Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Al(l)di(e) in Afrik(c)a
Al(l)di(e) in Afrik(c)a
Al(l)di(e) in Afrik(c)a
eBook257 Seiten3 Stunden

Al(l)di(e) in Afrik(c)a

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Ein Arbeitsauftrag lässt die Luxus verwöhnte Julia Bauer, eine deutsche Ingenieurin, und ihren Kollegen nach Eritrea reisen. Bestürzt von den Alltagsumständen der Menschen und der Flüchtlingskrise europaweit, beschließt sie, zurück in Deutschland, die Lebensbedingungen dort zu verbessern. Sie verliebt sich in den eritreischen Arzt Aron Feben. Sie überschreitet Grenzen und schafft es mithilfe eines deutschen Konzerns und der eritreischen Regierung einen Supermarkt am Rande der Hauptstadt Asmara zu errichten. Inmitten der Bauarbeiten stirbt ihr Vater und sie reist mit Aron zur Beerdigung. Die Einwanderungswelle in Deutschland hat ihren Höhepunkt erreicht und die Fremdenfeindlichkeit ist bei der Dorfbevölkerung angekommen. Am Eröffnungstag wird sie frenetisch gefeiert.
Mit AL(L)DI(E) IN AFRIK(C)A ist ein fesselndes und leicht zu lesendes Buch entstanden. Durch die Aktualität der politischen Lage ist die Geschichte tief berührend. Eine unterhaltsame und doch nachdenklich machende Lektüre.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum4. Mai 2017
ISBN9783744877237
Al(l)di(e) in Afrik(c)a
Autor

Eva Kiltz

Eva Kiltz ist 1961 in Marburg an der Lahn geboren. In einem Ortsteil der hessischen Großgemeinde Fronhausen wuchs sie auf und verbrachte ihr erstes Schuljahr noch in einer 'Zwergschule'. Nach ihrem Technikstudium in Weilburg lebte und arbeitete sie, in dem damals noch typisch männlichen Beruf, viele Jahre in Frankfurt. Heute wohnt sie mit ihrem Mann und Sohn wieder in Fronhausen und ist da angekommen, wo sie immer hin wollte; beim Geschichtenschreiben. www.eva-kiltz.de

Ähnliche Autoren

Ähnlich wie Al(l)di(e) in Afrik(c)a

Ähnliche E-Books

Fiktion für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Al(l)di(e) in Afrik(c)a

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Al(l)di(e) in Afrik(c)a - Eva Kiltz

    Twain¹

    1. Die Geburt

    Der Geruch von Benzin, verbranntem Plastik und getrocknetem Urin zog in ihre Nase. Jedes Auto, das die kleine Nebenstraße passierte, hinterließ eine lehmfarbige Staubwolke. Julia lehnte an der Balkonbrüstung aus verwittertem Beton. Gestern war sie mit ihrem Kollegen David nach einem elfstündigen Flug, mit Zwischenstopp in Rom, in Asmara angekommen. Sowie die Kabinentür sich öffnete, schlug ihr knochentrockene Hitze entgegen. Afrika, exotisch, berauschend und geheimnisvoll, so hatte sie sich den Kontinent vorgestellt. Das kleine Hotel gab sich jede Mühe, fein zu wirken. Wo waren all die Gerüche Afrikas? Die Gewürze, die Giraffen und bunten Gewänder der lachenden Frauen? Asmara war die Hauptstadt, aber es bot sich ihr so gar kein fremdländisches Bild. Nun, sie war auch keine Touristin und sollte sich eigentlich nur um ihren Job kümmern. Mit aufgestützten Armen beobachtete sie das afrikanische Leben, das sich ihr vom ersten Stock aus bot. Durch die geöffnete Balkontür nebenan drangen leise Schnarchgeräusche an ihr Ohr. David schlief fest. Vorsichtig lugte sie um die Ecke. Sein Fuß hatte sich im Moskitonetz verfangen. Vor dem Hoteleingang lungerten ausgemergelte Katzen in der brütenden Mittagshitze. Keine Menschenseele passierte die Straße. Julia vermochte noch nicht einmal in die Höhe zu schauen, so bohrte ihr die Sonne das gleißende Licht in die Augen. Wenn es in Deutschland Sommer war, kitzelte die Wärme die Leute aus ihren Häusern, aber hier blieb jeder in seinen vier Wänden. Plötzlich mischten sich bunte Farben in den Ausblick. Die Silhouette einer Frau war zu erkennen. Sie trug ein weites Kleid und schwarzes Tuch um den Kopf. Der Wind drückte das Gewand an ihren Leib. Die hellen Handflächen umgriffen die schwarzen Eisenstäbe des hohen Zaunes. Langsam hangelte sie sich von Strebe zu Strebe. Julia sah, dass sie farbig war, und ihr Herz schlug im Takt der flimmernden Hitze. Die Frau war auf den Boden gesunken. Ein spitzer Schrei durchdrang die Stille. Julia richtete sich erschreckt auf, ihre Hände waren verschwunden. Sie musste hinter der Mauer liegen. Hastig rannte sie durch das enge Treppenhaus und fast wäre sie mit ihren Flipflops die Stufen hinuntergestürzt. Sie flog förmlich über die weißen Steine am Hoteleingang. Die Frau lag am Straßenrand, zwischen ihren Beinen mit dem bunten Stoffkleid krümmte sich ein Säugling. Der braune Straßenstaub panierte seinen Rücken und die Ärmchen. Mit jeder zappelnden Bewegung bedeckte sich sein Körper umso mehr. Das Blut in der Nabelschnur pulsierte noch und das eine Ende verschwand in dem bunten Kleid. Wimmernd presste die Frau ihren Kopf an die Mauer. Der blutdurchtränkte Teil ihres Kleides klebte an den dünnen Beinen. Julia blickte die Straße entlang, mein Gott, war denn niemand hier? Das Kind musste abgenabelt und ein Krankenwagen gerufen werden. Sie schrie um Hilfe, es nutzte nichts. Angstvolle schwarze Augen sahen sie an. Julia war kinderlos, hatte aber in Filmen den Geburtsverlauf schon mal gesehen. Wieder schrie die Frau und mit einem Sturz von Wasser, Schleim und Blut klatschte die Nachgeburt auf ihr Kleid. Die Frau zerrte einen dicken roten Flatschen unter ihrem Rock hervor. Das Kind gab kräftige Schreie von sich. Julia rannte zur Hotelrezeption und versuchte mit Händen und Füßen den Mann hinter der Theke davon zu überzeugen, dass er einen Krankenwagen rufen sollte. Auf der Straße liege eine Mutter mit ihrem Neugeborenen. Er verstand ihr Anliegen, aber schüttelte den Kopf. „Unser Hotelareal endet am Eisentor, ein Krankenwagen ist frühestens in zwei Stunden da, und wer bezahlt den überhaupt?"

    Julia rannte auf ihr Zimmer, riss ein Handtuch von der Wand, steckte ihr Nagelmäppchen ein, und ohne die Tür zu verschließen, spurtete sie zurück auf die Straße. Mittlerweile hatte die Frau ihren Oberkörper aufgerichtet. Mit Zahnseide band Julia die Nabelschnur ab und durchtrennte sie mit der Nagelschere. Dickes Blut tropfte auf ihre Schuhe. Dann wickelte sie das Neugeborene in das Handtuch. Die Frau stützte sich auf ihre Ellenbogen und sah sie verzweifelt an. Durch staubige Autofenster beäugten farbige Gesichter das Szenario der beiden. Niemand hielt an. Die Frau griff nach dem Handtuchbündel. Julia hob ihren Finger, was so viel wie warten bedeuten sollte. Aus ihrer Hosentasche kramte sie einen Geldschein hervor und knallte ihn auf die Rezeptionstheke. „Taxi, fauchte sie den Empfangsboy an, der die Botschaft sogleich verstand und zum Telefon griff. Sie zeigte auf das Eingangstor und tippte auf ihre Armbanduhr. Dann ging sie zurück zur Straße. Inzwischen hatte sich die Frau auf einen Stein am Straßenrand gesetzt und liebkoste ihr Kind. Sie verbeugte sich und wollte aufstehen. Julia drückte sie nieder und nach ein paar Minuten bog das gelbe Auto um die Ecke. „Taxi, hier, schrie Julia und wedelte mit beiden Händen durch die Luft. Der Fahrer schüttelte den Kopf, als er das schmutzige Kleid sah. Julia zog den zweiten Geldschein aus ihrer Hosentasche. Und bevor die beiden Frauen auf der Rückbank Platz nahmen, holte er aus seinem Kofferraum eine dunkelbraune Wolldecke hervor und breitete diese auf dem Rücksitz aus. Sie stiegen in das Auto. Die Frau wechselte ein paar für Julia unverständliche Worte mit dem Fahrer, dann fuhr er los. Es ging durch die belebte Innenstadt mit ihren zahllosen Ständen, hier wurden Lebensmittel angeboten, von denen Julia beim besten Willen nicht wusste, was es war. Das Auto schob sich durch schmale Gassen, die spinnennetzgleich mit schwarzen Kabeln überspannt waren. Julia hatte ihren Arm schützend um Mutter und Kind gelegt, und erst jetzt konnte sie so langsam verstehen, was sich in der letzten halben Stunde abgespielt hatte. Mit ihren ausdrucksstarken Augen, der hohen Stirn und den voluminösen Lippen lächelte sie Julia an. Mein Gott, sie hatte sich einer völlig fremden Frau, einem unbekannten Taxifahrer und einem Land, das sie nicht kannte, ausgeliefert. Das Neugeborene war endlich ruhig und bewegte ungelenk seine Finger. Auf einer breiteren, unbefestigten Straße wirbelte das Taxi so viel Staub auf, dass es fast unmöglich war, zu erkennen, wohin die Reise ging. Vor flachen Betonbauten mit Fenstern ohne Rahmen und Wellblechdächern hielt der Fahrer. Kinder mit durchlöcherter Kleidung spielten davor, und auf Betonsteinen saßen zwei alte Männer im Schatten. Als die junge Frau das Taxi verließ, öffnete sich eine Tür und vier bunt gekleidete Frauen liefen ihr laut plappernd entgegen. Sie schlugen die Hände über dem Kopf zusammen und nahmen ihr das Baby ab. Mühsam wankte sie, gestützt an zwei Armen, ins Haus. Als Julia sich wieder ins Taxi schwingen wollte, hielten die Frauen sie auf. Mit aneinandergelegten Handflächen verneigten sie sich. Das Fahrzeug verschwand und Julia blieb nichts anderes übrig, als den vielen Armen um ihre Schultern zu folgen und den Betonbau zu betreten. Sie verspürte keine Angst. Liebenswürdigkeit und Wärme hüllte ihre Seele ein. Im Inneren gewöhnten sich ihre Augen nur langsam an die Düsternis. Farbige Sitzkissen waren auf einem abgenutzten Teppich mit orientalischem Muster ausgebreitet. Es roch nach Pfefferminz und Fußschweiß. Auch wenn Julia die Sprache nicht verstand, erkannte sie die Bitte, sich zu setzen. Alle anderen Frauen nahmen ebenfalls auf dem Boden Platz. Der Säugling wurde in die Mitte gelegt und das Hotelhandtuch auseinandergefaltet. Die Älteste band die Nabelschnur mit einem weißen, schmalen Stoffstreifen erneut ab und schnitt sie mit einem Messerblatt durch. Dieser abgetrennte Rest wurde sorgsam in ein Stoffbeutelchen gesteckt. Eine der Frauen legte ein schmales weißes Baumwolltuch um den Leib des Säuglings, sodass die Nabelschnur bedeckt war. Julia dachte mit Schaudern an die Nachgeburt und die Katzen vom Hotelgarten. Das Neugeborene war ein Mädchen mit schwarzen Kringellocken und ungewöhnlich heller Haut. Die Frauen murmelten beschwörende Worte und dann verschwand das Stoffsäckchen in einer kleinen Holzkiste. Jetzt tauchte die Mutter wieder auf, sie trug ein sauberes Kleid und legte ihr Kind an die Brust, welches sogleich mit dem Trinken begann, alle Frauen lachten. Ein Tablett mit bunten Teegläsern wurde hereingetragen und zuerst musste Julia sich bedienen. Der heiße Tee brannte auf ihren trockenen Lippen und viel lieber hätte sie etwas Kühles getrunken, und als sie heftig hustete, brachte ein junges Mädchen ein Glas mit Wasser, welches Julia in großen Zügen hinuntergoss. Während das Kind leise schmatzende Geräusche von sich gab, berührte die Mutter sie am Arm und deutete mit dem Finger auf ihr Gesicht.

    „Awet", flüsterte sie, dann zeigte sie auf sie.

    „Julia", sie hatte die Frage verstanden.

    „Ulliaa", wiederholte Awet und lächelte.

    Julia war eingetaucht in eine Welt, von der sie vor einem Tag noch nichts wusste. In den letzten zwei Stunden hatte sie Afrika besser kennengelernt als jedes Expeditionsteam, sie war gefangen von der fremden Exotik und entsetzt von der Armut. Dazwischen erschien ihr das Hotel wie eine Fata Morgana. Sie musste zurück, David sorgte sich sicherlich schon. Wenigstens hatte sie ihr Handy in die Hosentasche gesteckt.

    „David, es geht mir gut, ich weiß nicht, wo ich bin, aber ich brauche ein Taxi."

    „Wie, wo bist du? Mensch, Julia, was ist passiert? Ich komme …"

    Dann blinkte das Akkusymbol, typisch, immer dann, wenn es wichtig war.

    „Sie werden in ganz Asmara keinen Taxifahrer am Handy davon überzeugen können, hierherzukommen."

    Julia drehte sich um, und ein dunkelhäutiger Mann mittleren Alters stand vor ihr.

    „Was, wieso sprechen Sie Deutsch?", stammelte Julia, und erst jetzt erkannte sie seine Arzttasche mit dem roten Kreuz.

    „Ich bin einmal wöchentlich hier. Mein Name ist Doktor Aron Feben, ich habe einige Jahre in Deutschland gelebt." Forschend blickte er sie an.

    Sie war erleichtert und reichte ihm lachend die Hand. „Ich bin Julia Bauer, Ingenieurin und seit gestern hier, um mit meinem Kollegen die Abfüllanlage in der Colafabrik zu reparieren."

    Doktor Feben zog die Augenbrauen hoch.

    „Eine technisch gebildete Frau in einem von Männern dominierten Land?"

    „Eigentlich müssten sie wissen, dass dies in Deutschland nichts Ungewöhnliches ist", antwortete sie.

    „Das Kind sollte erst in drei Wochen kommen. Ich wollte nach der Mutter schauen. Wie ich sehe, geht es dem Kind gut, alles in Ordnung. Das haben Sie gut gemacht. Haben Sie Kinder? Julia schüttelte den Kopf. „Nur um was alles in der Welt machen Sie hier an diesem Ort, mit Mutter und Kind?

    Sie erzählte ihm die ganze Geschichte, welche sich vor dem Hoteleingang abgespielt hatte, von dem Taxi und ihrer abenteuerlichen Fahrt. Noch immer hielt sie das Wasserglas in der Hand und leerte den Rest mit einem kräftigen Zug.

    „Hat man Ihnen das Wasser hier gegeben?"

    „Ja, wieso?"

    Doktor Feben verdrehte die Augen und die Gesichtszüge veränderten sich. Er öffnete seine Tasche und reichte ihr drei rosafarbene Tabletten. „Hier, davon nehmen Sie am besten jetzt sofort eine und morgen drei über den Tag verteilt."

    „Halt, ich nehme doch nicht irgendetwas und schon gar nicht gleich." Julia gab ihm die Pillen zurück.

    „Hören Sie mal, haben Sie noch nie etwas von verkeimtem Wasser gehört? Niemand hier in diesem Wohnviertel besitzt sauberes Leitungswasser. Afrika ist ein Land mit viel Trockenheit, Wasser ist Mangelware und Abkochen Luxus. Die Menschen sind an einheimische Bakterien gewöhnt, aber für Mitteleuropäer mit ihren Luxusmägen kann es bös ausgehen. Das sind die sogenannten E.-coli-Bakterien. Wenn Sie den Aufenthalt hier mit Ihrer Arbeit und nicht auf der Toilette verbringen möchten, nehmen Sie in Allahs Namen diese Tabletten. Julia steckte sie in die Hosentasche. „Kommen Sie, ich nehme Sie in meinem Auto mit.

    Erst als er sich im Türrahmen bücken musste, fiel Julia seine Größe auf. Ungewöhnlich zwischen den eher kleinwüchsigeren Menschen. Einige Kinder scharten sich sofort um ihn und, trotz ihrer tiefdunklen Haut waren Wundstellen im Genitalbereich erkennbar. Doktor Feben warf einen Blick auf die rötlichen Flecken und reichte Awet eine braune Flasche. Winkend sah sie dem Auto noch eine ganze Zeit hinterher. Julia blickte so lange aus dem Rückfenster, bis der Straßenstaub alles verschlang und sie die kultivierte Welt wieder in Empfang nahm. Doktor Feben hielt vor dem Hotel. Es war für ihn nicht schwer, zu erraten, wo sie untergebracht war. Asmara besaß nur zwei Etablissements, die infrage kamen.

    „Hier ist meine Telefonnummer, wenn Sie mal Hilfe brauchen." Auf dem Zettel war eine zehnstellige Nummer notiert.

    „Ich bin Ihnen sehr dankbar, der Zettel verschwand ebenfalls in ihrer Hosentasche, „der sicherste Ort. Und mit einem Lächeln stieg sie aus.

    David rannte mit dem Handy am Ohr durch die Rezeptionshalle. Als sie die weißen Marmorstufen heraufkam, war er kurz davor, sie zu ohrfeigen. Julia kämpfte mit Erklärungen, um seiner Empörung Herr zu werden. Langsam begriff er, was geschehen war, und starrte sie ungläubig an.

    „Wenn du das erlebt hättest, es fehlt an allem. Ich habe auf einer Wäscheleine vergilbte, bräunliche Stoffstücke hängen sehen. Wenn das die ganze Geburtshygiene sein soll? Die Wohnung bestand aus einem Raum, wir haben alle auf dem Boden gesessen. Die Kinder waren schmutzig und ich bezweifle, dass es fließendes Wasser gibt. Es hat wirklich niemand Notiz davon genommen, dass diese Frau auf der Straße ihr Kind bekam."

    „Julia, vergiss nicht, warum wir hier sind, wir haben eigene Probleme. Die Leute leben schon immer so. In zwei Wochen werden wir in Marburg zurückerwartet, dann muss hier alles laufen. Mensch mach kein Quatsch."

    Aber sie vernahm seine letzten Worte kaum mehr, denn ein stechender Schmerz bohrte sich in ihren Unterleib und nur mit größten Schwierigkeiten erreichte sie die Toilette in ihrem Zimmer. Ein dicker brauner Strahl schoss in die Porzellanschüssel. Mit nach vorne gekrümmtem Oberkörper verharrte sie auf dem Toilettendeckel. Schweißperlen tropften auf den Fußboden. In etlichen Reiseführern wurde davor gewarnt und sie hatte einige intensiv studiert. Die Schocksituation musste ihre Sinne gelähmt haben.

    „Alles Okay? David klopfte an die Badezimmertür. Julia schämte sich, die Wahrheit zuzugeben, dennoch musste er wissen, was geschehen war. „Ich hab Durchfall.

    „Na bravo, brauchst du Hilfe?", vernahm sie durch die Türschlitze.

    „Nö, warte einen Moment, gleich bin ich fertig." Es rumpelte und rumorte in ihren Eingeweiden. Nach einer Viertelstunde kam sie aus der Toilette, und den Abdruck des Toilettendeckels spürte sie deutlich an ihrem Po und den Oberschenkeln.

    David saß auf dem Balkon und beobachtete die Katzen. „Meine Güte, wie siehst du denn aus, du bist ja bleicher als eine Hauswand."

    „Ich habe ein Glas Wasser bei der Familie getrunken."

    Er runzelte die Stirn. „Leg dich sofort ins Bett! Ich versuche einen Arzt, zu erreichen."

    „Kannst du mir Salzstangen und Cola besorgen, das hilft immer."

    „Du hast Wünsche, Julia, wir sind hier in Afrika, eins nach dem anderen."

    Dann spurtete er los und sie zog das Moskitonetz über ihrem Bett zusammen. Nach fast zwei Stunden hatte er den Hotelarzt im Schlepptau. Julia staunte nicht schlecht. „Sie?"

    „Ja, in Asmara sind die Mediziner dünn gesät."

    David schaute von einem zum anderen. Woher kannte sie ihn?

    Doktor Feben tastete Julias Bauch ab und setzte das Stethoskop auf den Unterleib. „Da haben sich ein paar Mikroorganismen und Keime breitgemacht. Ich gebe Ihnen ein Antibiotikum und Salztabletten. Sie müssen außerdem viel trinken, und wenn der Durchfall in drei Tagen unverändert anhält, melden Sie sich noch einmal."

    Julia nickte und sogleich überkam sie erneut eine grauenvolle Übelkeit. Mithilfe der beiden Männer erreichte sie gerade noch die Toilette. Der Arzt kannte den Verlauf. Durch diese Schule mussten viele Europäer, bis sich in das Unterbewusstsein eingegraben hatte, die Finger von ungewaschenem Gemüse und nicht abgekochtem Wasser zu lassen. Julias Gesichtsfarbe hob sich kaum von dem weißen Kopfkissen ab.

    Dr. Feben legte die Rechnung auf den Tisch. „Die Auslandskrankenkasse wird Ihnen den Betrag erstatten."

    David kramte in seinem Geldbeutel nach der richtigen Anzahl von Scheinen und reichte ihm das Bündel.

    „Und in Zukunft nur Mineralwasser oder Stilles aus der Flasche. Gibt’s unten an der Ecke in einem kleinen Laden. Jetzt erst mal Tee, und mit einem aufmunternden Lächeln verabschiedete er sich. David hatte schon ein Flaschengebinde in der Ecke platziert. „Salzstangen kennen die hier nicht, ich hab den ganzen Laden umgekrempelt. Wir sind nicht in Deutschland. Dann holte er ein in rotes Zellophan verpacktes Bündel aus der Tasche. „Hat man mir an der Rezeption gegeben, du könntest es essen."

    Julia war äußerst skeptisch – nicht noch einmal. Es waren trockene Kekse aus gepressten Krümeln. Sie legte das Päckchen zur Seite, der Appetit war ihr gründlich vergangen. Warmer Abendwind durchzog ihr Zimmer, und die Tigermustergardine spielte mit dem Fensterrahmen. Das Antlitz einer afrikanischen Frau in Landestracht lächelte von einem Bild an der gegenüberliegenden Wand. Das leise Maunzen der Katzen im Garten drang an ihr Ohr. Julias Augenlider wurden schwer, wie die drückende Hitze Afrikas, und tiefe, gleichmäßige Atemzüge folgten einer langen Tortur zwischen Bett und Toilette. Sie sank in einen Schlaf, der sie von allen Grenzen löste.

    2. Andere Länder, andere Sitten

    Am nächsten Tag musste David die Flaschenabfüllanlage in der Colafabrik ohne Julia begutachten. Der voluminöse weiße Turm mit dem markanten Schriftzug war unübersehbar und somit leicht zu finden. Er wurde schon erwartet. Der groß gewachsene Ingenieur, mit dem Julia von Deutschland aus in Kontakt stand, wunderte sich, dass er allein kam.

    „Sie hat nicht abgekochtes Wasser getrunken."

    Er zog die Augenbrauen hoch. „Man sollte für Europäer einen Schnellkurs in eritreischen Verhaltensweisen zur Pflicht machen. Unser Organismus verträgt einfach andere Dinge."

    David erkannte sofort, dass sich an den Rohren und Fittings schon verschiedene Personen zu schaffen gemacht hatten. Kein Wunder, warum die Anlage nicht funktionieren wollte, einige Schläuche waren falsch angeschlossen. Das ausgeklügelte Pneumatiksystem konnte so nicht funktionieren, die Drücke hoben sich gegenseitig auf.

    „Da liegt ein ganzes Stück Arbeit vor uns", und er begann mit der richtigen Kennzeichnung der Gummileitungen. Julias Hände, die an manchen Stellen dringend vonnöten gewesen wären, fehlten ihm.

    Nach drei Betttagen fühlte sie sich, zum ersten Mal, imstande aufzustehen. Ihr Stuhlgang war wieder fester, aber der Kreislauf noch schwach. Zögernd trat sie auf den Balkon. Die Sonne brannte und wie jeden Tag dösten die Katzen im Schatten der spärlichen Büsche. Sie musste ihre Augen dringend mit einer Sonnenbrille schützen. Nach der langen Liegezeit konnte sie die grellen Strahlen nicht ertragen. Wie kann man hier nur arbeiten? Die Hitze lähmte jegliche Aktivitäten. Der Hotelbereich war ein abgeschirmtes Areal für teuer zahlende Gäste. Draußen vor dem Eisenzaun spielte sich

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1