Die Wette der Diebe
Von Ronald Fuchs
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Buchvorschau
Die Wette der Diebe - Ronald Fuchs
1/13 Die Wette
Vor langer Zeit, als Bagdad noch zum osmanischen Reich gehörte, begegneten sich eines Freitags, kurz nach dem Abendgebet, zwei junge Männer nicht weit von der großen Moschee am hohen Tor des alten Basars. Sie waren scheinbar zufällig miteinander zusammengestoßen und hatten sich gerade wieder voneinander gelöst, da bemerkten sie, dass sie bestohlen worden waren. Beide drehten sich gleichzeitig um, zückten ihre Dolche, stürzten aufeinander los und schrien:
„Du Dieb hast mich bestohlen!"
Im selben Augenblick jedoch erkannten beide, wen sie vor sich hatten und statt sich die Dolche gegenseitig ins Herz zu stoßen, musterten sie einander leicht amüsiert.
„Du bist also der Tagdieb", sagte der eine.
„Du bist also der Nachtdieb", sagte der andere.
„Ich habe schon viel von dir gehört und wollte dich schon immer einmal kennenlernen."
Da der eine aber nur des Nachts und der andere nur am Tage seinem Gewerbe nachging, waren sie sich bisher nie begegnet.
„Auch ich freue mich, dich zu treffen, denn ich möchte doch gar zu gern wissen, ob deine Geschicklichkeit wirklich so groß ist, wie man behauptet, oder ob nicht ich in Wirklichkeit der Meister aller Diebe von Bagdad bin – worauf ich doch wetten würde!", sagte hochmütig Said, der Nachtdieb.
„Du willst der Meister von uns sein, du, der sein Handwerk nur im Dunkeln auszuüben wagt, wenn es ungefährlich ist, weil man dich nicht sehen kann?", entgegnete empört Ali, der Tagdieb.
„Mein Handwerk sei ungefährlich?!" Der Nachtdieb schäumte vor Wut über diese ehrabschneidende Behauptung. Niemand durfte ihn der Feigheit zeihen.
„Hattest du schon einmal den Mut, in finstrer Nacht, in der man die Hand vor den Augen nicht sieht, in einen von hohen Mauern umgebenen und von Hunden und Pfauen und schwerbewaffneten Dienern bewachten Palast einzudringen, um ihn mit der Schatzschatulle wieder zu verlassen?"
„Und hattest du schon einmal den Mut, entgegnete genauso erzürnt der Tagdieb, „am helllichten Tag mitten auf dem Marktplatz, sozusagen unter den Augen des Kadi, einem reichen, von schwerbewaffneten Dienern umgebenen Kaufmann den Geldbeutel abzunehmen?
Wieder wollten die beiden Diebe aufeinander losgehen, als Fatima, die junge Frau des Tagdiebs, zwischen die beiden Kampfhähne trat.
„Warum wollt ihr beiden tüchtigen Männer gegeneinander kämpfen, obwohl sich doch auf ganz einfache Weise feststellen ließe, wer von euch der Meister ist?"
Die beiden Streithammel hielten inne – natürlich, die Frau hatte ja Recht, jeder der beiden Diebe müsste beweisen, dass er der Bessere ist. Aber wie sollte dies geschehen? Um diese Frage zu klären, begab man sich in das Haus des Tagdiebs. Dort kam man bei süßem Tee und köstlichen Datteln alsbald überein, dass derjenige, der bis zum Morgen des übernächsten Tages, also dem Sonntag, die kostbarste Beute in das Haus des Tagdiebs brächte, sich "Meisterdieb von Bagdad" nennen dürfe.
Der Tagdieb sollte gleich morgen früh nach dem Sobh-Gebet, dem ersten der fünf Ritualgebete, sein Können beweisen und er sollte dafür bis zum Abendgebet Zeit haben. Dann schlug die Stunde des Nachtdiebs, der wiederum bis zum Morgengebet seinen Diebeszug beenden musste. Dem Sieger sollte die gesamte Beute zufallen.
Nachdem also die Regeln für den Wettstreit festgelegt waren, saßen die beiden Diebe noch lange einträchtig Tee trinkend und die Nargileh, die große Wasserpfeife, rauchend beieinander und erzählten sich unterhaltsame Geschichten.
Früh am Samstagmorgen machte sich Ali auf den Weg. Zuerst ging er in die große Moschee, um für sein Vorhaben zu beten. Danach begab er sich zum Marktplatz, weil dort immer viele Menschen mit Geld in den Taschen waren und weil er hier leicht im Getümmel untertauchen konnte.
Auf dem Markt werden Feld- und Gartenfrüchte, frische Fische aus dem Tigris, Hühner, Enten, Gänse, Tauben, Pfauen, Fasane, Ziegen, Schafe und anderes Kleinvieh und viele Erzeugnisse tierischer oder pflanzlicher Herkunft feilgeboten. Süßigkeitsverkäufer preisen marktschreierisch ihre kandierten Früchte an und aus Garküchen steigen appetitanregende Düfte. Bunt gekleidete Wasserverkäufer offerieren ihr kostbaren Nass aus glänzenden Kupferbehältern, die sie auf dem Rücken tragen, den vom Feilschen durstig gewordenen Händlern und Käufern zur Erfrischung.
Ali hatte noch nicht lange gewartet, da sah er einen jener reichen, prächtig gekleideten türkischen Kaufleute auf einem Maultier reitend des Weges kommen. Einer seiner Diener, der kleinste, trug stolz ein silbernes Kästchen vor sich her. Der Tagdieb vermutete, dass sich wohl Goldmünzen darin befänden. Diese Vermutung sollte sich schon bald als richtig erweisen, denn als die türkische Gruppe am Südtor des Basars angelangt war, ließ der Kaufmann kurz anhalten, um noch einmal einen Blick in das Kästchen zu werfen, weil er sich vergewissern wollte, dass das Geld, mit dem er teure Stoffe, Parfumes, Gewürze, Kaffee, Tee, Tabak, eine neue Wasserpfeife, silberne Kannen und Schalen und vielleicht, wenn noch etwas Geld übrig war, einen Seidenschal und Süßigkeiten für seine Lieblingsfrau kaufen wollte, noch vorhanden sei. Der kleine Diener öffnete also das Kästchen. – Oh, wie wunderbar glänzten die Goldstücke in der Sonne und wie sehr freute sich der Tagdieb über die Aussicht auf so viel Geld! Nun stieg der Kaufmann von seinem Maultier und betrat den schattigen, dunklen Basar, gefolgt von seinem kleinen Diener – und Ali, dem Tagdieb.
2/13 Der Basar
Der alte Basar von Bagdad war ein Karree mit vier Eingängen, jeweils einer im Osten, Süden, Westen und Norden und überdachten, schmalen Straßen mit lauter Geschäften auf beiden Seiten. Hier gab es all die schönen Dinge, die man auf dem Markt nicht finden konnte. Es gab eine Gasse für Tuchhändler, eine für Gold- und Silberschmiede, eine für den Gewürz-, Weihrauch-, Tee- und Kaffeehandel, eine für Parfumes und eine für Lederwaren und noch viele andere mehr.
All' diese Gassen lagen im Halbdunkel. Nur dort, wo das Straßendach Löcher hatte oder durch transparentes Zelttuch ersetzt worden war, also vorzugsweise an den Kreuzungen, fiel gedämpftes Tageslicht in die Gänge. Die Geschäfte wurden von Öllampen gerade so hell erleuchtet, dass die Käufer die Waren sehen und die Händler ihr eingenommenes Geld zählen konnten.
Der türkische Kaufmann ging, gefolgt von seinen Goldstücken, zuerst in die Straße der Tuchhändler. Hier sah Ali seine Chance gekommen, denn hier lagen und hingen an den Wänden und von der Decke herab viele wunderbar bestickte bunte Damast-, Seiden- und Brokattücher. Eh es sich der Türke und sein kleiner Diener versahen, hatten sie einige dieser Tücher über dem Kopf. Schnell tauschte Ali die Goldstücke in der Kassette gegen Kieselsteine aus und verschwand im Dunkel des Basars.
Nachdem sich die Bestohlenen endlich wieder von ihren hübschen Verpackungen befreit hatten, betraten sie nichtsahnend, denn keiner von ihnen hatte den Tagdieb bemerkt, den Laden des Tuchhändlers, dessen Ware sie soeben so eingehend begutachtet hatten. Der Türke suchte sich einige erlesene Stoffe aus. Dann verhandelte man gemütlich bei einer Tasse Mokka über den Preis. Als man sich einig war, wies der Türke seinen Diener an, die Ware zu bezahlen. Doch welch ein Schreck, als sich nur Kieselsteine in dem Kästchen fanden – und wie höhnisch lachte der Händler.
Der Türke konnte sich die rätselhafte Umwandlung der Goldstücke in Kieselsteine nicht erklären, und so blieb nichts anderes übrig, als an Zauberei durch einen bösen Geist zu glauben.
Gegen Dämonen ist der Mensch machtlos, und wenn keine anderen Mittel, wie Amulette, gewisse Kräuter oder Kristalle helfen, kann der Gläubige nur noch durch ein Gebet zu Allah, dem einzigen Allmächtigen, von solchen Quälgeistern befreit werden. Also begab sich der reiche Kaufmann schnurstracks zum Gebet in die Moschee. Danach ritt er nach Hause, um neues Geld zu holen. Dort empfing ihn seine junge, hübsche Lieblingsfrau Leila verwundert über seine schnelle Rückkehr.
„Oh, Osman, so hieß der Türke, „bist du auf Aladins Teppich geflogen? Was hast du denn mitgebracht?
fragte sie und schielte neugierig nach dem Maultier und den Dienern.
Etwas verlegen erzählte ihr Osman von dem Zauber durch den bösen Geist, einem arabischen Dschinn, wie er vermutete, und dass er nur Geld holen und dann gleich wieder zurück zum Basar reiten wolle. Vorher, allerdings, wolle er sich erfrischen und seine vom Straßenstaub bedeckte Kleidung