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Ein halbes Jahr Amerika
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eBook313 Seiten5 Stunden

Ein halbes Jahr Amerika

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Über dieses E-Book

Kerstins Leben schien einfach perfekt. Sie war mit ihrem Mann und den Kindern nach Amerika ausgewandert und hatte mehre Millionen Dollar gewonnen und sich eine Ranch gekauft. Dort bauten sie ein riesiges Feriencamp für benachteiligte Kinder. Doch nach einigen Jahren explodierte in Hamburg ein Atomkraftwerk und die Menschen flohen auch nach Amerika. Kerstin und ihr Mann bekommen vom Präsidenten der USA den Auftrag, eine Stadt für die deutschen Flüchtlinge zu bauen.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum7. März 2017
ISBN9783742794888
Ein halbes Jahr Amerika

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    Buchvorschau

    Ein halbes Jahr Amerika - Tiffany Anders

    1.

    Mein Mann wollte unbedingt nach Amerika auswandern und da er ein richtig gutes Jobangebot als Informatiker in Texas bekommen hat, haben wir tatsächlich unsere Sachen gepackt und sind in die USA ausgewandert. Für mich war es damals wirklich ein großes Abenteuer, da ich die USA nur aus dem Fernsehen und Erzählungen kannte. Ich kam nicht so schnell zurecht, wie mein Mann Thorben, oder unsere Kinder Lena und Bjarne. Thorben konnte perfekt englisch, da er schon einmal in den USA gelebt hatte. Er passte auch richtig gut in die USA. Jedenfalls hätte ich mir damals Amerikaner so vorgestellt. Groß und breit, wie ein Abwehrspieler beim Football. Außerdem ließ er sich von niemandem etwas sagen und er stand zu seinem Wort. Wenn er was wollte, dann passierte es auch.

    Lena wurde in die erste Klasse gesteckt, obwohl sie in Deutschland die erste Klasse gerade abgeschlossen hatte. Doch sie wurde nach drei Wochen schon in die zweite Klasse hoch gesetzt, da sie unglaublich schnell englisch lernte und sonst auch wirklich gut in der Schule war. Man merkte schnell, dass sie in der amerikanischen Schule besser zurechtkam, als in der Deutschen. In den USA wurde sie von Anfang an nach ihren Stärken gefordert und gefördert und das waren einige. In der deutschen Schule war Lena ständig langweilig, da sie schneller lernte, als ihre Klassenkameraden und immer warten musste, bis diese mit ihrem Pensum durch waren. Auch schon nach 2 Monaten wurde sie auf der Straße gefragt, ob sie nicht modeln möchte. Lena sah auch aus, als wäre sie dem neustem Schönheitskatalog entsprungen. Sie hatte lange blonde Haare bis zum Hintern, wunderschöne große blaue Augen und für eine damals 7 jährige richtig lange Beine. Lena brachte es sehr viel Spaß zu modeln, also ließen wir sie, solange ihre Schule oder Familie und Freunde nicht darunter leiden mussten.

    Ihr Bruder Bjarne schlug viel mehr nach dem Papa. Er war mit seinen 10 Jahren schon genauso kräftig wie er aussah. Er war nicht dick, aber sehr kräftig gebaut. Thorben sagte immer, das Bjarne bestimmt mal Footballer wird und die Frauen auf ihn fliegen würden. Mit seinen blauen Augen, blondem Haar und dem charmanten Grinsen, das zumindest schon mal jedes Omiherz zum schmelzen brachte. Er hatte auch keine Probleme, sich in der neuen Heimat einzuleben. Schon wenige Tage im Kindergarten und er brachte den ersten Kumpel mit nach Hause.

    Als wir in den USA ankamen hatten wir sofort ein kleines Häuschen mit Garten in einem Vorort von Houston in Texas und zwei Autos. Der Chef von Thorben hatte für alles gesorgt, sogar für die Anmeldungen in der Schule und Kindergarten. Mittlerweile waren Thorben und sein ehemaliger Chef, Boris, sehr gute Freunde. Thorben und Boris waren fast jeden Samstag unterwegs zum „rumballern" .Entweder sie spielten Paintball oder sie ballerten irgendwo in der Wüste auf irgendwelche Gegenstände oder Bäume. Wenn man Boris sah konnte man denken, er würde nach 10 Meter sprinten irgendwo keuchend in der Ecke liegen. Er war nur 165 cm groß und bestimmt fast genauso breit, aber voll fit. Wir machten oft Witze über seine Glatze, da sein Kopf wirklich kugelrund war und die Sonne sich sehr schön auf seiner Kopfhaut spiegelte. Thorben rasierte sich die Kopfhaare auch immer ab, da es schon einige kahle Stellen gab, aber so rund war Thorbens Kopf nicht. Boris war ein totaler Witzbold, in seiner Nähe hatte man immer etwas zu lachen. Während die Männer sich zum ballern traffen, machte ich mir mit Lydia, der Frau von Boris und den Kindern einen schönen Tag. Allerdings waren unsere Unternehmungen abwechslungsreicher. Wir fuhren an den Strand, in den Freizeit oder Wasserpark, in Zoos oder wir gingen einfach in den riesigen Nationalparks die es in den USA überall gibt, spazieren. Abends trafen wir uns dann wieder alle zum gemeinsamen Barbecue. Lydia war das absolute Gegenteil von Boris. Sie war bestimmt 185 cm groß mit dicken lockigen, blonden, langen Haaren, die ihr fast bis zum Hintern gingen. Meine Haare waren auch echt lang, aber ich hatte braune, glatte und keine dicken Haare. Manchmal war ich schon ein wenig neidisch auf Lydias Haare. Ihre Kleidung war immer absolut perfekt aufeinander abgestimmt. Wenn ich sie so auf der Straße gesehen hätte, hätte ich sicher gedacht, die ist bestimmt total eingebildet. Aber Lydia war eine ganz nette und wir verstanden uns auf Anhieb, von der Sprache mal abgesehen. Eigentlich passte sie rein äußerlich gar nicht zu Boris, aber sie waren schon seid 17 Jahren verheiratet und verstanden sich blendend. Wie zwei Jugendliche frisch verliebte kamen sie einem manchmal vor.

    Ein Jahr nachdem wir in die USA kamen, gab es einen Lottojackpot von unglaublichen 109 Millionen Dollar und ich kaufte mir damals spaßeshalber ein Los. Ich hatte überhaupt nicht damit gerechnet, dass ich gewinnen könnte, vor allem nicht so eine Summe, doch ich gewann. Mein Mann kündigte seinen Job, ist aber immer noch für Boris da, wenn er Hilfe braucht. Und wir kauften uns eine alte Ranch mit einem 300qm Haus. In den USA war alles größer, aber ich war noch niemals in einem Haus, das so groß war und das uns ganz alleine gehörte. Wir haben eine große Veranda die einmal komplett über die ganze Breite und Länge des Hauses geht. Ich habe mir auch gleich eine Schaukel anfertigen lassen, auf der man locker mit fünf Leuten sitzen oder mit zwei liegen kann. So etwas kannte ich wirklich nur aus alten Western oder Filmen von Tom Saywer oder Huck Finn. Das Haus wurde drei Monate lang renoviert, bevor wir es beziehen konnten, da es schon jahrelang leer gestanden hat. Insgesamt hatte das Haus 11 Zimmer plus eine große Küche, 2 Badezimmer und 2 WC`s . Wenn man in das Haus reinkam, kam man auf einen großen Flur und wenn man nach Links ging kam man ins Büro. Wenn man nach rechts ging in ein leerstehendes Zimmer. Wenn man auf dem Flur rechts neben der Treppe lang ging, kam man direkt auf die Küche zu. Kurz vor der Küche auf der rechten Seite, war ein WC. Wenn man nach links ging kam man in das große Wohnzimmer, in das man auch vom Büro aus kam. Unsere Küche war noch größer als unser Wohnzimmer mit einem großen Tisch genau in der Mitte, an dem mindestens 32 Leute bequem sitzen konnten. Die Indianer hatten mir den Tisch extra angefertigt, er ist ein absolutes Unikat. In der oberen Etage befanden sich acht Zimmer, zwei Bäder und ein WC. Die Kinder bekamen ihre Zimmer genau nach ihren Vorstellungen eingerichtet. Im Wohnzimmer stand ein großer offener Kamin, der aber auch erstmal saniert werden musste. Das Haus war einfach ein Traum. Zu dem Haus gehörte Land das nicht ganz die Größe von Schleswig-Holstein hatte. Auf der Ranch befanden sich viele kleine Seen und Bäche, ein großer See, ein großer Wald und 2 kleinen Wäldchen.

    Sehr bald wurde uns aber langweilig, da wir zwei Angestellte hatten, die sich um das Haus kümmerten und drei Arbeiter die für das riesige Gelände zuständig waren. Ich war zwar sehr oft mit den Kindern zum angeln oder baden und Thorben oft zur Jagd, aber wir hatten keine Herausforderungen mehr. Ich schlug Thorben vor, das wir uns ja Kühe kaufen könnten, da unser Land mal gemäht werden müsste und damit wir etwas zu tun hätten. Thorben war begeistert. Sofort am nächsten Morgen saß er mit Boris in seinem Pickup und fuhr in den Baumarkt. Als sie kurz nach Mittag wieder kamen, aßen sie nur schnell etwas, schnappten sich Bjarne und Sven den Sohn von Boris und fuhren dann sofort weiter aufs Land, um das Grundstück ein zu zäunen. Bis Boris und Thorben mit den kompletten einzäunen fertig waren, verging fast ein ganzes Jahr, aber sie waren glücklich und stolz, als sie es geschafft hatten.

    Es dauerte keine Woche, bis Lydia und ich uns ernsthaft Gedanken um unsere Männer machten. Sie hatten nichts mehr zu tun und ihnen war langweilig. Mir kam der Gedanke, dass ich eigentlich meinen Traum endlich mal verwirklichen könnte. Ich wollte immer Pflegekinder, nur fehlte immer der Platz und das Geld. Jetzt wollte ich es anders und mehr, ich wollte eine Art Ferienerholung für benachteiligte Kinder und Jugendliche auf der Ranch schaffen. Beim Barbecue erzählte ich davon und die Männer waren sofort Feuer und Flamme. Aber so einfach wie ich es mir vorgestellt hatte, wollten die Männer es nicht haben. Anstatt Zelten, wollten sie richtige Bungalows überall in der Nähe des Hauses bauen, mit Strom und Wasseranschluss usw. . Eine Woche später fuhren die ersten LKW´s mit Material auf`s Gelände und die Männer machten sich ans Werk. Wir hatten einen Architekten aus Houston mit den Plänen beauftragt. Drei Jahre waren die Männer nun dabei und sie hatten insgesamt 20 Bungalows gebaut. Einer schöner und größer als der andere.

    In den drei Jahren haben wir auch viele Kinder bei uns in den Ferien gehabt. Ich war glücklich. Einige Kinder kamen in jeden Ferien wieder und es wurden jedes Jahr mehr. Sie fühlten sich bei uns sehr wohl und viele weinten wenn die Ferien vorbei waren. Bei uns konnten die Kinder im großen See baden und angeln oder wer Lust hatte durfte bei den Kühen und Pferden helfen. Samstags nahmen Thorben, Boris, Sven und Bjarne, die Kinder die sie für geeignet hielten mit zum „rumballern" und die anderen unternahmen etwas mit Lydia, mir und Lena. Thorben und ich hatten vier Betreuer und eine Betreuerin eingestellt, die uns mit den Kindern halfen. Es machte viel Spaß, es war aber nicht immer leicht mit vierzig bis fünfzig Kindern auf einem Haufen. Wenn die Ferien rum waren, brauchten wir erstmal wieder eine Woche um uns zu erholen.

    Gleich in den ersten Ferien, kam Brenda zu uns. Brenda war so alt wie Lena und wuchs in einem Heim auf, da ihre Eltern beide durch Drogen ums Leben gekommen waren. Brenda war ein fröhlicher Wirbelwind, immer am tanzen und rumhopsen. Sie war etwas kleiner, als Lena, hatte aber genauso lange Haare nur in braun. Lena und Brenda waren von Anfang an die besten Freundinnen und nach zwei Tagen schlief Brenda schon nicht mehr in einem der Bungalows, sondern bei Lena mit im Zimmer. Nach Ende der Ferien gab es ein fürchterliches Heulkonzert und es war schwer die Beiden zu trennen. Ich dachte zu Anfang noch, es wird nur eine Ferienbekanntschaft von Lena, aber sie hatten ihre Handynummern ausgetauscht und schrieben sich jeden Tag hin und her, bis Brenda in den Ferien wieder bei uns war. Das ging drei Jahre so, bis uns die Heimleitung anrief und fragte, wie wir es schaffen würden, mit Brenda zurecht zu kommen. Thorben war am Telefon und konnte nicht so recht glauben, was sie ihm über Brenda erzählten. Sie würde sich ständig prügeln, petzen, lügen und stehlen. Thorben versicherte der Heimleitung, das sie sicher von einer anderen 12jährigen reden würden, doch die beharrte auf ihrem Standpunkt. Sie wollten Brenda in ein Heim für schwererziehbare Kinder geben. Das hätte aber bedeutet, dass Brenda in den Ferien nicht mehr zu uns kommen würde. Ich merkte, das Thorben langsam sauer wurde und verließ die Küche, da ich wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis Thorben den Herren am anderen Ende der Leitung so richtig zur Schnecke machen würde. Aber es dauerte keine fünf Minuten da stand er vor meiner Hollywoodschaukel auf der Veranda. Er schaute mich an, grinste und zuckte mit den Schultern. Ich wusste genau, was er gemacht hatte und fragte ihn, wann sie kommen würde. In zwei Stunden, war die Antwort. Ich kuschelte mich an meinen Mann und konnte mir ein grinsen nicht verkneifen. Thorben ist ein Brummbär, ein ganz lieber, aber wenn es um das Wohl von Kindern geht, dann wird er zu einer Bestie. Lena und Bjarne kamen und kuschelten sich mit zu uns auf die Schaukel. Als Thorben Lena sagte, wir würden Brenda adoptieren rastete sie völlig aus vor Freude. Sie wollte ihr gleich schreiben, aber wir sagten ihr, sie solle sie jetzt erstmal in Ruhe lassen, da sie ihre Sachen packen müsste. Es fiel Lena schwer, aber sie versprach ihr nicht zu schreiben und zu warten, bis Brenda da war. Das Mädchen, das uns nach zweieinhalb Stunden, mit Sack und Pack, gebracht wurde, war unsere Brenda, das liebe, zurückhaltende, freundliche und gut erzogene Mädchen, das wir seit fast vier Jahren nur so kannten. Lena und Brenda waren sofort wieder unzertrennlich und das blieb auch so, bis sie auf verschiedene Colleges kamen. Aber selbst dann telefonierten oder schrieben sie sich noch täglich. Wir hatte auch nach Brendas Einzug bei uns, nie mehr Probleme, als die eines pupertierenden Teenagers.

    2.

    Ein halbes Jahr später stand ich morgens zitternd vor dem Spiegelschrank im Badezimmer und schaute mich an. Dicke Tränen liefen mir über die Wangen. Nun war es schon 2 Wochen her, dass in meiner alten Heimat Schleswig-Holstein in Deutschland ein stillgelegtes Atomkraftwerk explodiert war. Das Kraftwerk sollte abgerissen werden und dabei wurde festgestellt, ein Reaktor, war noch nicht ganz runter gefahren und sie versuchten ihn runter zu fahren. Aber es sah schlecht aus, da das halbe Kraftwerk schon nicht mehr stand. Es war schon ein paar Wochen vorher klar, dass es passieren könnte, trotzdem sind unheimlich viele Menschen gestorben und viele werden noch durch die radioaktive Strahlung sterben. Die meisten konnten sich nicht vorstellen, dass so etwas passieren könnte. Ich konnte es mir ehrlich gesagt auch nicht vorstellen. Seit dem Unfall haben wir keinen Kontakt mehr zu meiner Familie oder unseren Freunden aus Schleswig-Holstein. Die Berichterstattung aus der alten Heimat ist auch mehr als schlecht, da sich verständlicherweise niemand in die Region der Strahlung traut. Wir wussten nicht, ob unsere Leute noch lebten oder gerade um ihr Leben kämpften, da das Handy, Telefon und Internetnetz in Deutschland und den Nachbarländern seit dem völlig zusammengebrochen war. Ich hatte schon seit Wochen nicht mehr richtig schlafen können. Alles war so unwirklich. 6 Jahre lang war mein Leben perfekt, uns ging es in jeder Hinsicht gut. Doch jetzt, mit einem Schlag war alles vorbei. Wir haben nicht einmal Tschüss sagen können. Den Kindern machte es nicht so viel aus, wie meinem Mann und mir. Sie waren noch zu klein, um sich jetzt noch an jemanden erinnern zu können. Wir haben zwar immer mal wieder nach Deutschland telefoniert, aber damit konnten die Kinder nichts anfangen.

    Ich ging in die Küche um das Frühstück für alle fertig zu machen, als Lena aus dem Wohnzimmer rief, ich soll sofort kommen. Ich hörte an ihrer Stimme, dass es wirklich dringend zu sein schien. Ich flitze zum Wohnzimmer und blieb gleich an der Tür stehen und sah zum Fernseher. In Georgia waren über Nacht 5 große Schiffe mit Menschen aus Deutschland angekommen. Eins aus Niedersachsen und vier aus Schleswig-Holstein. Überall rannten Menschen am Strand rum und Polizisten und Soldaten versuchten irgendwie Ordnung zu schaffen. Ich schrie sofort nach Thorben, der auch ziemlich schnell, nur in Unterhose bekleidet neben mir stand. Meine Stimme schien sich sehr dringlich angehört zu haben. Er schaute genauso fassungslos wie ich auf die Bilder im Fernsehen. Es sah aus wie die Bilder vor zehn Jahren, als die Flüchtlingswelle aus Syrien und dem Irak nach Deutschland kam. Weinende und schreiende, flehende Menschen, völlig ausgehungert und ausgezerrt. Bei der Flüchtlingswelle in Deutschland sahen wir die Bilder der Menschen auch im Fernsehen, es hat uns damals auch sehr leid getan, aber das was wir jetzt sahen war anders für uns. Diese Menschen waren unser „Volk" und ich fing an zu weinen, es war so nah, obwohl Georgia mehre hundert Kilometer von uns entfernt lag.

    Thorben nahm mich in den Arm und versuchte mich zu trösten, obwohl ich merkte, dass er auch mit sich und den Tränen zu kämpfen hatte. Was machen wir denn jetzt, fragte ich ihn. Und mit einem Mal war er wieder voll da. Zieh dich an, sagte er nur kurz und rannte nach oben ins Schlafzimmer. Während wir uns anzogen rief er schon Boris an. Boris hatte schon vier Mal versucht uns anzurufen, um uns von der Ankunft zu berichten und um zu fragen, was wir jetzt tun werden. Boris und Lydia waren schon auf dem Weg zu uns, da sie uns nicht erreicht hatten.

    Thorben wies Franky, unseren Hausmeister an, unsere gesamten nichtalkoholischen Getränke auf unsere Beiden Pickups zu laden. Lena, Bjarne und Brenda halfen ihm dabei. Franky hatten wir schon als wir das Haus kauften, als Hausmeister angestellt. Thorben hatte ihn damals von der Straße gesammelt. Franky war obdachlos, hatte aber keine Probleme mit Drogen oder Alkohol. Thorben hat sofort bei ihm gesehen, das er was drauf hat und hat ihn gefragt, ob er nicht für uns arbeiten möchte. Ich war damals nicht so begeistert, einfach einen Obdachlosen einzustellen, den wir überhaupt nicht kannten. Aber Thorben hatte sich nicht getäuscht, Franky war ein Arbeitstier und tat einfach alles, worum wir ihn baten. Irgendwann hat er sogar auf die Kids aufgepasst, wenn Thorben und ich mal weg mussten. Franky war ein sehr gemütlicher Mensch, immer ruhig und ausgeglichen. Das war aber anders wenn er arbeitete, dann musste es bei ihm immer zackig gehen.

    Boris und Lydia fuhren mit zwei Autos auf den Hof. Lydia nahm mich sofort in den Arm und so langsam wich mir der erste Schock aus den Knochen und ich fragte in die Runde was sie eigentlich vorhaben. Was glaubst du denn wohl, fragte Thorben. Wir fahren da hin, setzte er gleich nach, ohne eine Antwort von mir abzuwarten. Was willst Du da, fragte ich, was sollen wir da tun, Getränke verteilen damit noch mehr Chaos ausbricht? Thorben blieb kurz stehen und fragte mich, ob ich schon mal auf den Gedanken gekommen wäre, dass vielleicht Verwandte von mir oder Freunde von uns dabei wären. Schlagartig wurde mir klar, wir mussten da hin.

    Wenn sein Bruder Rene dabei wäre, würde er alles daran setzen ihn da raus zu holen, zur Not auch mit Gewalt. Rene war eigentlich gar nicht sein richtiger Bruder. Sie hatten sich vor Jahren bei einer Kaufmannsausbildung kennen gelernt und wurden richtig dicke Freunde. Da sie sich sehr ähnlich waren, vermuteten die Leute immer, dass sie Brüder wären. Und so wurden sie eben Brüder, wenn auch nicht Blutsverwandt. Thorben hatte eigentlich keine Familie außer uns. Zu seiner Mutter hatten wir den Kontakt, lange bevor wir Deutschland verließen abgebrochen, da wir sie für völlig irre hielten. Sie änderte ihre Meinungen und Launen innerhalb von Sekunden und die schlechten Launen lies sie die Menschen in ihrer Umgebung auch sofort spüren. An seinen Vater und seine beiden Halbbrüder konnte Thorben sich nicht mehr erinnern, da sein Vater ihn und seine Mutter verlassen hatte, als er drei Jahre alt war. Mit meiner Familie hatte ich selten Kontakt. Meine Mutter ist noch vor uns nach Kanada zu einer Freundin ausgewandert und kam uns jedes Jahr im November zu Thanksgiving besuchen. Zu meinem Vater hatte ich seid dem wir Deutschland verlassen hatte keinen Kontakt mehr. Wir stritten uns in Deutschland ständig, weil er Thorben nicht mochte. Von meinem kleinen Bruder, der bei meinem Vater lebte, hatte ich seid Deutschland auch nichts mehr gesehen oder gehört.

    Wir vergewisserten uns noch, das Franky und unser Hausengel Claire so lange bei den Kindern bleiben würden, bis wir wieder da waren. Claire ist kurz nach Franky zu uns gekommen. Franky hatte uns gefragt, ob wir noch eine Köchin benötigen würden. Eigentlich brauchten wir niemanden, aber Franky kannte sie von der Straße und wir wollten ihr eine Chance geben. Claire war schon etwas älter und eigentlich so wie man sich eine Köchin vorstellte, etwas ründlich, gemütlich , aber sehr laut und konsequent, wenn es drauf ankam und sie konnte kochen wie ein fünf Sterne Koch. Claire und Franky waren absolute Glücksgriffe. In den USA ist es so, dass man, wenn man auf der Straße sitzt, eigentlich keine Chance mehr hat, da raus zu kommen.

    Den Kindern erklärten wir kurz die ganze Situation und dann fuhren wir mit 4 Autos los. Wir wollten unbedingt vor Mittag noch die Staatengrenze zu Georgia passiert haben, doch 200 Kilometer vor dem Ziel war fast kein Durchkommen mehr. Da wir die Straßen am Strand längs fuhren, kamen wir kaum voran. Die gesamte Küste war abgesperrt und Soldaten sorgten dafür, dass sich auch niemand an den Strand traute.

    Wir kamen erst zur Kaffeezeit an der Staatengrenze zu Georgia an und ab da boten sich uns wieder die schrecklichen Bilder, die wir morgens schon im Fernsehen gesehen hatten. Wir hielten im nächsten Ort und berieten, was wir nun tun würden.

    In dem Ort, der nicht einmal 2 Kilometer vom Strand entfernt lag, war nichts von den Ankommenden zu sehen. Man merkte aber schnell, dass die Menschen große Angst vor den „Deutschen" hatten. Es war die gleiche Angst, die wir damals hatten als die Flüchtlinge nach Deutschland kamen. Mein Mann und ich hatten Anfang des Jahres unseren Einbürgerungstest gemacht und waren nun Amerikaner. Aber in dem Cafe in dem wir saßen um etwas zu Essen, fühlte ich mich wie eine Ausländerin. Ich hörte den Menschen um uns rum zu, wie sie von ihren Ängsten über diese Menschen die dort in der Nacht angekommen waren sprachen. Am liebsten hätte ich versucht ihnen ihre Ängste zu nehmen, aber ich wusste nicht wie. Ich hatte damals selber Angst vor den Menschen, die aus einem völlig anderem Land und Kulturkreis zu uns kamen. Ich hatte Angst vor dem anderen Aussehen, vor der anderen Kultur, der Religion oder vor Terroranschlägen.

    Da wir in den nächsten Stunden sicher nicht mehr viel erreichen würden, gingen Lydia und ich durch den Ort, um Zimmer für die Nacht zu suchen. Die beiden Männer wollten versuchen an den Strand zu kommen, um eine Kommandozentrale oder etwas ähnliches zu finden. Boris fuhr mit meinem Wagen, da ich ja Getränke auf dem Wagen hatte. Wir hatten vereinbart, dass wir uns zwei Stunden später, wieder in dem Cafe treffen würden, doch Thorben und Boris kamen erst nach dreieinhalb Stunden wieder zurück. Ihre Gesichter waren kreidebleich. Boris sagte, dass er so ein Elend noch nie gesehen habe und er es sicher niemals vergessen wird. Thorben erzählte, das die Flüchtlinge, laut Aussage des Kommandeurs, definitiv keine Strahlung abbekommen haben. Das jetzt erstmal alle Leute registriert oder wenigstens Namentlich aufgelistet werden und dann irgendwie verteilt werden. Thorben hat gleich zum Kommandeur gesagt, wenn Freunde von uns und die Familie von mir dabei wären, er sie gerne mitnehmen würde und wir uns um sie kümmern. Der Kommandeur sagte, er hoffe, dass alle mit uns befreundet oder verwandt wären, das würde ein riesiges Problem lösen. Aber da solle sich die Regierung drum kümmern, er wäre nur für die Ordnung und Registrierung zuständig. Die Getränke durften Boris und Thorben einfach über den Zaun werfen. Boris erzählte, es habe ihn sehr erschüttert, dass Menschen sich wie Tiere auf die Getränke stürzten. Es gab wohl bis mittags nur Getränke an der Kommandozentrale und die Menschen die zu weit weg von der Kommandozentrale standen, wurden vom Militär nur mit Wasser besprüht. Es sind insgesamt 12334 Menschen lebend in der Nacht angekommen. Allerdings soll ein großer Pott mit mindestens 2000 Menschen gesunken sein. Die letzten drei Tage der Überfahrt hatten sie nichts mehr zu essen. Wasser konnten sie durch heftigen Regen gewinnen, der in 4 Nächten auf See runterging.

    Ich fragte Thorben, ob er jemanden erkannt habe. Aber er schüttelte den Kopf und sagte, dass es auch kein Wunder sei. Alle dort waren fürchterlich dreckig und von der Sonne gut braun gebrannt. Außerdem habe er niemanden unserer Freunde oder Familie seit über 5 Jahren gesehen.

    Thorben und ich riefen noch unsere Kinder an und erklärten ihnen, wie der Sachstand war und wie es weitergehen sollte. Dann versuchten wir schlafen zu gehen, da wir am nächsten Morgen wieder kommen durften, um unsere Leute per Namensliste raus zu suchen.

    Wir konnten Beide nicht einschlafen und so unterhielten Thorben und ich uns darüber, was passiert war. Wir listeten die Menschen auf, von denen wir hofften, dass sie unter den Flüchtlingen sind. Und wir sprachen darüber, was wir mit ihnen machen würden. Klar war, dass sie erstmal in unseren Bungalows unterkommen müssten. Für die Ferienkids, wollte Thorben, denn doch erst einmal Zelte aufstellen. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass überhaupt jemand von unseren Leuten unter den Flüchtlingen war. Das Städtchen in dem wir lebten, bevor wir in die USA kamen hatte mehr Einwohner, als Flüchtlinge angekommen waren. Das Städtchen lag auch mehr an der Ostküste von Schleswig-Holstein und die Schiffe waren von der Westküste aus los gefahren.

    3

    Am nächsten Morgen, wurde ich durch klopfen und rufen von Boris geweckt. Ich schaute auf mein Handy und erschrak ein wenig, da wir schon 8. 41 Uhr hatten. Eigentlich wollten wir schon um halb 8 Uhr aufstehen, aber wir hatten beide unsere Wecker nicht gehört. Ich sagte Boris er soll reinkommen und fragte ihn warum er uns nicht schon früher geweckt hat. Aber Boris und Lydia hatten auch verschlafen. Somit saßen wir erst um kurz nach 9 Uhr beim Frühstück zusammen.

    Nach einem kurzen Frühstück machten wir uns auf dem Weg zum Strand. Als wir dort ankamen standen schon unzählige Busse bereit, die die Flüchtlinge abtransportieren sollten. Der Kommandeur mit dem Thorben am Tag zuvor gesprochen hat, stand am ersten Bus und wollte gerade anfangen die ersten einsteigen zu lassen. Er freute sich Thorben zu sehen, er dachte schon wir hätten es uns anders überlegt. Er machte mit Thorben ab, das wir uns die Leute rausfischen. Die würden denn noch einmal extra registriert werden, dass sie mit zu uns gehen.

    Der Kommandeur war ein großer, breiter, sehr durchtrainierter Marine Soldat mit einem Haarschnitt, der absolut perfekt geschnitten war. Er war schon älter, war aber durch und durch Soldat. Der erste Eindruck machte mir Angst. Er schien sehr korrekt zu sein und keine Fehler zu zulassen. Doch er war zu uns wirklich sehr freundlich. Bei seinen Untergebenen sah es anders aus. Die bekamen kurze und deutliche Anweisungen, die sie gefälligst ordnungsgemäß auszuführen hatten.

    Es war ein Tisch aufgestellt auf dem ein Computer stand, mit einem Kasten auf dem Fingerabdrücke gescannt werden. Jeder Flüchtling musste noch einmal seinen Namen

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