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Viszeralchirurgische Fälle für die Facharztprüfung: 38 Fallgeschichten mit Fragen und Fakten
Viszeralchirurgische Fälle für die Facharztprüfung: 38 Fallgeschichten mit Fragen und Fakten
Viszeralchirurgische Fälle für die Facharztprüfung: 38 Fallgeschichten mit Fragen und Fakten
eBook613 Seiten5 Stunden

Viszeralchirurgische Fälle für die Facharztprüfung: 38 Fallgeschichten mit Fragen und Fakten

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Über dieses E-Book

38 Kapitel bieten Alltagssituationen aus allen Bereichen des Fachgebietes als lebendige Beschreibungen: die Ärztinnen und Ärzte einer fiktiven viszeralchirurgischen Abteilung, die Patienten untersuchen, Diagnosen stellen und die richtige Therapie mit ihren Kollegen diskutieren, sind individuelle Menschen mit eigenen Ansichten, Plänen und Reaktionsweisen. Aber auch die Sorgen und Fragen der Patienten kommen nicht zu kurz. Die Fallgeschichten bieten den Rahmen für harte Fakten: präzise und kompakte Wissensportionen informieren zu Fragen, wie sie der Oberarzt während der Operation oder der Prüfer bei der Facharztprüfung stellen könnte; im Kontext der Geschichten prägen sie sich ins Gedächtnis ein. Tauchen Sie ein in die Atmosphäre und das konzentrierte Fachwissen einer chirurgischen Abteilung!

SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer
Erscheinungsdatum26. Mai 2018
ISBN9783662558690
Viszeralchirurgische Fälle für die Facharztprüfung: 38 Fallgeschichten mit Fragen und Fakten

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    Buchvorschau

    Viszeralchirurgische Fälle für die Facharztprüfung - Carsten J. Krones

    © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018

    Carsten J. Krones und Benjamin Bock (Hrsg.)Viszeralchirurgische Fälle für die Facharztprüfunghttps://doi.org/10.1007/978-3-662-55869-0_1

    1. Fall 1: Perioperative Medizin – alles um das Drumherum

    Benjamin Bock¹   und Carsten J. Krones¹  

    (1)

    Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Marienhospital Aachen, Aachen, Deutschland

    Benjamin Bock (Korrespondenzautor)

    Email: benjamin.bock@marienhospital.de

    Carsten J. Krones

    Email: carsten.krones@marienhospital.de

    1.1 Warum hat die präoperative Risikoabschätzung Risikoabschätzung einen so hohen Stellenwert in der operativen Medizin?

    1.2 Zählen Sie notwendige Maßnahmen zur präoperativen Risikoabschätzung vor chirurgischen Interventionen auf

    1.3 Welches Klassifizierungssystem eignet sich besonders gut, um das präoperative Risikoprofil abzuschätzen?

    1.4 Ab wann gilt ein Patient als nüchtern, und worauf ist bei Dauermedikationen zu achten?

    1.5 Klassifizieren Sie die klinisch relevanten Antikoagulanziengruppen und nennen Sie Beispiele

    1.6 Welche Vor- bzw. Nachteile haben unfraktionierte Heparine gegenüber niedermolekularen Heparinen?

    1.7 Erläutern Sie den Begriff Bridging

    1.8 Nehmen Sie Stellung zur Routine-Thromboembolieprophylaxe

    1.9 Was versteht man unter dem Konzept der „Fast-Track-Chirurgie"?

    Literatur

    Dr. Yasemin Gründel eilt ins Sekretariat. Der Chef, Dr. Gertjens, hat gerufen. Das ist eigentlich nichts Besonderes, denn Gründel gehört mittlerweile zu den Erfahrenen im Team und Gertjens verteilt Sonderaufgaben gerne nach Kompetenz. Aber heute passt es wirklich schlecht. 14.45 Uhr, ein sonniger Dienstagnachmittag – die Röntgenbesprechung ist soeben beendet. Kurz die Station polieren und dann ab, das war der Plan. Keine Spontanabenteuer bitte. Sohn Lasse muss spätestens um 16.30 Uhr aus der Kita abgeholt werden. Für 17.00 Uhr steht ein Termin beim Zahnarzt an. Lasse hat bei der zahnärztlichen Kita-Visite einfach nicht den Mund aufgemacht. Das wird gleich ein echter Spaß mit dem „süßen Kleinen" – Kurz durchatmen, Gründel springt die Treppen rauf – klopf, klopf, und Tür auf. Frau Leisse, Chefarztsekretärin mit Herz, winkt Gründel direkt durch. Die Tür beim Chef steht offen. Der Mann ist wie immer busy. Gertjens starrt auf seinen Bildschirm, der Schreibtisch liegt voll mit Papier, das Telefon ist auf Lautsprecher geschaltet und das Freizeichen tönt durch den Raum. Als Gertjens Gründel erblickt, lächelt er kurz und legt den Hörer auf. „Keine Sorge, nichts Schlimmes", verkündet er und bittet Yasemin im selben Atemzug, die PJ-Fortbildung zu übernehmen. Ein bisschen kurzfristig, aber er sei leider überraschend verhindert. Ein Mitglied des Aufsichtsrats ist angekündigt – klingt wie eine Divertikulitis. – Okay, Unterrichtsausfall gibt es in der Klinik nicht. „Kein Problem, schwindelt Gründel, „aber das Thema wähle ich selbst? Go ahead – Gertjens rauscht Richtung Notaufnahme ab. Noch 10 Minuten. Gründel entscheidet sich für eine Diskussionsrunde über perioperatives Management . – Auf dem Weg in die Bibliothek instruiert Gründel per Telefon militärisch kurz Kollege Bauerschmidt: Station glattziehen, und zwar komplett! Kein Protest erlaubt – Dame schlägt Bauer. Gerade noch pünktlich betritt die Ärztin den Raum, zusammen mit Lisa Rothweg und Ole Völker, die momentan in der Inneren eingeteilt sind. Gründel begrüßt eine 8er-Runde. Mit mehr ist nicht zu rechnen. Einer ist krank, und die beiden unfallchirurgischen PJ‘ler sind noch zur Chefarztvisite unterwegs. – Zum perioperativen Management fällt keinem was ein. Gründel startet flacher mit einer Frage zur präoperativen Risikoabschätzung.

    1.1 Warum hat die präoperative Risikoabschätzung Risikoabschätzung einen so hohen Stellenwert in der operativen Medizin?

    Die möglichst exakte präoperative Risikoabschätzung ist essenzielle Grundlage einer exakten, d. h. umfassenden Indikationsstellung und komplikationsarmen Operation. Das Oberthema Patientensicherheit hat in den letzten Jahren berechtigterweise stark an Bedeutung gewonnen. Neben den wachsenden Ansprüchen auf möglichst risikoarme und zuverlässig planbare Abläufe in der chirurgischen Therapie ist auch eine veränderte ärztliche Ethik hier eine wichtige Triebfeder. Der demografische Wandel und die damit einhergehenden Begleiterkrankungen immer älterer Patienten erfordern zusätzlich eine besondere Aufmerksamkeit, um perioperative Komplikationen zu minimieren. Operative Eingriffe stehen dabei aber auch deshalb in einem besonderen Fokus, da hier „Tat, Tatzeit und Täter" genau festzumachen und Fehler klarer zuzuordnen sind. Auch wenn Fehler in der konservativen Medizin wie die Medikation oder deren Dosierung im Krankenhaus viel gefährlicher sind.

    Yasemin braucht zähe Geduld, um die Antworten der Studierenden richtig zusammenzubringen. Vielleicht wird es flüssiger, wenn man es praktischer hält.

    1.2 Zählen Sie notwendige Maßnahmen zur präoperativen Risikoabschätzung vor chirurgischen Interventionen auf

    Die Grundlage ist eine ausreichende Anamnese mit Einschluss aller Vorerkrankungen und Voroperationen, Allergien und der Medikation. Auch soziale Aspekte (Beruf, körperliche Aktivität im Haushalt und Selbstversorgung, Sport) sind hilfreich. Dem Gespräch folgt eine zielorientierte körperliche Untersuchung, die einerseits den relevanten Lokalbefund erhebt und gleichzeitig die Narkosenotwendigkeit berücksichtigt. Alle weiteren Maßnahmen richten sich an dieser Basis und dem geplanten Eingriff aus.

    Präoperative Laborbestimmungen beinhalten in der Regel ein Blutbild, die Elektrolyte Natrium, Kalium und Kalzium, die Blutgerinnung, den Blutzucker, die Nierenwerte und eine Orientierung über die Leberfunktion. Eine Standardvorgabe gibt es auch bei sehr häufigen Eingriffen nicht. Junge, gesunde Patienten ohne Blutungsneigung bieten in ihren Laborergebnissen keine relevanten Informationen. Alle Zusatzbestimmungen sollten sich streng am Einzelfall ausrichten. Über eine Blutgruppenbestimmung und die Bereitstellung von Blutprodukten ist auch eingriffsabhängig nachzudenken. Im Idealfall existieren klinikinterne Standards.

    Weitere Untersuchungen zur präoperativen Risikobeurteilung dienen allein zur Einschätzung der körperlichen Leistungskraft oder, besser gesagt, der Belastbarkeit. Hier erlaubt aber auch die körperliche Aktivität und Arbeit im Alltag bereits eine belastbare Einschätzung. Wer den Wäschekorb jeden Tag 2 Etagen tragen kann, hat keine relevante Herzinsuffizienz . Eine elektrokardiographische Untersuchung (EKG) ist bei anamnestisch unauffälligen und kardial asymptomatischen Patienten, ungeachtet des Alters, nicht erforderlich. Eine Echokardiographie (UKG) ist unabhängig vom Eingriff Herzpatienten mit schwerer Leistungsminderung vorbehalten. Die Durchführung eines Röntgen-Thorax ist ohne Symptome erst ab dem 60. Lebensjahr indiziert. Eine Lungenfunktionstestung ist erst bei potenzieller postoperativer respiratorischer Einschränkung wirklich sinnvoll. Bei einer funktionellen Vitalkapazität von <50 % der Norm bzw. unter 2 Litern ist bei etwa 30 % der Patienten mit dem Auftreten einer postoperativen respiratorischen Insuffizienz zu rechnen.

    Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit wird in Deutschland weit mehr Über- als Unterdiagnostik betrieben. Die Gründe sich vielfältig: Neben einem extremen Sicherheitsbedürfnis stehen irreale Erwartungen an die Zusatzinformationen und auch pekuniäre Interessen. Auch die persönliche Erfahrung des Arztes spielt eine wichtige Rolle. Die anästhesiologische Prämedikation sollte deshalb z. B. entgegen dem üblichen Vorgehen nicht von den jüngsten Anästhesisten vorgenommen werden, sondern vom Erfahrenen.

    Diese Frage läuft schon deutlich besser. Vor allem Lisa Rothweg, ein eher bescheidenes, aber aufmerksames Wesen, hat in ihrem chirurgischen Tertial gut aufgepasst und bringt die Runde auf Spur. Yasemin Gründel setzt nach.

    1.3 Welches Klassifizierungssystem eignet sich besonders gut, um das präoperative Risikoprofil abzuschätzen?

    Am häufigsten wird das Schema der „American Society of Anesthesiologists" (ASA) angewendet Tab. 1.1. Die Klassifikation dient zur individuellen Einschätzung, erlaubt aber auch einen verlässlichen Risikoabgleich bei Multizenterstudien. Aufgrund der Vorerkrankungen, der klinischen Untersuchung und der Vordaten wird das Risikoprofil in 5 Klassen eingeteilt.

    Tab. 1.1

    ASA-Klassifikation (American Society of Anesthesiologists)

    Diesmal sticht David Schölle hervor. Ein 28-jähriger Nerd, der leider schon mehrfach im Operationssaal sein Ungeschick bewiesen hatte. Dennoch kein unsympathischer Typ, man muss ihn halt locken. Yasemin Gründel leitet das Ausbildungsgespräch, das zunehmend geordnet und interdisziplinär verläuft, jetzt fast schon gern. Der holprige Start ist vergessen. Weiter geht es in die Tiefe.

    1.4 Ab wann gilt ein Patient als nüchtern, und worauf ist bei Dauermedikationen zu achten?

    Als nüchtern gilt ein Patient in der Regel dann, wenn er mindestens 6 h vor der anstehenden Operation keine Nahrung mehr zu sich genommen hat. Milch und sonstige „trübe" Flüssigkeiten beinhalten Fette und Proteine. Damit gelten auch diese als Nahrung und dürfen im gleichen Zeitraum nicht mehr verzehrt werden. Ab 2 h vor dem Eingriff dürfen auch keine klaren Flüssigkeiten wie Wasser, Tee oder Kaffee (schwarz) getrunken werden.

    Medikamente, die ein Patient aufgrund bestehender Begleiterkrankungen regelmäßig einnehmen muss, sollten insbesondere dann auch am Morgen vor der Operation gegeben werden, wenn ein abruptes Pausieren Komplikationen triggert. Dazu gehören häufig folgende Substanzen:

    Antiasthmatika,

    Antihypertensiva (cave: ACE-Hemmer, AT1-Rezeptor-Antagonisten),

    Betarezeptorblocker, Kalziumkanalblocker,

    Diuretika,

    Statine,

    Antiarrhythmika,

    Antikonvulsiva,

    Antidepressiva (außer Lithium, dieses 72 h präoperativ absetzen),

    Parkinson-Medikamente (außer nichtselektive MAO-Hemmer, diese 2 Wochen präoperativ absetzen),

    Antipsychotika,

    Acetylsalicylsäure (darf weiter gegeben werde, sofern keine eindeutigen Kontraindikationen wie Anlage eines Peridualkatheters angezeigt sind).

    Ole Völker und Rita Druschlak melden sich zu Wort. Die Innere Medizin lässt grüßen. Apropos Acetylsalicylsäure: Zu Antikoagulanzien möchte Gründel mehr erfahren. Sie richtet ihre Frage in die ganze Runde, denn der Medikamentenmarkt ist in diesem Bereich ja deutlich breiter geworden.

    1.5 Klassifizieren Sie die klinisch relevanten Antikoagulanziengruppen und nennen Sie Beispiele

    Man unterscheidet unter den Antikoagulanzien Thrombozytenaggregationshemmer, nichtorale Antikoagulanzien und Phenprocoumon sowie neuere orale Antikoagulanzien.

    Zu den Thrombozytenaggregationshemmern zählen:

    Acetylsalicylsäure (irreversible Cyclooxygenase-Hemmer),

    Clopidogrel, Prasugrel, Ticagrelor (ADP-Rezeptor-Hemmer),

    Abciximab, Tirofiban, Eptifibatid (Glykoprotein-IIb/IIIa-Antagonisten).

    Nichtorale Antikoagulanzien , die direkt in die Gerinnungskaskade eingreifen, sind:

    Unfraktioniertes Heparin,

    Fraktioniertes (niedermolekulares) Heparin:

    Enoxaparin,

    Dalteparin,

    Certoparin;

    Synthetisches Heparin:

    Fondaparinux;

    Heparinoid:

    Danaparoid;

    Synthetisches L-Arginin-Derivat:

    Argatroban;

    Rekombinantes Hirudin:

    Lepidurin,

    Desidurin.

    Folgende orale Antikoagulanzien sind gebräuchlich:

    Phenprocoumon, Warfarin (Vitamin-K-Antagonisten, Kumarine),

    Dabigatran (oraler Thrombininhibitor),

    Apixaban, Rivaroxaban (direkte Faktor-Xa-Inhibitoren).

    Die Aufzählung der Substanzen gelingt trotz Gruppenarbeit nur mühsam. Alle sind genervt, aber das Thema ist wichtig. Man bleibt dran.

    1.6 Welche Vor- bzw. Nachteile haben unfraktionierte Heparine gegenüber niedermolekularen Heparinen?

    Unfraktioniertes Heparin hat den Nachteil, dass es bei therapeutischem Einsatz über ein Perfusorsystem verabreicht werden muss. Regelmäßige PTT-Bestimmungen belasten den Einsatz zusätzlich nicht nur für den Patienten. Außerdem treten häufiger als bei niedermolekularen Heparinen Blutungsereignisse auf. Und die Gefahr einer HIT II ist etwa 10-fach gegenüber den niedermolekularen Substanzen erhöht. Unfraktioniertes Heparin wirkt aber wesentlich schneller als niedermolekulare Heparine. Zudem kann unfraktioniertes Heparin im Gegensatz zur niedermolekularen Alternative durch Protamin antagonisiert werden. Das erlaubt eine rasche, notfallmäßige Intervention. Niedermolekulares Heparin wird ein- bis mehrfach täglich subkutan injiziert und neigt bei einer Niereninsuffizienz zur Akkumulation.

    Während die Gruppe über Vor- und Nachteile der einzelnen Wirkstoffgruppen philosophiert, verliert selbst Yasemin Gründel langsam den Überblick über den ganzen Antikoagulations-Wust. Um bei der Sache zu bleiben, fokussiert sie das Gespräch auf den Begriff „Bridging". dazu weiß sie wenigstens auch selbst was.

    1.7 Erläutern Sie den Begriff Bridging

    Bei Patienten mit einer systemischen Antikoagulation in der Dauermedikation muss die Wirkdauer der individuellen Substanz berücksichtigt werden. In der Regel erfolgt – sofern die Operation planbar ist – eine Umstellung auf Heparin.

    Bei Kumarinen sind engmaschige laborchemische Kontrollen (Quick/INR) notwendig. Bei einem INR von <2,0 erhält ein Patient Heparin in therapeutischer Dosis. Wahlweise stehen niedermolekulare Derivate oder unfraktioniertes Heparin zur Verfügung. Bei Patienten, die eine mechanische Herzklappe tragen, gelten besondere Empfehlungen. Spätestens 4 h präoperativ sollte unfraktioniertes Heparin pausiert werden. Niedermolekulare Heparine werden zuletzt am Vorabend verabreicht. Postoperativ erfolgt das Wiederansetzen der Heparine etwa 4–6 h nach dem Eingriff, um unnötige Blutungskomplikationen zu vermeiden. Die Wiederaufnahme der gewohnten oralen Medikation erfolgt zumeist erst Tage später und unter überleitender Fortführung der Heparin-Gabe.

    Für die gängigen Antikoagulanzien gibt es zum Teil Vorgaben der Fachgesellschaften bezüglich der perioperativ erforderlichen Pausen. Bei den neuen Antikoagulanzien sind die Angaben zum Teil aber uneinheitlich, da die Datenlage bisher unzureichend ist.

    Die Uhr tickt erfreulich vorwärts. Gründel geht zur Thromboembolieprophylaxe über.

    1.8 Nehmen Sie Stellung zur Routine-Thromboembolieprophylaxe

    Operative Eingriffe in der Allgemein- und Viszeralchirurgie besitzen je nach Ausmaß des Eingriffs ein mittleres bis hohes Thromboembolierisiko (Tab. 1.2). Die Häufigkeit tiefer Beinvenenthrombosen variiert je nach operativem Eingriff (Tab. 1.3). Neben der Frühmobilisation ist eine prophylaktische Antikoagulation in diesen Risikoklassen unbedingt notwendig.

    Tab. 1.2

    Risikokategorien für die venöse Thromboembolie in der operativen und konservativen Medizin. (Aus Tató 2017)

    COPD chronisch obstruktive Lungenerkrankung („chronic obstructive pulmonary disease"), LE Lungenembolie, TVT tiefe Venenthrombose

    Tab. 1.3

    Häufigkeit tiefer Beinvenenthrombosen in der operativen Medizin ohne medikamentöse Prophylaxe. (Nach Arbogast 2013)

    Heutzutage haben sich niedermolekulare Heparine gegenüber den unfraktionierten Heparinen weitestgehend durchgesetzt. Individuell muss jedoch die Wahl der Medikation je nach Laborkonstellation (Nierenretention) reevaluiert werden. Die Entscheidung ist natürlich auch von der Art des Eingriffs abhängig.

    Physikalische Maßnahmen wie z. B. Anti-Thrombose-Strümpfe werden mittlerweile sehr kontrovers diskutiert und ersetzen eine medikamentöse Prophylaxe nicht.

    Noch 10 Minuten – das Thema Gerinnung ist jetzt wirklich durch. Dr. Gründel greift auf etwas Bekanntes zurück, das in ihrer Klinik wirklich beherrscht wird. Da Lisa Rothweg und David Schölle erst letzte Woche zwei Darmoperationen von der Vorbereitung bis zur Entlassung begleitet haben, fragt sie in die Runde, welche Bedeutung der Begriff „Fast Track" hat.

    Zu ihrer Verwunderung springt der kleine Ole Völker in die Bresche. Er kann es wohl kaum erwarten, sein Wissen anzubringen.

    1.9 Was versteht man unter dem Konzept der „Fast-Track-Chirurgie"?

    Unter Fast-Track-Chirurgie versteht man ein ursprünglich in Dänemark um Professor Kehlet entwickeltes therapeutisches Konzept, das auf eine Verringerung peri- und postoperativer Komplikationen, eine zügige und komfortablere Rekonvaleszenz und die schnellere Mobilisation der Patienten nach größeren viszeralchirurgischen Eingriffen zielt.

    Wesentliche Bestandteile des Verfahrens sind:

    der Verzicht auf präoperative Abführmaßnahmen,

    ein zügiger Kostaufbau,

    die Anregung der Darmbewegung durch orale Stimulation,

    der Verzicht auf immobilisierende Drainagen, Sonden und Zugänge,

    der Verzicht auf eine unnötige Infusionstherapie, d. h. ein kontrolliertes Volumenmanagement,

    eine umfassende Analgesie, gerne eine Kombination mit einer Sympathikolyse,

    eine sehr frühe Mobilisation.

    Die konsequente Umsetzung des Konzepts vermeidet Schmerzen, eine Atonie, pulmonale Erkrankungen und Komplikationen durch unnötige Immobilisation. Die postoperative Erholung verläuft für den Patienten auch deutlich komfortabler. Zu beachten ist, dass der Erfolg maßgeblich von der Zusammenarbeit zwischen Pflegepersonal, Physiotherapeuten, Chirurgen und Anästhesisten abhängt.

    Im Folgenden sind konkrete Maßnahmen übersichtlich aufgelistet:

    präoperative Nüchternheit : Nahrung bis 6 h, klare Flüssigkeiten bis 2 h vor dem Eingriff erlaubt,

    Darmvorbereitung : einmalig orales Abführmittel in Kombination mit einem Rektum-Klysma, keine orthograde Darmspülung,

    Narkose: Allgemeinanästhesie in Kombination mit einer Periduralanalgesie,

    intraoperative Volumengabe : kontrollierte Reduktion auf 1–2 l (Bilanzziel ausgeglichen),

    Magensonde : nur in Ausnahmefällen,

    Drainagen : Verzicht oder frühe Entfernung,

    Kostaufbau : ab dem OP-Tag orale Kostzufuhr, Kaugummi, Lutschbonbons,

    Mobilisation: ab dem OP-Tag.

    Das Endergebnis ist eine zeitige Entlassungsfähigkeit, die dem extremen Behandlungsfortschritt das Präfix „fast" eingetragen hat. Die Verkürzung der Behandlungsdauer war aber nie vorrangiges Ziel der zugrundeliegenden Forschungsarbeit.

    Dass Ole Völker über die Fast-Track-Chirurgie derart frei und kompetent sprechen kann, kommt überraschend. Doch Völkers Vater ist selbst Chirurg, wie sich herausstellt. Er setzt das Konzept als Oberarzt in seiner Klinik in Dresden um.

    16.05 Uhr – Gründel schließt den Kreis und bittet Völker, den Schlüssel im Sekretariat abzugeben. Sie selbst schmeißt sich in zivil und rast zur Kita. Himmelfahrtskommando zum Zahnarzt. Viel Spaß.

    Literatur

    Arbogast H (2013) Thromboembolieprophylaxe und perioperatives Gerinnungsmanagement. In: Jauch K-W et al (Hrsg) Chirurgie Basisweiterbildung. Springer, Berlin

    Tató F (2017) Venenthrombose und venöse Embolie der Bein- und Beckenvenen: Klinik und konventionelle Therapie. In: Debus E, Gross-Fengels W (Hrsg) Handbuch Operative und interventionelle Gefäßmedizin. Springer Reference Medizin, Berlin

    © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018

    Carsten J. Krones und Benjamin Bock (Hrsg.)Viszeralchirurgische Fälle für die Facharztprüfunghttps://doi.org/10.1007/978-3-662-55869-0_2

    2. Fall 2: Struma multinodosa – Hakaru Hashimoto

    Carsten J. Krones¹  

    (1)

    Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Marienhospital Aachen, Aachen, Deutschland

    Carsten J. Krones

    Email: carsten.krones@marienhospital.de

    2.1 Erläutern Sie das Krankheitsbilds der Hashimoto-Thyreoiditis, gehen Sie auf mögliche OP-Indikationen ein

    2.2 Erläutern Sie den Stellenwert der Sonographie in der Diagnostik von Schilddrüsenerkrankungen

    2.3 Beurteilen Sie den Stellenwert einer Schilddrüsenszintigraphie

    2.4 Erläutern Sie die Genese von knotigen Schilddrüsenveränderungen

    2.5 Erläutern Sie das operative Vorgehen, das Sie im konkreten Fall einschlagen würden

    2.6 Welche Formen des Recurrens-Monitorings kennen Sie?

    2.7 Begründen und erläutern Sie, auf welcher Seite Sie den Eingriff starten

    2.8 Was ist beim Ablösen der Nebenschilddrüsen operationstechnisch zu beachten?

    2.9 Wie gehen Sie nach Ausfall des Stimmbandnervensignals auf der bereits operierten rechten Seite weiter vor?

    2.10 Was empfehlen Sie zur Therapie des Nervenschadens?

    Chefarzt Gertjens sitzt in der Sprechstunde. „Brechstunde hat sein alter Chef sie immer genannt, und da ist was dran. Die ersten drei Patienten waren heute anspruchsvoll. Viel Gerede, aber am Ende doch kein OP-Termin. Die Indikationen stimmten einfach nicht. Verbrannte Zeit, denkt Gertjens. Und das rechte Knie schmerzt vom Fußballabend auch noch. Dazu klingelt pausenlos das Telefon. Der Chefarzt sehnt sich nach der Stille im OP. Die Tür geht auf, Schwester Petra leitet die nächste Patientin ins Sprechzimmer und knallt die Unterlagen auf den Tisch. Oh Mann, hat die vielleicht eine Laune. „Struma zur OP, lautet die Einweisungsdiagnose. Endlich was zum Operieren. Doch schon mit dem ersten Satz der Anamnese wird es wieder komplizierter: Die Patientin Valerie Boxberg, 28 Jahre und sonst gesund, erzählt als Erstes, dass sie seit 3 Jahren an einer Hashimoto-Thyreoiditis leide. Gertjens runzelt die Stirn.

    2.1 Erläutern Sie das Krankheitsbilds der Hashimoto-Thyreoiditis, gehen Sie auf mögliche OP-Indikationen ein

    Bei der Hashimoto-Thyreoiditis handelt es sich um eine aseptische Entzündung der Schilddrüse. Im natürlichen Verlauf der Entzündung kann es zu Hormonschwankungen kommen, welche die Betroffenen durchaus belasten. Die Entzündung brennt allerdings in der Regel aus. Im Spätzustand ist zumeist eine Hormonsubstitution indiziert. Eine Operationsindikation gibt sich nur bei mechanischen Komplikationen wie bei einem lokalen Druck- oder Globusgefühl mit therapierefraktären Beschwerden oder Malignitätsverdacht. Die lokalen Symptome werden zumeist durch den narbig-fibrotischen Umbau des Organs im Rahmen der chronischen Entzündung erzeugt.

    PD Dr. Gertjens ist enttäuscht. Tapfer hört er sich trotzdem die ganze Geschichte der Patientin an. Danach bittet er Frau Boxberg auf die Untersuchungsliege und startet das Ultraschallgerät. Die sonographische Untersuchung erklärt dann aber doch, warum die Patientin dem Chirurgen vorgestellt wird. Links kaudal findet sich ein großer, retrosternal eintauchender, mindestens 3,5 cm messender Knoten mit inhomogenem Echomuster.

    2.2 Erläutern Sie den Stellenwert der Sonographie in der Diagnostik von Schilddrüsenerkrankungen

    Die Sonographie des Halses ist der Goldstandard in der Diagnostik von Schilddrüsenveränderungen. Das anatomisch oberflächlich gelegene Organ ist leicht zu identifizieren und mit Ausnahme von retrosternal eintauchenden Anteilen selbst durch den weniger geübten Untersucher gut zu beurteilen. Knotenbildungen lassen sich schnell erkennen. Zysten imponieren durchgehend echoarm. Ein extrem inhomogenes Echomuster kann auf einen malignen Prozess hinweisen. Aber auch degenerative Knoten stellen sich in der Regel nicht komplett homogen dar. Die Sonographie kann auch zur gezielten Schilddrüsenpunktion eingesetzt werden. In die Untersuchung eingeschlossen ist immer eine Beurteilung möglicher extrathyreoidealer Veränderungen wie z. B. Lymphknotenvergrößerungen.

    Während der Ultraschalluntersuchung berichtet Frau Boxberg, dass ihr die Knotenbildung auch bekannt sei. Dies sei ja der eigentliche Grund der Vorstellung. Sie habe sich länger der Vorstellung in der Chirurgie wiedersetzt, aber ihr Hausarzt stellte zuletzt ein Größenwachstum fest. Gertjens fragt nach einer Szintigraphie.

    2.3 Beurteilen Sie den Stellenwert einer Schilddrüsenszintigraphie

    Eine zwingende Indikation besitzt die Szintigraphie der Schilddrüse vor Ersteingriffen streng genommen nur für die Beurteilung einer Autonomie. Eine autonome Schilddrüsenerkrankung mit latenter oder auch manifester Hyperthyreose wird durch Adenome ausgelöst, die entweder unifokal oder multifokal auftreten. Typsicherweise ist der TSH-Spiegel erniedrigt. Bei der unifokalen Autonomie reicht die Resektion des betroffenen Bezirks aus, während bei der multifokalen Autonomie eine komplette Thyreoidektomie vorgenommen wird. Die ursächliche Unterscheidung gelingt nur mittels einer Szintigraphie. Häufig eingesetzt wird die nuklearmedizinische Untersuchung allerdings auch bei anderen kalten Knoten. Diese stellen sich allerdings sowohl bei Karzinom als auch bei degenerativen Veränderungen durchgehend kalt dar. Ein besseres Unterscheidungskriterium ist in solchen Fällen die Punktion mit zytologischer Untersuchung des Aspirats. Weitere Indikationen für eine Szintigraphie bei benigner Schilddrüsenerkrankung können sich zur Erleichterung der Operationsplanung bei Rezidiveingriffen oder ektopen Schilddrüsenanteilen ergeben.

    Eine Szintigraphie liegt nicht vor. Der Chefarzt hält sie für erlässlich. Er startet mit den üblichen Erläuterungen der OP-Strategie, doch Frau Boxberg will es genau wissen: „Warum bilden sich Schilddrüsenknoten denn überhaupt"?

    2.4 Erläutern Sie die Genese von knotigen Schilddrüsenveränderungen

    Die Schilddrüse unterliegt zur Hormonproduktion einem gesteigerten Zellstoffwechsel. Im Rahmen der dazu ebenfalls ständig notwendigen Zellregeneration kann es deshalb wie auch an anderen, stark regenerativ wachsenden Zellsystemen zu Genveränderungen mit lokalen Hypertrophien kommen. Lokale Minderperfusionen können dabei auch degenerative Anteile erzeugen. Eine genetische Prädisposition zur Knotenbildung scheint zu existieren, ein monogenetischer Zusammenhang ist nicht bekannt. Allerdings kommt es zu familiären Häufungen. Iodmangel wird weiterhin als wichtiger Faktor in der Genese der Knotenbildung betrachtet, auch wenn die durchschnittliche Ernährung in Deutschland allein durch die vielen Milchprodukte in der Regel ausreichend Iod vorhält.

    Bei Frau Boxberg liegt eine familiäre Häufung vor – die Mutter und eine Tante sind schon operiert worden. Eine ältere Schwester weist ebenfalls eine – allerdings stabile und nicht OP-relevante – Knotenbildung auf. Chefarzt Gertjens erläutert seine operative Strategie.

    2.5 Erläutern Sie das operative Vorgehen, das Sie im konkreten Fall einschlagen würden

    Das operative Vorgehen bei Schilddrüsenerkrankungen wird von verschiedenen Zielen bestimmt. Einerseits soll die zugrundeliegende Erkrankung komplett saniert werden, andererseits wird natürlich eine möglichst niedrige Rate an Verletzungen des Stimmbandnervens und Beeinträchtigung des Kalziumstoffwechsels über ein Kompromittieren der Funktion der Nebenschilddrüsen angestrebt. Im konkreten Fall erscheint eine Hemithyreoidektomie der mit dem Knoten belasteten rechten Seite Methode der Wahl zu sein. Damit wird die rechte Seite komplett saniert und gleichzeitig ein Folgeeingriff bei fortbestehender Neigung zur Knotenbildung vermieden. Folgeeingriffe an Schilddrüsen haben ein deutlich höheres Risiko sowohl einer dauerhaften Verletzung des Stimmbandnervens als auch eines Hypoparathyreoidismus. Die Radikalität der Resektion muss jedoch immer an den intraoperativen Verlauf angepasst werden.

    Frau Boxberg hört genau zu. Gerade die Verletzung der Stimmbandnerven macht ihr Angst. „Sie müssen meine Stimme schonen", lautet die selbstbewusste Aufforderung an den Operateur. Gertjens erläutert das Prinzip des Recurrens-Monitorings .

    2.6 Welche Formen des Recurrens-Monitorings kennen Sie?

    Ein Monitoring der Stimmbandnervenfunktion kann intraoperativ auf zwei Arten erfolgen. Grundvoraussetzung ist eine exakte Platzierung des endotrachealen Tubus, welcher eine Ableitungselektrode aufweist. Die Ableitung muss exakt an den Stimmbändern liegen. Der Stimmbandnerv selbst kann dann intraoperativ über eine Stabelektrode durch einen Mikroimpuls gereizt werden. Das Signal lässt sich dann über den Tubus ableiten und sowohl akustisch als auch visuell über einen Monitor darstellen. Alternativ kann auch eine sogenannte Saxophonelektrode an den Stammnerven (Nervus vagus) des Stimmbandnervens der betroffenen Seite platziert werden. Diese gibt dann während des gesamten Eingriffs ein Dauersignal ab, wodurch während der Operation ein dauerndes, rhythmisches Klopfen in Kombination mit einer fortgesetzten Impulskurve auf dem Monitor induziert wird. Das Monitoring entbindet den Operateur nicht der Aufgabe, den Nerven schonend und nicht skelettierend präparatorisch darzustellen. Die Nichtdarstellung sollte im Operationsbericht begründet werden.

    Frau Boxberg wünscht sich eine dauerhafte Lösung und bittet um Entfernung auch des rechten Schilddrüsenlappens. Sie empfindet auch auf dieser Seite ein Kloßgefühl und möchte außerdem auf keinen Fall ein zweites Mal operiert werden. Gertjens weist darauf hin, dass die Indikation auf der linken, nicht knotig veränderten Seite weicher ist, willigt aber ein. – 14 Tage später liegt die Patientin auf dem OP-Tisch. Amelie Brandel assistiert dem Chef. Das OP-Team erwartet starke Verklebungen. OP-Schwester Sabrina fragt die Oberärztin, auf welcher Seite man wohl starte. Frau Brandel hält die Frage für berechtigt.

    2.7 Begründen und erläutern Sie, auf welcher Seite Sie den Eingriff starten

    Die beiden Organlappen werden bei einer Schilddrüsenresektion strategisch getrennt voneinander betrachtet. Startpunkt ist in der Regel die technisch anspruchsvollere Seite, da der intraoperative Verlauf das Vorgehen auf der gegenüberliegenden Seite beeinflussen kann. Im konkreten Fall liegt das Hauptproblem der Patientin rechts, sodass man rechts startet. Von dieser groben Regel kann es operationstechnisch begründete Abweichungen geben. Zu diesen Besonderheiten zählen z. B. Organgröße oder anatomische Abweichungen.

    Die Operation verläuft zunächst unkompliziert. Das Team mobilisiert den unteren und danach den oberen Pol, um die Schilddrüse mit dem großen, links-kaudalen Knoten etwas vor den Hals luxieren zu können. Dann sucht der Operateur die Gefäßnervenloge auf und hängt nach Darstellung von Arteria carotis und Vena jugularis interna die Saxophonelektrode an den Stimmbandnerven. Es ertönt ein regelmäßiges Signal. Nach Durchtrennung des Isthmus werden die Nebenschilddrüsen identifiziert. Brandel bewundert das feinfühlige Vorgehen ihres Chefs.

    2.8 Was ist beim Ablösen der Nebenschilddrüsen operationstechnisch zu beachten?

    Die Nebenschilddrüsen müssen an ihrem Gefäßstiel verbleiben, um auch nach Ablösen von der Schilddrüsenkapsel ausreichend durchblutet zu sein. Dieses Manöver ist anspruchsvoll, da die von extern kommenden Gefäßstiele aus den Schilddrüsenarterien oftmals sehr schmalkalibrig sind und die anteilig aus der Schilddrüsenkapsel stammende Durchblutung durch das Manöver naturgemäß durchtrennt wird. Eine gefäßgestielte Präparation der Nebenschilddrüse ist Grundvoraussetzung für den Erhalt des Organs. Sollte dies nicht gelingen, können devaskularisierte oder akzidentell entnommene Nebenschilddrüsen in eine Halsmuskeltasche (M. sternocleidomastoideus) retransplantiert werden. Das Präparat muss dazu in kleine Stücke mit maximal 1 mm Kantenlänge unterteilt werden. Die Ernährung in der Muskelloge erfolgt dann zunächst über Diffusion. Dieses Manöver ist allerdings nur mit einer begrenzten Erfolgsrate ausgewiesen, sodass der Verbleib im Gefäßverbund die eindeutig sichere Variante darstellt.

    Während des Ablösens des rechten Schilddrüsenlappens, der – wie nicht anders erwartet – als Folge der Thyreoiditis stark mit der Umgebung und auch der Trachealseitenfläche verklebt ist, kommt es zunächst zu einer Verminderung, und dann zum Erlöschen des Nervensignals. Das OP-Team ist enttäuscht. Der Operateur legt den Nerven präparatorisch frei, er ist in seiner Kontinuität eindeutig erhalten, das Signal bleibt unverändert aus. Der rechte Schilddrüsenlappen geht zur histologischen Bearbeitung. Das OP-Team hält inne und beratschlagt das weitere Vorgehen.

    2.9 Wie gehen Sie nach Ausfall des Stimmbandnervensignals auf der bereits operierten rechten Seite weiter vor?

    Wenn während oder nach der Operation eines Schilddrüsenlappens nach Reizung des Stimmbandnervens oder des Nervus vagus keine Signalableitung über die Stimmbänder zu erreichen ist, sollte zunächst die korrekte Position des Tubus und die Funktionstüchtigkeit der Ableitungstechnik überprüft werden. Sollten hier keine Fehler festgestellt werden und das Signal weiterhin ausbleiben, muss von einer zumindest temporären Schädigung des Stimmbandnervens ausgegangen werden. Damit ist auf der betroffenen Seite eine zumindest zeitweilige Stimmbandparese zu erwarten. Unter diesen Bedingungen sollte die Resektion der Gegenseite bis zur Erholung der aktuell betroffenen Seite verschoben werden.

    Der Operateur gibt dem Team eine 15-minütige Pause. Vielleicht erholt sich der Stimmbandnerv wieder, der offensichtlich durch den Zug am rechten Schilddrüsenlappen in seiner Funktion eingeschränkt wurde. Das Signal kehrt jedoch nicht zurück. Das Team beendet schweigend den Eingriff. – Am Abend informiert der Operateur die Patientin im Beisein des Ehemannes über den Verlauf. Das Ehepaar reagiert gelassen, Gertjens ist erleichtert. Die beiden Boxbergs betonen, dass man durch die breite Aufklärung über diesen möglich Verlauf ja informiert worden sei. Man lobt Weitsicht und Konsequenz des Operateurs, auch wirklich so zu handeln – Gertjens schämt sich etwas. – Am zweiten postoperativen Tag erfolgt die Kontrolle der Kehlkopffunktion. Eine Minderung der Recurrens-Funktion bestätigt sich, allerdings liegt keine komplette Parese vor. Man freut sich.

    2.10 Was empfehlen Sie zur Therapie des Nervenschadens?

    Eine Minderung der Stimmbandfunktion oder auch Parese sollte frühzeitig logopädisch therapiert werden. Dadurch wird nicht nur die Regeneration des Nervens verbessert, sondern bei dauerhaftem Schaden auch das Umlernen der Stimmbildung erleichtert.

    Der weitere Verlauf ist unkompliziert. Schon bei der Entlassung der Patientin scheint sich nach Meinung von Frau Dr. Brandel die Stimme wieder etwas gekräftigt zu haben. Gertjens freut sich über das Wohlwollen seiner Oberärztin, bleibt aber unglücklich. Auch wenn die Komplikation relativ häufig vorkommt, besser gesagt, vielleicht typisch ist, bleibt die Operation maximal ein „semi-sweet success". Zum Glück blieben die Boxbergs bis zum Ende bei ihrer Haltung ohne Vorwürfe. Dazu hat vielleicht auch die nichtmaligne Histologie des Knotenresektats beigetragen. Das Logopädierezept in der Hand, vereinbart Frau Boxberg bei der Entlassung die Wiedervorstellung zur Befundkontrolle in 3–4 Wochen. Gertjens ist so betroffen, dass er fast herzlich wird. Na, na, na – keine Selbstanklage.

    © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018

    Carsten J. Krones und Benjamin Bock (Hrsg.)Viszeralchirurgische Fälle für die Facharztprüfunghttps://doi.org/10.1007/978-3-662-55869-0_3

    3. Fall 3: Schilddrüsenkarzinom – sie will zurück nach Westerland

    Carsten J. Krones¹  

    (1)

    Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Marienhospital Aachen, Aachen, Deutschland

    Carsten J. Krones

    Email: carsten.krones@marienhospital.de

    3.1 Welche diagnostischen Mittel ergreifen Sie bei größenprogredientem Schilddrüsenknoten?

    3.2 Werten Sie die alternative bildgebende Diagnostik mit CT, MRT und PET-CT

    3.3 Nennen und bewerten Sie spezifische Laborparameter bei Tumorverdacht in der Schilddrüse

    3.4 Bewerten Sie den Stellenwert einer Feinnadelpunktion mit anschließender zytologischer Aufarbeitung des Aspirats

    3.5 Nennen Sie die typischen Tumortypen des Schilddrüsenkarzinoms

    3.6 Definieren Sie das papilläre Mikrokarzinom und erläutern Sie die Sonderstellung dieses Tumorbefundes

    3.7 Nehmen Sie zum Stellenwert von Schnellschnittuntersuchungen an der Schilddüse Stellung

    3.8 Warum hat das OP-Team den linken Schilddrüsenlappen nicht freigelegt?

    3.9 Skizzieren Sie die aktuell gültigen Grundregeln zur Lymphadenektomie beim Schilddrüsenkarzinom

    3.10 Wie sieht die Nachbehandlung bei einem papillären pT2-Karzinom aus?

    So hat sich Sibylle Staufer das nicht vorgestellt. Eigentlich sollte sie längst mit ihrer Golfrunde durch die „Whiskey-Straße ziehen und die aktuellen In-Lokale von Sylt abklappern. Man musste da sein, um dabei zu sein. Aber stattdessen ist sie hier, in der Schilddrüsensprechstunde, und muss sich mit diesem Mann befassen, der sich Oberarzt nennt. Ausgerechnet sie, die sich, in gesundheitlichen Fragen immer bestens orientiert, um ihre ganze Umgebung gekümmert hatte. Die Laune ist spitz, die Stimme fast ein wenig schrill. Schilddrüsenknoten beklagten schon Mutter und Großmutter, das hatte Frau Staufer nie irritiert. Ihr Halsumfang hat sich aber sichtbar verändert, was zuletzt sogar schon ihrer besten Freundin auf der Driving Range aufgefallen war. Dr. Poivoda ist von der Anspannung der Patientin wenig beeindruckt. „Schlaffer Öko-Typ denkt Staufer, „reiche Ziege" denkt Poivoda. Nachdem er sich fasst

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