Nachtragsmanagement bei gestörten Bauabläufen: Mehrkosten sicher ermitteln
Von Steffen Ahting
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Buchvorschau
Nachtragsmanagement bei gestörten Bauabläufen - Steffen Ahting
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020
S. AhtingNachtragsmanagement bei gestörten Bauabläufenhttps://doi.org/10.1007/978-3-658-30515-4_1
1. Einleitung
Steffen Ahting¹
(1)
Oldenburg, Niedersachsen, Deutschland
Steffen Ahting
Email: s.ahting@web.de
Hinweis: Alle Personenbezeichnungen im folgenden Text sind geschlechtsneutral zu verstehen. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit ist die maskuline Schreibweise gewählt. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die feminine Form nicht bewusst übergangen wurde.
1.1 Bauablaufstörungen – eine Hinführung zum Thema
Stuttgart 21, der Flughafen Berlin Brandenburg BER, die Elbphilharmonie in Hamburg.
Drei prominente Beispiele für deutsche Großprojekte, die das öffentliche und mediale Bild von Baustellen und Bauabläufen in der Bundesrepublik nachhaltig beeinflussen und geprägt haben. Diskutiert werden insbesondere endlos scheinende Bauzeiten und explodierende Kosten.
Neben Planungsfehlern und politischen Fehlentscheidungen, die bei diesen Objekten eine große Rolle spielen, sind es oftmals Bauablaufstörungen, die den Baumaßnahmen einen zweifelhaften Ruf in der Öffentlichkeit eintragen.
Zu solchen Störungen kommt es aber nicht nur bei Großprojekten. Auch die Durchführung kleinerer Baumaßnahmen wird immer komplexer, bei gleichzeitig wachsendem Termin- und Kostendruck, sowie steigenden Ansprüchen an die Qualität. Gerade durch enge zeitliche Vorgaben, bei steigenden Qualitätsansprüchen, kommt es immer häufiger zu gestörten Bauabläufen. Zurückzuführen ist dies auf fehlende Pufferzeiten, die teilweise bereits in der Planungsphase gestrichen werden, um den Ansprüchen des Auftrages gerecht werden zu können. Wenig bis keine Pufferzeiten zwischen den einzelnen Vorgängen des Bauablaufes führen unweigerlich zu einem Anstieg der Störungen, da kleinere Unregelmäßigkeiten kaum mehr in der zur Verfügung stehenden Bauzeit abgefangen werden können. Dies hat zur Folge, dass bereits geringste Abweichungen große Auswirkungen nach sich ziehen.
Eine Bauablaufstörung liegt immer dann vor, wenn von der eigentlich vertraglich festgelegten Soll-Leistung abgewichen werden muss, unabhängig davon, wer diese Abweichung zu vertreten hat. Kleinere temporäre Schwankungen bei der Ausführung, die auf der Baustelle innerhalb eines kurzen Zeitraums wieder dem Sollzustand angepasst werden können und bereits in der Kalkulation zu berücksichtigen sind, bleiben hiervon unberührt. Solche im Allgemeinen bereits in der Kalkulation erfasste Schwankungen können sich beispielsweise durch Regentage in der Schlechtwetterzeit oder durch kurzfristige Krankheits- oder Geräteausfälle ergeben.
In Abb. 1.1 werden die verschiedenen Arten von Bauablaufstörungen dargestellt. Der komplette Stillstand als Unterbrechung stellt eine Sonderform der Verzögerung dar. Eine weitere Sonderform, die in Abb. 1.1 nur der Vollständigkeit halber mit aufgeführt ist, ist das Vergabenachprüfungsverfahren¹, wodurch bereits die Vergabe verzögert wird. Diese ist insofern gesondert zu behandeln, als dass es durch eine Verlängerung der Bindefrist schon vor dem eigentlichen Beginn der Ausführungsarbeiten zu einem Stillstand kommt und der vorgesehene Baubeginn verschoben wird. In dieser Arbeit werden die Begriffe Vergabenachprüfungsverfahren und Bindefristverlängerung synonym verwendet.²
../images/498798_1_De_1_Chapter/498798_1_De_1_Fig1_HTML.pngAbb. 1.1
Arten der Bauablaufstörungen
Neben den Problemen, die mit großen zeitlichen Verschiebungen der Baumaßnahmen einhergehen, können Störungen im geplanten Bauablauf die Beteiligten vor erhebliche finanzielle Schwierigkeiten stellen. Dabei kann die Seite, die die Störung nicht zu verantworten hat, berechtigte Ansprüche auf den Ersatz der Mehrkosten stellen, um den wirtschaftlichen Erfolg der Maßnahme zu sichern.
Für den Auftragnehmer wird dies immer dann interessant, wenn die Störung nicht in seinem Verantwortungsbereich liegt. Neben auftraggeberseitig entstandenen Störungen, können auch Fälle der höheren Gewalt kausal für eine Bauablaufstörung sein. Im März 2020 hat die Weltgesundheitsorganisation WHO die weltweite Ausbreitung von Covid-19 („Corona) zur Pandemie erklärt. Damit geht in diesem Fall die rechtliche Bewertung über das hinaus, was in den alljährlich üblichen „Grippewellen
rechtlich relevant ist. Vielmehr handelt es sich um ein von außen kommendes und keinen betrieblichen Zusammenhang aufweisendes, nicht voraussehbares und auch durch äußerste Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis und entspricht damit der Definition des Bundesgerichtshofes von vergangenen Fällen zum Thema der höheren Gewalt.
Bei VOB-Verträgen ist im § 6 VOB/B das Problem der Behinderungen geregelt. § 6 Abs. 2 Nr. 1c VOB/B gibt vor, dass ein Anspruch auf Verlängerung der Ausführungsfristen besteht, wenn die Behinderung durch höhere Gewalt oder andere für den Auftragnehmer unabwendbare Umstände verursacht ist.
Zusammenfassend bedeutet die Einstufung von sich unkontrolliert ausbreitenden Epidemien/Pandemien als Fall höherer Gewalt, dass Bauunternehmen einen Anspruch auf entsprechende Bauzeitverlängerung haben, sobald die Krankheit auf der Baustelle zu einer Behinderung der Baufirma führt.
1.2 Zielsetzung
Der im Folgenden entwickelte Leitfaden soll einen Weg aufzeigen, die auftragsnehmerseitig durch Bauablaufstörungen entstehenden Mehrkosten nachvollziehbar und transparent zu berechnen und nachzuweisen.
Der gerichtsfest geführte Nachweis eines solch gestörten Bauablaufes erfordert einerseits großes baubetriebliches und andererseits ein ebenso wichtiges baurechtliches Fachwissen, um den, durch vorliegende Urteile des Bundesgerichtshofes (BGH) und verschiedener Oberlandesgerichte (OLG), vorgegebenen hohen Anforderungen an die Nachweisführung gerecht zu werden.
Daher sollen die juristischen und baubetrieblichen Grundlagen für die Erfassung und Berechnung der Mehrkosten durch einen gestörten Bauablauf zusammengestellt werden.
Im Hinblick auf das Thema werden folgende Fragen untersucht:
Hat der Unternehmer einen Anspruch auf die Erstattung von Mehrkosten sowie auf eine Bauzeitverlängerung durch eine Bauablaufstörung und wenn ja, auf welcher Grundlage?
Wie können die Kosten aus gestörten Bauabläufen systematisch erfasst werden?
Welche Kostenpunkte können auftreten?
Wie sieht eine gerichtsfest geführte Dokumentation zum Nachweis der auftretenden Mehrkosten bei Bauablaufstörungen aus?
Wie verhält sich ein mittelständisches Unternehmen im Falle einer Bauablaufstörung?
Aus der Beantwortung dieser Fragen resultiert eine Zusammenfassung der Mindestanforderungen, die die höchstrichterliche Rechtsprechung³ aufgestellt hat. Darüber hinaus ist die Entwicklung eines Ablaufschemas – als Leitfaden für Unternehmen – zur kostenmäßigen Erfassung und Berechnung eines gestörten Bauablaufes entstanden.
Die nachfolgend aufgeführten Hilfestellungen gelten hauptsächlich für Auftragnehmer der öffentlichen Hand, aber auch für private Bauverträge. Grundlage für die Ausführungen ist die VOB, deren Vereinbarung bei den meisten Bauverträgen der Regelfall ist.
1.3 Vorgehensweise
Zunächst werden in Kap. 2 die baubetrieblichen und baurechtlichen Grundlagen für die Erfassung von Mehrkosten durch einen gestörten Bauablauf dargestellt. Nach einer Erläuterung über die Bedeutung der Bauzeit und einer Klassifizierung von Bauablaufstörungen in Verbindung mit einer Definition der Begrifflichkeiten „Störung, „Behinderung
und „Unterbrechung", werden die verschiedenen Anspruchsgrundlagen dargelegt. Bei den einzelnen Anspruchsgrundlagen werden die Voraussetzungen der Ansprüche auf Vergütung gemäß § 2 Abs. 3, § 2 Abs. 5 bzw. Abs. 6 der VOB/B, sowie den Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 6 Abs. 6 der VOB/B und der Anspruch auf Entschädigung gemäß § 642 des BGB erläutert. Nach einem kurzen Überblick über die Anspruchsgrundlagen werden diese miteinander verglichen und eine Übersicht erstellt, anhand derer die Wahl einer Anspruchsgrundlage für den Einzelfall erfolgen kann.
Im nächsten Schritt wird auf richtungsweisende Urteile der höchstrichterlichen Rechtsprechung eingegangen, ehe die Mindestanforderungen an den Nachweis aufgezeigt werden.
In Kap. 3 folgt der eigentliche Leitfaden als Hilfestellung für die zukünftige Aufstellung der Mehrkosten durch Bauablaufstörungen für die Bereiche der Verzögerung bzw. Unterbrechung, der Bindefristverlängerung und der Beschleunigung. Zusätzlich zu den Kosten ergibt sich auch ein Anspruch auf eine verlängerte Bauzeit. Diese wird zunächst in Abschn. 3.3 kategorisch ermittelt und dann im Rahmen der beschriebenen Punkte mitberücksichtigt, da sie, sowohl bei der Bindefristverlängerung, als auch bei der Unterbrechung, als kausale Folge der Störung zu betrachten ist, zu der es ohne eine Ablaufstörung nicht gekommen wäre.
Anhand der Erläuterungen des dritten Kapitels wird im Kap. 4 eine Arbeitsanweisung für weitere Fälle in Bauunternehmungen erstellt, ehe im Kap. 5 die wesentlichen Ergebnisse für die Erfassung der kostenmäßigen Bewertung eines gestörten Bauablaufes noch einmal abschließend zusammengefasst werden.
Fußnoten
1
Seit 1999 ist es für Bieter möglich, ein Vergabenachprüfungsverfahren einzuleiten, wenn sie der Meinung sind, dass ihre Bieterrechte verletzt wurden. Die Zuschlagserteilung wird im Zeitraum des Verfahrens ausgesetzt und die Unternehmen um eine Bindefristverlängerung gebeten. Die Bindefrist ist die Frist für ein Unternehmen, bis zu welcher es sich an sein Angebot bindet. Im Normalfall wird vor dem Ablauf dieser Frist der Bauauftrag erteilt.
2
Eine genauere Erläuterung sowie dazugehörende Besonderheiten und Schwierigkeiten folgen in Abschn. 3.4.4.
3
Unter höchstrichterlicher Rechtsprechung werden rechtskräftige Entscheidungen der obersten Instanzen zusammengefasst. In Deutschland ist dies vor allem der Bundesgerichtshof.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020
S. AhtingNachtragsmanagement bei gestörten Bauabläufenhttps://doi.org/10.1007/978-3-658-30515-4_2
2. Baubetriebliche und baurechtliche Grundlagen
Steffen Ahting¹
(1)
Oldenburg, Niedersachsen, Deutschland
Steffen Ahting
Email: s.ahting@web.de
In diesem Kapitel wird zunächst die Bedeutung der Bauzeit für die einzelnen am Bau beteiligten Parteien dargelegt, bevor die verschiedenen Bauablaufstörungen klassifiziert werden. Zudem erfolgt eine Erläuterung zu den möglichen Anspruchsgrundlagen des Auftragnehmers für eine Erstattung von Mehrkosten aus einem gestörten Bauablauf. Dieser kann in dem Verantwortungsbereich des Auftraggebers liegen oder aus höherer Gewalt resultieren.
In einem weiteren Schritt wird auf die aktuelle Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes eingegangen und die Mindestanforderungen dargelegt, die dieser an die Nachweis- bzw. Beweisführung stellt.
2.1 Die Bedeutung der Bauzeit
Die drei Grundsteine jedes Bauvorhabens sind: Kosten, Qualität und Zeit. Diese befinden sich naturgemäß häufig im Konflikt miteinander und werden daher oftmals als das magische Dreieck des Projektmanagements beschrieben. Da jedes Bauvorhaben einem Projekt gleicht, gilt dies auch unbeschränkt für die Baustelle.
Abhängig von dem jeweiligen Bauvorhaben sind für den Auftraggeber die einzelnen Punkte oftmals von unterschiedlicher Relevanz. Für private Bauherren stehen häufig die Kosten im Vordergrund. Größere Unternehmen, wie z. B. Energiekonzerne setzen hingegen vermehrt auf hundertprozentige Qualität, wohingegen es gerade bei Bauvorhaben der öffentlichen Hand die Bauzeit ist, die neben den Kosten am relevantesten ist. Einige Objekte, wie etwa Stadien für bestimmte Großveranstaltungen, müssen sogar zwangsläufig zu einem festgesetzten Termin fertiggestellt werden. Neben zeitlichen Zwängen durch terminliche Fixpunkte können auch steuerliche Gründe oder