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Otto Murr auf Kreta: Der Tanker. Die Morgenröte.
Otto Murr auf Kreta: Der Tanker. Die Morgenröte.
Otto Murr auf Kreta: Der Tanker. Die Morgenröte.
eBook696 Seiten8 Stunden

Otto Murr auf Kreta: Der Tanker. Die Morgenröte.

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Über dieses E-Book

Politischer Kriminalroman. Schauplatz: Kreta 1944 und 2013. Der Münchener Journalist Otto Murr von der Süddeutschen Zeitung und seine Partnerin Maria Blumendanck, eine Geschäftsfrau aus Hamburg, werden während ihres Sommerurlaubs in Verbrechen aus dem Jahr 1944 und ihrer Gegenwart verwickelt: Ein verstümmelter Toter in einer antiken Kaverne, Entführungen, aber sehr bald auch heraufziehender Terrorismus. Der deutsche und britische Geheimdienst agieren im Hintergrund, bevormunden die kretische Polizei. Otto Murr recherchiert, gerät in große Gefahr, ebenso wie seine lebenslustige Partnerin. Sie versucht sich mit Kampfkunst zu wehren. Aus der langen Leidensgeschichte Kretas kommen deutsche und britische Gespenster zum Vorschein. Internationale Touristen kommentieren das Geschehen wie ein geschwätziger antiker Chor. Eine alte kluge Frau, deren Mutter im Zweiten Weltkrieg Juden und Italiener in Bayern versteckte, behält Recht. Otto Murr kann letztlich das mörderische Geschehen aufdecken, stört eine Trauerfeier bei Oxford, darf aber die Ergebnisse seiner Recherchen niemals veröffentlichen.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum28. Jan. 2021
ISBN9783347191433
Otto Murr auf Kreta: Der Tanker. Die Morgenröte.

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    Buchvorschau

    Otto Murr auf Kreta - Bernhard Nette

    Der Tanker

    Teil 1

    Nichts ist so unglaubwürdig wie die Wirklichkeit. Dostojewski."

    Plakat in der Hamburger U-Bahn., 2009

    Kapitel 1 · Die Tanais

    Am 9. Juni 1944 versank ein alter Frachter (1.545 Bruttoregistertonnen) nachts um 03.15 Uhr in nur 12 Sekunden auf den Grund der ruhigen und mondbeschienenen Ägäis, 33 Seemeilen nordöstlich von Heráklion und 25 Seemeilen südlich von Santorin. Ein englisches U-Boot hatte das unter deutscher Flagge fahrende Schiff torpediert.

    1907 auf der englischen Werft J. Blumer & Co. als S.S. Holywood erbaut, transportierte der Dampfer 38 Jahre lang Kohle von Nordengland nach London. 1935 wurde der etwas heruntergekommene Kahn von der der Londoner Reederei Tyne & Wear Shipping – William France, Fenwick & Co. Ltd., an Stefanos P. Synodinos aus Piräus verkauft. Der neue griechische Reeder gab dem Schiff den Namen Tanais, nach dem antiken griechischen Grenzfluss zwischen Europa und Asien, dem heutigen Don.

    Die Tanais wurde 1941 in der Souda-Bucht von deutschen Jagdbombern versenkt, von den großdeutschen Eroberern wieder gehoben, repariert und 1943 in den Dienst der Mittelmeer-Reederei (MMR) GmbH gestellt. Die halbstaatliche MMR war im November 1942 auf Veranlassung des Reichskommissars für Seeschifffahrt, des Hamburger Gauleiters und SS Obergruppenführers Karl Kaufmann, durch ein Konsortium von elf Reedereien gegründet worden, um die Mittelmeerschifffahrt deutsch zu kontrollieren. Die Tanais fuhr auch für die deutschen Besatzer weiterhin vornehmlich zwischen Kreta und Athen.

    Mitte der 1930er Jahre bot die Tanais bereits einen etwas altertümlichen Anblick. Sie lag mit der mittschiffs niedrig geführten Bordwand besonders tief im Wasser. Zwischen den vorderen und den hinteren Ladeluken erhob sich jeweils ein schlanker Mast mit schwenkbaren Ladebäumen. Die erhöhte und leicht gebogene Brücke saß rittlings vorne auf den flach sich dahinter kauernden Aufbauten. Ein gewaltiger Schornstein beherrschte das Schiff. Er ragte steil nach oben, und fuhr die Tanais unter Dampf, quollen daraus gewaltige schwarze Rauchwolken und legten sich als graue Schleppe auf das Meer.

    Auf jeder Seite der Aufbauten hatten zwei hölzerne Rettungsboote gehangen. Nur wenige Menschen, die sich am 9. Juni 1944 auf der Tanais befunden hatten, konnten durch kleine Begleitschiffe aus dem nächtlichen Meer gerettet werden.

    Die Untergangsstelle befand sich nördlich vor Dia. Diese kleine Insel lagert sich vor Heráklion hin. Touristen verdrehten sich manchmal den Hals, wenn sie auf den rechten Sitzreihen durch die ovalen Fenster hinausschauten, während ihr Ferienflieger in einer scharfen Rechtskurve noch über dem Meer den Flughafen von Heráklion ansteuerte. Da lag Dia und sah aus wie ein riesiger geschuppter Drache. Otto Murr saß allerdings neben Maria Blumendanck auf der linken Sitzreihe und starrte auf die trockenen Felstrümmer am Ufer. Er versuchte vergeblich, den Palast von Knossos zu entdecken, der irgendwo dahinten in einer Schlucht oder einem Tal zu sehen sein müsste, wie er dachte, während er krampfhaft schluckte, weil sich seine Ohren unangenehmerweise zugesetzt hatten. So landeten sie fast 70 Jahre nach dem Untergang der Tanais wieder einmal auf Kreta.

    Kapitel 2 · Engel

    Sie schlenderten die staubige Straße hinab. Weiße Umhänge, golden umrandet und mit immergrünen Olivenzweigen bestickt, hingen über schwarzen Röcken. Drei griechische Erzengel.

    Autos parkten vor dem weißgestrichenen Haus aus Beton. Wohlgekleidete Männer und Frauen trugen lange schmale Wachskerzen in das Haus, andere standen davor.

    Als die drei Popen an Otto Murr vorbeischritten, hörte er ihr leises Lachen. Mit ihren wehenden Gewändern bogen sie in das Haus der Toten.

    Ein Mann trug den Sargdeckel nach draußen, lehnte ihn an einen Mercedes Kombi. Sechs Männer trugen den offenen Sarg hinaus und schoben ihn von hinten hinein. Er ragte zur Hälfte heraus, ebenso wie der Deckel, der daneben gelegt wurde. Die aufgeklappte Hecktür wurde herabgedrückt und mit Stricken am Sarg befestigt.

    Der Mercedes rangierte auf die Straße und die drei Popen setzten sich vor das Auto. Dahinter formierte sich der Trauerzug.

    Die Glocken der Kirche über dem Dorf intonierten eine Terz, zwei volle niedrige Glockenschläge, gefolgt von einem verwehenden kläglich hohen Ton. Minutenlang wimmerte das Armesünderglockengeläut über dem Dorf. Eine alte Frau aus dem kleinen kretischen Dörfchen Pitsídia sollte beerdigt werden.

    Die Touristen in ihren rasenden Mietautos hielten mitten auf der Hauptstraße an. Einige stiegen aus und filmten. Otto saß auf der Terrasse der Pension Acropol und beobachtete die Szene. „Tod, wo ist dein Stachel?", dachte er plötzlich. Ein uralter Spruch aus der Bibel und er sollte wohl trösten. Er schüttelte unmerklich den Kopf.

    „Welch archaischer Ritus, sagte er zu Maria Blumendanck, die herausgetreten war. „Wehende Popengewänder. So stiegen einst minoische Götter hinunter zu den Sterblichen.Er blickte dem Trauerzug nach.

    Sie stellte ihre Cola Light ab. „Göttinnen, mein Lieber, Göttinnen! und fuhr nachdenklich fort: „Wie schnell alles ging. Gestern gestorben, eine Nacht Totenwache und heute beerdigt.

    „Sie wurde 97 Jahre alt. Irgendwie ein erfülltes Leben." Er hatte die an einen Telegraphenmast angeheftete Todesnachricht gelesen, zumindest die Jahreszahlen hatte er verstanden.

    „Auf Kreta? Als Frau?"

    „Wieso? Hast du irgendeine Ahnung, wie sie gelebt hat?"Otto schnaubte leicht.

    Hier in dem kleinen südkretischen Nest Pitsídia verbrachten Maria und er seit vielen Jahren drei Wochen ihres Sommerurlaubs. Sie waren ein eingespieltes Paar. Nicht verheiratet, warum auch? Sie hatten sich angewöhnt, die Freiheiten des jeweils anderen zu respektieren.

    Respektieren, dachte Otto Murr, war vielleicht das falsche Wort. Gewöhnung, das traf es besser. Sie wohnte in Hamburg und leitete eine Kette von Boutiquen, er lebte und arbeitete in München. Eine Fernbeziehung, die gerade immer dann nicht richtig klappte, wenn sie gemeinsam in den Urlaub flogen, meist hierher.

    Vor einigen Jahren hatte ihm sein Vorname auf Kreta jubelnde Ehre eingebracht. Die griechischen Fußballer waren Europameister geworden. Eine sternklare Nacht und mitten auf der Platía stand ein großer Fernseher, wo alle, Einwohner und Touristen, das rauschhafte Ereignis feierten. Die Wirtin seines Lieblingsrestaurants überschüttete Otto mit Umarmungen und Küsschen. „That´s for my hero Otto. Otto Rehagel!", flüsterte sie. Man brachte neuen kretischen Wein in alten Plastikflaschen, die goldgelben Wassergläser klirrten und junge Frauen schworen unter Gelächter, ihre nächsten Söhne würden Otto heißen, allesamt und ohne Ausnahme.

    „Na, wieder arbeiten?", fragte Maria und zeigte auf sein aufgeklapptes Notebook.

    Es waren 35 Grad im Schatten. An sich sollten wir jetzt in unserem Zimmer liegen, Air Condition an und keine Nonsens-Diskussion, dachte er. Er nickte. „Ja, das muss morgen raus."

    In der Nacht hatten sie trotz aufgeheizter Hauswände handwerklich guten Sex. Rhythmisches Knarren durchdrang lautstark die Nacht. Beide schliefen recht zufrieden ein.

    Über ihrer Kammer funkelte die Milchstraße.

    Die Mücken fanden im Dunklen leise sirrend ihr Ziel.

    Kapitel 3 · Kalamáki

    Einige kleine Hotels und Bars, ein Strandweg, genügsame Tamarisken und ein Gewimmel von runden Sonnenschirmen auf dem Sand, die im Winter geflickt werden mussten, dazu Strandliegen mit abgebrochenen Aufstellzähnen, das war schon alles. Bestimmt, dachte Otto, ist das Wüsten-Strandnest im Winter völlig ausgestorben.

    Er blickte auf das blaue Meer. Neben ihm lachte Maria. Er schaute sich um, aber der Niederländer war nicht zu sehen. Sie saßen im Strandcafé Delfínia Fish Tavern, und zwar auf den verdammten griechischen Stühlen. Die klassisch geflochtene Kuhle taten seinem Rücken absolut nicht gut. Zu ihrer Rechten erhob sich in der Ferne das harte Kalksteinmassiv des Psilorítis. Seine Umrisslinien lösten sich durchsichtig vor dem milchig blauen Himmel auf. Alles verwandelt sich da oben in Licht, dachte er.

    „Warum müssen wir uns eigentlich immer dem Hofstaat des Frederick van Engel anschließen?"

    „Ich mag ihn. Maria klang kühl und sachlich. „Der Holländer ist großzügig und witzig.

    „Der Blondie will was von dir."

    „Vielleicht. Wen stört´s, mein Katerchen Murr?"

    „Er sitzt hier stundenlang im Delfínia, gibt Weinrunden aus, trinkt hektoliterweise Raki, hält Hof mit seinen aktuellen Geliebten, in Gegenwart seiner Ehefrau, dazu ein ganzer Schwarm von Verrückten, die auf Kreta hängengeblieben sind."

    „Eifersüchtig?"

    „Habe ich einen Grund dafür?"

    „Otto, das ist dein Problem. Und es ist mein Leben."

    „Na gut, ich geh schon mal nach Hause. Bevor der holländische Bär nach seiner üblichen Sauferei letzte Nacht hier auftaucht und erwartet, dass du ihm zu Füßen liegst."

    „Bitteschön, aber lass den Autoschlüssel hier. Ich habe keine Lust, zu Fuß durch die Wüste nach Pitsídia zurückzuwandern."

    Er legte den Schlüssel hart auf den lackierten Holztisch, stand halb auf, trat wütend gegen die sperrigen Stuhlbeine hinter sich, weil sie auf dem rauen Zementboden nicht zurückweichen wollten.

    Er trottete den sogenannten Toskana-Weg nach Pitsídia. Über ihm schwebte ein Bussard. Seine Sandalen sackten tief in die sandigen Fahrspuren ein. Irgendwelche Pickups hatten sich hier durch gequält. Es war erst 11 Uhr und schon unerträglich heiß. Otto vermisste seinen Sonnenhut.

    Kalamáki verschwand nach der Wegebiegung. Antike Mühlenreste ragten aus dem Ufer eines verschilften Bachs, der jetzt fast ausgetrocknet war, aber offensichtlich immer noch so viel Feuchtigkeit bereithielt, dass ein grünes Pflanzenband seinen Lauf begleitete.

    Kapitel 4 · Der Berg Karamanú

    Ein altes Brückchen überquerte den Bach. Otto hielt an und sah sich um. Keine gute Idee, fand er jetzt, unter der unbarmherzigen Sonne zu wandern. Er schnappte nach Luft. Vielleicht gab es da oben ja einen kühleren Wind vom Meer. Vorsichtig seine Sandalen zwischen stacheliges Gestrüpp und vorbei an scharfkantige Felsbrocken setzend, stieg er langsam den linken Hügel empor. Ob es hier Schlangen gab?

    Oben angekommen, stellte er sich auf einen glatten Felsen und blickte durch den Sonnenglast auf den Toskana-Weg. Der ausgetrocknete Bach mündete in die langgezogene Bucht des Kómos Beach.

    Draußen im Meer schwamm eine Doppelinsel. Paximádia. Und tatsächlich, es wehte ein kühler Wind.

    Kalamáki. Sogar das Delfínia war unten zu sehen. Wartete Maria dort immer noch auf ihren blonden Holländer? Salzige Bäche liefen ihm in die brennenden Augen, trockneten auf seine Wangen.

    Dann sah er die Steinritzungen zu seinen Füßen. Uralte Zeichen. Ein grob eingepickelter Kreis mit Linien, die ihn durchschnitten. Fast wie eine Windrose. Daneben halbkugelförmige Vertiefungen, kleine Schälchen, heraus gehämmert aus dem glatten Fels. Zeichen des Lebens? Des Todes? Schälchen für blutige Rituale? Für heilige Feste?

    Er setzte sich nieder, genoss den kühlenden Wind und begann zu träumen.

    Bilder aus seiner Kindheit stiegen auf. Sein Hamburger Großvater mütterlicherseits, fröhlich und dick saß in einer Kneipe in der Ecke und prostete ihm mit einem Bierglas zu. Er hieß Heinrich Julius Jürgensen. Er war tot. Vor langer Zeit hatte ihn ein junger Mann auf seinem Motorrad umgefahren, als er in Hamburg den Hammer Steindamm überquerte, um gegenüber bei Budnikowski Kaffee und im Laden nebenan RuC-Zigarren, das Stück für 40 Pfennig, zu kaufen. Die Buchstaben RuC waren immer in drei einander sich berührenden Kreisen auf den Zigarrenkisten eingeprägt gewesen. Otto sah die goldenen Buchstaben vor sich. Er hatte damals die Schrift, die in einem Zierband um drei Kreise herumliefen, voller Stolz entziffert, als er acht Jahre alt war. Rinn & Cloos A-G Zigarrenfabriken hatte da gestanden und Heuchelheim- Gießen gegründet 1895. Vor allem aber erinnerte er sich an den würzigen Duft, aus dem Inneren der leeren Kistchen, die er regelmäßig geschenkt bekam. Er hatte in Opas Zigarrenkisten seine geliebte Steinsammlung aufbewahrt. Sein Vater freilich räumte die Zigarrenkisten von R & C ebenso regelmäßig wieder leer, „ab sie in den Ascheimer, an den veralteten Ausdruck erinnerte Otto sich plötzlich. „Jetzt hat die Seele Ruh, bemerkte sein Vater an einem jener unglückseligen Abende. Das hatte Otto ihm nie vergeben. Hasste der Vater die „Qualmkiste", weil er Nichtraucher war? Oder hasste er die Kästchen und ihren Geruch, weil sie ihn an den ungeliebten Schwiegervater erinnerte? Und warum warf er Ottos Versteinerungen weg?

    „Ärger dich nicht, sagte der Großvater, währen seine Zigarre qualmte und seinem Enkel mit einer Hand einen Becher mit gequirltem Eigelb hinschob. „Ja, nu iss ma, min Jung. Sie saßen in seiner Küche neben der Anrichte aus kaiserlichen Glanzzeiten und der Großvater erkundigte sich nach den Schulnoten des Enkels im Fach Englisch. Das britische Königreich gehörte zu Opas Lieblingsländern, seitdem englische Fischer ihn, als er vor dem 1. Weltkrieg noch zu See fuhr, aus dem tobenden Ärmelkanal gerettet hatten. Das hinderte ihn nicht, seit 1924 überzeugter Nationalsozialist zu sein, wobei er im 2. Weltkrieg und auch schon vorher von einer Allianz zwischen dem Großdeutschen Reich und dem Britischen Empire träumte. „War für beide Platz genug auf der weiten Erde", sagte er zu seinem Enkel, und ließ zu den bereits im Becher verschwundenen vier gehäuften Teelöffel Zucker drei weitere folgen, die träge in der gelben Mansche nach unten wegsackten. War er besonders gut gelaunt, nannte seinen Enkel dann sogar min lütten Bismarck, während der kleine Otto Murr höchst widerwillig das süße Zeug auslöffelte. Was konnte er für denselben Vornamen?

    Heinrich Julian Jürgensen hatte sich für sein Töchterchen Katharina einen angeseheneren Ehemann gewünscht, nicht Sven, diesen Bremer Lümmel. Kein Abitur! Allerdings Leutnant! Tapfer war das Kerlchen schon und Heinrich Jürgensen musste Weihnachten 1942 sein Einverständnis geben für die Hochzeit seiner Tochter mit dem verwundeten Ostfront-Helden, der im Übrigen schon halb zurück war auf dem Weg nach Stalingrad. Eisernes Kreuz Erster Klasse, da konnte Heinrich Julian Jürgensen schlecht Nein sagen. Vielleicht kam er ja nie wieder. Er kam aber zurück, schwer verwundet, und hasste fortan seinen Schwiegervater.

    Heinrich Julian Jürgensen war reich geworden durch Stahllieferungen an Blohm und Voss. Das recht kurzlebige Schlachtschiff Bismarck, so ging die Familiensage, sei mit Jürgensenschem Stahl erbaut worden sei, was vermutlich ein Märchen war.

    Nach dem Krieg war der Jürgensensche Reichtum abhanden gekommen. Nicht so der Standesdünkel seiner Großmutter Anneliese, die aus einer reichen Schleswig-Holsteiner Hoteliers-Familie stammte.

    Sein anderer Großvater, väterlicherseits, hieß Gerd Murr. Er war bei der Bremer Gestapo gewesen. Otto erinnerte sich kaum an ihn. Seine Bremer Großmutter war sowieso lange vor seiner Geburt, zu Beginn des 2. Weltkriegs gestorben. In der Familie murmelte man „Sie hat sich aufgehängt, wegen ihres Mannes." Aber das durfte der kleine Otto an sich gar nicht wissen.

    Er stand mit einem Ruck auf und blickte noch einmal runter auf Kalamáki. Was mochte Maria treiben, die ihn ab und zu mit seinem Namen aufzog. „Mein Katerchen Murr", was vielleicht liebevoll klingen sollte, aber deswegen mochte seinen Namen noch lange nicht. Seine Reportagen schrieb er unter dem Kürzel Murot. Manche hielten ihn deswegen für den Nachkommen einer Hugenotten-Familie.

    Er verdiente gutes Geld, weitaus mehr als seine jungen Kollegen in ihrer erbarmungsvollen Scheinselbstständigkeit, deren ganzer Arbeitsplatz ein Notebook war, die sie auf stunden- oder tageweise gemieteten kleinen Schreibtischen hinstellten. „fm" hieß das Kürzel in ihren E-Mail-Adressen, Freier Mitarbeiter. Frei von lebenserhaltendem Einkommen.

    Wie alt die Zeichen zu seinen Füßen wohl waren? Und was mochten sie bedeuten? Bald würden sie wohl verschwunden sein. Die ersten Protzvillen kletterten den Berg hoch, näherten sich dem Felsvorsprung. Bagger würden alles zermalmen. Der Blick, so hieß es in den Prospekten für die reichen Deutschen, ja, der Blick, der sei überwältigend.

    Er kam total verschwitzt im Acropol an. Bei seiner Wirtin Soubúlia erkundigte er sich, wie der Berg, den er hochgeklettert war, heißen würde. Karamanú, erfuhr er. Auf dem gegenüberliegenden Hügel hätten ab 1941 deutsche Soldaten direkt unterhalb des Höhenzuges ihre Unterkünfte gehabt. Wege und tiefe Gräben seien in das Kalkgestein gehackt worden, von den männlichen Bewohner der umliegenden Dörfer Pitsídia und Kamilári.

    „Straßen, sagte Soubúlia plötzlich auf Deutsch, nachdem sie vorher ein rudimentäres Englisch sprach. „Viel schwere Arbeit. Sie zeigte in die Richtung des Hügels. „Deutsche Bunker. Große Kanone".

    Wo bloß hatte sich die Deutsche Wehrmacht überall rumgetrieben, dachte Otto.

    Kapitel 5 · Mondsense

    „Die schöne Hamburgerin. Der holländische Hüne bleckte die Zähne. Er wies auf das Meer. „Sehen Sie, kaum Wind, von einem Sturm ganz zu schweigen, will ich mal sagen, aber riesige Wellen brechen sich an unserem unschuldigen Kómos Beach. Irgendwo da draußen tobt das Meer und die Wellen sind die letzten Boten aus einer fernen Welt, sie erzählen von Katastrophe auf See.

    Er übertreibt mal wieder, der Herr Frederick van Engel, fand Maria. Er hatte sich ungefragt an ihren Tisch im Delfínia gesetzt.

    „Liebe Frau Maria Blumendanck, machen Sie mir die Freude und trinken Sie mit mir einen kühlen Weißwein, dazu vielleicht einen erfrischenden Raki. An Baden ist heute ja nicht zu denken, wenn Sie wissen, was ich meine."

    „Was meinen Sie denn, mein lieber Herr Frederick van Engel?"

    „Oh, Sie haben erinnert meinen Namen! Welch fabelhafte Ehre. Sagt man so?"

    „Ja, so kann man sagen. Meint man aber so?"

    Er winkte dem jungen Studenten, der im Delfínia aushalf. Im – wie Maria fand – flüssigen Griechisch bestellte er einen Wein. Sie lächelte amüsiert und war wider Willen von seiner Aufmerksamkeit, die er in Anwesenheit des schönen kretischen Studenten ihr gegenüber zelebrierte, geschmeichelt.

    „Was haben Sie gestern getan, gestern Abend?" fragte er unvermittelt.

    Sie schaute ihn nur an und wartete.

    „Ich jedenfalls war dort oben, ganz allein. Er wies auf das Kliff, das weit hinten zu ihrer Linken die Bucht abschloss. „Restaurant Mystical View. Es war ein wunderschöner Abend, die Sonne fiel ins Meer, dann eine silberne Mondsense, die stieg auf und ich bestellte einen jüngst gefangenen Fisch. Er grinste sie an. „Und ich träumte von den Minoerinnen, wie sie hier stolz herrschten und das Leben genossen."

    „Der Mond ging gestern Abend im Meer unter, nicht auf, Sie holländischer Schwindler. Ich sah ihn vom Balkon unseres Hotels."

    „Sie waren also mit Ihrem Herrn Murr zusammen, der immer ein wenig traurig aussieht?"

    „Mein lieber Herr van Engel, Sie wollen doch nicht einer Frau schmeicheln, indem Sie sich über ihren Partner lustig machen?"

    „Ach Maria, in Ihrer Gegenwart mache ich alles falsch, können Sie verzeihen?"

    „Das kommt darauf an", sagte sie.

    „Ich habe eine wunderbare Idee. Schenken Sie mir Ihren heutigen Abend, dort oben auf dem Mystical View, wenn die Sonne untergeht und die Sense vom Mond in das Meer steigt."

    Sie berührte leicht seinen Arm. „Eine Sense? Die trägt der Tod. Sichel, bitte, es heißt Mondsichel."

    „Natürlich, also Sichel. Wird mir also diese schöne Frau mit dem fast holländischen Namen heute Abend die Ehre geben?"

    „Aber ohne Ehefrau oder Geliebte", stellt sie lächelnd fest.

    „Sie machen Bedingung, ich werde gehorchen. Er verbeugte sich leicht, nahm das Glas und prostete ihr zu. Gläser klirrten. „Und ohne Otto Murr, liebe Frau Blumendanck, sagte er leichthin.

    „Natürlich."

    „Sie wohnen in Hamburg, nicht wahr? Ohne Herrn Murr?"

    „Otto wohnt in München."

    „Und was machen Sie so in Hamburg?"

    „Tagsüber oder abends?" Maria lachte.

    „Na, erst einmal tagsüber. Womit verdient die schöne Hamburgerin ihr Geld?"

    „Neugierig, der Herr van Engel. In bin Inhaberin einer Hamburger Boutiquen-Kette. »maria und meer«."

    „Und abends? Einsam in Hamburg?"

    „Wieso?"

    „Ist Herr Murr nicht eifersüchtig?"

    „Ach, das ist der Preis der Freiheit. Sie blickte sich um. „Aber da rollt ja Ihre Entourage heran, sagte sie, als sie Frederick van Engels Ehefrau herankommen sah. „Sie gestatten, dass ich mich zurückziehe. Etwas Sonne am Strand wird mir gut tun."

    „Sie werden sich in die Liege legen? Ich sollte neidisch sein auf diese Liege."

    „Quatschkopp, murmelte Maria versonnen. Laut sagte sie: „Wie immer übertreiben Sie, Herr van Engel. Aber ich gebe die Schuld der Sonne.

    „Sie meinen, ich habe eine zonnesteek?" Er lachte.

    „Genau. Einen Sonnenstich."

    „Die Sonne, Frau Blumendanck, ist gut. Immer ist die Sonne gut. Und labend. Warum zieht es uns Nordländer sonst nach Kreta? Etwa wegen der Moskitos?"

    „Passen Sie gut auf. Die kretischen Mücken lieben blonde holländische Bären."

    Seine Ehefrau war angekommen. „Holländische Bär? Ist er hier te praten?"

    „Jaja, ganz richtig, meine Liebe, wir waren nur etwas plaudern. Er lachte. „So sagt man doch in Duitsland?

    „O nein, meine Liebe, wir prateten nicht, wir redeten über Mückenstiche." Maria wandte sich höflich der Ehefrau zu.

    „Muggenbeet", erklärte der Holländer.

    „Ich empfehle Autan."Maria stand auf, verbeugte sich leicht.

    „Autan gegen muggenbeet, für die ganze heilige Familie", sagte sie und ging an den Strand.

    Kapitel 6 · Eine offene Beziehung

    „Ich will mich nur kurz umziehen. Das Salz muss runter." Maria warf ihren Bikini auf ihr Bett. Sie trug ein leichtes Strandkleid aus Seide. Sie zog es aus und ging unter die Dusche. Sie hatte keinen Slip unter dem Kleid, dachte Otto, der sie verstohlen beobachtet hatte. Warum eigentlich verstohlen, fragte er sich, wir sind doch seit einigen Jahren ein Paar.

    Die Air Condition klapperte über der geschlossenen Balkontür. August auf Kreta. Draußen lag glühende Hitze über dem Dorf.

    Tropfnass kam sie aus der Dusche und rubbelte sich ab. Sie drehte ihm den Rücken zu und hielt den Kopf nach unten, um ihre langen braunen Haare auszukämmen. Was für eine schöne Frau, dachte Otto. Vielleicht war es ungeschickt gewesen, wegen dieses Holländers heute Morgen einen Streit anzufangen.

    „Alles klar?", fragte er schließlich.

    Sie drehte den Kopf von unten zu ihm herum. Unter den herunterhängenden Haaren fragte sie: „Was meinst du?"

    Ja, was meinte er eigentlich? „Ist Frederick van Engel denn noch gekommen?"

    „Ja, mit seiner Ehefrau, diesem blonden holländischen Barockengel."

    „Was wollte er denn?"

    „Mich", sagte Maria.

    Otto schwieg.

    „Er hat mich zum Abendessen eingeladen."

    Pause. Dann: „Heute Abend?"

    „Ja."

    „Und? Hast du zugestimmt?"

    „Ja, aber nur unter der Bedingung, dass seine Ehefrau nicht mitkommt."

    Lange Pause. „Hast du dir das auch gut überlegt?"

    „Wieso?"

    „Naja, er ist ja dafür bekannt, dass er nie zu viel bekommen kann. Ich meine zu viel Frauen."

    „Ja, weiß ich."

    „Und? Willst du dich einreihen in seinen Harem?"

    „Otto, das ist unter deinem Niveau."

    „O.K.! Gehst du mit ihm ins Bett?"

    „Vielleicht." sagte Maria.

    „Was denn nun? Ja oder nein?"

    „Also, Otto, wir haben abgemacht, dass jeder von uns seine Affären haben kann, solange das nicht unsere Partnerschaft gefährdet."

    „Ja, richtig. So lange."

    „Und wir waren uns doch einig, dass sexuelle Monokultur unsere Beziehung töten würde, oder Otto?"

    „Ja, waren wir."

    „Sind wir uns nicht mehr einig? Dann müssen wir darüber reden."

    „Gut, reden wir."

    „Mein Murr-Katerchen, so geht es nicht, nicht jetzt. Heute habe ich nämlich noch was vor."

    „Nur zu."

    „Willst du mir die Laune verderben?"

    Sie setzte sich auf sein Bett. „Otto, du bleibst doch mein einziger ohne-den-ich-nicht-leben-kann-Freund. Alles klar, mein lieber Brummbär?" Sie streichelte über seine Stirn.

    Verdammt, dachte er. Das sollte sie nicht tun. Nicht, wenn sie mit der allerkühlsten Haut direkt neben mir sitzt.

    „Hau ab zu deinem Holländer." Er drehte sich um.

    Das Bett quietschte kurz, als Maria sich erhob. Sie zog sich sorgfältig an, kämmte und schminkte sich und verließ das kleine Appartement.

    „Tschüs."

    Den Autoschlüssel legte sie auf den Tisch.

    Scheiß auf offene Beziehung, dachte Otto.

    Kapitel 7 · Moritz und Max

    Max, der Bayer mit dem großen Herzen, hatte auf der Insel schon allerlei getan, um Geld zu verdienen. Er machte vor einigen Jahren zum Erstaunen aller eine Kamel-Farm auf, zusammen mit seiner Frau Martina. „Camel Farm stand am Straßenrand. Und „Guided riding on the beach.

    Die zwei Kamelstuten Laila und Aisha und der Kamelhengst, dessen Namen niemand mehr wusste, stammten ursprünglich aus Gran Canaria, wurden erst nach Bayern verfrachtet und von dort in Pferdeanhängern nach Kreta.

    Die Stuten bissen gemeinsam den Hengst tot und leben seither friedlich zusammen. Sie waren sehr genügsam, vier Kilo Grünfutter und Olivenbaumgestrüpp reichten ihnen pro Tag.

    Auf sich reiten ließen sie niemanden. Der angeheuerte tunesische Kameltreiber hatte sich mit der Ehefrau eines Hotelbesitzers von Kalamáki auf und davon gemacht, man munkelte, nach Athen oder Chaniá. Damit war das Reittraining der durchaus liebenswürdigen Stuten entfallen.

    Martina und Max trennten sich. Sie eröffnete im ehemals gemeinsamen Haus ein Hundeasyl. Damit war die Vermietung der angeschlossenen Touristenappartements fast unmöglich. Sie lagen sowieso schon in der Halbwüste kurz vor Kalamáki. Und die Hundehaufen machten alles nicht appetitlicher.

    Max arbeitete auf den Natursteinbaustellen Pitsídias, freilich erst ab dem späten Nachmittag, davor war es einfach zu heiß. Er hatte sich mit Sylvia, einer freundlichen Polin, zusammengetan und gemeinsam hatten sie alte Stühle und Tische an der engsten Stelle der engen Hauptstraße Pitsídias aufgestellt, was eine leidlich funktionierende Bar mit dem internationalen Namen The Brauhaus ergab, die letzte Zuflucht aller nicht griechischen Nachtschwärmer Pitsídias.

    Vor einem Jahr hatte Max einen weggeworfenen kleinen Welpen gefunden. Er nannte ihn Moritz. Der war jetzt ein einjähriger Tunichtgut und hündischer Halbstarker. Die ganze versammelte Trinkerschar im The Brauhaus murmelte etwas von Disziplin und Hundeschule.

    Ein Moped knatterte vorbei. Der im Übrigen bildschöne Hund Moritz warf sein Herrchen Max, der ihn mit der Leine an seinen wackligen Stuhl gebunden hatte, fast um, so wild kläffend wollte er hinterher.

    Jetzt drängte er sich zwischen die Beine der Gäste, bis Colette hysterisch kreischte: „Nicht! Ich habe meine Tage! Der riecht das!"

    Alle Herren waren etwas betreten. Aber auch sie hatten kein gutes Gefühl, wenn eine riesige, feuchte Schnauze an ihrem Schritt schnupperte. Automatisch schlossen sich dann kurzbehoste Oberschenkel, die sich sonst lümmelig zu spreizen pflegten.

    Otto trank ein Mythos Bier und unterhielt sich mit Josefina aus Niederbayern, die ihm Schwänke aus ihrer langen Lebensgeschichte erzählte. Sie berichtete gerade von fliegenden Sargdeckeln auf Pitsídias Friedhof, weil die Geister der Verstorbenen, erbost über den ungepflegten Zustand des Gottesackers, sie in die Luft warfen. Angeblich. Wer Josefina kannte, wusste, dass sie großzügig Jahrtausende streifen konnte. Fernab jeglicher Chronologie kam sie von den Minoern zu Türken und zurück zu den Römern, streifte die Belagerung Wiens und landet bei den schönen deutschen Soldaten in Pitsídia, die 1941 von den heimischen Damen angeblich heiß, aber verschämt und daher ohne Erfolg begehrt worden seien, während die blonden Recken irgendwelche Schweigebatterien auf den Hügeln gebaut und den Straßenbau nach Mátala beaufsichtigt hätten.

    „Den Namen Kómos hat sich der Knossos-Ausgräber Evans ausgedacht", behauptete sie, vermutlich zu Recht, und fügte hinzu, sie würde alle Archäologen aus ihrer italienischen Zeit kennen, alle! Otto war überzeugt, dass das stimmte. Sie, Josefina höchstselbst, habe die italienischen Archäologen in Phaistós auf den illegalen Versuch von einigen Schurken aus der nahegelegenen Stadt Mirés aufmerksam gemacht, am Kómos Beach ein Hotel mitten ins archäologische Gebiet zu bauen. Sie habe den Einsatz eines riesigen Caterpillars in letzter Sekunde verhindert.

    Zu dem Bürgermeister von Pitsídia habe sie gesagt: „Ahaan, die Türken, die habt´s ihr vertrieben, ihr Baazis. Und glorreich verjagt habt ihr auch die Deutschen und sie gleich danach wieder eingeladen und die gemeinsamen Geschäfte hochleben lassen bei großen Festen in Mátala." Aber jetzt, bei den Caterpillars aus Mirés, wären sie allesamt Hasenfüße und wofür eigentlich die Polizei bezahlt werde. Das wusste der Bürgermeister auch nicht so genau, zumal die Polizei in Mirés stationiert war und in Pitsídia wenig geschätzt wurde. Zum Glück ließ sie sich selten sehen.

    Otto erinnerte sich, dass es am Kómos Beach in der Tat einen freigesprengten Parkplatz für die kleinen japanischen oder italienischen Mietautos gab. Dort parkten die alternativ gesinnten Individualtouristen. Zu Hause waren sie fast alle wohlbestallte und beamtete Lehrerinnen und Lehrer, hier spaddelten sie am weißen Strand mit oder ohne Badezeug im Meer herum und waren eine Freude für die kretischen und albanischen Spanner der Gegend.

    In das fortlaufende Gewisper Josefinas mischte sich plötzlich der Ruf von Plumber-Harry, einem in Pitsídia hängengebliebenen Berliner, erkennbar an seinen langen Haaren, die er an der Seite seines Schädels spiralförmig zusammengedreht hatte. „Hallo, Maria!"

    Otto dreht sich um. Ja, da kam sie, begehrenswert wie nur je. Sie erblickte Otto, drückte die Hände auf ihr enges jadefarbenes Kleid über den Oberschenkeln, während sie sich neben ihn setzte und über seinen zurückgelehnten Oberkörper Josefina einen Schmatz auf die rechte Backe gab. „Hallo, schön dich zu sehen."

    „Wir haben dich schon alle vermisst, krähte Josefina mit überraschender Lautstärke. „Wo warst denn? Mit dem feschen Holländer unterwegs?

    „Hat Ottolein geplaudert?"

    „Hab euch doch gesehen, dich und deinen Fredericki. Im Delfínia heut morgen."

    „Josefina, das ist nicht mein Frederick!"

    „Ja, was habt´s ihr denn gewollt zusammen?"

    „Einmal darf das alte Fräulein Adlerauge aus Erding raten. Was mag man wohl wollen in einem Strand-Restaurant? Schmutziges Geschirr abwaschen, Toilette reinigen, den Koch ermorden?"

    „Isses mit dem österreichischem Doktor nix mehr? Erneut ließ Josefina jeden Sinn für Chronologie vermissen. „Wo ist er überhaupt, der saubere Herr Doktor aus Linz, ist er dieses Jahr gar nicht gekommen? Inzwischen lauschte die ganze internationale Trinker-Schar dem Gespräch, das unterhaltsam zu werden versprach.

    „Nun halt mal die Goschen." Maria reichte es.

    Jetzt mischte sich Colette ein. „Ist er gut im Bett, der Holländer?", begehrte sie zu wissen.

    „Du acht mal auf deine Regel, sonst kommt der böse Bello-Moritz zu dir." Otto sagte es ganz ruhig.

    Colette fuhr sich nervös in die hochgesteckten Haare, sie wusste nicht genau, ob das eine Unverschämtheit war oder ein leicht anzüglicher Scherz. Sie entschied sich für Scherz und kicherte. „So ein schlimmer Otto! Und den lässt die Maria sausen! Ich tät was ganz anderes mit ihm, wenn ich nicht meinen John hätt."

    Sie schaute verliebt den Engländer neben sich an. Er war zwei Kopf kleiner und hatte nix verstanden. „Find´st dös net, mei Hasi?" Colette arbeitete in Graz.

    Hasi John schaute wie ein müder Bullterrier, die letzte Nacht war lang gewesen.

    In dem Moment riss sich Moritz, das Kalb von einem Hund, endgültig los. Er fegte dem erstaunten Max den Stuhl unterm Hintern weg und hechtete um die Ecke. Der angebundene Stuhl tanzte hinterher, schepperte gegen die Wand und schon waren beide verschwunden.

    Aber nicht für lange. Man hörte einen erstickten Schrei, dann kam der Hund auf zwei Beinen rückwärts tänzelnd zurück, beide Vorderpranken liebevoll auf die uniformierten Schultern eines jungen, nicht allzu großen Polizisten gelegt, dem er, immer noch artistisch rückwärts tappend, begeistert Augen, Nase und Ohren abschleckte. Er wedelte so jugendlich ungestüm mit seiner enormen Rute, dass er sich mit seinem schwanken Hintern fast selbst aus dem Gleichgewicht brachte. Umso fester musste er sich an seinem neuen Freund festkrallen.

    Der Uniformierte hatte sich in dem mitgeholperten kretischen Stuhl verheddert, was dieser erstaunlicherweise aushielt, und griff verzweifelt nach der Pistolentasche.

    Das sah Max, der immer noch auf dem Boden lag. Er kam katzenartig auf die Beine und warf sich mit einem Schrei auf das tierisch-menschliche Tanzpaar. „Nein, nicht den Hund! Den erschießt du net, du Trachtendepp."

    Alles ging noch einmal gut aus. Moritz, der jugendliche Tunichtgut, wurde wieder angebunden, diesmal an einen Haken in der Hauswand. Die Polin reichte dem Polizisten ein Tuch, der ganz verwirrt vergaß, seine halbgeöffnete Pistolentasche wieder zu schließen, was Otto als ehemaliger Obergefreiter der Bundeswehr tadelnd bemerkte.

    „Wer ist Maria Blumendanck?", fragte der immer noch etwas verwirrte junge Mann in Unform in zweitbestem Schulenglisch. Der Name Blumendanck war erkennbar nicht für die englische Weltsprache gemacht.

    Alle blickten Maria an. „Ich", sagte sie auf Deutsch.

    Ob sie ihre telefonische Aussage bestätigen könne, wurde sie kurz und militärisch gefragte, dass Mr. Frederick van Engel verschwunden sei. „Missing", sagte er.

    „Ja."

    „Wann verschwunden?"

    „This evening." Auch Maria war ins Englische übergegangen.

    „Waren Sie zusammen?"

    „Ja."

    „In welchem Hotel?"

    „Wir haben zusammen gegessen, im Mystical View."

    „Was aßen Sie?"

    „Ich? Sie war etwas verwirrt. „Dorade, glaube ich.

    „Und was passierte?"

    „Frederick, I mean Mr. van Engel, went out, telephone call you know, und kam nicht wieder. No return, I mean."

    „Und dann riefen Sie bei uns an?"

    „Ja."

    „Von wem hatten Sie unsere Telefonnummer?"

    „Vom Wirt."

    „I understand. Wann wollen Sie abreisen?"

    „In einer Woche", sagte plötzlich Otto. Er war selbst erstaunt.

    „Who are you?", fragte der Polizist.

    „Ich bin der Partner von Maria … äh… Frau Blumendanck."

    „Partner, eh? What´s your name?"

    „Otto Murr."

    „Sie wohnen alle zusammen?"

    „Äh, ja, ich wohne zusammen mit Frau Blumendanck, im Acropol."

    „Nicht auch mit Herrn van Engel?"

    „Wo der wohnt, weiß ich nicht." Das weiß ich ganz genau, dachte Otto.

    „Wann reisen Sie ab?"

    „In zehn Tagen, wie gesagt."

    Der junge Polizist schrieb einiges in sein Notizbuch. „Eben hatten Sie noch gesagte, in einer Woche."

    „Ach so, ja, vielleicht auch schon in einer Woche. Ich glaube, dann geht unser Flieger. Man kommt im Urlaub etwas mit der Zeit durcheinander."

    Der Polizist wendete sich an Maria und bat sie höflich, morgen nach Mirés auf die Polizeiwache zu kamen. Mir einer halben Drehung zu Otto Murr fuhr er fort: „Sie auch." Er salutierte andeutungsweise, warf dem Hundetunichtgut einen Blick zu, der besagte, dieser wisse schon, was man auf Kreta mit Bestien wie ihm machen würde, und ging. Das von der Polin angebotene Bier hatte er abgelehnt.

    „Das war der Polizist Dimitri Kastellákis, sagte Max. „Ein verrückter Hund. Polizeichef in Mirés.

    Alle bestürmten Maria. Sie solle sofort erzählen, was vor sich gegangen sei dort oben im Mystical View.

    Sie aber sagte, man solle sich doch bitte – wie sonst auch immer – über irgendeinen Scheißdreck streiten, z.B., ob Paulaner oder Erdinger das bessere Weißbier sei, sie aber bitte schön in Ruhe lassen.

    Alle waren für einen Moment still und erschüttert und auch ein bisschen enttäuscht. Ein lustiges Gespräch wollte nicht mehr recht in Gang kommen, sogar Josefina aus Erding hielt an sich. Man ging auch bald nach Hause in die diversen Unterkünfte, bis auf einen neurotischen französischen Gebirgsguide, der hatte keine und wanderte in seinen Bergstiefeln zum Schlafen an den Kómos-Beach. Die offenen Stiefelbänder schleiften hinterher. Das gehörte sich so und war schließlich sein Markenzeichen.

    Kapitel 8 · Die Krähe

    Eine rechteckige Öffnung. Hoch über ihm. Mindestens vier Meter.

    Frederick van Engel blinzelte in das helle Licht. Es schien Tag zu sein. Er wollte sich aufrichten. Ein Blitz direkt vom oberen Wirbel bis in den rechten Fuß. Stechende Schmerzen im Unterkörper.

    Wider Willen hustete er. Blut trat aus dem Mund, eine fürchterliche Enge in der Brust nahm ihm den Atem. Völlig bewegungslos, aber der Schmerz blieb. Rauer Felsboden.

    Unter seiner linken Schulter schmiegte sich etwas undefinierbar Weiches, aus dem es aber spitzigen Ästen gleich herausspießte. Eine harte und struppige Wollhaut.

    Dann nahm er den Geruch wahr. Süßlich. Voller Grauen atmete er aus. Unter ihm lag ein verwesendes Schaf. Faulendes Fleisch. Einzelne Rippen zeigten wie Dolche nach oben.

    Frederick mochte nicht einmal die im grünlich stehenden Wasser weich verwesenden Stängel der Schnittblumen berühren, die in seiner Kristallvase zu Hause standen, wenn er sie durch neue Blumen vom Markt ersetzte. Er ertrug erst recht nicht die Berührung mit toten Tieren, solange sie als ehemals lebendige Wesen erkennbar waren.

    Eine Krähe saß am Rande der Öffnung hoch über ihm. Mit schräg gehaltenem Kopf schaute sie herunter.

    Ich kann nicht mal mehr atmen, dachte er. Festgepresst an ein totes Tier. In diesem Loch kann ich mich keinen Millimeter bewegen.

    Elende Angst vor dem Ersticken.

    Er war bis zuletzt bei Bewusstsein.

    Stunden später wurde er von einem alten kretischen Schäfer gefunden, der seit Tagen eines seiner Schafe suchte. Die Sonne stand schon hoch am Himmel und schien genau in die antike Kaverne, die vor einigen Tausend Jahren in den harten Kalkstein gehauen worden war. Die rechteckige Öffnung schnitt sich akkurat in den Felsen. Darunter befand sich eine weitläufige Höhle. Das Schaf und der rothaarige Mann lagen dort, wo sie hingefallen waren, jetzt im vollen Sonnenlicht. Eine Krähe war aus der Öffnung heraus geflattert.

    Totenvogel, dachte der Schäfer, du wolltest an die Augen, immer wollt ihr an die Augen. Die Menschen fürchten sich vor toten Augen. Daher schließen sie den Verstorbenen die Lider. Alles andere wäre der Beginn namenlosen Schreckens. Mit offenen Augen kehren die Toten wieder. Ihr starrer Blick lässt die Herzen der Lebenden versteinern.

    Dieser Mensch da unten hat aber keine Augen mehr, die man schließen könnte. Nur zwei blutige Höhlen. Das Zeichen der Hingerichteten.

    Ein verwesender Mensch ist grässlicher als ein verfaulendes Tier, dachte der Alte, bevor er sich abwandte.

    Er ging die knapp 300 Schritte zum Mystical View.

    Kapitel 9 · Dolofonía

    Otto und Maria saßen auf der Terrasse des Acropol und frühstückten. Maria hatte wie immer Joghurt mit Honig bestellt, Otto dagegen ein Omelett mit Tomaten. Maria nannte es scherzhaft Ottolett. Dazu gab es frisches, mit Sesam auf der Kruste bestreutes Weißbrot von der großen Bäckerei an der Hauptstraße. Und einen Nescafe.

    Heute hatte Otto Eierkartons in der offenen Küche seiner Wirtin entdeckt. „Lidl – always fresh". Also nahm sie nicht die Eier ihrer eigenen Hühner, von denen er dieses Jahr allerdings auch keins mehr gesehen hatte. Und auch der morgendlich störende Schrei des Hähnchens fehlte, wenn er es genau bedachte.

    „Was ist mit den Hühnern geschehen?, fragte er Maria. „Na, was wohl. Der Morgen war nicht Marias beste Zeit.

    Otto überlegte, ob sein Sodbrennen mit den Lidl-Eiern zusammenhing oder mit dem gestrigen Weißwein von Max.

    An den Nachbartisch setzte sich ein Ehepaar. Sofort stellten sie sich vor.Marion, eine Lehrerin mit den Fächern Englisch und Kunst, und ihr Ehemann Michael, ein Immobilienmakler. Aus Potsdam. Ohne danach gefragte worden zu sein, betonten sie sofort, was ihnen besonders zuwider sei. Alles Kollektivistische, Parteien oder Gewerkschaften, das sei egal. Davon hätten sie ein für alle Mal die Nase voll. Sie hätten schließlich die ersten 25Jahre ihres Lebens unter dem Kommunismus verbracht.

    „Und jetzt auch noch immer die Lügenpresse!" Marion empörte sich.

    Otto murmelte etwas Unverständliches.

    „Nur die Familie zählt. Wissen Sie, wir durften ja nie verreisen, außer nach Ungarn und in die Tschechoslowakei. Jetzt holen wir alles nach." Marion zählte eine lange Liste von Urlaubsorten und Ländern auf, die Otto zum großen Teil noch nie besucht hatte.

    Lehrerin für Englisch, ob sie auch Russisch könne, fragte er höflich. „Nee, alles vergessen, mein Mann kann das noch etwas. Ich musste Englisch mit native speakers von der British Communist Party lernen. Könnt ihr euch das vorstellen?"

    Das konnte sich Otto Murr durchaus vorstellen. Er hatte in seiner Zeit in England eine ganze Reihe von members of the CP erlebt. Fine comrades!

    „Naja, die Russen. Wisst ihr, was man heute von Charlottenburg sagte: Klein Charlottograd, massenweise Russen und alle mit riesigen Euro-Bündeln in der Tasche!" Michael, der Immobilienmakler, zeigte sich erschüttert.

    Sicher macht er gute Geschäfte mit ihnen, dachte Otto.

    „Das war doch damals ein Privileg, Englisch-Lehrerin zu werden", warf Maria ein.

    „Und ob, bestätigte Marion. „Ich war ja auch Sekretärin der FdJ-Gruppe an meiner Hochschule. Sozusagen politisch zuverlässig. Hach, waren wir dumm damals. Haben uns eben nicht gewehrt.

    Michael lachte und sagte: „Damals durfte man nicht mal sagen, dass man Deutscher ist. Das Wort war sozusagen verpönt. Bürger der DDR, das war richtig. Ich bin Deutscher, das sprach man so halb ins Abseits, durfte offiziell nicht sein. Und jetzt werden wir Deutschen dauernd Fußball-Weltmeister!"

    „In manchen Dörfern da oben im Ida-Gebirge würde ich mich nicht hinstellen und laut sagen Ich bin ein deutscher Weltmeister!, sagte Otto „Vielleicht haben die noch nicht alles vergessen.

    „Ja, da hast du sicher recht, aber die Kreter sind nicht nachtragend, ist schon fast 70 Jahre her, die das miterlebt haben, sind doch fast alle tot, und jetzt kriegen die Griechen ja auch von uns Kredite." Michael angelte eine Olive aus einem Schälchen.

    „Die Griechen wissen nicht mal, wie viel Beamte sie haben, 700.000 oder eine Million." Marion kicherte.

    Ein Polizeiauto hielt vor dem Acropol.

    „Please come with us. Both of you." Der kleine Polizist Dimitri Kastellákis von gestern trat an den Tisch von Otto und Maria.

    „Wir wollten gerade zu ihnen nach Mirés fahren." Otto sprach sein bestes Oxford-Englisch.

    Aber Kastellákis sagte nur: „Please, quick, we have found a person and we need your help to identify him."

    Die Englischlehrerin Marion fragte: Sollen wir die Deutsche Botschaft benachrichtigen?

    „Nicht nötig." Otto winkte ab.

    Kastellákis steuerte sein Auto die Hauptstraße hinunter, aus dem Ort Pitsídia hinaus, vorbei an der großen Bäckerei. Er fuhr über die neu asphaltierte Straße Richtung Mátala und beschleunigte nach der albern kleinen neuen Kreisverkehrsinsel. Rechts sahen sie auf einer kleinen Höhe das Restaurant Panorama, vor dem ein altes wüstengelb gestrichenes Motorrad der ehemaligen Deutschen Wehrmacht stand. BMW mit Boxermotor, wie Otto erkannte. Er erinnerte sich, dass sein Besitzer ab und zu durch Pitsídia knatterte, mit einem alten Lederhelm auf dem Kopf. Meist saß ein großer Hund im Beiwagen.

    Nach einem Kilometer bog der Polizist in einen holprigen, mit einem Zementbelag notdürftig befestigten Weg ein. Nur wenige hundert Metern weiter tauchte links das Mystical View auf. Es lag an der Abbruchkante direkt über dem südlichen Ende des Kómos Beach.

    Otto Murr erinnerte sich an den phantastischen Blick, den man hier abends über die ganze riesige Bucht hatte. Jetzt ankerte mitten im Meer ein mittelgroßer Tanker.

    Wirtschaftskrise, dachte er, alte Tanker wurden vor Kreta auf Reede gelegt. Dieser Tanker schien leer zu sein, er lag hoch im Wasser und ließ seine rote Unterwasserfarbe sehen.

    Kastellákis hielt sein Auto auf dem Parkplatz des Mystical View an. Er führte die beiden rechts am Restaurant vorbei über ein steinübersätes Feld zu einem niedrigen Hügelzug, der im rechten Winkel auf das Ende des Kómos Beach zielte und seine ins Meer abstürzenden inneren Kalksteinformationen entblößte.

    Oben auf dem Hügel hatten vier Männer einen provisorischen Kran aufgestellt, der aus drei gegeneinander gestellten Balken bestand. Als sie näher kamen, sah Otto, dass eine Trage aus einem großen Loch im Felsen hochgehievt wurde. Sie wurde neben dem Loch hingestellt, der Kranhaken wurde erneut heruntergelassen und es erschien ein Mann, der auf dem Haken stand und sich am Seil festklammerte.

    Eine alte Kaverne dachte Otto, vielleicht römisch, vielleicht älter, Begräbnisstätte oder Fluchtort der ansässigen Menschen vor Pirateneinfällen am Kómos, vielleicht auch beides. Warum wurde die große rechteckige Öffnung nicht abgezäunt? Man sah die gähnende Öffnung im felsigen Gelände erst im letzten Augenblick, wie leicht konnte man hier hineinstürzen.

    Er blickte vorsichtig über den Rand in die Tiefe und erblickte allerlei Gerätschaften am Boden der Höhle, daneben etwas, das wie ein totes Schaf aussah. Er hört einen leisen Schrei.

    „Oh Gott, Frederick. Maria stand neben der Trage. „Was ist mit seinen Augen passiert? Sie wendete sich ab.

    „You are sure, it is your friend?"

    „He was not my friend!"

    Das, dachte Otto, war ja bis vor kurzem nicht so ganz klar. Aber dort lag eindeutig der tote Frederick van Engel.

    Fliegen sammelten sich in den Augenhöhlen des toten Mannes. Die Männer deckten eine Plane über sein Gesicht. Die Sonne stand noch längst nicht im Zenit und doch war es schon unerträglich heiß, besonders nach ihrem kleinen Anstieg.

    Unter seinen Füßen entdeckte Otto die versteinerten Reste großer Muscheln. Hier also holten die Leute, die in Mátala Versteinerungen gegen gutes Geld verkauften, ihre Ware. Neben einem kleinen Felshöcker sah er antike Scherben, traute sich aber nicht in Gegenwart des Polizisten, sie aufzuheben.

    Inzwischen hatte sich einer der Männer wieder hinunter seilen lassen. Bald erschien das halb verweste Schaf, nur notdürftig umwickelt und durch einen Knoten am Haken gesichert. Aus seiner ledrigen wolligen Haut ragten dünne teilweise zersplitterte Knochen heraus.

    „Rippen. Otto sagte es halblaut, eher zu sich selber. An einem spitzigen Ende entdeckte etwas Rosiges, bedeckt mit einem behaarten Hautfetzen. Haut vom Holländer. „Mein Gott, sagte er leise. „Aufgespießt von einem toten Schaf."

    Maria schüttelte es. Ach, Freddy, dachte sie, du und deine Mondsense, und die Sonne hast du auch nicht mehr aufgehen sehen.

    Sie begann leise zu weinen.

    Frederick van Engel war nackt, stellte Otto nüchtern fest. Aber der war hier doch nicht nackt durch die Pampa gerannt, nur um sich von toten Schafen aufspießen zu lassen. Jemand hatte ihn ausgezogen und dann hinein gestürzt. Maria? Bestimmt nicht. „Mord, sagte Otto Murr zu dem Polizisten Dimitri Kastellákis. „Obviously this guy was murdered.

    „Dolofonía", sagte der Polizist zu den Männern.

    Eine Zikade sägte monoton in einem niedrigen Gebüsch.

    Dann hörte sie auf.

    Kapitel 10 · Eine ziemlich attraktive Person

    Otto Murr hatte ein Alibi. Er saß in der vorigen Nacht, also zur Tatzeit, im The Brauhaus. Das würden Max und die freundliche Polin Sylvia und eine ganze Reihe von Gästen bestätigen, sagte er.

    Er wurde noch im Mystical View genau vom Polizisten befragte, nicht nur nach seinen persönlichen Daten, seinem Aufenthaltsort, seinen Plänen für den Kreta-Urlaub und nach seinem Verhältnis zu Maria, sondern auch, ob er den Toten genauer kannte und ob er zornig darüber war, dass Frederick van Engel mit seiner Freundin Maria Blumendanck zum Essen verabredet war.

    „Absurd, sagte er zu Kastellákis. „Auftragsmord aus Eifersucht, das ist Blödsinn!

    „So, glauben Sie? Sind Sie in Deutschland nicht eifersüchtig?"

    Otto lag eine scharfe Antwort auf der Zunge. Dann aber sagte er: „Na, dann beweisen sie das mal."

    „Sind Sie in Deutschland nicht eifersüchtig? Haben Sie keine Ehre?"

    „Was ist mit dem kretischen Hotelbesitzer in Kalamáki? Hat der sich etwa an dem Kameltreiber, der seine Frau verführte, gerächt? Eine albanische Killerbande losgeschickt? Ehre, pah!"

    Der Polizist Dimitri Kastellartis war der Sohn eines wohlhabenden Bauern und Geldverleihers aus Pitsídia und einer dänischen Mutter, die sich vor 27 Jahren in den Kreter verliebt hatte und zwei Jahre nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes zurück nach Dänemark gegangen war. Der kleine Junge war unter der Obhut seiner liebevollen kretischen Großmutter aufgewachsen und erhielt den Vornamen seines Großvaters, Dimitri. Nach einer Ausbildung in Heráklion wurde er schließlich Polizeichef in Mirés, nicht ganz ohne Hilfe seines Vaters und vor allem

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