Liturgie für die Seele: Liturgie verstehen als spirituelle Therapie
Von Joachim PENNIG
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Buchvorschau
Liturgie für die Seele - Joachim PENNIG
Liturgie für die Seele - Liturgie verstehen als spirituelle Therapie
Überarbeitete Auflage von:
Joachim Pennig, meine Seele finden
ISBN: 9783742744814
© Alle Rechte beim Autor
chapter1Image1.jpegLiturgie ist bunt und schön
Sie kann in die Seele sehn
Öffnet uns auch unsern Blick
Bringt die Zukunft uns zurück
Inhalt
Nach der narrativ-relationalen Weltrettungi folgt hier nun der zweite Schritt: Meine Seele finden durch die Liturgie - Liturgie als seelsorgerlich therapeutische Lebenshilfe und Sinnfindung verstehen.
Immer mehr Menschen treten zwar aus den Kirchen aus, doch sie sind nicht ohne Religion, nicht ohne spirituelle Sehnsucht. Immer mehr freikirchliche Gruppen entstehen oder Menschen begeistern sich für Buddhismus und andere spirituelle Erfahrungen.
Jahrtausende lang wurde dieses Bedürfnis, das dem Menschen ureigenst in der Seele liegt von den christlichen Gottesdiensten gestillt. In ihnen wohnt die Kraft, die Menschen brauchen. Dieses Buch ist der Versuch, diese Kraft wieder sichtbar zu machen und dazu einzuladen sie zu nützen. Schließlich ist es dringend nötig im Angesicht der Verdrehtheit unserer Welt, dass wir die anima humana, die menschliche Seele wieder finden überall dort, wo sie verloren scheint.
Meine Seele finden
Deshalb ein Buch um die Liturgie im Gottesdienst und ihren Sinn verstehen zu lernen, vorwiegend im evangelischen, in erster Linie im christlichen Glaubensleben, um damit auf den Grund meiner Seele zu kommen. Denn am Grund meiner Seele ist Gott in mir zu finden. Das fand der Theologe Paul Tillich bereitsii. Ob das für andere Religionen auch gilt, vermute ich, aber das wäre ein anderes Buch.
Es geht also drum: Was bewegt mich als Mensch im Allerinnersten? Was gibt meinem Leben Sinn? Wo finde ich Hilfe für die Grundfragen des Lebens? Wo und wie finde ich meine Seele? Meine Erfahrung mit diesen Fragen gebe ich hier weiter und lade ein, auf diese Reise mitzugehen.
Und noch etwas, Dieses Buch ist subjektiv. Es erhebt nicht den Anspruch wissenschaftlich korrekt und mit 1000 Belegen abgesichert etwa richtiges zu sagen, sondern es gibt Einblick in das was ich in 40 Dienstjahren als Pfarrer in ganz unterschiedlichen Gemeinden erarbeitet, erkannt, erfahren habe im Dialog mit den Menschen, in der Seelsorge im Arbeitszimmer des Pfarrers oder im Krankenhaus, auf der Intensivstation oder mit Menschen am Bett einer Palliativpatientin. Es ist das was mich immer wieder motiviert hat neu nachzudenken und in Gesprächen stutzig gemacht hat, bis ich für mich eine Antwort gefunden habe mit der ich selber Leben und Glauben konnte und die ich guten Gewissens auch an andere weitergeben konnte. Davon handelt dieses Buch.
Das hat einen großen Vorteil, der darin besteht, dass allem ohne große Begründungsnot widersprochen werden kann. Aber gerade das ist es, was zum Gespräch anregen will, andere Erfahrungen, ehrlich reflektierte eigene Meinungen, keine Richtigkeiten sondern Lebenswahrheiten, geglaubt, gelebt, erfahren, keine Lehrbuchmeinungen, sondern der Dialog des Lebens mit den Grundfragen unseres Daseins. Fragen, die sich jedem auftun können. Und ich hoffe auch auftun. Dann lesen Sie!
Hat der Mensch eine Seele
Der Mensch, ursprünglich ein Vielgliedriger, wurde von den Göttern geteilt und erhielt so sein Aussehen, wie wir ihn kennen. Aber die Sehnsucht, das Begehren nach der anderen Hälfte ist noch da. So meint Platon im Mythos der Kugelmenscheniii. Seele ist demnach das Wissen um etwas Fehlendes und zugleich der Ort der Sehnsucht nach Vervollkommnung, nach Vollkommenheit, nach der ganzen Wahrheit über uns selbst.
Goethe arbeitet das Thema der Seelenverwandtschaft in seinem Roman Wahlverwandtschaften auf. Es handelt sich um Menschen, die Gleiches oder sich Ergänzendes spüren, Begehrendes und Förderndes. Sie fühlen körperlich eine Anziehung, die jedoch vom Geist aus geht. Das machte den Reiz ihrer Beziehung zueinander aus. Eine unbeschreibliche Art von Energie vielleicht, ohne dass diese chemisch-physikalisch je nachgewiesen wurde oder nachweisbar gewesen wäre. Und doch war sie da und hat über Jahrhunderte ihre Spuren hinterlassen. Ganz real. Auch noch in der Literatur.
Im Hinduismus und Buddhismus spricht man vom Karma. Von einem Ort, an dem die Erfahrungen des Lebens, die Bestimmung und Eigenheit des Individuums verschlüsselt aufbewahrt wird und Einfluss nimmt auf das Leben. Es ist wie ein unsichtbares aber doch spürbares, wahrnehmbares Konto an Energie und Lebenslust, an Ideen und Schicksal, an Weltverständnis und Verbundenheit mit der Ganzheit, das es zu hüten gilt, ansonsten sich der Mensch verliert.
Im Alten Testament heißt das, was wir Seele nennen, „Näfäsch" und gilt als der Sitz des Lebens und als das, was einen Menschen unverwechselbar zu dem macht, was er ist, individuell und doch als Geschöpf eingebunden in ein großes Ganzes. Es ist das, woran Gott am Menschen andocken kann, ohne seine Selbstbestimmung dabei zu entmachten oder zu verletzen. Näfäsch ist vielleicht zu begreifen als das Organ zum Verstehen von Gott und der Welt, Organ zum erfassen dessen was real ist und was über uns selbst hinausweist.
In der griechischen Philosophie heißt es „Psyche und betrachtet den Sitz der Gefühle und des Unbestimmten, das jedoch, wie alles Reale, auch Bestandteil des Lebens ist. Von da wird die Vorstellung ins Lateinische übernommen, wo die Seele „Anima
heißt, vielleicht am besten zu verstehen als das, was mich lebendig macht. Der Sitz der Lebendigkeit, des Lebens. Wenn die Anima aus dem Körper geht, gilt ein Mensch als tot. Die Seele ist aber auch Empfangsstation für die schönen Dinge, für Ästhetik und Kultur, für Proportion und Verhältnisse, für Harmonie und die Fülle des Lebens. Leben war zu keiner Zeit nur materiell gedacht.
Der französische Philosoph und Mathematiker und Begründer des modernen Rationalismus, René Descartes, verstärkte die dualistische Sicht des Seelenbegriffs. Er unterschied zwischen der res externa und der res cognitas, also der Materie und der Seele, oder dem Materiellen, das man greifen kann und dem Gedanklichen, das man be-greifen kann, dem er die Seele zuordnete.
Und dann wäre natürlich der große Seelenmeister Sigmund Freud zu erwähnen, der das Unbewusste Seele nannte, es aufteilte in drei Ebenen, ES, ICH, ÜBER-ICHiv. Er siedelte folgerichtig die Seele im Gehirn, im Ober-Stübchen des Menschen an, wusste aber, dass es kein Organ sein kann, sondern das, was das Gehirn in seiner Tiefe so alles anstellt.
Heute im 21. Jahrhundert wird die Seele in der Psychologie verhandelt. Psycho-Logia, die „Lehre von der Seele". Ist sie krank, die Seele, dann spüren wir sie sehr heftig. Lebenszerstörend. Ist sie gesund, merken wir sie kaum, weil die Lebendigkeit, die sie dann bewirkt sie selbst in den Hintergrund drängt. Das ist etwas so, wie wenn man ein himmelblaues Bild vor einen blauen Himmel hängt. Man wird es nicht richtig sehen. Aber wenn der Himmel sich dunkel färbt tritt das Bild hervor.
In einem Zeitgemäßen Begriffslexikonv ist zu lesen:
‚Der Begriff Seele ist vieldeutig und meint eine innere, immaterielle und unsterbliche Essenz des Menschen. Dabei bildet die Annahme, mentale Zustände könnten über den Tod hinaus Bestand haben, das Zentrum des Seelenbegriffs, wobei Menschen damit einen inneren, immateriellen Wesenskern verbinden, der Menschen aber auch Tieren oder seltener sogar Objekten zugeschrieben wird. Hinzu kommt häufig die Annahme, dass dieser Kern unvergänglich ist und sogar seine Gestalt oder Hülle wechseln kann. Aus der psychologischen Forschung verschwand die Seele in den vergangenen hundert Jahren nahezu völlig und die Psychologie wurde die Wissenschaft vom Erleben und Verhalten des Menschen. Auch wenn aus der wissenschaftlichen Psychologie das Konzept der Seele längst verschwunden ist, ist es doch im Alltagsdenken der Menschen nach wie vor präsent. An die Existenz einer Seele zu glauben, macht für viele Menschen die Dinge begreifbar, die jenseits ihrer Vorstellungskraft liegen und schmälert vermutlich durch den Glauben an ein Weiterleben der Seele die Angst vor dem Tod.‘ (Stangl, 2017).
Die zeitgemäße Erforschung von den Gefühlen meint, sie auf biochemische Reaktionen zurückführen zu können. Dabei wird allerdings die Fragestellung offengelassen, ob erst das Gefühl und dann die chemisch nachweisbare Reaktion in den Botenstoffen und Hormonen da ist, oder umgekehrt. Will heißen, dass es viel komplizierter noch ist als man glauben möchte. Und ich werde den Verdacht nicht los, dass, wie in der Physik vor der Entdeckung der Quanten, die Wissenschaft gerne haben wollte, dass alles am Menschen erforscht sei, aber auch hier wird es sich um einen vorläufigen Irrtum handeln. Der Mensch ist mehr und größer, ein Geschöpf des Allmächtigen - um es gleich theologisch zu sagen. Und das macht mich froh und gelassen und zuversichtlich. Man stelle sich vor: Das menschliche Gehirn hat so viele Zellen wie die Milchstraße Teile und so viele Verknüpfungen, wie der Regenwald am Amazonas Blättervi. Und das ist nur die eine Hälfte des Menschen.
Es gibt dabei auch Menschen, die meinen, sie haben keine Seele und würden auch keine brauchen, weil es ihnen so gut geht, dass sie die Seele, die dafür sorgen will, nicht mehr wahrnehmen. Und in Anbetracht all der vielen unmenschlichen Grausamkeiten ist heute zu fragen, ob es nicht tatsächlich seelenlose Menschen gibt, nämlich solche, die nur noch Zerstörung und Tod und Vernichtung in sich kennen. Oder ist deren Seele nur so verschüttet, dass sie nicht mehr geborgen werden kann? Meine Überzeugung ist aber eine andere.
Ja, ich glaube, dass die Seele eines Menschen nur ‚verloren‘ gehen kann, unsichtbar werden kann, verschüttet werden kann von erlebter Grausamkeit, von ertragenem Unrecht, von permanenter Benachteiligung und anderem, aber nicht weg sein kann. Deshalb ist die Frage nach dem Leben die Frage: Wie pflege ich meine Seele und wie finde ich meine Seele wieder, wenn sie verloren ist?
Dazu versuche ich hier einen Weg aufzuzeigen. Denn in der Theologie ist die Seele das Organ, das die Verbindung zu Gott, die Verbindung zum Leben herstellt, zu unserem Ursprung, also zu uns selbst. Besonders in den Psalmen der Bibel ist davon in vielen Bilder die Rede. Das Leben kommt nicht aus uns selbst, wir haben es bekommen und verlieren es wieder.
chapter3Image1.jpegDes Menschen Seele wie Du weißt
Ist kompliziert und offen
Doch sie das Innere verschweißt
Mehr gut als bös wir hoffen
Solange der Mensch mit Hilfe seiner Seele eine Beziehung zu Gott, zum Leben aufrechterhalten kann, solange lebt er, und zwar auch gut.
Das gilt, selbst wenn er nach menschlichem Ermessen als tot gilt, weil ja Beziehung als solche nicht sterben kann. Religiös heißt das: Leben in Ewigkeit. Verliert er diese Beziehung, aus Kraftlosigkeit oder willentlich, verliert er auch den Anschluss ans Leben. Aber er kann auch zurück.
Davon will ich hier erzählen. Von dieser Wichtigkeit von der ich überzeugt bin. Und die Liturgie ist der „ordentliche Weg", der geordnete Weg, die Ordnung, die dazu hilft, und deshalb ist Liturgie so wichtig.
Dabei gilt: Von Gott her ist diese Beziehung niemals aufgegeben. Es ist die Freiheit des Menschen, diese Beziehung zum Leben auf und anzunehmen. Jeweils mit allen Konsequenzen. Deshalb ist Liturgie unabhängig davon ob Menschen sie gebrauchen oder nicht, in ihrer Wirkung stets da. Deshalb spricht die Orthodoxe Tradition von der ewigen, heiligen, göttlichen Liturgie, wenn sie Gottesdienst feiert.
Hilf, HERR! Die Heiligen haben abgenommen, und treu sind wenige unter den Menschenkindern. Psalm 12,2
Liturgie ist unverzichtbar
An irgendetwas glaubt jede*r Mensch. Der eine, dass ein Pfund Rindfleisch in 2 Liter Wasser eine kräftige Brühe gibt, die andere, dass das Haarschneiden bei Vollmond besseres Wachstum garantiert, der dritte, dass nach dem Tod alles aus ist, und die Vierte glaubt an eine höhere Macht, wie immer diese auch aussieht. Viele Menschen, weltweit, glauben auch an Gott, und es sind mehr als man manchmal meint.
Als ich kürzlich am Bahnhof auf einen Zug wartete, beobachtete ich, wie am Bahnsteig gegenüber ein Mann wartete. Mit Lederweste und volltätowierten Armen, Piercing und großen Muskelpaketen blickte er ziemlich finster drein und erweckte auf Anhieb nicht den Eindruck eines fröhlich sensiblen Mitgenossens. Aus Langweile, wusste er nicht so recht was tun und zog plötzlich eine silberne Kette an seinem Hals nach oben, so dass aus seinem offenen Hemd ein Kreuz erschien. Er ordnete die Kette, die offensichtlich etwas verdreht war, dann küsste er das Kreuz und steckte es vorsichtig wieder zurück ins Hemd. Und dann blickte er ganz scheu um sich, ob ihn jemand beobachtet hätte. Ich tat schnell so als ob ich in mein Buch vertieft war, das ich in der Hand hatte. Aber der Schrecken des äußeren Bildes von diesem Mann hatte sich verloren. Ein Glaube, eine heilige Scheu, eine Art von Demut wurde sichtbar.
Die Liturgie ist der Kern unseres Glaubens. In einer Liturgie bekommt unser Glaube Gestalt, eine Ordnung
, eine Ausdruck, wird sichtbar und erlebbar. Z.B. wenn die Fußballfans im Stadion in der Fankurve ihre Rituale und Choreographien ablaufen lassen und ganz bestimmte Lieder singen, so ist das eine Liturgie. Oder wenn einer sein Kreuz küsst ist das eine mini-kleine Liturgie. Oder wenn in einem Verein die Vorstandssitzung immer nach dem gleichen Muster abläuft, so ist das eine Liturgie.
Liturgie im religiösen Sinn liefert das Fundament für einen Gottesdienst. Im weitesten Sinne auch im Fußballstadion oder vor der Rockbühne. Da gibt es die immer gleichen Abläufe und Lieder, die Eingeweihte in ihrer Abfolge kennen und mitsingen und mittun. Die Liturgie, in die ich mich einklinke, zeigt deshalb auch meinen Gott - das also, was mich ganz tief im Inneren bewegt. In Fortführung zu Matthäus 6,2 formuliert Luther: Wo Dein Herz hängt, das ist auch Dein Gott. Liturgisch formuliert: Zeig mir Deine Liturgie und ich sage Dir, was Dein Gott ist.
Auch im christlichen Gottesdienst sind die Hauptelemente Verkündigung, Lobpreis, Bekenntnis und Sakrament in eine Liturgie eingebettet. Und um bei dem Bild vom „eingebettet" zu bleiben, was nützt das schönste Daunenbett, wenn es kein Gestell und keinen Lattenrost und keine Matratze darunter gibt. Deshalb ist Liturgie unverzichtbar. Sie ist sozusagen das Gestell mit dem Unterbau, worauf die Daunendecke des Glaubens uns wärmt und schützt vor der Kälte des Lebens.
Ein Bett ist auch dann am erholsamsten, wenn ich meine sog. „Kule" habe. Mein Bett ist mein Bett. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich freue mich, wenn ich unterwegs war auf mein Bett zu Hause, das unvergleichlich erholsam ist gegenüber jedem auch noch so gutem Bett unterwegs.
Das ist vergleichbar mit der Liturgie. Sie ist die „Kule" in die ich mich fallen lassen kann und erholen - optimal erholen kann, neue Kraft schöpfen und neuen Mut tanken kann. Die Predigt verändert sich, ist aktuell, ist von Stil und Sprache unterschiedlich, situationsbezogen, provokativ, vom Predigtabschnitt abhängig und von der Weltlage. Die Liturgie dagegen ist davon prinzipiell unberührt. Sie ist der Grundton, der die Akkorde des Glaubens darüber trägt. Liturgie, das sind die Balken, die das Haus tragen in dem das Leben unserer Seele, also unser eigenes innerstes Leben stattfinden kann.
Liturgie ist deshalb ein unverzichtbarer, ja man könnte sogar sagen notwendig automatischer Bestandteil unseres Glaubens