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Vom Göttlichen zum Menschlichen
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eBook254 Seiten3 Stunden

Vom Göttlichen zum Menschlichen

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Über dieses E-Book

»Die Wirklichkeit Gottes und die unserer höchsten Ziele bestimmen zugleich unsere Überzeugung, unser Glück, unsere Tätigkeit, unsere Tugend; das heißt, die Wirklichkeit Gottes und die unserer höchsten Ziele bestimmen alles, was wir sind.«

Frithjof Schuon (1907-1998) wird in weiten Teilen der Welt als einer der bedeutendsten religionsphilosophischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts angesehen. Er gilt als führender Vertreter jener Denkrichtung, die Sophia perennis (»immerwährende Weisheit«) genannt wird, und welche die zeitlosen und überall gültigen Grundsätze enthält, die den verschiedenen Lehren, den Sinnbildern, der heiligen Kunst und den geistigen Übungen der Weltreligionen zugrunde liegen.

Schwerpunkt dieses Buches ist die Metaphysik, die Schuon als »Wissenschaft vom Absoluten oder vom wahren Wesen der Dinge« definiert. Der Titel »Vom Göttlichen zum Menschlichen« weist dabei auf die Denkrichtung »von oben nach unten« hin: Einsichten in das Wesen des Göttlichen, des Absoluten, der ersten Grundsätze werfen ein Licht auf Fragen der menschlichen Natur, auf den Bereich des Verhältnismäßigen, den der Kundgabe.

Das Buch wendet sich an Menschen, die auf der Suche nach einem geistig fundierten Verständnis der Welt und ihres eigenen Lebens sind, einem Verständnis, das über die Antworten hinausgeht, welche die modernen Wissenschaften oder die nur exoterisch verstandenen Religionen geben können. Es vermag zu befreienden Einsichten und tiefer Gewissheit zu führen.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum4. Dez. 2015
ISBN9783732377428
Vom Göttlichen zum Menschlichen

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    Buchvorschau

    Vom Göttlichen zum Menschlichen - Frithjof Schuon

    Vorbemerkung des Übersetzers

    Wir freuen uns, mit diesem Buch die siebte einer Reihe von geplanten Übersetzungen von Werken Frithjof Schuons in deutscher Sprache vorlegen zu können. Der in Deutschland noch wenig bekannte Schuon (1907-1998) wird in weiten Teilen der Welt als einer der bedeutendsten religionsphilosophischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts angesehen. Er besaß einen außerordentlichen Überblick über die religiösen Überlieferungen der Menschheit, konnte die Vielfalt der Erscheinungen bis in ihre Tiefe durchdringen und seine Erkenntnisse in meisterhafter, oft dichterischer Sprache ausdrücken. Er gilt als führender Vertreter jener Denkrichtung, die Sophia perennis, Philosophia perennis oder Religio perennis – also immerwährende Weisheit, immerwährende Philosophie oder immerwährende Religion – genannt wird, welche die zeitlosen und überall gültigen Grundsätze enthält, die den verschiedenen Lehren, den Sinnbildern, der heiligen Kunst und den geistigen Übungen der Weltreligionen zugrundeliegen.

    Die französische Originalausgabe des vorliegenden Buches erschien zuerst 1981 unter dem Titel Du Divin à l’humain; eine weitere Auflage folgte 1993; 1982 und 2013 wurden unter dem Titel From the Divine to the Human Übersetzungen ins Englische veröffentlicht.

    Schwerpunkt dieses Buches ist die Metaphysik, die Schuon an anderer Stelle als »Wissenschaft vom Absoluten oder vom wahren Wesen der Dinge« definiert.¹ Der Titel Vom Göttlichen zum Menschlichen weist dabei auf die Denkrichtung hin: Einsichten in das Wesen des Göttlichen, des Absoluten, der ersten Grundsätze werfen ein Licht auf Fragen der menschlichen Natur, auf den Bereich des Verhältnismäßigen, den der Kundgabe.

    Wie ist es für einen Menschen möglich, zu derartigen Einsichten zu gelangen? Sind sie ihm nicht grundsätzlich verwehrt?

    Schuon zufolge – und er befindet sich hier in der Tradition von Denkern der Sophia perennis wie Platon, Shankara, Ibn ‘Arabî und Meister Eckhart – kann der Mensch zur Erkenntnis gelangen durch den Intellekt, den »reinen Geist«, der zur unmittelbaren Schau, zur »Einsicht« fähig ist. Der Intellekt enthält in seiner Spitze das Göttliche im Menschen, mit den von Schuon immer wieder angeführten Worten Meister Eckharts: Aliquid quod est increatum et increabile … et hoc est intellectus (»etwas, was unerschaffen und unerschaffbar ist … und das ist der Intellekt«). Bedeutsam ist hier, dass der Intellekt als göttlich angesehen wird, er ist überpersönlich und überrational; er darf nicht mit dem Verstand verwechselt werden; er gehört nicht dem einzelnen Menschen, vielmehr hat dieser grundsätzlich Zugang zu ihm.

    Der Mensch ist aber nicht nur umfassendes Erkenntnisvermögen, sondern auch freier Wille und selbstlose Seele. Sinn des menschlichen Daseins ist es demzufolge, das Wahre zu erkennen, das Gute zu wollen, das Schöne zu lieben.

    Obwohl Deutsch seine erste Muttersprache war, hat Schuon seine metaphysischen Werke auf Französisch verfasst, einer Sprache, die sich aufgrund ihres lateinischen Ursprungs und ihres unzweideutigen Wortschatzes hierfür besonders gut eignet. Schuon liebte die deutsche Sprache sehr und bestand darauf, sie weitgehend von Fremdwörtern freizuhalten. Dem haben wir in der vorliegenden Übersetzung Rechnung zu tragen versucht; so wird der Leser einige mittlerweile selten gewordene Wörter wie »Geistigkeit« statt »Spiritualität«, »Anblick« oder »Gesichtspunkt« statt »Aspekt«, »Sammlung« statt »Konzentration« und dergleichen mehr finden. Als Muster hat uns hierbei Schuons eigene Übertragung seines ersten Hauptwerkes De l’unité transcendante des religions (1948) ins Deutsche gedient.²

    Andererseits war es unumgänglich, eine Reihe von Fremdwörtern zu benutzen, seien es philosophische Fachausdrücke oder Begriffe aus einer Vielzahl von Überlieferungen; diese Begriffe aus dem Sanskrit, dem Griechischen, dem Lateinischen und dem Arabischen wurden in einem Glossar im Anhang des Buches zusammengestellt, übersetzt und erklärt.

    Weiterhin haben wir im Anhang nach Seitenzahl geordnete »Anmerkungen des Übersetzers« zusammengestellt, in denen Textstellen erläutert werden, die auf überlieferte theologische Lehren, wichtige Philosophen oder geistige Meister sowie heilige Schriften der Weltreligionen anspielen.

    1  Logik und Transzendenz. Hamburg 2013, S. 27

    2  Deutsch: Von der inneren Einheit der Religionen. Freiburg i. Br. 2007.

    [1] Vorwort

    Wir hatten nicht die Absicht, ein Vorwort zu diesem neuen Buch zu schreiben, man hat uns aber gesagt, dass Leser, die mit unserem Denken nicht vertraut sind, zweifellos gleich von Anfang an wissen möchten, wie die zugrunde liegende Lehre beschaffen ist, welche Themen miteinander vereint, die auf den ersten Blick nicht zusammenpassen. Nun werden sie diese Lehre aber in diesem Buch finden; sie werden sie auch in so klarer Form wie eben möglich in einigen unserer früheren Werke finden, namentlich in Logik und Transzendenz, Forme et Substance dans les Religions und Esoterik als Grundsatz und als Weg. Wir glauben im Übrigen nicht, dass das vorliegende Buch schwerer zugänglich ist als ein durchschnittliches, für Laien geschriebenes philosophisches Werk; uns scheint im Gegenteil, dass unsere Art, uns auszudrücken, selbst wenn sie zuweilen verdichtet ist, wie man uns gesagt hat, ein Höchstmaß an Klarheit und sogar an Einfachheit anstrebt; wenn weiterhin noch Schwierigkeiten bleiben, dann liegt es am Gegenstand und folglich in der Natur der Dinge.

    Im Übrigen ist unser Standpunkt wohlbekannt: Er ist von Grund auf jener der Metaphysik, und diese ist in ihrem Wesen allgemeingültig, »dogmatisch« im philosophischen Sinne des Wortes und überlieferungsgemäß; allgemeingültig, weil frei von jeglichem konfessionellen Formalismus; »dogmatisch«, weil fern von jeglichem subjektivistischen Relativismus – wir glauben, dass es Erkenntnis gibt und dass sie eine wirkliche und wirksame Übereinstimmung ist –; und überlieferungsgemäß, weil die religiösen Überlieferungen dazu da sind, auf verschiedene Weise, aber einmütig, von jenem grundlegendem geistigen Standpunkt Rechenschaft abzulegen, der letzten Endes den Daseinsgrund des menschlichen Geistes ausmacht.

    [2][3] E RSTER T EIL

    SUBJEKTIVITÄT UND ERKENNTNIS

    [4]

    [5] Folgerungen aus dem Mysterium der Subjektivität

    Die erste Feststellung, die sich dem Menschen aufdrängen sollte, wenn er sich Fragen über die Natur des Alls stellt, ist die Vorrangstellung jenes Wunders, das die Intelligenz ist – oder das Bewusstsein oder die Subjektivität – und folglich ihre Unvergleichbarkeit mit materiellen Gegenständen, sei es ein Sandkorn oder die Sonne oder irgendein Geschöpf als sinnlich wahrnehmbarer Gegenstand. Die Wahrheit des kartesianischen Cogito ergo sum beruht nicht darauf, dass es das Denken als Beweis für das Sein vorbringt, sondern einfach darauf, dass es die Vorrangstellung des Denkens – und damit des Bewusstseins oder der Intelligenz – bezüglich der uns umgebenden materiellen Welt zum Ausdruck bringt; freilich ist es nicht unser persönliches Denken, das vor der Welt da war, sondern es war – oder es ist – das absolute Bewusstsein, dessen entferntes Spiegelbild unser Denken ist, unser Denken, das uns daran erinnert und uns beweist, dass am Anfang der Geist war. Nichts ist widersinniger, als die Intelligenz auf die Materie zurückzuführen, also das Größere auf das Geringere; der evolutive Sprung von der Materie zur Intelligenz ist in jeder Hinsicht das am wenigsten Vorstellbare, das es gibt.

    Man wird uns zweifellos sagen, dass die Wirklichkeit eines Schöpfergottes nicht bewiesen worden ist; abgesehen davon, dass es nicht schwer ist, diese Wirklichkeit mit Argumenten zu beweisen, die seiner Natur angemessen – aber ebendeshalb für gewisse Menschen unzugänglich – sind, ist indes das Wenigste, was man sagen kann, dass die Evolution niemals von irgendjemand bewiesen worden ist, und das mit gutem Grund; man lässt die evolutionistische These von der Verwandlung der[6] Arten als nützliches und vorläufiges Postulat gelten, so wie man alles Mögliche gelten lässt, wenn man sich nur nicht verpflichtet fühlt, die Vorrangstellung des Immateriellen gelten zu lassen, da dieses sich ja der Überprüfung durch unsere Sinne entzieht. Wenn man von der Feststellung jenes unmittelbar greifbaren Mysteriums ausgeht, das die Subjektivität oder die Intelligenz ist, dann ist es jedoch leicht zu verstehen, dass der Ursprung des Alls nicht leblose und unbewusste Materie ist, sondern eine geistige Substanz, die von Gerinnung zu Gerinnung und von Aufteilung zu Aufteilung – und anderen zugleich kundgebenden und begrenzenden Ausstrahlungen – schließlich die Materie hervorbringt, indem sie diese aus einer feineren, aber von der Ursubstanz bereits entfernten Substanz in Erscheinung treten lässt. Man wird uns vorhalten, dass es hierfür keinen Beweis gebe, worauf wir antworten – ungeachtet dessen, dass das Phänomen der Subjektivität eben diesen Beweis enthält, abgesehen von anderen intellektuell möglichen Beweisen, deren die geistige Schau indessen nicht bedarf –, dass es unendlich weniger Beweise für jene unvorstellbare Widersinnigkeit gibt, die der Evolutionismus ist, welcher, bildlich gesprochen, das Wunder des Bewusstseins aus einem Haufen Erde oder Schotter entspringen lässt.

    In diesem Zusammenhang möchten wir hervorheben, dass die Vorstellung des »Großen Geistes« und die der Vorrangstellung des Unsichtbaren für den Menschen natürlich ist, was keines Beweises bedarf; was nun aber für das menschliche Bewusstsein, welches sich vom tierischen durch seine Objektivität und seine Vollständigkeit unterscheidet, natürlich ist – nämlich seine Fähigkeit zum Absoluten und zum Unendlichen –, beweist ipso facto seine wesensmäßige Wahrheit, liegt doch der Daseinsgrund der Intelligenz in seiner Übereinstimmung mit[7] dem Wirklichen.¹ Wenn die geistige Schau und die Offenbarung für den Menschen »übernatürlich natürlich« sind, ist andererseits deren Ablehnung selbstredend ebenfalls eine Möglichkeit der menschlichen Natur, sonst träte sie nicht auf; da aber der Mensch vollständig intelligent und dadurch vollständig frei ist, bedeutet dies in der Folge, dass er als einziges Geschöpf auf der Erde frei ist, sich seiner eigenen Natur entgegenzustellen. Nun besitzt er diese Freiheit aber nur infolge eines Sündenfalls, der ihn zunächst von jener inneren Offenbarung trennt, welche die geistige Schau ist, und ihn dann gegen die prophetische Offenbarung aufwiegelt, die ihrerseits ein Ersatz für das innere Wissen ist, und die dieses dadurch wieder erweckt, zumindest grundsätzlich.

    Die äußeren Argumente tragen als Anhaltspunkte oder als Schlüssel dazu bei, die intellektuelle und daseinsmäßige Vorrangstellung des Geistes zu beweisen, wir benötigen diese Beweise aber nicht, um es noch einmal zu sagen; wenn es Menschen gibt, für die der Schatten einer Katze kein Beweis für die Anwesenheit der wirklichen Katze ist oder für die das Geräusch eines Wasserfalls kein Beweis für die Nähe des Wassers ist, kann das nicht bedeuten, dass unser Bewusstsein dieses Tieres oder dieses Wasserfalls zwangsläufig oder ausschließlich von dem Schatten oder dem Geräusch abhängt. Unser Axiom ist es einerseits, dass alles, was da ist, a priori in die gottförmige Substanz unserer Intelligenz eingetragen ist – es gibt kein vollständiges Bewusstsein, das keine Verlängerung des absoluten Bewusstseins wäre – und andererseits, dass die intellektuelle Verwirklichung des Wirklichen oder des Möglichen von der [8] Vollkommenheit unserer Natur oder von einem äußeren Faktor abhängig ist, der diese Vollkommenheit erschließt oder der sie verwirklicht, wenn sie nur teilweise vorhanden ist; ein Faktor also wie die Offenbarung oder wie, in speziellerer Weise, eine Erfahrung, welche die archetypische Wiedererinnerung hervorruft, von der Platon gesprochen hat.

    Die Freiheit des Menschen ist umfassend, sie kann aber nicht absolut sein, denn Absolutheit kommt nur dem alleinigen höchsten Ursprung zu und nicht seiner Kundgabe, selbst wenn sie unmittelbar oder zentral ist. Zu sagen, unsere Freiheit sei umfassend, bedeutet, dass sie »verhältnismäßig absolut« ist, das heißt, dass sie dies auf einer bestimmten Ebene und innerhalb gewisser Grenzen ist; gleichwohl ist unsere Freiheit wirklich – die eines Tieres ist dies ebenfalls in gewisser Weise, sonst fühlte sich der Vogel im Käfig nicht seiner Freiheit beraubt –, und sie ist wirklich, weil Freiheit als solche Freiheit ist und nichts anderes, wie immer ihre ontologischen Grenzen auch beschaffen sein mögen. Was die absolute Freiheit betrifft, jene des göttlichen Urgrundes, so hat der Mensch an ihr in dem Maße teil, wie er sich mit ihr im Einklang befindet, und diese Möglichkeit des Einsseins mit der Freiheit an sich oder mit dem Absoluten hat ihren Ursprung in dem Umfassenden unserer gleichwohl verhältnismäßigen Freiheit; was darauf hinausläuft, dass in Gott und durch ihn der Mensch wieder zur reinen Freiheit gelangen kann; in Gott allein sind wir absolut frei.

    Anzuerkennen, dass der Mensch seinen Platz definitionsgemäß zwischen einer geistigen Schau hat, die ihn mit Gott verbindet, und einer Welt, welche die Macht hat, ihn von Gott zu entfremden, dass der Mensch folglich, da er frei ist entsprechend seiner Intelligenz, die paradoxe Freiheit besitzt, sich seinerseits zu Gott machen zu wollen, heißt gleichzeitig[9] anzuerkennen, dass die Möglichkeit eines Bruchs zwischen geistiger Schau und dem einfachen Verstand von Anfang an gegeben ist, eben durch die Mehrdeutigkeit der Conditio humana ; denn der zwischen dem Unendlichen und dem Endlichen hängende Pontifex kann nicht nicht mehrdeutig sein, sodass »Ärgernisse kommen müssen«: sodass der Mensch schließlich – ausgehend vom ursprünglichen Sündenfall und dann von Sündenfall zu Sündenfall – zum rationalistischen Luziferianismus gelangt,² der sich gegen Gott wendet und sich dadurch gegen unsere Natur stellt; oder der sich gegen unsere Natur wendet und sich dadurch gegen Gott stellt. Die von ihrem übernatürlichen Hintergrund abgelöste Verstandeskraft richtet sich zwangsläufig gegen den Menschen und führt schließlich notwendig zu einem Denken und einer Lebensweise, die beide im Widerspruch zum Menschen stehen. Mit anderen Worten: Die Tätigkeit des Intellekts ist nur in solchen Seelen völlig geschützt, die vorsehungsmäßig frei sind von gewissen Gefahren der menschlichen Natur; sie ist aber nicht geschützt – und kann es nicht sein – im Menschen als solchem, aus dem einfachen Grund, dass zum Menschen definitionsgemäß die leidenschaftsbestimmte Individualität gehört und dass deren Gegenwart die Gefahr des Bruches mit dem reinen Intellekt und in der Folge die Gefahr des Sündenfalls schafft.

    Menschlich ist, was natürlich ist für den Menschen; und ganz wesensmäßig oder ganz spezifisch natürlich ist für den Menschen, was sich auf das Absolute bezieht und was demzufolge auf das Übersteigen des irdischen Menschen hinweist.³ Und sogar noch vor den Sinnbildern, den Lehren und[10] den Riten weist unsere Subjektivität – wir haben davon gesprochen – so klar wie nur irgend möglich auf unseren Bezug zum Geist und zum Absoluten hin; ohne die absolute Vorrangstellung des Geistes wäre die verhältnismäßige Subjektivität weder möglich noch vorstellbar, sie wäre wie eine Wirkung ohne Ursache.

    Die von ihrer überindividuellen Quelle getrennte Intelligenz hat ipso facto jenen mangelnden Sinn für Größenverhältnisse im Gefolge, den man Hochmut nennt; umgekehrt hindert der Hochmut die zum Rationalismus gewordene Intelligenz daran, wieder zu seiner Quelle hinaufzusteigen; er kann nur den Geist leugnen und ihn durch die Materie ersetzen; aus dieser lässt er das Bewusstsein entspringen, in dem Maße, wie er es nicht leugnen kann, indem er es – und es fehlt nicht an entsprechenden Versuchen – auf eine Art besonders raffinierter oder »entwickelter« Materie beschränkt.⁴ Statt sich der Offensichtlichkeit des Geistes zu fügen, leugnet der hochmütige Verstand seine eigene Natur, die ihm doch ermöglicht zu denken; in seinen konkreten Schlüssen fehlt es ihm ebenso an Vorstellungskraft und am Sinn für Größenverhältnisse wie [11] an intellektuellem Scharfsinn, und das ist eben eine Folge seines Hochmuts. Corruptio optimi pessima: Dies beweist einmal mehr das ungeheure Missverhältnis zwischen der luziferisch gewordenen Gewandtheit des Verstandes und der Falschheit seiner Ergebnisse; man vergeudet massenhaft Intelligenz, um das Wesentliche zu unterschlagen und um eindrucksvoll das Widersinnige zu beweisen, nämlich dass der Geist am Ende aus einem Haufen Erde – oder sagen wir, aus einer unbelebten Substanz – aufgetaucht ist, im Verlauf von Milliarden von Jahren, deren Zahl in Bezug auf das angenommene Ergebnis lächerlich ist und nichts beweist. Wir haben hier einen Ausfall an gesundem Menschenverstand vor uns und eine Verderbtheit der Vorstellungskraft, die, streng genommen, nichts Menschliches mehr an sich haben; und das ist nur durch die wohlbekannte wissenschaftsgläubige Voreingenommenheit erklärbar, alles von unten zu deuten und irgendwelche Hypothesen aufzustellen, wenn sie nur die wirklichen Ursachen ausschließen, die transzendent und nicht materiell sind und deren greifbarer und offenkundiger Beweis eben unsere Subjektivität ist.

    Der Geist ist die Substanz, die Materie ist das Akzidens: Das heißt, die Materie ist nur eine kontingente und vorübergehende Seinsweise der Ausstrahlung des Geistes, der die Welten und die Zyklen gebärt und dabei transzendent und unwandelbar bleibt. Diese Ausstrahlung bringt die Polarisation in Subjekt und Objekt hervor: Die Materie ist der Ruhepunkt des objektiven Pols, wobei das sinnliche Bewusstsein die entsprechende subjektive Erscheinung ist. Für die Sinne ist das Objekt die Materie oder, sagen wir, der wahrnehmbare physische Bereich; für den Intellekt ist die objektive Wirklichkeit der Geist in all seinen Formen. Durch ihn leben und erkennen wir; würde er[12] den physischen Substanzen nicht innewohnen, hätten diese nicht für einen Augenblick Bestand. Und in diesem Geist wird der Gegensatz Subjekt-Objekt aufgelöst; er löst sich in die zugleich ausschließende und einschließende, transzendente und immanente Einheit auf. Das Alpha so wie das Omega wohnen in der Tiefe unseres Herzens, obwohl sie uns unendlich übersteigen.

    Das, was wir erkennen können und müssen, das sind wir; und deshalb können wir es unfehlbar erkennen unter der Bedingung, dass wir von den Schleiern befreit sind, die uns von unserer wahren Natur trennen. Diese Schleier nimmt der Mensch auf sich, weil sein luziferischer Wille sich mit ihnen gleichsetzt; also weil er glaubt, sich in ihnen wiederzuerkennen; und weil sie zu entfernen demzufolge hieße zu sterben. Dies ist

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