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Die Angelsächsin: 1173 n. Chr.: Historischer Roman um Ritter aus England und Frankreich im Mittelalter
Die Angelsächsin: 1173 n. Chr.: Historischer Roman um Ritter aus England und Frankreich im Mittelalter
Die Angelsächsin: 1173 n. Chr.: Historischer Roman um Ritter aus England und Frankreich im Mittelalter
eBook479 Seiten6 Stunden

Die Angelsächsin: 1173 n. Chr.: Historischer Roman um Ritter aus England und Frankreich im Mittelalter

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Über dieses E-Book

England im Jahre 1173 zur Zeit der Herrschaft von König Henry II Plantagenet, dem Vater von Richard Löwenherz:
Seit dem Sieg von Wilhelm dem Eroberer in der Schlacht von Hastings beherrschen die Normannen England. Die Stimmung zwischen den Nachfahren der normannischen Eroberer und dem angelsächsischen Volk ist gespannt, und König Henry hat seine liebe Not, die noch immer verfeindeten Völker unter einen Hut zu bringen. Zusätzlich bereitet ihm seine Familie Schwierigkeiten, denn der Thronerbe fordert einen Anteil an der Macht seines Vaters und droht mit Krieg.
Zu dieser Zeit werden König Henry aus Mittelengland Überfälle von Angelsachsen auf einen normannischen Herzog gemeldet. Eigentlich keine große Sache, trotzdem schickt König Henry vorsichtshalber zwei seiner Ritter nach England, die den Streit schlichten sollen. Kaum angekommen, finden sich die Männer unvermittelt in einer groß angelegten Intrige wieder, und die vermeintlich einfache Mission entpuppt sich als höchst gefährliches Unternehmen. Ein Bürgerkrieg zwischen Angelsachsen und Normannen scheint unausweichlich. Als dann eine junge angelsächsische Gräfin zwischen die Fronten gerät, droht die Situation vollends zu eskalieren.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum2. Sept. 2012
ISBN9783844231922
Die Angelsächsin: 1173 n. Chr.: Historischer Roman um Ritter aus England und Frankreich im Mittelalter

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    Buchvorschau

    Die Angelsächsin - Sabine Keller

    Kapitel 1

    Die blasse Frühjahrssonne fiel flach in die weitläufigen Außenanlagen der großen Festung und spiegelte sich auf den glänzenden Rüstungen erbittert kämpfender Ritter. Blitzende Lichtreflexe zuckten von den polierten Schutzpanzern über die mächtigen, unüberwindlichen Mauern und das mehrfach gesicherte Tor, vor dem das heftige Gefecht tobte. Verzerrt und unheimlich hallten die Rufe der Krieger, das helle Klirren der Schwerter und die dunkleren Geräusche der von einem Schlag getroffenen Schilde von den Burgmauern wider. Der Lärm der wilden Gefechte klang von dem steinigen, mit schütterem Gras bewachsenen Platz bis hinauf zu den Wachen hoch oben auf den Wehrgängen, die die Kämpfe aus der Vogelperspektive beobachteten.

    Hartnäckig und unbeeindruckt von kleineren Verletzungen, den ausgelösten Schmerzen und ersten Anzeichen von Erschöpfung drangen die gegnerischen Ritter immer wieder aufeinander ein, mal dicht vor dem Portal, dann in größerer Entfernung. Im Augenblick erschienen die Kräfte ausgewogen, noch gab es keine Sieger oder Unterlegene.

    Im Kampf Mann gegen Mann hatten sich Paare gebildet, die verbissene Zweikämpfe ausfochten. Mit Kettenhemd, Brustharnisch und Helm bekleidet hieben die streitenden Ritter mit aller Kraft mit ihren großen zweischneidigen Schwertern auf ihre Gegner ein, gleichzeitig bemüht, die Hiebe des Widersachers mit dem Schild abzuwehren, denn jeder direkte Treffer würde trotz Schutzkleidung böse Verletzungen zur Folge haben.

    Am Rande der Gruppe, dicht vor dem Burgtor, kämpften zwei hochgewachsene Ritter beharrlich gegeneinander. Breite Schultern und das Spiel der Muskeln an den unbedeckten Unterarmen ließen ahnen, welche Kräfte in den schlanken Kriegern stecken mussten, die unermüdlich und unter Verwendung aller ihnen bekannten Kampftechniken und Kniffen mit ihren Schwertern aufeinander einhieben. Von etwa gleicher Statur und die Gesichter unter den Helmen verborgen, waren die beiden in ihren schmucklosen und mittlerweile nicht mehr so glänzenden Rüstungen auf den ersten Blick kaum zu unterscheiden. Nur wer genauer hinsah, konnte abweichende Einzelheiten und einen geringen Größenunterschied ausmachen.

    Die Zweikämpfe vor der Festung dauerten an. Verbissen kämpfend schenkten sich die Krieger keinen Zentimeter des hart umkämpften Bodens. Einige leichte, ungefährliche Verletzungen hatten sie schon hinnehmen müssen. So langsam machte sich auch die Anstrengung bemerkbar und auf beiden Seiten wurden die Bewegungen merklich schwerfälliger, doch aufgeben kam nicht infrage, für keinen von ihnen.

    Bei den beiden Rittern am Tor hatte der etwas größere Kämpfer offenbar die bessere Ausdauer, und wie es schien, gewann er langsam die Oberhand. Er spürte die nachlassenden Kräfte seines Gegners und nutzte seine Chance sofort. Gnadenlos bestürmte er den Widersacher so heftig, dass dieser kaum standhalten konnte. Dem Bedrängten gelang es zwar, die wuchtigen Schwerthiebe mit seinem Schild abzufangen, ohne getroffen zu werden, aber er musste vor der Gewalt des Angriffs zurückweichen. Schritt für Schritt wurde er zurückgedrängt, bis er schließlich mit dem Rücken gegen die Burgmauer neben dem Portal stieß.

    So in die Enge getrieben blieb dem Ritter nur noch eines: Er musste selbst angreifen und den Kampf zu Ende bringen, solange seine Kräfte noch dazu ausreichten. Er atmete tief durch, mobilisierte seine letzten Energien und täuschte ein Ausweichmanöver zur Seite vor, um dann blitzschnell zum Gegenangriff überzugehen. Sein Schwert stach vor. Aber sein erfahrener Gegner hatte wohl schon mit einer Finte gerechnet und ließ sich nicht in die Irre führen. Seinen Schild schützend erhoben sprang er mit einer raschen Bewegung zurück und der Schwertstoß des Bedrängten glitt wirkungslos an seinem Schild ab.

    Noch aus der Abwehrbewegung heraus griff der große Krieger sofort wieder an, bestrebt, den Druck auf den müde werdenden Widersacher aufrechtzuerhalten. Diesem hatte das kurze Zurückweichen jedoch genügt, sich von der Wand abzustoßen. Er stand wieder frei und fing den Hieb des Angreifers mit seinem Schwert ab. Hell klang das Metall auf, als die Waffen aufeinanderprallten. Die Schwerter gegeneinandergedrückt und Schild an Schild rangen die Männer miteinander.

    Die Muskeln zum Zerreißen gespannt, keuchten beide vor Anstrengung. Dann sprangen sie wie auf ein geheimes Kommando auseinander und maßen sich einen Augenblick schwer atmend durch die Schlitze ihrer Helme hindurch. Sie waren inzwischen beide erschöpft, aber freiwillig würde keiner aufgeben, das war offensichtlich.

    Und schon griff der größere Kämpfer wieder an. Das Schwert erhoben, stürmte er auf seinen Gegner los, der ihn in leicht geduckter Haltung ruhig erwartete. Erst im letzten Augenblick, damit der Angreifer nicht die Möglichkeit hatte, sich auf seine Aktion einzustellen, wich der bedrängte Ritter aus und stieß gleichzeitig im Sprung mit aller Kraft seinen Schild gegen den Angreifer. Der geriet durch den unerwarteten, harten Stoß aus dem Gleichgewicht, strauchelte einige Schritte vorwärts über den unebenen Boden und stürzte schließlich. Sein Bezwinger sah sich schon als Sieger und hob das Schwert zum Hieb gegen den Gestürzten, aber er hatte sich zu früh gefreut. So einfach machte der Gegner es ihm nicht. So schnell wie es die sperrige Schutzkleidung erlaubte rollte sich der am Boden liegende Ritter herum, gegen die Beine des Kontrahenten.

    Der Kämpfer konnte nicht mehr rechtzeitig ausweichen, stolperte über den Liegenden und ging ebenfalls zu Boden. Er war sich der Gefahr, in der er sich jetzt befand, bewusst, denn sein Gegner war ein wirklich gefährlicher Mann, der eine für ihn vorteilhafte Situation zu nutzen wusste. Deshalb bemühte er sich nach seinem Sturz sofort wieder hochzukommen, aber jetzt machte sich die Erschöpfung bemerkbar und er war ein wenig zu langsam.

    Bis er sich gefangen hatte, war der andere schon auf den Beinen. Blitzschnell stellte der aufgesprungene Ritter seinen Fuß auf das Handgelenk des gefallenen Widersachers und hielt so dessen Schwerthand am Boden. Der Mann am Boden versuchte noch, seinen Schild hochzureißen, doch es war zu spät. Jetzt konnten ihm auch Kettenhemd und Panzer nicht mehr helfen. Der über ihm stehende Krieger führte mit einer weichen, fast eleganten Bewegung einen kräftigen, gezielten Stoß mit seinem Schwert gegen den Hals des Unterlegenen aus, der das Kettenhemd durchdringen würde.

    Wenn er denn wirklich zugestoßen hätte. Die Spitze berührte kaum das Kettenhemd seines Gegners, als er innehielt.

    „Ergibst du dich?", fragte er keuchend.

    „Okay, ich gebe auf! Du hast gesiegt. Wie immer, verflixt!"

    Der schlanke Krieger richtete sich auf und stieß sein Schwert zurück in die Scheide, während sich der Besiegte aufstütze und nach Luft schnappend in dieser Stellung verharrte. Der siegreiche Ritter nahm den Helm ab und fuhr sich mit den Fingern durch das verschwitzte dunkle Haar. Grinsend sah der junge Mann auf seinen bezwungenen Partner in diesem Übungskampf hinunter. Seine hellen, grauen Augen funkelten spöttisch.

    „Na, komm hoch. Oder gefällt dir die Position des Verlierers so gut?" Er beugte sich hinunter und hielt seinem Freund die Hand hin. Der Ritter griff zu und ließ sich auf die Beine helfen.

    „Du hast wieder mal gut lachen, Robert! Aber warte nur, eines Tage kriege ich dich!"

    Noch immer schnaufend nahm auch er den Helm ab. Sein sandfarbenes Haar war ebenfalls feucht vor Schweiß. Trotz der kalten Witterung an diesem Frühlingstag war ihm ordentlich warm geworden und er genoss den leichten, kühlenden Wind, der über den Platz zog. Es wurmte ihn gewaltig, dass er schon wieder eine Niederlage erlitten hatte. Aber eigentlich hatte er ja damit rechnen müssen. Sein Partner war, obwohl nur wenig älter als er selbst, einer der besten Kämpfer Englands und kaum zu schlagen.

    „Du hast gut gekämpft, Duncan, tröstete Robert seinen Freund. „Und du machst gute Fortschritte. Ich fürchte, ich bin dir nicht mehr lange überlegen.

    Die beiden jungen Männer lehnten sich erschöpft gegen die Mauer und gönnten sich ein wenig Erholung. Aufmerksam beobachteten sie von dort aus die anderen Kämpfer auf dem Platz, die, wie sie eben noch selbst, ihre Kampftechniken übten.

    „Hast du gesehen, wie geschickt Sir Gilbert dort drüben den Schlag pariert hat?" Der dunkelhaarige Ritter machte seinen Partner auf zwei der Streiter in der Mitte des Platzes aufmerksam.

    „Ja, das war genial! Den Trick hätte ich eben gut gebrauchen können. Aber das ging mir zu schnell. Weißt du, wie er das gemacht hat?"

    Sein Gegenüber nickte. „Ja, diese Technik kenne ich. Wollen wir ein wenig üben?"

    „Aber sicher, jetzt will ich es wissen!"

    Sie zogen die schützenden Helme wieder über und spielten die Bewegungsabläufe einige Male langsam durch.

    „Gut so. Mal sehen, ob du mich jetzt abwehren kannst. Pass auf, ich greife an!"

    Mit erhobenem Schwert drang Robert, noch ein wenig zurückhaltend, auf Duncan ein, der mit der noch ungewohnten Abwehrtechnik antwortete.

    „Ja, nicht schlecht. Aber du darfst mich gar nicht erst so nahe an dich herankommen lassen. Versuch es noch einmal."

    Konzentriert trainierten sie die neuen Bewegungen, bis sie durch den Ruf eines Dieners unterbrochen wurden, der sich den Kämpfern jetzt näherte.

    „Sir Duncan Belwood und Sir Robert de Tourneau! Seine Majestät, der König verlangt nach Euch!"

    Es war der erste März des Jahres 1173 und Henry II Plantagenet, König von England, hielt sich gerade mit seinem gesamten Hof in Frankreich auf, in der Grafschaft Poitou. Er befand sich in seinen gut geheizten Privatgemächern und stritt sich wieder einmal mit seiner Frau, Königin Eleanor.

    „Ich habe dieses ewige Herumgereise satt!, fuhr die Königin ihren Gemahl an. „Du bist der König von England, nicht von Frankreich! Was sollen wir hier in Vigeois? Warum können wir nicht endlich nach England zurückkehren und dort bleiben? Die Festung von Westminster wäre ein durchaus angemessener fester Wohnsitz für den Hof.

    „Als ob du nicht ganz genau wüsstest, warum, gab Henry II genervt zurück. Er verdrehte die Augen. Schon wieder diese nutzlose Diskussion! „Also zum hundertsten Male: Ich bin König von England, ja, aber außerdem Herzog von Aquitaine und der Normandie und Graf von Anjou und Maine. Zugegeben, mir gehören nur diese wenigen Gebiete und der Hauptteil des Landes untersteht König Louis von Frankreich, aber gerade deshalb muss ich mich hier in Frankreich um mein Herrschaftsgebiet kümmern! In meinem Hauptsitz in England wäre ich viel zu weit von meinen französischen Besitzungen entfernt und das könnte leicht gefährlich werden. Ich kann die vielen Feinde und Neider, und nicht zuletzt König Louis, nicht über eine längere Zeit ohne meine Anwesenheit nach Gutdünken handeln lassen! Ich muss ständig auf der Hut sein, Gelegenheiten für Intrigen gegen mich gibt es mehr als genug.

    „Blödsinn! Das ist doch nur eine Ausrede, weil du keine Kompetenzen abgeben kannst! Du hast genug fähige Beamte, außerdem kannst du deinen Söhnen hier die Oberaufsicht überlassen. Und wenn du dann wirklich mal persönlich in Frankreich nach dem Rechten sehen musst, kann ich dich solange in England vertreten."

    Der König schnaubte unwillig. „Sicher, das hättet ihr wohl gerne!"

    Seine Frau hatte schon recht, Henry würde nie freiwillig seine Macht aus den Händen geben, auch nicht einen Teil davon. Gab er seinen Söhnen eigene Regierungsbezirke, dann würden die nach ihren eigenen Ansichten handeln und sich kaum mehr von ihrem Vater dreinreden lassen und das konnte und wollte Henry nicht zulassen. Aber so gerne Henry alle Regierungsbelange in die eigene Hand nahm, er konnte in seinem weiten Reich beim besten Willen unmöglich überall zugleich sein. Also musste er gezwungenermaßen Beamte einsetzen, aber da kamen nur von ihm persönlich ausgesuchte und bewiesenermaßen loyale Leute infrage, die sich streng an seine Befehle halten mussten. Doch auch denen traute der König nur bedingt, solange er sie unter seiner Kontrolle wusste, und deshalb überprüfte er deren Tätigkeiten ständig.

    „Das hätten wir allerdings gerne. Du bist doch krank! Dass du dich nicht auf deine Beamten verlassen willst, kann ich ja noch verstehen, aber du vertraust nicht mal deiner eigenen Familie! Treib es nicht auf die Spitze! Unser Ältester ist nach dieser Hochzeitsgeschichte sehr aufgebracht und er könnte sich mit Gewalt holen, was ihm zusteht."

    Henry funkelte die Königin wütend an. „Du wagst es, mir zu drohen? Und dann erwartest du tatsächlich, dass ich dir traue?"

    Sie stand hoch aufgerichtet vor ihm und erwiderte seinen Blick genauso aufgebracht. „Das war keine Drohung, ich will dich nur warnen. Du kannst deine Augen schließlich nicht überall haben."

    „Eben! Und genau deswegen reisen wir durch das Land. Nur durch diese hohe Mobilität kann ich meine Beamten und Lords, und meine Familienangehörigen, immer wieder einer Kontrolle unterziehen. Und darauf lege ich nun mal großen Wert, ob dir das gefällt oder nicht! Nur so kann ich auf die Dauer verhindern, dass einer meiner Leute seine Machtposition für eigene Zwecke missbraucht oder sogar so ausbaut, dass er mir letztlich gefährlich werden kann."

    Deshalb hatte Henry auch gleich in den Anfängen seiner Regierungszeit die zu Zeiten seines Vorgängers selbstständig ausgeweiteten Befugnisse einiger Lords wieder zurechtgestutzt und Sheriffs zu deren Kontrolle eingesetzt. Er ging sogar soweit, ohne königliche Genehmigung erbaute Burgen wieder abreißen zu lassen, wobei er sich natürlich ein paar unversöhnliche Feinde geschaffen hatte. Diese Männer durfte der König in der Tat nie ohne Gefahr aus den Augen lassen.

    „Es gibt nur wenige Menschen, auf deren Loyalität ich mich wirklich verlasse, und zu denen gehören weder unsere Söhne noch du. Mein Wille zählt hier und ihr würdet euch doch nie an meine Anweisungen halten."

    „Wieso auch, wir sind durchaus in der Lage, selbst zu denken! Überleg doch bloß, was für ein Aufwand es ist, ständig mit dem ganzen Hofstaat durch die Gegend zu ziehen."

    Das war es zweifellos, denn selbstverständlich wurde der König immer von seinem gesamten Hofstaat begleitet, bestehend aus Rittern, Beamten, Beratern, Priestern, Hofdamen, Edelmännern, Soldaten, unzähligen Bediensteten, außerdem Pferden, Hunden, Jagdfalken und sämtlichem Inventar, bis hin zu den Einrichtungsgegenständen seiner eigenen Kapelle. Entsprechend groß war der Zug an Menschen, Tieren und Wagen, der ihm jedes Mal folgte.

    Unterwegs residierte Henry, wie gerade hier in Vigeois, samt Hofstaat in einer seiner vielen eigenen Burgen oder auch als Gast bei einem seiner Lords, wobei er teilweise nur wenige Tage an einem Ort blieb. Für die mehr oder weniger hocherfreuten Gastgeber, denen diese hohe Ehre ungefragt und unabänderlich zuteilwurde, war es eine Selbstverständlichkeit, der vornehmen Gesellschaft die besten Quartiere und erlesensten Speisen zur Verfügung zu stellen. Ohne Entschädigung natürlich, denn die Auszeichnung des Gastgebers durch die Anwesenheit des Königs in seinem geehrten Hause war Gegenleistung genug. Schließlich residierte der König ja nicht bei jedem! Deshalb traten die Auserwählten auch gerne ihre privaten Räumlichkeiten an die hohen Gäste ab. Und natürlich bedauerten sie es sehr, wenn der Hof schließlich weiterzog, nachdem sämtliche Vorräte an Essbarem und an Brennholz, die eigentlich für ein Jahr hätten reichen sollen, komplett aufgebraucht waren.

    König Henry persönlich war an sich nicht sehr anspruchsvoll und hätte auch kein Problem damit gehabt, notfalls am Wege in irgendeiner kleinen Bauernhütte zu übernachten. Die vielen Mitglieder seines beträchtlichen Hofstaates dagegen schon eher, da in solchen Fällen das einfache, aber immerhin warme und trockene Bauernhaus allein dem König vorbehalten blieb. Alle anderen Personen, von seinen Rittern bis zu den edlen Hofdamen, müssten die weniger komfortablen Bedingungen von Schuppen, zugigen Scheunen und Zelten in Kauf nehmen.

    „Ich gebe zu, es ist ein gewisser Aufwand mit dem ständigen Ortswechsel verbunden, aber was macht das? Wenn ich dadurch Schwierigkeiten mit aufmüpfigen Beamten, oder Söhnen, von vorneherein unterbinden kann, dann ist es die Mühe wert."

    „Das sehe ich aber anders! Ich will ..."

    „Ist mir egal, was du willst oder nicht! Es wird bleiben, wie es ist! Und jetzt lass mich endlich in Ruhe!"

    Manchmal hatte er das Gefühl in seinen ganzen Problemen zu ersticken, und dann kam auch noch seine Frau schon wieder mit ihren kleinlichen Vorhaltungen! Er ließ sie einfach stehen, verließ die Privatgemächer und zog sich in sein Arbeitszimmer zurück.

    So ganz unrecht hatte seine Frau ja nicht, das musste er sich eingestehen. Auf dem Weg durch die schwach beleuchteten, zugigen Flure sah er nichts, was ein wenig Gemütlichkeit hätte verbreiten können. Keinerlei Wandbehänge oder irgendwelche Dekorationen, nur rußende Fackeln in schmucklosen eisernen Halterungen, die im Zugwind flackerten. Die Einrichtung der Festungen hatte in der Tat nur wenig Komfort zu bieten. Alles war eher einfach und zweckmäßig gehalten. Vorhänge, Teppiche oder gar Wandbehänge gab es kaum. Die Fenster bestanden aus aneinandergefügten, dünn geschliffenen Hornscheiben, die zwar den kalten Wind abhielten, aber dafür auch nur gedämpftes Licht durchscheinen ließen. Nur in der Burgkapelle gab es einige wenige Glasfenster, aber das war auch schon der einzige Luxus.

    Die Festung von Westminster drüben in England hatte tatsächlich ein deutlich anderes Niveau, zugegeben. Seine Königin, und wohl auch die meisten Mitglieder des Hofstaates, die auf Luxus und Bequemlichkeit viel Wert legten, würden diesen Standort als Hauptsitz geradezu lieben.

    Aber es ist eben so, wie es ist, sagte er sich mit einem Schulterzucken und schüttelte die Gedanken an die fruchtlose Debatte mit seiner Frau ab. Er konnte sich nicht auch noch über die Wünsche des Hofstaates Sorgen machen.

    Entschlossen betrat er seinen Arbeitsraum, in Gedanken schon bei den neuen Depeschen seiner Beamten in London, die am Morgen ein Bote aus England gebracht hatte. Neben den üblichen Berichten über alltägliche Staatsangelegenheiten war diesmal auch ein Schreiben dabei, das Henry über neue, unerwartete Schwierigkeiten in Mittelengland in Kenntnis setzte. Diese Angelegenheit war für Henry von besonderer Bedeutung, weil einer seiner engen Freunde, Edward de Tourneau, Herzog der wohlhabenden Grafschaft Grantham, darin verwickelt worden war und Henry musste sich überlegen, wie er jetzt vorgehen wollte.

    Natürlich hätte er sich gerne persönlich um das Problem gekümmert, verbunden mit einem Besuch bei seinem Freund und vielleicht einer ausgedehnten Jagd, aber gerade jetzt konnte er sich beim besten Willen unmöglich nach England begeben. Seine Anwesenheit in Frankreich war im Augenblick unabdingbar.

    Natürlich waren seine Beamten in England fähige Männer, die auch alleine mit den neuen Schwierigkeiten zurechtkommen würden. Andererseits, überlegte der König, hatten sie genug andere Aufgaben und ein wenig Unterstützung konnte schließlich nicht schaden. Außerdem, Herzog Edward war nicht nur sein Freund, sondern auch ein sehr mächtiger und wohlhabender Mann, und den als Gegner zu haben, konnte er sich nicht leisten. Schon von daher war es nicht falsch, die alte Freundschaft durch eine Hilfeleistung ein wenig aufzufrischen. Also entschloss Henry sich, zwei seiner Ritter auf die Insel hinüberschicken, die an seiner Stelle nach dem Rechten sehen sollten.

    Für so eine Aufgabe kamen einige Männer infrage, denn in Henrys Gefolge hatten sich inzwischen viele große Ritter versammelt. Diese Aristokraten stammten nicht nur aus seinen eigenen Regierungsbezirken, sondern auch aus anderen Königreichen, zu denen er freundschaftliche Verbindungen pflegte oder anstrebte. Durch den Austausch von Gesandten, Rittern und Kirchenmännern wurden auf den höheren Ebenen des Adels und der Kirche immer rege diplomatische Beziehungen gepflegt.

    Die Hofmitglieder und Ritter des Königs, der ja von normannischer Abstammung war, sprachen vor allem Französisch. Trotzdem gab es selten Sprachschwierigkeiten mit den Gästen, denn neben der Landessprache gehörte Latein zur Grundausbildung der höheren Gesellschaft, und der Geistlichen sowieso, und wurde von jedem Gebildeten verstanden.

    Henry hatte also eine gute Auswahl an fähigen Adeligen, die sich in Diplomatie auskannten, aber im Ernstfall auch einen Kampfeinsatz leiten konnten. In seinem Arbeitsraum überdachte er noch einmal gründlich den Bericht aus England. Offenbar war die Angelegenheit noch nicht sehr ernst, aber sie konnte es leicht werden und deshalb ließ sich Henry bei der Wahl Zeit. Letztlich entschied er sich für zwei bestimmte Ritter aus seinem Gefolge, die nach seiner Meinung besonders gut für die Mission geeignet waren, und schickte einen seiner Diener aus, die beiden zu ihm zu bitten.

    Der Bursche musste nicht lange suchen. Er wusste natürlich, dass an diesem Morgen Kampfübungen angesetzt waren, und wurde dann auch auf dem Übungsplatz fündig. Das metallische Klirren der Schwerter klang ihm schon von Weitem entgegen und wies ihm den Weg zu dem großen Platz vor dem Palast, wo sich die Ritter in leichter Rüstung freundschaftlich im Schwertkampf übten, immer bestrebt, ihre Kampftechniken in solchen Scheinkämpfen weiter zu verbessern.

    Vom Rande des Platzes aus, im Windschatten der Mauer stehend und in warme, pelzgefütterte Umhänge gehüllt, beobachteten einige reich aufgeputzte Mitglieder des Hofes die Gefechte. Das war ein beliebter Zeitvertreib unter den Hofmitgliedern, gut geeignet, sich zu treffen und die neuesten Gerüchte auszutauschen, während man gleichzeitig die Fähigkeiten der Ritter begutachten konnte.

    Es war schon Nachmittag, als sich der Diener den Kämpfenden näherte und in die Gruppe rief: „Sir Duncan Belwood und Sir Robert de Tourneau, Seine Majestät, der König verlangt nach Euch!"

    Sofort erhob sich Getuschel unter den Zuschauern. Vermutungen und Spekulationen machten die Runde. Das Eintreffen des Boten aus England am Morgen hatte sich natürlich längst herumgesprochen und es war außerdem bekannt, dass die beiden aufgerufenen Ritter aus dem östlichen Mittelengland stammten, wo sich immer wieder Widerstände gegen den König regten. Robert de Tourneau war der Erbe des mächtigen Herzogs von Grantham und einer der besten Kämpfer des Königs und sein temperamentvoller Freund Duncan Belwood war ein Sohn des benachbarten Graf von Oxton. Seit der Ankunft des Kuriers war Henrys Stimmung sichtbar gedämpft gewesen, das war jedem aufgefallen, und wenn er jetzt die beiden englischen Ritter zu sich rief, dann hatte das sehr wahrscheinlich mit den Berichten aus England zu tun. Die Hofmitglieder, die den Ruf des Burschen mitbekommen hatten, brannten vor Neugier. Sie hätten zu gerne gewusst, was vorgefallen war.

    Die beiden jungen Ritter hielten auf den Ruf hin inne und ließen ihre Schwerter sinken. Duncan, der seinen Freund abgelenkt sah, konnte nicht widerstehen. Er nutzte die Gelegenheit und versetzte seinem Partner einen letzten, spielerischen Hieb gegen die scheppernde Rüstung. Lachend nahm er den Helm ab und zuckte auf Roberts entrüsteten Blick hin die Achseln: „Entschuldige, Robert, aber du gibst mir ja sonst keine Gelegenheit, dich auch mal zu treffen!"

    Dann wandte er sich dem Burschen zu und schickte ihn zurück: „Sag König Henry, wir sind in einigen Minuten da."

    Sie reichten ihre Waffen, Schilde und Helme ihren am Rande des Exerzierplatzes wartenden Schildknappen und traten durch die innere Mauer in den engen Innenhof, der von den durchdringenden Rufen der Dohlen oben auf den Burgzinnen widerhallte. Gefolgt von den beiden Knappen durchquerten sie den grob gepflasterten Platz und strebten ihrer Unterkunft zu, wo die Knappen ihnen behilflich waren, die schwere Schutzkleidung abzulegen. Der König legte zwar keinen besonderen Wert auf Äußerlichkeiten, aber die beiden Ritter wollten doch korrekt gekleidet sein, wenn sie die Räumlichkeiten des Königs aufsuchten, schon um dem unvermeidlichen Gerede der Edelleute vorzubeugen. Klatsch und Intrigen waren nun mal die Lieblingsbeschäftigung der meisten Angehörigen des Hofes und auch Kleidungsfragen wurden gerne und ausgiebig diskutiert.

    Gewaschen und frisch gekleidet in engen Wollhosen, Wams und langem, ärmellosen Überwurf legten sie noch ihre Gürtel um, denn die Schwertgehänge gehörten als Zeichen ihres Standes zur Kleidung. Dann begaben sie sich über die Außentreppe in das Hauptgebäude des Palastes und schritten durch die große Halle zur steinernen Stiege im Hintergrund des Saales. Durch die Gänge und Stufen der großen Burganlage erreichten sie schließlich das Arbeitszimmer des Königs.

    Henrys Arbeitsraum war, im Vergleich zu anderen Zimmern, ein relativ kleiner Raum mit der üblichen, großen Feuerstelle, in der wegen der kühlen Witterung ein munteres Feuer brannte. Mitten im Raum stand ein großer Tisch, hinter dem der König saß. Einige Regale an den Wänden, voller Papiere und Schriftrollen, und eine mächtige, dunkle Truhe stellten die ganze Einrichtung dar. Auf dem nackten Steinboden lag nur vor der Feuerstelle ein großes, schon ziemlich abgenutztes Hirschfell, mit einem kleinen Tisch darauf und einigen einfachen Hockern.

    Als die erwarteten Ritter schließlich gemeldet wurden, erhob der König sich von seinem Schreibtisch und trat ihnen freundlich entgegen. Nur mittelgroß und grobschlächtig gebaut, war der König um einiges unscheinbarer als die beiden eleganten jungen Ritter, die ihren König deutlich überragten. Sein rotes Haar über dem bärtigen, mit unzähligen Sommersprossen übersäten Gesicht war wie immer in Unordnung, da er sich gerne mit den groben Fingern hindurchfuhr, wenn er nachdachte.

    Aber seine Frisur war ihm einerlei. Uninteressiert an Äußerlichkeiten, versuchte der König auch nicht, wie viele andere, sein derbes Aussehen durch extravagante Garderobe zu verbessern, sondern war eher einfach gekleidet. Auch heute trug er einen seiner bevorzugten kurzen, ärmellosen Mäntel über den Wollhosen und Hemd, im Gegensatz zur am Hofe üblichen Mode mit langen Überwürfen. Diese Vorliebe hatte ihm prompt den spöttischen Spitznamen Henry Kurzmantel eingebracht. Natürlich war ihn das zugetragen worden, schließlich hatte er überall seine Spitzel, doch so etwas kümmerte ihn wenig.

    Die Nachtteile seiner grobschlächtigen Erscheinung zu einer Zeit, in der auf Äußerlichkeiten sehr großen Wert gelegt wurde, konnte er durch sein freundliches, verbindliches Wesen und seinen beachtlichen Charme leicht wieder wettmachen, wenn er es für angebracht hielt. Er war außerdem klug und sehr gebildet, und ein guter Diplomat, der wusste, wie er mit Menschen umgehen musste.

    Freundlich begrüßte der König die eintretenden Ritter. Die beiden erwiderten den Gruß ihres Königs ehrerbietig, aber keineswegs unterwürfig, und kamen dann gleich zur Sache. „Majestät, Ihr wolltet uns sprechen?"

    „Ja, ich muss eine wichtige Angelegenheit mit Euch besprechen." Er wies auf die Schemel vor dem Kamin und sie nahmen alle Platz.

    „Meine Beamten für Justizfragen haben mich über Grenzstreitigkeiten oben in Mittelengland informiert. Herzog Edward, also Euer Vater, Sir Robert, ist darin verwickelt. Da Euer Vater einer meiner Freunde ist, möchte ich ihm ein wenig Unterstützung zukommen lassen und die Sache nicht nur meinen Beamten überlassen."

    Der König unterbrach sich und betrachtete seine Ritter eingehend. Robert de Tourneau war schon seit einigen Jahren in seinem Dienst und hatte sich als sehr zuverlässig erwiesen. Der sympathische, dunkelhaarige Mann hatte ein freundliches, zurückhaltendes Wesen. Als kluger Taktiker und strenger, aber humorvoller Anführer war er außerdem ein sehr guter Befehlshaber. Das hatte er bei Kämpfen in der Gascogne bewiesen, wo er erfolgreich eine Kriegsabteilung von Söldnern geführt hatte.

    Sein lebhafter, immer gut gelaunter Freund, der etwas jüngere Duncan Belwood, hatte noch nicht dessen Kampferfahrung. Zwar hatte er, wie auch sein Freund, an der Eroberung von Irland teilgenommen, aber dort hatten keine Kämpfe stattgefunden, da sich die irischen Herrscher glücklicherweise kampflos ergaben. Seitdem war er nur bei einigen kleineren Scharmützeln im Einsatz gewesen, hatte sich dort aber recht gut bewährt. Der König schätzte Duncan als mutigen und ehrlichen Mann, der seine Meinung nicht mit dem Wind änderte, wie so viele andere Hofmitglieder.

    „Worum geht es denn?" Die neugierige Frage kam natürlich von Sir Duncan, Geduld war nicht gerade eine seiner Stärken.

    Der König lächelte väterlich. „Ihr solltet unbedingt lernen, Euer Temperament zu zügeln. Aber gut, ich will Euch nicht länger auf die Folter spannen. Die Sache ist so: Offenbar hat Sir Brian Ashby, der Graf von Sleaford, versucht, auf den Ländereien der Nachbargrafschaft Grantham Steuern einzutreiben. Da die Bauern die zusätzliche Zahlung verweigerten, wandten die Eintreiber Gewalt an und dabei gab es abgebrannte Höfe und auch einige Verletzte. Herzog Edward hat daraufhin natürlich einen Boten nach Sleaford geschickt um Rechenschaft zu fordern, aber der Bote kam nicht zurück. Schließlich wandte er sich dann an meine Beamten."

    „Ist es sicher, dass es sich um Eintreiber aus Sleaford gehandelt hat?", hakte Sir Robert nach.

    „Nach den Aussagen der Bauern trugen die Männer Waffenröcke in den Farben der Ashbys, der Fürsten von Sleaford."

    „Na schön, Grenzstreitigkeiten gibt es immer wieder, dafür habt Ihr Eure Beamten. Aber was genau sollen wir denn dabei tun?", erkundigte sich Duncan.

    König Henrys Miene wurde ernst. „Das Problem dabei ist, die Ashbys stammen aus altem angelsächsischen Adel. Seit England damals von uns Normannen unter Wilhelm, dem Eroberer eingenommen wurde, sind die meisten Ländereien enteignet und an verdiente Normannen vergeben worden. Nur wenige angelsächsische Adelige, darunter die Ashbys, haben bis heute zumindest einen Teil ihres Landes behalten können. Das hat die Freundschaft zwischen Angelsachsen und Normannen nicht unbedingt gefördert, wie Ihr ja wisst. Wut und Hass deswegen sind noch immer fast unvermindert vorhanden. Der alte Graf Ashby war ein ruhiger Mann, vernünftig und ohne sinnlose Vorurteile. Aber er starb vor einigen Jahren und ich kenne seinen Erben nicht. Ich möchte verhindern, dass ein junger angelsächsischer Hitzkopf jetzt vielleicht einen Aufstand anzettelt. Ihr stammt beide aus dieser Gegend und kennt Land und Leute. Wisst Ihr etwas über den jungen Grafen?"

    „Ich kenne ihn nicht persönlich, aber nach allem, was ich von meinem Vater hörte, soll er Streitigkeiten eher aus dem Wege gehen", antwortete Robert. Sein Freund nickte bestätigend, er hatte ähnliche Informationen.

    „Ich hoffe wirklich, ihr habt recht. Aber wie auch immer, Ihr kommt beide von dort und Ihr, Sir Robert, habt schon früher heikle Aufträge für mich erledigt. Daher habe ich Euch und Sir Duncan ausgewählt, in England nach dem Rechten zu sehen. Vielleicht bin ich ja übervorsichtig, wenn ich wegen dieser eigentlich unwichtigen Lappalie sofort Männer hinschicke, aber jetzt kann man mögliche Aufsässigkeiten noch im Keim ersticken, bevor ein Problem daraus werden kann. Sprecht mit den Beteiligten. Findet den Streitpunkt und versucht das Problem aus der Welt zu schaffen."

    Zweifelnd warf Duncan ein: „Aber Robert ist der Sohn des beteiligten Herzogs! Ritter des Königs oder nicht, die Leute werden ihn mit Sicherheit für parteiisch halten."

    Der König nickte bestätigend: „Richtig, genau deshalb sollt ihr, Sir Duncan, ihn begleiten. Sozusagen als Vertreter der Gegenpartei, da Ihr ja wie die Ashbys ebenfalls angelsächsischer Herkunft seid. Um die Gemüter nicht noch mehr zu erhitzen, möchte ich Euch bitten, möglichst unauffällig und diplomatisch vorzugehen. Ihr nehmt auch besser keine Eskorte mit. Und Ihr, Sir Duncan, haltet bitte Euer Temperament im Zaum. Ihr seid mir manchmal etwas zu draufgängerisch." Bei diesen Worten zwinkerte er Robert zu.

    Der antwortete grinsend. „Keine Angst, Mylord, ich werde ein Auge auf ihn haben."

    „Dann wäre das geklärt. Wann könnt Ihr aufbrechen? Der Vorfall liegt schon mehrere Tage zurück und Ihr werdet eine Weile brauchen bis nach Mittelengland. Die Situation dort oben ist angespannt, es kann leicht mehr daraus entstehen und das würde ich natürlich gerne verhindern."

    Die Ritter wechselten einen kurzen Blick, dann meinte Duncan: „Wir können gleich morgen losreiten."

    „Gut. Regelt die Angelegenheit so schnell Ihr könnt. Ich kann wirklich keinen angelsächsischen Aufstand in England gebrauchen. Denn wie es aussieht, opponiert der Prinz jetzt offen gegen mich. Er kann es nicht abwarten, meinen Thron zu übernehmen. Aber über ein paar kleinere Reibereien wird es hoffentlich nicht hinausgehen. Ihr werdet in England sicher nichts davon mitbekommen."

    Der König erhob sich und seine Ritter taten es ihm gleich. „Nehmt bitte diese Papiere mit nach London. Sie sind für Richard de Lucy, meinen obersten Justiziar in London, und für Euren Vater, Sir Robert! Ich habe Eurem Vater von den Tätigkeiten meines Sohnes berichtet und ihn gebeten, vorsorglich die Augen offen zu halten. Falls der Prinz auf der Insel nach Verbündeten suchen sollte, will ich das möglichst schnell wissen."

    Er griff mehrere versiegelte Papiere von seinem Schreibtisch und schob sie in eine lederne Mappe, die er den Rittern aushändigte.

    „Viel Glück und schickt mir Nachricht, sobald Ihr mehr wisst!"

    Die Männer verbeugten sich und schritten hinaus, während König Henry sich wieder an den Schreibtisch setzte und anderen Schwierigkeiten zuwandte, und davon gab es in seinem ausgedehnten Herrschaftsbereich genügend.

    Nicht lange, nachdem die Ritter den Raum verlassen hatten, ließ sich ein neuer Besucher von einem Diener anmelden. Roger Brigot, Henrys Berater in allen Angelegenheiten, die sein Reich betrafen, wollte den König sprechen. Der Mann verfügte über ein weitverzweigtes Netz von Spionen an allen wichtigen Orten in Henrys Machtbereich und darüber hinaus auch im Herrschaftsgebiet von König Louis VII von Frankreich. Er war stets sehr gut über alle Vorgänge unterrichtet. Gerade jetzt, nachdem der schon länger unzufriedene Thronerbe Henry nun unmissverständlich entgegentrat, waren die Meldungen von Brigot von größter Wichtigkeit und Henry rief den Mann sofort herein.

    „Nun, was könnt Ihr mir berichten?", fragte der König in banger Erwartung, denn die finstere Miene seines Beraters verhieß nichts Gutes.

    „Majestät, Ihr habt richtig vermutet, was Euren Sohn betrifft. Nach seinem letzten Streit mit Euch hat er keine Zeit mehr verloren und sofort Boten zu seinem Schwiegervater, König Louis, geschickt und ebenfalls zu allen seinen Freunden und Anhängern, bis hin nach England. Er ruft zum offenen Widerstand gegen Euch auf."

    Das war eine wirklich schlechte Nachricht. Dieser Widerstand konnte sich leicht zu einem handfesten Krieg ausweiten. Besonders wenn sich König Louis einmischen sollte. Davon konnte Henry eigentlich ausgehen, denn der Franzose, der nur zu gerne die alleinige Herrschaft über ganz Frankreich hätte, würde so eine gute Gelegenheit kaum ungenutzt verstreichen lassen.

    „Und das alles nur wegen dieses vermaledeiten Hochzeitsvertrages!" Henry hieb mit der Faust auf seinen Schreibtisch.

    Brigot schüttelte unmerklich den Kopf, behielt seine Gedanken aber lieber für sich. Das stimmte nicht so ganz. Die Hochzeitsabsprachen, auf die Henry anspielte, waren nur der letzte Tropfen gewesen, der das Fass endgültig zum Überlaufen brachte. Der Berater stand in hohem Ansehen beim König und konnte recht offen seine Meinung vertreten, aber aus Henrys Familienangelegenheiten hielt er sich doch lieber heraus.

    Der König hatte seinen Söhnen, wie es üblich war, schon bei ihrer Geburt verschiedene Titel und Ländereien verliehen. Seinen ältesten Sohn, der ebenfalls den Namen Henry trug, hatte er vor einigen Jahren neben sich zum Mitkönig krönen lassen, um Streitigkeiten um die Erbfolge schon von vorneherein auszuschließen. Aber die Krönung fand nur auf dem Pergament statt und brachte für den Prinzen keine tatsächlichen Befugnisse mit sich, und genau das war jetzt der Stein des Anstoßes.

    Außerdem hatte Henry die Zeremonie nicht vom englischen Kirchenoberhaupt, dem Erzbischof von Canterbury, Thomas Becket, durchführen lassen, wie es Tradition war, da er mit diesem gerade in Kompetenzstreitigkeiten verwickelt war. Stattdessen nahm der Erzbischof von York die Krönung in der Kathedrale von Westminster vor. Das war zwar durchaus rechtskräftig, stellte aber einen Bruch mit den alten Gepflogenheiten dar und wurde daher von Manchem als etwas zweifelhaft betrachtet. Dazu kam noch, dass König Henry bei der Krönung seines Sohnes zum jungen Mitkönig nicht gleichzeitig auch dessen Frau Margaret zur Mitkönigin krönen ließ.

    Nun war Lady Margaret aber keine Geringere als die Tochter von König Louis VII von Frankreich und ihr Ausschluss bei der Krönung kam einer Beleidigung gleich. Sowohl der Prinz als ihr Ehemann als auch ihr Vater reagierten entsprechend ungehalten, was an sich auch nicht verwunderlich war. Natürlich hatte Henry damit gerechnet, so dumm war er nicht, doch er hatte gehofft, die Wogen auf diplomatischem Wege glätten zu können. Das erwies sich jedoch als folgenschwerer Irrtum. Henrys Absicht war zu offensichtlich: Er wollte durch die nicht erfolgte Krönung der Schwiegertochter den französischen Einfluss auf sein Reich so lange wie möglich hinauszögern.

    Weder Margarets Mann, noch ihr Vater waren bereit, eine Ausrede von Henry gelten zu lassen. Der französische König sprach sogar von Krieg. Letztendlich versuchte Henry schließlich seinen Fehler auszubügeln, indem er Margarets Krönung nachholen ließ, aber es war schon zu spät. Besonders seine Beziehung zu Louis von Frankreich hatte einen empfindlichen Riss erhalten.

    Das Verhältnis zu seinem Sohn war also sowieso schon gespannt, weil Henry dem jungen Mitkönig außer seinen Titeln keine wirkliche Macht zugestehen wollte und die verweigerte Krönung der Schwiegertochter machte die Sache nicht eben besser.

    Der Erbe war wirklich nur auf dem Pergament ebenfalls König, tatsächlich ließ Henry ihn in keiner Weise an den Regierungsaufgaben teilhaben. Ebenso erging es dessen Brüdern, auch sie bekamen ihre Titel und Ländereien nur unter der Oberherrschaft des Königs. Selbst Henrys Frau, Königin Eleanor, durfte, wenn überhaupt, dann nur kurzzeitig regieren, als Vertretung in Henrys Abwesenheit.

    Als sehr aktiver und außerdem sehr misstrauischer Mensch legte König Henry großen Wert darauf, alle Regierungsaufgaben persönlich zu kontrollieren. Natürlich wollte sich sein Sohn, aus ähnlichem Holz geschnitzt, das nicht einfach gefallen lassen. Er stritt des Öfteren mit

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