Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Die Verlorene Form - wie zwölf dänische Königspferde zu einem Guss wurden: Historischer Künstlerroman
Die Verlorene Form - wie zwölf dänische Königspferde zu einem Guss wurden: Historischer Künstlerroman
Die Verlorene Form - wie zwölf dänische Königspferde zu einem Guss wurden: Historischer Künstlerroman
eBook1.216 Seiten15 Stunden

Die Verlorene Form - wie zwölf dänische Königspferde zu einem Guss wurden: Historischer Künstlerroman

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Für den französischen Bildhauer Jacques François Joseph Saly wird die Suche nach der vollkommenen Ausdrucksform für die Reiterstatue des dänischen Königs Frederik V. zum Lebensinhalt. Anstatt sich an den künstlerischen Vorbildern des Genres zu orientieren, studiert Saly ausgiebig die Anatomie und das Verhalten der Pferde. Zunächst in Versailles, wo seine Künstlerkarriere mit der Büste von Madame de Pompadour im Auftrag des Königs begann, später in Kopenhagen. Saly gelingen faszinierende Skizzen von den dänischen Schulpferden, die ihm als Vorlage für den perfekten Entwurf dienen. Trotz politischer Intrigen und technischer Erschwernisse entsteht durch künstlerische Sorgfalt und handwerkliches Geschick innerhalb von zwanzig Jahren eine der schönsten Reiterstatuen der Welt: Das Amalienborg Denkmal.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum30. Mai 2021
ISBN9783754127612
Die Verlorene Form - wie zwölf dänische Königspferde zu einem Guss wurden: Historischer Künstlerroman

Ähnlich wie Die Verlorene Form - wie zwölf dänische Königspferde zu einem Guss wurden

Ähnliche E-Books

Bildende Kunst für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Die Verlorene Form - wie zwölf dänische Königspferde zu einem Guss wurden

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Die Verlorene Form - wie zwölf dänische Königspferde zu einem Guss wurden - Inka Benn

    Die Verlorene Form

    Wie zwölf dänische Königspferde zu einem Guss wurden

    Inka Benn

    Texte: 2021 Copyright by Inka Benn

    Umschlag: © 2021 Kerngerüst mit Wachsmodell (nach Mariette) aus: Technik der Bronzeplastik von Hermann Lüer/ www.gutenberg.org

    Verantwortlich für den Inhalt: Inka Bennemann

    Nørrebækvej 21

    DK 6360 Tinglev

    inkabenn@t-online.de

    Druck: epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

    Inhalt

    Prolog

    Teil 1

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Kapitel 12

    Kapitel 13

    Kapitel 14

    Kapitel 15

    Kapitel 16

    Kapitel 17

    Kapitel 18

    Kapitel 19

    Kapitel 20

    Kapitel 21

    Kapitel 22

    Kapitel 23

    Kapitel 24

    Kapitel 25

    Kapitel 26

    Kapitel 27

    Kapitel 28

    Kapitel 29

    Kapitel 30

    Kapitel 31

    Kapitel 32

    Kapitel 33

    Kapitel 34

    Kapitel 35

    Kapitel 36

    Kapitel 37

    Kapitel 38

    Kapitel 39

    Kapitel 40

    Kapitel 41

    Kapitel 42

    Teil 2

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Kapitel 12

    Kapitel 13

    Kapitel 14

    Kapitel 15

    Kapitel 16

    Kapitel 17

    Kapitel 18

    Kapitel 19

    Kapitel 20

    Kapitel 21

    Kapitel 22

    Kapitel 23

    Kapitel 24

    Kapitel 25

    Kapitel 26

    Kapitel 27

    Kapitel 28

    Kapitel 29

    Kapitel 30

    Kapitel 31

    Kapitel 32

    Kapitel 33

    Kapitel 34

    Kapitel 35

    Kapitel 36

    Kapitel 37

    Kapitel 38

    Kapitel 39

    Kapitel 40

    Kapitel 41

    Kapitel 42

    Kapitel 43

    Kapitel 44

    Kapitel 45

    Kapitel 46

    Teil 3

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Kapitel 12

    Kapitel 13

    Kapitel 14

    Kapitel 15

    Kapitel 16

    Kapitel 17

    Kapitel 18

    Kapitel 19

    Kapitel 20

    Kapitel 21

    Kapitel 22

    Kapitel 23

    Kapitel 24

    Kapitel 25

    Kapitel 26

    Kapitel 27

    Kapitel 28

    Teil 4

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Epilog

    Nachtrag

    Prolog

    Am 2. März 1768 hatte man sich bei der Holmen Kirche getroffen und war zum Kanonengießhaus am Nytorv gegangen. Spät mittags, um ein Uhr, war das Reiterdenkmal König Frederiks in Bronze gegossen worden.

    Nur wenige, eingeladene Personen durften bei der Prozedur anwesend sein. Andere warteten vor dem Gießhaus. Drinnen hätte es für alle Zuschauer nicht genügend Platz gegeben.

    Man sagte, das Dabeistehen könnte sehr gefährlich werden. Denn falls nur die geringste Feuchtigkeit auf das Metall träfe, was mit Sicherheit nicht auszuschließen sei, könne man keine Verantwortung übernehmen, wenn das glühend heiße Metall den Umstehenden um die Köpfe flöge.

    Die Geladenen waren etwas vorzeitiger eingelassen worden. Monsieur Gor, der Meister und Generalkriegskommissar in Vertretung der Direktion der Königlich-Ostasiatischen-Kompanie auserkoren, leitete den Vorgang. Obwohl er um das Unvorhersehbare beim Guss wusste und vom Gelingen seinen Ruhm abhängig sah, wahrte er mit Anstand die Contenance und erklärte den Anwesenden alles. Seine Frau hingegen, eine französische Schauspielerin und Tänzerin, dramatisierte vor der Direktion. Wie leicht es geschehen könne, dass das prächtige Kunstwerk, welches so wertvoll für die Herren der Königlich-Asiatischen-Kompanie sei, dem Ruin anheimfalle. Nicht nur für die Ehre ihres Mannes, sondern obendrein wegen der bereits entstandenen Kosten, sei zu hoffen, dass ihrem Gatten der überaus präzise, von langer Hand vorbereitete letzte Akt gelänge.

    * * *

    Wer nicht an Angst vor der Tiefe litt, durfte sich auf das Gerüst über dem Graben begeben. Darin befand sich die Form, welche selbst, da ummantelt mit dickem Lehm und anderen Schichten, nicht mehr sichtbar war. Man stand rund um ein ziemlich großes, tiefes abstoßendes Loch. Daraus staken Rohre und Schlote nach oben. Monsieur Gor erklärte, dass es sowohl Kanäle gäbe, in die man das glühende Metall hineingösse als auch Röhren, aus denen der Dampf der vom Metall verdrängten Luft entweiche. Wenn aus bestimmten Öffnungen der überflüssige Bronzerrest auslaufe, habe sich das geschmolzene Metall gänzlich in der Form verteilt, was als sicheres Zeichen gelte, dass der Guss geglückt sei.

    Die gesamte Umgebung hatte man überall dort, wo Spritzer des Metalls auftreffen könnten, vorher gründlich ausgetrocknet, damit sich nicht mehr nur die geringste Feuchtigkeit mit dem glühenden Metall verbinden konnte. Auf diese Art vermied man Explosionen und Brände.

    Über mehrere Stunden war das Metall flüssig gemacht worden und hatte die überhaupt größtmögliche Hitze erreicht. Der Ofen war nah am Bassin, von wo aus das Metall geradezu in die beschriebenen Kanäle fließen konnte. Vorderseits am Ofen befand sich eine kleine Tür oder besser eine kleine, dünnwandige Stelle, die durchstoßen werden musste, um die Bronze fließen zu lassen. Gor selbst sollte den Stoß machen, wofür er eine ziemlich lange und schwere Eisenstange, welche an Seilen in direkter Verlängerung zur Achse des Ofens hing, benutzen würde. Folglich musste er bloß das Ende der Stange nehmen und diese mit Kraft und Schwung in Gang setzen. Ihre Spitze würde genau auf die Stichstelle zuschnellen und diese durchstoßen.

    Da Bassin und Loch sehr dunkel waren und dadurch die einzustoßende Stelle am Ofen nicht richtig sichtbar, hielt man eine gleichlange Silberstange mit einem inwendig brennenden Wachslicht davor, um das Ziel zu erleuchten.

    Als dies alles fertig hergerichtet war, nahm Gor mit leicht zitternder Hand die Eisenstange und stieß einige Male auf die Stelle, wo das glühende Metall austreten sollte. Allerdings nicht, so wie man es sich vorgestellt hatte, mit allzu viel Kraft, sondern vielmehr mit Geschick und Gefühl. Beim dritten Mal glückte es und das Metall kam sofort herausgelaufen wie ein glühender Strom. Dieser floss mit einer Klarheit, Pracht und Hitze, wie man zuvor noch nie etwas gesehen hatte. Selbst diejenigen, die schon einmal beim Gießen von Kanonen dabei gewesen waren, gaben Laute der Bewunderung von sich. Der Glanz war heller als die Sonne, so dass man die Augen zum Blinzeln schließen und ab und an wegblicken musste. Der allergrößte Teil ergoss sich in die Kanäle, wobei schnell aus den anderen Schloten der Dampf aufstieg und sich stets vermehrend das Bassin einhüllte. Die aufsteigende Hitze brannte in Gesicht und Augen derart heftig, dass man in der Hölle zu sein meinte und sich so weit entfernen wollte, wie es eben nur ging. Einige wandten sich ab und strebten weg vom Dampf, andere hielten sich Tücher vor das Gesicht und versuchten, bis zum Ende auszuhalten. Nachher hörte man, den alten Gouverneur Graf Ahlefeld habe das Ganze so inkommodiert, dass er einige Tage das Bett hüten musste. Dabei hatte das Gießhaus eigens eine ansehnliche Deckenhöhe bekommen, damit der Dampf besser aufsteigen konnte.

    Zwischendurch hatte ein glühender Auswurf die Silberstange mit dem Licht getroffen und hatte diese im selben Augenblicke weggeschmolzen. Sie konnte nicht mehr gerettet werden. Später erfuhr man, dass der wertvolle Silberstab als Opfergabe für das Gelingen des Gusses eingeplant gewesen sei.

    Endlich kam die überschüssige Bronze aus dem wichtigsten Rohr, welches Gor die ganze Zeit scharf beobachtet hatte, aufgestiegen. Der Meister nahm es als Zeichen, dass alles geglückt sei und zeigte große Freude. Nur einen Augenblick später trat die Bronze auch an den anderen Stellen hervor.

    Sofort kam seine Madame gelaufen und flog ihm an den Hals. Die Arbeiter, die offensichtlich mehr Angst vor dem Misslingen gehabt hatten als er, liefen herbei und küssten dem Meister die Hände. Von den Offiziellen wurde er umgarnt und der Minister gratulierte.

    Das überflüssige Metall war immer noch dabei, in das Bassin zu fließen. Einige befürchteten, der Graben könnte zu voll werden, überlaufen und die Bronze würde sich dann über ihre Füße ergießen. Diese Angst war allerdings unbegründet, da der Graben viel zu tief war und all die Gerüste und Röhren zusätzliche Barrieren bildeten.

    * * *

    Am 15. März hatte man begonnen, die Statue des Königs mit seinem Pferd aus der Verschalung zu nehmen. Die Eisenmanschetten, Steine und Rohre wurden entfernt und der Lehm abschlagen. An den meisten Stellen sah die Bronze schön glatt aus, andere Partien hingegen waren sehr uneben und dünn. Dieses könne aber, wie Gor versicherte, durch Feinschliff und Polieren leicht beseitigt werden. Das fehlende Stück am Arm sei intakt und werde einfach angesetzt und er beteuerte, es sei selten, dass der Guss einer so großen einteiligen Statue, derartig vollkommen gelänge wie dieser.

    Saly jedoch war wenig zufrieden mit dem Resultat, denn insbesondere am Kopf des Pferdes und des Reiters gab es Fehler, die viel Arbeit bei der Ziselierung nach sich ziehen würden.

    Diese Klagen bekam Gor zu hören, und da er einen heftigen Charakter besaß, verprügelte er Saly am 4. Juli 1768 auf öffentlicher Straße. Das war ein Skandal und man schrieb:

    Es trug sich nämlich zu, dass Monsieur Gor seinen Landsmann Monsieur Saly, öffentlich wegen dessen Verleumdungen, er habe die Statue schlecht gegossen und man benötige nun sehr viel Zeit, um die Fehler wieder zu korrigieren, diesen wie einen Matrosen mit einem Tampen öffentlich prügelte. Der französische Bildhauer hatte sich daraufhin mit seinem Gehstock gewehrt. Die Herrn Juristen tolerierten es zwar nicht, dass Herr Gor sich als Richter in eigener Sache aufgespielt habe, gaben Monsieur Saly jedoch eine gewisse Mitschuld. Nach der gerichtlichen Einigung gewann Herr Gor der Begebenheit etwas Lustiges ab: Bei ihm, Salys ergebenem Diener, der ja bei seinem Herrn Künstler für alles gerade zu stehen habe, hätte es lediglich dazu gereicht, wie ein Hund mit einem Stock geprügelt zu werden, anstatt ehrenvoll wie ein Seemann mit einem Tampen.

    * * *

    Frei übersetzt nach: J.- F.-J. Saly i den Københavnske Presse 1754-1768 (Uddrag af Berlingske Tidende og Adressavisen/ Emma Salling i Københavns Bymuseum 1976)

    Teil Eins

    1

    Die Gemächer der Madame waren belebt. Sie waren sozusagen voll und überlaut. Mätressen auf Chaiselongues, schnatternde Comtessen auf Sesselchen und Speisende Damen an Tischchen. Mittendrin eine hochgewachsene Frau ohne Perücke, hochtoupiert und unauffällig schön. Beschwingt bewegt glitt sie durch den Raum, mit Leichtigkeit und Elegance strebte sie mal dieser oder jener Szenerie zu, erhaschte hier und da ein Praliné oder eine Traube. Überall kicherndes Lachen, verschlucktes Hicksen oder unverhohlenes Gequieke. Langeweile im Überfluss, vom Neuesten zum Tratsch. Immer wieder, solange sie es wollte. Sie war die Herrscherin. Sie war Madame Pompadour.

    Ein gelangweiltes Hündchen sprang vom Sofa, zuckelte zu seiner beschäftigten Herrin, welche sich gerade in einem verschwörerischen Gespräch befand und sah schwanzwedelnd zu ihr auf. Als diese das Tierchen nicht bemerken wollte, hüpfte es an ihren Röcken hoch, reckte sich auf krummen Hinterbeinchen an den Stoffbergen empor und leckte mit behendem Zünglein die edle Seide. Eine zuhörende Dame tat sichtlich irritiert, ließ ihren Blick an der Comtesse herunter gleiten und nahm das Hündchen ins Visier. Die Comtesse reagierte hysterisch. Schreiend sprang sie auf, raffte ihre Stoffe und beförderte das arme Tier mit einem behänden Fußtritt in die nächste Ecke. Dort blieb es, nach verklungenem Klagelaut, bewegungslos liegen. Augenblickliche Stille. Alle Augen auf Madame. Nicht auf das Hündchen, nicht auf die, die getreten hatte. Madame hatte inne gehalten, stand sozusagen in Bewegung eingefroren der Szenerie gegenüber. Starre Erwartung machte sich breit. Hektisches Kauen und Schlucken hinter vorgehaltener Hand. Hochrotes Hüsteln abseits. Madame senkte den Blick auf das Tier, das sich nicht mehr bewegte. Ließ diesen leidend auf ihm ruhen und wandte sich der Verursacherin zu. Immer noch sagte sie nichts. Nur durchbohrte sie die zitternde Frau, wies mit sparsam gefühlvoller Neigung des Hauptes auf das Hündchen in der Ecke. Die Comtesse sah sich um, als suche sie Hilfe bei den Zuschauern. Diese senkten schamlos ihre Blicke. Langsam drehte sie sich um, wandte sie sich ihrem Unglück entgegen, bewegte sich in Trance darauf zu. Gnadenlos verfolgt von der in sich ruhenden und in ihrer Stellung verharrenden Madame. Die Comtesse vibrierte nun nicht mehr, hatte ihr Schicksal angenommen und beugte sich zum Hündchen hinab. Das Zögern ihrer ängstlichen Hand blieb Madame nicht verborgen. Nachdem die Frau sich überwunden hatte, das leblose Geschöpf zu berühren, sprach die Pompadour sie an: „Und? Das Hündchen lag nun auf den Armen der Mörderin, wurde von dieser herangetragen, vorgewiesen und als Opfer dargebracht. Nachdem Madame mit gefühlvollem Finger das seidige Fell gestreichelt hatte, wies derselbe der Comtesse den Ausgang. „Alle könnt ihr gehen! Die Anwesenden erhoben sich sofort. Raschelnd defilierten sie vor Madame in Verbeugung und verließen den Ort.

    In völliger Stille blieb sie zurück. Nachdenklich und bekümmert fühlte sie sich schuldig und weich. Wie hatte es soweit kommen können? Wurde sie unachtsam? Aber eher das Gegenteil fühlte sie, eine Art von gesteigerter Sensibilität, von innerer Offenheit für alles am Rande. Ihr bisheriges Streben hatte nur dem Wichtigen gegolten, all das Unnütze war aussortiert oder gar nicht bemerkt worden. Ihr Gespür hatte sich gänzlich auf diese Fähigkeit hin ausgerichtet – Trennen von Wichtigem und Unwichtigem. Dadurch hatte sie sich ihre Macht aufgebaut und gesichert. In den Adelszirkel einzutreten, eine Stellung zu erobern, ihn zu erobern, das waren ihre Ziele gewesen. Jetzt, auf dem Zenit ihrer Macht, in der Blüte ihrer Jahre, im Glanze vollkommener Schönheit, fühlte sich das Erreichte leer und falsch an. Alles wirkte sinn- und belanglos. Ist es Schwäche? Ihr Körper hatte gelitten und wohl ihre Seele auch. Die große Sünde kam zum Vorschein und alle bisherigen gingen darin auf. Je mehr Sünde, desto verletzlicher die Seele. Ein Preis, den sie zu zahlen hatte, im Nachhinein, das wusste sie jetzt. Und das war gefährlich. Sie durfte kein Gewissen haben. Etwas, das sie keinesfalls gebrauchen konnte. Denn die Macht lag in der Überzeugung vom eigenen Handeln. Offensichtliche Unberechenbarkeit sicherte sie ab, Willkür hatte ihr den Weg gebahnt. Dazu benötigte man kein Inneres. Man legte sich dem König ins Bett und begann mit dem Liebkosen und Züchtigen, mit dem Küssen und Beißen. Man erzeugte bewundertes Einerlei und erschuf Abhängigkeit. Er war abhängig von ihr gewesen, hatte sie vergöttert. In ihrem gemeinsamen Reich hatte es niemals Sünde gegeben, denn sie selber waren das Maß des Göttlichen. Und diejenigen, die einen Funken davon erhaschen wollten, hatten sich zu einzupassen in ihr Ganzes, reibungs- und lückenlos, von oben nach unten und von unten nach oben. Sie war die Herrscherin. Noch hörte man auf Madame Pompadour, auch, wenn man sie nicht verstand.

    Ludwig der XV. hatte sich am Ende ein Bildnis von ihr gewünscht. Dazu hatte er einige Künstler bestellt. Ein Abbild ihrer besten Jahre. Wozu, das hatte sie damals noch nicht geahnt.

    Saly hatte den Kopf seines Mädchens mitgebracht, den er feierlich vor dem König und der Mätresse enthüllte. Ihr war die wunderbare Kindesbüste bereits bekannt und der König konnte gar nicht davon lassen. Darum bekam Saly den Auftrag zugesprochen. Er bedankte sich sehr umständlich, was im allgemeinen Trubel unter ging. Dennoch erinnerte sich Madame Pompadour, dass sie gedacht hatte, wie es sein konnte, dass ein solch unsicherer und unscheinbarer Mann dieses Kunstwerk hatte schaffen können. Deswegen hatte sie insgeheim befürchtet, dass dieser zweitklassige Bildhauer gar nicht der richtige für den Auftrag sei. In ihrer jetzigen Lebensphase hätte es ihr außerordentlich widerstrebt, wertvolle Stunden beim Sitzen für etwas Wertloses wie eine misslungene Büste zu vergeuden. Denn Stunde um Stunde würde sie diesem Minable gegenüber sitzen müssen. Verstellt, unbeweglich, ausgeliefert. Für einen ungewissen Ausgang.

    Dieser Saly ließ sich gewiss weder gerne bei der Arbeit über die Schulter schauen noch würde er sich wortstark seines Könnens vor Publikum rühmen. Dazu wirkte er zu ängstlich und angestrengt. Es würden nicht nur langatmige sondern auch zermürbende Stunden werden, hatte sie befürchtet.

    2

    Jemand anderes im Hintergrund schien die Fäden beim Aussuchen der Räumlichkeiten gezogen zu haben. Saly hatte es mit einem Quartiermeister zu bekommen, der nicht unbedingt gewillt war, auf seine Bedürfnisse und Wünsche einzugehen. Dem Bildhauer war es in erster Linie um das Licht gegangen, dem Quartiermeister um die schöne Aussicht. Jener verlangte einen stillen Ort, dieser bevorzugte die Nähe zu den Gemächern des Hofstaates.

    Als Saly sich ein Herz fasste und sich beim Oberquartiermeister beschwerte, erfuhr er, dass selbstverständlich nur die Wünsche der Madame berücksichtigt würden und nicht etwa die seinigen. Daraufhin bezog der Machtlose mit seinem Gehilfen Jean ein Ensemble von drei exquisiten Salons, mit Terrasse zum Hofgarten hinaus. Rückwärtig grenzten die Räume an Gemächer wichtiger Hofdamen, die sich wiederum in der Nähe von Madames Appartements befanden. Unter ständiger Angst vor Beobachtung würde er nicht arbeiten können. In dieser Prunkatmosphäre, den Gaffern ausgeliefert und vom Lärm der vielen Stimmen bedrängt. Er erinnerte sich an Rom. Die Räumlichkeiten, das Licht und die Ruhe. Dort hatte man ihn als Künstler geachtet, alles war auf ihn zugeschnitten gewesen. Wie sehr sehnte er sich danach zurück. Stattdessen stand er gerade in einem der unzähligen Prunksäle von Versailles. Ein weiterer Narr auf der Bühne der schönen Künste. Degradiert zum Unterhaltungsobjekt der Gelangweilten. Jeder, der sich so nahe am Zentrum der Macht befand, wäre stolz auf den Auftritt gewesen. Nur nicht er, Saly, dessen Natur dies gar nicht entsprach. Er war nicht wie dieser Hofmaler Van Loo, der sich überall dem Adel andiente, Aufträge erhaschte, sich beim Malen in den Palästen der wichtigsten Machthaber inszenierte und seine Kunst durch Offenlegung der intimsten Werkgeheimnisse verriet. Es war so weit gekommen, dass Van Loo, weil er ständig bei Hofe anwesend sein musste, jegliche Zeit zum Malen fehlte. An den Portraits von Persönlichkeiten geringeren Adels ließ er heimlich seine Schüler aus der Akademie arbeiten, an der er aufgrund seines ruhmreichen Italienaufenthaltes als Professor lehrte. Der zukünftige Hofmaler selber inszenierte dann nur noch ein paar Pinselstriche, wenn Besuche der Auftraggeber anstanden. Hinter vorgehaltener Hand wurde davon als Unverfrorenheit gesprochen, der öffentlichen Anklage konnte sich Van Loo jedoch entziehen, weil niemand zugeben wollte, dass er geringer gestellt war als der und der, dessen Bild wirklich vom Meister persönlich geschaffen worden war. Darüber zu klagen, dass das eigene Bild kein Original sei, wäre peinlich. So geriet der Ruhm des Künstlerfürsten nicht ins Wanken und alle Welt wollte einen Van Loo. Saly fühlte sich mit diesem in einen Topf geworfen. Seine Künstlerehre war zutiefst gekränkt. Es bereitete ihm enormes Unbehagen, dass man ihn so eingeordnet und seine pragmatische Bescheidenheit mit Füßen getreten hatte. Sie wähnten sich als großzügig, jemanden wie ihn zu protegieren und taten alles, um sich zufrieden zu stellen. Hinzu kam, dass ihm durch die Regulierung der Wünsche von Madame die Erwartungshaltung Aller aufgepflanzt wurde. Leider hatte er das Hoftheater völlig unterschätzt. Er war kein Spieler, der mit Humor auf der Zunge wettet. Rhetorische Gewandtheit beherrschte er nicht, weil sein Gewissen dazwischen stand. Der eigene Witz galt als veraltet, fehlte es ihm doch am Wichtigsten, nämlich dem Esprit. Nicht, weil er zu lange fort gewesen war, sondern weil er sich nicht dafür interessiert hatte. Die Auswüchse waren an ihm vorbeigegangen. Wie hatte er nur so naiv sein können, zu glauben, er habe es hier in am Hofe von Frankreich mit feinsinnigen Kunstliebhabern zu tun, die sein Werk zu schätzen wüssten? Hier im Zentrum der Dekadenz war alles anders als im Rest der Welt. Da konnte man noch so weit gereist sein. Mit nichts ließ sich das hier vergleichen. Das hätte ihm doch klar sein müssen. Er sollte seine Koffer nehmen und abreisen. Er fühlte sich der Aufgabe nicht mehr gewachsen.

    * * *

    Zunächst erteilte er seinem Gehilfen den Auftrag, die für eine Büste aus Gips notwendigen Materialien zu besorgen.

    Doch Jean tauchte unverrichteter Dinge und recht verwirrt wieder auf. Er sei nicht aus dem Schloss gelassen worden, und als er gesagt habe, was ihm Monsieur Saly aufgetragen, hätte man ihn in ein Kontor geschoben, wo er einem Schreiber die Liste des Monsieuer Saly hatte diktieren müssen. Man habe versichert, dass alles zur Zufriedenheit besorgt würde und er, Jean sich wieder zu seinem Herrn begeben könne.

    Jean arbeitete schon lange unter Saly, kannte überall die guten Lieferanten und verstand mit ihnen zu handeln. Der Meister vertraute dem ruhigen jungen Mann und bot diesem dafür offene Einsicht in seine Arbeit. Um so entsetzlicher war es jetzt, das beiden die Besorgungen aus den Händen genommen waren. Saly versuchte sich zu konzentrieren. Was wäre normalerweise der nächste Schritt? Man muss die Geräte und das Handwerkszeug aus den Kisten nehmen, den Raum damit bevölkern und das Atelier einrichten. Er entschied sich für den zweiten Saal. Dieser schien ihm am geeignetsten, weil er entfernter von den Gemächern des Hofstaates und der Terrasse lag. So könnte vermieden werden, dass jemand, der direkt zu Tür herein kam, ihn bei der Arbeit überraschte. Immerhin würde jetzt ein Raum dazwischen liegen. Jean und Saly zogen die schweren Truhen hinüber und öffneten die Deckel. Gipskörner und Steinstaub verteilten sich auf dem Parkett. Bei der Arbeit würde sich der pudrige Staub auf die feinen Tapeten, Gobelins, Wandgemälde und Möbel legen, erst nur angeflogen, dann in Schichten. Mit Entsetzen sah Saly die tiefen Kratzspuren im Mosaik, die sie wohl durch das Ziehen der Kisten auf dem Holz verursacht hatten. Er wurde blass. Wie sollte man in einem Atelier arbeiten, dass eigentlich ein hochherrschaftlicher Saal war? Alles würde noch mehr verschmutzt und beschädigt werden. Das ließe sich nicht vermeiden. Ein guter Grund, doch in einen anderen Teil des Schlosses umzuziehen.

    Wieder schickte er Jean los um den Quartiermeister zu holen. Der Sekretär ließ den Gehilfen erst gar nicht vor, wimmelte ihn ab, indem er sagte, er solle später noch einmal wieder kommen. Jean verdrückte sich unauffällig und schmiedete eigene Pläne. Irgendwie musste man doch auch ohne die Einhaltung der absurde Amtswege ans Ziel kommen. Der junge Mann war nicht auf den Kopf gefallen und hatte auf den Reisen mit seinem Herren so manches gelernt. In jedem Falle selbständiges Denken. Er versuchte sich zu erinnern, was der Meister und er gesehen hatten, als sie in die Hofanlage des Schlosses hineingefahren waren. Schon auf der Kutschfahrt von der Stadt Versailles aus zur Schlossanlage war ihnen aufgefallen, dass noch gar nicht alle Flügel und Gebäudeteile fertig waren. Überall hatte es noch Baustellen mit Gerüsten und Handwerkern gegeben. Verschiedenste Gewerke waren am Bau beschäftigt. Nicht nur die Steinmetze und Maurer hatten hier unendlich viel Arbeit, sondern auch Schreiner, Möbelbauer und Glaser waren ständig im Einsatz. Hinzu kamen die leichten Handwerke wie Tapisserien, Dekorateure und Schneider. Man hatte seine Geschicklichkeit an den König verkauft und setzte dessen Ideen kostspielig um. Davon profitierten wiederum unzählige Versorgungsbetriebe aus dem Ort Versailles, der schon den Charakter der Großstadt angenommen hatte. War man hier angekommen, hatte man ausgesorgt. Zur Zeit, hatte Saly erzählt, lebe man noch vom Wandel, in dem sich sowohl die Architektur als auch die Dekorationen nach dem Geschmack des Herrschers befänden, später, hatte er schmunzelnd hinzugefügt, erhalte sich das große Ganze nur noch durch die pragmatische Einsicht von selber, dass immer Renovierungen anstünden, wenn die Räume zu stinken begännen. Die Hinterlassenschaften würden von Mannschaften entfernt, der Raum vom Kammerjäger mit Kalk desinfiziert und dann begänne das Schmücken erneut.

    Schon in Italien hatte man von der ungeheuren Geldverschwendung des Franzosenkönigs gehört, der ständig am Schloss und seinen Nebengebäuden etwas verändern, renovieren oder anbauen ließ. Inspiriert von großartigen Ideen verwirkliche er seine Wünsche. Da stünde er wohl seinem Urgroßvater, dem Sonnenkönig, in nichts nach. Interessant hatten die Italiener gefunden, dass die neuen Details sichtbar den barocken Stil verdrängten. Das würde ihnen, die ja gern aus Tradition das Klassische pflegten, nur zu Gute kommen. In Form von Aufträgen, versteht sich.

    Jean und sein Lehrherr hatten über die unglaublichen Dimensionen der Schlossanlage nachgedacht und sich vorzustellen versucht, welche Funktion die besonderen Bauten im Einzelnen haben könnten. Sie hatten Zahlen geraten, wie groß die ständige Gesellschaft des Hofes und ihrer Bediensteten sein müsste, waren aber zu keinerlei befriedigendem Ergebnis gelangt.

    Jeans Plan war, den Salon zum Atelier umzubauen. Dazu benötigte man rohe Dielenbretter, mit denen sich die wertvollen Parkettböden abdecken ließen und genügend schweres Tuch, um die prunkvoll gestalteten Wände zu schützen. Wenn er schon nicht, wie ihn die Erfahrung mit der Besorgungsliste gelehrt hatte, aus dem Corps des Schlosses herauskam, musste er eben innerhalb Versailles nach Material suchen. Er irrte durch die Gänge und fragte sich bei den zahlreichen Bediensteten, die im in den Fluren der Seitenflügel begegneten, nach den Werkstätten durch.

    Man schickte ihn zum Wirtschaftsbau. Ein riesiges Gebäude mit unendlich vielen Lagern, Werkstätten und Küchen. Er schlug den Weg zu den Werkstätten ein und kam an riesigen Lagerräumen vorbei. Überwältigt von deren Größe und Ausstattung, sah er sich fasziniert um. Hier standen an die hundert gleiche, vergoldete Stühle, dort hingen riesige, goldglänzende bilderlose Rahmen und überall standen Kisten, in denen sich wertvolle, sorgsam in Stroh verpackte Kristallgläser, Porzellan und Silberwaren stapelten. Überall Geschäftigkeit. Lieferungen wurden ausgepackt, begutachtet und notiert, dann wieder verpackt und an einen anderen Platz getragen. Wie viel dabei wohl abhanden kam? Perfekte Organisation für unermesslichen Reichtum. Jean fragte nach der Holzwerkstatt. Man zeigte ihm den Weg zum Nebenflügel. Der Geruch von Holz und Sägegeräusche. Hier war er richtig. In der großen Halle, die mit unfertigen Möbelstücken, Holzteilen und Werkzeugen gefüllt war, traf er zunächst auf einen Glaser, welcher zersprungene Spiegelfacetten in einem vergoldeten Holzrahmen austauschte. Der riesige Spiegel war auf dem Arbeitstisch unterseits in dickem Wollstoff gelagert. Vorsichtig trennte der Meister mit einem Schneidwerkzeug jede Facette aus ihrer Fassung. Es mussten an die zweihundert einzelne Spiegel sein, welche den Rahmen ausfüllten. Ein Sprung und das Abbild war verwundet. Jean sah sich weiter um. Im anderen Teil der Halle befand sich eine Reparaturstätte für Möbel und Türen. Hier lagerte auch das meiste Holz. Natürlich handelte es sich nicht um grobes Bauholz, aber der Handwerker, der dort ein Türfeld schliff, könnte ihm vielleicht Auskunft geben, wo er geeigneteres Material fände. Er ging auf den Mann zu und sprach ihn an. Der Tischler hörte sich ungeduldig Jeans Anliegen an und verwies ihn unwirsch an das Sekretariat des Baumeisters. Irgendein Verantwortlicher sei dort immer zugegen und der könne ihm dann weiter helfen.

    * * *

    Er hatte sich auf den letzten Metern genau überlegt, wie er anfangen wollte. Weil er nicht wusste, wer ihn dort erwartete, hatte sich für das Unverfänglichste entschieden. Er würde direkt mit der Aufzählung der benötigten Materialien beginnen. Würde er näher befragt, könnte er danach immer noch den Zweck für sein Anliegen preisgeben. Zaghaft klopfte Jean an die große Tür.

    Es erklang ein lautes „Ja" - die Tür blieb verschlossen. Das war eher ungewöhnlich für Versailles. Gab es hier denn keine Diener? Demnach musste der Beamte im Büro nur ein gering gestellter sein. Um so besser. Jean drückte beherzt die große Klinke und öffnete den schweren Türflügel. Zwei Männer, die um einen mit Papieren und Plänen bedeckten Tisch standen, sahen ihn an. Einer trug eine dunkle Alltagsperücke und einen bequemem, aber wertvollen Rock mit dunkler Kniehose. Er war noch jung. Der andere Herr schien viel älter. Seine üppigen, weißen Haare waren zu einem Zopf gebunden. Weil er keine Perücke trug, wirkte er sehr würdig. Seine Kleidung verbarg sich unter einer Art Umhang, der sehr verschmutzt aussah. Jean verbeugte sich leicht und stellte noch während des Aufrichtens seine Forderung. Er brauche soundsoviel Zoll grobe Dielenbretter und soundsoviel Zoll schweres Tuch.

    Die beiden Herren sahen sich amüsiert an und der jüngere übernahm das Wort. „So, so, sagte er, „Bretter und Stoff? Wir sind hier aber nicht die Ausgabe. Er lachte freundlich. Augenblicklich war er war eingeschüchtert und fühlte sich fehl am Platze. Jean begann, sich rückwärs der Tür zu nähern.

    „Wer schickt dich?"

    Jetzt saß er in der Falle. Denn eigentlich war er ja gar nicht geschickt worden, er hatte ja gar keinen Auftrag von seinem Meister bekommen, die Idee war ja auf seinem eigenen Mist gewachsen und sein Herr wusste nichts davon. Jean begann zu stammeln, er musste ja etwas antworten. Der Versuch, das Geschehene irgendwie in einem Bericht zusammenzufassen, misslang. Zu verstehen waren lediglich Bruchstücke wie „Atelier und „Saal, „mein Meister, „Werkzeugtruhe, „ Kratzer im Parkett und „Rettung wertvoller Wandgemälde. Die beiden Herren taten hoch amüsiert.

    Dann sprach der Ältere: Wandgemälde? Von welchem Saal sprichst du?

    Der verdatterte Junge versuchte, die drei Säle und ihre Anordnung im Schloss zu beschreiben. Den Zuhörenden ging zumindest auf, dass sich die besagten Räume in dem Schlossflügel befanden, in dem sie selber und der Hofstaat residierten. Also unmittelbar am Zentrum der Macht.

    „Wurden die Wandgemälde etwa von deinem Meister zerstört?"

    Jean verneinte entschieden, denn das Gegenteil sei der Fall, sein Meister wolle diese retten und sie vor dem Staub seiner Arbeit schützen, das gleiche gelte auch für den wertvollen Boden, weswegen er ja die Bretter und die Vorhänge brauche. Der alte Herr überlegte, wenn dieser Meister im Zentrum der Macht arbeitete, dann müsste er ihn ja selber für irgendeine Aufgabe dorthin eingeteilt haben. Vielleicht ein Stukkateur? Er konnte sich nicht entsinnen. Die Räume im besagten Schlossflügel waren gerade erst renoviert worden.

    Wer ist denn dein Meister?

    Jean antwortete diesmal laut genug und mit stolz gerecktem Kinn:

    „Der Bildhauer Monsieur Saly".

    Beide Herren schienen zu wissen, wer Saly war.

    Der Jüngere Monsieur bemerkte:

    „Schön, schön. Der Künstler, der meine Schwester in Gips fassen soll. Ein begabter Mann, wie man an seiner Kostprobe, der Büste des Mädchens, sehen konnte."

    Der Ältere sinnierte:

    „Wenn auch etwas zu individuell, dennoch gleichsam idealistisch im Sinne von idealtypisch. Ein wirklich gelungenes Werk. Allerdings wird er es bei der Pompadour um vieles schwerer haben. Ich selber musste das bei mehreren Portraitversuchen feststellen. Die Ansprüche, die Ansprüche."

    Der junge Monsieur:

    „Schließ- und endlich wird Madame höchstselbst diesen Bildhauer dort wohl einquartiert haben. Nahe beim Hofstaat, um nichts zu verpassen."

    Der Ältere:

    „Sie mag nicht lange sitzen. Sie braucht dabei viel Zerstreuung."

    „Ja, wohl war, meine gnädige Schwester macht es niemandem leicht. Weißt du was, Junger Mann, wir helfen dir."

    Er wandte sich verschmitzt an den Weißhaarigen:

    „Meinen sie nicht, Monsieur Dekorateur, er solle das Geforderte bekommen?"

    Jean wurde jetzt ganz direkt von dem Älteren angesprochen:

    „Ich rechne es deinem Meister hoch an, dass er sich um meine Wandgemälde und Dekorationen sorgt. Sag ihm, der Umbau sei ein Geschenk von Monsieur Boucher und dem Directeur Poisson."

    Jean konnte es kaum fassen. Seine Anspannung wich der Freude. Er bedankte sich artig mit allem Anstand und verließ unter einigen Verbeugungen das Büro. Wie hatte er den Mut aufbringen können, mit diesen überaus wichtigen Herren zu verhandeln? Glücklich machte er sich auf den Rückweg, um Saly von der Begebenheit zu berichten.

    * * *

    „Dieser Saly ist durchaus kein unbeschriebenes Blatt. Nachdem lange in Italien gewesen war, hauptsächlich, um dort die Kunst der klassischen Antike zu studieren, bekam er - kaum zurück in in Frankreich - promt einen Auftrag von seiner Heimatstadt Valenciennes. Und zwar – man staune - für ein lebensgroßes Standbild unseres geschätzten Königs Louis. Ein ausgezeichnetes Werk, wie ich mir haben sagen lassen. Realistisch im einen und doch von edler Würde, dazu noch mit ungeheurer handwerklicher Präzision. Das scheint das Prinzip dieses Bildhauers zu sein. Und übrigens, er hat den grünen Cäsar mitgebracht - ein ganz besonderes Stück - und auch einige hervorragende Kopien klassizistischer Kunstwerke für die neuen königlichen Appartements angefertigt. Indirekt sogar in meinem Auftrag, da er mir als geeigneter Künstler in Italien empfohlen worden war."

    Der Directeur nickte beifällig:

    „Meine Schwester weiß eben, was sie will und hat sich sicherlich ausgiebig über diesen Bildhauer und seine Werke informiert. Lohnt es sich doch für sie ja keinesfalls, dem König ein misslungenes, wertloses Portrait aufzuschwatzen. Besonders in dieser Situation! Wo sie doch ihre Stellung am Hofe neu festigen will. Sie muss ja sehen, wo sie bleibt. Und - ich hörte zu meinem Erstaunen -, dass sie öfter unpässlich war – dieses sicherlich nicht nur zum Nachteil ihrer Schönheit. Noch einen Bastard hätte man nicht so einfach hingenommen, jetzt, da er sich von ihr abgewandt hat."

    Boucher nickte beifällig:

    „Hoffen wir das Beste. Madame ist mein glühendster Protegier!"

    3

    Jean war außer Atem und aufgeregt, als er zu Salys zukünftigem Atelier zurück kam. Saly empfing ihn ungehalten. Jean bemerkte, dass sein Meister zum Glück noch nicht weiter ausgepackt hatte. Schüchtern begann er mit seinem Bericht, den er damit mit einer halben Entschuldigung einleitete: Er habe recht eigenmächtig entschieden, sich auf die Suche nach Material für den Atelierumbau zu begeben. Dabei sei er auf zwei wichtige Herren gestoßen, die ihm Hilfe zugesagt hätten. Diese beiden, ein gewisser Monsieur Boucher und der Directeur Poisson, ließen ihm, Monisier Saly, ausrichten, der Umbau als kleine Aufmerksamkeit anzunehmen.

    Saly wollte kaum glauben, was er gerade gehört hatte. Er wusste nicht, worüber er ungehaltener reagieren sollte, über die Eigenmacht des Jungen oder deren Auswirkungen. Aufgeregt legte er Jean dar, dass der Quartiermeister ihm hätte etwas anderes besorgen sollen, denn er wolle ja gar nicht in diesen Räumen bleiben, im Gegenteil, er wolle hier weg, weswegen sich der Umbau auch nicht lohne. Jean wüsste doch, dass er hier, im Hofstaatgewimmel, nicht richtig arbeiten könne. Und jetzt seinen auch noch die für ihn als Künstler wichtigsten Zuständigen am Hofe, nämlich der Oberhofdekorateur und der Direktor für das Bauwesen, auf sein Dilemma aufmerksam geworden. Und nach deren großzügiger Geste ließe sich nun kein Umzug mehr arrangieren ohne das Gesicht zu verlieren. Was habe sich der Junge nur dabei gedacht?

    Jean sah sich gezwungen, seine Tat als Fehler anzunehmen und sich für seinen Alleingang zu entschuldigen. Er war sehr traurig. Als Saly dies bemerkte, lenkte er schnell ein. Eigene Ideen seien an sich ja nichts schlechtes und er habe ihn ja immer dazu angehalten, seinen Kopf zu benutzen, aber das hier, das gehe zu weit. Wichtige Entscheidungen habe immer noch er zu treffen.

    Im selben Moment schämte sich auch schon seiner Härte. Aber hatte er dem Jungen, den er beinahe wie seinen eigenen Sohn behandelte, vielleicht nicht doch zu viel durchgehen lassen? Schließlich war dieser nur sein Gehilfe. Allerdings...es bestand ein gewisses Vertrauensverhältnis zwischen ihnen. Dieses hielt bei beiden die Illusion von Familie aufrecht. Und in Saly erzeugte es eine Art Sicherheitsschild, welches sein inneres Gleichgewicht schützte. Er wunderte sich darüber, dass Jean ihm unentbehrlich geworden war und bemerkte voller Skepsis, dass er in der derzeitigen Situation länger über den Jungen nachdachte, als über das Dilemma. Er hätte angenommen, dass seine Lage in ihm Panik auslösen würde. Aber stattdessen fühlte er im Hinblick auf die neuesten Entwicklungen eine gewisse Erleichterung. Jetzt war es also endgültig und offiziell, dass er, der Bildhauer Saly, hier in Räumen vor den Toren der Macht residierte, um an der Madame zu arbeiten. Man würde es herum erzählen und bald würde es jeder wissen. Dann wäre man erpicht, dem Akt beizuwohnen, um mitreden zu können. Nun denn, er musste sich der Situation so gut es ging stellen. Nachdenklich fragte er fragte Jean, ob die beiden Herren noch weiteres gesagt hätten. Der Junge versuchte, den Wortlaut des Gespräches zwischen den Monsieurs wider zu geben, traf jedoch nicht den Ton, so dass Saly sich den Sarkasmus und die Ironie hinzudenken musste. Konnte man der Rede Bouchers in Bezug auf die Geduld der Madame eine versteckte Warnung entnehmen? Saly wusste, falls er überhaupt etwas nach seiner Rückkehr in das Königreich Frankreich lernen musste, war es das Lauschen auf den Sinn zwischen den Worten. Ein Umstand, dem er sich nicht gewachsen fühlte. Denn das Zuhören im Durcheinander bedeutender Leute strengte ihn nicht nur während wichtiger Anlässe ungemein an, sondern auch in den unerlässlichen Einzelgesprächen mit repräsentativen Persönlichkeiten, in denen es meist um Aufträge ging. In diesen, für sein Fortkommen wichtigen Situationen, fühlte er sich meist überfordert und in Rede und Antwort ungelenk. Wie sollte so jemand mit Madame Konversation führen können? Vielleicht war es ja sogar gut, wenn der gesamte Hofstaat die heilke Dame ablenken würde, während er selber nur im Hintergrund blieb, sozusagen unsichtbar. Ja, unsichtbar. Ihm kam eine Idee: Man müsste vor ihm und dem Werkstück einen Paravant aufbauen. So könnte er selber ungestört seine Blicke schweifen lassen, aber kein Zuschauer sähe seine künstlerischen Tätigkeiten oder gar den Zustand des Werkes in einem ungünstigen Augenblick. Wäre das vermessen? Oder würde es als exzentrisch und einer Künstlernatur gebührend gelten? Je länger Saly über diesen ungewöhnlichen Einfall nachdachte, desto greifbarer erschien ihm die Verwirklichung. Alsbald teilte er Jean mit, dieser könne seinen Fehler wieder gut machen, indem er einen großen, robusten Paravant besorge und diesen hier im Saal aufstelle. Der Gedanke, dass man ihn, den Bildhauer Saly, als außergewöhnlich kapriziös einstufen und ihm das Versteckspiel deshalb durchgehen lassen würde, begann ihn zu entzücken. Und er war sich, was das geheimnisvolle Entstehen seines Kunstwerkes betraf, der Neugier der Anwesenden sicher. Fesselndes Theater für anspruchsvolles Publikum – und er selber musste dabei noch nicht einmal auf der Bühne stehen! Genial! Trotz seiner Euphorie erzeugte der Coup in gewisser Hinsicht einen unliebsamen Beigeschmack, nämlich dass ihn die berühmten Kollegen Boucher und Bouchardon verachten würden. Bouchardon könnte vermuten, dass sein ehemaliger Schüler Saly sich in der Fremde Italiens zum Nachteil verändert hatte und eitel geworden sei. Und was Boucher betrifft, der sehe in ihm möglicherweise einen feigen Emporkömmling geringen künstlerischen Wertes. Er konnte nur hoffen, dass sie, gnädig gestimmt durch das Ergebnis, später über sein Theater hinweg sähen. Und wenn er Glück hatte, würden sie seine merkwürdigen Anwandlungen sogar nachvollziehen können. Hatte Boucher nicht für sich selber arrangiert, in Paris zu wohnen und im Louvre zu arbeiten? Es schien Saly nicht nur hinsichtlich der Warnung mehr als wahrscheinlich, dass Boucher ebenfalls die Stille zum Arbeiten bevorzugte. Es musste ein befreiendes Gefühl sein, nach den langwierigen Besuchen am Hofe in eine ausgelagerte Arbeitsstätte entfliehen zu können. Saly wagte es kaum, sich ein ähnliches Arrangement für seine eigene Zukunft auszumalen.

    Jean war gerade gegangen, als es laut vor der Flurtür rumorte. Wegen der penetranten Art des Klopfens fühlte sich Saly genötigt, schnellstmöglich zur Türe zu springen. Er wollte den unhöflichen Störenfried bei seinem Vergehen stellen und riss die Tür auf. Vor ihm stand jedoch nicht nur eine einzelne Person, sondern ein ganzer Haufen. Offensichtlich handelte es sich um Handwerker, denn die Männer waren nicht nur entsprechend gekleidet, sondern schleppten schweres Werkzeug und Baumaterial mit sich. Saly war perplex. So unbürokratisch ließ es sich also auch bei Hofe handeln. Äußerst ungewöhnlich. Schon marschierte der Anführer, ohne überhaupt sein Anliegen vorzutragen, geschäftig in den ersten Saal hinein. Saly fühlte sich nachgerade überrumpelt und versuchte rasch zu erklären, dass er nicht den ersten Raum, sondern gerne den zweiten als Atelier nutzen würde und dass zunächst die Möbel aus diesem entfernt werden müssten, bevor an irgendetwas anderes zu denken sei. Der Handwerker schüttelte unwirsch den Kopf fuchtelte mit seinem Notizbuch herum und teilte aufgebracht mit, dass er für das Entfernen der Möbel nicht zuständig sei. Dafür müsse man den Quartiermeister holen lassen, der dann irgendwelche Kammerdiener damit beauftragen könne. Saly sah sich in der Zwickmühle. Die Leute hatten wenig Zeit und wollten mit ihrer Arbeit beginnen. Deshalb entschloss er sich kurzerhand, einen der Handwerker anzuweisen, den Quartiermeister zu holen. Offensichtlich ein grober Fehler. Denn unvermittelt hielt der Anführer seinen Mann zurück und gab stolz kund, dass ein ehrlicher Handwerker kein Lakai sei. Saly war nun gezwungen, selber auf den Flur hinaus zu treten, um nach einem Hofdiener zu rufen. Zweifelsohne war der Umgang mit dem Schlosspersonal eigentlich Jeans Aufgabe. Da sich dieser jedoch gerade auf der Suche nach dem Paravant befand, sah sich Saly in der Rolle, den vom Nebengang heran eilenden Lakaien selber zu beauftragen. Recht eilig und unterstrich er mehrmals die Dringlichkeit der Angelegenheit. Er dulde keinen Aufschub. Und verlange, sobald die Nachricht an den nächst Zuständigen überbracht worden sei, sofortigen Bericht. Der Diener verbeugte sich und eilte davon. Offensichtlich war er wichtigtuerisch und umsichtig genug gewesen. Denn die für den Umbau bereit stehenden Handwerker hatte Saly absichtlich nicht erwähnen wollen. Zeugte es nicht von selbstverständlicher Autorität, wenn man einen Befehl ohne offensichtlichen Sinn und Zweck erteilte?

    Im Saal warteten die Männer derweil ungeduldig auf Arbeitsanweisungen. Wo sollte man anfangen? Vielleicht mit dem Verhängen der Wände? Saly wandte sich an den Anführer und erklärte umständlich, dass die wertvollen Dekorationen des Herrn Boucher vor dem Staub, der während der Arbeit entstünde, die er, der Bildhauer, hier zu verrichten habe, geschützt werden müssten. Dazu wäre es sinnvoll, die Wände einstweilig mit Tuch zu verhängen und zwar so, dass man dieses später wieder schadlos entfernen könne. Als sich niemand rührte, begann Saly eigenhändig, die nächst stehende Kommode von der Wand zu rücken. Er deutete mit einem Kopfnicken auf das wertvolle Stück und sah dann einen der Handwerker eindringlich an. Ohne Zweifel eine Aufforderung, ihm beim Tragen zu helfen. Bald standen alle Möbelstücke weit genug von den Wänden entfernt oder befanden sich in der Raummitte. Man konnte mit der Arbeit beginnen. Nebenbei und unaufdringlich lauschte Saly den Anweisungen des Meisters. Alles, was der Mann anwies, so klug durchdacht, dass Saly sich von der quirligen Arbeitsatmosphäre anstecken ließ und überall mit anpackte. Wie die Tätigkeiten ihn entspannten! Bald schon scherzte er mit den Männern wie ein Kollege. Es war das erste Mal nach seiner Rückkehr aus Italien, dass er sich nicht fehl am Platze vorkam. Er wurde gebraucht und konnte sich beweisen. Wie sehr beglückte ihn, dass seine Vorschläge vom Meister berücksichtigt und von den Kollegen umgesetzt wurden! Die Arbeitsabläufe fügten sich von selber. Man erkannte ihn an. Saly fühlte sich wohl.

    Er wusste nur, dass nicht allzu viel Zeit vergangen war, als Jean wieder auftauchte und berichtete, dass im Zuge der Abholung der Möbel auch der Paravant geliefert würde. Hatten die Auftraggeber etwa dermaßen großen Einfluss bei Hofe, dass ihnen jeder Wunsch umgehend erfüllt wurde? Unbedingt musste er noch mehr über die beiden Herren erfahren. Wenn der Junge begänne, noch einmal von seiner Begegnung mit Poisson und Boucher zu erzählen, würde sich der Meister sich sicherlich nicht zurückhalten können und seinerseits etwas über die beiden Künstler preisgeben wollen. Und richtig! Schon nach den ersten Sätzen unterbrach der ehrliche Mann die Rede. Stolz gab er zum Ausdruck, dass er beide Herren sehr wohl kenne und würdige. Boucher und Poisson verhielten sich den Handwerkern gegenüber stets sehr wohlwollend. Da ihr Ruhm von deren Arbeitsqualität abhängig sei, würden sie die höfischen Konventionen oft vernachlässigen und sich nicht einmal scheuen, mit anzupacken. Außerdem könne man als Meister sehr von ihnen profitieren. Der Baudirektor Poisson verstünde viel von Konstruktion und könne seine Pläne immer exakt darlegen. Und Boucher sei ein großer Künstler, dem Fragen zu seiner Arbeit allzeit willkommen sind. Künstlerisches Interesse würde er mit langen Ausführungen und besonderen Aufgaben belohnen. Er selber, als Malermeister, wäre schon häufiger damit beauftragt worden, die Wandcarrés in den prunkvollsten Sälen mit einem besonders wertvollen Goldputz zu versehen. Allerdings habe er nie mit dem Monsieur Dekorateur zusammen arbeiten dürfen, denn dieser ließe sich nicht gern bei der künstlerischen Ausführung seiner Ideen über die Schulter blicken. Dieses vermeide er wohl, damit seine besondere Kunstfertigkeit ein gut gehütetes Geheimnis bleibt.

    Saly hatte genug gehört. Dieser Herr Boucher war ihm sympathisch. Er fühlte sich in seinen Vermutungen bestätigt.

    Sie machten sich wieder an die Arbeit und waren gerade dabei, eine Bahn Stoff zu straffen, als die Diener für den Möbeltransport erschienen. Ein ganzer Schwarm lächerlich austaffierter Lakaien strömte in den Saal, bemächtigte sich der Möbelstücke und verschwand so schnell, wie er gekommen war. Während der Operation hatten die Handwerker amüsiert inne gehalten. Einer von ihnen hatte es gewagt, die Uniformierten scherzhaft als gehirnlose Ameisen zu bezeichnen. Es war gelacht worden. Erst nach einer Weile hatte man verdutzt festgestellt, dass im Zuge der Verrichtung auch der Paravant geliefert worden war. Unauffällig stand er in der hinteren Ecke des Saals.

    4

    Am Ende des Tages waren alle wichtigen Umbauten fertig. Auf dem Parkett lagen Dielenbretter und alle Wänden waren mit Leinwände bespannt. Sogar die Fenster - und Türumrandungen hatte man nicht ausgespart. Zum Abschied flüsterte Saly seinem Gehilfen zu, eine Flasche Cognac aus dem Reisegepäck zu holen. Er wollte gemeinsam mit den Männern anstoßen und die Verwandlung feiern. Erst, als sich Jean sich mit der Flasche näherte, wurde ihm jäh bewusst, dass er das nicht durfte. Es gehörte sich nicht dass er, als Künstler am Hofe des Königs, sich mit einfachen Handwerkern verbrüderte, selbst wenn er den ganzen Tag gemeinsam mit ihnen gearbeitet hatte. Der Standesunterschied war zu wahren. Saly beschloss, dem Meister die Flasche mit den besten Wünschen zu überreichen und fügte schelmisch hinzu, dieser müsse den guten Tropfen im Sinne aller verwerten. Die Männer lachten, bedankten sich formlos und verließen das Atelier. Saly und Jean blieben allein zurück.

    * * *

    Am nächsten Morgen erwachte der Bildhauer erst recht spät. Er hatte gut geschlafen und fühlte beim Aufstehen neuen Tatendrang. Während Jean ihm in die Kleider half, fielen Saly die Dinge ein, welche noch zu erledigen waren. Um das Atelier zweckmäßig auszustatten, musste zunächst das Podest aufgebaut werden. Danach würde er sein Zeichenmaterial und das Werkzeug bereit legen. Einfachste Routine. Erst beim Pudern der Perücke, die etwas zerzaust wirkte, weil er sie gestern bei der Arbeit achtlos irgendwo abgelegt hatte, wurde ihm wieder gewahr, wo er sich befand und wer demnächst dort sitzen würde. Es traf ihn wie ein Schock. Mitten im Schloss Versailles würde sein Modell kein anderes sein als die wichtigste Dame im Lande, nämlich Madame de Pompadour, die Mätresse des Königs. Nur nicht in Panik verfallen. Einfach nur an die künstlerische Verrichtung des Auftrags denken. Er zwang sich, die Situation präziser zu durchdenken. Sonst würde es zu keinen weiteren Entscheidungen kommen.

    Saly legte die Perücke zur Seite, erhob sich und durchmaß das Atelier. Es war ein schöner Morgen, mit einem sanften, hellgelben Licht, das durch die großen Fenster floss. Ideal, um sich einen Standpunkt auszusuchen. Er selber sollte das Licht halbwegs im Rücken haben. Das Modell hingegen müsste davon seitlich frontal beschienen werden. Die Lichteinfälle zu den verschiedenen Tageszeiten waren mit zu bedenken. Könnte er ihr zumuten, sich vor dem Mittag hier einzufinden? Die Leuchtkraft wäre dann am besten. Er stellte fest, dass er sich wenig mit dem Tagesablauf einer solchen Dame auskannte und nicht wusste, ob diese lange schlief oder etwas wichtiges am Morgen zu tun hatte. Trotz dieser Unwägbarkeit musste man sich für beide Standpunkte, den des Modells und den eigenen, entscheiden.

    Das Podest maß, wenn es fertig aufgebaut dastand, ungefähr zwei Ellen im Quadrat. Darauf wurde dann mittig ein Sessel, Stuhl oder Chaiselongue postiert, auf dem das Modell Platz zu nehmen hatte. Dort sollte es, in gewisser Pose drapiert, möglichst lange unbeweglich verharren. So normalerweise das Vorgehen. Würde man es in diesem Falle revidieren? Saly wollte sich innerlich gegen unliebsame Änderungen wappnen und durchsetzen, dass man sich diesbezüglich nach ihm richtete. Selbstverständlich könnte er versuchen zu argumentieren und derlei ausgeklügelte Sätzen wie „die Kunst richtet sich nach dem Licht oder „das Künstlerauge muss die Silhouette umspielen dürfen einwerfen. Da es ihm aber an Wortkunst mangelte, hielt er es für vorteilhafter, wenn es gar nicht zum Schlagabtausch käme. Schon vor dem Betreten des Ateliers musste unumstößlich feststehen, wer wo seinen Platz hatte. Die Inszenierung sollte schon vor dem Auftritt perfekt sein. Diese Theatermetapher saß im Bildhauer fest. Wenn er eine Schauspielerin fände, eine Art Double sozusagen, das er zu Madames Anschauung bereits vor der eigentlichen Sitzung dort drapieren könnte, damit dann dieses Bildgefüge in der Madame und in den Köpfen ihrer Begleiter gewann... man würde keinen anderen Eindruck mehr haben wollen, weil man sich in den ersten verguckt hatte. Solche Dinge, resümierte Saly, waren wissenschaftlich belegt und passten durchaus zu seinen eigenen Erfahrungen.

    So entschied er sich, zunächst den Paravant mittig auf die Diagonale zwischen rechter Fensterecke und linker Tür zu stellen. Wenn man nun den Raum betrat, sah man zunächst in einiger Entfernung die aufgebaute Wand. Erst im zweiten Anlauf würde der Blick das Modell finden. Möglicherweise entscheidende Sekunden. Das Podest wollten der Bildhauer auf verlängerter Achse, ungefähr zwei Ellen vom Arbeitsplatz des Künstlers entfernt, platziert haben. Dazu trug er mit seinem Gehilfen zwei große Reisekisten an die besagte Stelle. Wenn man deren Deckel aufklappte und die Zwischenräume mit zwei Holzplatten, welche normalerweise als Abtrennung der Fächer dienten, verstärkte, ergab sich eine ebene Plattform. Diese war ungefähr eine viertel Elle hoch. Saly wanderte um das Podest herum und kontrollierte die Stabilität. Danach begab er sich hinter den Paravant. Jetzt mussten er den besten Blickwinkel herausfinden. Einen, der ihn nicht zu Verrenkungen nötigte. Jean brachte ihm sein Arbeitspult. Es war in Höhe und Neigung verstellbar so dass man darauf zeichnen oder Werkzeug auf der Fläche ablegen konnte. Saly bat Jean, sich mit einem Stuhl auf das Podest zu setzen. Der Bildhauer rückte sich den Tisch auf Armeslänge zurecht. Jedes Mal, wenn er eine neue Position ausprobierte, fragte er Jean, ob man ihn hinter der Wand sehen könne. Ständig wurde alles neu justiert. Nach geraumer Zeit hatten sie endlich die passende Position ermittelt. Der Paravant musste zur Wand hin etwas verschoben stehen und dem Podest entgegen ein wenig geöffnet sein. Lichteinfall und Blickwinkel waren nun perfekt. Saly konnte nun direkt am Modell weiter arbeiten. Um dessen grobe Positur zu ermitteln, reichte zunächst die jungenhafte Figur Jeans. An ihr konnte Saly die Drehung und Neigung des Kopfes einstellen und den Winkel der Schultern zum Körper festlegen. Was er nicht konnte, war die Länge des Nackens bemessen oder den Ansatz der Brust einschätzen. Dazu war ein weibliches Modell notwendig. Saly machte einige Skizzen, die sich auf die Achsen und Winkel der Figur bezogen. Dazu setze er den Jungen immer wieder anders hin, bis er eine endgültige Stellung gefunden hatte. Nun konnte die Feinjustierung des Kopfes vorgenommen werden. Eine langwierige und anstrengende Sache, obwohl Jean ein erfahrenes Modell war. Zur Wahl standen schließlich drei Positionen, die dem Meister gefielen. Diese hielt er in exakten Zeichnungen fest. Aber erst bei der Nachstellung mit einer Dame würde er sich für die optimale Positur entscheiden. Erschöpft beschloss Saly, die Arbeit für heute zu beenden. Es war bereits später Nachmittag geworden und beide hatten noch nichts gegessen. An solche Kleinigkeiten hatte Saly bisher noch gar nicht gedacht. Wie würde man in einem Schloss essen? Vielleicht musste man außerhalb ein Wirtshaus suchen und dort speisen. Nach der Stadt Versailles war es ja nicht so weit und ein kleiner Spaziergang an der frischen Luft würde ihnen gut tun. Zurück könnte man sich einen Mietwagen nehmen und sich den Fußweg sparen. Saly wies den Jungen an, ihm Ausgehkleider heraus zu legen.

    Saly war ein wenig mulmig zu mute, aber Jean leitete ihn geschickt durch das Labyrinth der Flügel und Säle, so dass sie bald den Marmorhof erreichten. Von hier aus führten weitere Höfe zu den Ställen und zum Wirtschaftsgebäude. Erst dort begannen die Chausseen nach Versailles. Je näher man dem äußeren Rand des Schlosses kam, desto mehr Menschen, Wagen und Vieh stauten sich innen und außen an der Einfriedung. Aus dem Wirtschaftsgebäude eilten Menschen dem Schlosshof entgegen, von der Allee her näherte sich reger Verkehr und an den Ställen standen die Kaleschen Schlange. Jean strebte zum Wirtschaftsflügel, da er dort ein Nebentor vermutete, durch das sie aus dem Corps gelangen konnten. Und richtig. Aber auch dieser Durchlass war gut besucht. Es hatte sich eine Schlange gebildet, in der sie nun zusammen mit Mägden, Handwerkern und Händlern zu warten hatten. Man ließ nur einzelnes Volk hindurch und machte beim Ausführen der Waren Stichproben. Es war eng uns stickig. Mit einem Mal drängelte Jean sich vor, weil er einen der Handwerker entdeckt hatte, der am Tag zuvor beim Umbau dabei gewesen war. Saly selber konnte beide zwar miteinander sprechen sehen aber nichts verstehen, da es um ihn herum rumorte und drängelte. Er fühlte sich fehl am Platze und beinahe bedroht. Sicherlich war es nicht richtig, dass ein Mann seines Standes sich hier im Gedränge des Volkes aufzuhalten pflegte. Und da man am Ausgang die Leute kontrollierte, ging es sicherlich um Diebstähle jeglicher Art, von denen das Schloss wahrscheinlich täglich tausende Male heimgesucht wurde. Er griff nach seinem Geldbeutel, umfasste diesen fester und versuchte, Jean, der sich weit vor ihm im Gedränge befand, auf sich aufmerksam zu machen. Lieber wollte er unverzüglich zurück und hungern. Aber Jean drehte sich nicht um. Erst, als der Bekannte und er beinahe das Tor erreicht hatten winkte er, rief seinem Herrn etwas zu und schob sich gegen den Strom. Indes hatte Saly es geschafft, dem Gedränge seitlich zu entweichen. Immer noch angespannt wartete er abseits. Endlich erreichte ihn der Junge. Anstatt sich anzuhören, was dieser soeben erfahren hatte, blaffte Saly ihn an, ob er nicht bemerkt habe, dass sein Herr ihm nicht hatte folgen können. Jean wich nach hinten aus und entschuldigte sich verdattert. Am liebsten hätte er jetzt geschwiegen und den Meister ohne Mahlzeit zu Bett gehen lassen. So ungerecht fühlte er sich behandelt. Dabei hatte er doch nur mit dem Handwerker gesprochen. Und dieser hatte ihm erklärt, dass man den Corps von Versailles gar nicht verlassen müsse, um etwas zu essen. Es gäbe offene Tafeln für die Verkostung der wichtigen Hofbeamten und für diejenigen, die im Schloss wohnten, aber nicht an die Tafel des Königs gehörten. Man müsse sich nur zum Südflügel begeben, dort gäbe es gleich mehrere Speisemöglichkeiten für solche hohen Herren wie den Monsieur Bildhauer. Als der Junge endlich von dem berichtete, was er erfahren hatte, war Saly so erleichtert dass er, während er dem Jungen zurück zum Hauptschloss folgte, zugab, er habe ein wenig Angst in der Menge bekommen und sei deswegen so schroff gewesen. Jean ging nicht weiter auf die Entschuldigung ein und teilte seinem Herrn stattdessen mit, er könne ihn nur ein Stück weit begleiten. Er hatte nämlich auch zu hören bekommen, dass die Bediensteten der höheren Herren an den Hoftafeln allenfalls servieren aber nicht speisen durften. Leute wie er waren nur in den Wirtschaftsküchen willkommen. Saly wollte seine Launenhaftigkeit immer noch wieder gut machen und zückte sein Portemonaie. Er steckte dem Jungen ein paar Sous zu, obwohl dieser beteuerte, dass die Verpflegung dort ohne Entgeld sei. Am inneren Hof trennten sich dann beider Wege.

    Saly kam sich augenblicklich völlig hilflos vor. Betrübt darüber, wie naiv er dieser Welt am Hofe und dem königlichen Auftrag gegenüber stand, folgte er einigen Damen und Herren in den Südflügel. Hier sammelten sich Höflinge und Hofdamen. Während man einen der hergerichteten Säle betrat, fanden rege Unterhaltung statt, man kannte sich. Tafel um Tafel war in langen Reihen angerichtet. Serviteure eilten geschäftig durch den riesigen Raum und bedienten die bereits Speisenden. Saly sah sich befangen um. Gab es hier eine Sitzordnung? Da sich die Gruppe, mit der er den Saal betreten hatte, ungezwungen irgendwelche freien Plätzen okkupierte, war zu schlussfolgern, dass man sich setzen konnte, wohin man wollte. Der Einfachheit halber steuerte Saly auf einen weiteren freien Sitz in der Reihe zu. Hier hatte er zwar keinen direkten Tischnachbarn, aber ein recht ansehnliches, weibliches Gegenüber. Man bat sicherlich darum, Platz zu nehmen, bevor man sich setzte:

    „Sie gestatten, Mademoiselle?"

    Saly deutete eine Verbeugung an.

    „Bitte, bitte. Er tue sich keinen Zwang an! Sie lugte zur Tischnachbarin. Nonchalant wurde auf den freien Stuhl gewiesen. „Neu hier? Haben wir seinen Namen schon einmal gehört? Man helfe mir: In welcher Funktion am Hofe tätig? Das Weib unterschied kaum zwischen Worten und Bissen. Gerade geschluckt, entschlüpften ihr auch schon die Sätze. Immerhin besaß sie genug Anstand, nicht mit vollem Mund zu sprechen. Saly begann der Kopf zu schwirren. Und das nicht nur aus Hunger. Er musste dem Mädchen antworten. Wollte er überhaupt Konversation führen? Wenn nicht, würde eine knappe Entgegnung genügen. Falls doch, müsste man in die Rückmeldung wiederum eine Frage einbauen. Er hörte sich sagen: „Man ist erst gestern in Versailles angekommen. Mademoiselle haben Interesse an der Kunst? Saly, mein Name, in der Funktion eines Bildhauers. Man hat mich, hier am Hofe, mit einem Auftrag bedacht." Ein Page kam und verharrte geduldig an Salys Seite. Weil sie dessen Reaktion beobachtete, ging die junge Dame zunächst nicht weiter auf die Offenbarung ein. Satt dessen neigte sie sich zum neuen Gast hin und raunte:

    „Ihr müsst mitteilen, welche Gerichte gewünscht werden. Ich schlage vor, zunächst eine Vorspeise zu wählen. Darf ich empfehlen? Die Flusskrebse sind herrlich. Jene Marinade dazu und von diesem Weißwein, vorzüglich. Sehen sie die roten Kartoffeln..., ihr flüsternder Mund näherte sich seinem Ohr, „...Zerquetschen und den Brei mit der Flusskrebsmarinade vermatschen, sie kicherte, „wirklich ungeniert anzuraten! Dann bemerkte sie ganz nebenbei: „Der Monsieur, der die Marquise in Marmor abbilden soll. Darf man zusehen? Wir werden alle dabei sein, fürchte ich. Genüsslich führte sie den Löffel zum Mund, um das Dessert zu schmelzen.

    Saly sah den hübschen Lippen dabei zu. Ein temperamentvolles Ding. Erinnerte ihn an die heißblütigen Italienerinnen. Nur, diese hier war gezierter, künstlicher. Aber unheimlich schön. Ihm wurde das Hors d'oeuvre auftgetan. Rhythmisch begann er, die Kartoffeln auf dem Teller zu zerdrücken. Sein Gegenüber bemerkte die Bemühungen:

    „Ich sehe, sie befolgen meinen Rat. Köstlich, oder?"

    Wir werden alle dabei sein...alle dabei sein...Abrupt sah er auf und fragte etwas dümmlich: „Wie? Die junge Dame ließ sich nicht irritieren: „Wir, ihr Gefolge. Sie ist stets in Begleitung. Madame wünscht. Madame möchte. Zerstreuung, Unterhaltung, Papperlapapp. Sie kann nicht allein sein. Ein versetztes Zögern.

    „Nicht jetzt, in diesen Zeiten."

    Was für fatale Andeutungen. Langsam zerdrückte er das Mus im Gaumen. Sollte er ihr Gerede ignorieren und einfach weiter speisen oder die Gelegenheit beim Schopfe packen und diese Person ausfragen? Er schluckte den Brei hinab, betupfte mit der Serviette den Mundwinkel und lehnte sich bedächtig vor: „Ganz im Vertrauen, Mademoiselle: Ihr seid so gut über die Verhältnisse informiert, dass ihr mich aufklären könntet? Das würde entscheidend helfen."

    „Ich könnte, wenn ich wollte, Monsieur Bildhauer. Zwar gehöre ich nicht zum inneren Zirkel, bin aber meistens zugegen. Ich habe keinerlei Einfluss, aber immer etwas zu sagen. Des Rätsels Lösung: In meiner Person steckt eine winzige Begleitdame einer mehr oder weniger bedeutenden Komtesse. Soll ich dieses Amt aufs Spiel setzen seinetwegen? Ihm Geheimnisse ausplaudern, die doch schon alle kennen? Hört er doch einfach selber hin. Hier nebenan, der Löffel zeigte auf ihre Nachbarin, „da vorn. Immer wird man die Bissen aufschnappen, welche böse Münder verschmähen. Ich rate ihm, wachsam zu sein. Man kann sich nicht einfach heraus halten, wenn man mitten unter ihnen weilt.

    Er war überrascht. Hatte sie ihn zu Beginn absichtlich durch Koketterie getäuscht? Denn an diesem Punkt des Dialogs zeugte ihr Reden von gehobener Intelligenz und scharfem Denken. Saly beschloss, sich näher auf die junge Dame einzulassen.

    „Als Künstler ist man auf innere und äußere Ruhe angewiesen, sonst wird man nicht arbeiten können. Es scheint alles so fremd hier. Mademoiselle müssen wissen, dass ich mehrere Jahre in Italien verbrachte. Kennen sie Italien? Dort ist es ganz anders – ich kann sagen: Dort lebt man die Kunst und nicht das Künstliche."

    „Wohl gesprochen, Monsieur Bildhauer! Ich verstehe mich auf das, was sie mit dem Künstlichen meinen. Hingegen Italien! Das Land meiner Träume! Wissen sie, ich habe italienische Vorfahren. Aber ich war noch nie dort. Ist das nicht traurig?" Ihr hübsches Gesicht bekam einen sehnsüchtigen Ausdruck. Jetzt konnte die römischen Züge in ihrem feinen Antlitz erkennen. Stellte man sie sich ohne Puder und Perücke vor, war sie von klassischer Schönheit. Dass er noch nicht viel über ihr Inneres wusste trübte das Bild ein wenig. In ihm keimte ein Gedanke und er führte das Gespräch weiter:

    „Die römischen Frauen sind schön. Sie präsentieren ihren natürlichen, erhabenen Charakter. Man verkleidet sich nicht. Masken trägt man nur zum Karneval."

    Die junge Dame war begeistert:

    „Genau so stelle ich mir die Menschen dort vor!"

    Ihre Tischgenossin lauschte amüsiert. Saly sah sich auf dem richtigen Weg:

    „Madame, verratet ihr mir euren Namen?"

    „Nur unter einer Bedingung!"

    Saly versuchte salopp zu wirken:

    „Die da wäre? Verlange sie nicht zu viel von mir!"

    Sie lachte:

    „ Je veux simplement... Er muss mir alles über Italien erzählen! Abgemacht?"

    Erleichtert und fast beglückt stimmte er zu: „Gern, Mademoiselle. Aber ich möchte euch nicht kompromittieren...".

    „Oh, dass lässt sich vermeiden. Wir sollten einfach offiziell Umgang pflegen. Man trifft sich in der Öffentlichkeit, geht spazieren, fährt aus...ich meinerseits bin da ganz offen..."

    „Mademoiselle haben keinen Gatten oder Verehrer?"

    „Weder den einen noch den anderen ernstzunehmenden. Ich bin sozusagen vogelfrei."

    Mit diesen allzu augenscheinlichen Avancen wollte sie ihn prüfen und herausfinden, ob es sich bei Saly um einen verkappten Schwerenöter handelte. Dieser ging ebenso wenig darauf ein, wie ein Großvater.

    „Ich wollte keinesfalls indiskret sein, Mademoiselle. Meine Frage hat durchaus einen tieferen Sinn. Wenn ihr ablehnt, werde ich trotzdem von Rom erzählen, unsicher fuhr er fort, „ich wage kaum, mich zu äußern. Aber darf ich sagen: mir ist eure Schönheit aufgefallen. Und deshalb möchte ich euch - rein als Künstler - fragen: Würdet ihr mir Modell sitzen?

    5

    Saly hatte sein Double gefunden. Sofort hatte ihm Adoree begeistert zugestimmt und dann begonnen, viele Fragen zu stellen. Als er mit der jungen Dame die Kleiderfrage erörtern wollte, hatte sie bereits eigene Vorschläge zur Hand. Man einigte sich auf ein lockeres Gewand, das Schulter und Nacken frei ließ. Aus Angst, ihre Euphorie zu bremsen, erklärte der Bildhauer dem Mädchen nur zögerlich das Vorgehen und legte ihr schonend dar, dass er sie zunächst nur als Darstellerin brauche. Von den Skizzen dürfe sie sich natürlich nachher die schönsten aussuchen. Adoree freute sich aufrichtig. Man dürfe doch während

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1