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Total abgefahren - Mit dem Einachser ans Nordkap
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eBook360 Seiten4 Stunden

Total abgefahren - Mit dem Einachser ans Nordkap

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Über dieses E-Book

Es ist eine fast unglaubliche Geschichte: Mann, 50+, kauft sich ein Cabriolet und fährt damit bis ans Nordkap und zurück. Typisch für Männer in diesem Alter, denken Sie sich wohl. Dem ist aber nicht so, denn beim Cabriolet handelt es sich um einen Rapid Einachser-Traktor mit Jahrgang 1981 und einen selbstgebauten Wohnanhänger.

Am 10. Juni 2018 startet Andreas Zimmermann sein Abenteuer. Vier Monate wird die Reise dauern, welche ihn mit einer Höchstgeschwindigkeit von 17 km/h, über 9000 km und durch 11 Länder führen wird. «Einmal nicht im Stau stehen», denkt er, «der Stau befindet sich immer hinter mir.» Aber wie werden die Menschen reagieren? Werden sie ihn lieben oder hassen? Mit gewissen Ängsten macht er sich auf den Weg, doch er wird überwiegend positiv überrascht. Wo er auch auftaucht, er und sein Fahrzeug sind die grosse Attraktion. Hätte er alle Einladungen angenommen, wäre er wohl noch heute unterwegs.

Ein Klischee bewahrheitet sich aber. In Tschechien und Polen scheint Vodka ein Grundnahrungsmittel zu sein. In der Nähe von Ilowa in Polen lernt er Victor kennen. Nach einem interessanten Gespräch und einer halben Flasche Vodka, verspricht ihm dieser, noch eine Rolle Spezial-Panzerband vorbeizubringen, damit er die defekte Beleuchtung zusammenkleben könne. Am Morgen findet er das versprochene Klebeband auf dem Fahrersitz. Dazu folgende Notiz: «Denk daran, dank Menschen wie dir, wird auch unser Leben etwas farbiger».

«Das ist Entschleunigung pur», wurde ihm oft gesagt, oder «Du hast das perfekte Meditationsfahrzeug.» Ja, bei der Fahrt durch diese oft unendlichen, fantastischen Landschaften hatte er mehr als genug Zeit zum Nachdenken.

In seinem packenden Tagebuch erzählt Andreas Zimmermann, der Rapid-Man, von seinen Freuden und Leiden unterwegs. Die Geschichten sind mal heiter, mal besinnlich und tiefgründig, aber sicher nie langweilig.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum30. Sept. 2019
ISBN9783748263838
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    Buchvorschau

    Total abgefahren - Mit dem Einachser ans Nordkap - Andreas Zimmermann

    Der Pfander, ein ganz spezielles Fahrzeug

    Anlässlich einer Familienfeier sassen wir an einem Sonntagabend bei meinem Bruder Martin gemütlich beisammen. Auch seine Schwiegereltern Esther und Brecht waren eingeladen. Brecht war vor langer Zeit einmal Landwirt und ist immer noch im Besitz eines Einachsers der Marke Rapid. Mit Brecht habe ich also schon einen Fachmann in Sachen Einachser gefunden und er lässt es sich natürlich nicht entgehen, mir einen langen Vortrag darüber zu halten. So vergeht der Abend wie im Fluge.

    Als ich am Montagabend nach Hause komme, blinkt der Telefonbeantworter. Es ist Esther: «Andreas, ruf uns an, Brecht hat dir etwas zu sagen.» Als ich anrufe, muss Esther ihren Mann erst aus seiner Werkstatt holen. Er ist ständig damit beschäftigt, alte landwirtschaftliche Geräte und Maschinen zu restaurieren. Sein halbes Grundstück ist schon überstellt damit. «Andreas, ich habe mir das überlegt mit dem Einachser», sagt Brecht. «Ich glaube, das ist keine gute Idee. Ich habe dir ja erzählt, dass ein Einachser nicht so einfach zu steuern ist. Schlaglöcher oder Steine auf der Strasse sind gefährlich und wenn du in einen Randstein fährst, fliegst du in hohem Bogen von der Strasse. Ich habe da aber noch einen Pfander, den könntest du haben. Ich würde ihn dir schenken. Ich habe den Pfander von einem Kollegen erhalten und wollte damit Pferdemist auf der Wiese verteilen. Die kleinen Räder sind aber ungeeignet fürs Gelände.» Danach folgt ein längerer Vortrag darüber, wie der Pfander ausschaut und funktioniert und dass er ungefähr 25 km/h schnell fahren soll. Soviel ich verstanden habe handelt es sich um ein dreiräderiges Fahrzeug. Hinten hat es zwei Räder und vorne eines. Zudem verfügt es über eine Ladefläche von ungefähr zwei Metern Länge. Das vordere Rad lässt sich um 360 Grad drehen und auf diesem Rad oben drauf sitzt der Motor. Ich kann damit immer nur vorwärtsfahren. Das Fahrzeug besitzt keinen Rückwärtsgang. Zum Rückwärtsfahren muss ich also das vordere Rad samt Motor um 180 Grad drehen.

    Ich habe noch einige Tage Zeit bis zum Besichtigungstermin bei Brecht. Also versuche ich im Internet ein Foto eines Pfanders zu finden. Das gestaltet sich als ziemlich schwierig, aber schlussendlich werde ich bei einer Online-Auktionsplattform fündig. Was ich da zu sehen bekomme, stimmt mich aber nicht sehr zuversichtlich. Die Ladefläche ist zwar schön gross und liesse sich problemlos als eine Art Planwagen zum Übernachten ausbauen, der vordere Teil mit dem Motor hat aber die Grösse eines Rasenmähers und der Bügel zum Steuern erinnert stark an einen Kinderwagen. Vielleicht hat ja Brecht noch ein anderes Modell.

    Meine Lebenspartnerin Ursula kennt einen netten Experten bei der Motorfahrzeugkontrolle MFK und fragt ihn betreffend Pfander an. Irgendwie müsste ich dieses Fahrzeug ja legal auf die Strasse bringen. Der Fachmann gibt folgende Erklärung ab: «Die Firma Pfander aus Dübendorf hat nur wenige benzinbetriebene Fahrzeuge hergestellt. Sie war vor allem bekannt für ihre Elektrofahrzeuge, welche häufig von den Milchmännern genutzt wurden. Ein Pfander ist eine sogenannte Motorkarette und wie der Name schon sagt, sitzt man zum Fahren nicht drauf, sondern läuft neben oder hinter ihr her. Die Karette lässt sich mit einem Führerausweis fürs Mofa fahren und hat eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von maximal 8 km/h.»

    Den Milchmann mit seinem Pfander habe ich noch ganz klar vor Augen. Mit seinen gestreiften Hosen, dem weissen Kittel, seinem etwas spitzen Gesicht und der Baskenmütze auf dem Kopf erinnert er mich irgendwie an Globi aus den gleichnamigen beliebten Kinderbüchern. Mehrmals die Woche machte er seine Runde durchs Dorf und lieferte Milch, Joghurt und Käse, alles frei Haus. Alles wurde fein säuberlich ins Milchbüchlein eingetragen. Einmal im Monat begab man sich in die Käserei, um den ausstehenden Betrag zu begleichen. Mit dem Milchmann haben wir auch das Einmaleins gelernt, man nennt das wohl angewandte Mathematik: Wenn ein Kilo Käse CHF 15.00 kostet, wieviel kosten dann zweihundert Gramm? Der klassische Dreisatz. Dieses Beispiel lässt sich so natürlich problemlos im Kopf lösen. Unser Milchmann hat sich leider nie an solche «Laborbedingungen» gehalten. Es ist auch sehr schwierig, genau zweihundert Gramm Käse abzuschneiden. Als guter Geschäftsmann hat er aber auch nicht nur hundertachtzig Gramm abgeschnitten, sondern mindestens zweihun-dertfünfunddreissig. Seine Frage war dann immer: «Darf es ein wenig mehr sein?»

    Ich fahre mit Ursula zu Brecht und Esther, um mir den Pfander anzuschauen. Das Gefährt sieht leider schlimmer aus als befürchtet. Ich glaube kaum, dass der Motor überhaupt anspringt. «Er läuft perfekt», sagt Brecht, «mein Kollege ist damit bis hierhergefahren. Er hat einfach einen Campingstuhl auf die Ladefläche gestellt, damit er zum Fahren bequem sitzen konnte.» Ich stelle mir das Bild plastisch vor. Da fehlen nur noch eine Lanze und ein paar Windmühlen und wir hätten eine moderne Form des Don Quijote. «Nimm ihn, Andreas, nimm ihn, er gehört dir, er kostet dich nichts», sagt Esther und ich spüre genau, dass sie das Teil lieber früher als später loswerden will. Auch die 25 km/h Geschwindigkeit, von der Brecht gesprochen hat, kann ich irgendwie nicht glauben, es ist ja nach MFK eine Motorkarette. Wurde der Motor manipuliert oder verändert sich mit fortgeschrittenem Alter die Wahrnehmung von Geschwindigkeit?

    In der Strasse, wo ich aufgewachsen bin, wohnte drei Häuser weiter eine Frau mit französischem Namen in einer prächtigen Villa. Wir mussten sie mit Madame ansprechen. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, ob die Frau aus der französischen Schweiz oder aus Frankreich stammte und ob sie nur französisch sprach oder ob wir sie Madame nennen mussten, weil sie in der Villa wohnte und dadurch wohl etwas Besseres war, als nur eine «gewöhnliche» Frau. Madame war im Besitz eines stattlichen amerikanischen Autos, mit welchem sie ab und zu ausfuhr. In jener Zeit gab es auf den Strassen praktisch keine Staus, bei uns auf dem Land sowieso nicht, ausser wenn Madame unterwegs war. Ich glaube, sie hat nie mehr als den ersten Gang benutzt und schneller als 20 km/h ist sie garantiert nie gefahren. Für die alte Dame war das wohl relativ schnell, für alle anderen aber ausserordentlich langsam.

    Wenn ich erzähle, dass ich mit dem Einachser bis ans Nordkap fahren will und zurück und dafür mindestens vier Monate einplane, höre ich oft: «Da bist du ja ewig unterwegs.» Das tönt dann fast so, als ob vier Monate mit dem langsamen Einachser länger wären, als vier Monate mit einem schnelleren Fahrzeug, was irgendwie einer Umkehrung von Einsteins Relativitätstheorie gleichkäme. Nur wenn ich mich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen könnte, würde meine Uhr langsamer laufen als diejenige der Daheimgebliebenen. Seit über zwanzig Jahren verdiene ich meinen Lebensunterhalt als Reisefotograf. Es ist also mein Beruf, weg zu sein. Oft war ich auch mehrere Monate am Stück fort von zu Hause, aber niemand hat gesagt: «Da bist du ja ewig unterwegs.» Das zeigt, wie die Art des Reisens die Wahrnehmung verändert.

    Unterdessen hat Brecht die Kurbel gefunden, um den Pfander zu starten. Diese Oldtimer verfügen ja noch nicht über einen Elektrostarter. Oft verwendet man eine Kurbel, einen Riemen oder ein Seil, wie bei einem Rasenmäher. Trotz aller Bemühungen lässt sich der Pfander aber nicht starten. Brecht hat aber sofort eine Lösung parat. Er greift zur Bohrmaschine. Der passende Steckschlüsselaufsatz ist bereits montiert und ich kann mir vorstellen, dass er mit diesem Problem nicht das erste Mal konfrontiert ist. Die Bohrmaschine läuft auf Hochtouren, was mich befürchten lässt, dass der Elektromotor bald durchbrennt. Doch plötzlich startet die Maschine. «Siehst du, sie läuft tadellos», meint Brecht. Laufen tut sie schon, doch an verschiedenen Stellen läuft Öl aus, nichts ist dicht. Der Pfander überzeugt mich überhaupt nicht. Ich kann mir gut vorstellen, dass er nach einer professionellen Restauration das Herz eines Oldtimer-Freundes höherschlagen lässt. Doch damit ans Nordkap reisen? Daraus wird definitiv nichts. Ich bedanke mich bei Esther und Brecht für ihr grosszügiges Angebot, welches ich nach reiflicher Überlegung leider nicht annehmen kann. Esther ist sichtlich enttäuscht, aber bei Brecht huscht ein Lächeln übers Gesicht. Er kann seinen Pfander behalten und weiterhin als Abstellfläche fürs Überwintern seiner Geranien verwenden.

    Als kleines Gedankenspiel habe ich den Pfander aber bereits für die Fahrt ans Nordkap umgebaut: Die Ladefläche ist als Planwagen gestaltet, so dass ich auch darauf übernachten könnte. Allerdings zeigt sich, dass der Platz nicht reicht, weil der Dieselgenerator zu viel Raum einnimmt. Den Generator benötige ich, um den Strom für die Bohrmaschine zu erzeugen, mit der ich den Pfander starten kann. Ich laufe neben dem Pfander her, wie man das gemäss dem Experten der MFK ordnungsgemäss zu tun hat. Als mir das zu dumm wird, stelle ich trotzdem noch einen Campingstuhl auf die Ladefläche, klemme mir eine Lanze unter den Arm, kämpfe auf dem Weg nach Norden mit imaginären Windmühlen, bis ich mich in einer psychiatrischen Klinik wiederfinde, wo ich den Rest meines Lebens verbringen werde.

    Die Suche nach Informationen

    Ich muss gestehen, ich bin ein absoluter Banause, was Autos und Motoren angeht. Es hat mich nie interessiert. Der Wunsch, irgendein Modell als Prestigeobjekt zu besitzen, liegt mir fern. Während der Schulzeit gab es Kollegen, die konnten die verschiedenen Autos anhand des Motorengeräusches erkennen oder sie legten eine Chronologie der verschiedenen Modelle und Jahrgänge anhand der Kühlergrills an. Ein Auto ist für mich nur Mittel zum Zweck. Es muss mich zuverlässig von A nach B befördern, das heisst, es muss vor allem tadellos funktionieren. Ich weiss gerade, wo das Benzin reinkommt, wo ich das Öl kontrollieren und bei Bedarf nachfüllen muss. Auch die Bedienung ist mir weitestgehend geläufig. In der Computersprache ausgedrückt bin ich also ein ziemlich beschränkter User (Nutzer), der keine Ahnung davon hat, was dahintersteckt. Ich habe somit durchaus Verständnis für diejenigen, welche mir von einer Reise mit einem Einachser abraten wollen. Die ältesten dieser Fahrzeuge sind über fünfzig Jahre alt, mit der entsprechenden damaligen Technik. Ob mich ein solches Gefährt zuverlässig ans Nordkap bringt und hoffentlich auch zurück, muss die Zukunft noch zeigen. Immerhin verfüge ich über ein gewisses technisches Verständnis, denn ich habe vor langer, langer Zeit einmal eine Ausbildung als Maschinenzeichner absolviert.

    Es ist erstaunlich, was sich für faszinierende Welten öffnen, wenn man sich mit einer neuen Materie beschäftigt. Was ist eigentlich ein Einachser? Es ist simpel und einfach eine Achse mit zwei Rädern. Darauf sitzt der Motor mit Getriebe, welcher die Räder antreibt. Im rechten Winkel zur Radachse ist die Zapfwelle angeordnet, die also nach vorne und hinten rausschaut. An diese Zapfwelle kann man eine grosse Anzahl an Zusatzgeräten anschliessen oder «dranzapfen», zum Beispiel einen Mähbalken, einen Heuwender, einen Schüttelgraber für die Kartoffelernte oder für Transporte einen Anhänger mit Triebachse, was so einen Vierradantrieb ergibt. Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Einachser eine Revolution in der Landwirtschaft. Durch seine Vielseitigkeit konnten nun auch Kleinbetriebe im Berggebiet kostengünstig mechanisiert werden. Rapid war die bekannteste Marke, daneben waren aber auch die Firmen Aebi, Bucher oder Simar in diesem Bereich tätig.

    Besonders angetan hat es mir der Bucher KT 10, welcher ab 1950 produziert wurde. Mit seiner gerundeten Motorhaube, der witzigen Beleuchtung und der leuchtend roten Farbe erinnert er mich irgendwie an Herbie, den tollen Käfer aus der bekannten Filmreihe. Der KT 10 sieht einfach umwerfend sympathisch aus. Bei meinen Recherchen stosse ich bald einmal auf die «Einachserfreunde Zollbrück» und Hans Zaugg, der ein bekannter Sammler von KT 10-Einachsern ist. Ich nehme mit ihm Kontakt auf. Der Zufall will es, dass er gerade Ferien hat und die letzte Woche zu Hause verbringt. Er ist gerne bereit, mir seine Fahrzeuge zu zeigen und eventuell auch eines zu verkaufen. Durch den Verkauf von revidierten Maschinen finanziert er sich letztendlich sein Hobby. Rasch ist ein Termin vereinbart und ich mache mich auf den Weg Richtung Emmental. Hans oder Housi, wie man ihn dort nennt, schickt mir zur Sicherheit noch eine Wegbeschreibung, denn seine Adresse ist den Navigationsgeräten völlig unbekannt. Ich stelle mich also auf einen Ort am Ende der Welt ein. Bald zweigt die Strasse rechts ab, wird immer schmaler und führt in hügeliges, bewaldetes Gelände. Fuchs und Hase sagen sich hier gute Nacht. Der Wald macht einen düsteren Eindruck und ich stelle mir vor, dass der Gessler hier wohl auf einem Einachser angeritten käme, um vom Tell erschossen zu werden. Endlich nimmt der Wald ein Ende. Die Strasse führt einen Hügel hinunter und die Landschaft öffnet sich. Unten im Tal fliesst die Emme durch saftiges Grün. Verstreut liegen friedlich einige Höfe und Weiler. Das ist die Heimat von Hans Zaugg und seinen Einachsern. Hans wartet schon vor seinem Haus auf mich. Auf dem kurzen Spaziergang zu einem ersten Fahrzeuglager erzählt er mir, dass er über 20 Stück des Bucher KT 10 besitze. Davon hat er etliche selber total revidiert. Neben den Einachsern besitzt er noch jede Menge an Anhängern und Anbaugeräten sowie ein grosses Ersatzteillager. Es gibt wohl kein Teil, welches er nicht auf Lager hätte. Das Ganze hat ein solches Ausmass angenommen, dass mehrere Scheunen in der Umgebung als Garagen dienen müssen. Vor einem grossen Schuppen steht ein erster KT 10 bereit. Hans gibt einiges an technischen Erklärungen ab, wie die Maschine zu starten sei. Was ich noch weiss: Er wickelt die Kordel im Uhrzeigersinn um die Anwerfscheibe, dann ein kräftiger Zug und der Motor läuft. Es funktioniert also genau gleich wie bei meinem Rasenmäher zu Hause.

    Der angehängte Wagen ist mit einer Sitzbank ausgestattet, so dass wir beide nebeneinander darauf Platz nehmen können. Hans erklärt mir die Gangschaltung: «Hier auf der rechten Seite befindet sich das Schaltgestänge fürs Vorwärts- und Rückwärtsfahren, links ist das Gestänge fürs Getriebe der Zapfwelle. Da wir heute keinen Triebachsanhänger haben, brauchen wir dies nicht.» Das ist schon einmal gut. Die Hälfte der Gänge kann ich somit vergessen. Da ich ja nur auf befestigten Strassen fahren werde, schaffe ich mir sicher einen Wagen ohne Triebachse an. Das spart schon wieder jede Menge Benzin.

    An den Lenkholmen sind weitere Bedienelemente befestigt. Links befindet sich der Kupplungshebel, rechts derjenige für die vordere Bremse. Ebenfalls am rechten Holmen sitzt der Hebel fürs Gas. Dieser bleibt fix in der jeweils gewählten Position, so dass ich im Prinzip über einen Tempomat verfüge. Über ein Bremspedal wird die hintere Bremse des Wagens bedient. Gebremst wird in erster Linie mit dem Motor und mit der hinteren Bremse. Die vordere benutzt man meist nur als Feststellbremse.

    Hans zieht die Kupplung, legt den dritten Gang ein und los gehts. Danach schaltet er in den vierten Gang hoch und stellt den Gashebel auf Vollgas. Etwas ausserhalb der Ansiedlung halten wir an, Hans rutscht zur Seite und jetzt bin ich an der Reihe. Ich fahre vorsichtig im dritten Gang an und versuche, hoch zu schalten. Das funktioniert nicht so richtig, das Getriebe ist ja nicht synchronisiert. Hans muss da etwas nachhelfen. Nach einiger Zeit werde ich etwas mutiger und stelle auf Vollgas. Die 18 km/h, welche dieser Einachser auf die Strasse bringt, fühlen sich ziemlich schnell an. Konzentration ist also angesagt. Das Gefährt ist überhaupt nicht gefedert. Jede Unebenheit der Strasse überträgt sich direkt auf die Holzbank, wo ich drauf sitze, aber auch auf die langen Lenkholmen. Ein übersehenes Schlagloch oder ein Stein könnte durch die Hebelwirkung Kräfte an den Lenkholmen entstehen lassen, die nicht mehr zu halten sind. Ein Abflug in den Strassengraben wäre vorprogrammiert. Trotz der Gefahr macht die Fahrt unglaublichen Spass. Viel zu rasch ist das Vergnügen vorbei und ich parke den Bucher wieder beim Schuppen.

    Zum Abschied drückt mir Hans einen Zettel mit einer Telefonnummer in die Hand und erklärt: «Das ist die Nummer von Urs Bläsi aus Grenchen. Er ist ein sehr netter älterer Herr und ehemaliger Pilot. Er ist vor ein paar Jahren, zusammen mit seiner Frau Elisabeth, mit einem Bucher KT 10, Jahrgang 1955, nach Santiago de Compostela und zurück gefahren. Den Anhänger hat er zu einem Wohnwagen umgebaut. Er kann dir sicher viele wertvolle Tipps geben, worauf du beim Planen einer solchen Reise und beim Umbau des Fahrzeuges besonders achten musst.»

    «Guten Tag Herr Bläsi, ich habe Ihre Nummer von Hans Zaugg erhalten. Ich plane eine Reise mit dem Einachser ans Nordkap. Können wir uns irgendwo treffen und hätten Sie Lust mir von Ihren Erfahrungen Ihrer Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela zu erzählen?» Urs Bläsi ist begeistert, und wir vereinbaren gleich für den nächsten Nachmittag einen Termin.

    «Hallo Andreas, ich bin der Urs», begrüsst mich Herr Bläsi. Sein Einachser samt Anhänger steht fein herausgeputzt auf dem Platz vor den Garagen. Anders, als bei den Bucher Einachsern üblich, ist keine Sitzbank vorhanden. Urs hat stattdessen einen gepolsterten Traktorensitz montiert. «Wenn du täglich so viele Stunden am Fahren bist, so musst du bequem sitzen können, sonst macht das dein Rücken nicht mit», meint er. «Wo sitzt denn deine Frau?», frage ich. «Im Innern des Wagens hat es einen weiteren Sitz», sagt Urs. «Dort hat meine Frau Elisabeth Platz genommen und konnte vorne durchs Fenster rausschauen. Ausserdem war sie auf diese Weise vor dem Regen geschützt. Als Fahrer bist du natürlich der Witterung völlig ungeschützt ausgesetzt. Das kleine Vordach über dem Fahrersitz hilft da nicht viel.»

    Der Wagen ist äusserst massiv gebaut. Urs hat dazu Schichtholzplatten verwendet, der Sicherheit wegen, wie er meint: «Das lässt sich nicht so leicht aufbrechen. Bei einem Planwagen reicht ein Messer und der Einbrecher ist drin.» Die ganze Holzkonstruktion ist zusätzlich in eine Lastwagenplane eingepackt, so dass alles wasserdicht wird. Die Plane ist im gleichen Rot gehalten, wie der Bucher. Auf beiden Seiten prangt auf blauem Grund eine gelbe Jakobsmuschel, das Symbol der Pilger. Im Innern befinden sich zu beiden Seiten Sitzbänke, die als Stauraum genutzt werden. Der Raum zwischen den Bänken lässt sich durch Zusatzelemente überbrücken, so dass eine grosse Liegefläche entsteht. «Wir haben allerdings meist in Herbergen und Hotels übernachtet», meint Urs, «das erschien uns sicherer.» Für zwei Personen ist der Innenraum auch etwas knapp bemessen und im Alter lernt man einen gewissen Komfort auch zu schätzen. Mir geht das genauso. Die Möglichkeit, im Wagen zu übernachten, war also nur als Notlösung gedacht. Ich plane allerdings, immer in meinem zukünftigen Wagen zu schlafen. «Wie machst du das mit dem Benzin, hast du einige Reservekanister dabei?», frage ich Urs. «Schau, hier in der Kiste unter dem Sitz ist ein 60-Liter-Tank eingebaut», erklärt Urs. Unter dem Sitz befindet sich eine grosse Kiste aus Riffelblech, welche die gesamte Breite des Wagens einnimmt. Darin eingebaut ist ein grosser Tank aus Chromstahl. Ausserdem bietet sie genügend Raum für Werkzeuge und Ersatzteile. Mittels einer Pumpe kann Urs den kleinen Tank des Buchers nachtanken und dies sogar während des Fahrens. Ein Rücklauf sorgt dafür, dass der kleine Tank vorne nicht überfüllt werden kann. Das Ganze ist wirklich sehr durchdacht und clever gelöst.

    Mit dem Zusatztank bewegt man sich allerdings in einem Grenzbereich der Legalität. Es gibt Länder in Europa, welche überhaupt keine Reservekanister zulassen. Die meisten erlauben jedoch höchstens einen Kanister mit 20 Litern. Für gewisse Gewerbe sind 60 Liter in einem einzigen Gebinde möglich. Drei Kanister mit jeweils 20 Litern wären da schon wieder illegal. Urs hat das Glück, dass sein Bucher mit einer grünen Nummer für Landwirtschaft eingelöst ist. Das ist ja eine Art von Gewerbe. Ich selber werde wohl eine weisse Nummer erhalten, wie ein ganz normaler Personenwagen. Gilt wohl ein Fotograf auf dem Weg ans Nordkap auch als Gewerbe? Urs meint, das Ganze sei schon etwas grenzwertig. Solange nichts passiert, sei alles in Ordnung, wo kein Schaden ist, sei auch kein Kläger.

    «Hast du Lust auf eine Probefahrt?», fragt mich Urs. Was für eine Frage! Natürlich sage ich begeistert zu. «Wir fahren auf den Romontberg», sagt Urs. «Dort hinauf hat es nur sehr wenig Verkehr. Bis wir aus der Stadt raus sind, werde allerdings ich fahren. Im Wald kannst du dann übernehmen.» Urs öffnet die Kiste unter dem Sitz, und ich erwarte, dass er die Kordel zum Starten des Motors herausholt. Aber weit gefehlt. Urs hält einen grossen Akkuschrauber in der Hand. Ich muss lachen. Das ist ja gleich, wie bei Brecht mit seinem Pfander. «Weisst du, Andreas, ich bin schon bald achtzig Jahre alt. Mir fehlt einfach die Kraft, um den Motor mit der Kordel zu starten. Mit dem Akkuschrauber funktioniert es aber immer noch perfekt.» Der Motor startet denn auch problemlos. Urs legt den dritten Gang ein und gemütlich fahren wir los. Kaum haben wir das Wohnquartier verlassen, nimmt der Verkehr zu und bald stehen wir am ersten Kreisverkehr. Ich bin wirklich froh, dass Urs durch die Stadt fährt. Als die Einfahrt frei ist, fährt Urs erneut im dritten Gang an, schaltet rasch in den vierten hoch und gibt Vollgas. Mit Höchstgeschwindigkeit fahren wir durch diesen Kreisel. Urs macht das sehr routiniert. Kein Wunder, er hat ja auch einige 1000 km Erfahrung. Bald liegt die Stadt hinter uns und wir zweigen in den Wald ab. Jetzt bin ich an der Reihe. Urs setzt sich nicht hinten in den Wagen, sondern rechts neben mich auf die Riffelblechkiste. So kann er, wenn nötig, eingreifen. Ich fahre gemütlich im dritten Gang los und geniesse die Fahrt durch den Wald. «Du kannst ruhig hochschalten, die Steigung hier lässt das zu», meint Urs. Es knirscht etwas im Getriebe, aber ich bringe den Gang rein. Mit Vollgas fahre ich jetzt den Berg hoch. Diese Einachser haben eine sehr interessante Eigenschaft. Sie fahren im jeweiligen Gang immer genau gleich schnell. Es spielt keine Rolle, ob die Strecke eben ist oder ob es den Berg rauf oder runter geht. Mit Vollgas erreiche ich genau 18 km/h. Urs hat einen Kilometerzähler fürs Fahrrad montiert, so dass die Geschwindigkeit jederzeit ersichtlich ist. Unterwegs erfahre ich noch einiges an Wissenswertem: «Im gleichen Gang, in welchem du eine Steigung hochfahren kannst, kannst du auch runterfahren. Mit der Zeit hast du die Erfahrung, welchen Gang du einlegen musst», erklärt Urs. «Beim Runterfahren musst du auch auf den Motor hören. Wenn du schwer geladen hast kann es sein, dass der Wagen von hinten stösst und der Motor nicht genug bremsen kann, dann musst du runterschalten. Das Runterschalten funktioniert allerdings nicht während der Fahrt. Dazu musst du zuerst ganz anhalten.»

    Die Strasse ist recht schmal, so dass ich ab und zu dem Gegenverkehr Platz machen muss. Ich muss mich auch daran gewöhnen, den Rückspiegel häufiger zu benützen, als ich dies vom Autofahren her gewohnt bin. Dem Verkehr von hinten muss ich dann die Möglichkeit zum Überholen bieten. Ich will ja nicht zu einem Ärgernis für die anderen Verkehrsteilnehmer werden.

    Bis zuoberst auf den Berg sind einige Haarnadelkurven zu bewältigen. Um zum Beispiel eine enge Linkskurve zu fahren, muss ich einschlagen und den linken Lenkholmen an die rechte Hand übergeben, so dass ich noch weiter einschlagen kann. Ich steuere also jetzt einhändig. Ohne Sitzbank, wo ich nach Bedarf nach links oder rechts rutschen kann, komme ich mit dem festen Sitz in der Mitte und der Länge meiner Arme an die Grenze. Eine kleingewachsene Person würde eine solche Kurve wohl nie und nimmer schaffen. Diese extrem langen Lenkholme sind da wirklich ein Nachteil. Alle anderen, mir bekannten, Einachser haben kürzere Lenkholme.

    Nach etwa dreiviertel Stunden erreichen wir das Restaurant auf dem Romontberg. Die Kaffeepause tut gut, verlangt mir doch das ungewohnte Fahrzeug einiges an Konzentration ab. Wie wird das wohl sein, wenn ich auf meiner Reise fünf bis sieben Stunden pro Tag fahren muss? Urs hat mir erzählt, dass er auf seiner Pilgerfahrt täglich um die 100 km geschafft hat. Eine solche Leistung kann ich mir im Moment

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