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Malleus Proletarum - Der Proletenhammer
Malleus Proletarum - Der Proletenhammer
Malleus Proletarum - Der Proletenhammer
eBook1.164 Seiten16 Stunden

Malleus Proletarum - Der Proletenhammer

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Über dieses E-Book

Frasther Hauinger ist gerade unterwegs, um durch einige ganz spezielle Kleinaufträge seine Haushaltskasse ein wenig aufzubessern, als ihm der Prag-Luis über den Weg läuft. Die schwer übergewichtige und stets weiß gekleidete Szene-Gestalt steckt in Schwierigkeiten; Konkurrenz drängt von außen in sein Revier, unbekannte Wüstlinge erschrecken seine Damen. Da der Luis hinter all dem die Russenmafia vermutet, engagiert er Frasther vorsichtshalber als Leibwächter.

Doch schon beim ersten Zusammentreffen mit der Konkurrenz wird klar, dass die Dinge weitaus komplizierter liegen. Also macht Frasther sich an die Arbeit und beginnt damit, auf eigene Faust Nachforschungen im Milieu anzustellen. Die gestalten sich allerdings erst einmal tückischer als gedacht; als er dann mit seinen Ermittlungen endlich ein wenig weiterkommt, gerät die ganze Geschichte jedoch zusehends immer mehr außer Kontrolle…
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum26. März 2013
ISBN9783844250473
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    Buchvorschau

    Malleus Proletarum - Der Proletenhammer - Marcello Dallapiccola

    Das Buch:

    Als Frasther Hauinger gerade wieder einmal mit einem kleinen Spezialauftrag beschäftigt ist, läuft ihm der Prag-Luis, eine schwer übergewichtige und stets weiß gekleidete Szene-Gestalt, über den Weg. Der steckt in Schwierigkeiten, denn Konkurrenz drängt von außen in sein Revier, unbekannte Wüstlinge erschrecken seine Damen. Da der Luis hinter all dem die Russenmafia vermutet, engagiert er vorsichtshalber Frasther als Leibwächter. Doch schon beim ersten Zusammentreffen mit der Konkurrenz wird klar, dass die Dinge weitaus komplizierter liegen. Also macht Frasther sich an die Arbeit und beginnt damit, auf eigene Faust Nachforschungen im Milieu anzustellen. Die gestalten sich jedoch erst einmal tückischer als gedacht; als schließlich langsam etwas Licht in die Sache kommt, geraten die Dinge zusehends immer mehr außer Kontrolle…

    Anmerkung:

    Begriffe, die aus verschiedenen österreichischen Dialekten übernommen wurden,

    sind jeweils mit Sternchen angeführt und im Anhang erklärt.

    Trotzdem werden sich wiederholt Ausdrücke, Redewendungen und Satzstellungen finden,

    die dem umgangssprachlichen Gebrauch entnommen wurden und daher grammatikalisch nicht richtig sind. Dies ist beabsichtigt, um dem Milieu gerecht zu werden, in dem die Handlung spielt.

    Auf die Apostrophe bei den Dialektbegriffen wurde zugunsten der Lesbarkeit

    ebenfalls weitgehend verzichtet.

    Marcello Dallapiccola

    Malleus Proletarum – Der Proletenhammer

    Impressum

    Copyright: ©2013 Marcello Dallapiccola

    Druck und Verlag: epubli GmbH, www.epubli.de

    ISBN 978-3-8442-5047-3

    Für Börschy

    Danksagung:

    Titelmodell: Michael Joachim Heiss (mjheiss.com)

    Fotograf: Marcel A. Mayer (photographmarcel.at)

    Gestaltung: Gerd Salvadori (mgb-design.at)

    Webmaster/techn. Unterstützung: Gregor Onatcer (onatcer.com)

    Besonderer Dank:

    gebührt meiner Lektorin Andrea Sutter,

    die enorm viel Geduld dabei bewiesen hat, Ordnung in das Chaos zu bringen.

    Darüber hinaus hat sie viele nützliche Tipps gegeben, einige wichtige Anregungen mit eingebracht

    und stand stets mit Rat und Tat zur Seite. Ohne Ihre Kompetenz und tatkräftige Unterstützung

    wäre die Umsetzung dieses Projekts so nicht möglich gewesen.

    Sämtliche Fehler, die sich jetzt noch im Text finden mögen,

    gehen ausdrücklich auf die Kappe des Autors.

    1 – Frasther

    So eine Fahrt durch den nachmittäglichen Berufsverkehr konnte einem den letzten Nerv ziehen: Jede Menge Idioten, von denen offenbar jeder einzelne seinen Führerschein in der Lotterie gewonnen hatte, stauten sich kreuz und quer durch die Stadt und verstopften auch noch sämtliche Schleichwege. Doch damit nicht genug, auch eine ungeahnte Zahl einkaufender oder ihre verwöhnten Balgen durch die Gegend chauffierender Hausfrauen mit ihren Familienkutschen sorgten für zusätzliches Chaos.

    Mit ihrer planlosen Herumkurverei hatten sie Frasther* in den etwa zwanzig Minuten, die er jetzt unterwegs war, bereits bis an die Grenze zur Weißglut getrieben. Hardrock dröhnte aus den Lautsprechern, während er seinen Jeep im Schneckentempo durch den Stau manövrierte und die ganze Welt verfluchte.

    Frasther Hauinger war ein großer, stämmiger Kerl; ein mächtiger Seehundschnauzer zierte seine Oberlippe, unter seinem dunkelblauen Schildkäppi mit dem Schriftzug einer Bierbrauerei kamen etwa schulterlange, dunkelblonde und nicht besonders gepflegte Haare zum Vorschein. Unter seinem nur bis zur Brust zugeknöpften Holzfällerhemd war ein zerschlissenes schwarzes Leiberl* zu sehen, als Beinkleid trug er Jeans und seine Füße steckten in Bikerstiefeln.

    Er war in einer Arbeitersiedlung am Rande der Stadt als jüngerer von zwei Brüdern aufgewachsen; sein Vater Frastgar hatte seinen Lebensunterhalt als Fernfahrer verdient, seine Mutter Trudhild hatte als Putzfrau das Ihre beigetragen. Von seinem Vater hatte er gelernt, wie man mit Werkzeug umging, sich gegen einen Rabauken zur Wehr setzte und wie man Schmäh* führte; von seiner Mutter wie man sich den Arsch abwischte, die Schuhe band und sich eine Packerlsuppe zubereitete. Da beide Geschlechtern entstammten, in denen seit Generationen rot gewählt wurde, hatte er auch ein gewisses, dem entsprechendes Gedankengut eingepflanzt bekommen. So war er stolz darauf, ausländische Freunde zu haben – im Gegensatz zu dem meisten modernen Proleten, deren Denken meist eher faulig-braun angehaucht war.

    Seinen um acht Jahre älteren Bruder Raufgar kannte er kaum – man traf sich mehr durch Zufall so ein, zwei Mal im Jahr, meist auf einem Fußballplatz. Der Penner war in des Vaters Fußstapfen gestiegen und tuckerte fast das ganze Jahr über mit seinem Sattelschlepper kreuz und quer durch Europa. Raufgar hatte auch bereits mit zweiundzwanzig Jahren eine Familie gegründet. Mehr oder weniger unbeabsichtigt zwar – das erste Kind war definitiv ein Moment der Schwäche im Suff gewesen, in dem Raufgar sich gedacht hatte, es würde auch mit „rechtzeitig herausziehen" als Verhütungsmethode funktionieren – doch die Rechnung war ihm neun Monate später präsentiert worden, und er war bis zum heutigen Tag mit dem Abzahlen beschäftigt. Kind zwei und drei hatte er dann vermutlich aus Resignation recht flott hinterhergeschoben und sich dann auf Schulden eine große Eigentumswohnung gekauft. Dieser Idiot.

    Frasther selbst war dieser ganze Mist zum Glück erspart geblieben; er hatte noch nie viel mit dem normalen Ablauf eines Arbeiterlebens anfangen können, hatte immer schon fix gewusst, dass er nicht tagein, tagaus dasselbe machen wollte.

    So hatte er sich schon sehr früh um Alternativen umgesehen: Fußball war keine Option gewesen. Er war zwar in seiner Kindheit und Jugend als beinharter Verteidiger gefürchtet gewesen, hatte jedoch ab dem Alter von etwa fünfzehn nicht mehr die Disziplin aufgebracht, dreimal die Woche zum Training und jedes Wochenende zu einem Spiel zu erscheinen. Und schon gar nicht, nachdem er die Freuden des Alkohols für sich entdeckt hatte.

    So hatte er sich aufs Boxen verlegt, wobei ihm seine physischen Voraussetzungen sehr entgegen-gekommen waren. Bereits bei seinem ersten boxschulinternen Probekampf hatte er einen gleichaltrigen Kerl, der dort schon vier Jahre trainierte, übel verdroschen und sich so durch seinen kompromisslos aggressiven Kampfstil schnell einen Ruf als knallharter Prügler erworben. Doch auch dieser Versuch, ohne Lohnsklaverei ein Auskommen zu finden, war den Bach runtergegangen, denn bei seinem ersten echten Amateurkampf hatte er einen wirklichen Brocken zu knacken bekommen, einen Kerl der ihm technisch und konditionell eindeutig überlegen war. Doch Frasther hatte die Zähne zusammengebissen, etliche Runden lang alle Schläge dieses Kerls geschluckt und all seine Kraft und Entschlossenheit in die Waagschale geworfen. Als er den Kerl dann das erste Mal auf den Brettern hatte, war sein Instinkt mit ihm durchgegangen er hatte begonnen auf den Kerl einzutreten. Es waren der Ringrichter und mehrere Typen aus der Ecke nötig gewesen um Frasther davon abzuhalten, seinem Gegner die Eingeweide aus dem Leib zu treten. Dabei hatte er doch nur das gemacht, was er seine ganze Kindheit und Jugend lang bei unzähligen Prügeleien gelernt hatte: Wenn du einen gefährlichen Gegner erstmal am Boden hast, sorge dafür, dass er ja nicht mehr aufsteht. Reiner Überlebensinstinkt, das Gesetz der Straße eben.

    Die Sesselfurzer vom Boxverein hatten das jedoch nicht nachvollziehen können und ihn zur Strafe für ein halbes Jahr gesperrt. Als Reaktion darauf hatte Frasther diesem Scheißverein erzürnt den Rücken gekehrt und sich nie wieder dort blicken lassen.

    Daraufhin war er dann bald mit den örtlichen Halbweltgrößen zusammengekommen, denen seine Talente nicht verborgen geblieben waren. Er wurde ganz anständig dafür bezahlt, dass er bei Veranstaltungen wie zum Beispiel illegalen Pokerturnieren entweder Schmiere stand oder für Ordnung unter den Zuschauern sorgte. Oder dafür, dass er gewisse Geschäftsleute, die glaubten, ohne den Schutz der ortsansässigen Halbweltler auszukommen, aufgesucht und auf seine eigene Art daran erinnert hatte, Schutzgeld zu zahlen wäre doch eine vernünftige Alternative dazu, so einen wie ihn jede Woche im Haus zu haben.

    Vor etlichen Jahren war dann so etwas wie ein kleiner Privatkrieg zwischen einigen rivalisierenden „Organisationen", wie sich die Gauneria der Stadt selbstbewusst nannte, ausgebrochen. Frasther war damals abwechselnd von den verschiedenen Kampfparteien engagiert worden, um jeweils irgendwelche Typen von der anderen Clique weichzuklopfen. Dummerweise hatten die verschiedenen, kriegführenden Clans samt und sonders nur Typen aus der Umgebung angeheuert, die sich untereinander gut kannten und kein besonderes Interesse daran hegten, sich gegenseitig fertigzumachen.

    Weiters hatten sich die einzelnen Möchtegern-Bosse untereinander niemals wirklich einigen können, wer denn nun mit wem zusammen Krieg gegen wen führte und wer überhaupt bei den diversen, eilig geschmiedeten Allianzen das Oberkommando hatte; so war recht schnell ein ziemliches Durcheinander entstanden. Das führte soweit, dass zum Beispiel Schlawinski, der Zocker, Frasther und noch zwei Typen anheuerte, um „mal die Truppe vom Joe so richtig aufzumischen, dass von dort ja kein Quah-Ruf mehr kommt".

    Die Truppe vom Nadelstreif-Joe bestand zu der Zeit gerade aus Frasthers bestem Kumpel Garstmuth und zwei weiteren Jungs, ebenfalls alle miteinander vertraut, teilweise aus Schulhof- und teilweise aus Jugendknastzeiten. So hatte man sich auf neutralem Boden getroffen, anstatt sich jedoch gegenseitig in die Schnauze zu hauen, hatte man miteinander zwei Tage und Nächte lang durchgefeiert und einen Großteil des Soldes versoffen. Daraufhin war die Gangster-Fehde mehr oder weniger im Sande verlaufen, was jedoch nicht bedeutete, dass es nicht gelegentliche Scharmützel gegeben hätte.

    Und so hatte Frasther seitdem ein geruhsames Säuferleben geführt, mal hier und mal da ein bisschen Kohle rangeschafft und in den Tag – oder besser in die Nacht – hineingelebt. Tagsüber pflegte er zu schlafen, nachts war in den Spelunken der Stadt unterwegs, wie sich das für einen ordentlichen Mann gehörte.

    Aktuell war er jedoch wieder mal vollkommen abgebrannt – nur deshalb quälte er sich mit seinem Jeep durch den Verkehr, immer noch schwer gezeichnet von den Ausschweifungen der vergangenen Nacht. Seine rotgeäderten Augen starrten habichtsgleich auf das Verkehrschaos vor ihm. Konnte denn nicht ein verdammtes einziges Mal eine Straße frei sein, wenn er es mal eilig hatte? Als dann kurz vor 'Charley’s Kneipe' auch noch eine Gruppe Schüler vor ihm auf einen Zebrastreifen trat und ihn so zu einer Notbremsung nötigte, war es mit seiner Geduld eh schon fast vorbei: Laut hupend und gestikulierend scheuchte er die Schüler weiter – und es war deren Glück, dass sie sich gleich tummelten, anstatt ihn noch weiter zu provozieren, denn in Gedanken hatte er sich bereits mit dem Wagenheber auf diese Teppichratten eindreschen gesehen.

    Autofahren war eigentlich etwas, das er liebte – aber nicht so! Die Straße hatte frei zu sein, so dass ein Mann mit seinem Jeep selbigen auch in Ruhe ausfahren konnte und sich nicht um lästige Fußgänger, Radfahrer, bedacht tuckernde Rentner oder planlos durch die Gegend kurvende Weiber zu kümmern brauchte.

    Frasthers Jeep ging ihm über alles; er hatte ihn vor einigen Jahren erstanden, nach der Geschichte mit dem Bandenkrieg, als er gerade Geld im Überfluss gehabt hatte. Der Motor war anständig hochgetunt und so konnte es das monströse Gerät problemlos auch mit einem Sportflitzer aufnehmen – die waren zwar meistens in der Beschleunigung etwas besser, doch in der Endgeschwindigkeit konnte er immer noch einem Großteil von denen den Finger zeigen. Da musste schon eine ganz anständig getunte Karre daherkommen, um ihn versägen zu können.

    Der Jeep war auch das Einzige, dem Frasther mit endloser Geduld große Aufmerksamkeit und liebevolle Pflege angedeihen ließ. Oft fuhr er damit durch die Waschstraße und ließ nachpolieren; innen schaute es dann schon mehr nach dem Besitzer aus, die Sitze waren voller eingetockneter Essens-, Bier- und Spermaflecken, der Aschenbecher quoll über und Unmengen von Hardrock-Kassetten lagen herum. Weiters lagen überall verstreut Kleidungsstücke, ein Paar Ersatzschuhe und jede Menge zerknautschter, leerer Tschickschachteln* herum. Äußerlich jedoch glänzte und funkelte der Jeep, dass es eine wahre Freude war.

    Schließlich hatte er, nachdem er die letzten Meter vor Zorn kochend hinter sich gebracht hatte, seinen Jeep geparkt, den Hardrock-Sound abgestellt und polternden Schrittes 'Charley’s Kneipe' betreten. Ärgerlich trat Frasther an den Tresen und grunzte den Barkeeper an, der etwa drei Schritte entfernt gerade zwei andere Gäste bediente. Es stand wieder diese trübe Tasse von Aushilfe hinter dem Tresen – leider nicht Charley selber, der ja ein fähiger Barkeeper war.

    Würde er sich halt ein Bier zwischen die Kiemen jagen, während er auf den Bertl warten musste. Immer dasselbe Theater, wenn man mal ein bisschen Geld braucht, dachte er missmutig bei sich. Und dieser elende Barkeeper hatte es auch noch nicht fertiggebracht, seinen Arsch herzubewegen und ihm ein Bier hinzustellen – Frasther spürte, wie ihm heiß wurde vor Zorn. Doch eben als er sich zu seiner gut eintrainierten Bedrohungs-Pose aufplustern wollte, bequemte sich der Barmann endlich dazu, den Zapfhahn zu bedienen und ihn unsicher anzulächeln. Frasther beließ es deswegen bei einem warnenden Blick.

    Die Kneipe war wie üblich mit den immergleichen Leuten gefüllt, die sich in Kneipen, die 'Charley’s Kneipe' oder so ähnlich hießen, herumtrieben – Handwerker, die sich nach der Arbeit ein Bier oder deren mehrere hinter die Binde gossen, einige pensionierte Schwerarbeiter, die sich mit Kartenspiel und Alkohol die Zeit vertrieben, die paar nicht wegzudenkenden Langzeitarbeitslosen, die dem Staat immerhin noch nützlich waren, indem sie einen Großteil der Sozialhilfe, die sie empfangen hatten, in Form von Getränkesteuer wieder sogleich in den Staatshaushalt rücküberführten und die paar üblichen billigen Dorfschlampen, die in solch’ „edlen" Etablissements nach potentiellen Kunden Ausschau zu halten pflegten.

    Nur Bertl, diese Ratte, schien nicht anwesend zu sein. Frasther besah sich das Publikum nochmals, konnte jedoch nirgends die verschlagene Frettchen-Visage dieses Kerls erblicken.

    Der Barmann war schon ziemlich weit mit dem Bier, fast fertig sozusagen, nur schien er sich mit dem Schaum diesmal wirklich außerordentliche Mühe geben zu wollen – und ein guter Schaum dauert nun mal seine Zeit. Missmutig grunzte Frasther vor sich hin. Da legte sich ihm von hinten patschend eine Hand auf seine Schulter.

    Das konnte zweierlei bedeuten: Entweder die Klaue eines Feindes, die sich von hinten in seine Schulter krallt, um ihm den Garaus zu machen – Wahrscheinlichkeit hier vor diesem Publikum, in dieser Lokalität, sehr gering. Oder ein etwas plumper Annäherungsversuch von jemandem, der ihn offenbar nicht besonders gut kannte – Wahrscheinlichkeit eher hoch. Es gab noch die winzige Chance einer dritten Variante – aber, nein, der Bertl war nicht groß und schwer genug, als dass diese Pratze ihm hätte gehören können. Diese drei Wahrscheinlichkeiten rechnete Frasthers Großhirn blitzartig durch, entschied sich für Variante zwei und leitete bei seinem Körper die entsprechende Reaktion ein.

    Mit einer schnellen Drehung fuhr er den Ellbogen aus und donnerte ihn dorthin, wo er das Kinn des potentiellen Angreifers vermutete. Der Ellbogen landete genau im Ziel. Heftig polterte es, als der große, schwere Proletenkörper, niedergestreckt von Frasthers Hieb, rückwärts zu Boden taumelte. Da eben wurde Frasther bewusst, daß er den Typen kannte, schon mal mit ihm zusammen irgendwo etwas geschluckt hatte oder so. Aber jetzt war er schon dran, deshalb trat er dem Kerl gleich noch ein paarmal heftig in die Rippen.

    „Mir klopft keiner von hinten auf die Schulter, dass das klar ist!", brüllte er den sich unter heftigen Schmerzen windenden Proleten an. Dann drehte er sich zur Theke um und bemerkte dort den Barista, der vor Schreck wie angewurzelt mit seinem Bier in der Hand dastand. Wortlos tippte Frasther energisch mit dem Zeigefinger auf die Bar, woraufhin sich der Heini hinter der Schank beeilte, ihm das Bier hinzustellen.

    Aus Richtung der Toiletten waren einige spitze Schreie zu hören, draußen fuhr laut jaulend ein Einsatzfahrzeug vorbei. Das Gemurmel, das durch den dumpfen Aufprall des eben niedergestreckten Riesenochsen kurz erstorben war, schwoll langsam wieder an. Eine der jüngeren Dorfschlampen strahlte Frasther bewundernd an, drei alte Bsuff*, die an ihrem Tisch schon seit den Morgenstunden ihre Bier zuzelten*, begannen sich laut lachend darüber zu unterhalten, wie lächerlich der große Klops doch ausgesehen habe, als er zu Boden ging.

    Frasther ergiff sein Bier und nahm einen tiefen, durstigen Zug, den er mit einem saftigen Rülpser aus voller Brust abrundete. Irgendwo ein paar Blöcke weiter hörte man ein lautes Scheppern, als sich offenbar die Blechbüchsen von zwei Idioten, die nicht Autofahren konnten, ineinander verkeilten. Der große, blade* Prolet wand sich immer noch jammernd am Boden. Langsam trat einer seiner Kollegen schüchtern an den Niedergeschlagenen heran, Frasther fest im Auge behaltend, und begann ihm aufzuhelfen.

    Im Scheißhaus wurden die Schreie spitzer, und ein Kerl röhrte seinen Begattungsschrei. Dann wurde es ruhig, man hörte eine Frauenstimme Geld zählen; die Scheißhaustür wurde entriegelt und ein zufrieden grinsender Bertl schritt heraus.

    Der Bsuffowetsch Bertl war etwa Mitte, Ende vierzig, durchschnittlich groß und in einen abgetragen wirkenden, dunkelbeigen Anzug ohne Krawatte gekleidet. Seine Füße steckten in Schlüpfern aus Straußenlederimitat, ein ordentlicher Bierbauch zierte seine Leibesmitte, seine Vollglatze war von einem spärlichen, schwarzen Haarkranz umgeben und auf seiner Oberlippe trug er einen dünnen, schwarzer Schnurrbart, der seinem verschlagenen Frettchengesicht mit den aufmerksam blickenden Hyänenaugen noch den letzten, gierigen Schliff verlieh.

    Bertl war einer der örtlich ansässigen Kleinganoven, vermittelte alle möglichen Händel, verkaufte unter der Hand Wertsachen zweifelhafter Herkunft, hatte seine Finger bei illegalen Glücksspielen drin und trieb auch zusammen mit ein paar anderen Typen seines Schlages bei etlichen Läden im Viertel Schutzgebühren ein. Wenn es Schwierigkeiten gab, engagierten die Jungs im Normalfall so jemanden wie Frasther, um die grobe Arbeit zu verrichten.

    Von der Scheißhaustür aus erblickte Bertl den sich gerade langsam wieder aufrichtenden Mastochsen von einem Proleten, und seine Miene erhellte sich. Zielsicher steuerte auf die Bar, an der Frasther saß, zu.

    „Einfach unverwechselbar, man weiß immer sofort Bescheid, wenn du in der Nähe bist, Frasther." Bertl ließ sich auf den Barhocker daneben nieder und deutete nach einem Bier.

    „Was für eine Hackn* hast du und was krieg ich dafür?", fackelte Frasther nicht lange herum.

    Bertl steckte sich betont langsam einen Tschick an – mit einem Streichholz, das war so ein Tick von ihm – und sah sich nach seinem Bier um. „Wie lang dauert denn das noch?"

    Der Barkeeper zog ob Bertls scharfem Tonfall hündisch den Kopf ein und versuchte den Anschein zu erwecken, als ob er sich beeilen würde. Frasther grunzte ungeduldig, nahm noch einen ordentlichen Schluck und stellte das leere Bierglas mit lautem Knall auf die Theke zurück – der Barista blickte kurz auf und nickte, den Kopf immer noch zwischen den Schultern, Frasther verstehend zu.

    „So, dann zum Geschäft, oder?", wandte Bertl sich Frasther zu, der sich nun ebenfalls einen Tschick ansteckte.

    „Wie du sicher weißt, haben wir uns jetzt die längste Zeit ruhig verhalten und sind dem Handel nicht zu sehr auf die Pelle gerückt…"

    „Erspar mir das Gelaber!, unterbrach Frasther schroff. „Sag mir nur, wer Probleme macht und wo ich denjenigen finde! Er hatte wirklich keine Lust darauf, sich nach den Ärgernissen der vergangenen Stunden jetzt auch noch dieses wichtigtuerische Gefasel anzuhören.

    „Na, bist du drauf, Frasther – ganz ruhig. Nix Fresse polieren, diesmal läuft es etwas anders. Die 'Plaudertasche', der Kuppler-Laden gleich neben der Schule, und die Näherei vom Stoffner, unten am Hafen – die Besitzer dieser beiden Betriebe sind auf einmal nicht mehr gewillt, Schutzgebühren zu entrichten, du kennst ja das Prozedere. Aber nicht zu arg verprügeln, klar?"

    Bertl ließ diesen Satz erstmal auf Frasther einwirken und griff nach seinem Bier, das der Barkeeper eben neben ihm auf der Theke geparkt hatte. Frasther tat das Gleiche, die beiden stießen an und sahen sich dabei scharf in die Augen, wie das nach alter Süffel*-Sitte Brauch ist.

    Nachdem sie beide einen anständigen Schluck genommen hatten, fragte Frasther nach: „Was soll das heißen, nicht zu arg verprügeln? Soll ich ihnen Witze erzählen, bis sie vor Lachen Krämpfe kriegen?"

    „Natürlich schadet es nicht, wenn du sie auch wenig herumschubst, solltest du sie gerade in die Finger bekommen – allerdings nicht allzu grob, sie sollten keinen wirklichen Schaden nehmen, dafür wird man dich nicht bezahlen, klar? Der Bertl kratzte sich nachdenklich an seiner hohen Stirn. „Sieh mal, Frasther, die Sache ist die: Das sind die Besitzer kleiner Eigenbau-Betriebe, die sie entweder selbst aufgebaut oder vererbt bekommen haben; diese kleinen Scheißläden sind der einzige Lebensinhalt dieser Idioten. Nur da kannst du ihnen wirklich weh tun. Mach Kleinholz aus dem Inventar, schlag die Schaufenster ein, pöble die Kunden an, verscheuch die Lieferanten, scheiß ihnen von mir aus in den Briefkasten! Aber brich ihnen keine Knochen oder sowas, denn das führt nur dazu, dass die ewig in irgendeinem Krankenhaus herumlungern und zum Schluss nicht da sind, wenn unser Kassier vorbeikommt und sie an unseren Rund-um-die-Uhr-Schutz-Service erinnert.

    Frasther nahm gleich noch einen tiefen Zug aus dem Bierglas und rülpste hörbar. „Die 'Plaudertasche', das ist doch ganz hier in der Nähe, oder? Zwei, drei Blocks weg von hier, nicht?" Er nahm einen ordentlichen Zug vom Tschick, während er Bertl mit fragendem Blick taxierte.

    Bertl nickte bedächtig. „Naja, eher vier, fünf Blocks, aber ja, wieso?"

    Frasther war bereits aufgestanden. Den Tschick lässig im Mundwinkel baumelnd, schärfte er dem Bertl ein: „Du passt auf dieses Bier hier auf, dass es der Arsch da, er deutete auf den Barkeeper, „nicht wegräumt oder irgendein Bsuff es mir wegsäuft, klar? Ich bin in ein paar Minuten wieder da!

    Und ohne dass der etwas verdutzte Bertl auch nur die Zeit zu einer Entgegnung gehabt hätte, drehte Frasther sich um und stakste davon in Richtung Parkplatz. Dort standen ein paar Jugendliche mit Skateboards unterm Arm um seinen Jeep herum, offenbar das kraftstrotzende, mit vielerlei Spoilern, Aufklebern, Chromfelgen und ähnlichem Tamtam verzierte Gefährt bewundernd. Frasther packte denjenigen, der ihm als erster im Weg stand, an dessen schlabbrigem T-Shirt und riss ihn zur Seite.

    „Weg da von meinem Einsatzfahrzeug, ihr Rotznasen!", und schon saß er im Pilotensitz und ließ das V8-Getriebe und den Hardrock aufheulen.

    Als er den Rückwärtgang hineinrammte, um sich mit einem wilden 90-Grad-Dreher auf die Straße zu katapultieren, sah er wie ihm einer der Skater den Mittelfinger zeigte. Augenblicklich stieg Frasther in die Eisen, kuppelte aus und blickte kurz auf den Baseballschläger, den er sich für solche Fälle immer griffbereit gelegt hatte. Aber nein, für ein paar freche Kinder brauchte er den nicht. Als er die Fahrertür öffnete, flog ihm ein Stein entgegen. Das war nun wirklich zuviel.

    Mit lautem Gebrüll setzte Frasther den in alle Richtungen davonstiebenden Jugendlichen nach. Blitzartig entschied er sich dafür, den zwei größten und am schwerfälligsten wirkenden Mistratten nachzusetzen, die sich ihre Flucht ganz offensichtlich auch noch durch das Tragen ihrer Skateboards erschwerten.

    Wenige Schritte später waren sie in Reichweite. Frasther fällte den Ersten durch einen gezielten Tritt in die Kniekehlen, den Zweiten erwischte er an der lockeren Windjacke, die der Kerl trug. Mit eisernem Griff wirbelte er das Bürschchen herum und dessen Schreckensschrei verstummte jäh, als Frasthers flache Hand klatschend an seiner Wange landete. Frasther watschte ihm gleich links und rechts noch eine, schon ging der Junge heulend zu Boden.

    Jugendliche waren oftmals etwas schwer von Begriff und man musste ihnen schon sehr eindrücklich klar machen, dass mit einem nicht zu spaßen war. Sonst merkten sie es sich nie, das wusste er aus seiner eigenen Zeit als Rotzaffe* noch ganz genau. Er drehte sich zu dem Ersten um, den er erwischt hatte und sah, dass dieser gerade probierte, humpelnd das Weite zu suchen.

    „Damit habt ihr wohl nicht gerechnet, was, dass ihr hier jemanden trefft, der sich eure Faxen nicht so ohne weiteres gefallen lässt?!?"

    Frasthers Pranke landete auf dem Rücken des Skaterleins, das augenblicklich vornüber sackte und mit dem Gesicht in einer Drecklache landete. Frasther setzte dem Kerl seinen Bikerstiefel auf den Hinterkopf – sanft genug, um ihn nicht ernsthaft zu verletzten, doch fest genug um ihn einige ordentliche Schlucke Brackwasser schlucken zu lassen.

    „In Zukunft werdet ihr euch überlegen, wem ihr den Finger zeigt und wem nicht, ihr verzogenen Saubalgen*, ist das klar!?!"

    Der Junge in der Dreckslache prustete und gab gurgelnde Geräusche von sich. Er schien verstanden zu haben. Frasther nahm seinen Fuß weg und machte sich, ein munteres Liedchen pfeifend, auf den Weg zurück zum Jeep.

    Zwei Minuten später war er quietschenden Reifens unterwegs in Richtung Schule. Besser gesagt in Richtung 'Plaudertasche', die ja gleich gegenüber der Schule lag. Das Intermezzo mit den Rotzaffen hatte ihn wertvolle Minuten gekostet – sein Bier, das im Moment hoffentlich von Bertl bewacht wurde, drohte abzustehen.

    „Wenn ich vor dieser Schule noch mehr von der Sorte treffe, passiert wirklich ein Unglück", knurrte er vor sich hin.

    Er parkte direkt auf dem Zebrastreifen vor der Schule und stieg aus. Quer über der Straße war ein freundlich-elegant dekorierter Eingang zu sehen, über dem dem eine unaufdringliche Leuchtschrift prangte: 'Plaudertasche'. Und klein stand darunter: „Eintritt ab 18".

    Ein ganz so harmloses Café, wie es den Anschein erweckte, war das nämlich nicht; hier wurde gekuppelt was das Zeug hielt und es gab auch Gerüchte über nächtliche Swinger-Partys – Frasther war das jedoch einerlei. Solange sie brav ihre Schutzgelder zahlten, konnten sie da drin auch Atomwaffen bauen. Wenn er jedoch engagiert wurde, um die Zahlungsmoral der Betreiber ein bisschen nachzujustieren, dann sollten die ihn nicht so schnell vergessen.

    Doch noch während er auf sich auf den Weg machte, wurde er aus seinen Gedanken gerissen. „Junger Mann, Sie können doch dieses Riesenauto nicht einfach auf dem Gehsteig stehen lassen…?", drang die zaghafte Stimme einer schon etwas ältlich wirkenden Dame, die einen Kinderwagen vor sich herschob, an sein Ohr.

    „Was?", drehte er sich zu der Oma um. In Gedanken war er schon einen Schritt weiter gewesen und hatte sich überlegt, ob er eigentlich etwas sagen wollte oder ob er nur reingehen und Taten sprechen lassen sollte. Da kam ihm diese Unterbrechung seines Denkvorgangs durch diese alte Schachtel etwa so gelegen wie ein Geschwür an der Eichel.

    „Na, das ist doch Ihr Auto da, dieses Riesending? Das können Sie doch nicht einfach so auf einem Zebrastreifen abstellen, noch dazu direkt vor einer Schule!", herrschte ihn die Frau, nun in ziemlich selbstsicheren Tonfall, an.

    Frasther presste die Lippen zusammen; war die Alte etwa verrückt geworden? „Was geht's dich vertrocknete Schrumpel an, wo ich mein Auto parke? Und was verdammt nochmal gibt dir das Recht, dich überhaupt in meine Angelegenheiten einzumischen? Du bist doch eh nicht motorisiert unterwegs, also kann dir das sowieso komplett wurscht sein! Oder hat diese Hosenscheißerkutsche etwa einen Turbolader irgendwo zwischen den Rädern versteckt, den ich übersehen habe?" Mit diesen Worten drehte er sich um und machte Anstalten, seines Weges zu gehen.

    Doch die Oma hielt ihn am Jackenärmel fest. „Sie werden zuerst dieses Auto auf einen regulären Parkplatz stellen, da bestehe ich drauf!", befahl sie ihm. Frasther glaubte, im falschen Film zu sein – die hielt ihn doch tatsächlich fest! Er nahm ihre Hand und drehte sie sanft weg.

    „Lassen Sie meine Hand los, SOFORT!", fauchte die Alte ihn an. Die Fingernägel ihrer freien Hand gruben sich in Frasthers Oberarm.

    Die wollte also kämpfen – konnte sie haben, dachte er sich. Er benutzte nun ebenfalls seine freie Hand, um ihr eine zu scheuern – eh eine leichte, dachte er sich, doch sie fiel um, wie vom Blitz getroffen und begann augenblicklich, Zeter und Mordio zu kreischen. Doch er hatte jetzt wirklich keine Zeit für solche sentimentalen Spielchen, immerhin hatte er noch etwas zu erledigen. Vor allem wartete sein Bier noch in 'Charley's Kneipe' auf ihn und drohte weiterhin abzustehen. Nichts hasste Frasther mehr als den Geschmack von abgestandenem Bier.

    Er packte den Kinderwagen, zog ihn mit sich in die Mitte der Straße und stieß ihn dann kraftvoll den Mittelstreifen entlang in Richtung des dichten Verkehrs. Kreischend und zeternd erhob sich die Alte, plötzlich fit wie der junge Frühling, und rannte, panische Laute ausstoßend, hinter dem Kinderwagen her.

    „Wusst' ich doch, die macht nur Theater", murmelte Frasther. Wahrscheinlich war ihr nur langweilig und deshalb pöbelte sie anständige Leute an. Die Opfer der modernen Gesellschaft – so übersättigt vom Konsum, dass sie sich unbewusst Extremerlebnisse verschaffen müssen, um ihrem tristen Alltag zu entfliehen. Nun, das hatte sie jetzt ja. Derart in Gedanken versunken, machte Frasther sich wieder auf den Weg über die Straße, in Richtung dieses verdammten Bumscafés.

    Weil er dramatische Auftritte liebte, postierte er sich vor der Tür und schickte sich an, dreimal mächtig dagegenzuklopfen. So im Gevatter-Tod-Stil, das kam immer gut – Unheil verheißendes Klopfen. Doch die Tür machte ihm einen Strich durch die Rechnung, indem sie bereits beim ersten Klopfen gleich leicht aufschwang. Frasther stutzte und trat die Tür mit seinem Stiefel ganz auf. Das Café war eines dieser widerlichen, modern eingerichteten Dinger: überall bunte Girlanden und Tischdeckchen, moderne Designermöbel – die Art Stühle, die unter dem Gewicht eines anständigen Mannes zusammenzubrechen pflegten und die man bei Wirtshausraufereien kaum verwenden konnte, weil sie so schnell kaputt gingen. Es standen Glaskaraffen herum, jede Menge Dekorationselemente und an einer Wand war sogar ein Aquarium mit teuer aussehenden, bunten Fischen drin. Er ging etwas auf das Aquarium zu und besah es sich genauer; versuchte, in etwa die Wassermenge zu errechnen, die sich ergießen würde, sollte er sich zu drastischen Maßnahmen gezwungen sehen. Ein Erfahrungswert, er hatte sich bei einer ähnlichen Aktion schon einmal sozusagen übel selber nassgemacht.

    Da immer noch niemand erschien, beschloss er, erst einmal auf sich aufmerksam zu machen. Zu diesem Zweck schnappte er sich einen der Tische, hob ihn hoch, so dass der Dekorationsmist auf den Boden schepperte – wunderte sich wie leicht das Ding war – und warf ihn mit Wucht in Richtung ein paar anderer Tische. Es gab ein Riesengepolter, hübsche kleine Blumenväschen und filigrane hölzerne Menükartenhalter wurden unter dem Anprall zermalmt.

    Von hinten im Laden hörte er jetzt eine Stimme rufen: „Was, um Gottes Willen…?" und Schritte, die sich rasch näherten.

    Frasther packte einen weiteren Tisch und warf ihn hinterher auf den Trümmerhaufen, den er eben geschaffen hatte.

    „Jesses, was machen Sie denn da?", ein atemloser Zwerg mit Glatze und schmierigem Gesichtsausdruck erschien, eine fette, blasse Frau in einer lächerlichen Rüschenschürze klammerte sich an seinem Arm fest.

    „Bist du der Chef von dem Laden?, knurrte Frasther den Kerl an. Der Kleine nickte atemlos, er und sein Frauchen schienen in einer Art Schockstarre gefangen. Frasther ging auf die beiden zu und baute sich drohend vor ihnen auf. „Du willst also den netten Herrn Krautlinger kein Geld mehr für die Sicherheit eures Puffs geben?!?, fragte er, übertrieben laut.

    „Das ist doch kein Puff hier…, begann sein Gegenüber, doch Frasther schnitt ihm das Wort ab. „Mir wurscht, was das hier ist! Ohren auf Empfang, Kollege!, brüllte er. „Ich erklär' dir jetzt mal, warum es durchaus sinnvoll ist, wenn du 'n bisschen Geld für die Sicherheit deines Puffs ausgibst. Weil, wenn du das nicht tust, dann kommt so'n munterer Geselle wie ich vorbei und macht sowas!" Mit diesen Worten schnappte Frasther sich eines der großen Blumendinger aus Porzellan, die überall herumstanden und schmetterte das Ding mit Schwung auf den wüsten Haufen zersplitterten Holzes, den er bereits angerichtet hatte. Es krachte gewaltig, als das schwere Gefäß zerbrach. Trümmer flogen in alle Richtungen, das Geschepper war vermutlich noch drei Blocks weiter zu hören.

    „Hören Sie doch auf!, rief der kahlköpfige Zwerg. „Sie machen unsere Existenz kaputt! Die Frau an seiner Schulter schluchzte hemmungslos.

    Frasther deutete auf die angerichtete Verwüstung. „Ganz genau, Meister. Drum sag' ich ja: Du solltest dir deine Sicherheit ruhig etwas wert sein lassen", erklärte er.

    Der Gartenzwerg warf der an seiner Schulter heulenden Frau einen ärgerlichen Seitenblick zu: „Siehst du, ich hab' doch gesagt, das bringt nur Ärger, wenn wir dem Krautlinger kein Geld mehr geben…"

    Die Alte wimmerte daraufhin noch eine Oktave höher; Frasther gewann den Eindruck, dass wohl sie auf die glorreiche Idee gekommen war, den Kassier von Bertls „Konsortium unverrichteter Dinge wieder davonzuschicken. „Ärger bringt's nicht ins Haus – aber dafür mich!, trompetete er zur Bestätigung.

    „Wi… wieviel wollen Sie?", stotterte der alte glatzerte Zwerg, dessen Hemd an der Schulter inzwischen schon ordentlich eingenässt war.

    „Ich nehm' an* Hunderter dafür, dass ich hier rausgeh', ohne noch mehr kaputtzuhauen – und dein heiliges Ehrenwort, dass du schön brav bist, wenn der Krautlinger das nächste Mal hier bei dir auftaucht!"

    Der Kahle nickte beflissen und kramte in seinen Hosentaschen, doch Frasther erhob den Zeigefinger vor seiner Nase und schärfte ihm ein: „Sollt' ich irgendwelche Klagen hören, mein Freund, dann komm' ich wieder vorbei. Und wenn ich nochmal vorbeikomm', geht’s hier zu, dass der Irakkrieg dagegen wie ein Kindergeburtstag wirkt – verstehst du mich?"

    „Ich versprech's, Sie werden keine Klagen hören", murmelte der Kerl zerknirscht und drückte Frasther zwei Fünfziger in die Hand.

    2 – Der Prag-Luis

    Mit einer anständigen 180-Grad-Drehung parkte Frasther den Jeep einige Minuten später wieder vor 'Charley's Kneipe' ein. Sein Blick fiel auf die Uhr, als er kraftvoll an der Handbremse rupfte. Nun gut, grantelte er in sich hinein, ich hab’ doch fast eine Dreiviertelstunde gebraucht. Das Bier würde inzwischen wohl doch abgestanden sein. Wieso hatte er es eigentlich nicht einfach ex genommen, bevor er schnell diesen Auftrag erledigte? Unzufrieden mit sich selbst trat er die Eingangstür auf.

    Bertl saß noch wie angewurzelt auf seinem Barhocker – genau wie Frasther ihn zurückgelassen hatte – und hatte sich in sein Bierglas verkrallt.

    Doch auf dem Barhocker neben ihm, also auf Frasthers Barhocker, da saß jetzt plötzlich einer. Frasther erblickte etwas dickes Weißes mit pomadisierten, schwarzen Locken: Der Prag-Luis hatte es gewagt, sich auf seinen Barhocker zu setzen! Dafür knuffte ihn Frasther jetzt ordentlich in die schwabbelige Seite. „Servus, Luis, alter Prager. Darf man das, auf anderer Leute Barhocker sitzen?"

    Der Prag-Luis war Anfang vierzig, ein bisschen kleiner als Frasther, jedoch mindestens doppelt so breit. Weiße Schlüpfer – anders als beim Bertl aus echtem Straußenleder, nicht aus Imitat – weißer Anzug, der zwar teuer aussah und auch sehr gut geschnitten war, jedoch trotzdem die schwabbelige Masse von Prag-Luis’ Körper nicht besonders zu kaschieren vermochte. Die Charakteristik seines Gesichts wurde bestimmt von einem dünnen, elegant geschwungenen Oberlippenbart, umrahmt von zwei mächtigen Pausbacken, auf denen meist Schweiß glitzerte. Das dichte, schwarze Haar trug er als mit extrem viel Pomade zurechtgeformte Tolle, er stank meterweit nach entweder ebendieser Pomade, teurem Parfüm oder beidem.

    Der Prag-Luis wand sich kurz unter Frasthers Hieb, holte Luft und erwiderte: „Servus, Frasther, sei nicht immer gleich so verdammt grob. Ich hab' dir nur einen Gefallen getan und deinen Platz besetzt, weil der Bertl ja eh weder Muh noch Mäh macht, wenn sich da einer hinsetzt. Dem ist doch das wurscht, ob du noch einen Platz zum Sitzen hast oder nicht, wenn du zurückkommst – aber der Luis, der schaut auf dich!"

    Beifallheischend lächelnd für diese gar schleimige Rede erhob sich der Prag-Luis und überließ den Barhocker schulterklopfend Frasther. Aha, dachte Frasther still bei sich, der hat irgendwas, der Schleimscheißer. Der Prag-Luis hieß deshalb Prag-Luis, weil er sich in seinen ganz jungen Jahren, unmittelbar nach der Öffnung des eisernen Vorhangs, einige Jahre lang in Prag herumgetrieben hatte. Damals hatte das kein Mensch mitbekommen, erst als er schon über ein halbes Jahr weg gewesen war, hatten einige Leute bemerkt, dass der Kerl auf einmal fehlte.

    Offenbar hatte der Prag-Luis aber ein gutes Händchen fürs Geschäft gehabt. Zu Hause war er ein Niemand gewesen, doch als er einige Jahre später plötzlich wieder aufgetaucht war, hatte er etwa fünfzig Kilo zugelegt und sich ein dickes Konto angeschafft gehabt.

    Wie es schien hatte er in Prag eine halbwegs funktionierende Model-Agentur hochgezogen gehabt; in Wirklichkeit war die Model-Agentur natürlich nur Tarnung für eine Begleitagentur mit eindeutig körperbetontem Service gewesen. Zu der Zeit war die Nachfrage für frisches Ost-Fleisch noch sehr hoch gewesen, doch die Zeiten hatten sich geändert.

    Auf jeden Fall hatte er sich sauber angepisst gefühlt, als sich der Osten auf einmal in den Westen verwandelt hatte und praktisch über Nacht die ganzen Weiber abgewandert waren, um sich selbständig zu machen. Also hatte er den Kram hingeschmissen und war mit einigen ihm treu ergebenen Weibern wieder zu seinen Wurzeln zurückgekehrt, hatte sich mit den paar anderen Strizzis* arrangiert und war so mit den Jahren, während die meisten anderen seines Schlages im Knast gelandet oder weggestorben waren, beinahe zu sowas wie der Nummer Eins aufgestiegen.

    Jetzt herrschte er schon seit längerer Zeit praktisch allein über die Staßen der Vorstadt; die Innenstadt teilten sich Don Renato und der Nadelstreif-Joe, die Randsiedlungen gehörten Schlawinski, dem Zocker, und im Hafenviertel passte der Bauchstich-Wiggerl auf seine Weiber auf.

    Mit den ersten dreien pflegte der Prag-Luis ein nicht gerade kollegiales, aber doch ungezwungenes Verhältnis – man ignorierte sich, so gut es eben ging – und was am Hafen abging, interessierte niemanden, da die Klientel dort zu oft Stunk machte und zu wenig Bares liegen ließ.

    „Weißt, du, Frasther, ich hab' noch etwas für dich getan, trötete der Prag-Luis fröhlich weiter. „Ich hab' dein halb abgestandenes Bier ausgesoffen, weil ich so einen verdammten Durscht gehabt hab', als ich reingekommen bin. Aber ich hab' dir dafür ein nigelnagelneues Bier bestellt! Während der Barista ein frisches Bier vor Frasther auf dem Tresen anpflanzte, strahlte der Prag-Luis wie ein gönnerhafter Schokoladenonkel und haspelte weiter: „Schau, schau da kommt es schon – das Bier! Was sagst zum Luis, nun?" Er grinste übers ganze Gesicht.

    „Hör' mal, ich werd’ dir jetzt was Wichtiges sagen, Luis, setzte Frasther zu einigen erläuterndem Worten an, „wenn du mir mein Bier wegtrinkst, dann ist es schwer im Interesse deiner Gesundheit, dass du mir so flott wie möglich ein Neues bestellst. Denn wenn's ums Bier geht, hört bei mir der Spaß auf!

    Dann krallte er sich das Glas, das der Barmann eben hingestellt hatte, prostete nur kurz und knapp in die Allgemeinheit hinein und nahm einen ordentlichen Schluck. Hat sich ja doch noch in Wohlgefallen aufgelöst, das Problem mit dem abgestandenen Bier, dachte er bei sich.

    „Zum Wohl, Frasther – Prost! Lass es dir schmecken!", seierte der Prag-Luis weiter.

    „Schon gut, Luis, aber lass mich jetzt mal kurz mit Bertl reden… Er drehte dem Prag-Luis den Rücken zu, um sich vor Bertl aufzubauen. „Also, Bertl, die 'Plaudertasche' wär’ schon mal erledigt. Um diese Näherei kümmer' ich mich auch heute oder spätestens morgen noch, aber ich brauch' dringend irgendwie ein paar Kröten in meinem Klingelbeutel… Stimmte auch; der Hunderter, den er von dem kleinen Kerl in der 'Plaudertasche' hatte, reichte gerade mal für die Erstversorgung.

    „Schon gut, schon gut!, hob Bertl gleich beschwichtigend die Hand. „Frasther, du weißt, wir sind schon länger gute Geschäftspartner und bisher ist immer noch alles gerade abgelaufen zwischen uns. Also schlag' ich vor, ich zahl' dir jetzt gleich für beide Aufträge, sozusagen als Zeichen des guten Vertrauens, oder wie man da sagt, und du erledigst einfach den Rest innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden, dann sind wir alle glücklich. Na, wie klingt das?

    „Klingt super, ja, würd’ ich sofort machen, wenn ich an deiner Stelle wär', mischte sich von hinten der Prag-Luis wieder ins Geschehen ein, „denn weißt du, Frasther, ich hätt' da auch noch etwas, wobei ich dich brauchen würde…

    „Ah so?", wunderte Frasther sich.

    „Ja, hör zu: Da gibt's so eine Gruppe Typen, keine Ahnung wo die herkommen, aus dem Osten wahrscheinlich, die verschrecken mir meine Mädels und das ist gar nicht gut fürs Geschäft…"

    „Mit dem Typen aus dem Osten solltest du dich doch auskennen, möchte man meinen?", wunderte sich Frasther.

    „Ich war vorher da, Frasther, zuerst solltest du unseren Auftrag erledigen…", keifte der Bertl.

    „Ja, Luis, wandte sich Frasther an den Störenfried. „Jetzt erledige ich erst den Mist mit dieser Näherei und danach kannst du mir mit deinem Mist kommen. Kann ja schließlich nicht alles gleichzeitig machen. Der Prag-Luis zuckte zusammen und wurde zornesrot, wagte es jedoch nicht mehr, die beiden noch einmal zu unterbrechen.

    „Wir sind uns einig, Bertl, also her mit der Marie!", kam Frasther auf seinen rattengesichtigen Auftraggeber zurück. Und Bertl zählte ihm einen anständigen Batzen Bares auf die offene Pranke. Zwei flotte Scheine*, für jeden Auftrag einen. Als das Geld gezählt war, wandten sich die Beiden wieder dem Prag-Luis zu.

    Der hatte bereits darauf gewartet, endlich seine Geschichte anbringen zu können. „Also, Frasther, wie ich schon sagte, da machen sich ein paar Typen breit, die mir die Geschäfte vermiesen…", fiel er gleich wieder jammernd über Frasther her.

    „Luis, mit dem geschäftlichen Blabla kannst du deine Alte daheim langweilen, sag mir nur, was, verdammt nochmal, du von mir willst!", stellte Frasther dem Prag-Luis die Ansprache ein.

    „Ich brauch’ einen Bodyguard, Frasther! Und ich bin bereit, mir deine Dienste einiges kosten zu lassen!", trompetete der Prag-Luis.

    Nach einigen zähen Minuten des Verhandelns war man sich einig: 500 Eier pro Tag für Frasther, 1000 extra je nachdem wieviele Widrigkeiten der Auftrag mit sich bringen würde. Und kulanterweise erklärte sich der Prag-Luis auch noch bereit, mit Bertl und Frasther ein wenig auf Tour zu gehen; er musste sowieso seine Katzen auf der Straße kontrollieren, dabei würde sich garantiert auch noch ein Würschtlstand* finden, wo man sich ja schnell was in die Figur hauen konnte.

    Dass er eigentlich einen Kohldampf hatte wie ein ausgehungerter, sibirischer Wolf, wurde Frasther erst bewusst, nachdem der Luis das Wort Würschtlstand ausgesprochen hatte.

    Wenige Minuten später lungerten Frasther und Bertl im Fond von Prag-Luis’ weißem Benz. Die Karre war ein Oldtimer, ein alter 530 SL aus den 70er Jahren, der zwar schon bessere Zeiten erlebt hatte, aber trotzdem optisch immer noch ganz ordentlich was hermachte. Auf Frasthers Anraten hin gab der Luis kräftig Gas und steuerte die Karre mit Höchstgeschwindigkeit zum nächsten Schnellimbiss. Es war inzwischen Nacht geworden, die Dunkelheit hatte die Abenddämmerung schon beinahe komplett verschluckt. Wie jede Nacht, begannen Jugendbanden die Straßen zu bevölkern und marodierten, mit Wodkaflaschen bewaffnet, laut grölend durch die Gegend, traten Mülleimer um und hauten alles mögliche kaputt. Der abendliche Berufsverkehr kam langsam zum Erliegen. Für die echten Nachtschwärmer war es jedoch noch zu früh, also waren auch noch nicht so viele Bullen auf der Straße; diesen Umstand nutzten die „Gangs" – wie sich die Rotznasen nannten – um sich für zwei, drei Stunden aufzuführen wie eine Barbarenhorde. Endlich parkte der Luis seinen Benz an einer Imbissbude.

    „Ein Bier, Pommes und eine anständige Rote mit radikal viel Senf drauf!", bestellte Frasther vollmundig über die Köpfe der Menschenmenge hinweg, die in der Schlange warteten.

    Ganze Scharen von Jugendlichen hatten hier einen Zwischenstopp eingelegt, um sich ein paar ordentliche Kalorien in die Figur zu massieren; auch von den obligaten Würschtlstand-Süffeln standen zwei herum, ließen sich volllaufen und glotzten gelangweilt durch die Gegend. Einige Köpfe drehten sich erschrocken um; eben als die Mutigeren der Wartenden sich gefasst hatten um aufzubegehren, wurden sie auch schon von Frasthers Ellbogen zur Seite gerempelt. Bertl bestellte sich das Gleiche, nur der Prag-Luis verzichtete auf das Bier zugunsten von drei Kaffees mit Milch und doppelt Zucker, statt der Wurscht bestellte er sich einen Mega-XL-Burger mit extra Mayo.

    Einen der Jugendlichen, der versuchte sich seinen Platz zurück zu errempeln, packte Frasther am Schlafittl, schüttelte ihn ordentlich durch und beförderte ihn dann mit einem kräftigen Schubser meterweit fort. Der Kerl in der Imbissbude beeilte sich, ihnen ihre Wünsche zu erfüllen; der Prag-Luis wedelte mit dicken Scheinen herum und Frasther und Bertl hielten die empörte Menge von überrumpelten Kunden mit aggressiver Körpersprache und blutrünstigen Blicken in Schach.

    So fanden sie sich schon kurze Zeit später schlingend an einem der Stehtischchen wieder. Bertl biss in seine Wurscht, Frasther schaufelte mit beiden Händen die Pommes in sich hinein und spülte sie mit großen Schlucken Bier hinunter und der Prag-Luis hielt nach dem halben Mega-XL-Hamburger inne, um einen Kaffee aus dem Pappbecher zu trinken.

    „Jetzt weiß ich schon, warum du so fett bist, Luis – bei dem vielen Zucker, den du dir in den Kaffee schüttest, da könntst' mich auch schon rollen. Zum Glück trink' ich soviel Bier, dass ich praktisch nie Lust auf süßen Dreck hab'!" Herzhaft biss Frasther in seine senfgetunkte Wurscht, das Fett spritze nur so nach allen Seiten davon. Einige schwer zu übersehende Spritzer landeten auf Prag-Luis' weißem Seidenhemd, genau unterhalb der goldenen Halskettchen.

    Der Luis nahm einen Schluck von seinem Kaffee, Bertl nickte zustimmend und meinte: „Du bist schon eine brutal fette Sau, Luis. Solltest mal abnehmen. Ist ja klar bei deinem Gewicht, dass dir jeder dahergelaufene Ost-Strizzi den Arsch versohlen möchte, die nehmen so einen Schwabbel wie dich einfach nicht ernst."

    „Weißt', Bertl, eigentlich kann es dir scheißegal sein, und wenn ich eine halbe Tonne wiege…"

    Weiter kam der Luis nicht, denn Bertl fiel ihm stürmisch ins Wort: „Jetzt sei doch nicht gleich angepisst, verdammt! Ich geb' ja nur zu bedenken, dass dein Wanst vielleicht der Grund dafür sein könnt', warum die Typen es ausgerechnet auf deine Mädels abgesehen ham'! Aber du jammerst und nörgelst hier rum, nur weil es zufälligerweise was damit zu tun hat, dass du fett bist! Statt dass du froh wärst, dass dir jemand das Problem auf den Punkt bringt!" Beleidigt stopfte Bertl sich eine Handvoll Fritten in den Mund.

    Frasther nickte kauend und murmelte: „Da könnt' er Recht haben."

    Bevor der Luis, dessen Gesicht bereits wieder rot anlief, etwas entgegnen konnte, wurden sie jedoch unterbrochen; die Jugendlichen schienen eine Revolte anzetteln zu wollen. „Fresst euch nur an, ihr ekligen Verbrechertypen, ich hoff', euch bleibt allen der Bissen im Hals stecken!", fauchte eine etwa sechzehnjährige Grunge-Göre sie an. Sie warf ihnen allen dreien einen giftigen Blick zu, schnappte sich ihren Burger und verschwand. Im Hintergrund begannen die abgetakelten Süffel, erwartungsvoll zu grinsen – die erhofften sich wohl eine Show.

    Ein paar Pommes kamen von irgendwoher geflogen und hinterließen weitere Flecken auf Prag-Luis' Seidenhemd, genau neben den Flecken, welche die Spritzer von Frasthers Wurst dort hinterlassen hatten. Frasther blickte auf. Etwa sieben, acht blutjunge Gesichter, Mädels und Burschen, blickten sie wachsam und zornerfüllt an. Den Pommeswerfer konnte er nicht ausmachen.

    „Wenn ihr nicht sofort Ruhe gebt, zieh' ich euch die Ohren lang!", drohte der Bertl den Rotzaffen.

    Frasther war froh, dass Bertl das Reden übernahm; er hatte den Mund voll, so ließ es sich nicht gerade besonders effektiv drohen. Einige Kaubewegungen lang blieb alles friedlich, dann landete ein Pappbecher mit klebrig aussehendem, gelblich gefärbtem Zuckerwasser mitten auf dem Tisch. Der Inhalt schwappte über und spritzte auf die Umstehenden, wobei der Bertl am meisten abbekam.

    Diesmal war der Prag-Luis, der seinen Mega-XL-Hamburger in bestaunenswertem Tempo verdrückt hatte, schneller als der noch wiederkäuende Frasther und der noch immer an seinen Fritten zuzelnde Bertl. Mit drei schnellen Schritten war er bei den Kindern und zog dem Ersten von ihnen einen glänzenden Gegenstand über den Kopf. Es folgte das vernehmliche Krachen der Schädeldecke, als besagter Gegenstand auf dem Kopf des Jungen auftraf. Die anderen Jugendlichen jagten in alle Himmelsrichtungen hinfort, doch der Luis bekam noch eines der Mädchen zu fassen. Er hielt die Göre an ihrer übergroßen Wolljacke fest und zog ihr denselben Gegenstand – welcher sich jetzt, als Frasther und Bertl genauer hinsahen, als Puffn* entpuppte – mit ordentlicher Wucht quer über ihr Gesicht. Das Mädchen sackte zusammen, der Prag-Luis riss sie am Ärmel mit hinter die Würstelbude und verstaute dabei seine Puffn wieder im Jackett.

    „Gar nicht mal so schlecht für so 'ne fette Sau wie mich, was?, schnaufte er. „Ja, da schaut ihr blöd, was der gute Luis noch draufhat, was? Er lachte laut auf und warf das Mädchen wie einen nassen Sack irgendwo hinter der Imbissbude auf den Boden.

    Frasther hob kurz die Augenbrauen, spülte den letzten Schluck der Mahlzeit mit einem ordentlichen Schluck Bier hinunter, zündete sich einen Tschick an und sog den Rauch tief in sich hinein, während er den Prag-Luis dabei beobachtete, wie dieser sich mit eifrigen Bewegungen die Hose aufknüpfte. „Der scheißt sich nicht grad viel, der Luis, was?, sagte er zu Bertl, der nun auch den letzten Bissen hinunterschluckte. „Schnupft sich diese Rotzgöre einfach da hinter dieser Siffbude, wo nachts immer die Besoffenen hinkotzen und -pissen, kommentierte er den Vorgang amüsiert.

    „Kann uns wurscht sein, Frasther. Aber der Luis, der sieht halt nicht nur so aus, sondern wälzt sich auch gern im Dreck wie eine Sau!", analysierte der Bertl. Beide lachten dröhnend über diesen Spruch, während die von Prag-Luis' fleischiger Pranke erstickten Hilfeschreie des Mädchens im Dunkel der Nacht immer mehr in ein leises, leidendes Gewinsel übergingen.

    Einen Tschick später war der Prag-Luis fertig; sie stiegen wieder in den Benz ein und fuhren los.

    „Scheiße, jetzt hab' ich vergessen, mir ein Bier für unterwegs mitzunehmen!", stellte Frasther schon nach einigen Metern fest.

    Also überredete er den Prag-Luis, an einer Tankstelle einen Boxenstopp einzulegen, denn ihn dürstete schon wieder. Bei der Gelegenheit deckte sich Bertl auch gleich noch mit einem Vorrat an Tschicks ein, denn die Nacht versprach, lang zu werden. Frisch bevorratet fuhren sie dann weiter. Der Prag-Luis erzählte von einem scharfen, neuen Schuppen in der Nähe der Autobahnauffahrt; es könne nicht schaden, dort mal hinzusehen, meinte er. Dabei schüttete er Instantkaffee in sich hinein und rauchte einen Tschick nach dem anderen.

    Plötzlich schrie er auf: „Da! Da vorn, seht ihr das?" Er deutete wild auf einen Benz ähnlicher Bauart wie sein eigener.

    „'n Auto, klar", sagte Bertl mit wenig Enthusiasmus.

    „Das ist einer von den Kerlen, ich kenn' die Karre!" Der Prag-Luis japste nach Luft und griff nach seiner Puffn.

    „Scheinen alle Strizzis dieselbe Vorliebe für solche Autos zu haben", murmelte Bertl.

    „Lass die Puffn stecken und konzentrier dich aufs Fahren, Mann!", befahl Frasther.

    „Soll ich ihn abdrängen, damit wir ihn zur Rede stellen können, was meinst?", fragte der Prag-Luis, der bereits heftig zu schwitzen und zu schnauben begann.

    „Nein, warte doch erstmal ein bisschen und lass uns schauen, wo er hinfährt…", schlug Bertl vor. Frasther überlegte kurz und fand nichts Falsches an der Idee.

    „Ich glaub', der hat uns eh schon bemerkt", sagte Bertl wieder.

    „Scheiße, Scheiße, Scheiße…", fluchte der Prag-Luis vor sich hin.

    „Wie kommst’n da drauf?", fragte Frasther, der soeben mit zusammengekniffenen Augen versuchte, das Nummernschild zu erkennen.

    „Vielleicht, weil sich grad das Beifahrerfenster öffnet und irgend so ein Wichser sich bereit macht, eine Knarre auf uns zu richten", sagte der Bertl in einem seltsamen, fragenden Tonfall, der gar nicht zur Situation passte. Da wurde es plötzlich hektisch in der Karre. Der Prag-Luis schaltete einen Gang zurück und ließ den Motor aufheulen.

    „Von mir aus, du Arschloch!, kreischte er. „Du oder ich, wir werden sehen!

    Frasther verließ den Beifahrersitz und wand sich eiligst auf die Rückbank, auf den Platz hinter dem Prag-Luis. Aus dem Augenwinkel heraus stellte er fest, dass Bertl plötzlich ebenfalls wie aus dem Nichts heraus eine Puffn hervorgezaubert hatte. Nein – er blickte ein zweites Mal hin – das war keine Puffn, das war schon eher eine Krachn*, korrigierte er sich. Zeitgleich verfluchte er sich dafür, keine Knarre, ja nicht einmal seinen Baseballschläger dabei zu haben.

    Es war klar, der Prag-Luis hatte Blut gewittert und würde jetzt versuchen, die Karre des Kerls zu rammen. Er beschleunigte noch immer, als es plötzlich draußen knallte. Ein Schuss. Frasther verkroch sich hinter dem Fahrersitz und zog die Rübe ein. Auf einmal hatte er überhaupt nichts mehr dran auszusetzen, dass der Prag-Luis so eine fette Sau war. Zumindest würde er so einen guten Kugelfang abgeben.

    Bertl, der ebenfalls auf Tauchstation war, kurbelte das Fenster herunter und entsicherte fluchend seine Krachn. Sie wurden in der Karre hin- und hergeschleudert. Da gab es einen sehr, sehr kräftigen Aufprall. Frasther spürte, wie seine Eingeweide durchgeschüttelt wurden; das Knirschen von Metall zerrte am Nervenkostüm. Die Karre schlitterte, doch offensichtlich schaffte es der Luis, sie unter Kontrolle zu halten. Den Bertl hatte es beinahe um einen Meter versetzt, er sass mit der linken Arschbacke fast auf Frasthers Schoß.

    „Ramm ihn mit der Schnauze, verdammt, oder willst' mich umbringen!", schrie er. Schien ihm nicht zu gefallen, dass der Prag-Luis die Seite, auf der Bertl saß, zum Rammen benutzte.

    Da knallte es wieder von draußen, während beide Autos immer noch in rasender Fahrt unterwegs waren.

    „Nun schieß endlich zurück, verdammt!", brüllte Frasther Bertl an.

    Bertl hob die Krachn und feuerte zum Fenster hinaus. Noch während er schoss, steuerte der Prag-Luis den Benz erneut mit einem halsbrecherischen Manöver auf das gegnerische Fahrzeug zu. Diesmal war der Aufprall endlich kräftig genug, um die beiden Autos heftig ins Schleudern zu bringen. Bertl schoss abermals auf den anthrazitfarbenen Benz, der hinter ihnen zurückfiel. Pulvergestank machte sich im Wageninneren breit und die Lichter der Straße tanzten wie irr, gebrochen durch die verspiegelten Scheiben des Wagens. Mühsam fing der Prag-Luis die schwere Karre ab, dabei keuchte und schnaubte er wie ein Schwerarbeiter.

    Dann stieg er in die Eisen und riss zusätzlich die Handbremse, so fest er nur konnte, nach oben. Sekundenbruchteile später krachte der andere Wagen hinten drauf. Frasther und Bertl wurden nach vorne katapultiert, Frasther landete mit seiner Fresse in der pomadisierten Haarpracht vom Prag-Luis. Bertl hatte sich, als es ihn über die Lehne des Beifahrersitzes geschleudert hatte, zu allem Unglück auch noch mit seiner eigenen Krachn ins Bein geschossen. Laut Gott verfluchend lag er zusammengekrümmt auf dem Beifahrersitz und hielt sich die Wunde.

    „Raus hier, Luis, und zwar schnell!", schrie Frasther und schubste den fetten Kerl Richtung Tür. Der Prag-Luis drückte mit seinem Gewicht die Tür auf und ließ sich hinausrollen. Frasther folgte ihm behende, obwohl ihm der Kopf dröhnte und er am liebsten gekotzt hätte wegen des Geschmacks von Pomade und Prag-Luis in seinem Gesicht. Doch seine Sinne waren nun auf Jagd- und Kampfmodus umgeschaltet und so wandte er sich sofort dem Schrotthaufen zu, der ihnen hinten draufgeknallt war.

    Dass der Fahrer sich das Genick gebrochen hatte, sah man auf den ersten Blick, so unnatürlich war dessen Körperhaltung. Tja, Gurte retten Leben, dachte sich Frasther. Auf der Beifahrerseite jedoch, da rührte sich noch etwas. Frasther schlich, geduckt wie ein Panther, in einem Bogen um die Karre herum und vergaß dabei nicht, vorsichtig in den Fond zu äugen.

    Der Prag-Luis näherte sich mit erhobener Puffn von vorn. Ruckartig öffnete Frasther die Beifahrertür und ließ seine Faust aufs Geratewohl mit maximaler Schubkraft hineindonnern, dorthin, wo er den Kopf vermutete. Anhand des Widerstandes, den er auf diesen Schlag hin spürte, konnte er genau errechnen, dass der Beifahrer entweder betäubt oder sowieso schon halbtot gewesen sein musste, noch bevor er ihn überhaupt getroffen hatte.

    Jetzt war lediglich noch ein Röcheln, das sich schon sehr nach Abgang anhörte, zu vernehmen. Da hallten auf einmal Schüsse von der anderen Seite des Autos. Frasther zuckte kurz zusammen, sah dann aber, dass der Prag-Luis offenbar nur dabei war, auf Nummer Sicher zu gehen. Als er mit dem Fahrer fertig war, kam er um das Auto herum und pumpte den Beifahrer auch noch voll Blei.

    „Schätze, wir werden uns ein Taxi bestellen müssen, Luis. Mit den Schrotthaufen hier, er deutete auf die beiden ineinander verkeilten Totalschäden, „ist jedenfalls garantiert nicht mehr zu fahren.

    „Und was machen wir mit Bertl?", fragte Luis.

    Bertl wand sich immer noch wie ein entzweigehackter Regenwurm auf dem Sitz, hielt sich die Wunde und stieß Verwünschungen aus. Frasther überlegte kurz; wieso musste immer er die schwierigen Entscheidungen treffen, verdammt?

    „Dem bestellen wir auch ein Taxi", entschied er. Der Prag-Luis zückte das Handy.

    Während sie auf die Taxis warteten, verstaute Frasther die beiden erschossenen Typen irgendwie so in ihrer Karre, dass sie von außen nicht auf den ersten Blick zu entdecken waren. Dann ließ er sein Feuerzeug aufschnappen und hielt es an den Auspuff, aus dem ohnehin schon ein dünnes Rinnsal herauströpfelte. Der Luis schleppte derweil den laut zeternden und wehklagenden Bertl aus der Gefahrenzone. Das Benzin entflammte, bald stand die Karre lichterloh in Flammen. Als das erste Taxi kam, luden sie den Bertl ein und wiesen den Fahrer an, ihn ins Krankenhaus bringen.

    „Wenn sie blöd fragen, sagst du einfach, wie es wirklich war: Du hast mit der Knarre rumgefummelt und dabei hat sich aus Versehen ein Schuss gelöst", instruierte ihn der Prag-Luis zum Abschied. Selbstverständlich würde der Luis ihm die Behandlungskosten und sonstigen Verdienstentgang im Zuge seiner erlittenen Verletzung ersetzen; vorausgesetzt natürlich, der Bertl würde ihn – den Luis – und Frasther bei eventuellen Nachfragen von Ärzten, Bullen et cetera vergessen, zu erwähnen.

    Die befremdeten Blicke des Taxi-Chauffeurs wurden ebenfalls mit einem saftigen Trinkgeld aus Luis' Geldbörse in desinteressierte Blicke verwandelt. Da kam auch schon das zweite Taxi herangebraust. Der Fahrer zuckte ob der Szenerie mit den beiden ineinander verkeilten Schrotthaufen mit keiner Wimper, sondern hielt gleich die Hand auf. „Wo soll's denn hingehen?"

    Der Prag-Luis packte dem Kerl einige Scheine in die gierige Klaue und nannte seine Adresse. Gerade als sie wegfuhren, schepperte es gewaltig, als einer der Schrotthaufen hochging.

    „Was waren das für Typen, zum Geier? Die haben's ja richtig ernst gemeint…?", begann Frasther den Prag-Luis zu löchern, nun, da sie endlich in Ruhe Gelegenheit hatten, um zu reden.

    „Irgendwelche Albaner oder Armenier oder sowas, Russen vielleicht…"

    „Was? Du legst dich mit der Ost-Mafia an?", fuhr Frasther auf.

    „Tu’ ich gar nicht, aber diese Schweine erschrecken mir die Mädels und vergraulen die Kundschaft, das kann ich nicht zulassen."

    „Aber du hättest mir verdammt nochmal sagen können, mit wem du dich da eingelassen hast!Ich dachte, es handelt sich wieder um eines der üblichen Geplänkel mit Don Renato oder einem der anderen Schwachköpfe!", schnaubte Frasther.

    „Du hast klipp und klar gesagt, ich soll dich nicht mit den Details langweilen, dich interessiert nur, was dabei herausspringt! Ich wollt’s dir ja noch erklären, aber du hast mich einfach unterbrochen!", verteidigte sich der Luis.

    Frasther fiel ein, dass das stimmte und so ließ er den Luis in Ruhe mit dem Thema. „Wo fahren wir denn hin?"

    „Ich fahr' jetzt erstmal nach Hause und erhol’ mich von der ganzen Scheiße. Muss noch ein paar Telefonate erledigen, wegen den Schrotthaufen da hinten und ich brauch auch ‘ne neue Karre. Hab' ich eh in der Garage stehen, aber ich muss sie halt holen gehen. Du kommst mit – ich hab' eine Menge Gästezimmer, kannst in einem davon schlafen… "

    „Nicht dein Ernst, Luis. Das läuft nicht, ich hab' noch 'ne Menge Zeugs zu erledigen. Du wirst diese Nacht schon noch ohne mich zurechtkommen müssen. Ich mach dir ‘n Vorschlag: Ich spür' dich morgen Abend irgendwo auf und ab da kann ich dir dann den Gorilla machen. Bis dahin könntest du für die Aktion grad vorhin allerdings schon mal etwas rüberwachsen lassen."

    Der Prag-Luis dachte kurz nach, wischte sich mit einem weißen Tuch den Schweiß von der Stirn und zückte dann sein Portemonnaie. „Ich geb' dir zwei große Scheine, einen für die Aktion vorhin und einen so als Anzahlung. Aber was soll das heißen, du spürst mich morgen Abend wo auf?"

    „Erstens weiß ich, wo du deine Weiber rumstehen hast und zweitens ist deine Ersatzkarre sicher auch so’n auffälliges weißes Teil. Also find' ich dich locker – dass du mir halt nicht gleich rumzuballern anfängst, wenn dir irgendwo 'n großer aufgemotzter Jeep über'n Weg fährt."

    Der Prag-Luis machte große Augen und hielt Frasther die Kohle hin.

    Nachdem sie den Prag-Luis an der Einfahrt zu seiner Villa abgeliefert hatten, ließ sich Frasther vom Taxler erst noch zu einer Tanke chauffieren, um sich mit einem Sechserträger und zwei Schachteln Tschick auszustatten, bevor er sich nach Hause bringen ließ.

    3 – Delongiert

    Frasther wohnte in einer heruntergekommenen Industriegegend, das Stadtbild wurde von stillgelegten Fabriken und aufgelassenen Nahversorgern geprägt. Seine Bude befand sich in einem ehemaligen Arbeiterwohnheim, das sich ein Immobilienriese einverleibt und das ganze Gebäude dann in winzige Appartements unterteilt hatte. Eigentlich waren Studenten, Künstler und ähnliche Leute als Mieter angedacht gewesen, doch da mit den Fabriken auch die ganze Infrastruktur der Umgebung vor die Hunde gegangen war, hatte sich in der Gegend nur zwielichtiges Gesindel angemietet. Die einst schicken Yuppie-Appartements waren schnell heruntergewohnt worden und schon nach wenigen Jahren wurde das ganze Viertel von allen Leuten, die nicht direkt dort wohnten, gemieden, so gut es ging.

    Frasther hatte sich damals zu einem günstigen Zeitpunkt eine der Wohnungen gekauft; bezahlt hatte er mit seinem Sold, den er für ein groß angelegtes Schmuggelgeschäft mit Baumaschinen bekommen hatte. Inzwischen wohnte er schon seit fast zehn Jahren auf den knapp vierzig heruntergekommenen Quadratmetern – wobei er ohnehin meist nur daheim war, um seinen Rausch auszuschlafen.

    Eigentlich war es ja noch viel zu früh für ihn, um nach Hause zu gehen – sogar noch vor Mitternacht – doch Aufregung hatte er für heute bereits genug gehabt, abgesehen davon brauchte er etwas Ruhe um die ganze Sache mit dem Prag-Luis ein wenig zu behirnen. Das war nicht ganz ohne, worauf sich dieser Spinner da eingelassen hatte. Frasther musste nachdenken, welche Kontakte er da wohl spielen lassen könnte, um an die Hintermänner dieser beiden Typen von heute Abend heranzukommen. Und Denken ging nun mal am einfachsten mit einem Sechserträger vor dem Fernseher.

    Als er zum Eingang seines Blocks hineinstolperte, kam ihm sein Briefkasten in den Sinn. Dort schaute er nur alle paar Wochen mal sporadisch rein, es kam eh nix außer Werbung. Er öffnete das Fach – und wurde beinahe von einer Papierlawine erschlagen. Er fluchte, bückte sich und hob das ganze Zettelzeugs auf. In buntesten Farben schillerten ihn irgendwelche Reklameflugblätter an: Kauf hier, probier davon, geh dort hin. Ihm fiel ein Prospekt von einer neuen Autowaschanlage in die Hände, ein zusammenklappbares Kuvert, das sich schwer anfühlte. Vermutlich Gratis-Tankmünzen drin, dachte er. Schnaubend machte er sich daran, das ganze Zeugs auf Stapel zu sortieren.

    Der Haufen mit dem überflüssigem Werbemist war schnell höher als alles, was er je in seinen Leben gelesen hatte zusammen, als endlich mal etwas kam, das nicht nach Werbung aussah: Ein Brief vom Amt, auf dem groß „Dritte Mahnung!" drauf stand.

    Frasther schaute auf das Absendedatum, aber da er sich nicht sicher war, welcher Tag genau war,

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