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Marie Luise: Erzählung
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eBook129 Seiten1 Stunde

Marie Luise: Erzählung

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Über dieses E-Book

Diese Erzählung bringt das Leben in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf eindrückliche Weise zurück.
Im Mittelpunkt dieser Erzählung steht Marie Luise, meine Grossmutter, die mir an den langen, dunkeln Winterabenden während des Zweiten Weltkrieges die schicksalshafte Geschichte ihrer Jugend erzählt. Bilder von grosser Intensität und Farbigkeit sind da entstanden.
Marie Luise wächst in einfachen Verhältnissen in einem Försterhaus auf. Sie muss zur Schule und lernt Benedikt, den jüngsten Sohn des benachbarten Bauern kennen. Diese Freundschaft trägt sie durch ihre Kindheit und Jugend, bis Benedikt auf Grund fehlender Perspektiven in der Schweiz im fernen Amerika eine Existenz für beide aufzubauen versucht.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum8. März 2015
ISBN9783738018622
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    Buchvorschau

    Marie Luise - Rosemarie Stucki-Maurer

    Vorwort

    An den langen, dunkeln Winterabenden während des Zweiten Weltkrieges hat mir meine Grossmutter die Geschichte ihrer Jugend erzählt. Wir sassen zusammen auf dem mit grauem Plüsch überzogenen Sofa, das sie vor langen Jahren von ihrem Dienstherrn zur Hochzeit geschenkt bekommen hatte und strickten unzählige Sockenpaare für die Soldaten im Feld. Während die Nadeln leise klapperten, liess meine Grossmutter die Bilder ihres Erlebens vor meinem inneren Auge entstehen. Es waren Bilder von grosser Intensität und Farbigkeit, die mich bis heute nicht loslassen.

    Wenn Grossmutter aus ihrer Jugend erzählte, wurde ihre Stimme weich und irgendwie zärtlich. Man spürte deutlich, dass diese Jahre, in denen sie so viel Liebe erfahren durfte, zum Fundament ihres Lebens geworden sind, das sie durch das Leid und den Schmerz ihrer späteren Jahre getragen hat. Sie war trotz der vielen Schicksalsschläge, die sie auch in ihrem Leben als Frau und Mutter ertragen musste, nicht verbittert. Bis ans Ende ihrer Tage behielt sie ihren feinen Humor. Wer ihr begegnete spürte, dass sie sich mit ihrem Schicksal versöhnt hatte und zu einem tiefen Einverständnis mit dem Leben gelangt war.

    Ich habe die Geschichte für meine Familie aufgeschrieben um sie daran zu erinnern, dass es in jedem Leben, mag es noch so einfach und alltäglich sein, Tragödien geben kann, die denen in der Antike in nichts nachstehen.

    Meine Grossmutter hat mir Liebe und Fürsorge geschenkt. Indem ich ihre Geschichte festhalte, möchte ich ihr danken.

    Rosemarie Stucki-Maurer

    l. Kapitel

    Die Küche sah prächtig aus fand Luise, und es roch köstlich. Seit Tagen hatte das kleine Mädchen der Mutter geholfen, alles für Weihnachten vorzubereiten. Die Betten waren frisch bezogen und die Stuben ausgefegt. Weitaus am meisten war in der Küche zu tun gewesen. Der Hase für den Festtagsbraten musste in Wein, gewürzt mit Nelken, Pfeffer und einigen Lorbeerblättern eingelegt werden. Zöpfe und Lebkuchen wurden gebacken, und was Luise am heissesten liebte: Badener Chräbeli.

    Auf dem Gänterli dampfte ein Apfelkuchen. Der war für das Abendessen bestimmt. Jetzt brannte das Feuer im grossen Ofen nur um zu wärmen. Riesige Buchenscheite knackten. Einzig der Schein der Flammen erhellte den immer dunkler werdenden Raum. Die Kleine liebte die Küche am meisten zur Zeit der Dämmerung. Tagsüber war sie angefüllt mit Geschäftigkeit, aber in den Abendstunden zeigte sie ihr wahres Gesicht. Luise hätte es nicht in Worte fassen können, aber sie spürte, dass die Küche das Herz des Hauses war, das ihr mit seinen dicken Mauern und dem tief heruntergezogenen Dach Geborgenheit schenkte – Heimat war.

    Ihr Blick wanderte über die rauen, unverputzten Steinmauern auf denen die Schatten der zuckenden Flammen einen seltsamen Tanz aufführten. Die eiserne Ofentür stand einen Spalt breit offen, damit das Feuer, eben erst von der Mutter neu entfacht, genug Zug hatte. An derselben Wand stand auch der Kochherd mit seinen zwei Pfannenlöchern und dem grossen Wasserschiff aus Messing. Darüber der mächtige Rauchfang, in dem an eisernen Haken Würste, Speck und Schinken hingen. Der Raum hätte düster wirken können. Doch durch die freundliche Einrichtung strahlte er Behaglichkeit aus. Der Tisch, die Bänke und der behäbige Geschirrschrank waren aus hellem Eichenholz. Auf den offenen Borden stand das weisse, mit blauen Blumen bemalte Geschirr. Auf dieses war Luises Mutter Verena besonders stolz. Ebenso auf das ererbte, versilberte Besteck. Solch schöne Dinge waren selten in einem Försterhaus. Nicht nur in der Küche, überall in dem bescheidenen Haus war zu spüren, dass hier eine Hausfrau waltete die das Schöne liebte, und die es verstand mit wenigen Mitteln ein gemütliches Heim zu schaffen.

    Am frühen Mittag hatte Luise mit ihrer Mutter Büschel von Tannen- und Föhrenzweigen über die Türen gehängt. Jetzt, wo es im Raum immer wärmer wurde, verströmten sie ihren harzigen Geruch. Die Zweige hatte Vater Joseph von seinem Morgengang durch den Wald mitgebracht, zusammen mit einem kleinen Tannenbaum. Zum ersten Mal in ihrem Leben sollte die kleine Luise einen Weihnachtsbaum bekommen. Mutter Verena hatte bei einem Gang in die Stadt von dem neuen Brauch gehört, zu Weihnachten einen Baum mit Kerzen zu schmücken. Da sie immer darauf sann, ihrer Kleinen Freude zu machen, fasste sie sich ein Herz und erzählte ihrem Mann davon. Natürlich war sie sich bewusst, dass es ein eher unbescheidenes Ansinnen war. Kerzen waren teuer und es grenzte an Leichtsinn, an einem Abend gleich mehrere davon abzubrennen. Sie stiess bei Vater Joseph auf offene Ohren. Er hatte bereits am Chlausmarkt im Städtchen diese seltsamen Dinger aus Draht gesehen, in die man Kerzen stecken konnte, um sie an einem Zweig zu befestigen. Er würde ein paar davon besorgen. Er hätte noch ganz andere Dinge getan um seine geliebte Frau und sein Luischen glücklich zu machen.

    Nun war die Mutter dabei das Bäumchen zu schmücken. Luise musste in der Küche warten. Sie lauschte auf das Knarren der hölzernen Dielen unter den leichten Schritten der Mutter in der Stube nebenan. Ein Schauer ging über den Rücken des Kindes. Bald würde es soweit sein. Die Zeit wurde ihr lang. Sie kletterte auf die Küchenbank um aus dem Fenster zu schauen. Der Schnee schien alle Laute zu verschlucken. Das Licht war schon ganz matt und es erschien dem Kind, als ob die Bäume näher an das Haus gerückt wären, um Schutz zu suchen.

    Endlich stapfte der Vater vom Walde her durch den Schnee, würdevoll begleitet von seinem bereits etwas kurzatmigen Dackel. Das Mädchen seufzte freudig auf: Jetzt würde Weihnachten werden. Luise horchte darauf, wie der Vater den Schnee von den Schuhen stampfte und dann ins Haus trat. Eilig rutschte sie von der Bank und sprang hinaus in die Diele, direkt in die Arme des grossen hageren Mannes, bevor er auch nur seinen feuchten Umhang ausziehen konnte. „Hei Du Wildfang, lass mich erst einmal heimkommen!" lachte er. Aber seine Abwehr war nur gespielt. Er liebte Luise abgöttisch. Das einzige Kind, das ihm noch geschenkt worden war, als er die Hoffnung Vater zu werden, längst aufgegeben hatte.

    Sie war ein so anmutiges, feines Wesen. Ganz anders als die Bauernkinder in der Umgebung, dachte er mit heimlichem Stolz. Sie war zartgliederig. Ihr schön geformter Kopf sass auf einem schlanken Hals. Ihre Bewegungen hatten nichts Ungelenkes, waren eher die eines scheuen Waldtieres. Sie hatte ein schmales Gesicht mit einem kecken Näschen und das kleine Kinn verriet bereits Stärke. Der Blick ihrer leuchtend dunkelbraunen Augen richtete sich geradewegs auf die Menschen und es war gar nicht immer leicht, ihm stand zu halten. Um ihre Lippen spielte meistens ein kleines Lächeln.

    Sie war ein glückliches Kind.

    Der Vater strich seinem Liebling die dunklen Locken aus dem erhitzten Gesicht. Zusammen traten sie in die warme, vom Feuer erhellte Küche, überholt von Hubertus, der an ihnen vorbeidrängte, um sich mit unanständigem Eifer über den Fressnapf herzumachen. Vater Joseph schnürte seine schweren Stiefel auf. Luise trug sie auf die Matte neben dem Herd und brachte die warmen Endefinken. Der Vater sollte es warm und trocken haben. Der Mann im grünen Lodenkleid griff nach der Laterne, schraubte den Docht hoch und entzündete mit einem glühenden Span das Licht. Aus einem grauen Krug schenkte er sich ein Glas Apfelmost ein und setzte sich damit an den Tisch. „Was meinst du, Elfchen, ob deine Mutter bald soweit ist?" Luise rutschte ganz nah zu ihrem Vater. Der verstand den Wink und hob sie auf seine Knie. Beide genossen es, die lebendige Wärme des anderen zu spüren. Das orangefarbene Licht der Laterne, die weichen Schatten die es auf die Wände warf, das schwere Schnaufen des Hundes - alles schien sich zu einem warmen Mantel aus Ruhe und Geborgenheit zu verweben. In diesen eingehüllt sassen sie still und liessen sich von dem tiefen Frieden ergreifen, in dem ihrer beider Wesen wurzelte. Manchmal fühlten sie es wie jetzt, als vertieftes Echo äusserer Stille, manchmal war es wie eine Antwort auf etwas, das ihrem eigenen Sein entstieg. 

    Die Tür ging auf und die Mutter kam herein mit einem zufriedenen Lächeln: „Da sind ja meine beiden Träumer! Es hat zwar erst Betzeit geläutet, aber ich denke wir essen heute ein bisschen früher. Oder wollt ihr noch warten?" Sie nahm Seife und Handtuch um sich am Brunnen vor dem Haus die Hände zu waschen. Luise ging an der warmen Hand ihres Vaters hinterher, denn ohne saubere Hände gab es kein Essen. Die Mutter stellte die schönen Teller, die sie zur Hochzeit von ihrer Gotte geschenkt bekommen hatte auf den weissgescheuerten Tisch und legte die silbernen Löffel dazu. Weil Heiligabend war, schmückte Luise die Tischmitte mit einem Tannenzweig und der Vater stellte eine dicke Kerze dazu, die nicht nur die Farbe von Honig hatte, sondern auch fein danach duftete. Auf einem dicken Holzbrett stellte die Mutter einen frischen Laib Brot vor den Platz ihres Mannes. Während sie aus dem grossen Kupfertopf, der schon seit Mittag auf der Herdplatte stand, währschafte Gerstensuppe schöpfte, nahm Vater Joseph den Brotlaib auf, ritzte mit dem Messer das Kreuzeszeichen in dessen Boden und schnitt dicke Scheiben davon auf.

    Von welchem Vorfahr der Brauch des Kreuzeszeichens zu Joseph Schmid gekommen war, wusste niemand mehr. Er war Protestant, und das war eindeutig eine katholische Sitte. Aber die „Glaubensgrenze verlief seit dem Villmerger Krieg nur ein paar Kilometer weiter südlich und so war es nur wahrscheinlich, dass unter seinen Ahnen auch einer „von der anderen Seite war. Für ihn wäre es fast einer Gotteslästerung gleichgekommen, ein Brot anzuschneiden, ohne vorher durch das Kreuzeszeichen dafür zu danken und um Segen zu bitten. Fast andächtig löffelte die kleine Familie die Suppe und brach ab und zu ein Stück von dem feinen, frischen Brot dazu. Als die Teller leer waren, stellte sie Mutter Verena zusammen ins Spülbecken und langte die Kaffeemühle vom Wandbord. Sorgfältig füllte sie die kostbaren Bohnen ein. Luise durfte die kleine Kurbel drehen. Sie konnte es jeweils kaum erwarten, bis sie die winzige Schublade aufmachen durfte, und die Mutter den Kaffee herausnahm um ihn mit heissem Wasser zu überbrühen.

    Heute würde es für die Eltern eine Tasse Kaffee zum Apfelkuchen geben. Es duftete herrlich. Luise hatte geglaubt, dass etwas das so herrlich roch,

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