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Die letzte Lektion
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eBook367 Seiten4 Stunden

Die letzte Lektion

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Über dieses E-Book

Der Mörder wartet nicht, bis ein Lehrer aufzeigt. Im Nu sind einige Lehrer in die ewigen Ferien verabschiedet worden. Warum gerade Lehrer? Stimmt, Bankmanager hätten es auch getan, aber es sind halt Lehrer geworden. Und wer hätte nicht einen Pauker im Keller seiner grausamsten Fantasien? Ist es da also verwunderlich, dass es auch einmal Lehrer trifft? Dass sie vom Leben befreit werden, sollte allerdings nicht allzu ernst genommen werden, denn ohne Humor wäre das Leben ein Irrtum.

Wie schon im Krimi "Curry, Senf und Ketchup" versucht Kommissar Max Berger die Morde aufzuklären. Auch in diesem Kriminalroman gibt es groteske Szenen, obwohl Lehrer ermordet werden. Oder müsste es heißen, gerade deswegen gibt es viel Anlass zur Heiterkeit. Neben Berger spielt Horst Krock, Kriminalreporter des Paderborner-Rundfunks, eine entscheidende Rolle bei der Suche nach dem Mörder.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum8. Sept. 2014
ISBN9783847673118
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    Buchvorschau

    Die letzte Lektion - Friedrich Wulf

    Der Autor

    „Taten ohne Täter, „Senf, Curry und Ketchup, „Die letzte Lektion" - es gibt noch zu viele Leser, die keinen der Krimis gelesen haben.

    Nach Schule und Universität arbeitet Wulf als Englischlehrer.

    Er hofft darauf, den Satz bald so abwandeln zu können: Nach Schule und Universität arbeitete Wulf als Englischlehrer, bis ihm der Erfolg seiner Kriminalromane erlaubte, als Schriftsteller zu leben.

    Sein Leben ging dann so weiter: Jeden Morgen um acht setzt er sich an den Schreibtisch. Mittags läuft er zehn Kilometer, in Gedanken immer noch bei seinen Figuren, um am Nachmittag weiterzuschreiben.

    In diesem Krimi „Die letzte Lektion werden Lehrer ermordet. Wie in „Curry, Senf und Ketchup versucht Kommissar Max Berger die Morde aufzuklären. Auch dieser Kriminalroman ist in Teilen nicht bierernst, obwohl Lehrer ermordet werden, oder müsste es heißen, gerade deswegen gibt es viel Anlass zu grotesker Heiterkeit.

    Drei weitere E-Books erschienen bei Amazon und bei den großen Anbietern von E-Books im epub-Format.

    „Senf, Curry und Ketchup" (Krimi)

    „Nacktes Entsetzen" (Neun Erzählungen)

    „Taten ohne Täter" (Thriller)

    Weitere Information gibt es regelmäßig auf seiner Homepage:

    https://sites.google.com/site/frwulf/

    Auf der Google+ Plattform veröffentlicht er Menschliches, Allzumenschliches aus dem menschlichen Zoo.

    https://plus.google.com/u/0/114571594070901332794/posts

    Eins

    Sehr geehrter Herr Jonas,

    in den letzten drei Wochen haben Sie den Unterricht unentschuldigt versäumt. Den Anwesenheitslisten ist zu entnehmen, dass Sie seit dem 1.4.2011 bis heute, dem 22.4.2011, nicht am Unterricht teilgenommen haben. Im Rahmen der Amtshilfe ist das BAföG-Amt über die Fehlzeiten unterrichtet worden.

    Den Aufforderungen der Schule mitzuteilen, weshalb Sie den Unterricht versäumen, sind Sie nicht nachgekommen, weshalb Sie ausgeschult worden sind.

    Bitte geben Sie bis zum 29.4.2011 die ausgeliehenen Bücher im Sekretariat ab.

    Mit freundlichem Gruß

    A. Laubfuß

    Herr Jürgen Jonas, wohnhaft in der Ferdinandstraße 42, Paderborn, verbrannte die Briefsammlung aus seiner Schule. Er hatte eine Idee. Eigentlich wollte er die Briefe im Anhang seiner Biografie veröffentlichen als späte Rache. Ein besserer Einfall stellte sich just in dem Augenblick ein, als der Schuldeneintreiber, der ihm alle paar Tage auf die Pelle rückte, seinen geleasten Fernseher heraustrug.

    Jürgen schaute aus dem Dachfenster seines Zimmers, leer geräumten möblierten Zimmers auf das Dach des ehemaligen Polizeigebäudes und murmelte leise: „Pauker sind entweder Päderasten oder Sadisten. Oder beides: Päderadisten. Für euch meine Freunde gibt es nur eine Antwort."

    Zwei

    Horst Krock hatte Sorgen. Seine Sorgen waren gestaffelt wie Horizonte, die sich immerzu verschieben, sich mal in den Vordergrund drängen und dann wieder zurückziehen. Alle seine gestaffelten Sorgen wurden eingerahmt von den Befürchtungen um seinen Job. Akut in den Vordergrund drängten sich die roten Zahlen auf seinen Bankkonten. Noch akuter jedoch war das konvulsivische Jetzt: Er kotzte gerade über seinen Zahnarzt. Da wirst du alt wie eine Kuh und lernst jeden Tag noch was dazu. Es war offenbar ein Fehler, sich mit einem hemmungslosen Kater in die Folterkammer eines Zahnarztes zu begeben.

    Zum Zahnarzt ging niemand gern, aber normalerweise betrachtete Krock die Tortur wie alles andere im Leben auch: als einen Witz. Er wusste, wie man sich vor allzu brutalen Bohrübungen des Zahnarztes schützte: mit einem schnellen Griff. In dem Augenblick, in dem die Marterliege gesenkt wurde, griff er dem Zahnarzt gewöhnlich zwischen die Beine und grinste: „Wir werden einander doch nicht wehtun, nicht wahr?" Aber jetzt erbrach er Brocken, von denen er nicht wusste, was sie im Original gewesen sein mochten.

    Den Griff hatte er heute vergessen, viel zu nachlässig war seine Stimmung. Horst hörte kaum das Knacken und Knirschen im Maul und verdrehte nur die Augen bei der zweiten Aufforderung: „Weiter öffnen!" Sein Magen war eine servile Sau, er nahm den Befehl wörtlich und öffnete sich auf der Stelle. Seine Speiseröhre dehnte sich und schon strömten aus seinem Rachen acht Halbe, sechs doppelte Whiskys, Dönerklumpen, etwas Krautsalat, zwölf Erdnüsse, zwei Schinkenlappen - alles in allem 35 Euro und 25 Cent an Getränken und Fressalien. Oder um genau zu sein, davon die halb verdauten Reste. Nachdem sich Horsts Magen, dann sein Mund und schließlich die Tür weit geöffnet hatten, brauchte er einen neuen Zahnarzt.

    Das hätte Horst Krock normalerweise nicht sonderlich gestört. War willkommenes Erzählmaterial für die nächste Kneipennacht. Zu diesem Zeitpunkt in seiner Karriere jedoch durfte die Eskapade unter keinen Umständen bei seinem Arbeitgeber ankommen. Krock war ein Experiment, ein Prototyp, der erste Vollzeit Kriminalreporter beim Paderborner-Rundfunk und nach den Erfahrungen mit ihm, standen die Sterne günstig, dass er auch der letzte sein würde. Er war ein verflucht guter Journalist; ausgefuchst, trinkfest und ohne Abitur.

    Er hatte eine prächtige Journalistennase, knubblig und porös, die seinem geräumigen Gesicht stand. Krock war glücklich, wenn er mit jemandem reden konnte, und konnte es mit den meisten.

    Horst Krock bildete sich nichts ein, bis auf den Umstand, mit Menschen jeder Art reden zu können und hielt es für das Zeichen großer geistiger Gesundheit. Gäbe es ein Verbrechen im Kreise der Honoratioren der Stadt Paderborn, für ihn wäre es eine leichte Übung, Fakten, Fuseln und Flusen zu finden vom Bürgermeister bis zur Putzfrau des Rathauses. Er kannte sämtliche Polizisten, auf die es ankam und auch die meisten Top-Ganoven der Stadt. Dass er zwischen den Ganoven und Top-Polizisten keinen wirklichen Unterschied machte, konnte jedermann hören, wenn er für 35 Euro und 25 Cent getrunken und gegessen hatte.

    Drei

    Horst läge mit der Zeit im Clinch, dachten die anderen. Sie wussten eben nicht, dass Horst Pünktlichkeit als völlig überbewertet ansah. Vieles war seiner Meinung nach überbewertet. Nüchternheit sowieso und Fußball und Zahnärzte, überhaupt alle Ärzte. Und Gesundheit, natürlich auch Gesundheit, war alles überbewertet. Und der Ernst, der große deutsche Über-Ernst. Völlig überbewertet!

    Nein, die Zeit war es nicht, mit der er Probleme hatte, möglicherweise mit dem Raum, wenn am Ende seiner Zeit noch immer ein Stück des Weges vor ihm lag. Dass diese Nasenhaarzupfer ihm deswegen einen Disziplinarmühlstein um den Hals gehängt hatten, verriet ihre kleinbürgerliche Mickrigkeit.

    Er war, in seinen Worten, ein schwielarschiger alter Profi in einem Beruf, in dem teiggesichtige Jüngelchen ihn überholten, direkt von der Uni. Feuchte Jungs und politisch korrekte grüngraue Gänse, die von Gartenpartys, Hochzeiten und zivilem Widerstand berichteten. Sie liebten ihre Regenmäntel, aber trocken - diese Rotznasen. Zugegeben, sein eigener hing im Moment knochentrocken am Haken im Barcelona, gleich um die Funkhausecke herum. Hätte er sofort in die Redaktion rennen sollen nach dem Arzttrauma? Wann war ein Antitraumatikum dringlicher als nach einem traumatischen Erlebnis beim Zahnarzt? Wann sonst waren ein doppelter Whisky und drei oder vier Pils rettendere Labsal? Prost!

    Angemessen erfrischt und geistig aufgekratzt, kehrte er in die Redaktion im dritten Stock des Funkhauses zurück. Wie gewöhnlich sah das Nervenzentrum der Radionachrichten aus wie eine Müllhalde. Wo keine leeren Kaffeebecher standen, stanken volle Aschenbecher. Wo keine vollen Aschenbecher stanken, wucherte Papier. Haufenweise gestapelt oder immerfort dabei umzukippen, als hätte das Naturgesetz hier nichts zu sagen. Stapel waren ineinander gestürzt, abgestorbenes Nachrichtenmaterial von Associated Press oder Reuters längst zu knackiger Nachrichtenprosa verarbeitet.

    Vier

    Horst stand im anschwellenden Brummen der Nachrichtenredaktion des Paderborner-Rundfunks. Ressortleiter, Redakteure, Sprecher waren da, bevölkerten einen 10 Meter breiten Tischriegel, den sie den Balken nannten. Horst näherte sich dem Tisch, auf dem die Papiere mit den gewichtigen Themen lagen, wo das Ausgewalzte lag, die ins Tiefe gehenden Analysen der politischen Situation, die profunden Berichte und Reportagen zu den Bedeutsamkeiten der Zeit. Dem Zeitgeist auf der Spur hieß die Kolumne von Daunhill dieser kahlen Wühlmaus. Der Zeitgeist produzierte ständig Untergänge. In dieser Woche war Hollywood auch nicht mehr, was es einmal war. Alles ging bei Daunhill immerzu vor die Hunde, was weder die Hunde bemerkten noch die untergehende Wirklichkeit.

    Die nächste in die Breite, vor allem aber Tiefe gehende Sendung kam um ein Uhr: Die Welt um eins. An der Verfassung der Redakteure konnte Horst die Uhrzeit ablesen. Noch lief die Maschinerie nicht auf hohen Touren, noch dämmerten Sprecher vor sich hin, komatös und klinisch halb tot. Noch war viel Zeit zum Dösen, jetzt um 11.20 Uhr. Beim Anblick der tranigen Tröpfe wurde ihm warm, Verachtung wallte hoch.

    Sie merkten gar nicht, dass sie geboren waren, ja sie hatten nicht einmal bemerkt, dass sie schon gestorben waren, aus bevölkerungspolitischen Rücksichtnahmen hatte man es ihnen nur noch nicht mitgeteilt.

    Hier gammelten sie vor sich hin; er hingegen war immer bei der Arbeit, erst recht in der Kneipe. Das würde er ihnen heute Nachmittag schon beibiegen, den Staub- und Fliegenfängern, die ihm Schlampigkeit vorwarfen und laxen Umgang mit der Disziplin. Parasiten waren das, Schmarotzer am Skrotum der Rundfunkanstalt, mit einem Wort: Sackratten.

    Am Ende des Tisches fürs Breitgetretene stand ein sich selbst bemitleidender Gummibaum. Die Mitleidsmiene trug der Gummibaum zur Schau, seit jenem Tag, als Horst vom Mittagessen zurückgekommen war und beschlossen hatte, dass der Gummibaum Wasser brauchte, und ihn auf eine Weise wässerte, die mehr über Horsts gesunden Durst aussagte als über seine Pflanzenkenntnisse. Neben dem unglücklichen Gummibaum stand Beulenpapst, der Aufsicht führende Redakteur, Stellvertreter des Chefs. Weil er schon auf die falsche Seite von 50 gerutscht war und keine Uni besucht hatte, ließ Horst Gnade und Respekt walten, war gar kein schlechter Journalist, wenn er einen guten Tag hatte.

    „Hallo, du alte Bartflechte."

    „Morgen Horst."

    „Irgendwas für mich?"

    „Ja, hier." Beulenpapst nahm ein Blatt Papier von Associated Press.

    „Es hat einen Neuen gegeben", sagte er.

    „Einen Neuen was?"

    Fünf

    „Mord. Am Michaelskloster wurde doch ein Lehrer ermordet. Schwerdtfeger oder Schwerdtegger oder so ähnlich. Jetzt ist ein weiterer Pauker - ist in die ewige Unterrichtsstunde geschickt worden", sagte Janine.

    „Hu, hu, hu, sagte er. „Sieht ganz nach einem Schwärmer aus. Ein auf den Kopf gestellter Gutmensch. Gut, gut! Kuck ich mir an.

    Horst wurzelte in seinem Büro herum, um seinen Textfetzen zu präparieren, einen zweiminütigen Report für Die Welt um eins. Aber er langweilte sich so sehr dabei, dass er ein unerquickliches Telefonat vorzog.

    „Tut mir leid, es gibt nichts hinzuzufügen zur offiziellen Erklärung", sagte der Polizeisprecher.

    „He Männeken, hier spricht Horst Krock, also nicht so vorlaut".

    Pressesprecher waren noch schlimmer als grüne Redakteure. Sie masturbierten auf unterstem journalistischen Niveau.

    Wer, fragte sich Horst mit ehrlichem Ekel, als er den Hörer fallen ließ, würde Pressesprecher werden, wenn er das Zeug zum echten Journalisten hätte. Pressesprecher salbaderten über Instinkt und Spürnase und über gute Schreibe und dann ging ihr Leben auf in so großartigen Wiederholungen wie: „kein Kommentar." Elende Gartenzwergsammler und Sockenbügler.

    Missmutig wandte Horst sich wieder der Meldung zu, die nur ein paar Einzelheiten enthielt. Ein Biolehrer war tot aufgefunden worden, aber nichts über sein Privatleben, kein Hinweis auf mögliche Verdächtige.

    Horst rief noch einmal bei der Polizei an, ließ sich dieses Mal aber nicht mit dem Pressesprecher abspeisen. Anders als der Pressesprecher begrüßte ihn der Polizeipräsident herzlich.

    „Horst, was machen die Zähne?"

    Horst fragte nicht, woher er das wusste, das war schließlich der Polizeipräsident, weshalb er gleich zum Punkt kam.

    „Schweigen ist Gold wie, oder warum kriegt man von Ihren Jungs nichts zu -, die Öffentlichkeit ist beunruhigt, sie haben ein Recht auf…

    „Offiziell oder unter uns?"

    „Offiziell, unter uns, wie es beliebt, Hauptsache Fleisch ist dran und nicht nur Knochen."

    „Also gut."

    Die Meinung des Polizeipräsidenten über Horst schwankte. Manchmal meinte er, er könne ihm vertrauen, meist aber war er skeptisch. Horst Krock war so vertrauenswürdig wie ein Kettenhund, der ausgebüxt war und sich jetzt als Straßenköter einen Namen machte.

    „Tatsache ist, wir glauben ein Fanatiker, ein Verrückter ist da am Werk. Der letzte Mord ähnelt dem am Lehrer des Michaelsklosters. Er hinterlässt Briefe am Tatort."

    „Was steht drin?"

    „Hier, hör zu. Der Polizeipräsident raschelte durch seine Papiere. „Diesen ließ er auf der Lehrerleiche des Michaelsklosters: „So soll es allen humorlosen Tafelfüllern und Rechenmaschinen gehen, die meinen auf diesem Wege die Welt zu erkennen. Wir aber wollen die Feinheit und Strenge der Mathematik in alle Wissenschaften hineintreiben, um damit unsere menschliche Relation zu den Dingen festzustellen. Die Mathematik ist nur das Mittel der allgemeinen und letzten Menschenkenntnis.

    „Und was soll das heißen?", fragte Horst.

    „Find’ es heraus und sag es mir. Und dies ist von heute morgen, lag auf dem Biolehrer: „Und so ergeht es den Lauten, den Schreihälsen, die durch die Macht ihrer formalen Autorität herrschen wollen. Was den berühmten Kampf ums Überleben angeht, er ist damit zu Ende. Auch in die Klasse geschrien, ist der Kampf ums Überleben einstweilen mehr behauptet als bewiesen. Wo gekämpft wird, kämpft man um Macht."

    „Leck mich am Arsch", sagte Horst.

    „Genau. Und wir wollen nicht, dass das rausgeht, weil…"

    „Weil es genug Pavianärsche gibt, die fünf Minuten berühmt sein wollen und ihr dann nicht wisst, woran ihr seid", endete Horst für ihn. Das war das übliche Verfahren, wenn sie es mit Mördern zu tun hatten, keine Details herauszugeben.

    „Gut, steckt schon in meinem Tresor, klappe zu", sagte Horst und bedankte sich beim Polizeipräsidenten.

    Das war zum Sichbesaufen, weil Horst herzlich wenig der gelangweilten Welt um ein Uhr zu berichten hatte, aber zumindest kannte er jetzt den Grund fürs offizielle Schweigen. Er machte sich auf den Weg zum Studio und war dabei Sätze, ja ganze Absätze in seinem Kopf vorzuformulieren. Viel zu sagen, ohne etwas zu sagen, darin lag die ganze Kunst unter solchen Umständen. Er musste grinsen, als er an sein Vorbild dachte.

    Es war erst 12.15 Uhr, als er im Studio ankam, aber es gab keinen Grund zu warten.

    „Lass es uns aufnehmen", sagte er zum Toningenieur, verantwortlich fürs Drehen und Schieben von Knöpfen und Reglern. Gerade bei Horst war seine Ingenieursgenialität gefragt, er musste dafür sorgen, dass seine Ansager und Reporter, dass insbesondere Janine und Horst nüchtern klangen.

    Um diese Zeit war das meist noch kein Problem und so hatten sie beim ersten Anlauf eine passable Aufnahme.

    Herr Bruchreich ist der zweite Paderborner Lehrer, der in diesem Monat ermordet aufgefunden wurde. Im Bioraum der Ludwig-Erhard-Schule fand ihn ein Kollege kurz nach acht Uhr. Wie er ermordet wurde, kann noch nicht mit Sicherheit gesagt werden. Seinem Kollegen war allerdings aufgefallen, dass Bruchreich seltsam aufgebläht ausgesehen habe. Knöpfe vom Hemd geplatzt, der Bauch über den Hosengürtel gewölbt, obwohl Bruchreich, eigentlich keinen Bauch gehabt habe. Über Motive der Tat gibt es bisher keine Hinweise, obgleich dieser Fall stark an den Mord im Michaelskloster erinnert. Weitere Einzelheiten wollte oder konnte die Polizei nicht herausgeben. Die Lehrerschaft ist beunruhigt und fordert von der Polizei besondere Schutzmaßnahmen.

    „Nicht sonderlich sensationell", grummelte der Chefredakteur, als er sich das Band anhörte.

    „War nicht mehr rauszuholen, die Bullen sind stumm wie Maulwürfe", erwiderte Horst. Man gab nicht alles preis, was man wusste, wenn man nicht viel hatte. Und das Bisschen, was er hatte, würde er eventuell noch gebrauchen müssen, je nachdem wie sein Auftritt vor dem Disziplinarausschuss endete.

    „Schon gut. Ich schätze wir müssen das als Hauptgeschichte bringen."

    „Natürlich ist das die Hauptstory", sagte Horst.

    Ein gutes, wenn auch etwas frustrierendes Stück Morgenarbeit war getan. Ein Mann, auf den ein Disziplinarverfahren wartete, musste sich vorbereiten, sagte sich Horst und nahm Kurs auf die Kneipe.

    Herr Jürgen Jonas, wohnhaft in der Ferdinandstraße zu Paderborn, ging durch die Imadstraße und fasste seine Zufriedenheit in dem Gedanken zusammen, wenn einem etwas wirklich Gutes gelingt, dann ist das schon ein Schlückchen wert.

    Sechs

    Die Reform-Partei residierte in der Rathenaustraße. Ohne sich sonderlich anstrengen zu müssen, strahlte das gelb-blaue Schild an der grau-schmuddeligen Fassade der Geschäftsstelle. Im Erdgeschoss übte eine aufstrebende - oder was sagt man? Sagen wir, eine vielversprechende Rockband übte dort ihre markerschütternden Beiträge zur Gegenwartskultur ein. Ohne Zweifel war das Zukunftskultur, wenn man sensibel genug war, die Qualität des verstärkten Lärms zu erkennen. Sie nannten sich Holterdiepolter. Ignoranten der Zukunftsmusik mochten meinen, ihr Ziel sei es, ihre Worte zu martern im elektronisch hochgedrehten Gebrüll. Wäre nicht das erste Mal, dass wahre Kunst in ihrer Zeit nicht erkannt wurde. Aber noch übten sie, noch waren sie guten Mutes und also sollten wir uns gedulden und abwarten, was daraus wird.

    Im Obergeschoss lebte, wenn man der Postkarte über der Türschelle glauben schenkte, ein Modell. War der Glaube an Worte eine zu windige Sache und fühlte man sich eher dem Fühlen zugeneigt, dem was die Sinne boten, dann stieg man Stufen hinauf und erblickte an der Tür ein Schild mit den Lockworten: „Dominique gibt einsamen und ehrerbietigen Männern Zucker, bis sie die Wände der Ekstase erklimmen."

    Die Reform-Partei steckte im Stockwerk dazwischen. An diesem Morgen war das Hauptquartier der Partei mit dem Landesvorsitzenden gesegnet. Hätte man Gero Creme-Peierstorf, MdL, gefragt, warum er es bei der letzten Wahl zum MdL gebracht habe, dann hätte er die Augenbrauen erstaunt auf die Stirn gezogen und wahrscheinlich gesagt, in der reformbedürftigen Bundesrepublik sei es ja wohl kein Wunder, dass der Vorsitzende der Reform-Partei in den Landtag gewählt worden sei. Was denn so reformbedürftig sei? Alles hätte er gesagt: die Wirtschaftsordnung, das Finanzwesen, das Wurstwesen, das Rechtswesen, die Gastronomie, die Bundeswehr, die Bundesliga und natürlich das Bildungswesen, insbesondere das Bildungswesen sei reformbedürftig in Permanenz.

    Vielleicht hätte er auch auf die Frage, wie er MdL geworden sei, so simpel beantwortet, wie sie zu beantworten war. Oder er hätte Howard Hughes zitieren können. Als der nämlich gefragt wurde, warum er als langnageliger Einsiedler in einem versiegelten Hotelzimmer auf den Schnitter mit der Sense warte, habe Hughes mit größter Offenheit gekräht: „I just sort of drifted into it. Im Übrigen war das fast immer die richtige Antwort auf alles, war also auch die angemessene Auskunft auf die Frage, wieso Creme-Peierstorf es zum MdL gebracht habe. „He sort of drifted into it. Zwei Faktoren hatten den Ausschlag gegeben: Seine Wähler hatten mit ihm Mitleid und außerdem komplett ihren Verstand verloren. Und lieber Leser, mal ehrlich, bist du nicht auch in ganz vieles einfach nur hineingeschlittert? Schlitterst du nicht gerade? Mal ehrlich! Schlittern wir nicht immerzu?

    Jemand wie Creme-Peierstorf, der so unglaublich untauglich war für jeden anständigen Job außerhalb der Politik, hatte beim politischen Schieben und Schummeln ein weites Feld um seine Defizite zu kaschieren, nun da er es in den Landtag geschafft hatte. Creme-Peierstorf machte es wie die meisten Politiker heutzutage, er engagierte einen Reden- und Sprücheschreiber. Seiner hieß Guido und Creme-Peierstorf legte Wert darauf, niemals ein politisches Wort zu äußern, das Guido nicht für ihn erklügelt hatte. Es kam also darauf an, nur genau das vorzulesen, was Guido für ihn entworfen hatte, ohne auch nur ein Komma zu verändern.

    Guidos Anheuerung war genauso ein Zufall gewesen wie die Wahl Creme-Peiersorfs. Ganz ohne Zweifel war Guido clever, aber zugleich erfüllte er das Klischee des intellektuellen Eierkopfes auf eine so idealtypische Weise, als hätte er für alle anderen das Vorbild abgegeben. Natürlich war er nicht in der Lage eine Sardinenbüchse zu öffnen und bevorzugte Slipper mit flachen Absätzen. Doch vermutlich waren es böse Zungen, die das Gerücht in die Welt gesetzt hatten, er könne sich nicht einmal selbst die Schuhe schnüren. Guido beizubringen eine Dose mit Schuhcreme zu öffnen, habe sein Vater schließlich aufgegeben. Vergebliche Liebesmüh.

    Nein, ein motorisches Genie war Guido sicherlich nicht, aber klug sah er aus, was fast schon die halbe Miete war. Allerdings wirkte er auch ein wenig schluderig, nicht zu sehr, denn er soll uns ja sympathisch bleiben. Und Klugheit und Schludrigkeit, wer denkt da nicht sofort an Einstein? Damit soll natürlich auch nicht gesagt sein, dass Schlampigkeit der Genialität auf die Sprünge hilft, nein, das auch nicht.

    Klein war Guido und klapperig, der mächtige Kopf auf hängenden Schultern und viel zu wuchtig die Brille auf seiner Nase. Seine welligen Borsten widerstanden jedem bändigenden Kämmversuch. Wie man einen Schlips band, würde ihm für immer ein Geheimnis bleiben und seine Bemühungen Hemden zu bügeln, waren so verheerend gewesen, dass er von dem heißen Bemühen inzwischen vollkommen Abstand genommen hatte. Kein halbwegs vernünftig denkender Mensch hätte Guido engagiert, weshalb er sich wahrscheinlich bei der Reform-Partei beworben hatte. Selbst dort wäre er vermutlich nicht erfolgreich gewesen, hätte er vor dem Gespräch nicht ein paar Gläser perlenden Mutes getrunken und wäre die Flüssigkeit nicht just in der Mitte der Befragung dort angekommen, wo alle Flüssigkeit früher oder später ankommt. Seine gut gefüllte Blase drückte ihren Wunsch nach Erleichterung mit solchem Druck aus, dass sein gesamter Kopf mit dem Gedanken ausgefüllt war: eine Toilette, ein Königreich für eine Toilettenschüssel. Von Creme-Peierstorf nach seiner Einschätzung gefragt, woran es liegen möge, dass die Unterstützung der Partei einem versiegenden Rinnsal gleiche, erklärte Guido, dass alles jeden Augenblick zu einem breiten Strom anschwellen könne. Die Worte äußerte er mit solch flüssiger Überzeugungskraft, dass er auf der Stelle engagiert wurde, aber noch beim Handschlag sich zur Tür drehte und für die Dauer einer Pinkellänge verschwand.

    Bis auf einem Gebiet war Guido fast auf allen anderen ein ahnungsloser Esel, aber er konnte Reden schreiben, eingängig wie ölfarbige Harfenklänge. Und so wurde eine große Partnerschaft geboren zwischen Guido dem Hirn und Creme-Peierstorf dem Maul.

    Eine Woche später war Creme-Peierstorf nicht konzentriert bei der Sache, wurde abgelenkt, nicht von seiner Blase, die so durchtrainiert war, dass er darin locker zehn Liter unterbringen konnte. Er vernahm Zischgeräusche von oben, wo ein jammernder Klient offenbar übermenschliche Kraft aufbot, um die Wände der Ekstase zu erklimmen. Von unten dröhnten die musikalischen Versuche von Holterdiepolter, dass Creme-Peiersdorf vibrierte und sein Fett Wellen

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