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Psychokardiologie: Ein Praxisleitfaden für Ärzte und Psychologen
Psychokardiologie: Ein Praxisleitfaden für Ärzte und Psychologen
Psychokardiologie: Ein Praxisleitfaden für Ärzte und Psychologen
eBook842 Seiten7 Stunden

Psychokardiologie: Ein Praxisleitfaden für Ärzte und Psychologen

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Über dieses E-Book

Die psychosomatische Diagnostik und Therapie hat eine zunehmend wichtige Bedeutung bei der Akutbehandlung, Prävention und Rehabilitation kardiovaskulärer Erkrankungen.
Der Zusammenhang zwischen Herzerkrankungen und Psyche sowie den psychosozialen Begleiterscheinungen ist gut belegt.

  • Grundlagen der Kardiologie und psychosomatischen Medizin
  • Arzt-Patienten-Beziehung
  • Ethische Fragestellungen, Gendereffekte, Psychokardiologie entlang der Lebensspanne
  • Psychosomatische Problemfelder und Komorbiditäten
  • Ursachen und Folgen: Persönlichkeitsfaktoren, Risikoverhalten, Depression, Angststörungen …
  • Spezifische Diagnostik und Behandlungskonzepte – ambulant und stationär
  • Interdisziplinäre Zusammenarbeit

 NEU u.a.

  • Collaborative care
  • Akut-Kardiologie, Heart Failure Units
  • Rehabilitation

 Entsprechend den deutschenund europäischen Empfehlungen und Leitlinien u.a.

  • DGK Positionspapier zur Bedeutung psychosozialer Faktoren in der Kardiologie
  • Nationale VersorgungsLeitlinie Chronische KHK
  • ESC CVD Prevention in Clinical Practice

Geeignet für die Kurse nach den Curricula „Psychokardiologische Grundversorgung“ (D) und „Kardiologische Psychosomatik“ (AU). Zur Vertiefung der entsprechenden Inhalte der Kurse „Psychosomatische Grundversorgung“.
Das Buch bietet Kardiologen, Internisten, Allgemeinmedizinern, Psychotherapeuten und Psychologen alle praxisrelevanten Grundlagen, um ihre Patienten bestmöglich behandeln zu können.

SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer
Erscheinungsdatum27. Sept. 2019
ISBN9783662588994
Psychokardiologie: Ein Praxisleitfaden für Ärzte und Psychologen

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    Buchvorschau

    Psychokardiologie - Christoph Herrmann-Lingen

    © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020

    C. Herrmann-Lingen et al. (Hrsg.)Psychokardiologiehttps://doi.org/10.1007/978-3-662-58899-4_1

    1. Grundzüge kardialer Erkrankungen

    Christian Albus¹   und Markus Haass²  

    (1)

    Klinik und Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapie, Universitätsklinik Köln, Köln, Deutschland

    (2)

    Innere Medizin II, Kardiologie, Angiologie und internistische Intensivmedizin, Theresienkrankenhaus, Mannheim, Deutschland

    Christian Albus (Korrespondenzautor)

    Email: christian.albus@uk-koeln.de

    Markus Haass

    Email: M.Haass@theresienkrankenhaus.de

    1.1 Einführung in die normale Anatomie und Physiologie des Herz-Kreislaufsystems

    1.2 Arterielle Hypertonie

    1.3 Koronare Herzerkrankung

    1.4 Herzinsuffizienz

    1.5 Herzrhythmusstörungen

    1.6 Herzfehler

    Literatur

    Ein intaktes Herz-Kreislaufsystem ist von grundlegender Bedeutung für die Lebensfähigkeit eines Menschen. Zum Beispiel kann eine akute Unterbrechung der Blutzirkulation – wie beim „Herzstillstand " – binnen weniger Sekunden zur Bewusstlosigkeit und nach weiteren drei bis acht Minuten zu irreversiblen Schädigungen des zentralen Nervensystems mit Todesfolge führen. Aber auch subakute oder chronische Störungen des Herz-Kreislaufsystems wie bei Koronarer Herzerkrankung, Herzinsuffizienz, Herzrhythmusstörungen oder Herzfehlern können zu wesentlichen Beeinträchtigungen der Blutzirkulation mit erheblichem subjektiven und objektiven Krankheitswert führen.

    Für ein fundiertes Verständnis psychokardiologischer Zusammenhänge ist eine Einführung in die Grundzüge der wichtigsten kardiologischen Erkrankungen und Therapieansätze unverzichtbar. Hierbei erleichtern Basis-Kenntnisse der normalen Anatomie und Physiologie des Herz-Kreislaufsystems wesentlich das Verständnis der entsprechenden Krankheiten, weshalb diese der eigentlichen Krankheitslehre vorangestellt werden.

    1.1 Einführung in die normale Anatomie und Physiologie des Herz-Kreislaufsystems

    Das Herz-Kreislaufsystem hat die Funktion, die Durchblutung des gesamten Körpers sicherzustellen. Ohne eine kontinuierliche Durchblutung kommt die lebensnotwendige Versorgung des Organismus mit Sauerstoff und Stoffwechselsubstraten (e.g. Zucker, Fette, Eiweiße), Mineralien und Hormonen sowie Gerinnungs- und Immunfunktionen zum Erliegen. Das Herz-Kreislaufsystem ist aufgebaut als geschlossenes System mit zwei miteinander verschränkten Subsystemen: dem Körper- und dem Lungenkreislauf. Während der Lungenkreislauf die Durchblutung der Lunge (und damit die Sauerstoffanreicherung des Blutes) sicherstellt, dient der Körperkreislauf der Versorgung der anderen inneren Organe (e.g. Gehirn, Leber, Magen-Darm-Trakt), der Haut und des muskulo-skelettalen Systems. Blutgefäße, die vom Herzen fortführen, heißen Arterien, Gefäße, die zum Herzen hinführen, Venen. Blut, das über die Arterien zu den entsprechenden Organen bzw. Geweben gelangt, durchströmt diese in kleinsten Kapillaren und wird nachfolgend in Venen gesammelt, in denen es zum Herzen zurückfließt. Das Herz-Kreislaufsystem weist vielfältige Vernetzungen mit neuronalen und hormonalen Systemen auf, wodurch im Normalfall ein hohes Maß an Adaptivität an äußere und innere Reize (z. B. Steigerung der Herzfrequenz und des Blutdrucks bei körperlicher Aktivität und psychischer Erregung) erreicht wird. Eine schematische Vorstellung der Arterien im Körperkreislauf vermittelt Abb. 1.1.

    ../images/470907_3_De_1_Chapter/470907_3_De_1_Fig1_HTML.png

    Abb. 1.1

    Arterien des Körperkreislaufes.

    (Aus: Schmidt und Unsicker 2003)

    Im Zentrum des Herz-Kreislaufsystems steht das Herz, das – vereinfacht – wie eine Pumpe mit zwei Hälften aufgebaut ist. Jede Hälfte umfasst einem Vorhof (Atrium ) und eine Kammer (Ventrikel ), sodass sich im ganzen vier Herzhöhlen ergeben (vgl. Abb. 1.2). Die anatomisch linke Hälfte versorgt den Körper- und die rechte Hälfte den Lungenkreislauf. Der rechte Ventrikel pumpt sauerstoffarmes Blut über die Lungenarterien durch die Lunge, wonach es – mit Sauerstoff angereichert – über die Lungenvenen zum linken Vorhof gelangt. Von da fließt es in den linken Ventrikel und wird über die Aorta und die weiteren Körperarterien in die anderen inneren Organe, die Haut und das muskulo-skelettale System gepumpt (vgl. oben). Die Venen leiten das sauerstoffarme Blut zurück zum rechten Vorhof, aus dem es in den rechten Ventrikel (s. o.) übertritt.

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    Abb. 1.2

    Herz im Querschnitt.

    (Aus: Schmidt und Unsicker 2003)

    Die Blutversorgung des Herzens selbst erfolgt durch die Koronararterien („Herzkranzgefäße ", siehe Abb. 1.3). Die Koronararterien (Durchmesser i. d. R. 2–4 mm) entspringen aus der Aorta kurz oberhalb der Herzens in Form von zwei großen Gefäßen (linker Hauptstamm und rechte Koronararterie [RCA]). Der linke Hauptstamm verzweigt sich im weiteren Verlauf in zwei Äste (linke vordere [LAD] und linke hintere Koronararterie [RCX]). Diese drei großen Äste verzweigen sich später in zahlreiche kleinere Gefäße, auf deren Benennung an dieser Stelle verzichtet wird.

    ../images/470907_3_De_1_Chapter/470907_3_De_1_Fig3_HTML.png

    Abb. 1.3

    Herz mit Koronargefäßen. Ansicht von vorn (a) und von hinten (b).

    (Aus: Schmidt und Unsicker 2003)

    Die Koronararterien sind von größter Bedeutung für die normale Funktion des Herzens; Verkalkungen mit Einengungen („Stenosen") wie bei koronarer Herzkrankheit oder ein akuter Verschluss wie beim Herzinfarkt lösen u. U. schwere Durchblutungsstörungen des Herzmuskels mit einer kritischen Abnahme der Pumpfunktion („Herzinsuffizienz") und/oder Herzrhythmusstörungen aus.

    Die Pumpfunktion des Herzens ergibt sich aus seinem anatomischen Aufbau: Die Vorhöfe und Ventrikel sind Hohlmuskeln, deren zirkuläre und axiale Kontraktionen zu einem (partiellen) Auswurf des Blutes durch die Herzklappen führen. Die vier Herzklappen (jeweils eine zwischen den Vorhöfen und den Ventrikeln bzw. jeweils eine an der Ausflussbahn des linken bzw. rechten Ventrikels) funktionieren wie Rückschlagventile und geben den Durchfluss nur in eine bestimmte Richtung frei (aus den Vorhöfen in die Ventrikel bzw. von dort in die jeweiligen Arterien). Eine Einengung der Strombahn bzw. ein Rückfluss in die falsche Richtung wie bei Herzklappenfehlern können zu gravierenden Störungen der Blutzirkulation führen.

    Die Kontraktionen der Herzmuskulatur werden durch ein komplexes Reizleitungssystem ausgelöst, bei dem ein in Höhe des rechten Herzvorhofes gelegenes Zentrum („ Sinusknoten") einen rhythmischen, elektrischen Impuls generiert, der über verzweigte Nervenfasern zuerst in die Vorhöfe und dann über den sogenannten AV-Knoten (= Atrioventrikularknoten) in die Ventrikel fortgeleitet wird. Entsprechend kontrahieren sich zunächst die Vorhöfe, wodurch die Ventrikel zusätzlich mit Blut gefüllt werden. Ein größerer Teil der Ventrikelfüllung erfolgt bereits vor der Vorhofkontraktion passiv durch Erschlaffung der Kammermuskulatur (Verhältnis beim Gesunden etwas 70:30). Etwa 150 ms danach kontrahieren sich die Ventrikel und das Blut wird in den Körper- bzw. Lungenkreislauf ausgeworfen. Die elektrische Aktivität des herzeigenen Reizleitungssystems kann auf der Körperoberfläche mittels eines Elektrokardiogramms (EKG) abgeleitet werden und erlaubt vielfältige Aussagen über wesentliche Parameter der Herzfunktion, u. a. die Herzfrequenz und den Herzrhythmus.

    Die Herzfrequenz entspricht den Kontraktionen der Vorhöfe bzw. der Ventrikel und liegt in Ruhe beim Gesunden zwischen 60 und 80/min. Die Herzfrequenz unterliegt einem komplexen Regelsystem, in dem – verkürzt dargestellt – eine verstärkte Aktivierung des Sinusknotens durch das sympathische Nervensystem und das Stresshormon Adrenalin zu einer ausgeprägten Steigerung der Herzfrequenz führen kann (bei gesunden, jungen Menschen bis 200/min). Ein Abfallen des Adrenalins bzw. eine Aktivierung des Parasympathikus /Vagus („Gegenspieler" des Sympathikus) führen zu einem Absinken der Herzfrequenz. Darüber hinaus nimmt die Herzfrequenzvariabilität (i.e. dem Ausmaß, in dem die Abstände zwischen den einzelnen Herzaktionen voneinander abweichen) zu, was einen potenten Schutzfaktor vor Herzrhythmusstörungen darstellt.

    Der Blutdruck (im Körperkreislauf) wird durch die Kontraktionen des linken Ventrikels erzeugt, wobei die Arterien des Körperkreislaufs bzw. ihre kleinen Endäste, die Arteriolen, dem ausströmenden Blut einen gewissen Widerstand entgegensetzen, sodass eine kontinuierliche Druckkurve mit einem maximalen (systolischer) und einem minimalen (diastolischer) Blutdruck entsteht. Die Höhe des Blutdrucks ist damit sowohl von der Stärke der Herzkontraktion (stark = hoher Druck) als auch von der Regulierung der Blutgefäßweite (eng = hoher Druck) abhängig und beträgt in Ruhe beim Gesunden ca. 120/80 mmHg (Millimeter Quecksilber-Säule). Beide Stellgrößen werden u. a. durch das vegetative Nervensystem und die Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin beeinflusst, wobei ein starker Sympathikus-Einfluss bzw. hohe Adrenalin/Noradrenalin-Spiegel zu hohen Blutdruckwerten führen können. Anhaltend erhöhte Blutdruckwerte (≥140/90 mmHg) wie bei arterieller Hypertonie können zu schweren Folgeerkrankungen wie Schlaganfall oder generalisierter Arteriosklerose beitragen. Ein starker Abfall des Blutdrucks mit kritischer Minderdurchblutung wichtiger Organe (v. a. Niere, Gehirn, Darm) findet sich z. B. bei der schweren, akuten Herzinsuffizienz, hier ursächlich auf einem Pumpversagen des Herzens beruhend („kardiogener Schock").

    Eine sinnliche Erfahrung der Herzfunktion ermöglichen zwei physiologische Phänomene: Puls und Herzgeräusche. Der Puls entsteht durch die Druck- bzw. Strömungswelle des Blutes während der Kontraktionsphase des linken Ventrikels und kann v. a. bei steigendem Blutdruck und erhöhter Frequenz leicht bei sich selbst in Brustkorb und Hals wahrgenommen werden. Dies gilt besonders, wenn der Puls durch Herzrhythmusstörungen unregelmäßig wird („Herzstolpern"). Die Herztöne („erster und zweiter Herzton") können beim Gesunden nur mithilfe eines Stethoskops oder durch direktes Auflegen des Ohres gehört werden. Der erste Herzton entspricht der Kontraktion der Ventrikel, der zweite wird i. w. durch den Schluss der Aortenklappe (zwischen li. Ventrikel und Aorta) gebildet. Nach Implantation künstlicher Klappen können die Herztöne so laut werden, dass sie vom Betroffenen und sogar in der Umgebung gehört werden. Bei Herzklappenfehlern (s. u.) kommt es zum Auftreten von Herzgeräuschen, die von den Herztönen zu unterscheiden sind und durch Turbulenzen des Blutflusses z. B. aufgrund verengter oder undichter Herzklappen zustande kommen.

    1.2 Arterielle Hypertonie

    Epidemiologie und klinische Bedeutung

    Die arterielle Hypertonie – vereinfacht definiert als Blutdruckwerte >140/90 mmHg – ist mit einer Prävalenz von ca. 25 % in westlichen Industrienationen eine der häufigsten chronischen Erkrankungen. Dabei besteht ein ausgeprägter Altersgradient: Bei 20-jährigen sind unter 10 % betroffen, bei über 65-jährigen aber mehr 50 %. und über 75-jährigen 75 %. Dieser Zusammenhang hat früher zu der Einschätzung beigetragen, dass höhere Blutdruckwerte im Alter klinisch unbedenklich seien; für einen „normalen systolischen Blutdruck galt die Faustformel „100 plus Alter. Mittlerweile ist jedoch durch zahlreiche epidemiologische Studien belegt, dass die arterielle Hypertonie in jedem Lebensalter einen signifikanten Risikofaktor für die Entwicklung eines Schlaganfalles, einer koronaren Herzerkrankung, einer Herzinsuffizienz und einer Niereninsuffizienz darstellt. Darüber hinaus besteht ein Zusammenhang mit dem gehäuften Auftreten einer Demenz.

    Entsprechend ist die arterielle Hypertonie allein schon aufgrund der großen Verbreitung von herausragender klinischer und sozioökonomischer Bedeutung. Aus epidemiologischer Sicht sind dabei sowohl die hohe Rate nicht-diagnostizierter Kranker („Dunkelziffer", ca. 30 %), als auch die nicht bzw. nicht ausreichend behandelter Kranker (ca. 60 % der bereits diagnostizierten Hypertoniker) bemerkenswert.

    Klinik

    Die hohe Dunkelziffer in der Prävalenz der arteriellen Hypertonie wird vor allem dadurch erklärt, dass ein dauerhaft leicht- bis mittelgradig erhöhter Blutdruck subjektiv in der Regel nicht wahrgenommen wird. Entsprechend können unbemerkt über viele Jahre pathologische Blutdruckwerte vorliegen. Schlimmstenfalls führt erst das Auftreten von Folgeerkrankungen – z. B. einem Schlaganfall oder Herzinfarkt – zur Entdeckung des vorbestehenden Risikofaktors. Entsprechend wichtig ist ein möglichst frühes Screening, in dem z. B. bei jedem Arztbesuch obligatorisch der Blutdruck gemessen werden sollte.

    Stärkere Blutdruckschwankungen mit situativ erhöhten Werten (z. B. 160/90 mmHg) werden jedoch besser wahrgenommen. Dies gilt vor allem, wenn sie mit einer Steigerung der Herzfrequenz verknüpft sind. Dann erleben viele Patienten ein „Klopfen oder „Hämmern in der Halsregion und im Kopf, was einer verstärkten Dehnung der Carotiden (Halsschlagadern) bzw. der Gefäße an der Hirnbasis entspricht. Die erstmalige Konfrontation mit einem derartigen Symptom führt nicht selten zur Inanspruchnahme eines Arztes, wobei dann unter Umständen die Diagnose einer arteriellen Hypertonie gestellt wird (zum Vorgehen in der Diagnostik siehe unten).

    Menschen mit arterieller Hypertonie haben allerdings in der Regel eine erhöhte Blutdruck-Reaktivität, sodass eine situative Blutdrucksteigerung auf dem Boden erhöhter Basis-Werte unter Umständen in eine hypertensive Krise mit Blutdruckwerten >230/130 mmHg einmünden kann. Die hypertensive Krise ist ein akutes, schweres Krankheitsbild, das mit starken Kopfschmerzen, Schwindel und Sehstörungen einhergeht. Unter Umständen kann es auch zu einem Kollaps oder zu lebensbedrohlichen Organschäden, z. B. einer Hirnblutung kommen. Auf jeden Fall handelt es sich um einen Notfall, der sofortiger medizinischer Hilfe bedarf.

    Ätiologie und Pathogenese

    Bei gut 90 % der Patienten lässt sich keine umschriebene Ursache für die Krankheit zu identifizieren, sodass in diesen Fällen von einer „primären" oder auch „essenziellen" Hypertonie gesprochen wird. Die primäre Hypertonie ist eine multifaktorielle Erkrankung, deren Auftretenswahrscheinlichkeit zu etwa 60 % durch genetische Faktoren erklärt wird. Dabei handelt es sich in den seltensten Fällen um eine monogenetische Vererbung, sondern es wird von einer polygenetisch bedingten Risikoerhöhung ausgegangen, die häufig erst in Kombination mit weiteren lebensstilbezogenen Faktoren zu einer Manifestation bzw. ausgeprägteren Schweregraden der Erkrankung führt.

    Von entscheidender Bedeutung ist dabei das sogenannte „metabolische Syndrom", eine Kombination aus Adipositas, Blutzucker- und Fettstoffwechselstörung, die sehr häufig auch mit einer arteriellen Hypertonie verknüpft ist. Es handelt sich dabei um eine komplexe Stoffwechselpathologie, deren Kern eine verminderte Wirksamkeit des körpereigenen Insulins darstellt („Insulinresistenz"). Die Entwicklung eines metabolischen Syndroms ist dabei eng mit dem Ausmaß der sog. „viszeralen Adipositas" (i.e. bauchbetontes Übergewicht) verknüpft, die ihrerseits meist Folge zweier „klassischer" verhaltensbezogener Risikofaktoren ist: Fehl- resp. Überernährung und Bewegungsmangel (vgl. auch den Abschnitt über die koronare Herzerkrankung).

    Weitere verhaltensbezogene Faktoren, die eine primäre Hypertonie begünstigen sind Rauchen, übermäßiger Salz-, Kaffee- und Alkoholkonsum. Diese Verhaltensweisen sind jedoch ihrerseits eingebunden in einen übergeordneten psychosozialen Kontext, in den neben Schicht- und Bildungsaspekten auch individuelle Faktoren (z. B. Depressivität, Angststörungen, Suchterkrankungen, sonstige Erlebens- und Verhaltensmuster) hineinspielen (vgl. Abschn. 5.​1 und 5.​2).

    Unter psychosomatischer Perspektive ist ferner wichtig, dass der Blutdruck an sich eine in hohem Maß von subjektiven und umgebungsbedingten Faktoren abhängige, schwankende Größe ist (Blutdruck-Reaktivität). Zum Beispiel kann schon die Konfrontation mit der Messung des Blutdrucks durch den Arzt zu einer situativen Erhöhung der Blutdruckwerte führen („ Weißkittel-Hypertonie"). Die Blutdruck-Reaktivität ist dabei umso stärker, je ausgeprägter bestimmte situative („Stress", Lärmbelastung etc.) und persönlichkeitsbezogene Merkmale (z. B. herausfordernde Situation; Feindseligkeit) vorliegen. Näheres zu psychosomatischen Aspekten der arteriellen Hypertonie findet sich in Abschn. 6.​2.

    Die restlichen ca. 10 % der Ursachen werden unter dem Oberbegriff „sekundäre" Hypertonie zusammengefasst. Hierunter versteht man eine inhomogene Gruppe aus organischen Erkrankungen und Nebenwirkungen von Medikamenten, die nachfolgend kurz vorgestellt werden:

    Renale Hypertonie (ca. 3–5 %): Störungen der Nierenfunktion (z. B. Glomerulonephritis, Zystenieren etc.) oder Störungen der Nierendurchblutung bei Nierenarterienstenose.

    Medikamente (ca. 2 %): v. a. Ovulationshemmer, Kortison, Psychopharmaka etc.

    Endokrine Störungen (ca. 1 %): z. B. Primärer Hyperaldosteronismus (Aldosteron-produzierender Tumor = Conn-Syndrom), Hyperthyreose (Schilddrüsen-Überfunktion), Phäochromozytom (Adrenalin-/Noradrenalin-produzierender Tumor) etc.

    Schlafapnoesyndrom (ca. 3–5 %): Fehlender nächtlicher Blutdruckabfall („Non-Dipper") infolge Apnoe bedingter Arousal-Reaktionen mit Sympathikus-Aktivierung; klinisch häufig Tagesmüdigkeit.

    Sonstige Ursachen (<1 %): Aortenisthmusstenose (siehe Abschn. 1.6), EPH-Gestose („Schwangerschaftsvergiftung"), neurologische Ursachen, etc.

    Hinsichtlich der Pathophysiologie der arteriellen Hypertonie gilt, dass sich eine Erhöhung des Blutdrucks prinzipiell entweder aus einem erhöhten Herzzeitvolumen oder aus einem erhöhten Gefäßwiderstand oder aus einer Kombination beider Faktoren ergibt. Im Frühstadium der primären Hypertonie ist durch eine verstärkte Aktivierung des Sympathikus meist nur das Herzzeitvolumen leicht erhöht, im weiteren Verlauf kommt es zusätzlich zu einer stärkeren Aktivierung v. a. des Renin-Angiotensin-Systems, was sowohl zu einer Erhöhung des Blutvolumens, als auch zu einer Tonuserhöhung der Widerstandsgefäße führt.

    Ein beginnender Endorganschaden ist durch einen generalisierten, strukturellen Umbau der Arterien („Remodeling") gekennzeichnet, was zu einer weiteren Zuspitzung des Krankheitsbildes beiträgt. Dieser Vorgang lässt sich z. B. gut an den feinen Arterien am Augenhintergrund ablesen, die im Verlauf einer arteriellen Hypertonie ein typisches „sklerosiertes" (verhärtetes) Aussehen („Fundus hypertonicus") bekommen. Dieser Mechanismus begründet – teilweise mit weiteren pathogenen Mechanismen – auch die zahlreichen Begleit- und Folgeerkrankungen, zu denen neben den bereits Erwähnten (koronare Herzkrankheit, Schlaganfall, Herz- und Niereninsuffizienz) auch das Bauchaorten-Aneurysma (sackartige Erweiterung der Bauchschlagader) zu zählen ist. Eine zunehmende Gefäßsteifigkeit ist auch wesentlich für die vor allem im hohen Alter häufig beobachtete sog. systolische Hypertonie, bei der aufgrund der mangelnden Elastizität der großen Arterien lediglich der systolische, nicht aber der diastolische Blutdruck erhöht ist.

    Diagnostik

    Die Diagnose einer arteriellen Hypertonie kann erst nach mehrfachen Messungen des Blutdrucks gestellt werden, wobei der Blutdruck initial an beiden Armen gemessen werden sollte. Nach aktueller Definition liegt eine arterielle Hypertonie vor, wenn in mehrfachen Messungen der systolische und/oder der diastolische Blutdruck den Grenzwert erreicht oder überschreitet. In Abhängigkeit von dem Messverfahren werden dabei unterschiedliche Grenzwerte zugrunde gelegt:

    Praxismessung beim Arzt: 139/89 mmHg

    Blutdruckselbstmessung durch Patienten: 135/85 mmHg

    24-h-Messung (s. u.): Tagesmittelwert 135/85 mmHg; Nachtmittelwert 120/75 mmHg; 24-h-Mittelwert: 125/80 mmHg

    Die höheren Grenzwerte für die Praxismessung trägt der bereits erwähnten „Weißkittel-Hypertonie" Rechnung (näheres zur Arzt-Patient-Beziehung bei Hypertonie siehe Abschn. 6.​2). Prinzipiell sollte der Blutdruck im Sitzen gemessen werden, wobei die letzte körperliche Aktivität mindestens 5 min zurückliegen muss.

    Genügt zur Praxis- oder Selbstmessung ein einfaches Blutdruckgerät mit Oberarmmanschette, benötigt man zur 24-h-Messung ein portables Gerät (etwa so groß wie ein mobiles Kassettengerät), das selbsttätig alle 15–30 min mittels einer Oberarmmanschette den Blutdruck misst. Die 24-h-Messung ermöglicht auch die Beurteilung der sog. Nachtabsenkung, d. h. des physiologischen Abfalls der Blutdruckwerte im Schlaf um 10–15 % (= Dipper), die bei den sekundären Hypertonie-Formen häufiger aufgehoben ist (= Non-Dipper).

    In der ärztlichen Anamnese sollten routinemäßig alle erwähnten Lebensstilfaktoren, mögliche psychosoziale Einflüsse und Hinweise für sekundäre Hypertonie-Formen erhoben werden. Ergeben sich klinisch Verdachtsmomente für eine sekundäre Hypertonie, dient die weitere organische Diagnostik deren Ausschluss bzw. Bestätigung. Obligatorisch sollte ferner eine Suche nach bereits eingetretenen Endorganschäden (z. B. Myokardhypertrophie, Verdickung der Gefäßwände, Eiweißverlust über die Niere) bzw. kardiovaskulären Folge- oder Begleiterkrankungen erfolgen. Dies kann in Abhängigkeit von der Anamnese bzw. dem körperlichen Untersuchungsbefund Anlass zu weitergehender organischer Diagnostik geben, auf deren Schilderung aufgrund der außerordentlichen Vielfalt möglicher Ansätze an dieser Stelle verzichtet wird.

    Behandlung

    Das Hauptziel bei der Behandlung von Hypertonikern ist die Reduktion des kardiovaskulären Gesamtrisikos und schließt damit die Erkennung und Behandlung weiterer Risikofaktoren ein. Zur Behandlung der arteriellen Hypertonie liegen internationale Leitlinien (http://​www.​hochdruckliga.​de) vor, sodass die nachfolgend dargestellten Therapieansätze gut abgesichert sind:

    Therapieziel ist eine Senkung des Blutdrucks auf Werte unter 140/90 mmHg.: Bei bis zu 65-jährigen sollten allgemein systolische Blutdruckwerte zwischen 120 und 129 mmHg angestrebt werden, bei Patienten über 65 Jahren zwischen 130 und 139 mmHg systolisch. Bei Patienten mit hohem Risiko für die Entwicklung von Folgererkrankungen (z. B. Menschen mit Diabetes mellitus oder Niereninsuffizienz) sollte der Blutdruck auf Werte unter 130/80 mmHg (bei Proteinurie ≥ 1 g/Tag Zielblutdruck < 125/75 mmHg) abgesenkt werden. Blutdruckwerte <120/70 mmHg sollten nach den aktualisierten Leitlinien allgemein grundsätzlich nicht angestrebt werden, dies gilt insbesondere für Patienten mit koronarer Herzkrankheit, bei denen keine revaskularisierenden Maßnahmen angestrebt werden.

    Die therapeutische Strategie ist abhängig von der Höhe des kardiovaskulären Gesamtrisikos: Bei Menschen mit niedrigen oder mittlerem Risiko sollten erst umfassende Lebensstiländerungen initiiert werden, deren Effekt auf den Blutdruck über etwa 3 Monate beobachtet wird. Sinkt der Blutdruck unter diesen Maßnahmen unter 140/90 mmHg, wird der Patient weiter beobachtet. Bleibt der Blutdruck darüber, wird mit einer medikamentösen Therapie begonnen. Bei Menschen mit hohem und sehr hohem Risiko (z. B. Blutdruck >180/110 mmHg und/oder Diabetes mellitus und/oder Endorganschäden) wird unmittelbar mit einer medikamentösen Therapie begonnen, die mit den nachfolgend geschilderten nichtmedikamentösen Maßnahmen kombiniert wird.

    Die nichtmedikamentösen Maßnahmen gliedern sich in folgende Anteile:

    Steigerung der körperlichen Aktivität, besonders durch Ausdauertraining

    Reduktion/Normalisierung eines erhöhten Körpergewichts (Eine Gewichtsreduktion um 7 kg ist mit einer Abnahme des syst. Blutdrucks um ca. 10 mmHg verbunden)

    Reduktion des Kochsalzkonsums auf <5 g/Tag und vermehrter Verzehr von Fisch und Gemüse

    Begrenzung des Alkoholkonsums auf unter 30 g/Tag bei Männern und unter 20 g/Tag bei Frauen

    Reduktion von Stress- und Lärmbelastung

    Nichtmedikamentöse Ansätze können durchaus die Effekte einer medikamentösen Monotherapie erreichen, d. h. auch, dass eine begonnene Therapie u. U. wieder überflüssig wird. Voraussetzung ist allerdings eine wirksame und anhaltende Umsetzung durch die Patienten selbst („Gesundheitsverhalten"), was nicht selbstverständlich ist. In der „Routineversorgung" muss davon ausgegangen werden, dass höchstens 50 % der Patienten ihr Ernährungs- und Bewegungsverhalten längerfristig umstellen. Entsprechend wichtig ist eine adäquate Betreuung der Patienten im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung sowie weitergehender, ggf. multimodaler Behandlungsangebote, auf deren Inhalte an separater Stelle eingegangen wird (siehe Abschn. 8.​7).

    Zur medikamentösen Therapie stehen z. T. seit Jahrzehnten bewährte Präparate zur Verfügung, die in zahlreichen großen Studien ihre Wirksamkeit auch auf sogenannte „harte" Endpunkte (Schlaganfall, Herzinfarkt, Tod aufgrund einer Herz-Kreislauferkrankung) belegt haben. Grundsätzlich kann die Behandlung entweder im Sinne einer Monotherapie oder nach den aktuellen Leitlinien direkt als niedrig-dosierte Zweierkombination begonnen werden. In Abhängigkeit von der Wirksamkeit wird dann entweder die Dosis gesteigert oder ein drittes Präparat hinzugenommen. Unter der Voraussetzung einer regelmäßigen Tabletteneinnahme gelingt es über eine sorgfältige Wirkstoff-/Dosisanpassung auch bei hochgradiger Hypertonie, den Blutdruck effektiv zu senken. Als Antihypertensiva der ersten Wahl gelten heute ACE-Hemmer oder Angioten-Rezeptor-Blocker ggf. verknüpft mit einem Kalziumantagonisten oder einem niedrig dosierten Diuretikum.

    Folgende pharmakologische Substanzen haben sich in der Therapie der arteriellen Hypertonie bewährt:

    ACE-Hemmer (z. B. Lisinopril, Ramipril): Senken den Gefäßwiderstand und wirken nephroprotektiv. (bei Unverträglichkeit AT1-Blocker).

    AT1-Blocker(Angiotensin-Rezeptor-Blocker) (z. B. Candesartan, Valsartan): Senken den Gefäßwiderstand und wirken nephroprotektiv. Sollten nicht gleichzeitig mit ACE-Hemmern verordnet werden.

    Kalziumantagonisten (z. B. Amlodipin, Lercanidipin): Senken den Gefäßwiderstand, v. a. bei gleichzeitigem Diabetes mellitus und nach Schlaganfall indiziert, nicht aber bei akutem Koronarsyndrom

    Thiaziddiuretika (z. B. HCT): Vermindern die kardiale Vorlast und verstärken die blutdrucksenkende Wirkung von ACE-Hemmern und AT1-Blockern. Cave: Erhöhte Rate an „weißem" Hautkrebs unter Thiaziddiuretika, daher ist unter diesen Präparaten erhöhter Sonnenschutz erforderlich.

    Betablocker (z. B. Metoprolol, Bisoprolol): Senken den Sympathikotonus, v. a. bei gleichzeitiger koronarer Herzkrankheit und/oder Herzinsuffizienz.

    Alpha1-Blocker(z.B. Doxazosin) und zentrale Antisympathotonika (z. B. Clonidin, Moxonidin): Reservepräparate, nur für die Kombinationstherapie und nicht bei Herzinsuffizienz.

    Mineralcorticoid-Rezeptorantagonisten (z. B. Spironolacton, Eplerenon): Sind insbesondere bei einem primären Hyperaldosteronismus (Conn-Syndrom), einer häufig nicht erkannten sekundären Hochdruckform, wirksam.

    Bei therapierefraktärer Hypertonie muss ebenso wie bei einer fehlenden Nachtabsenkung des Blutdrucks an eine sekundäre Hochdruckursache gedacht werden (u. a. Schlafapnoe-Syndrom, Conn-Syndrom). Außerdem ist eine regelmäßige Tabletteneinnahme ebenso wenig garantiert wie die Umstellung des Gesundheitsverhaltens. Nach übereinstimmenden Studien nehmen ca. 50 % der Patienten ihre blutdrucksenkende Medikation nicht regelmäßig bzw. unvollständig oder gar nicht. Dieses Verhalten wird als „Non-Compliance" oder „Non-Adhärenz" bezeichnet und ist von größter Bedeutung für die Effektivität der Therapie. Weiteres zu den Ursachen der Non-Adhärenz und Empfehlungen zur Gestaltung der Arzt-Patient-Beziehung finden sich in einem separaten Kapitel (siehe Abschn. 8.​1).

    Lässt sich trotz Mehrfachkombinationstherapie, Lebensstiländerungen und gewährleisteter Adhärenz der Blutdruck nicht normalisieren, bietet sich in ausgewählten Fällen eine Nierenarteriendenervation an. Bei diesem Verfahren werden die sympathischen Afferenzen beider Nierenarterien über ein transfemoral eingebrachtes Kathetersystem verödet (abladiert), was zu einer durchschnittlichen Senkung des systolischen Blutdrucks um 20 mmHg und mehr führt. Die bisher diesbezüglich vorliegenden radnominierten Studien sind jedoch enttäuschend. Als weiteres neues Verfahren wird in jüngster Zeit auch eine elektrische Barorezeptorstimulation über ein implantiertes, Schrittmacher-ähnliches Gerät eingesetzt. Über den Barorezeptor-Reflex kommt es dabei zu einer Blutdrucksenkung. Auch bei diesem derzeit noch experimentellen Verfahren besteht noch ein Bedarf an Daten zum längerfristigen Effekt.

    1.3 Koronare Herzerkrankung

    Epidemiologie und klinische Bedeutung

    Die koronare Herzerkrankung (KHK ) gehört weltweit zu den führenden Ursachen krankheitsbedingter Belastungen. Allein in Deutschland versterben jährlich etwa 60 Tsd. Menschen an einem akuten Herzinfarkt und etwa 100 Tsd. Menschen an einer chronischen KHK und deren Folgen (z. B. Herzinsuffizienz). Zwar ist in den westlichen Industrienationen seit Anfang der 70er Jahre aufgrund verbesserter Akut-Behandlung sowie Sekundär-Prävention ein Rückgang der kardialen Sterblichkeit zu verzeichnen, gleichzeitig ist – teilweise auch aufgrund dessen – die Anzahl von Patienten mit chronischer KHK angestiegen. Entsprechend hat die sozioökonomische Bedeutung der Krankheit zugenommen. Da die KHK i. d. R. eine Erkrankung des höheren Alters darstellt, muss vor dem Hintergrund der soziodemografischen Entwicklungen mit einer weiteren Zunahme des Auftretens gerechnet werden, so dass die klinische Bedeutung noch ansteigen wird.

    Klinik

    Klinisch verläuft die KHK in der Regel in den ersten Jahren/Jahrzehnten völlig unbemerkt. Symptome treten erst auf, wenn es entweder zu einer „kritischen" Einengung der Koronargefäße gekommen ist (= Stenosen mit mindestens 70 %iger Einengung der Koronararterien) oder direkt ohne Vorsymptome ein Akutes Koronarsyndrom (s. u.) eintritt. Leitsymptom der KHK ist die Angina pectoris (AP; „Brustenge"). AP wird in der Regel hinter dem Brustbein oder links im Brustkorb erlebt, die Beschwerden können aber auch in den Rücken, in den rechten Brustkorb, in eine oder beide Schultern, Arme, Oberbauch bzw. in den Unterkiefer ausstrahlen. Die Intensität der Symptome reicht von akutem, stärksten Schmerz bis hin zur Schmerzlosigkeit trotz schwerer Durchblutungsstörungen. Dazwischen liegen Druck-, Schwere- oder Engegefühle, häufig auch mit Kurzluftigkeit, oder als bohrend, brennend, krampfartig, ziehend o. ä. beschriebene Beschwerden. In seltenen Fällen wird eine KHK ausschließlich über das Auftreten von Herzrhythmusstörungen oder Symptome einer Herzinsuffizienz klinisch manifest.

    AP wird typischerweise durch körperliche oder psychische Belastungen ausgelöst. Unter diesen Bedingungen steigen Blutdruck und Herzfrequenz, was zu einem erhöhten Sauerstoffbedarf der Herzmuskulatur (meist des linken Ventrikels) führt, der jedoch aufgrund der Koronarstenosen (oder seltener Gefäßspasmen, auch Prinzmetal-Angina genannt) nicht gedeckt werden kann. Der Sauerstoffmangel löst – sofern die Schmerzwahrnehmung nicht aus bestimmten Gründen (z. B. bei fortgeschrittenem Diabetes mellitus) gestört ist – nach wenigen Sekunden den typischen Schmerz aus. Daneben kann AP auch nach Mahlzeiten, im Rahmen von Bluthochdruck-Krisen und bei Kälteexposition auftreten. Die Symptomatik bildet sich meist proportional zur Belastungsintensität aus, hält einige Minuten an und klingt dann wieder ab, in der Regel nach Ende der Auslösesituation (sog. stabile AP ).

    Unter dem Begriff Akutes Koronarsyndrom subsummiert man ein heterogenes klinisches Bild mit fließendem Übergang zwischen den Schweregraden, welches auf ein gemeinsames pathophysiologisches Substrat zurückgeht, nämlich die Ruptur eines instabilen Plaques mit konsekutiver lokaler Koronarthrombose und/oder distaler Embolisation thrombotischen Materials in kleinlumigere Koronargefäßäste. Klinisch kommt es entweder zu einer deutlichen Verschlechterung einer vorbestehenden, stabilen AP im Sinne einer instabilen AP oder es kommt direkt, häufig ohne vorherige AP, zu einem enzymatisch positiven (d. h. kardiales Troponin im peripheren Blut erhöht) Myokardinfarkt. Hierbei wird zwischen dem Nicht-ST-Streckenhebungs-Infarkt (NSTEMI), früher auch nicht-transmuraler Myokardinfarkt („nur" die inneren Schichten der Muskulatur betreffenden) genannt, und dem ST-Streckenhebungs-Infarkt (STEMI), früher auch klassischer oder transmuraler Myokardinfarkt (alle Wandschichten betroffen) genannt, unterschieden. Selten werden dem STEMI vergleichbare ST-Streckenhebungen durch reversible Koronarspasmen im Sinne einer Prinzmetal-Angina hervorgerufen. Der STEMI bedarf einer sofortigen, notfallmäßigen Wiedereröffnung des verschlossenen Herzkranzgefäßes, heute in der Regel mittels PCI (siehe unten), früher häufig auch mittels systemischer Thrombolyse. Die Indikation für eine Herzkatheteruntersuchung in PCI-Bereitschaft hängt beim NSTEMI dagegen von individuellen Gründen ab (u. a. Veränderung des kardialen Troponin und des EKGs sowie der Beschwerden). Ohne eine kompetente medizinische Akutversorgung versterben bis zu 50 % der Patienten mit einem STEMI innerhalb der ersten Stunden entweder an Herzrhythmusstörungen oder an akutem Pumpversagen. Die Krankenhausmortalität ist bei NSTEMI niedriger als bei STEMI (3–5 vs. 5–10 %), aber die Langzeit-Prognose (>1 Jahr) ist nach NSTEMI in der Regel schlechter als nach STEMI (siehe auch Leitlinien der DGK: http://​leitlinien.​dgk.​org) (Abb. 1.4).

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    Abb. 1.4

    Die verschiedenen Facetten eines akuten Koronarsyndroms

    Zur Optimierung der Versorgung und der Prognose von Patienten mit einem akuten Koronarsyndrom wurden in Deutschland seit 2008 mehr als 250 von der DGK zertifizierte Chest Pain-Units (CPU = Brustschmerz-Einheit) eingerichtet. Diese sind auf die differenzialdiagnostische Abklärung und Therapie von Patienten mit einem akuten Brustschmerz spezialisiert, wobei es sich hierbei auch um Patienten mit einer Lungenembolie, einer Aortendissektion oder aber auch vertebragenen oder psychogenen Brustschmerzen handeln kann. Alle CPUs müssen eine 24-h Herzkatheterbereitschaft bereithalten, um Patienten mit einem STEMI bzw. NSTEMI adäquat versorgen zu können.

    Der weitere klinische Verlauf nach überlebtem Herzinfarkt ist sehr variabel und hängt von zahlreichen somatischen und psychosozialen Variablen ab. Zum Beispiel werden Art und Intensität einer AP sowohl vom Ausmaß bestehender Koronarstenosen als auch vom Ausmaß depressiver und/oder ängstlicher Symptome mitbedingt (vgl. Abschn. 5.​7 und 5.​8). Vergleichbares gilt für die körperliche Leistungsfähigkeit, die zusätzlich durch die mehr oder weniger ausgeprägte Einschränkung der Pumpfunktion des Herzens mitbeeinflusst wird.

    Ätiologie und Pathogenese

    Die KHK tritt meist nicht isoliert, sondern im Rahmen einer allgemeinen Gefäßerkrankung, der Arteriosklerose auf. Unter pathogenetischen Gesichtspunkten entspricht die Arteriosklerose einem Entzündungsprozess, der sich nach Verletzungen der Blutgefäße ausbildet. Die Hauptursachen der Gefäßverletzung sind die Invasion der Gefäßwand durch Low-Density Lipoproteine ( LDL-Cholesterin), Scherkräfte durch Blutdruck- und Herzfrequenz-Schwankungen sowie Tabakeinwirkungen. Als Co-Faktor können – zumindest bei Subgruppen – auch chronische Infektionen (z. B. durch Chlamydien) von Bedeutung sein. Die Schädigungen führen zu einer Entzündung in der Gefäßwand mit einer Aktivierung von Makrophagen (Untergruppe von Immunzellen). Die Makrophagen spielen eine zentrale Rolle in biologischen Heilungsprozessen, indem sie Wachstumsfaktoren und verschiedene Zytokine (z. B. IL-1, IL-6 und TNF-Alpha) produzieren. Zytokine induzieren neben anderen Effekten im Bereich der Koronarien die Vermehrung glatter Muskelzellen, wodurch die Regulation der Blutgefäßweite gestört wird. Die Folge können ein Ausbleiben reaktiver Gefäßerweiterungen bei Herzfrequenz- und Blutdrucksteigerungen sein. Zusätzlich fördern Zytokine die Entstehung von „ instabilen Plaques" (hoch-entzündlichen Cholesterin-Ansammlungen in der Gefäßinnenwand), die als Vorboten und Auslöser eines Myokardinfarkts gelten, sowie die typischen Verkalkungen („Sklerose"), die nach Jahren zu Stenosen der Blutgefäße führen.

    Ein Akutes Koronarsyndrom wird in erster Linie durch Ruptur eines instabilen Plaques u. a. im Rahmen von akuten Herzfrequenz- und/oder Blutdrucksteigerungen ausgelöst. Dieses Ereignis führt zu einer Thrombusbildung, wodurch das betroffene Koronargefäß hochgradig eingeengt oder komplett verschlossen wird. Die resultierende hochgradige Minderdurchblutung des zugehörigen Herzmuskelareals kann sowohl schwerste, lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen als auch ein Absterben des Gewebes mit akutem Pumpversagen bzw. längerfristig Ausbildung einer Narbe auslösen.

    Zur Ätiologie der KHK hat sich in den letzten Jahrzehnten ein Risikofaktoren-Modell etabliert, das sowohl somatische, verhaltensbezogene als auch psychosoziale Faktoren umfasst (Tab. 1.1). In diesem Grundlagen-Kapitel werden nachfolgend nur die wichtigsten somatischen und verhaltensbezogenen Risikofaktoren vorgestellt, den psychosozialen Faktoren sind eigene Kapitel gewidmet.

    Tab. 1.1

    Übersicht der wichtigsten somatischen, verhaltensbezogenen und psychosozialen Risikofaktoren bei KHK

    Die somatischen Risikofaktoren sind einerseits weitgehend genetisch determiniert, gleichzeitig werden bei bestehender „Disposition" sowohl der Zeitpunkt des Auftretens als auch das Ausmaß der Störung durch Verhaltensfaktoren moduliert:

    Fettstoffwechselstörungen, v. a. ein hohes LDL-Cholesterin (>160 mg/dl) und/oder niedriges HDL-Cholesterin (<40 mg/dl) besonders in Verbindung mit erhöhten Triglyceriden sind mit einer nahezu linearen Erhöhung des KHK-Risikos verknüpft. Eine Fehlernährung mit gesättigten Fettsäuren und Cholesterin fördert das Auftreten hoher LDL-Cholesterin und Triglycerid-Werte.

    Arterielle Hypertonie: Anhaltende Blutdruckwerte ≥140/90 mmHg sind mit einem erhöhten Risiko einer KHK verknüpft. Übergewicht, erhöhter Alkoholkonsum und bei „salzsensitiven Personen auch erhöhter Kochsalzkonsum und „Stress fördern die Entstehung einer arteriellen Hypertonie.

    Viszerale Adipositas: Ein stammbetontes Übergewicht mit Ansammlung von Fettgewebe im Bauchraum („männlicher Typ") führt zu einer deutlichen Erhöhung sowohl des KHK- als auch des Diabetes mellitus-Risikos. Ein Taillenumfang von ≥102 cm bei Männern und von ≥88 cm bei Frauen gelten als pathologisch relevant. Fehlernährung und Bewegungsmangel fördern das Auftreten der viszeralen Adipositas.

    Diabetes mellitus: Anhaltende oder wiederholt gemessene Blutzuckerwerte über 110 mg/dl entsprechen einem Diabetes mellitus und führen zu einer deutlichen Erhöhung des KHK-Risikos. Das Auftreten des Typ-2 Diabetes mellitus („Alters-Diabetes") wird durch Übergewicht und Bewegungsmangel gefördert.

    Gerinnungsstörungen: Erhöhungen der Thrombozyten-Adhäsivität („Klebrigkeit" der Blutplättchen), des Fibrinogens im Serum sowie verschiedener plasmatischer Gerinnungsfaktoren (v. a. Faktor V, VIII und XIII) gehen mit einem gesteigerten Sterberisiko bei bestehender KHK einher. Sowohl Rauchen als auch „Stress" führen zu einer Erhöhung der Thrombozyten-Adhäsivität und des Fibrinogens.

    Chronische Infektionen: Bestimmte Erreger (v. a. Chlamydia pneumoniae) sind möglicherweise mit einem erhöhten Risiko für einen Myokardinfarkt verknüpft. Dies veranlasste einige Autoren, die KHK als Ergebnis einer chronischen Infektion zu sehen, mittlerweile ist diese Sichtweise jedoch zugunsten einer multifaktoriellen Genese wieder relativiert worden.

    Verhaltensbezogene Risikofaktoren zählen bereits seit langem zu den „Klassikern in der Ätiopathogenese der KHK. Vor allem der in Industrienationen weit verbreitete „Life-Style mit hyperkalorischer, fett- bzw. cholesterinreicher Ernährung, Adipositas, Rauchen und Bewegungsmangel sind hier zu nennen:

    Fehlernährung: V. a. die Aufnahme von gesättigten Fettsäuren und Cholesterin beeinflusst negativ die Lipoproteinspiegel (v. a. das Gesamt- und LDL-Cholesterin). Zusätzlich ist eine fettreiche Kost eine wesentliche Grundlage bei der Entwicklung einer viszeralen Adipositas (bauchbetontes Übergewicht), die ihrerseits über die Entwicklung einer Insulinresistenz mit einer Vielzahl von somatischen Risikofaktoren (v. a. Fettstoffwechselstörungen, arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus; „metabolisches Syndrom") verknüpft ist. Umgekehrt haben sich diätetische Maßnahmen als sichere und effektive Basis-Verfahren zur Primär- und Sekundärprävention der KHK erwiesen.

    Tabakkonsum: Rauchen ist ein gesicherter Risikofaktor für die Entstehung einer KHK. In der Sekundärprävention gilt Tabakkonsum sogar als der stärkste einzelne Risikofaktor für den Re-Infarkt. Unter pathophysiologischen Gesichtspunkten sind dabei v. a. negative Effekte auf den Gefäßtonus, die Endothel-Funktion (Regulation der Gefäßweite; u. U. Gefäßspasmen), verschiedene Gerinnungsfaktoren und den Fett- und Glukosestoffwechsel bedeutsam.

    Bewegungsmangel: Inwieweit dieses Verhalten tatsächlich ein unabhängiger Risikofaktor ist oder vorwiegend mit anderen Risikofaktoren, z. B. Adipositas, vergesellschaftet ist, wird derzeit noch kontrovers diskutiert. Gesichert ist allerdings, dass mit zunehmender körperlicher Aktivität (und Fitness) das Risiko für das Auftreten einer KHK bzw. kardialer Ereignisse deutlich vermindert ist. Dieser positive Effekt wird wahrscheinlich über eine Reihe günstiger Auswirkungen auf das Gewicht, verschiedene Stoffwechselparameter (v. a. HDL-Cholesterin, Insulinresistenz etc.) sowie das autonome Nervensystem (z. B. Herzfrequenz/-variabilität und Blutdruck) vermittelt. Darüber hinaus wurden positive Effekte auf die Koronar-Motilität beschrieben und – unter psychosomatischen Gesichtspunkten möglicherweise besonders bedeutsam – auch auf die psychische Befindlichkeit.

    Die meisten Risikofaktoren treten jedoch nicht unabhängig voneinander auf, sondern fügen sich zu Clustern zusammen. Dies gilt sowohl für somatische Risikofaktoren, z. B. ist wie erwähnt ein Diabetes mellitus häufig mit Fettstoffwechselstörungen und arterieller Hypertonie verknüpft, als auch für psychosoziale und verhaltensbezogene Risikofaktoren, indem z. B. Depressivität mit Bewegungsmangel und Rauchen verknüpft ist. Die Kombination einzelner Risikofaktoren führt dabei nicht zu einer Addition der Einzelrisiken, sondern zu einer Potenzierung des Risikos.

    Diagnostik

    Zur Diagnostik der KHK stehen heute zuverlässige und (relativ) risikoarme Methoden zur Verfügung. Basis jeder Diagnostik ist das ärztliche Gespräch, in dem sich das Risiko für das Vorliegen einer KHK allein mittels sorgfältigem Erfassen typischer klinischer Symptome (belastungsabhängige AP, ggf. auch nur Dyspnoe) in Kombination mit der Klärung verhaltensbezogener Risikofaktoren (Tabakkonsum, Fehlernährung, Übergewicht, Bewegungsmangel) und vor dem Hintergrund des alters- und geschlechtsbedingten Grundrisikos mit hoher Wahrscheinlichkeit richtig abschätzen lässt. Ergänzend erfolgt die Abklärung somatischer Risikofaktoren (Fettstoffwechselstörung, Diabetes mellitus, Hypertonie). Die weitergehende apparative Diagnostik dient dem Zweck, die Verdachtsdiagnose KHK weiter zu erhärten bzw. das Ausmaß der Krankheit weiter zu bestimmen. Dies geschieht in der Regel nach einem typischen Stufenschema, das von sog. „nicht-invasiven zu „invasiven Verfahren voranschreitet:

    Belastungs-EKG („Ergometrie"): Nicht-invasives Verfahren, bei dem mittels einer stufenweisen Fahrrad- oder Laufband-Ergometer-Belastung das Herz-Kreislaufsystem bis zur Erschöpfung (oder altersadjustierten Herzfrequenz- und Blutdruck-Grenzen) oder Auftreten von AP ausbelastet wird. Treten in dem gleichzeitig abgeleiteten EKG typische Veränderungen (ST-Strecken-Senkungen) auf, liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit eine KHK vor. Das Nicht-Auftreten dieser Veränderungen schließt jedoch bei typischen Symptomen eine KHK nicht aus (falsch-negativer Befund). V. a. bei Frauen ergeben sich jedoch nicht-selten auch verdächtige Befunde, ohne dass eine KHK vorliegt (falsch-positiver Befund). Selbst bei Patienten mit einer mittleren Prätestwahrscheinlichkeit für eine relevante KHK liegen Sensitivität und Spezifität des Belastungs-EKGs lediglich bei ca. 70 %.

    Stress-Echokardiografie: Dieses nicht-invasive Verfahren bedient sich einer Ultraschalltechnik, mit der das Herz kontinuierlich auf einem Monitor dargestellt werden kann. Wird das Herz mittels einer Ergometrie ausbelastet oder pharmakologisch mit Dobutamin stimuliert, können bei Vorliegen einer relevanten KHK typische Störungen der Kontraktion einzelner Abschnitte des linksventrikulären Myokards beobachtet werden. Auch hier sind falsch-negative Befunde möglich (Sensitivität ca. 85 %).

    Myokard-Szintigrafie: Dieses nicht-invasive Verfahren basiert auf einer radioaktiven Substanz (heute in der Regel Technetium), die dem Patienten kurz nach einer Ergometrie oder unter einer pharmakologischen Stimulation mit Adenosin in eine Vene gespritzt wird. Eine zweite Injektion erfolgt zeitlich versetzt unter Ruhebedingungen. Die Substanz verteilt sich entsprechend der Durchblutung im Herzmuskel, sodass beim Vorliegen einer relevanten KHK die Minderdurchblutung unter Belastung über eine „Gamma-Kamera" nachgewiesen werden kann. Dieses Verfahren ist insbesondere bei Patienten mit schwierigen Schallbedingungen vorteilhaft, es ist allerdings auch mit einer nicht unbeträchtlichen Strahlenbelastung (ca. 5–10 mSv) verknüpft.

    Magnet-Resonanz-Tomografie (MRT): Mittels Kardio-MRT lassen sich strahlenfrei Struktur und Funktion des Herzens objektivieren. Außerdem erlaubt das sogenannte Stress-MRT eine Beurteilung der hämodynamischen Relevanz von Koronarstenosen, wobei für die Beurteilung sowohl die Koronarperfusion als auch die lokale Myokardkontraktion vor und nach pharmakologischer Stimulation (Mit Adenosin und ggf. Dobutamin) herangezogen werden. Nicht alle Patienten sind für ein MRT geeignet (Ausschlusskriterien sind u. a. eine starke Klaustrophobie oder ein Z. n. Schrittmacher-Implantation, wobei heute zunehmend MRT-taugliche Schrittmachersysteme zum Einsatz kommen).

    Kardio-CT (Computertomografie): Mittels Kardio-CT lassen sich Lokalisation, Art (harter oder weicher Plaque) und Ausmaß einer KHK „bildhaft" darstellen. Das Kardio-CT erfordert die Gabe jodhaltigen Kontrastmittels sowie einen möglichst bradykarden Sinusrhythmus. Mit einem negativen prädiktiven Wert von >98 % eignet sich das Kardio-CT besonders zum Ausschluss einer KHK. Mit modernen Technologien liegt die Strahlendosis für ein Kardio-CT heute bei 0,8–1,2 mSv.

    Linksherzkatheter: Dieses invasive Verfahren gilt bis heute als „Gold-Standard" der KHK-Diagnostik. Hierbei wird über eine der beiden Leisten-Arterien oder über die rechte Unterarmarterie (Arteria radialis) unter Lokalanästhesie ein dünner Kunststoffkatheter eingeführt, der bis zum Abgang der Koronarien (an der Aorta oberhalb des Herzens) vorgeschoben wird. Dann wird unter kontinuierlicher Röntgenkontrolle (Strahlendosis für diagnostischen Linksherzkatheter ca. 3–5 mSv) über den Katheter ein jodhaltiges Kontrastmittel gespritzt, sodass sich die einzelnen Koronararterien mit ihren Verästellungen darstellen. Lokalisation und Ausmaß der Koronarstenosen können somit exakt bestimmt werden; zusätzlich kann ggf. direkt in einem Untersuchungsgang das betroffene Gefäß aufgeweitet werden (PCI, siehe unten).

    Behandlung

    Die Behandlung der koronaren Herzerkrankung zielt einerseits auf eine Lebensverlängerung, andererseits auf eine Verbesserung des Befindens und der Lebensqualität ab. Dies kann zum einen durch medikamentöse oder interventionelle Behandlung der Störungen von Durchblutung, Pumpfunktion und Herzrhythmus, andererseits durch die Behandlung der kardiovaskulären Risikofaktoren (s. o.) erfolgen. Vor allem der letztgenannte Ansatz ist wesentlich für die längerfristige Prognose, d. h. das Auftreten oder Wiederauftreten von gravierenden klinischen Symptomen wie einem akuten Koronarsyndrom oder schweren Herzrhythmusstörungen. Entsprechend wird dieser Ansatz unter dem Oberbegriff Prävention zusammengefasst. Nach neuerer Auffassung unterscheiden sich die Vorgehensweisen in der Therapie eines Patienten vor einem ersten „kardialen Ereignis" (z. B. akutes Koronarsyndrom, PCI, Bypass-Op., s. u.), der sog. Primärprävention, nicht mehr wesentlich von der sog. Sekundärprävention, d. h. wenn ein solches Ereignis bereits eingetreten ist.

    In der Prävention der KHK ist unstrittig, dass ein sinnvoller Behandlungsansatz am „globalen Risiko" des Patienten ansetzen muss, d. h. möglichst viele Risikofaktoren gleichzeitig beeinflussen sollte. Entsprechend steht am Beginn der Intervention eine sorgfältige Bestandsaufnahme aller Risikofaktoren. Diese sollte sowohl die somatischen als auch die verhaltensbezogenen und psychosozialen Risikofaktoren umfassen (zu letzteren siehe eigenständige Kapitel).

    Basis jeder Prävention ist die Modifikation gesundheitsschädlichen Verhaltens bzw. die Etablierung gesundheitsförderlicher Verhaltensweisen:

    Vollständiger Rauchverzicht (auch kein „Passivrauchen")

    Gesunde Ernährung („mediterrane Kost", plus Normalgewicht anstreben; ggf. Salz- und Alkoholrestriktion)

    Bewegungstraining (Mindestens 30 min/Tag auf mittlerer Belastung entsprechend etwa 70 % der maximalen Belastbarkeit/Herzfrequenz)

    Die genannten Maßnahmen können zusätzlich zu den eigenständigen Wirkungen (Tabakabstinenz, gute körperliche Fitness, u. U. Gewichtsnormalisierung) auch günstige Effekte auf verschiedene somatische Risikofaktoren wie Fettstoffwechselstörungen, Bluthochdruck und Diabetes mellitus haben. Falls diese Effekte jedoch nicht ausreichen, das Risikoprofil zu optimieren – was leider häufig der Fall ist – werden zusätzlich die folgenden medikamentösen Maßnahmen empfohlen:

    LDL-Cholesterinsenkung (z. B. durch Statine): bei bestehender KHK Ziel <70 mg/dl bzw. um >50 % gesenkt werden, falls der LDL-Cholesterin-Ausgangswert im Bereich 70–135 mg/dL (1,8–3,5 mmol/L) liegt; bei Diabetes mellitus <100 mg/dl und bei mehr als zwei Risikofaktoren (außer Diabetes mellitus) <130 mg/dl

    Blutdrucknormalisierung (vorzugsweise durch ACE-Hemmer oder AT1-Blocker, aber auch Betablocker etc.): Ziel RR <140/90 mmHg, optimal systolisch 120–129 mmHg und diastolisch <80 mmHg.

    Blutzuckernormalisierung (bei Diabetes mellitus Typ-2, z. B. durch Metformin, Acarbose oder Glitazone; bei Diabetes mellitus Typ 1, Insulin): Ziel HbA1c in der Regel <6,5–6,9 %

    Thrombozyten-Aggregationshemmung (z. B. durch ASS oder Clopidogrel)

    Begrenzung der max. Herzfrequenz; Schutz vor Rhythmusstörungen, v. a. nach einem Herzinfarkt (Betablocker)

    Die Behandlung klinischer Symptome, z. B. der AP, gliedert sich in medikamentöse und invasive Verfahren. Heutzutage wird vorwiegend versucht, AP „kausal" zu behandeln, d. h. indem die zugrunde liegende Koronarstenose mittels PCI (Perkutane Koronarintervention) behoben wird. Bei dieser Technik wird während einer Koronarangiografie (s. o.) ein spezieller Katheter eingeführt, an dessen Spitze sich ein aufblasbarer, kleiner Ballon befindet. Dieser Ballon wird in unaufgefülltem Zustand in der Koronarstenose platziert und dann aufgefüllt, sodass die Engstelle mechanisch durch den Druck im Ballon (üblicherweise 10–14 bar) aufgedehnt wird. Man spricht dann auch von einer PTCA (Perkutane Transluminale Koronarangioplastie ) . Heute gilt die PCI als das Verfahren der Wahl zur Wiedereröffnung des verschlossenen Herzkranzgefäßes bei einem STEMI (Akut-PTCA). Bei einem STEMI kann zur Elimination des thrombotischen Materials häufig vor der PCI eine kathetergestützte Aspirationsthrombektomie durchgeführt werden (Abb. 1.5).

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    Abb. 1.5

    PCI einer hochgradigen Stenose der rechten Herzkranzarterie (RCA) mit Stent-Implantation

    Nach einer Ballondilatation (PTCA) ist das Koronargefäß in über 90 % der Fälle wieder gut durchgängig, sodass die AP-Symptomatik sofort vollständig verschwunden ist. Leider kommt es nach alleiniger PTCA in ca. 30 % der Fälle bereits binnen der ersten 6 Monate nach dem Eingriff zu einer erneuten Verengung des Gefäßes, die als entzündliche Reaktion auf die mechanische Verletzung durch die Dehnung selbst sowie eine mechanische Wiederverengung im Sinne eines Recoil verstanden werden kann. Entsprechend wird heute bei mehr als 90 % der PCIs, unabhängig davon, ob es sich um einen elektiven oder einen notfallmäßigen Eingriff handelt, nach der Aufweitung des Gefäßes ein sog. Stent eingelegt. Ein Stent ist ein ausdehnbares, schlauchförmiges Drahtgeflecht (Durchmesser in der Regel zwischen 2,5 und 4,0 mm, Länge je nach Koronarläsion 8–28 mm), das eine Wiederverengung des Gefäßes mechanisch verhindern soll. Dies gelingt in der Tat in einem hohen Prozentsatz der Fälle, vor allem, wenn die Stents gleichzeitig mit bestimmten entzündungshemmenden, antiproliferativen Stoffen (u. a. Sirolimus) beschichtet sind (Reduktion der Restenoserate auf <10 %). Bei einer elektiven Linksherzkatheteruntersuchung bietet sich zur Überprüfung der Relevanz einer Koronarverengung, d. h. wenn keine eindeutige AP-Symptomatik und kein Ischämienachweis (z. B. mittels Stress-Echokardiografie, Myokardszintigrafie oder Kardio-MRT, siehe oben) vorliegen, eine Druck-Draht-Messung an. Bei diesem Verfahren wird über einen dünnen Draht mit einem Drucksensor am Ende während des Rückzugs im Koronargefäß der Druckgradient (FFR = Fractional Flow Reserve) über die Stenose ermittelt, der ab einem bestimmten Wert (FFR < 0,75) für eine prognostische Relevanz einer PCI spricht. In speziellen Fällen lässt sich die Koronarmorphologie auch mittels optischer Kohärenz-Tomografie (OCT) micrometergenau visualisieren. Über einen in das zu untersuchende Koronargefäß vorgeschobenen, rasch rotierenden dünnen Draht mit einer Laseroptik wird bei der OCT-Messung eine dreidimensionale Koronargefäßanalyse über eine Länge von bis zu drei Zentimetern möglich. Nach einer Stent-Implantation ist eine intensivierte Thrombozyten-Aggregationshemmung mit ASS und Clopidogrel (unbeschichteter Stent für 4 Wochen, beschichteter Stent in der Regel für 6 Monate) erforderlich. Nach NSTEMI/STEMI wird eine duale Thrombozyten-Aggregationshemmung aus ASS und entweder Prasugrel oder Ticagrelor, die beide in dieser Situation Clopidogrel überlegen sind, auch wenn keine PCI durchgeführt wurde für 12 Monate empfohlen. Obwohl eine PCI im Vergleich zur Koronarchirurgie (s. u.) ein geringeres Risiko für somatische Komplikationen hat, kann

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