Der unbegreifliche Zufall: Nichtlokalität, Teleportation und weitere Seltsamkeiten der Quantenphysik
Von Nicolas Gisin
4.5/5
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Über dieses E-Book
Die Quantenphysik bietet eine Beschreibung der Welt auf kleinsten Skalen und macht dazu seltsame Aussagen, die unser Verständnis der Welt und ihrer Logik ernsthaft herausfordern. Besonders schwierig zu erklären ist das Phänomen der Verschränkung, das in den vergangenen 30 Jahren intensiv erforscht worden ist. Verschränkte Teilchen scheinen sich zufällig zu verhalten, aber dennoch über weite Distanzen hinweg voneinander zu wissen, sodass ihr Verhalten korreliert ist.
Diese erstaunliche "Nichtlokalität" ist mehr als nur eine abstrakte Seltsamkeit oder ein Paradoxon: sie findet ganz pragmatische Anwendungen in der Kryptographie, die wiederum verwendet werden kann, um sensible Informationen zu kodieren. Durch Verschränkung wird auch "Quantenteleportation" möglich, deren unermessliche Möglichkeiten selbst von Science-Fiction Autoren nur erahnt werden kann.
Das vorliegende Buch wagt sich an die tiefen logischen Schwierigkeiten der Quantenmechanik heran und bietet dem Leser dabei das Rüstzeug, diese zu begreifen und zu bewundern. Von "Bell's Theorem" bis zu Experimenten der Quantenverschränkung gewinnt der Leser so ein solides Verständnis von einem der faszinierendsten Gebiete der modernen Physik.
Der Autor
Nicolas Gisin ist Direktor des Instituts für Angewandte Physik an der Universität Genf und Mitbegründer der Technologiegesellschaft ID Quantique. Er ist international bekannt für seine Arbeit im Bereich der Kryptografie und der Quanten-Informationstheorie. Darüber hinaus ist er Herausgeber der Reihe "Quantum Science and Technology".
2009 erhielt er den ersten John S. Bell Preis für die Demonstration langreichweitiger Verschränkungen und Quantenteleportationen sowie für seine zahlreichen Beiträge zu den Bellschen Ungleichungen.
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Rezensionen für Der unbegreifliche Zufall
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Buchvorschau
Der unbegreifliche Zufall - Nicolas Gisin
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
Nicolas GisinDer unbegreifliche Zufall10.1007/978-3-662-43958-6_1
1. Einleitung
Nicolas Gisin¹
(1)
Universität Genf, Genf, Schweiz
Nicolas Gisin
Email: lydia.lundbeck@springer.com
Von frühester Jugend an machen wir die Erfahrung, dass wir nur zwei Möglichkeiten haben, um mit einem Objekt zu interagieren, das sich außerhalb unserer Reichweite befindet. Entweder wir bewegen uns bis zu diesem Objekt hin, auf allen Vieren, wie ein Kleinkind, oder wir benutzen einen Gegenstand, zum Beispiel einen Stock, um unseren Arm zu verlängern und dadurch das Objekt zu erreichen. Wenn wir größer werden, erkennen wir, dass auch komplexere Mechanismen eingesetzt werden können – zum Beispiel zur Beförderung eines Briefes, den wir in einen Briefkasten werfen. Der Brief wird von einem Postangestellten abgeholt, manuell oder maschinell sortiert, mit einem Transporter, Zug oder Flugzeug befördert und schließlich dem Empfänger zugestellt. Das Internet, das Fernsehen und unzählige andere Beispiele aus dem Alltag lehren uns, dass sich jede Wechselwirkung und jede Kommunikation zwischen zwei voneinander entfernten Objekten kontinuierlich nach und nach ausbreitet – und zwar gemäß einem Mechanismus, der komplex sein kann, aber immer eine stetige Bahn beschreibt, die man zumindest im Prinzip in Raum und Zeit rückverfolgen kann.
Die Quantenphysik – die sich mit einer Welt beschäftigt, die wir nicht direkt wahrnehmen können – behauptet, dass räumlich weit voneinander entfernte Objekte mitunter eine Einheit bilden können. Wenn man eines dieser Objekte berührt, dann erzittern alle beide – unabhängig von ihrer Entfernung! Was soll man von einer solchen Sache halten? Ist eine derartige Behauptung überprüfbar? Wie ist dieser Sachverhalt überhaupt zu verstehen? Und ist dank dieser merkwürdigen Quantenphysik eine Fernkommunikation über diese voneinander‐entfernten‐aber‐eine‐Einheit‐bildenden Objekte möglich?
Das sind die Hauptfragen, mit denen wir uns in diesem Buch beschäftigen.
Ich werde versuchen, Sie an der faszinierenden Entdeckung einer Welt teilhaben zu lassen, die nicht mit Wechselwirkungen beschrieben werden kann, die sich nach und nach ausbreiten – eine Welt, in der so genannte „nichtlokale Korrelationen vorkommen können. Wir werden Begriffen wie „echter Zufall
, Korrelation, Information und sogar „freier Wille begegnen. Wir werden sehen, wie Physiker nichtlokale Korrelationen erzeugen, wie sie diese dazu verwenden, unknackbare Kryptographieschlüssel herzustellen, und wie diese fabelhaften Korrelationen die „Quantenteleportation
ermöglichen. Ein weiteres Ziel dieses Buches besteht darin, eine wissenschaftliche Herangehensweise zu illustrieren. Wie kann man sich davon überzeugen, dass eine vollkommen kontra‐intuitive Sache stimmt? Welchen Beweis braucht man für einen Paradigmenwechsel und um eine konzeptuelle Revolution zu akzeptieren? Aus einer etwas übergeordneten Perspektive werden wir erkennen, dass die Geschichte der Nichtlokalität der Quantenphysik letztendlich ziemlich einfach und sehr menschlich ist und dass die Natur Zufälle hervorbringt (echte Zufälle!), die sich an mehreren, sehr weit voneinander entfernten Orten manifestieren können, ohne sich nach und nach von einem Ort zum anderen auszubreiten. Wir werden sehen, dass es der Zufall auch verhindert, dass diese Form der Nichtlokalität zu Kommunikationszwecken genutzt wird – er lässt die Verletzung eines der Gesetze der Relativitätstheorie nicht zu, jenes Gesetzes nämlich, das besagt, dass Kommunikation nicht mit Überlichtgeschwindigkeit erfolgen kann.
Wir leben in einer außergewöhnlichen Zeit: Vor unseren Augen deckt die Physik auf, dass unsere am tiefsten verankerte Intuition nicht stimmt – nämlich die Intuition, dass eine „Interaktion zwischen Objekten über eine Entfernung hinweg nicht möglich ist. Ich habe „Interaktion
in Anführungszeichen gesetzt, weil wir noch präzisieren müssen, was das tatsächlich bedeuten soll. Physiker erforschen die Welt der Quantenphysik, eine Welt, die von Atomen, Photonen und anderen, in unseren Augen geheimnisvollen Objekten bevölkert ist. Dieser Revolution keine Beachtung zu schenken und sich nicht dafür zu interessieren, wäre genauso schade, wie wenn Zeitgenossen der Darwin’schen oder der Newton’schen Revolution diese Umwälzungen ignoriert hätten.
Die jetzt ablaufende konzeptuelle Revolution ist nämlich nicht weniger bedeutsam – sie verändert grundlegend das Bild, das wir uns von der Natur machen, und wird alle möglichen Technologien hervorbringen, die wir uns noch gar nicht vorstellen können.
In Kap. 3 kommen wir zum Kern der Sache: Wir stellen das Konzept der Korrelation mit Hilfe eines Spiels vor, das wir Bell‐Spiel nennen wollen. Dieses Spiel wird zeigen, dass gewisse Korrelationen nicht möglich sind, wenn man lediglich Wechselwirkungen verwendet, die sich allmählich ausbreiten. Dieses Kapitel ist für die nachfolgenden wesentlich, obwohl es keinerlei Quantenphysik enthält. Kapitel 3 ist wahrscheinlich auch das schwierigste, aber der Rest des Buchs wird Ihnen beim Verständnis helfen.
Anschließend fragen wir uns, wie man damit umgehen soll, wenn jemand im Bell‐Spiel gewinnt – ein scheinbar unmögliches Ergebnis, das aber dank der Quantenphysik eintreten kann. Danach befassen wir uns mit dem Konzept des „echten Zufalls" (Kap. 4) und mit der Unmöglichkeit, ein Quantensystem zu klonen (Kap. 5). Die beiden nachfolgenden Kap. 6 und 7 geben eine Einführung in diese seltsame Quantenphysik – zunächst führen wir das theoretische Konzept der Verschränkung ein, danach stellen wir die Experimente vor und ziehen die Schlussfolgerung, die sich aufdrängt: Die Natur ist nichtlokal.
Bevor wir diese Schlussfolgerung akzeptieren, fragen wir uns, ob sie tatsächlich unvermeidlich ist. In Kap. 10 werden einige Beispiele der Erfindungsgabe vorgestellt, mit der Physiker versucht haben, zu einer lokalen Beschreibung der Natur zurückzukehren. Dieses Eisen ist noch heiß, sehr aktuell und zeigt, was es bedeutet, „gewitzt wie ein Physiker" zu sein. Wir setzen unsere Geschichte in Kap. 11 fort mit der Schilderung einiger spannender Forschungsrichtungen. Damit stoßen wir das Tor auf zur aktuellen Forschung.
1.1 Wozu ist das gut?
„Wozu ist das gut? ist die Frage, die mir am häufigsten gestellt wird. Allem Anschein nach darf man nichts tun, was keine unmittelbare Anwendung hat. Ich könnte antworten: „Wozu ist es gut, ins Kino zu gehen?
Es stimmt, dass ich bezahlt werde, um meine geliebte Forschung zu treiben, während ich für das Kino selbst zahlen muss. Ich versuche also, eine politisch korrekte Antwort zu finden. Aber die beste Antwort lautet einfach, dass das Thema faszinierend ist!
Ich leite zwar eine Forschungsgruppe für angewandte Physik. Dennoch stehe ich nicht jeden Morgen auf, um einen tollen Apparat zu erfinden, sondern weil mich die Physik fasziniert! Die Natur zu verstehen – insbesondere wie sie nichtlokale Korrelationen hervorbringen kann – ist ein Ziel, das für sich genommen schon ausreicht. Aber warum arbeite ich dann in einer Gruppe für angewandte Physik? Aus einfachem Opportunismus? Es gibt einen sehr guten Grund, sich für Anwendungen zu interessieren, sogar und vielleicht besonders dann, wenn sich unsere innerste Motivation um Konzepte dreht: Ein wirklich stichhaltiges und neues Konzept zieht zwangsläufig Folgen nach sich und eröffnet notwendigerweise neue praktische Perspektiven. Je revolutionärer ein Konzept, desto futuristischer die Anwendungen. Der riesige Vorteil der Arbeit an potenziellen Anwendungen besteht darin, ein Werkzeug zu haben, um die Konzepte zu testen. Hat man darüber hinaus erst einmal eine Anwendung identifiziert, dann kann niemand mehr die Wichtigkeit des Konzeptes bestreiten: Wie will man die Bedeutsamkeit eines Konzeptes in Abrede stellen, das die Grundlage für eine Anwendung in der realen Welt bildet?
Die Quantennichtlokalität ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür. Bis zur ersten Anwendung hat die überwiegende Mehrheit der Physiker die Verschränkung und die Nichtlokalität weitgehend ignoriert, wenn nicht sogar als rein philosophisch verunglimpft. Vor 1991 brauchte es Mut, wenn nicht gar Verwegenheit, um sich dafür zu interessieren¹. Es gab nahezu keine akademischen Stellen für diese Forschungsrichtung, während sich heute alle dafür interessieren. Die Motivation der Regierungen, die diese Forschungszentren finanzieren, ist offensichtlich stärker auf die Quantentechnologien zurückzuführen als auf die ihnen zugrunde liegenden Konzepte. Wichtig ist aber, dass die Studenten an diesen Zentren diese neue Physik lernen.
Kapitel 8 stellt zwei nunmehr bereits kommerzialisierte Anwendungen vor: die Quantenkryptographie und die auf der Quantenphysik beruhenden Zufallszahlengeneratoren. Und schließlich berichten wir in Kap. 9 von der wohl überraschendsten Anwendung, der Quantenteleportation.
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
Nicolas GisinDer unbegreifliche Zufall10.1007/978-3-662-43958-6_2
2. Aperitifs
Nicolas Gisin¹
(1)
Universität Genf, Genf, Schweiz
Nicolas Gisin
Email: lydia.lundbeck@springer.com
Bevor ich das zentrale Konzept dieses Buches vorstelle, möchte ich mit zwei kleinen Geschichten als Aperitif beginnen: die eine – wahre – Geschichte hat sich in der Vergangenheit ereignet, die andere ist noch Fiktion, könnte aber in nicht allzu ferner Zukunft wahr werden.
2.1 Newton: Eine so große Absurdität …
Wir alle haben von Newtons universeller Gravitationstheorie gehört, gemäß der sich sämtliche Objekte in Abhängigkeit von ihrer Masse und ihrer Entfernung anziehen (genauer gesagt: in Abhängigkeit vom Kehrwert des Quadrates ihrer Entfernung voneinander, aber das ist für dieses Buch nicht wesentlich). Zum Beispiel ziehen Sonne und Erde einander mit einer Kraft an, welche die Fliehkraft ausgleicht und die Erde auf einer ungefähr kreisförmigen Umlaufbahn um die Sonne hält. Genauso verhält es sich mit den anderen Planeten, mit dem Paar Erde‐Mond und sogar mit unserer Galaxie, die sich um das Zentrum eines Galaxiehaufens dreht. Wir wollen uns auf das Paar Erde‐Mond konzentrieren: Woher weiß der Mond, dass er von der Erde in Abhängigkeit von deren Masse und der Entfernung Erde‐Mond angezogen werden muss? Wieso kennt der Mond die Masse der Erde und die Entfernung, die ihn von uns trennt? Benutzt er, so wie das eingangs erwähnte Kleinkind, eine Art Stock? Wirft er uns eine Art Kugeln zu? Findet irgendeine Kommunikation statt? Diese kindlichen Fragen sind äußerst ernst zu nehmen. Sie haben bereits den großen Newton aus der Ruhe gebracht, für den die Hypothese der universellen Schwerkraft , die ihn berühmt gemacht hat, so absurd war, dass kein vernünftiger Mensch ernsthaft daran glauben könne! (Kasten 1). Aber vorläufig reicht es zu wissen, dass Newtons Intuition richtig war, selbst wenn es noch Jahrhunderte dauerte und des ganzen Genies eines Einstein bedurfte (der Newtons Gravitationstheorie „ergänzte), um die Antwort zu finden. Physiker wissen heute, dass die Fernwirkung , um die es bei der Gravitation oder bei der Wechselwirkung zwischen zwei elektrischen Ladungen geht, keineswegs augenblicklich erfolgt: Sie ergibt sich vielmehr aus der Versendung von Boten, so dass die obengenannte Hypothese der „Kugeln
stimmt. Diese Boten sind kleine Teilchen, denen die Physiker Namen geben. Die Boten der Gravitation heißen Gravitonen , die der elektrischen Kräfte sind