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INDOCHINA. Der lange Weg nach Dien Bien Phu
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INDOCHINA. Der lange Weg nach Dien Bien Phu
eBook445 Seiten5 Stunden

INDOCHINA. Der lange Weg nach Dien Bien Phu

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Über dieses E-Book

Von tiefer Freundschaft.
Vom Überleben und vom Sterben.
Von der Mutter aller Schlachten.
Von DIEN BIEN PHU !
Das vorliegende Buch erzählt den Gefechtsverlauf dieser ´Mutter aller Schlachten´ indem es den langen Weg, von der Entstehungsgeschichte bis zur totalen Vernichtung einer Einheit der Fallschirmjäger der Fremdenlegion nachvollzieht.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum25. Sept. 2017
ISBN9783742774422
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    Buchvorschau

    INDOCHINA. Der lange Weg nach Dien Bien Phu - Thomas GAST

    Widmung

    INDOCHINA.

    Der lange Weg nach Dien Bien Phu.

    Thomas Gast

    Dieses Buch ist allen Legionären gewidmet, die in Indochina kämpften. ´MORE MAJORUM`

    Grafik 99

    Das Monument ´Rolf Rodel` (Foto Matyas Rehak)

    Es sagte

    Die Überlebenden von Dien Bien Phu erzählten von der Schlacht, vom Versagen der Führung, von der schrecklichen Überraschung als plötzlich Artilleriefeuer auf ihre unzureichenden Stellungen trommelte. Ein Thai-Bataillon war sofort übergelaufen. Die übrigen farbigen Truppen hatten sich passiv verhalten und Deckung gesucht. Wirklich gekämpft bis zum letzten Erdloch und bis aufs Messer hatten lediglich die französischen Fallschirmjäger, und die Fremdenlegionäre, zu achtzig Prozent Deutsche, seien zum Sterben angetreten wie in einer mythischen Gotenschlacht. (Peter Scholl-Latour.)

    Dien Bien Phu wird fälschlicherweise als die ´letzte Schlacht der Waffen-SS` bezeichnet. Grund dafür ist, dass unmittelbar vor, wie auch sofort nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht, am 7. Mai 1945, zahlreiche deutsche Soldaten der Legion beitraten. Das galt auch für Mitglieder der Waffen-SS. Sie waren in der Legion aber nicht explizit erwünscht. Der erste Vertrag in der Legion ist immer fünf Jahre, was uns zeitlich gegen Mitte, Ende 1950 führt. Nur die wenigsten verlängerten. Von einer letzten Schlacht der Waffen-SS kann also nicht die Rede sein. Diejenigen aber, die blieben und Indochina auch überlebten, fanden meist auf Lebenszeit in ihr (der Legion) ein Refugium. Sie wurden in die Légion étrangère eingesogen, von ihr aufgenommen, physisch und psychologisch integriert. Dieser ewige, freiwillige, immer abenteuerliche Prozess, dem auch ich in den Jahren zwischen 1985 und 2002 unterlag, hat einen einfachen Grund. Wir sind davon überzeugt, dass die Legion unsere Heimat ist, LEGIO PATRIA NOSTRA. (Der Autor.)

    Die Franzosen flohen, die Japaner kapitulierten und der Kaiser Bao Dai entsagte dem Thron. Unser Volk zerschlug die Ketten der Kolonialsklaverei, die sie fast hundert Jahre lang gefesselt hielten und schuf das unabhängige Vietnam. Gleichzeitig stürzte unser Volk die Monarchie, die Jahrtausende bestanden hatte und errichtete eine republikanische demokratische Ordnung. Aus den dargelegten Gründen erklären wir, die Mitglieder der provisorischen Regierung des neuen Vietnams, die das gesamte vietnamesische Volk vertritt, dass wir alle Beziehungen zum imperialistischen Frankreich abbrechen. Wir erklären alle Verträge über Vietnam, die Frankreich unterzeichnet hat, für ungültig und annullieren alle Privilegien, die sich die Franzosen auf unserem Territorium angemaßt haben. (Auszug aus Ho Chi Minh's Deklaration der Unabhängigkeit Vietnams am 02. September, 1945 in Hanoi.)

    Das Ende zu Beginn

    Indochina. Dien Bien Phu. Nacht vom 06. auf 07. Mai, 1954. Irgendwo zwischen Huguette-2 und dem PC GONO. Leutnant le Cour Grandmaison, Kompanieführer der 7. Kompanie des 2. Bataillon Étranger de Parachutistes ist müde. Und er ist hungrig, kann sich nicht daran erinnern, wann er zum letzten Mal eine warme Mahlzeit zu sich genommen hat. Mit einigen wenigen Überlebenden soll er einen Gegenangriff auf Eliane-4 wagen. Zwei Kilometer Strecke liegen vor ihm und obwohl sein Auftrag aussichtslos ist, nimmt er ihn sehr ernst. Einen in aller Eile zusammengewürfelten Haufen Soldaten auf den Fersen, darunter viele Fallschirmjägerlegionäre des 2. BEP, springt er von einem Granattrichter und von einer Drecksgrube zur nächsten. Im Legionärsschritt eilt die kleine Gruppe nach Osten. Einmal die Bailey Brücke erreicht und vorbei an den Ratten des Nam-Youm, biegt sie scharf nach Nordosten ab und rennt wie von Sinnen weiter Richtung Eliane-4. Die Männer sind dreckig, unrasiert, viele sind verletzt. Munition ist Mangelware. Sie sind seit 30 Tagen ununterbrochen im Einsatz, einige sogar seit 170 Tagen. In einem Einsatz, in dem außer der Ehre nichts mehr auf dem Spiel steht. Der junge Offizier hebt seinen Blick und bekommt eine Gänsehaut. Der Hügel E-4 liegt eingehüllt in Feuer und Rauch, der Gefechtslärm ist ohrenbetäubend. Es ist eine Vision, die schlimmer anmutet als Dantes Inferno. Ob chef de bataillon Bréchignac vom 1. RCP den point d’appui solange halten kann, bis sie eintreffen? Le Cour Grandmaison glaubt fest daran. Er hastet weiter bis er das vermeintliche Angriffsziel erreicht hat. Bréchignac und Botella (letzterer ist der Kommandant der Bawouans) empfangen ihn wie einen Waffenbruder, fragen sich jedoch verwundert, mit welcher Armee er denn angerückt sei, sie vor den unablässigen Angriffen des Vietminh zu schützen. Le Cour Grandmaison sieht hinter sich. In der Tat: von den zwanzig Männern mit denen er den Angriff begonnen hat, sind nur noch der Funker Creis, ein Legionär und ein freiwilliger Vietnamese übrig. Alle anderen liegen auf der Strecke zwischen Huguette-2 und E4. Sie sind tot, zerfetzt von Giaps Artillerie. Als der Morgen graut, befindet Eliane-4 sich noch in französischer Hand. Punkt zehn Uhr an diesem denkwürdigen 07. Mai aber bebt die Erde. Die Luft ist plötzlich erfüllt mit donnernden, pfeifenden Geräuschen, wie sie die Verteidiger noch nie gehört haben. In Stalingrad, ja. Aber nicht hier in Dien Bien Phu. Zum ersten Mal seit dem Beginn der Bataille bringt Giap Stalinorgeln (Katjuscha) zum Einsatz. Kurz darauf verstummt Eliane-4. Kein Lebenszeichen erreicht den Hauptgefechtsstand GONO mehr. Doch nicht nur Eliane-4, sondern die ganze Schlacht ist verloren. Le Cour Grandmaison und seine Männer, sowenig es auch waren und was auch immer sie angetrieben hat, haben in Dien Bien Phu den letzten Gegenangriff der Franzosen geführt. Bezeichnenderweise waren fast nur Legionäre daran beteiligt.

    Grafik 103

    Letzte Seite des Originals des JMO (Journal des marches et des opérations – Frontbericht) des Leutnant de Biré (2. BEP – 5. Kompanie), verfasst am 07. Mai, 1954, in Dien Bien Phu.

    Leutnant de Biré, einer der Kompanieführer des 2. BEP, setzt diesen Angriff auf die allerletzte Zeile seines Frontberichts. Schwerverletzt geht er mit den spärlichen Resten seines Bataillons in die Gefangenschaft des Vietminh. Er und seine Männer ergeben sich dem Feind nicht. Auf Befehl stellen sie einfach den Kampf ein. Weiße Flaggen? Nein! Die Zeit des Kämpfens war einfach vorbei.

    Vorwort

    Im Jahr 1946 entbrannte in Französisch-Indochina ein mörderischer Konflikt. Wie ein Fluch fegte er über das Land. ´La guerre d’Indochine` führte das ´Französische Expeditionskorps im Fernen Osten` gegen die Guerilla des Vietminh. In den satten Reisfeldern Kambodschas, in den Sumpfgebieten Cochinchinas, in den schroffen, von Kalksteinfelsen durchzogenen Gebirgen der Regionen Tonkin und Annam sowie in den unübersichtlichen atemberaubend schönen Tälern von Laos hinterließen die Kämpfe verbrannte Erde, Kummer und Leid. Beendet wurde der Feldzug erst am 07. Mai 1954. In der vom Vietminh belagerten Urwaldfestung Dien Bien Phu erlitten die Franzosen eine vernichtende Niederlage. Das vorliegende Manuskript erzählt den Gefechtsverlauf dieser ´Mutter aller Schlachten` indem es den langen Weg, von der Entstehungsgeschichte bis zur totalen Vernichtung einer Einheit der Fallschirmjäger der Fremdenlegion nachvollzieht.

    TEIL EINS. Indochina, Vietnam. März 1945 – November 1953

    In der Abenddämmerung des 9. März 1945 fielen die Japaner über alle Garnisonen der Franzosen in Französisch Indochina her. Sie verschonten weder Saigon, noch Dong-Dang, Hanoi, Ha-Giang oder Lang-Son. Mancherorts verübten sie die abscheulichsten Massaker. Enthauptungen mit blanken Säbeln und einfachen Äxten waren an der Tagesordnung. Französische Soldaten und ihre Verbündeten wurden nackt ausgezogen und wie Tiere mit dem Knüppel erschlagen, ihre Frauen vergewaltigt. Die amerikanischen Truppen, stationiert in Yunnan (China), nur etwa eine Flugstunde von Hanoi entfernt, erhielten den strikten Befehl, die französischen Kräfte nicht zu unterstützen, sie ihrem Schicksal zu überlassen. Ho Chi Minh, übersetzt ´Der das Licht gibt`, erklärt die Unabhängigkeit Vietnams. Die Kolonialmacht Frankreich, noch gedemütigt vom Prestigeverlust den die Besetzung durch die deutschen Truppen im Zweiten Weltkrieg mit sich gebracht hatte, sowie von wirtschaftlicher Instabilität fürchterlich gezeichnet, konnte und wollte dies nicht hinnehmen. Auf Biegen und Brechen musste die französische Hoheit wiederhergestellt werden. Dies zu tun, entsandte die Vierte Republik ein gewaltiges Expeditionskorps, das CEFEO.

    Grafik 104

    Die Speerspitze dieses Korps bildeten Soldaten der Légion étrangère, der französischen Fremdenlegion. Die Idee, eine Fallschirmjägertruppe aufzustellen hat ihre Wurzeln in Tsao Pa, einem Ort in der chinesischen Provinz Yunnan. Bis dorthin hatten sich die Legionäre des 5. REI nach der Invasion der Japaner durchgeschlagen. In nur 93 Tagen legten sie 1500 km zu Fuß zurück. Die Odyssee der Kolonne Alessandri war ein aufreibendes, gewaltiges Rückzugsgefecht, geprägt von beschwerlichen Märschen im dichten, undurchdringlichen Dschungel Indochinas. Dieser Gewaltakt bot den Generälen Stoff genug zum Nachdenken. Das 5. REI war ein robustes Regiment aber keine Sturmtruppe im herkömmlichen Sinn. Gerade eine solche aber benötigte man nun dringend. Anfang des Jahres 1948 beschlossen Frankreichs Stabschefs die Gründung einer Luftlandetruppe innerhalb der Regimenter der Fremdenlegion im Extrem Orient. Vor Ort befanden sich das 3. REI, die 13. DBLE und das 2. REI. Sie sollten die Männer für die neue Einheit stellen.

    Grafik 86

    Fahne einer Kompanie des 2. REI in Indochina, gefunden in Dien Bien Phu unmittelbar nach der Schlacht.

    Das Resultat? Die Fallschirmjägerkompanie des 3. REI sah am 01. April 1948 in Hanoi (Tonkin) das Licht. Diese reine Legionseinheit um ihre charismatischen Führer, den Leutnants Morin (Kompaniechef), Arnaud de Foïard, Audoye und Camus (Zugführer), hat es in sich. In der Tat sind es nur Freiwillige. Den US-T5 Fallschirm auf dem Rücken, findet der erste Sprung der ´Compagnie-para` am 16. April 1948 in der Nähe des ´Canal des Rapides` statt. Auch die ersten Einsätze folgen schnell: beinharte Gefechte in der Region Son-Tay, ganz besonders in Tong, wo der nur 23-jährige Morin verletzt wird; offensive Aufklärung auf der Blutstraße RC-4 im Sektor That Khé - Cao Bang im Mai 1948; Sturm auf die von den Truppen Chiang Kai Scheks verteidigte Bastion Ta-Lung im Juli 1948; Verteidigung des Außenpostens Ban-Cao an der Seite des berüchtigten capitaine Mattei (siehe Frankreichs Fremde Söhne) im September 1948, um nur die wichtigsten zu nennen. Die ´Compagnie-para` ist an allen wichtigen Einsätzen beteiligt. Bald schon genügt eine Kompanie nicht mehr, man will, braucht und befiehlt zwei Bataillone und so wird die Aufstellung der famosen Bataillons Étrangers de Parachutistes beschlossen. Infolge dieser Überlegungen wird die ´Compagnie-para` der Legion des 3. REI am 21. Mai 1949 aufgelöst, die Männer komplett ins erste und später mit Teilen ins zweite Fallschirmjägerbataillon der Fremdenlegion eingereiht. In der gesamten Geschichte der Fremdenlegion waren nie Einheiten aus so grundverschiedenen Menschen zusammengesetzt wie das 1. und das 2. BEP. Draufgänger und Kämpfer aus aller Herrenländer strömten herbei. Von unterschiedlicher Herkunft und Nationalität, gehörten diese Abenteurer zu der Sorte Männer, die dem Teufel beim Essen in die Suppe spuckten nur um ihn dann zum Tanz zu fordern. Da waren Pastoren zu denen Gott nicht mehr sprach. Ehemalige Elitesoldaten der Waffen SS. Verzogene Söhne reicher Wirtschaftsbosse. Maurische Söldner aus dem spanischen Bürgerkrieg und junge Studenten, die außer den kahlen Wänden ihrer Lehrsäle nichts von der Welt kannten, die aber von einem irren Heißhunger auf exotische Abenteuer beseelt waren. Ein neuer Verband, eine wirkungsvolle ´Waffe` wurde in diesen Jahren geboren: Die Fallschirmjäger der Fremdenlegion!

    Bild 2

    Abzeichen des 2. BEP

    Der Tambour - Honneur et Fidélité

    Russland unweit von Stalingrad. Todeslager Beketowka, Anfang 1947. Joachim Wegener fror. Wie all seine Kameraden aß er Gras um zu überleben. Vor dem Fleckfieber, dem die Gefangenen zu Tausenden erlagen, schützte das kaum. Doch er war am Leben, konnte sich glücklich schätzen. Tausend andere hatten dieses Glück nicht. Sie waren bereits bei den brutalen Märschen durch die vereiste Steppe gestorben. Kein deutscher Soldat kommt hier jemals wieder weg. Beketowka wird euer Grab sein. Er dachte an das Versprechen des Kommandanten des Lagers. Es waren gleichzeitig die ersten Worte, die er zu hören bekommen hatte, bevor sich die Tore hinter ihm wieder schlossen. Nun starrte er an die Decke, die kaum fünfzig Zentimeter von seinem Gesicht entfernt war. Um ihn herum war es dunkel, eiskalt und trostlos. Sein Atem ging schwer. Er schloss die Augen, verfluchte sich innerlich. Ihr Fluchtversuch war gescheitert. Sie hatten Kamerad Hellwig und ihn zu einem Zeitpunkt erwischt, an dem sie sich längst schon in Sicherheit wiegten. Daraufhin folgte die übliche Prozedur. Sie wurden beleidigt, geschlagen und bespuckt und dann, als ob dies nicht genug wäre, auch noch ausgelacht. Doch dieses Mal war es anders. Hellwig, der bereits zum zweiten Mal bei einem Fluchtversuch erwischt wurde, hatte einen der Verfolger getötet. Man stand generell gut mit dem russischen Wachpersonal, besser zumindest als damals unmittelbar nach der Kapitulation vor Stalingrad. Doch für nicht korrigierbare Flüchtlinge und Mörder konnte es nur eine Strafe geben. Unweit des Erdlochs, in das man Wegener zur Strafe gesteckt hatte, fiel ein Schuss. Ein leises Wimmern folgte. Ein zweiter Schuss bereitete dem Jammern ein Ende.

    Beketowka wird euer Grab sein!

    Wegener hätte verzweifelt sein müssen, doch er verzog das Gesicht zu einem bitteren Grinsen. Er war jung, dachte nicht im Traum daran, sich von solchen Parolen von seiner Grundidee zu entfernen: dem absoluten Willen, frei zu sein! Sollte er in Russland sterben, dann bei einem weiteren Fluchtversuch. Doch ans Sterben dachte Joachim Wegener noch lange nicht. Darüber hingegen, wohin seine Flucht ihn führen sollte, falls sie ihm, woran er keine Sekunde zweifelte, eines Tages gelang, hatte er noch keinen einzigen Gedanken verschwendet. Ihn fröstelte es bei der Idee, nach Deutschland zurückzukehren. In ein Deutschland, das ihn belogen und das seine totale Entmachtung durch einen Verrückten zugelassen hatte. Zurück in ein Land, in dem Begriffe wie Treue und Pflichterfüllung nur in den Zeiten Sinn machten, in denen es den Verantwortlichen gut ging. Wieder schloss er die Augen während Hunger und Durst in seinen Eingeweiden wühlten und die Kälte ihm mit ihren eisigen Fingern langsam den Verstand raubte.

    Treue und Pflichterfüllung.

    Seine Gedanken schweiften in die Vergangenheit. Sie verweilten bei einem alten bärtigen nach Schnaps und Tabak stinkenden Mann, dem er einst im Hafen von Marseille begegnete. So geschehen im Jahr 1935. Seine Eltern machten mit der Familie Urlaub in der Provinz, der Abstecher in den Hafen war seit langem geplant. Joachim Wegener, damals knapp dreizehn Jahre alt, gab sich höchst interessiert über Land und Leute. Als er den Mann sah, richtete er voller Neugier seinen Blick auf den Tambour, den dieser behutsam in den Händen hielt. So behutsam, als wäre er zerbrechlich. Der Fremde grinste ihn an.

    »Kannst wohl kein Französisch, hm?«

    »Doch, oui, bien sure«, entgegnete Joachim und trat von einem Bein aufs andere. Er hatte Französischunterricht, war darin der Beste seiner Klasse. Dem alten Soldaten - denn es war ein alter Soldat, das sah man an seinen Narben im Gesicht und an den verschlissenen Uniformteilen die er versteckt, doch nicht versteckt genug trug, entging Joachims voller Neugier erfüllte Blick nicht. Mit einem Ruck stand er auf, nahm das Musikinstrument und streckte es dem Jungen entgegen.

    »Le Maroc, c'est fini«, sagte er erleichtert. »Nimm, aber halt ihn in Ehren, genauso wie ich es die ganzen Jahre über gemacht habe. Mit Ehre und Treue, mein Junge, mit Honneur et fidélité.«

    Honneur et fidélité!

    Dieselben Worte standen auch auf dem grün-roten Wimpel, der sich um den Tambour schlang. Détachement du 2. Bataillon, Beni-Ounif avec Honneur et Fidélité! Der Mann stand auf, warf noch einmal einen Blick über seine Schulter hinunter zum Hafen, wo eine lange Reihe von Soldaten mit weißen Képis sich anschickte, ein Frachtschiff zu verlassen. »Fini«, sagte er noch einmal erleichtert und trat auf die Straße. Augenblicklich wurde er von einem Lastwagen erfasst. Zum ersten Mal in seinem Leben erlebte Joachim den Tod aus nächster Nähe. Was blieb, waren die Erinnerungen und der Tambour des alten Legionärs. Warum Joachim Wegener gerade jetzt, zwölf Jahre später an den Tambour dachte, der wohl noch im zerbombten Berlin auf seinem Schrank im Keller lag, das wusste er ganz genau. Er sehnte sich dorthin, wo Werte wie Treue, Ehre und Pflichterfüllung eben nicht nur Worte waren. Und dann dachte er daran, dass er bei seinem nächsten Fluchtversuch die Kräfte sparen musste, denn er hatte noch einen weiten Weg vor sich.

    Legionär Montag

    Du willst Legionär werden? Dann erinnere dich meiner Worte. Lass dir von niemand den Schneid abkaufen. Respektiere deine Vorgesetzten, aber zeige immer, dass du ein Mann bist." (Weisheit eines alten Legionsveteranen in Sidi Bel-Abbès gegen 1945, an einen jungen Rekruten kurz vor dessen Versetzung nach Indochina.). Karlheinz Montag war Saarländer. Geboren im Januar 1928 in der Nähe von Saarbrücken, hatte der gelernte Schlosser in seinem Leben nur eine einzige Dummheit begangen. Diese jedoch war, so fürchtete er, schlimm genug. So schlimm, dass er entschied fernab seiner Heimat ein neues Leben zu beginnen. Im August 1948 engagierte er in der französischen Fremdenlegion. Er unterschrieb einen fünf Jahresvertrag, nicht ahnend, dass er dieser Einheit zehn Jahre lang die Treue halten sollte. Im September desselben Jahres stieg er mit einer Handvoll anderer engagé volontaires in der Hafenstadt Marseille an Bord eines Passagierschiffs. Ihr Ziel war die Stadt Oran.

    Im Hafen kehren die Legionäre, bei der schwarzen Rose ein, sie pfeifen auf Geld und Ruhm und Ehre, denn schon bald kann alles anders sein."

    (Lied der Fremdenlegion: „Schwarze Rose von Oran")

    Von dort aus ging es auf Lastwägen weiter nach Sidi bel Abbès, dem Fiéf, der Hochburg der Fremdenlegion. Wie die meisten französischen Kasernen und Unterkünfte lag auch das Quartier Viénot entlang des Boulevards Général Rollet. Sidi bel Abbès - diese Stadt im Wadi Mékerra, die Napoleon auch sein ´Petit Paris` (kleines Paris) nannte und deren Devise Pax et Labor, Friede und Arbeit war, hatten die Legionäre im Jahr 1844 mit ihren eigenen Händen aus dem Nichts erschaffen. Aus Biscuitville, wie der trostlose Ort damals genannt wurde, entstand binnen kurzer Zeit eine florierende Handelsstadt, Wiege, Dreh und Angelpunkt der Fremdenlegion. Es war eine Perle die, mitten in der Wüste, eine Heimat für diese fremden Söhne Frankreichs darstellte. Sidi bel Abbès war weder Berlin noch Paris, es war weder New York noch London. Sidi bel Abbès war weit mehr. Die Stadt mit ihren breiten Straßen, in denen das Parfüm der Leichtigkeit wie ein ewiges Versprechen in der Luft schwebte, war Zuversicht. Für ihre Bauherren und zugleich Beschützer verkörperte Sidi bel Abbès Hoffnung und Karlheinz Montag klammerte sich an diese Hoffnung wie ein Ertrinkender an einem Strohhalm. Wie die meisten Bleus (neue Rekruten), so wurde auch Montag in die CP-3 versetzt. Die CP-3 war eine Übergangskompanie. Wer dort landete wurde rasch weitergeschleust nach Marokko, nach Agadir und Marrakesch oder eben in ein Regiment im Extrême-Orient. Der Mann in Khakiuniform und den drei goldenen Streifen auf der Schulter, die ihn als capitaine auszeichneten, musterte Montag abschätzend.

    »Du warst Soldat?«

    »Nein, Herr Hauptmann.«

    Der sonst so wortkarge Offizier räusperte sich. Als Montag, der stramm und zackig wie ein Offizierskadett vor ihm stand, nichts weiter darauf sagte, erhob er sich und kam um seinen Schreibtisch hervor. Er überragte den Saarländer um einiges.

    »Ich werde dir was sagen, Montag. Egal was du vorher getan oder verbrochen hast, mir ist es Wurst. Deine Vergangenheit geht nur dich was an. Das heißt aber nicht, dass du hier mit Samthandschuhen angefasst wirst oder dass ich dir jeden Wurm einzeln aus der Nase ziehen werde, compris?«

    »Jawohl, Herr Hauptmann.«

    »Falls du bei der Wehrmacht warst, umso besser, aber fang nicht an, damit zu prahlen, denn Prahlhans Küchenmeister sehen wir nicht gerne. »Außerdem«, fügte der capitaine nach einigen Sekunden des Schweigens hinzu, »weht hier ein anderer Wind als bei den Boches. Sieh es als Warnung, verstanden?«

    »Boches?«

    Der Hauptmann runzelte die Stirn. »Sag mal, Junge. Was hat man dir denn beigebracht? Boches ist der gebräuchliche Ausdruck für Deutsche.«

    »Ich habe verstanden, mon capitaine.«

    Der Hauptmann nickte zufrieden.

    »Aber zuallererst werden wir einen Soldaten aus dir machen. Einen Fallschirmjäger. Das neuaufgestellte 2. BEP beginnt demnächst mit der Sprungausbildung in Philippeville. Die meisten Legionäre die auf der Liste des 2. BEP stehen, haben schon in Indochina gedient. Sie stammen aus den Reihen der Infanterie der Legion oder waren anderswo Soldat. Es sind keine Chorknaben. Viele Legionäre möchten gerne zu den Paras, können aber nicht weil sie schon für andere Regimenter vorgesehen sind. Was machen sie deiner Meinung nach?«

    Obwohl er Montag ansah, gab er sich die Antwort selbst. »Richtig. Um hierbleiben zu können, drehen sie irgendwelche krummen Dinger. Vor allem die schon länger Gedienten reißen sich förmlich darum, zu den Fallschirmjägern zu kommen. Du weißt, was ich damit meine?«

    Montag nickte. »Ich kneif die Arschbacken zusammen, Herr Hauptmann.«

    »Schön. Heute Abend hat dein Zug frei. Im Foyer könnt ihr anschreiben lassen. Das Bier ist zwar nicht das Beste, aber es ist besser als gar kein Bier. Wegtreten, Montag.«

    Als sich die Tür hinter Legionär Montag schloss, starrte der capitaine, Stellvertreter von Louis-le-Magnifique wie man Oberst Gaultier, seinen Chef, auch nannte, noch lange Zeit auf dessen Akte, die offen vor ihm auf dem Schreibtisch lag. In Gedanken war er jedoch längst woanders. Nicht der Deutsche beschäftigte ihn, sondern die neuen Entwicklungen innerhalb der Legion. Er glaubte nicht daran, dass es der Legion gelingen könnte, auf die Schnelle eine Fallschirmtruppe auf die Beine zu stellen. Eine, die was taugte. Mit dem Gedanken stand er übrigens nicht alleine da. Die alte Legion, so dachten viele Stabsoffiziere, war viel zu schwerfällig, zu unflexibel. Sie war genau das Gegenteil von dem, was man sich unter einer innovativen und modernen Fallschirmjägertruppe vorstellte. Na wenn das mal gut geht, flüsterte er und wandte sich wieder seinen Papieren zu. Ein paar Minuten später hatte er Montag aus seinem Gedächtnis gestrichen.

    Das Bier im Foyer der Legionärskantine war lauwarm und fast ungenießbar. Hinter der Theke tat ein caporal-chef sein Bestes, um Bar und Laden gleichzeitig zu schmeißen. Es gab nur das Notwendigste und von dem nicht gerade viel: Zigaretten, Tabak und Zigarettenpapier, Wein, Zahnpasta und Schnürsenkel.

    Anschreiben lassen?

    Wohl ein Gerücht und Geld hatte Montag keins!

    Die Legionärskantine war brechend voll. Hauptsächlich fanden sich hier Legionäre, die, wie Karlheinz Montag, für das Detachement EO ´Verstärkung Extrême Orient` vorgesehen waren. Von überallher hörte Montag immer wieder dasselbe Wort. Indochina.

    L'Indo!

    »Wusstest du etwa, dass hier irgendwo ein Kindergarten ist?«

    Ein bulliger Legionär mit englischem Akzent deutete auf Montag, während der Unteroffizier zu dem er sprach, ein von der Sonne braun gebrannter hagerer sergent, fast unbeteiligt an seinem Bier nippte. Karlheinz Montag war nur 1,64 m groß, Er sah aus wie ein Schulbub, doch an Verwegenheit fehlte es dem Saarländer nicht. Er fühlte sich angesprochen.

    »Meintest du mich?«

    Der Brite reagierte genauso, wie Montag es erwartete. Er wollte zeigen, was er im Sack hatte, trat angriffslustig einen Schritt auf den Saarländer zu. Was danach kam, daran konnte er sich später nicht mehr erinnern, sehr wohl jedoch der sergent, der plötzlich gar nicht mehr lethargisch, sondern recht interessiert dreinschaute. Montag hatte den Briten mit einem gemeinen blitzschnellen Schlag gegen die Schläfe glatt aus den Stiefeln gehauen und wappnete sich auf einen weiteren Angriff. Der aber blieb aus. Hatte er erwartet, dass alle anderen nun über ihn herfallen, so wurde er herb enttäuscht. Das Gegenteil war der Fall. Manch einer klopfte ihm auf die Schulter und er erntete hier und da bewundernde Blicke. Und es regnete Komplimente.

    Good job.

    Très bien.

    Nicht schlecht!

    Nichtsdestotrotz wurden Montag und der Brite kurzerhand von der Militärpolizei abgeführt.

    Philippeville, Sétif

    Der Hügel dominierte den Hafen der Stadt Philippeville. Ein schmaler Weg, beidseitig gesäumt von Häusern mit blauen Fensterläden und weiß vom chaux, führte über Umwege bis zur Caserne de France, die mitten in der Stadt lag. Weit unten schimmerte das Meer blauweiß und in der milden Luft lag dieses typische Flair alter Hafenstädte Nordafrikas. Es roch nach Fisch, Salz und Rauch. Am azurblauen Himmel schrie eine Möwe, doch ihr Geschrei wurde von einer noch lauteren Stimme übertönt.

    »Garde à vous ... Stillgestanden!«

    Der adjudant-chef, klein und hager, stand auf einem Kilometerstein am Wegesrand damit man ihn nur nicht übersehen konnte. Die Legionäre rührten sich keinen Millimeter mehr vom Fleck, die Stille war absolut.

    »Herhören, Bande Lustig. Dem Bürgermeister gefällt angeblich euer lieblicher Gesang so gut, dass er mehr davon hören will.«

    Tatsache war, dass der Bürgermeister von Philippeville sich erst gestern wieder beim Kommandeur der Legion darüber beschwert hatte, dass die Legionäre in seiner Stadt deutsche Marschlieder sangen. Aber das sagte der adjudant-chef den Legionären natürlich nicht.

    »Den Gefallen werden wir ihm tun«, polterte er stattdessen. »Ich möchte kein Gepiepe, sondern laute Männerstimmen. Montag!«

    »Oui, mon adjudant-chef!«

    »Gib den Ton für ´Schöner Westerwald`.«

    Singend marschierten die Legionäre im Gleichschritt den Hügel hinunter in die Stadt. An jedem zweiten Fenster der Häuserallee zeigten sich die Bewohner mit einer Mischung aus Neugier, Begeisterung oder mit offen an den Tag gelegtem Hass.

    ei da pfeift der Wind so kalt.

    Die nächsten Tage und Wochen sollte Karlheinz Montag nie vergessen. Weder das Gefühl peu à peu Teil einer großen Familie zu werden, noch den Geruch von Kerosin der sie einlullte, wenn sie wartend, den Schirm auf dem Rücken hinter den Flugzeugen standen. An der Sprungausbildung nahmen teil: ein adjudant, eine Handvoll Unteroffiziere und etwa fünfundfünfzig Legionäre. Die Ausbildung zum Fallschirmjäger übertraf alles, was diese Freiwilligen bisher erfahren hatten. Sie absolvierten sechs Sprünge im Eilverfahren, den ersten davon nervös, angespannt und mit der Frage im Hinterkopf: Werde ich den nötigen Mut aufbringen und wirklich aus der guten alten Tante Ju springen?

    Bild 3

    Junkers Ju 52.

    Und wenn nicht? Spott und Hohn, eine Schande. Go! Hopp - einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig. Schock brutal. Herzschlag 180. Kappe überprüfen. Rundumschau halten, fertigmachen für den roulé-boulé, dem Abrollen am Boden. Kontakt. Alle Knochen heil? Gott sei Dank haben sich die Herren Offiziere von Sidi Bel-Abbès nicht durchsetzen können, als sie allen Ernstes der Meinung waren, Fallschirmjäger der Legion könnte man ohne Helm und nur mit dem Képi Blanc auf dem Kopf springen lassen. Auf, marsch, marsch. Die Zeit drängt. Brassage - den Schirm einholen, im Laufschritt zum Sammelpunkt. Und während die anderen dann bei Sonnenuntergang ihre wohlverdiente Bettruhe nahmen, führte die police militaire Montag und Bailey, den Briten, in ihre Zelle. Dreißig Tage Bau hatten sie für die Keilerei bekommen. Schlafen auf kalten Boden. Ohne Matratze, ohne Decke. Bekleidet nur mit Unterhosen. Das

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