Ein Sommer vor dem Krieg
Von null Libert
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Über dieses E-Book
Es soll eine unbeschwerte Sommerreise werden, doch die politischen Realitäten lassen sich nicht verdrängen. Die Gegenwart des Sommers 1937 wird geprägt von den Jahren, die danach kommen, und die Rauchsäule am Horizont wird zur Schrift an der Wand.
In diesem Spannungsfeld suchen vier junge Menschen einen Weg für ihr privates Glück.
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Buchvorschau
Ein Sommer vor dem Krieg - null Libert
Kapitel 1
Sommer 1937
So begann der Sommer 1937:
Es herrschte Ruhe und Ordnung im Land. Im Jahr zuvor war die Welt zu Gast gewesen anlässlich der Olympischen Spiele von 1936. Das Ausland bewunderte Deutschland für die Autobahnen, die Straßen des Führers. Alle hatte Arbeit, auch die in den Lagern. Arbeit war Pflicht. Jede Opposition gegen das national-sozialistische Regime wurde im Keim erstickt. Kraft durch Freude organisierte Reisen für Hunderttausende. Für 55 Mark konnte man eine achttägige Tour mit dem Schiff zu den Norwegischen Fjorden buchen. Das Pfund ‚ff. Sauerkraut’ kostete 15 Pfennig, ein Kinobesuch 1 Mark 30. Es wurde ein Volkswagen geplant, erschwinglich für jedermann sollte er sein. Leni Riefenstahl erhielt auf der Weltausstellung in Paris für ihren Reichsparteitagsfilm Triumph des Willens eine Goldmedaille. In München wurde die Ausstellung Entartete Kunst eröffnet, mit 650 Werken verbotener und verfolgter Künstler.
Im Spanischen Bürgerkrieg stand Deutschland an der Seite General Francos, der gegen die Republik putschte. Im April 1937 bombardierten Flugzeuge der deutschen Legion Condor die katalanische Stadt Guernica. Im fernen Osten bereitete Japan den Angriff auf China vor. Bereits im Vorjahr hatte Italien die gewaltsame Annektion Abessiniens abgeschlossen.
Gottfried von Cramm erreichte zum dritten Mal in Folge das Endspiel des Tennisturniers in Wimbledon. Trotz seiner Niederlage war er der beliebteste Sportler im Land neben Max Schmeling.
Es war ein schöner Sommer in Deutschland.
Allerdings verzeichnete das jüdische Kinderheim in Wyk auf der Nordseeinsel Föhr in diesem Sommer deutlich weniger Anmeldungen als in den Jahren zuvor.
1.
Hinrich Basmann sah den jungen Engländer neugierig an.
„Sie wollen meine Tochter auf ein Schiff entführen?"
Anthony Hingley stand mit durchgedrücktem Rücken und ließ die Musterung des Hamburger Reeders über sich ergehen. „Eine Segelyacht, um genau zu sein", stellte er in makellosem Deutsch fest.
„Und der Anlass der Reise ist ...?"
„Ein Reisebericht über die deutschen Nordseeinseln. Mit dem Segelboot."
„Dafür sind Sie der richtige Mann."
Es war eine Feststellung, keine Frage. Basmann, in seiner Jugend selber ein passionierter Segler, spielte damit auf die Teilnahme des Engländers an den olympischen Segelwettbewerben des vergangenen Jahres an. Anthony Hingley war in seinem Wettbewerb Vierter geworden und nur knapp an einer Medaille vorbei gesegelt.
„Für eine englische Zeitung?" erkundigte sich der Reeder.
„Nein. Für den deutschen Rundfunk. Man wollte einen befreundeten Ausländer für diese Sache."
„Da sind Sie ja bestens geeignet. Wie ich höre, setzt sich Ihr Vater in Ihrer Heimat für gute Beziehungen zu Deutschland ein."
„Deshalb hat man mich angesprochen, bestätigte Anthony. Nach einem kurzen Zögern fügte er hinzu: „Luise und ich werden natürlich nicht allein sein. Luise wird von ihrer Freundin begleitet, Marie Appeldorn.
Er hüstelte hinter vorgehaltener Hand. „Es gibt getrennte Kabinen auf der Yacht."
Das Gespräch fand im Sommer 1937 im Salon der Basmann-Villa am Leinpfad in Hamburg statt. Die beiden Männer standen vor der Fensterfront mit Blick auf die Alster und warteten darauf, dass die Damen mit dem Tee kamen.
Hinrich Basmann unterdrückte ein Lächeln. Seine Miene blieb undurchdringlich. Er sah keinen Grund, seinen Gast schon jetzt vom Angelhaken zu nehmen. Statt dessen nickte er bedachtsam.
„Ah, ja. Die Appeldorn. Nun ja. Er ließ nicht den Eindruck aufkommen, als hätte diese Information eine beruhigende, seine Bedenken zerstreuende Wirkung. „Eine sehr selbstständige junge Dame.
Aus seinem Mund klang es nicht wie ein Lob.
„Und, fügte Anthony rasch hinzu, „der Luftfahrtattaché an der italienischen Botschaft in Berlin wird ebenfalls zu uns stoßen.
„Ah, ja! Der Luftfahrtattaché." Die Miene des Reeders hellte sich auf. Wider Willen war er beeindruckt. Luises englischer Freund, mit dem sie seit einem Jahr verbandelt war, hatte gute Kontakte. Er war bereit, dem Verhör ein Ende zu bereiten. Wenn seine Tochter sich entschlossen hatte, mit diesem jungen Mann den Sommer verbringen zu wollen, würde sie sich durch ihn nicht davon abbringen lassen.
Er setzte eine zufriedene Miene auf und nickte zustimmend.
Anthony Hingley atmete durch. Das Schlimmste schien überstanden. Seine Nervosität legte sich.
Während dessen kam es in der Küche zu einem Gespräch zwischen Mutter und Tochter:
„Du weißt, was du tust?" Zaghaft und drängend zugleich fragte es Elfriede Basmann.
Luise hätte am liebsten die Augen verdreht. Aber das hätte ihre Mutter bemerkt. Elfriede Basmann konnte sehr aufmerksam sein. Und zog schnell Schlüsse. Aus Kleinigkeiten. Nicht immer waren diese Schlüsse richtig. Manchmal aber schon. Luise wollte nicht, dass ihre Mutter jetzt den vielleicht richtigen Schluss zog. Nicht bevor sie selbst zu einem Entschluss gekommen war. Das hätte alles noch komplizierter gemacht.
Sie sah ihre Mutter aus blauen, ach so unschuldig blickenden Augen an:
„Ja, Mutter, das weiß ich genau. Tony ist ein Gentleman. Er wird nichts tun, was sich nicht gehört."
„Wenn du es sagst ..." Elfriede Basmann machte sich ihre eigenen Gedanken. Für den jungen Mann mochte das ja gelten. Was ihre Tochter anging, war sie nicht so sicher. Schließlich ‚ging’ sie seit fast einem Jahr mit dem Engländer. Was als ein Flirt am Rande der olympischen Segelwettbewerbe im vergangenen Jahr begonnen hatte – zumindest war es ihr gegenüber so dargestellt worden –, sah mittlerweile nach etwas Ernstem aus. Sie kannte ihre achtundzwanzigjährige Tochter: So unschuldig, wie die aus ihren blauen Augen schaute, war sie sicherlich nicht.
Beide verfielen in nachdenkliches Schweigen. Auch Luise fragte sich, was nach bald einem Jahr aus der Bekanntschaft mit dem schlaksigen Engländer werden sollte. Es sah so aus, als müßte sie bald eine Entscheidung fällen. Das beunruhigte sie. Im allgemeinen wusste sie genau, was sie wollte. Aber musste es gerade ein Engländer sein?
Vor einigen Tagen war sie ins Kino gegangen und hatte sich den Film ‚Die englische Heirat’ zum zweiten Mal angesehen. Renate Müller, ihre Lieblingsschauspielerin, spielte darin eine Berliner Fahrlehrerin, die sich Hals über Kopf in einen leichtlebigen englischen Lord verguckte und ihn heiratete. Anschließend musste sie sich mit der Hochnäsigkeit und abweisenden Haltung seiner adeligen Verwandtschaft herumplagen. So etwas musste sie sich wirklich nicht antun. Außerdem wollte sie in Hamburg bleiben, bei ihren Eltern.
Die Damen kamen mit Tee und Kuchen. Man setzte sich um den ovalen Tisch in der gebogenen Fensternische, an dem die Mutter regelmäßig ihre Freundinnen aus der Hamburger Gesellschaft zu Kartenspielen empfing.
„Ja, sagte Hinrich Basmann. „Luise war schon immer sehr sportlich.
Der alte Reeder genoss die Situation. Seine Tochter nervös zu sehen, war ein seltenes Vergnügen.
Mit einem Schmunzeln fügte er hinzu:
„Die Appeldorn auf dem Wasser? Kann ich mir weniger gut vorstellen."
Luise musste lachen. Das konnte sie auch nicht. Allein die Frage, welche Schuhe zu tragen waren, würde ihre Freundin vor Probleme stellen. Aber ohne Marie wollte sie nicht fahren. Allein auf einer Yacht zusammen mit Tony auf hoher See: Das hatte etwas Verlockendes. Aber auch etwas Bedrohliches. Soweit war sie noch nicht. Wobei sie das Wörtchen ‚noch’ in ihren Gedanken in Erregung versetzte. Ein Schauder lief über ihren Rücken und gelangte auf seltsamen Wegen in ihre Magengrube. Was fange ich mit diesem Engländer an, dachte sie in einer Aufwallung von Zorn.
Sie starrte auf den Kuchenteller vor ihr, mit dem nicht angerührten Stück von Mutters selbstgebackenem Butterkuchen. Sie vermied es, Anthony anzusehen, der ihr gegenüber auf der anderen Seite des Tisches saß. Ihre Mutter hatte es so arrangiert. Luise fürchtete, ihr Gesichtsausdruck würde verraten, was in ihr vorging.
Das war sonst nicht ihre Art. Sie war groß, blond, blauäugig, dickschädelig bis zur Sturheit, und sie wußte, dass sie von ihren Eltern letztlich alles bekam, was sie begehrte. Das war das Problem. Das einzige, was sie im Moment begehrte, war Tony. Sie konnte kaum an etwas anderes denken. Deshalb traute sie sich nicht, ihn anzusehen. Sie fürchtete, rot zu werden. Der Tisch war nicht breit. Er könnte auf die Idee kommen, mit dem Fuß den Kontakt mit ihr zu suchen. Panik überkam sie. Er hatte das schon einmal gemacht. Bei dem Festbankett des Yachtklubs in Kiel zu Ehren der ausländischen Olympiagäste. Da hatten sie sich gerade kennen gelernt. Und sie hatte den Fuß nicht zurück gezogen.
„Ja, Papa?" Ihr Vater hatte sie etwas gefragt.
„Ob du deinen Kursus ausfallen lassen wirst?" wiederholte der Reeder geduldig seine Frage.
„Die machen bald Ferien. Außerdem bin ich mit dem Stoff schon voraus. Ich versäume nichts." Luise besuchte seit vergangenem Herbst eine Sekretärinnenschule und beabsichtigte, nach dem Sommer im Büro ihres Vaters auszuhelfen. Sie hatte bisher keinen Beruf ausgeübt und fand es nun an der Zeit, sich allmählich ins Reedereigeschäft einzuarbeiten. Ihre Eltern wurden nicht jünger.
Was ihre Gedanken im Augenblick beschäftigte, war die Frage: Wer war der italienische Luftfahrtattaché, von dem Tony zu ihrem Vater gesprochen hatte? Hatte er den gerade erfunden? Sie konnte ihn nicht im Beisein ihrer Eltern fragen.
Die Gelegenheit ergab sich etwas später, als sie allein durch den Garten des Anwesens spazierten.
„Wer ist dieser italienische Luftfahrtattaché? fragte sie ihren Freund. „Hast du ihn dir ausgedacht?
Er hob die Schultern:
„Ich dachte, es macht sich gut. Aber es gibt ihn wirklich. Du kennst ihn! Erinnerst du dich an Licio, letztes Jahr in Kiel? Da hast du ihn kennen gelernt."
„Licio? Der kleine Italiener? Ich dachte, der wäre auch ein Segler?"
„Segeln kann er auch. Aber eigentlich ist er Flieger."
„Hm", machte Luise. Ihr Gehirn arbeitete. Die Konstellationen verschoben sich:
Sie und Marie an Bord der Segelyacht, und dazu Tony als Skipper, das war überschaubar, die Gefahr hielt sich in Grenzen. Ein zweiter Mann an Bord – das roch nach Pärchenbildung und änderte alles.
„Was hast du vor? fragte sie alarmiert. „Willst du Marie verkuppeln?
Tony blickte unschuldig. „Wenn Licio überhaupt kommt, dann kommt er später, wiegelte er ab. „Im Moment hat er reichlich zu tun mit der Vorbereitung des Mussolini-Besuches.
Die Zeitungen waren voll davon. Der Führer der italienischen Faschisten, der Duce, hatte seinen Besuch beim Führer des Deutschen Reiches angekündigt.
„Was hat ein Flieger mit Mussolini zu tun?" fragte Luise.
„Männer haben einen Beruf", erklärte Tony nachsichtig. Ein Tonfall, der Luise gar nicht gefiel.
„Du nicht", warf sie bissig ein. Sie konnte sich die Spitze nicht verkneifen. Sie merkte, dass sie gereizt war. Sie wusste nicht, warum.
Anthony zuckte mit den Achseln. Er hatte Fähigkeiten, wozu brauchte er einen Beruf? Immerhin hatte er im vergangenen Jahr bei den Wettkämpfen in Kiel beinahe eine olympische Medaille gewonnen (eine unerwartete Böe warf ihn auf den vierten Platz zurück). Außerdem sprach er mehrere Sprachen, darunter fließend Arabisch.
Und überhaupt lag es an Luise. Ohne sie wäre er längst wieder nach England zurück gekehrt und hätte eine Tätigkeit aufgenommen, wahrscheinlich im diplomatischen Dienst.
Sein Vater sah es gern, dass sein Sohn sich in Deutschland aufhielt und Verbindungen knüpfte. Sein Vater war aktives Mitglied einer prodeutschenVereinigung in Großbritannien. Tony selber betrachtete sich als eher unpolitisch. Das politische Tagesgeschäft interessierte ihn nicht. Obwohl er das, was die Deutschen gerade aufbauten, bewunderte. Es schien ihm, als kündigte sich hier eine neue Zeit an, während in seiner Heimat das Parteiengezänk und das Postengeschachere jede positive gesellschaftliche Entwicklung im Keim erstickte.
Am nächsten Tag kam Marie Appeldorn mit dem Zug aus Berlin. Luise und Anthony holten sie vom Bahnhof ab. Gemeinsam fuhr man zur Villa der Basmanns. Die Begrüßung fiel herzlich aus. Die Basmanns kannten Marie vom ersten Internatsjahr ihrer Tochter an, als sie ihre neue Freundin in den Ferien mit nach Hamburg brachte.
Es wurde Abend, bis Luise und Marie allein miteinander reden konnten. Sie hockten in Pyjamas auf dem Bett im Gästezimmer. Marie, die trotz eines