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After Sales Service: Zukunftsfähig und prozessorientiert gestalten
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eBook772 Seiten6 Stunden

After Sales Service: Zukunftsfähig und prozessorientiert gestalten

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Über dieses E-Book

Der After Sales Service ist ein Unternehmensbereich, der zunehmend bedeutender für produzierende Unternehmen wird. Ziel des Buches ist es, Theorie und Praxis zusammenzuführen. Daher sollen Methodiken sowie praxis- und lösungsorientierte Handlungsempfehlungen gegeben werden, die es dem Leser ermöglichen, einen effektiven After Sales Service aufzubauen oder Unterstützung bei der After Sales Service-Einführung zu bekommen. Aus diesem Grund werden die drei Teilbereiche des After Sales Service auf theoretischer Basis detailliert beschrieben. Hierbei wird der Fokus auch auf die Serviceplanung als Querschnittsprozess zwischen strategischer Planung und operativer Ausführung des After Sales Service gelegt. Ferner wird der Paradigmenwechsel von der Funktionsorientierung hin zu einer Prozessorientierung beschrieben. Aber auch Trends, wie Service Transition oder Servitization, Geschäftsmodelle im Service, Lean After Sales Service, Globalisierung und die damit einhergehenden Folgen für das Service-Netzwerk oder die Entwicklungen im Rahmen der Industrie 4.0, wie zum Beispiel Smart Services, Anwendungen der Augmented Reality oder Predictive Maintenance. Außerdem werden neue Arten der Führung beschrieben, wie beispielsweise das Lean Leadership, die im After Sales Service genutzt werden können.
SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer Vieweg
Erscheinungsdatum16. Dez. 2020
ISBN9783662623251
After Sales Service: Zukunftsfähig und prozessorientiert gestalten

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    Buchvorschau

    After Sales Service - Uwe Dombrowski

    © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE , ein Teil von Springer Nature 2020

    U. Dombrowski et al. (Hrsg.)After Sales Servicehttps://doi.org/10.1007/978-3-662-62325-1_1

    1. Einleitung und Grundlagen

    Uwe Dombrowski¹, Constantin Malorny¹  , Klaus Waider² und Ferdinand Wöpkemeier³  

    (1)

    IFU, Technische Universität Braunschweig, Braunschweig, Deutschland

    (2)

    EDAG Engineering GmbH, Fulda, Deutschland

    (3)

    IFU, TU Braunschweig, Braunschweig, Deutschland

    Constantin Malorny (Korrespondenzautor)

    Email: c.malorny@tu-bs.de

    Ferdinand Wöpkemeier

    Email: fwoepkemeier@ifu.tu-bs.de

    Univ.-Prof. Dr.-Ing. Uwe Dombrowski,

    nach 12-jähriger Tätigkeit in leitenden Positionen der Medizintechnik- und Automobilbranche erfolgte 2000 die Berufung zum Universitätsprofessor an die Technische Universität Braunschweig und die Ernennung zum Geschäftsführenden Leiter des Instituts für Fabrikbetriebslehre und Unternehmensforschung (IFU). Diese Position bekleidete er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2019.

    Dipl.-Wirtsch.-Ing. Constantin Malorny

    studierte Wirtschaftsingenieurwesen/Maschinenbau an der TU Braunschweig. Von 2013 bis 2019 arbeitete er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe After Sales Service am Institut für Fabrikbetriebslehre und Unternehmensforschung (IFU) der TU Braunschweig. Von 2015 bis 2019 war er Fachgruppenleiter der Arbeitsgruppe After Sales Service.

    Klaus Waider

    ist Abteilungsleiter für Qualitätslösungen im Bereich Product Quality & Care der EDAG Engineering GmbH. Seit 1991 arbeitet er, mit dem Hintergrund der Kraftfahrzeugtechnik, für die After Sales-Bereiche unterschiedlichster Fahrzeughersteller. Von der Literaturerstellung über Einbauversuche und Fehleranalysen inkl. Marktbetreuung bis zur Gremienarbeiten in Entwicklungsteams neuer Fahrzeugmodelle mit der langjährigen Erfahrung des After Sales.

    Ferdinand Wöpkemeier,

    B. Sc., studiert Wirtschaftsingenieurwesen Maschinebau an der Technischen Universität Braunschweig mit dem Schwerpunkt Produktions- und Systemtechnik. Seit 2017 arbeitet er als wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Fabrikbetriebslehre und Unternehmensforschung (IFU) und seit 2020 am Institut für Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik (IWF).

    1.1 Theoretische Grundlagen

    Uwe Dombrowski und Constantin Malorny

    Die sich aktuell durch die Globalisierung verschärfende Konkurrenzsituation resultiert in einer verstärkten Homogenisierung des Qualitäts- und Kostenniveaus auf internationalen Märkten. Traditionelle Differenzierungsmerkmale wie Preis und Qualität reichen demnach nicht mehr aus, um komparative Wettbewerbsvorteile für das eigene Unternehmen fortwährend zu sichern. Stagnierende Absatzmärkte, sich verkürzende Produktlebenszyklen und daraus resultierende sinkende Gewinnmargen verstärken diese Problematik [3].

    Unternehmen legen daher einen steigenden Wert auf Kundenorientierung und damit einhergehend auf den Kundenservice, um sich von Wettbewerbern zu differenzieren [47]. Das reine Angebot von Endprodukten wird immer austauschbarer und gleicht sich sowohl qualitativ als auch preislich zunehmend an [39, 54]. Als Endprodukthersteller werden im Folgenden produzierende Unternehmen verstanden, die Investitionsgüter beziehungsweise Konsumgüter produzieren und deren Produkte als materieller Träger für eine Vielzahl von Dienstleistungen dienen können.

    Somit bieten Unternehmen vermehrt Dienstleistungen im Bereich After Sales Service an, um einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen [2]. Hierbei ergänzen After Sales Services das Endprodukt um Dienstleistungen wie beispielsweise Kundenunterstützung und -hilfe bei Inbetriebnahme und Montage, Produkt- und Technik-Support, Teiledienst oder auch Schulungen der Mitarbeiter des Kunden, wobei diese Dienstleistungen nach dem Verkauf in der Nutzungsphase des Endproduktes angesiedelt sind [30]. Dies gilt vor allem für Hersteller von hochwertigen Endprodukten, bei denen das Angebot von After Sales Service-Leistungen einen Kaufgrund darstellt. So kann ein ausgeprägter After Sales Service, kombiniert mit einer intensiven Kundenbetreuung, neben der Differenzierung von Wettbewerbern auch zur Kundenbindung, Imageverbesserung und Beschäftigungssicherung dienen. Die alleinige Fokussierung auf das Ersatzteilgeschäft reicht hierbei nicht mehr aus, da der Kunde erwartet, dass die benötigten Teile einerseits jederzeit verfügbar sind und er andererseits bei der Nutzung oder bei Problemen mit dem Endprodukt unterstützt werden will [2]. Hierbei kann der Bereich des After Sales Service im Wettbewerb zur Schaffung von Vorteilen gegenüber anderen Herstellern dienen und ist ein Mittel zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Diese Vorteile können aber nur erzielt werden, wenn dem Kunden der angebotene Service wichtig ist. Darüber hinaus muss der Service vom Kunden erkannt werden und darf nicht einfach zu kopieren sein [35].

    1.1.1 Die Dreiteilung des After Sales Service

    Zum After Sales Service gehören die drei Teilbereiche Teiledienst, Kundendienst und Zubehör. Der Teiledienst gewährleistet die Bereitstellung von Ersatzteilen und stellt einen wichtigen Bestandteil des After Sales Service dar. Der Kundendienst umfasst die Aufgaben der Gewährleistung, die Qualifikation und das Training der Kunden und Kundenberater [14]. Der Kundendienst gewinnt im After Sales Service vermehrt an Bedeutung, da der Kunde nicht mehr nur erwartet, Ersatzteile geliefert zu bekommen. Vielmehr hat sich die Erwartungshaltung des Kunden dahingehend geändert, dass er eine zentrale Ansprechperson („One face to the customer") bei etwaigen Fragen oder Problemen haben möchte, die ihm zu jeder Zeit Auskunft gibt und helfen kann sowie sich um kundenindividuelle Probleme kümmert [41]. So werden von den Kunden Dienstleistungen, wie die Inbetriebnahme oder Montage von Anlagen und Maschinen, Wartung und Reparatur sowie Schulung der Mitarbeiter, gefordert [30, 44]. Der dritte Teilbereich ist das Zubehörgeschäft, das durch den Verkauf von Lizenzprodukten und technischen Zusatzprodukten gebildet wird [14] (Abb. 1.1).

    ../images/461285_1_De_1_Chapter/461285_1_De_1_Fig1_HTML.png

    Abb. 1.1

    Dreiteilung des After Sales Service [15]

    1.1.2 Einordnung in den IFU-Referenzprozess

    Der After Sales Service ist im IFU-Referenzmodell (IFU: Institut für Fabrikbetriebslehre und Unternehmensforschung) sowohl im Auftragsabwicklungsprozess als auch im Produktentstehungsprozess durch die Serviceplanung vertreten. Im Auftragsabwicklungsprozess stehen die operativen After Sales Services im Fokus. Hierbei handelt es sich um Dienstleistungen im Bereich Kundendienst, Ersatz- und Zubehörteile, die dem Kunden über den Verkauf eines Endproduktes hinaus zur Verfügung gestellt werden. Die Serviceplanung im Produktentstehungsprozess beschäftigt sich damit, wie Service für neue oder bestehende Produkte organisiert und prozessseitig abgebildet, Ersatzteile festgelegt und Zubehörprodukte vermarktet werden können [13] (Abb. 1.2).

    ../images/461285_1_De_1_Chapter/461285_1_De_1_Fig2_HTML.png

    Abb. 1.2

    IFU-Referenzmodell [13]

    Vorkehrungen für einen prozessorientierten After Sales Service sollten nicht erst am Ende des Auftragsabwicklungsprozesses getroffen werden, sondern bereits in der Serviceplanung des After Sales Service. Zwar wird im IFU-Referenzprozess die Serviceplanung als abschließender Prozessschritt des Produktentstehungsprozesses eingeordnet, jedoch hat die Serviceplanung Auswirkungen auf das Produkt bei früheren Prozessschritten. Die Serviceplanung sollte dementsprechend bereits im Produktentstehungsprozess integriert werden. Auf diese Weise können Anforderungen des After Sales Service in der Entwicklung und Konstruktion berücksichtigt werden, sodass servicegerechte Produkte entwickelt und konstruiert werden können [13]. So sind beispielsweise in der Instandhaltung Verlustzeiten in 58 Prozent der Fälle auf ungenügende Arbeitsplanung zurückzuführen und 45 Prozent der Tätigkeiten nicht direkt wertschöpfend. Jedoch kann die Instandhaltungseffizienz im Rahmen von Prozessverbesserungen durch die Serviceplanung erheblich gesteigert werden [49].

    Im Bereich der Serviceplanung wird zudem die Dokumentation von Serviceprozessen (beispielsweise Befundungsrichtlinien und Reparaturanweisungen), technische Anleitungen und Zeichnungen, Erarbeitung länderspezifischer Richtlinien, Bevorratung von Ersatzteilen oder das Ersatzteilpricing vorgenommen, damit After Sales Service-Mitarbeiter notwendige Hilfsmittel und Anleitungen zur Lösung von Kundenproblemen zur Verfügung gestellt bekommen. In diesem Bereich gilt es daher auch, prozessorientierte Abläufe des After Sales Service, also des Teiledienstes und des Kundendienstes, zu implementieren, sodass hieraus definierte interne Kunden-Lieferanten-Beziehungen resultieren müssen. Dies ist darin begründet, dass der Kundendienst einerseits nicht ohne den Teiledienst betrieben werden kann, der Teiledienst andererseits aber auch auf Informationen des Kundendienstes angewiesen ist [18].

    1.1.3 Besonderheiten und aktuelle Spannungsfelder im After Sales Service

    Ein Grund für die Fokussierung auf das Angebot von zusätzlichen Dienstleistungen ist die Konjunkturabhängigkeit. Während in wirtschaftlich schlechten Zeiten das Neugeschäft unter der Konjunktur leidet, werden beispielsweise Wartungs- und Servicearbeiten dennoch durchgeführt. Des Weiteren können im After Sales Service hohe Margen erwirtschaftet sowie niedrige Margen des Endgütergeschäftes ausgeglichen werden [44], und durch die Langlebigkeit von Endprodukten können Verträge mit langen Laufzeiten abgeschlossen werden [52]. Dies führt dazu, dass der Kontakt zu Kunden intensiviert wird und seine Wünsche mit in die Dienstleistung einfließen können [16]. Auf Basis dieser intensiven Kundenkontakte können Kundenbedürfnisse identifiziert werden und individuelle Leistungsangebote oder -bündel angeboten werden, die einerseits für den Anbieter finanziell lukrativ sind, andererseits dem Kunden einen Mehrwert bieten können [35, 43]. Wenn der Kunde von der Serviceleistung überzeugt ist, kann auf diese Weise die Kundenloyalität gesteigert und der Kunde an das Unternehmen gebunden werden [44, 46, 52]. Vorteile und somit die Wichtigkeit des After Sales Service-Geschäftes sind in der Abb. 1.3 dargestellt.

    ../images/461285_1_De_1_Chapter/461285_1_De_1_Fig3_HTML.png

    Abb. 1.3

    Vergleich Neugeschäft – After Sales Service [16]

    Im Bereich des Vertriebes und Services existiert der häufigste Kontakt zwischen Kunde und Unternehmen. Vertrieb und Service repräsentieren das Unternehmen gegenüber dem Kunden und können dessen Wünsche am besten einschätzen. Die Kunden stellen immer höhere Anforderungen an die Pünktlichkeit und Ersatzteilverfügbarkeit. Durch den stetig steigenden Wettbewerbsdruck sind die Unternehmen gezwungen, diese neuen Anforderungen zu erfüllen. Nachdem durch Ganzheitliche Produktentstehungssysteme und Ganzheitliche Produktionssysteme die frühen Phasen des Produktlebenszyklus optimiert wurden, müssen schließlich auch die späteren Phasen berücksichtigt werden. Mit der Einführung von Ganzheitlichen Vertriebs- und Servicesystemen soll von der Produktplanung und Entwicklung über die Produktion bis hin zum Service eine durchgängige Struktur erreicht werden [16].

    Es ist ersichtlich, dass sich die Geschäftsbereiche deutlich voneinander unterscheiden. Eine gute Leistung im Bereich des After Sales Service führt zu einer optimalen Ergänzung des Neugeschäftes. Wie der Vergleich zeigt, ist das Neugeschäft zwar konjunkturabhängig, dabei aber weitestgehend planbar. Dies wird einerseits durch kurze Produktionszyklen bis zur nachfolgenden Produktgeneration, andererseits durch die Möglichkeit relativ präziser Produktionsplanung gewährleistet, denn Bedarfe und eintreffende Nachfragen können im Planungs- und Prognosehorizont gut ermittelt werden. Diese prognose- und planungsbasierte Sicherheit ist im Service jedoch nicht gegeben, da eintreffende Nachfragen unsicher sowie zeitlich verteilt (oft sogar sporadisch) auftreten und die Bearbeitungsdauer, die für die Dienstleistungserfüllung notwendig ist, stark schwankt [55]. Daher ist es notwendig, Kundenanfragen schnell und flexibel zu bearbeiten. Nur auf diese Weise kann die Kundenzufriedenheit erhöht werden und der Service als Verkaufs- und Kundenbindungsargument wirken.

    Die immense Bedeutung der Dienstleistungen in deutschen Industriebetrieben wird auch dadurch deutlich, dass aktuell 85 Prozent der Unternehmen neben der Endproduktherstellung ebenfalls eine oder mehrere Dienstleistungen anbieten. Die drei Industriezweige mit dem höchsten Anteil an zusätzlichen Dienstleistungsangeboten sind der Maschinenbau (97 Prozent der Betriebe), Elektronik und Elektrotechnik (95 Prozent) sowie die Automobilindustrie (94 Prozent) [22]. In der letztgenannten Branche, dem Automobilbau, machen After Sales Services zwar lediglich 20 Prozent des Umsatzes aus, der Rest wird durch Neuwagenverkäufe generiert. Dennoch sind 75 bis 80 Prozent der Gewinne der deutschen Automobilhersteller auf zusätzliche Dienstleistungen im Rahmen des After Sales Service zurückzuführen [23, 31].

    Da der After Sales Service das Produkt in der Regel über die gesamte Produktlebensdauer begleitet, sind die Servicezyklen lang und somit der Planungshorizont des After Sales Service bedeutend langfristiger als im Neugeschäft. Dies wirkt sich zwar positiv auf die Prognosesicherheit für Ersatzteile (vorrangig Verschleiß- und Ausfallteile) in der Nachserienversorgung aus. Zugleich herrscht jedoch eine geringe Voraussagefähigkeit bezüglich der konkreten Dienstleistungserstellung vor. So können Ausfallzeitpunkte und somit der Bedarf für die Services schwer prognostiziert werden [48, 55].

    Die Anforderungen der Kunden im After Sales Service sind generell hoch und tendenziell steigend. Dies liegt vor allem an der Dringlichkeit des Bedarfes, da der Ausfall von Anlagen und Maschinen in der Regel erhebliche Konsequenzen hat und somit Lieferungen innerhalb kürzester Zeit erfolgen müssen. Die Kundenanforderungen und -bedürfnisse werden dabei durch den langfristigen, intensiven Kundenkontakt im Sinne einer Integration des Kunden in die Prozesse erfasst [1, 48].

    Neue Wachstums- und Innovationsimpulse gehen aktuell in erster Linie von der Digitalisierung der Industrie (auch Industrie 4.0) aus. Diese Vernetzung von Mensch und Maschine kann beispielsweise dazu führen, dass Instandhaltungsmaßnahmen und Störungsbeseitigungen aus der Ferne vollzogen werden können und so teure und langwierige Anfahrten von Technikern nicht mehr erforderlich sind [45].

    Charakteristisch für den After Sales Service, speziell den Kundendienst, ist die kundenindividuelle Leistungserbringung. Eine Serien- oder gar Massenfertigung, wie sie innerhalb der Endproduktproduktion in den meisten Fällen stattfindet, ist daher im Kundendienst nicht möglich. Im Neugeschäft ist die Einzelfertigung dagegen eine verhältnismäßig seltene Erscheinung [37].

    Durch die zunehmende Globalisierung und den weltweiten Vertrieb der Endprodukte muss darüber hinaus gewährleistet werden, dass sowohl Ersatzteile geliefert als auch Dienstleistungen in den entsprechenden Destinationen erbracht werden. Dies stellt den After Sales Service vor große Herausforderungen, beispielsweise in Bereichen der Ersatzteilverfügbarkeit und Lieferdauer, Standortnetzwerke für Ersatzteillager und Servicestandorte, Servicetechnikerausbildung, aber auch Umgang mit lokalen Vorschriften [33].

    Sich ständig ändernde und steigende Kundenanforderungen machen dabei ein Innovationsmanagement für den Kundendienst besonders notwendig. So sollten Unternehmen sich intensiv mit diesem Thema beschäftigen und Dienstleistungsinnovationen an die individuellen Fähigkeiten der Mitarbeiter und die Unternehmenskultur anpassen [6]. Im Rahmen des Service Engineerings ist zu beachten, den Kunden in den Entwicklungsprozess mit einzubeziehen, um seinen spezifischen Wünschen gerecht zu werden. Denn die Kundenorientierung stellt ein wesentliches Kriterium für den Serviceerfolg dar [5] (Abb. 1.4).

    ../images/461285_1_De_1_Chapter/461285_1_De_1_Fig4_HTML.png

    Abb. 1.4

    Unterschiedliche Rahmenbedingungen zwischen Produktion und After Sales Service [16]

    1.1.4 Stellenwert des After Sales Service

    Der After Sales Service wird in der industriellen Praxis allerdings noch immer teilweise stiefmütterlich behandelt. In der internen Sichtweise wird der Service nur als notwendiges Übel betrachtet, der Fokus liegt auf Investitionen in Produktgestaltung und/oder Endproduktverkäufen. Ziele wie Steigerung des Images und des Bekanntheitsgrades eines Unternehmens, die Bestimmung des Differenzierungsfaktors im Wettbewerb oder die Erschließung neuer Kundensegmente werden intern nur unzureichend berücksichtigt. Die externe Sichtweise, also die des Kunden, nimmt den Service aber zunehmend als ersten Ansprechpartner und Problemlöser wahr. Somit kann ein gut ausgestalteter Service aus Kundensicht ein Grund für Wiederholungskäufe sein [16].

    So nimmt beispielsweise ein Servicemitarbeiter nicht nur die Rolle der ausführenden Kraft ein, sondern fungiert gleichermaßen als Konfliktmanager, Vertriebsmitarbeiter sowie erster Ansprechpartner für den Kunden und ist damit die wichtigste Informationsquelle zwischen Kunde und dem eigenen Unternehmen. Er nimmt Kritik auf und kann auf Alternativen sowie Erweiterungen im eigenen Produktportfolio aufmerksam machen. Zusätzlich kann der Servicemitarbeiter als Informationsmedium zur Aufnahme und Weitergabe von Kundenwünschen, Ideen und Informationen zum Verhalten der Produkte in der Praxis fungieren. Er ist damit wichtig für die Gestaltung zukünftiger Endprodukte und Servicekonzepte [24] (Abb. 1.5).

    ../images/461285_1_De_1_Chapter/461285_1_De_1_Fig5_HTML.png

    Abb. 1.5

    Interne und externe Sichtweise des After Sales Service [40]

    Aktuell findet im After Sales Service allerdings ein Paradigmenwechsel statt. So werden die einzelnen Bereiche nicht mehr nur isoliert betrachtet, sondern es findet eine ganzheitliche Betrachtung des Service statt. Dies führt dazu, dass ein Wechsel von der Funktionsorientierung hin zu einer Prozessorientierung stattfindet. Dies bedeutet, dass es keine Funktionen oder Funktionsmeister mehr gibt, sondern durchgängige Prozessketten mit definierten Prozessverantwortlichen im Service etabliert werden. Daraus resultiert, dass interne Kunden-Lieferanten-Verhältnisse aufgebaut werden, Ziele und Prozesse definiert werden können und somit eine Prozessorganisation im After Sales Service aufgebaut werden kann. Darüber hinaus bildet die Prozessorientierung im After Sales Service sowohl für die Einführung eines definierten Lean Service Systems als auch für die erfolgreiche Implementierung und Nutzung von Industrie 4.0-Ansätzen die notwendige Voraussetzung, da ohne eine Definition und Standardisierung von Prozessen keine Methoden und Werkzeuge aus der Industrie 4.0 oder aus Ganzheitlichen Produktionssystemen eingeführt werden können.

    Ziel des Buches ist es, Theorie und Praxis zusammenzuführen. Hierdurch sollen aktuelle Informationsdefizite geschlossen werden, die aktuell noch vorherrschen. So gibt es bislang nur wenige Grundlagenbücher, die den After Sales Service praxis- und lösungsorientiert beleuchten. Daher sollen Methodiken und Handlungsempfehlungen gegeben werden, die es dem Leser ermöglichen, einen effizienten und effektiven After Sales Service aufzubauen oder Unterstützung bei der Serviceeinführung zu bekommen.

    Aus diesem Grund werden die drei Teilbereiche des After Sales Service auf theoretischer Basis detailliert beschrieben. Hierbei wird der Fokus auch auf die Serviceplanung als Querschnittsprozess zwischen strategischer Planung und operativer Ausführung des After Sales Service gelegt. Ferner wird der Paradigmenwechsel von der Funktionsorientierung hin zu einer Prozessorientierung beschrieben. In diesem Zuge wird sich auch der Thematik des Lean Service gewidmet. Aber auch Trends, wie Service Transition beziehungsweise Servitization oder digitale Geschäftsmodelle im Service, werden behandelt. Außerdem werden neue Arten der Führung, wie das Lean Leadership, die auch im Service genutzt werden können, beschrieben.

    1.2 Praxisbeispiel EDAG

    Klaus Waider und Ferdinand Wöpkemeier

    Der After Sales Service ist ein variantenreicher und hochkomplexer Unternehmensbereich. Um diese Komplexität darzustellen, wird die Sichtweise eines Dienstleisters auf den After Sales Service eines Endproduktherstellers in der Automobilindustrie beschrieben. Ein Endprodukthersteller der Automobilindustrie wird hierbei als Original Equipment Manufacturer (OEM) bezeichnet. Dieses Praxiskapitel beleuchtet den hohen Stellenwert des After Sales Service und erläutert miteinander verbundene Themenfelder beziehungsweise Aufgaben. Hierbei wird beschrieben, wie die Prozesse und Aufgaben sich zum einen gegenseitig beeinflussen und zum anderen weitere Unternehmensprozesse unterstützen und ergänzen. Ableitend werden die damit verbundenen Potenziale beschrieben. Es wird deutlich, dass dem After Sales Service im Kontext eines produzierenden Unternehmens eine wichtige Rolle zuteilwird.

    Die EDAG Engineering GmbH (kurz EDAG) ist als Teil der EDAG Gruppe eines der größten unabhängigen Engineering-Unternehmen der Automobilindustrie. Das Unternehmen beschäftigt weltweit über 8400 Mitarbeiter und ist in über 19 Ländern vertreten. Allein in Deutschland wird die EDAG Gruppe durch 25 Standorte und mehr als 6000 Mitarbeiter repräsentiert. EDAG bietet komplementäre Ingenieurdienstleistungen in den Segmenten Fahrzeugentwicklung, Elektrik/Elektronik und Produktionslösungen an. Diese umfassende Kompetenz erlaubt es EDAG, ihre Kunden von der ursprünglichen Idee zum Design über die Produktentwicklung und den Prototypenbau bis hin zum schlüsselfertigen Produktionssystem sowie auch nach dem „Start of Production" (SOP) im After Sales Service zu unterstützen. Letztlich assistiert EDAG während des gesamten Lebenszyklus eines Fahrzeuges bis hin zur Entsorgung [20, 21].

    Das Einsatzgebiet eines Dienstleisters im Bereich des After Sales Service ist oftmals sehr vielschichtig und lässt daher viel Spielraum für verschiedene Rolleninterpretationen. So kann die EDAG beispielsweise eine Rolle einnehmen als

    Innovationsgeber für sachzielorientierte Handlungsfelder, Lösungsansätze und Strategiethemen,

    Entwicklungspartner für Prozesse und Systemintegration,

    Unterstützer bei der Ausführung produktbegleitender Dienstleistungen im Sinne einer verlängerten Werkbank in Spitzenzeiten der Personalauslastung oder

    reiner Dienstleister, zum Beispiel als Generalunternehmer für Gesamtpakete, aber auch als Bearbeiter für Teilarbeitspakete.

    1.2.1 Dienstleistungen der EDAG im After Sales Service

    Technische Dokumentation

    Zunächst standen Leistungen, die vornehmlich mit der Ersatzteilversorgung in Verbindung stehen, im Fokus des After Sales Service. Sie stellten reaktiv den funktionalen Betrieb einer Hauptleistung während ihrer Nutzungsdauer wieder her. Im Rahmen der Ersatzteilbereitstellung wurde die Anfertigung Technischer Literatur erforderlich, um die Reparaturarbeiten anhand exakter Beschreibungen der Aus- und Einbaumaßnahmen standardisiert durchführen zu können.

    Die Anleitung zu Montagearbeiten (Werkstattliteratur) ist Teil der Technischen Dokumentation im After Sales Service-Bereich. Diese umfasst alle Informationsprodukte, die ein Erzeugnis beschreiben und zu seiner Nutzung, Wartung oder Reparatur anleiten [51]. Die Technische Dokumentation ist von erheblicher Relevanz für den Endprodukthersteller und für den Kunden. Gründe hierfür sind in Abb. 1.6 visualisiert.

    ../images/461285_1_De_1_Chapter/461285_1_De_1_Fig6_HTML.png

    Abb. 1.6

    Nutzenpotenziale der Technischen Dokumentation

    Neben der bereits erwähnten Werkstattliteratur umfasst die Technische Dokumentation eine Vielzahl weiterer Informationsprodukte. Die Zielgruppen der Informationsprodukte können differieren. Zum einen stellen die Endkunden eine solche dar und zum anderen bilden Händlerorganisationen beziehungsweise Werkstätten eine weitere. Im Rahmen der Technischen Dokumentation hat EDAG vor allem die redaktionelle Verantwortung für die in Tab. 1.1 betitelten Informationsprodukte.

    Tab. 1.1

    Informationsprodukte der Technischen Dokumentation bei EDAG

    An dieser Stelle richtet sich der Fokus der Einfachheit halber auf die Bestandteile Bordbücher, Werkstattliteratur, Selbststudienprogramme, Arbeitszeitwerte sowie Trainingseinheiten und Schulungen.

    Bordbücher vermitteln Informationen für die Sicherheit sowie zum Betrieb und zur Pflege eines Kraftfahrzeuges (Kfz). Somit leiten sie den Endkunden zum korrekten und sicheren beziehungsweise bestimmungsgemäßen Gebrauch des Kraftfahrzeuges an. Bordbücher sind rechtlich als Teil des Gesamtproduktes zu sehen.

    Ein weiterer umfassender Bestandteil der Technischen Dokumentation stellt die Werkstattliteratur dar. Diese ist primär für Händlerorganisationen beziehungsweise Werkstätten bestimmt und stellt detaillierte sowie umfangreiche Informationen zur Reparatur und Wartung eines Kraftfahrzeuges bereit. So beinhaltet die Werkstattliteratur eine exakte Beschreibung der erforderlichen Arbeitsschritte inklusive erforderlicher Spezialwerkzeuge, technischer Daten wie Anzugsdrehmomenten oder Verbrauchs- und Dichtstoffen und wird durch zahlreiche Grafiken und Explosionszeichnungen bebildert. Die der Werkstattliteratur zuordenbaren Selbststudienprogramme fördern das selbstständige Lernen, indem sie Neuentwicklungen (zum Beispiel Fahrzeugdiagnose-, Mess- und Informationssysteme oder einen neuen Motor) kurz und prägnant vorstellen sowie verständlich erklären.

    Die der Technischen Dokumentation ebenfalls zuordenbare Eruierung von Arbeitszeitwerten für die Werkstätten erlaubt, sichere und robuste Prozesse einzuführen, respektive Abläufe zu standardisieren sowie damit die Werkstattabläufe planbar zu machen. Außerdem bildet die Arbeitszeitwertermittlung die Basis für eine planbare und realistische Rechnungsstellung sowie eine arbeitsorientierte, objektive und rechtssichere Abrechnung gegenüber dem Kunden, dem Hersteller im Garantiefall und der Entlohnung der Werkstatt und ihres Personals.

    Die Konzeption von Trainingseinheiten und Schulungen zählt ebenfalls zur Technischen Dokumentation. In diesem Kontext konzipiert EDAG Schulungs- und Systemerklärungen auf CD, internetbasiert oder auf weiteren möglichen Medien wie mobilen Applikationen (zum Beispiel Apps). Diese Form der Aufbereitung hat die Schulung und Sensibilisierung des Werkstatt- und Servicepersonals zum Zweck. Denn eine optimale und verständliche Gestaltung der Technischen Dokumentation führt zu einem besseren Verständnis und zu einem schnelleren Lernprozess. Eine besondere Herausforderung stellen hierbei die unterschiedlichen Wissensstände der Teilnehmer dar. Um dieses Problem zu beheben, entwickelt EDAG E-Learning-Systeme. So schafft erst die Bearbeitung und eine anschließende Erfolgskontrolle die Voraussetzung für die Teilnahme an einer technischen Präsenzschulung. Dadurch wird ein weitgehend vereinheitlichtes Technikwissen aller Teilnehmer realisiert.

    Die Bedeutsamkeit der Technischen Dokumentation findet ihren Ausdruck in Gesetzen und Verordnungen. So existiert nach § 3 Abs. 4 des Produktsicherheitsgesetzes (ProdSG) und § 823 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) eine Instruktionspflicht des Endproduktherstellers gegenüber dem Kunden [38]. Diese wird beispielsweise beim Kauf eines Fahrzeuges (wie schon beschrieben) durch die Übergabe des Bordbuches erfüllt. Das Bordbuch ist somit Bestandteil des Endproduktes (Kfz). Darüber hinaus ist die Technische Dokumentation auch freien Werkstätten nach der Kfz-Aftersales-Gruppenfreistellungsverordnung (VO 461/2010) der Europäischen Union bereitzustellen (Verordnung EG Nr. 461/2010).

    Hierbei ist darauf hinzuweisen, dass mangelhafte Technische Literatur, die zu Personen- und/oder Sachschäden führt, einen hohen Schadensersatz begründen kann. Daher ist die Technische Dokumentation bedarfsorientiert und somit benutzerfreundlich sowie praktisch zu erstellen. Hierfür müssen Qualitätskriterien erfüllt werden, wie zum Beispiel die gesicherte Recherche (Informationsaufnahme) und sinnvolle Text-Bild-Bezüge (Strukturierung und Wissenstransfer). Die Erstellung einer nutzerfreundlichen Technischen Dokumentation setzt eine systematische Aufbereitung und Strukturierung von Informationen voraus. In diesem Kontext gehört die Bearbeitung mit Redaktionssystemen ebenso zum Standard bei EDAG wie der Support und die professionelle Entwicklung der Modularisierung von Informationen. Darüber hinaus kann die Benutzerfreundlichkeit durch die Verwendung fotorealistischer Darstellungen aus den Konstruktionsdaten der Produkte unterstützt werden. Die Realisierung der Qualitätskriterien erfordert besondere Fachkenntnisse und Qualifikationen. Daher sind für die Qualitätssicherung Fachkräfte wie Technische Redakteure, Lektoren, Fachübersetzer und Technische Illustratoren verantwortlich.

    Die Komplexität im Bereich der Technischen Dokumentation wird ebenfalls untermauert durch die zu beachtenden Normen. Das sind zum Beispiel Normen, deren Beachtung in der DIN EN 82079-1 gefordert sind, wie zum Beispiel:

    die Maschinenrichtlinie (MRL) 2006/42/EG Anhang I,

    die DIN EN ISO 12100 (Sicherheit von Maschinen),

    die DIN EN beziehungsweise IEC/EN 82097 (Erstellung von Gebrauchsanleitungen) [11].

    Um den Kunden mitzuteilen, dass die Normen und Richtlinien erfüllt werden, kann ein Unternehmen sich mit dem DocCert-Prüfzeichen (Zertifikat) des TÜV Süd ausweisen, das bei der EDAG fortwährend erneuert wird. Im weiteren Verlauf der Zeit konnte EDAG durch das Know-how der Werkstattliteratur und die damit verbundenen Kenntnisse über die Serviceprozesse den OEMs auch im Bereich der Reparaturberatung Unterstützung anbieten.

    Reparaturberatung

    Die Reparaturberatung für Händler und Werkstätten im Feld beinhaltet alle Maßnahmen, um einen identifizierten Fehler kundenorientiert, effizient und fortwährend zu beheben. Daher umfasst die Reparaturberatung die zielorientierte Gestaltung, Steuerung und Entwicklung (Verbesserung) der damit verbundenen Prozesse und nimmt dadurch eine Querschnittsfunktion beim Endprodukthersteller ein. Zudem bildet die Reparaturberatung die Schnittstelle zwischen Kunden und Unternehmen und ist daher von entscheidender Relevanz (Abb. 1.7). Sie soll einerseits im Markt auftretende Fehler beheben und andererseits als Basis für die Identifikation präventiver Maßnahmen zur Fehlerreduktion dienen [7, 8].

    ../images/461285_1_De_1_Chapter/461285_1_De_1_Fig7_HTML.png

    Abb. 1.7

    Aufgaben und Verknüpfung der Reparaturberatung

    Im Rahmen der Reparaturberatung sind vor allem Reklamationen von Interesse, weil sie Ausdruck der Kundenunzufriedenheit sind [12]. Üblicherweise sind Reklamationen vom Kunden wahrnehmbare Beanstandungen an einem Produkt oder einer Dienstleistung und werden daher als Qualitätsdefizite betrachtet. Dabei wird im Volksmund ein Fehler als die „Nichterfüllung einer Anforderung" bezeichnet [12]. Demnach beschreibt ein Fehler die Diskrepanz einer Eigenschaft zwischen einem Ist- und einem Soll-Zustand, die nicht immer einen Ausfall von Funktionen zur Konsequenz haben muss, jedoch Quelle für einen Schaden werden kann [50]. Dennoch können auch Reklamationen (fehlerbehaftete Automobile) außerhalb der Gewährleistung und Garantie betrachtet und bearbeitet werden, um die Produktqualität zu verbessern und Informationen über das Nutzerverhalten und die Langzeitqualität zu erhalten. Darüber hinaus nimmt durch eine zielführende Reparaturberatung die Servicequalität kontinuierlich zu. Damit kann sie ein positives Image des Endproduktherstellers aufbauen beziehungsweise unterstützen und Kunden an das Unternehmen binden.

    Voraussetzung für die zielorientierte und erfolgswirksame Reparaturberatung ist die Möglichkeit zur Einrichtung einer Meldepflicht der Werkstätten. Hierunter ist die Pflicht der Werkstätten zu verstehen, vor Beginn einer Reparatur vorbestimmte, gewährleistungsrelevante und nummerncodierte Fehlerbeanstandungen bei definierten Fahrzeugtypen oder Systemkomponenten sofort an den Hersteller zu melden. In diesem Fall dürfen die Werkstätten ohne eine Freigabe der Hersteller keine Reparatur durchführen. Die Meldepflicht führt dazu, dass die fehlerbehafteten Fahrzeuge in einem unbeeinflussten Fehlerzustand – unbeeinflusstem Fehlerbild – analysiert werden können. Die Möglichkeiten der Irreführung durch einen nicht autorisierten Eingriff in das System werden durch die Meldepflicht auf ein Minimum reduziert. Dies ist besonders relevant, wenn die Fehlerursache unbekannt und das Fehlerbild nicht reproduzierbar ist. Resultierend führt die Meldepflicht zu aktuelleren Fehlerstatistiken und einer Verkürzung der Reaktionszeit auf Fehler im Markt und im Produktentstehungsprozess (PEP). Des Weiteren dient die Meldepflicht dem Aufbau eines Dialoges mit den Werkstätten, um ein detailliertes und verwertbares Fehlerbild zu erhalten und im Bedarfsfall eine Analyse am Fahrzeug durchführen zu können. Der Ablauf der Reparaturberatung ist direkt wie auch indirekt vom Kunden erlebbar und bezieht unterschiedliche Fachbereiche mit ein (Abb. 1.8).

    ../images/461285_1_De_1_Chapter/461285_1_De_1_Fig8_HTML.png

    Abb. 1.8

    Prozess der Reparaturberatung

    Als Erstes identifiziert der Kunde ein Problem an seinem Kraft- oder Lastkraftfahrzeug und besucht daraufhin eine Vertragswerkstatt des Automobilherstellers. Die Werkstatt erfasst zunächst alle erkennbaren Fehlermerkmale (Fehleraufnahme).

    Im Anschluss an die Fehleraufnahme erstellt die Werkstatt einen Fehlerrapport (die Fehlermeldung), der elektronisch an die Reparaturberatung übermittelt wird. Schließlich ist die Relevanz des Fehlerrapportes zu überprüfen. Hierbei werden Fehler als relevant bezeichnet, die bereits im Vorfeld vom Endprodukthersteller als solche definiert wurden. Beispielsweise können vor allem solche Fehler für den Endprodukthersteller bedeutsam sein, die Garantie- und Kulanzkosten verursachen.

    Handelt es sich um eine irrelevante Fehlermeldung, so wird dies der Werkstatt unmittelbar berichtet. Die Werkstatt kann daraufhin den Fehler beheben und bei Bedarf Mithilfe durch einen qualifizierten Hotline-Support erhalten. Handelt es sich stattdessen um einen relevanten Fehlerrapport, so erstellt die Reparaturberatung ein detailliertes Fehlerbild, um den Fehler und dessen Umstände unmissverständlich zu analysieren und zu erfassen. Zur Identifikation aller Fehler wird die Reparaturhistorie und der Werkstattverlauf bewertet. Vor allem Vorschädigungen sind in den Prozess der Fehleridentifikation mit einzubeziehen. Jedoch ist zu beachten, dass die Rücksicht auf die Reparaturhistorie und den Werkstattverlauf nicht ausreichend für eine zielorientierte Identifikation aller Fehler ist. Beispielsweise kann das Automobil im Falle eines Schadens von nicht autorisierten beziehungsweise freien Werkstätten repariert worden sein. Der Schaden respektive die Reparatur kann und wird in diesen Fällen nicht einheitlich erfasst und dokumentiert. So sind zudem der Fahrzeugserienstand und eventuelle Zubehörnachrüstungen beziehungsweise Sonderfahrzeugumbauten mit einzubeziehen. Ebenso ist in diesem Kontext die Laufleistung von entsprechender Relevanz. Oftmals hilft auch die Präzisierung oder Voranalyse der Kundenbeanstandung weiter. Im weiteren Verlauf der Fehleridentifikation werden Diagnoseprotokolle, Mess- und Snapshot-Daten erfasst und analysiert sowie auf Plausibilität, Berechtigung und Vollständigkeit überprüft. Außerdem werden die ausgelesenen Ist-Werte im Zusammenspiel mit den Umwelteinflüssen interpretiert. Danach kann das detaillierte Fehlerbild beurteilt werden. Im Fall eines bekannten Fehlerbildes respektive einer bekannten Fehlerursache sind bedarfsweise direkt bekannte korrektive Maßnahmen an die Werkstatt weiterzuleiten. Die Werkstatt kann problemlos das Automobil in einen fehlerfreien Zustand überführen. Im Fall eines unbekannten beziehungsweise neuen Fehlerbildes schließt sich eine detaillierte Fehleranalyse an (Abb. 1.9). Hierbei ist entscheidend, ob es sich um einen sicherheitsrelevanten Fehler handelt. Dieser wird nochmals mit besonderer Priorität behandelt.

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    Abb. 1.9

    Prozess der Fehleranalyse

    Die systematische Fehleranalyse dient dem strukturierten Ermitteln der Fehlerursache beziehungsweise Fehlerquelle. Die Fehleranalyse ist durch verantwortliche Fachbereiche zu initiieren, da diese mithilfe ihres fachlichen Wissens eine fundierte Analyse einleiten oder begleiten können. Eine Maßnahme, um die Ursache zu ermitteln, kann der Einsatz eines „Flying Doctors", also eines Fehlersuchspezialisten unmittelbar vor Ort sein. Eine weitere Option ist die intensive Absprache mit der Werkstatt. Diese kann unter Zuhilfenahme eines erweiterten Diagnosewerkzeuges wie zum Beispiel des Datenloggers, der Remote-Diagnose oder anderer messtechnischer Hilfsmittel weitere relevante Daten aufnehmen und der Reparaturberatung beziehungsweise dem Fachbereich zusenden. Datenströme können überwacht und Fehlerursachen verstanden werden. Die letzte Maßnahme stellt den Transport des Kfz in eine Analysewerkstatt des Endproduktherstellers beziehungsweise OEM dar. Diese Maßnahme ist in der Realität eher selten erforderlich. Zusammenfassend kann die Fehleranalyse anhand von gewonnenen Erkenntnissen resultierend aus Vor-Ort-Untersuchungen, Daten oder Schadteilen erfolgen.

    Die Komplexität der Fehleridentifikation wird im Abschnitt „Mitarbeiterqualifikationen" an einem einfachen praxisorientierten Beispiel aus der Signalverarbeitung nach dem EVA-Prinzip (Eingabe – Verarbeitung – Ausgabe) verdeutlicht.

    Herausfordernd beim Fehleranalyseprozess sind dynamische Fehler. Diese sind von statischen Fehlern zu differenzieren. Ein dynamischer Fehler beschreibt eine Abweichung, die über die Zeit betrachtet veränderlich und außerhalb wie innerhalb der zulässigen Toleranz während des Beobachtungszeitraumes liegen kann. Beispielsweise repräsentiert ein Wackelkontakt, der den Antriebsmotor lediglich bei bestimmten Temperaturen oder Vibrationen nicht richtig funktionieren lässt, einen dynamischen Fehler. Demnach kann es unter Umständen durch den Vorführeffekt zu Missverständnissen in der Kommunikation zwischen Werkstattpersonal und Endkunde kommen. Indessen beschreibt ein statischer Fehler eine kontinuierliche und konstante Abweichung außerhalb der zulässigen Toleranz (Abweichung vom wahren Wert) während des Beobachtungszeitraumes. Ein klassischer statischer Fehler ist eine durchtrennte elektrische Leitung. Ein solcher Fehler ist üblicherweise leicht zu identifizieren.

    Nach einer zielführenden Analyse und Diagnose respektive Kenntnis der Fehlerursache können Fehlerbehebungsmaßnahmen entwickelt und definiert werden. Um für den Endprodukthersteller und die Werkstätten effiziente und korrektive Maßnahmen zu definieren, werden die potenziellen Reparaturkosten bilanziert. Hierbei klärt eine Reparaturkostenbilanz, ob eine Reparatur einem Teileaustausch oder vice versa vorzuziehen ist. Dabei sind die Zieldimensionen Qualität, Kosten, Zeit und Langlebigkeit zu beachten. Zum einen ist das betroffene Bauteil auf einen reparablen oder irreparablen Defekt zu prüfen. Zum anderen ist im Falle eines reparablen Defektes die resultierende Reparatur hinsichtlich des zeitlichen und des Kostenaspektes zu kontrollieren („Ist das defekte Bauteil in einer wirtschaftlich vertretbaren Zeit reparabel?"). Schließlich ist der qualitative Aspekt – die dauerhafte Wirksamkeit der Reparatur – zu eruieren. Lässt sich die Reparatur des defekten Bauteiles in einer akzeptablen Zeit zu minimalen Kosten und in höchster Qualität ausführen, ist die Reparatur einem Teileaustausch vorzuziehen. Wenn dies nicht der Fall oder das Bauteil von vornherein irreparabel ist, kommt es zu einem Teileaustausch.

    So fließen die Erkenntnisse der Reparaturkostenbilanzen in die Definition der Fehlerbehebungsmaßnahmen ein. Auf dieser Basis kann eine zielführende Lösungsunterstützung beziehungsweise Reparaturempfehlung an die Werkstatt kommuniziert werden. Diese behebt die Beanstandung oder den Fehler, sodass der Kunde sich wieder über die versprochene Mobilität freuen kann. Die Reparaturempfehlung kann auch optional für freie Werkstätten erstellt werden.

    Während der Reparaturberatung werden alle relevanten Informationen dokumentiert und in einer zentralen Wissensdatenbank gespeichert. EDAG fokussiert sich hierbei auf die effiziente Steuerung von Informationen und die daraus gewonnenen Erkenntnisse (Abb. 1.10).

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    Abb. 1.10

    Zentrale Wissensdatenbank

    Die Wissensdatenbank bildet den Ist-Zustand über die im Feld vorhandenen Fehler ab und dient daher als Basis, um präventiv Fehler zu vermeiden. So lässt sich durch den Einsatz der Wissensdatenbank die Produktqualität im Feld überwachen und analysieren (Fehlertransparenz). Durch die Auswertung der Daten mithilfe statistischer Analysen können Häufungen und Ausfallprognosen sowie Schadensfallraten ermittelt werden. Genaue Kenntnisse über die im Markt existierenden Fehler erhält der Endprodukthersteller, der im Anschluss technische Zusammenhänge interpretieren kann. Schwerpunktthemen können auf diese Art und Weise bestimmt werden. Daraufhin lassen sich zielorientiert Gegenmaßnahmen einleiten und Handlungsempfehlungen für nachgelagerte Prozesse aufstellen. Durch die Meldepflicht und die Wissensdatenbank können Fehler bereits bei ihrem Entstehen verhindert oder ihre Ursache behoben werden. Die Wissensdatenbank reduziert damit das Auftreten von Fehlern beim Kunden erheblich. Vorhersage- beziehungsweise Prognosemodelle für drohende Ausfälle werden ebenfalls auf Basis der Vielzahl an Daten erstellt. Die Kenntnisse über die Anzahl betroffener Autos im Feld und die Ausfallraten erlauben, Risiken und finanzielle Kosten abzuschätzen. Ob ein neues Bauteil für alle betroffenen Kfz konstruiert werden soll oder im Einzelfall eine Reparatur vorzuziehen ist, kann auf diese Art und Weise entschieden werden. Ebenfalls kann der Endprodukthersteller Rückrufaktionen zuvorkommen. Darüber hinaus erlaubt die Wissensdatenbank die Wirksamkeitskontrolle von Kundendienst- und Serienmaßnahmen. Die speziellen Informationen der Wissensdatenbank können auf Abruf schnell und unkompliziert einer bestimmten Zielgruppe (zum Beispiel Reparaturberatern) übermittelt werden.

    Auch im Bereich der Garantie- und Kulanzkosten kann das Wissen der Datenbank nützlich sein. So erlaubt die Wissensdatenbank anhand ihrer Datensätze festzustellen, dass beispielsweise Modell X aus dem Baujahr Y beim Bauteil Z immer Garantie- und Gewährleistungskosten verursacht. Durch diesen Ablauf reduziert sich die Bearbeitungszeit durch den Reparaturberater erheblich. Zusammenfassend dient die Wissensdatenbank dazu, Spezial- beziehungsweise vertieftes Fachwissen von Wissensträgern zu speichern und einer breiten Masse von Reparaturanalysten zur Verfügung zu stellen.

    Schadteilanalyseprozess

    Obwohl in den Entwicklungs- und Produktionsprozessen hohe Ansprüche an die Qualität der Endprodukte gestellt werden, existieren im Feld potenziell fehlerhafte Bauteile. Markante Schadteile werden vom Endprodukthersteller erkannt und in Fachkommissionen detailliert besprochen sowie im Anschluss beordert. Hierbei wird nur eine Stichprobe der weltweiten Ausfälle bestellt. Diese soll das Ausfallverhalten im Markt abbilden. Die Schadteile werden unter anderem durch akkreditierte Prüflaboratorien analysiert. Die Labore müssen in bestimmten Fällen von der Deutschen Akkreditierungsstelle (DAkkS) nach DIN EN ISO 17025 akkreditiert sein. Die Erkenntnisse der Schadteilanalyse werden interpretiert und fließen daraufhin in den Fehlerabstellprozess. Zum Beispiel können Ursachen für Schäden überhitztes, ermüdetes oder qualitativ minderwertiges Material sein. Im Anschluss an die Befundung der Schadteile durch Beteiligung der EDAG werden die Analyseergebnisse an den OEM in Fachteams übermittelt. Es lassen sich korrektive Maßnahmen einleiten und zum Beispiel Lieferanten neu bewerten und eine Lieferantenqualifizierung anstoßen.

    Der Schadteilanalyseprozess bietet damit die Option, Schadteile beziehungsweise Fehlerbilder zusätzlich zu betrachten und die Ursache für die Beanstandungen zu erforschen. Damit ist dieser Prozess ein eskalierendes Prüfkonzept und kann als Kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP) interpretiert werden.

    Um ausführliche Erkenntnisse über die Fehlerquelle zu erhalten, muss diese detailliert und fundiert analysiert werden. Dazu dient der in Abb. 1.11 visualisierte Schadteilanalyseprozess, der auf der Reparaturberatung und damit auf einer Vielzahl von Daten der zentralen Wissensdatenbank basiert. Zu diesen Daten können beispielsweise die aus der Reparaturberatung gewonnenen Reparaturhistorien, Messdaten, Diagnoseprotokolle und Fehlerbilder zählen. Die Daten lassen sich über statistische Auswertungen analysieren. Durch inhaltlich ähnliche bis äquivalente Daten lassen sich stringente Erkenntnisse zu Anomalien und Fehlerursachen ableiten. Auf diese Weise lassen sich Fehler bis zu ihrer Genese zurückverfolgen. So können Erkenntnisse über den Fertigungsort (Werk, Band, Schicht), den Lieferanten, den Baustandindex des Schadteiles und damit die Fehlerquelle gewonnen werden.

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    Abb. 1.11

    Schadteilanalyseprozess

    Die Fehlerquellen können durch den Schadteilanalyseprozess oftmals nachvollzogen und verifiziert werden. Anschließend können die Fehler klassifiziert werden, zum Beispiel als

    Bauteilfehler,

    Fertigungs- beziehungsweise Produktionsfehler oder

    Anwender-Gebrauchsfehler.

    Der Schadteilanalyseprozess bietet somit viele Vorteile und verbessert kontinuierlich den Fehlerabstellprozess. Präventive Maßnahmen zur Fehlervermeidung können frühestmöglich im Sinne des Kunden und im Sinne des Endproduktherstellers getroffen werden. Resultierend beeinflusst der Schadteilanalyseprozess das Image des Endproduktherstellers positiv. Damit ist der Schadteilanalyseprozess von hoher wirtschaftlicher und qualitativer Relevanz.

    Das frühzeitige und präzise Ermitteln der Fehlerquelle beziehungsweise Fehlerursache hat einen bedeutsamen Einfluss auf die entstehenden Änderungskosten (Abb. 1.12). Je später ein Fehler im Laufe des Produktlebenszyklus identifiziert wird,

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