in Bethlehem langweilig und trostlos gewesen?

    Er blieb im Hotelzimmer sitzen, versuchte in einem Buch zu lesen, das über die Archäologie der biblischen Welt informierte, aber es gelang ihm nicht, sich zu konzentrieren. Auf einen gemeinsamen Abend bei einem Glas Karmelwein mit der Reisegruppe hatte er auch keine Lust.

    Als dann am späten Abend seine Frau Angelika, Ärztin im Ruhestand, nach oben kam, begrüßte er sie herzlich. Sie schaute ihn kritisch an, offenbar war er immer noch blass und irgendwie abwesend.

    „Sag mal, Matthias, ist irgendetwas passiert in Bethlehem? Du bist so anders. Geht es dir nicht gut?"

    Natürlich musste sie unbedingt seinen Puls fühlen und seinen Blutdruck messen. Nein, die Stirn war nicht heiß, die Hände waren trocken wie auch sonst.

    „Gab es irgendwelche Zwischenfälle heute Nachmittag? Ich mache mir Sorgen! Sie ließ nicht locker. Aber Matthias Achtnich brummelte nur: „Es ist schon alles in Ordnung; vielleicht war der Kaffee zu stark, den ich in Bethlehem getrunken habe. Oder es war zu heiß dort.

    Die Spannung ließ sich den ganzen Abend über nicht ausräumen, denn Matthias Achtnich war nicht oder noch nicht bereit, mit seiner Frau über den Fund zu reden.

    Die restlichen zwei Tage der Studienreise hindurch hatte er Angst, er könnte das alte Stück verlieren, oder es könnte jemand in das Hotelzimmer eindringen. Deshalb hatte er die Rolle mit seinem Restgeld im Safe in seinem Hotelzimmer eingeschlossen. Doch er war immer in Sorge, seine Frau oder sonst jemand aus der Gruppe könnte unangenehme Fragen stellen.

    Für die anderen Mitglieder der Reisegruppe war er kaum ansprechbar Die wunderten sich nur, wie wenig Begeiste-rung er entwickelte in Jerusalem und in Jericho. Der Mitreisende auf dem Sitz neben ihm im Bus, ein Arzt aus Fürth, fragte ihn auf der Fahrt nach Qumran: „Sag mal, du bist so anders geworden. Geht es dir nicht gut? Bist du krank? Hast du etwas Falsches gegessen oder irgendeinen Saft getrunken? Oder hast du dich in eine Palästinenserin verliebt?"

    Dr. Achtnich beruhigte ihn: „Ich bin nur etwas müde von der Hitze, aber sonst geht es mir gut, sehr gut sogar."

    Daraufhin ließ er ihn in Ruhe. Die anderen Mitreisenden auch.

    Er konnte sich kaum noch erinnern, welche heiligen Stätten sie noch besuchten. Das spielte für ihn auch kaum noch eine Rolle.

    Der alte Lehrer hatte vorher schon geplant, nicht mit der Reisegruppe nach Deutschland zurück zu fahren, sondern noch eine Woche im Heiligen Land zu bleiben, allein. Das war auch mit seiner Frau und seinen Kindern so abgespro-chen worden. So hatte er Zeit und die nötige Ruhe, um den Fund genauer anzuschauen.

    Achtnich fragte sich jetzt natürlich: Sollte die merkwürdige Notiz, die bislang als absolut unglaubwürdige Legende abgetan worden war, doch irgendwie stimmen? Natürlich interessierte ihn das alte Manuskript, aber musste er den Fluch des Jakobus ernst nehmen? Der alte Lehrer lehnte jeden Aberglauben ab, und so lachte er nur leise vor sich hin: „Was soll ein derartiger Quatsch: Unheilsprophetie, Verfluchung! Und die soll noch nach Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden noch Wirkung zeigen? Undenkbar!".

    3. Das Manuskript wird entziffert

    Als seine Frau mit der Gruppe abgereist war, machte er sich an die Arbeit. Zeile um Zeile übertrug er die ersten Spalten des griechischen Textes. Oft hatte er Mühe, in der Buchstabenschlange vernünftige Wörter zu entdecken. Und die dann zu verstehen und zu übersetzen. Dieser erste Entwurf einer Übersetzung hatte sicher einige Fehler; manchmal waren es nur Vermutungen, die er niederschrieb. Er übersetzte, so gut es eben ging.

    Bald wurde ihm klar, dass er es in den paar Tagen, die ihm in Jerusalem blieben, nie schaffen würde, den ganzen Text zu übertragen.

    Außerdem fehlten Fachbücher, Wörterbücher und Grammatiken; doch er traute sich nicht, mit dem Fund in eine Bibliothek zu gehen oder gar das Deutsche Evangelische Institut für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes um Hilfe zu bitten.

    Oft stieß er auf unbekannte, vermutlich aramäische oder hebräische Wörter, manchmal in griechischer Umschrift, manchmal mit hebräischen Buchstaben, oder er stolperte über merkwürdige Abkürzungen oder Symbole, die ihm unbekannt waren. Die Namen folgten nicht der bekannten griechischen Fassung oder der Vulgata-Tradition, sondern wurden in einer aramäischen Fassung wiedergegeben, manchmal mit griechischen, selten mit hebräischen Buchstaben. Das war ihm sehr schnell aufgefallen.

    Achtnich versuchte zu verstehen, was er las; der Text machte ihn immer neugieriger. Er freute sich darauf, das ganze Evangelium vor sich zu haben.

    Aber er kam einfach nicht weiter. So begnügte er sich damit, den ganzen Text des Manuskripts zusammen mit der vorläufigen Übersetzung der ersten Spalten in der deutschen Botschaft zu scannen und verschlüsselt an eine neue e-mail-Adresse zu senden.

    Der Lehrer wollte alles zunächst einmal unter Verschluss halten. Er war ja immer noch voller Zweifel, ob diese paar Seiten alt und echt waren.

    Trotzdem faszinierte ihn der Inhalt. Sollte das tatsächlich die Wahrheit sein? So schnell konnte er als Philologe seine Bedenken nicht wegschieben.

    Er las noch einmal die paar Seiten des Textes, die er übertragen hatte:

    ΑΝΑΜΝΗΣΕΙΣΤΟ ΥΙΗΣΟ ΥΑΓΕΓΡΑΜ ΜΕΝΕΙΣ ΥΠΟΙΟ ΥΝΙΑΙΟΑΝΝΑΜΑ ΘΗ ΤΡΙΑΚΑΙΑΠΟΣΤΟΛΗΤΟΥΜΕΣΣΙΑΙΗ ΣΟΥΑΤΩΠΑΥΛΟΣΥΝΑΠΟΣΤΟΛΟ·

    Erinnerungen an Jeschua, wie es Junia Johanna, Jüngerin und Apostelin des Maschiach Jeschua aufgeschrieben hat, für Paulus, den Mitapostel.

    Du hattest mich gebeten, lieber Bruder Paulus, für dich aufzuschreiben, was ich noch von dem weiß, was unser Freund und Rabbi Jeschua von Nazareth gesagt und getan hat. Als wir damals in Antiochia in Syrien im Gefängnis waren mit Andronikus, unserem Freund und Mitbruder im Apostelamt, hatten wir viele Tage Zeit, darüber zu reden, was Jeschua getan und gesagt hatte.

    Ich denke oft noch an den Streit in der Gemeinde von Antiochia in Syrien. Es kam dort zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen dir und dem Apostel Kepha oder Petrus, dem Missionar Barnabo sowie dem Jochanan Markus, seinem Neffen. Du erinnerst dich sicher an das, was dort geschehen ist.

    Ich weiß es noch gut. Du warst mit Barnabo und Jochanan Markus zurückgekehrt von eurer ersten großen Reise. Ihr wart ausgezogen, um den Juden in Asia die Gute Nachricht von Jeschua, dem gesalbten Knecht Gottes, zu verkünden. Am Sonntag versammelten wir uns zur Gemeindeversammlung im Haus des Barnabo, um euren Bericht zu hören. Es war am Abend nach Sonnenuntergang. Lucius betete am Anfang einen Psalm des Dawid. Sodann erinnerte er an das Gleichnis, das Jeschua einmal erzählt hatte, von dem Bauern, der Getreide sät: Ein paar Körner fallen ins dornige Gebüsch, wo nichts geerntet werden kann, so hatte Jeschua gesagt; andere Körner fallen auf die dünne Krume, die den steinigen Untergrund deckt, der nichts wachsen lässt; wieder andere Körner fallen auf den Streifen Land, der immer wieder als Fußweg von Menschen hart getreten wird, wenn sie unterwegs sind; doch manche Körner fallen auf guten Boden.

    So hatte Jeschua von der Verkündigung des Gottesreiches gesprochen: Damit muss jeder rechnen, der Gottes Wahrheit weitersagt, mit so verschiedenen Wirkungen, Jeschua der Prophet wie auch seine Apostel und Missionare.

    Ist das nicht beruhigend, fügte Lucius hinzu, dass Jeschua selber auch nicht immer Glauben und Gehorsam fand?

    Das klang wenig glaubwürdig, dass dem Apostel Paulus in Erinnerung gerufen werden sollte, was er selbst wenige Jahre vorher erlebt hatte. Dr. Achtnich war nicht überzeugt, dass er ein altes Manuskript vor sich hatte. Das alles war doch schlecht erfunden. Aber der Hobbyarchäologe las weiter, doch gespannt, was da alles zusammengeschrieben worden war.

    Dann hast du davon erzählt, was euch auf der Insel Zypern und in einigen Städten im Süden von Asia widerfahren ist; auch euch begegneten Menschen, die eurer Predigt glaubten. Viele ließen sich taufen in einem Bach oder einem See. Denn auch Jeschua hatte sich taufen lassen im Jordan; er hat dann uns befohlen, Menschen zu taufen, die zu ihm und seiner Gemeinde gehören wollten. .Aber da waren andere, die sich abwandten, feindlich oder enttäuscht; wieder andere zögerten, manche wollten die neue Lehre annehmen, aber doch nicht von ihrem alten Glauben und ihrem früheren Leben ablassen. Sie wollten eine Entscheidung vermeiden, die ihr Leben verändern würde.

    Später am Abend feierten wir das Liebesmahl in der Erinnerung an Jeschua. Ich war froh, dass du mich bei diesem Fest der Gemeinde aufgefordert hast, der Versammlung der Gläubigen vorzustehen. Im Gebet dankte ich Gott für alles: die Erinnerung an Jeschua, die Lieder und Gebete, die Berichte von so vielen Schwestern und Brüdern. Stundenlang saßen wir zusammen; wir aßen und tranken miteinander, wir teilten, was jeder mitgebracht hatte; alle wurden satt; einige der Frauen tanzten, wie damals der König Dawid vor der heiligen Lade des Bundes.

    Wir alle wunderten uns darüber, wie Menschen, die in der Welt wichtig sind, neben Hafenarbeitern saßen, Apostel neben Huren, Rabbiner neben Sklavinnen, Frauen aus angesehenen Familien neben ganz armen Männern. Da gab es keine Unterschiede mehr zwischen Männern und Frauen, zwischen Armen und Reichen, zwischen Juden und Nichtjuden, zwischen Frommen und Zweiflern; alle waren Schwestern und Brüder Jeschuas. Wir erlebten, dass Jeschua für uns und für alle gestorben ist und dass er auferstanden ist und lebt.

    Bei diesem Liebesmahl hast du, lieber Bruder Paulus, gefragt: Ist Jeschua der Maschiach, der Christos, der gesalbte König Gottes für sein Volk Jisrael?

    Es war uns allen klar, dass Jeschua das Reich Israel in seiner alten Größe, von dem wir träumten, nicht wiederhergestellt hat. Er wollte es auch nicht wiederherstellen. Aber war er König für Jisrael?

    Alle schwiegen zuerst einmal. Du nahmst du noch einmal das Wort und sprachst: „Nein, er war nicht ein König! Er wollte nicht das Reich des Dawid wieder herstellen. Darüber besteht Einigkeit zwischen uns. Aber ist er der Gesalbte des Ewigen?"

    Wir wurden still und dachten an unseren Rabbi. Ich wusste von Mirjam aus Migdal, dass sie Jeschua gesalbt hatte. Gesalbt zum Dienst als ebed jahwe, als leidender Knecht Gottes. Also war und ist er der Gesalbte des Herrn.

    Als mir das klar wurde, antwortete ich dir ganz laut: Ja, ich weiß, dass Jeschua der Gesalbte Gottes ist, gesalbt zum Leiden und Sterben. Ja, er ist der gesalbte Knecht des Ewigen und deshalb auch der Maschiach Gottes.

    Da überlegte Lucius: „Wenn Jeschua der Maschiach, der Christos ist, dann sind doch wir als seine Freunde die Nachfolger des Gesalbten, dann sind wir Christianer, hoi Christianoi. Dann sind wir Christen, alle: Juden und Nichtjuden, wir gehören alle zu Gottes Volk als Freunde des Maschiach Jeschua. Hallelujah!"

    „Wir sind Christen", wie der Jubel der himmlischen Heerscharen klang dieses Wort in der Versammlung. Der Name wurde aufgenommen als Ehrentitel für alle, die durch Jeschua zum Volk Gottes gehören, in allen Gemeinden.

    Man hat sich oft gewundert, wann die Bezeichnung „Christen aufgekommen ist und warum man die Anhänger dieser Religionsgemeinschaft nicht „Jesuaner genannt hat. Offenbar wollte man damals bewusst ein Bekenntnis zu Jesus dem Christus oder dem Messias ausdrücken. Die Christen in Antiochia, eine gemischte Gruppe aus ehemaligen Juden und ehemaligen Nichtjuden, mussten unbedingt eine Bezeichnung finden, die von allen akzeptiert werden konnte. Und diese Bezeichnung hat sich dann durchgesetzt.

    Während wir miteinander feierten, kam ganz unerwartet mein geliebter Mann, der Apostel Kepha, der die Gemeinde in Antiochia besuchen wollte.

    Das klang immer phantastischer: Junia – die Ehefrau des Petrus? Dass der Apostel verheiratet war, ist bekannt aus Briefen des Paulus. Dass er seine Ehefrau zumindest am Anfang auf seine Missionsreisen mitgenommen hat, wird auch erwähnt. Aber dass seine Ehefrau dann mit Paulus im Gefängnis saß und dann ein Evangelium geschrieben hat, ist doch nicht glaubhaft!

    Und kann das der historischen Wahrheit entsprechen, dass eine Frau die Leitung eines Eucharistiegottesdienstes übernehmen konnte? Selbst wenn es die Ehefrau eines Apostels war? Oder gewesen sein soll? Die Zweifel des Lehrers wurden immer stärker. Warum hat dann die Kirche bis ins 21. Jahrhundert Frauen von der Leitung einer Gemeinde, einer Kirche oder auch nur eines Gottesdienstes ausgeschlossen? Warum trugen nur alte Männer Verantwortung in dieser Glaubensgemeinschaft, wenn in den ersten Jahren Frauen Leitungsämter übernehmen konnten? Oder sollte doch die Fraktion der Hardliner mit Erfolg versucht haben, diese Wahrheit zu unterdrücken? Rätsel über Rätsel!

    Dr. Achtnich las weiter:

    Weißt du noch, wie sehr er sich freute über die festliche Gemeindeversammlung und über unsere Gemeinschaft im Glauben, und wie gern er mitgefeiert hat. Ich war sehr froh, ihn nahe bei mir zu haben, und bat ihn, neben mir Platz zu nehmen. Ich erzählte ihm, was die drei Missionare berichtet hatten, und er freute sich mit uns und dankte Gott für den Glauben so vieler Menschen. Über den Namen „Christen" war er nicht froh, denn für ihn waren die Menschen, die an Jeschua den Maschiach glaubten, immer noch Teil des Volkes Gottes und nicht eine neue Gemeinde.

    Der Höhepunkt dieser frohen Feier war das Herrenmahl als Erinnerung an das letzte Mahl des Jeschua mit seinen Jüngerinnen und Jüngern. Ich lud die Gemeinde ein, an den letzten Abend Jeschuas zu denken. Er hatte davon gesprochen, dass er freiwillig den Tod auf sich nehmen würde, aus Liebe zu allen Menschen, um den Weg des Leidens bis zum bitteren Ende mitzugehen; ich erinnerte daran, wie er Brot und Wein geteilt hatte, Zeichen dafür, dass Gottes Liebe und Barmherzigkeit allen Menschen zuteilwürde.

    Wir waren uns gewiss, dass er nicht tot geblieben ist, sondern lebt. In Brot und Wein hat er uns sichtbare Zeichen dafür gegeben, dass er unter uns ist, unsichtbar, und dass wir alle zu seinem Leib, zu seiner Gemeinde, gehören.

    So hatte er gesprochen, als er zum letzten Mal mit uns gefeiert hat: „Nehmt und esst, denn das ist mein Leib!" Und dabei hat er auf uns alle gezeigt, auf seine Jüngerinnen und Jünger.

    Die Darstellung wurde immer spannender. Der Text legte Wert darauf, dass es keine Transsubstantiation geben könnte, weil bei der Eucharistie Brot und Wein nur Hilfen zur Erinnerung und Ausdruck der Gemeinschaft seien, mehr nicht.

    Als wir schon lange in die Nacht hinein gefeiert hatten, ging noch einmal die Tür auf, und zwei ernst blickende Männer in traditionellen jüdischen Gewändern betraten den Raum; ich kannte sie nicht. Deshalb baten wir sie, dass sie sich vorstellten, und so erfuhren wir, dass es zwei Rabbiner waren, Jitzchak und Ben Elieser, die den Apostel Jaakov in der Gemeinde von Jeruschalajim unterstützten. Zwei Rabbiner, die an Jeschua den Maschiach glaubten. Kepha war ihnen früher einmal in Jeruschalajim begegnet. Aber er hatte sie nicht wieder erkannt. Er begrüßte sie und lud sie ein, mit uns zu feiern: Wir danken dem Herrn, dass auch ihr gekommen seid, die Schwestern und Brüder in Antiochia zu besuchen. Feiert mit uns das Mahl Jeschuas des Maschiach.

    Da blickten die beiden Rabbiner noch ernsthafter und sagten: Wir sehen hier Menschen, die offensichtlich nicht aus Jisrael, aus Gottes erwähltem Volk, stammen; wie kannst du, ein Jude, mit ihnen an einem Tisch feiern? Und wir sehen, dass eine Frau den Gottesdienst leitet; wie kannst du so die gute Ordnung Gottes zerbrechen? Weißt du nicht, dass die Frauen schweigen sollen in der Gemeindeversammlung? Hat nicht Gott nur Männer als seine Jünger, als Apostel, als Priester und Propheten oder Gemeindeleiter berufen? Wir sehen, dass Sklaven bei Tisch sitzen anstatt zu dienen, wie es ihr rechter Platz und Gottes Wille wäre. Darunter auch ein Mann aus den Nachkommen des verfluchten Ham. Und wir sehen, dass einige Frauen mitfeiern, deren Kleider und ihr Parfum darauf schließen lassen, dass sie immer noch Huren sind. Habt ihr denn Gottes Gebote vergessen? Meint ihr denn, ihr hättet den Willen Gottes besser verstanden als wir?

    Da wurde es unruhig in der Versammlung. Der Apostel Kepha schaute mich unsicher an und gab mir ein Zeichen, damit ich ihm die Leitung des Gottesdienstes überlasse. Ich sollte mich nach hinten setzen, meinte er. Aber ich wusste, dass es im Sinne des Jeschua war, wie wir Gottesdienst feiern, und deshalb blieb ich sitzen. Da schüttelte Kepha den Kopf, traurig und zornig, er sagte kein Wort zu mir, sondern stand auf und ging mit den beiden Rabbinern aus dem Saal; und nach ihm standen auch Barnabo und Jochanan Markus auf. Barnabo sagte noch: „Wir dürfen die Brüder aus Jeruschalajim doch nicht so aus der Gemeinschaft ausschließen!" und verließ die Versammlung.

    Es gab also doch diese Fraktion, die Frauen von der Leitung der Kirche und der Verantwortung ausschließen wollte. Eine Fraktion angeblich angeführt von Jakobus, einem der Brüder von Jesus. Es scheint, dass dieser Mann schon wenige Jahre nach Ostern die Leitung der Urkirche in Jerusalem übernommen hatte, wie

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