König Artus: Seine Beschwerden und der Orden der goldenen Feder
Von Joachim Theisen
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König Artus - Joachim Theisen
König Artus’ Beschwerden und der Orden der goldenen Feder
Joachim Theisen
Copyright 2011 Joachim Theisen
published at epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
ISBN 978-3-8442-2546-4
König Artus
Seine Beschwerden und der Orden der goldenen Feder
Die Berichte der Schreiber
Mediales Antiquus
Sapiens ad Portam Celestem
und Theodor von Toledo
wiedergefunden
von
Joachim Theisen
1
Fragmentarischer und dennoch literaturtheoretisch bedeutender Prolog, in welchem auch zunächst Merlin und dann die ersten Gäste erscheinen.
........
die Freude ist nicht am geringsten
zu Beginn des Sommers, nämlich an Pfingsten,
wenn der Geist, der heilige, kommt vom Himmel,
dann satteln Könige ihre Schimmel
oder aber ihre Rappen,
denn dann geht es Happen pappen
im Land von Uterpandragon,
bei Artus, das ist dem sein Sohn.
Auf diesem großen Artusfeste
gibt’s von allem nur das Beste:
Hasen, Rehe, wilde Schweine,
Enten auch, für jeden eine;
was eben noch im Wald gelaufen
hat dann aufgehört zu schnaufen
und hängt überm Feuer in den Küchen,
umgeben von herrlichen Wohlgerüchen:
große Hirsche, kleine Wachteln -
Hei, da heißt es fröhlich spachteln!
Doch da gibt’s auch schöne Frauen,
sind gar reizend anzuschauen,
und natürlich edle Damen,
die aus allen Ländern kamen,
die wollen auch gesehen sein:
hübsch und blond und schlank und fein.
Starke Männer auch nicht minder -
ein Hoch auf Artus, den Erfinder
dieser Pfingstenlustbarkeit!
Ein Vorbild an Großzügigkeit!
Das alles geschieht aus seiner Huld,
wer nicht kommt, ist selber schuld.
Die Einladung erging auch dieses Jahr
- natürlich mit Gattin, das ist klar,
soweit eine Gattin vorhanden,
oder mit weiblichen Verwandten,
am liebsten Töchter, unbemannt:
am Hofe werden, wie bekannt,
besonders gerne Ehen geschlossen. -
Da kommt plötzlich angeschossen
mit wallendem Mantel, mit rauschendem Bart,
er ist mal wieder mächtig in Fahrt,
Merlin aus dem Zauberkeller.
Was ist das? Er rennt immer schneller
- Merlin ist Zauberer und Prophet,
ein altes Männchen - und jetzt geht
er hin zu Artus seinem Thron,
nein, Moment, da ist er schon!
Er ergreift erbost das Wort,
er schimpft und flucht in einem fort.
„Nun mal langsam", der König spricht,
„sprichst du so schnell, versteh ich dich nicht.
Trink erst ‘nen Schluck, das tut dir gut.
Also, was ist? Warum diese Wut?"
Merlin verschnauft. Dann legt er los:
„Hörst du das nicht? Nennst du das grandios?
Ich bitte dich, mir dein Ohr zu schenken:
Dies Auf und Ab, dies Heben und Senken,
dies immer gleiche Hoch und Runter,
das ginge auch ein bisschen bunter.
Das sage ich nicht zum ersten Mal,
doch diesmal werd’ ich radikal:
Verbiete den Schreibern endlich das Dichten
und lass sie einfach und nüchtern berichten,
was hier passiert, was du so tust,
z.B. wen du einzuladen geruhst
zu deinem nächsten Artusball!
Hör zu, ich erläutere dir den Fall:
Ich hab’ ja nichts gegen Poesie,
aber manche Könige kommen nie
zu dir, obwohl sie’s gern täten,
wenn wir sie nur darum bäten.
Und warum ist das so? wirst du fragen.
Das will ich dir in Folgendem sagen:
Weil sie sich auf andre nicht reimen!
Du musst damit rechnen, in diesen keimen
schon lange Gedanken an Rache auf,
denn das nimmt niemand gern in Kauf,
dass man sie um das Artusfest prellt,
nur weil deinen Schreibern kein Reim einfällt.
Und außerdem", fährt Merlin fort,
doch der König selbst ergreift das Wort:
„Du willst mir also damit sagen,
dass manche Könige Unbehagen
empfinden, weil sie schon seit Jahren
nicht auf meinen Festen waren?"
„Seit Jahren?" ruft Merlin. „Dass ich nicht lache!
Das ist doch grade die brenzlige Sache!
Sie sind doch gar nicht existent,
wenn alle Welt zu Artus rennt,
erst recht nicht, wenn in den Romanen
du und die andern den Ruhm absahnen.
Das lässt man sich nicht gerne bieten,
sie sind ja auch nicht alle Nieten.
Auch sie wollen mal ihren Namen
in Büchern lesen, in arthurischem Rahmen.
Doch können sie’s nicht! Und wieso?
Weil deine Schreiber nirgendwo
auf ihren Namen ‘nen passenden Reim
finden. Und dann? Sie bleiben daheim
und werden niemals literarisch
und schon gar nicht exemplarisch.
Und das heißt", die Stimme bebt,
„sie haben niemals richtig gelebt.
Und außerdem", setzt Merlin an,
doch jetzt ist der König wieder dran:
„Du meinst also, die Leute sind sauer?
Das ist nicht gut, denn auf die Dauer
fällt das ja auf mich zurück.
Das ist schlecht. Doch zum Glück
hab ich dich. Was rätst du mir?
Merlin sprich: ich lausche dir."
„Hast du diesen Reim vernommen?
‚Mir’ auf ‚dir’ und jetzt kommt ‚kommen’.
Klar, was soll man auf ‚vernommen’
andres reimen? Dabei kommen
einem entweder die Tränen
oder man fängt an zu gähnen.
Das ist wirklich nicht erträglich,
ja, ich finde es unsäglich
schlimm und schlecht und mies und ka-
tastrophal!" schreit Merlin da.
„Das kannst du niemandem mehr bieten,
deine Schreiber, das sind Nieten!"
(So sagte es Merlin freilich nicht.
Er ging zwar mit uns ins Gericht,
doch wir sind hier vom Reim gezwungen,
bei ihm hat es etwas anders geklungen.
Wir gäben uns Mühe, warn seine Worte,
wir wärn noch die besten unserer Sorte,
wir ließen so lange keine Ruh,
bis ein Reim gefunden. Klammer zu.)
(Klammer auf. „Auch wenn er nicht passt",
sagte er noch und einschränkend: „Fast
stimmt es ja immer oder meist."
Das fanden wir ein bisschen dreist.
Wenn’s mal nicht stimmt, dann höchstens semantisch,
doch wer wäre da denn so pedantisch?
Bisher ging uns kein Vers daneben,
und wenn wir sie mühsam zusammenkleben
und zusammenfügen, zur Not mit dem Hammer.
Jetzt wieder Merlin! Zu die Klammer.)
„Und außerdem, nein, lass mich sprechen!
Diesmal lass ich mich nicht unterbrechen:
Und außerdem: mir wär’ es leid
um die viele verlorene kostbare Zeit,
die deine Schreiber mit Reimen verbringen,
die sie brauchen, um alles zu zwingen
- ob getan oder gesagt,
ob gedacht oder gefragt -
in die üblichen vier Takte.
Außerdem: das so Verpackte
klingt doch schlichtweg abgehackt;
heut’ ist so was abgewrackt."
(Das hat Merlin ganz exakt
Wort für Wort so gesagt.
Und er sagte es voller Hohn -
auch nicht grad’ der gute Ton.)
„Heut’ ist das nicht mehr modern!"
„Dann sage mir, wie hättst du’s gern?"
spricht der König in Gedanken.
Er denkt: ‚Ich hasse dieses Zanken
mit Merlin, meinem Zauberer.’
(Stimmt doch, oder?) ‚Ungefähr,
so zirka hab’ ich das gedacht.’
Laut: „Wir wird’s denn heut’ gemacht?
Sprich, wie werd’ ich aktueller?"
Merlin: „Prosa! Geht viel schneller!
Das ist die ganze Zauberei:
Weg mit dieser Reimerei!
Damit sparst du Satz für Satz
außerdem noch ziemlich Platz
auf dem teuren Pergament,
weil Prosa keine Verse kennt.
Also: Keine Reime mehr!
Keine Takte! Prosa her!"
ruft Merlin laut, enthusiastisch.
Und der König? „Na, fantastisch!
Damit wären alle Probleme
wohl gelöst, und ich nehme
an, die drei da drüben,
die sich noch im Versen üben
werden einverstanden sein."
Was kümmert Artus unser „Nein!"?
Das Reimen haben wir gelernt,
die Prosa nur mal ganz entfernt
gestreift. - Na schön, Befehl von oben,
bevor der anfängt rumzutoben,
schreiben wir eben irgendwie
weiter ohne Poesie.
Begraben wir halt die poetische Feile
in dieser allerletzten Zeile.
Merlin schreit: „Ohne Vers!"
Mit Verlaub, das ist pervers.
Artus hat auf gebundenes Sprechen
schon immer ein Recht. Das wird sich rächen,
wenn er jetzt keine Reime mehr will.
„Ihr seid jetzt, ruft Artus, „still!
Bitte, wie er meint, so soll es geschehen,
er ist der König - man wird ja sehen.
Jetzt trudeln die Gäste so langsam ein.
(Der Reim wär’ nicht schwer, doch wir lassen ihn sein.)
Artus, wörtlich: „Kommt herein!
Setzt euch zu uns, hier gibt’s Wein!"
Merlin steht die Wut im Gesicht.
(Auch das könnten wir reimen, doch das tun wir nicht.)
2
Wie das traditionelle Artustreffen an Pfingsten traditionell ein unerfreuliches Ende nimmt.
Derweilen wird Ginover in ihrer Kemenate von ihren Hoffräuleins auf das lieblichste eingekleidet, damit sie Artus, ihrem Gemahl, auf dem Feste in gewohnter Weise eine Augenweide sei. Und sie erregt tatsächlich, wie jedes Jahr, einige Aufmerksamkeit, wenn auch Artus, ihr Gemahl, seine Augen ebenso auf den übrigen Damen weiden lässt. Die Königin ist dies gewöhnt, und sie verzeiht es ihm gnädig. Dieses ja, anderes nicht immer, und nur mit schmerzverzerrtem Lächeln. Die Tafel ist voll, in doppeltem Sinne, von den ehrwürdigsten Gästen besetzt und mit den herrlichsten Speisen gedeckt. Spielleute sind im Saal verteilt und draußen auf der Wiese, wo sich jene tummeln, die an der Tafel keinen Platz mehr gefunden. Ein fröhliches Zulangen und Sich-schmecken-lassen herrscht allüberall, und nach dem Mahl geht’s hinaus zum Turnieren. König Sperelot von Arsitz ist dort und Grufenanz von Steinitz, der gelbliche Coldas und Lumis der Zufällige, Salizanz von Ratz und Malscherz der Brummer, der wilde Dodernes und der gute Frandelus. Usus und der Ritter Brie, Iwein der Urige und Iwein von Döner und noch ein Iwein, das ist der Ältere. Onano von Schalott und Gesin der Charmer. Dann ist da der Ritter mit dem goldenen Bogen, den er auch beim Mahl nicht ablegt, weil er sonst nicht zu nennen wäre. Mistram und Karel sowie der Könige und Ritter hunderte mehr, allesamt voll Ehre, erfahren die einen und wild die anderen, schön und edel, das ist wahr, nicht zu vergessen die arthurischen Ritter, Keie der Truchsess, und Gawein der Schöne, Gawein der Tapfere, Gawein der Starke, und das alles wie immer in einer Person. Und natürlich die neuen: Astruganz der Stolprer aus dem Lande Tamiralesche, Lageflot unter dem Turm aus dem Land mit den Bäumen, Grogeflumis der Fette, der von der seufzerlosen Garde gekommen ist, Melozamur vom Strand, vom Strand, Norgeles mit den Beulen aus dem Reich jenseits des Sees, Bliopoheris auf den weißen Füßen vom Lande Gosche, Elausi Helanus im Baum aus der Ferne und schließlich Gwisains Kohedans der Schöne, welcher in allen Frauenherzen zu Hause ist.
Damit sind nun ausreichend Personen genannt, während Sapiens ad Portam Celestem, der bei diesem Fest die Abschrift für die königliche Bibliothek übernommen hat, der Vollständigkeit halber, noch immer beim Buchstaben B weilt. Wir beide aber, Theodor von Toledo und Mediales Antiquus können in Ruhe fortfahren, Artus selbst zum Vergnügen in festloser Zeit sowie zum Gelüsten später geborener Menschen, damit sie Kunde haben, was einst (das ist jetzt) geschah am arthurischen Hof.
Das Turnier ist entschieden, Gwisains Kohedans der Schöne der Sieger, Damen und Herren spenden ihm höflichen Beifall, die ersten lauter und inniger, und während die Knappen die zurückgelassenen Glieder forträumen, die nicht mehr zu gebrauchen, so zerschlagen, zerstochen, zerhauen und zerfetzt, wie sie sind, und mit Sand die Blutlachen trocknen, damit anderen Tags keiner der Edlen darin ausgleite, kehrt die Gesellschaft fröhlich ins Zelt zurück, wo Keie, der Truchsess, sie schon mit abermals knusprigem Braten empfängt, wenn auch einige Damen bei „knusprig" an manch anderes denken. Gwisains Kohedans der Schöne sitzt dort und genießt auch dieses.
Doch Gott, der Allmächtige, der allem ein Ende gegeben, lässt auch jenes Mahl sich der Suppe nähern, die Artus, dem König, am Abend gereicht wird.
Mit dieser Suppe verhält es sich so. Ausgiebige Mahle schlagen dem König sehr auf den Magen. Als Merlin nun eines Tages das königliche Rumoren bemerkte, bestellte er Artus, den König, in seiner Eigenschaft als Hofmedicus (neben dem Zauberer und dem Propheten nimmt er auch dieses Amt wahr) in seinen Keller, um ihm eine gründliche Untersuchung angedeihen zu lassen. Die Untersuchung war lang, das Ergebnis kurz: Der König leide vor allem an arthurischen Festen sehr unter der Schwere der Speisen, was - wie Artus gestand - sich häufig ebenfalls in düstren Gedanken äußere, dunkeln Vorsehungen und dergleichen mehr. Dies sei, schloss Merlin, sehr signifikant für einen Mann in seiner Position, doch brauche er sich darum keine Sorgen zu machen, denn er habe als Hofmedicus, der er schon bei seinem Vater gewesen, damit